Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 23. Sept. 2015 - 12 A 1787/15

Gericht
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
1
G r ü n d e :
2I. Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers war abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht die von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorausgesetzte hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, wie nachfolgend ausgeführt wird.
3II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO ist gegeben.
41. Das Zulassungsvorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, die Fortsetzungsfeststellungsklage sei zum einen mangels des entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderlichen Feststellungsinteresses unzulässig und zum anderen unbegründet, weil nicht von einer Minderjährigkeit des Klägers auszugehen gewesen sei und der Kläger daher keinen Anspruch auf Inob-hutnahme nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII gehabt habe. Diese jeweils entscheidungstragenden Annahmen werden durch die Zulassungsbegründung nicht durchgreifend in Frage gestellt.
5a) Der Kläger zeigt nicht auf, dass er entgegen der rechtlichen Würdigung des Verwaltungsgerichts ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides der Beklagten vom 8. August 2013 über die Beendigung der Inob-hutnahme besitzt.
6Soweit das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt hat, es liege kein Fall vor, bei dem sich eine hoheitliche Maßnahme typischerweise so kurzfristig erledige, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könne,
7vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, BVerwGE 146, 303, juris, und vom 20. Juni 2013
8- 8 C 39.12 -, juris,
9geht der Zulassungsvortrag an dieser Argumentation vorbei. Mit seinem Einwand, das vorliegende Verfahren habe sich erstinstanzlich nahezu zwei Jahre lang hingezogen, verkennt der Kläger, dass es nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung darauf ankommt, ob sich eine kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt. Für das Vorliegen einer solchen Charakteristik gibt das Zulassungsvorbringen nichts her.
10Der Kläger legt auch nicht dar, dass das Verwaltungsgericht von einem Präjudiz-interesse wegen eines anhängigen oder ernsthaft beabsichtigten Amtshaftungsprozesses hätte ausgehen müssen. Anders als er meint, hätte es insoweit konkreter Angaben zum behaupteten Schaden bzw. zur Schadenshöhe bedurft.
11Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Januar 2003
12- 13 A 4859/00 -, NVwZ-RR 2003, 696, juris; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 113 Rn. 278; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 113 Rn. 87.
13Des Weiteren ergibt sich aus der Zulassungsbegründung auch nichts Wesentliches für das Vorliegen einer - vom Verwaltungsgericht verneinten - diskriminierenden Wirkung der streitgegenständlichen Maßnahme.
14Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern.
15Vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Mai 2013 und vom 20. Juni 2013, a. a. O.
16Eine derartige fortbestehende Stigmatisierung erschließt sich aus dem Zulassungsvortrag nicht ansatzweise. Der Kläger geht offenbar - zu Unrecht - davon aus, dass schon eine ungleiche Behandlung „gegenüber anderen Jugendlichen in ähnlicher Situation“ für sich gesehen zu einem berechtigten Feststellungsinteresse führe.
17b) Die in der Unbegründetheit der Klage resultierende Annahme des Verwaltungsgerichts, es sei nicht von einer Minderjährigkeit des Klägers auszugehen gewesen, wird durch die Bezugnahme des Klägers auf den „erstinstanzlich überreichten Beschluss des Familiengerichts L. vom 06.12.2013, auf welchen das Verwaltungsgericht Köln an keiner Stelle eingeht“, nicht in einer den Darlegungsanforderungen aus § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise in Zweifel gezogen, weil sich der Kläger mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils insoweit nicht substantiell auseinandersetzt. Der bloße Hinweis darauf, dass sich die Familienrichterin „im Gegensatz zu dem erstinstanzlichen Richter des Verwaltungsgerichts L. … bei ihrer Entscheidung zur Aufrechterhaltung der Vormundschaft an dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Grundgesetzes und nicht an der willkürlichen Altersfestsetzung der Antragsgegnerin“ orientiert habe, kann eine Befassung mit der Gedankenführung des Verwaltungsgerichts nicht ersetzen. Auch mit seinen weiteren Einwendungen im Kontext des Feststellungsinteresses und des behaupteten Verfahrensmangels geht der Kläger auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Unbegründetheit der Klage nicht dezidiert ein.
182. Das Zulassungsvorbringen zeigt auch nicht auf, dass das ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
19Der Kläger legt nicht dar, dass die Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts gestellten Beweisantrags seinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Die Ablehnung eines Beweisantrags begründet einen Gehörsverstoß nur dann, wenn sie im Prozessrecht objektiv keine Stütze findet.
20Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Juni 2012
21- 13 A 1863/10 -, juris, m. w. N.
