Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 22. März 2007 - 1 Ws 78/07

22.03.2007

Tenor

Der Antrag der Anzeigeerstatter auf gerichtliche Entscheidung gegen den Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vom 15. Februar 2007 wird als unzulässig

verworfen.

Gründe

 
I.
Der Beschuldigte als beim AG ... tätiger Vollstreckungsrechtspfleger hat das Zwangsversteigerungsverfahren K. AG ... in das Grundeigentum der Anzeigeerstatter geleitet. Im Zwangsversteigerungstermin erschien der Bevollmächtigte ... der Anzeigeerstatter und übergab dem Beschuldigten ein gegen ihn gerichtetes Gesuch auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, wobei er eine ausführliche schriftliche Begründung nachzubringen versprach.
Der Beschuldigte wies den Antrag der Anzeigeerstatter auf einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens (§ 765 a ZPO) zurück und verwarf deren Befangenheitsgesuch als unzulässig, da nur verfahrensfremde Zwecke, insbesondere eine Verschleppung des Verfahrens verfolgt würden. Noch am selbem Tag erteilte er den Zuschlag an die Sparkasse ....
Die Strafanzeige wegen Rechtsbeugung (§ 339 StGB), das Ermittlungsverfahren und die darin ergangenen Einstellungsbescheide der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft befassten sich mit dem Vorwurf, dass der Beschuldigte den am 16. April 2004 gestellten Antrag auf einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens nach § 765 a ZPO bis zum Terminstag am 27. Juni 2006 nicht beschieden habe, obwohl ihm dargelegt worden sei, dass wegen der drohenden Zwangsversteigerung bei den Anzeigeerstattern Suizidgefahr bestehe.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach §§ 171, 172 Abs. 1 bis 3 StPO nicht zulässig, weil er - wie die Anzeigeerstatter einräumen - auf einen Sachverhaltsvortrag gegründet wird, der eine „andere Tatsachengrundlage“ enthält, die „mangels Vorbringen bei den Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft nicht berücksichtigt werden“ konnte.
Die Anzeigeerstatter berufen sich zur Begründung ihres Rechtsbeugungsvorwurfs im Klageerzwingungsantrag ausschließlich darauf, dass der Beschuldigte als Rechtspfleger über das gegen ihn gerichtete Befangenheitsgesuch selbst entschieden habe, obwohl § 10 Satz 2 RPflG eindeutig anordne, dass über ein solches Gesuch stets der Richter zu entscheiden habe.
Ein derartiger vollständiger Austausch der Tatsachengrundlage zwischen Ermittlungsverfahren und Klageerzwingungsantrag ist nicht zulässig, selbst wenn - was hier dahinstehen kann - dieselbe Tat im prozessualem Sinne (§§ 155, 264 StPO) betroffen sein sollte. Zwar können im Klageerzwingungsantrag neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden, die den bisherigen Vorwurf ergänzen und stützen (vergleiche Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, § 172 Rdn. 31; Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 172 Rdn. 38; Pfeiffer, StPO, 5. Auflage, § 172 Rdn. 7). Ein vollständiger Austausch des den strafrechtlichen Vorwurf begründenden Sachverhalts ist jedoch nicht zulässig, weil dadurch der vom Gesetz vorgezeichnete dreistufige Aufbau des Verfahrens umgangen würde. Denn erst nachdem die Staatsanwaltschaft der Strafanzeige nach § 152 Abs. 2 StPO keine Folge gegeben oder das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat (erste Stufe) und nachdem die Generalstaatsanwaltschaft die hiergegen gerichtete Beschwerde des Anzeigeerstatters zurückgewiesen hat (zweite Stufe), ist der Klageerzwingungsantrag zum Oberlandesgericht als dritte Stufe zulässig (vergleiche Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, § 172 Rdn. 5 ff.; Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 172 Rdn. 2, 3; Pfeiffer, StPO, 5. Auflage, § 172 Rdn. 1, 2). Der Klageerzwingungsantrag, der nach dem Gesetz der Überprüfung der Frage dient, ob der Legalitätsgrundsatz im Ermittlungsverfahren eingehalten wurde (vergleiche Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 172 Rdn. 1; Pfeiffer, StPO, 5. Auflage, § 172 Rdn. 1, jeweils mit m.w.N.), verfehlt seinen Zweck, wenn in ihm eine völlig neue Tatsachengrundlage zur Überprüfung des Oberlandesgerichts (§ 172 Abs. 4 Satz 1 StPO) gestellt wird, die von den staatsanwaltschaftlichen Vorinstanzen noch nicht einbezogen und bewertet werden konnte, weil der ursprüngliche Vorwurf nicht hierauf gegründet war.
Der Antrag ist schon aus diesem Grund unzulässig. Auf die Frage der wirksamen Vollmachterteilung durch die Anzeigeerstatter kommt es daher nicht mehr an.