22Dass dies der Fall ist, erschließt sich aus dem Zulassungsvortrag nicht. Ausweislich der Terminsniederschrift vom 1. Juli 2015 hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag abgelehnt, weil die Tatsache, die bewiesen werden soll, nämlich
23„dass es kein zuverlässiges medizinisches Verfahren gibt, das genaue Alter eines Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren zu ermitteln“,
24für die Entscheidung ohne Bedeutung ist. Der damit bezeichnete Ablehnungsgrund entspricht dem Rechtsgedanken aus § 244 Abs. 3 Satz 2 2. Alt. StPO und ist prozessrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Eine dagegen gerichtete Verfahrensrüge kann nur Erfolg haben, wenn dargelegt wird und festzustellen ist, dass die unter Beweis gestellte Tatsache nach der dem Urteil zu entnehmenden Rechtsauffassung der Vorinstanz tatsächlich doch entscheidungserheblich war.
25Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. November 2011
26- 5 A 1352/10 -, juris, m. w. N.
27Diesen Anforderungen entspricht der Zulassungsantrag nicht. Mit dem Hinweis darauf, das Verwaltungsgericht habe „trotz der mitgeteilten Auffassung zur Unzulässigkeit der Klage Ausführungen zur Unbegründetheit gemacht“, legt der Kläger eine Entscheidungserheblichkeit im beschriebenen Sinne nicht dar. Auch der weitere Zulassungsvortrag gibt nichts dafür her, dass es nach der Argumentation des Verwaltungsgerichts zur Unzulässigkeit oder zur Unbegründetheit der Klage auf die Beweistatsache angekommen wäre. Namentlich ist das Verwaltungsgericht gerade nicht davon ausgegangen, dass das eingeholte Gutachten des Rechtsmedizinischen Instituts der Universitätsklinik E. vom 18. Juni 2013 zur Feststellung des „genauen Alters“ des Klägers geführt habe (vgl. S. 10 f. des Urteilsabdrucks).
28Im Übrigen irrt der Kläger, wenn er annimmt, dass sich „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ die Richtigkeit des von ihm angegebenen Geburtsdatums ergeben hätte, sofern das Verwaltungsgericht seinem Beweisantrag nachgekommen wäre. Die beantragte Beweiserhebung hätte offensichtlich keine wesentlichen Erkenntnisse dafür erbracht, dass die Frage, ob der Kläger tatsächlich an dem betreffenden Tag geboren wurde, im positiven Sinne zu beantworten ist.
29Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Abs. 2 Halbsatz 1 VwGO.
30Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das angefochtene Urteil ist damit rechtskräftig, vgl. § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO.

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(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.
(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.
(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn
- 1.
das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet oder - 2.
eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und - a)
die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder - b)
eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann oder
- 3.
ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.
(2) Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme unverzüglich das Kind oder den Jugendlichen umfassend und in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form über diese Maßnahme aufzuklären, die Situation, die zur Inobhutnahme geführt hat, zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen. Dem Kind oder dem Jugendlichen ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen und dabei den notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen; § 39 Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend. Das Jugendamt ist während der Inobhutnahme berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind; der mutmaßliche Wille der Personensorge- oder der Erziehungsberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 gehört zu den Rechtshandlungen nach Satz 4, zu denen das Jugendamt verpflichtet ist, insbesondere die unverzügliche Stellung eines Asylantrags für das Kind oder den Jugendlichen in Fällen, in denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das Kind oder der Jugendliche internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes benötigt; dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen.
(3) Das Jugendamt hat im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten, sie in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form umfassend über diese Maßnahme aufzuklären und mit ihnen das Gefährdungsrisiko abzuschätzen. Widersprechen die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt unverzüglich
- 1.
das Kind oder den Jugendlichen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zu übergeben, sofern nach der Einschätzung des Jugendamts eine Gefährdung des Kindeswohls nicht besteht oder die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten bereit und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden oder - 2.
eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen.
(4) Die Inobhutnahme endet mit
- 1.
der Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten, - 2.
der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch.
(5) Freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Inobhutnahme sind nur zulässig, wenn und soweit sie erforderlich sind, um eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes oder des Jugendlichen oder eine Gefahr für Leib oder Leben Dritter abzuwenden. Die Freiheitsentziehung ist ohne gerichtliche Entscheidung spätestens mit Ablauf des Tages nach ihrem Beginn zu beenden.
(6) Ist bei der Inobhutnahme die Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich, so sind die dazu befugten Stellen hinzuzuziehen.
(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.
(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.
(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.
(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.