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Referenzen - Gesetze

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Strafprozeßordnung - StPO | § 170 Entscheidung über eine Anklageerhebung


(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht. (2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren

Strafprozeßordnung - StPO | § 264 Gegenstand des Urteils


(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. (2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde l

Strafprozeßordnung - StPO | § 172 Beschwerde des Verletzten; Klageerzwingungsverfahren


(1) Ist der Antragsteller zugleich der Verletzte, so steht ihm gegen den Bescheid nach § 171 binnen zwei Wochen nach der Bekanntmachung die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft zu. Durch die Einlegung der Beschwerde bei der S

Strafprozeßordnung - StPO | § 152 Anklagebehörde; Legalitätsgrundsatz


(1) Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen. (2) Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspu

Strafgesetzbuch - StGB | § 339 Rechtsbeugung


Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bi

Strafprozeßordnung - StPO | § 155 Umfang der gerichtlichen Untersuchung und Entscheidung


(1) Die Untersuchung und Entscheidung erstreckt sich nur auf die in der Klage bezeichnete Tat und auf die durch die Klage beschuldigten Personen. (2) Innerhalb dieser Grenzen sind die Gerichte zu einer selbständigen Tätigkeit berechtigt und verpf

Rechtspflegergesetz - RPflG 1969 | § 10 Ausschließung und Ablehnung des Rechtspflegers


Für die Ausschließung und Ablehnung des Rechtspflegers sind die für den Richter geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Über die Ablehnung des Rechtspflegers entscheidet der Richter.

Strafprozeßordnung - StPO | § 171 Einstellungsbescheid


Gibt die Staatsanwaltschaft einem Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage keine Folge oder verfügt sie nach dem Abschluß der Ermittlungen die Einstellung des Verfahrens, so hat sie den Antragsteller unter Angabe der Gründe zu bescheiden. In dem Be

Referenzen

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

Gibt die Staatsanwaltschaft einem Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage keine Folge oder verfügt sie nach dem Abschluß der Ermittlungen die Einstellung des Verfahrens, so hat sie den Antragsteller unter Angabe der Gründe zu bescheiden. In dem Bescheid ist der Antragsteller, der zugleich der Verletzte ist, über die Möglichkeit der Anfechtung und die dafür vorgesehene Frist (§ 172 Abs. 1) zu belehren. § 187 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes gilt entsprechend für Verletzte, die nach § 395 der Strafprozessordnung berechtigt wären, sich der öffentlichen Klage mit der Nebenklage anzuschließen, soweit sie einen Antrag auf Übersetzung stellen.

(1) Ist der Antragsteller zugleich der Verletzte, so steht ihm gegen den Bescheid nach § 171 binnen zwei Wochen nach der Bekanntmachung die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft zu. Durch die Einlegung der Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft wird die Frist gewahrt. Sie läuft nicht, wenn die Belehrung nach § 171 Satz 2 unterblieben ist.

(2) Gegen den ablehnenden Bescheid des vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft kann der Antragsteller binnen einem Monat nach der Bekanntmachung gerichtliche Entscheidung beantragen. Hierüber und über die dafür vorgesehene Form ist er zu belehren; die Frist läuft nicht, wenn die Belehrung unterblieben ist. Der Antrag ist nicht zulässig, wenn das Verfahren ausschließlich eine Straftat zum Gegenstand hat, die vom Verletzten im Wege der Privatklage verfolgt werden kann, oder wenn die Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1, § 153a Abs. 1 Satz 1, 7 oder § 153b Abs. 1 von der Verfolgung der Tat abgesehen hat; dasselbe gilt in den Fällen der §§ 153c bis 154 Abs. 1 sowie der §§ 154b und 154c.

(3) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung muß die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel angeben. Er muß von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein; für die Prozeßkostenhilfe gelten dieselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Der Antrag ist bei dem für die Entscheidung zuständigen Gericht einzureichen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag ist das Oberlandesgericht zuständig. Die §§ 120 und 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes sind sinngemäß anzuwenden.

Für die Ausschließung und Ablehnung des Rechtspflegers sind die für den Richter geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Über die Ablehnung des Rechtspflegers entscheidet der Richter.

(1) Die Untersuchung und Entscheidung erstreckt sich nur auf die in der Klage bezeichnete Tat und auf die durch die Klage beschuldigten Personen.

(2) Innerhalb dieser Grenzen sind die Gerichte zu einer selbständigen Tätigkeit berechtigt und verpflichtet; insbesondere sind sie bei Anwendung des Strafgesetzes an die gestellten Anträge nicht gebunden.

(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.

(1) Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen.

(2) Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.

(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.

(1) Ist der Antragsteller zugleich der Verletzte, so steht ihm gegen den Bescheid nach § 171 binnen zwei Wochen nach der Bekanntmachung die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft zu. Durch die Einlegung der Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft wird die Frist gewahrt. Sie läuft nicht, wenn die Belehrung nach § 171 Satz 2 unterblieben ist.

(2) Gegen den ablehnenden Bescheid des vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft kann der Antragsteller binnen einem Monat nach der Bekanntmachung gerichtliche Entscheidung beantragen. Hierüber und über die dafür vorgesehene Form ist er zu belehren; die Frist läuft nicht, wenn die Belehrung unterblieben ist. Der Antrag ist nicht zulässig, wenn das Verfahren ausschließlich eine Straftat zum Gegenstand hat, die vom Verletzten im Wege der Privatklage verfolgt werden kann, oder wenn die Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1, § 153a Abs. 1 Satz 1, 7 oder § 153b Abs. 1 von der Verfolgung der Tat abgesehen hat; dasselbe gilt in den Fällen der §§ 153c bis 154 Abs. 1 sowie der §§ 154b und 154c.

(3) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung muß die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel angeben. Er muß von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein; für die Prozeßkostenhilfe gelten dieselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Der Antrag ist bei dem für die Entscheidung zuständigen Gericht einzureichen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag ist das Oberlandesgericht zuständig. Die §§ 120 und 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes sind sinngemäß anzuwenden.