Tenor

1. Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 11.11.2014 wird als unbegründet verworfen.

2. Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung seines Bevollmächtigten wird zurückgewiesen.

3. Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei; seine notwendigen Auslagen im Beschwerdeverfahren hat der Betroffene jedoch selbst zu tragen.

Gründe

I.

1

Das Landgericht Neubrandenburg hat mit Beschluss vom 11.11.2014 den Antrag des Betroffenen vom 13.07.2014 auf strafrechtliche Rehabilitierung wegen seiner durch Beschluss des Jugendhilfeausschusses des Rates des Bezirkes Neubrandenburg vom 02.07.1987 angeordneten Heimerziehung, die in der Zeit vom 24.08.1987 (richtig wohl: vom 24.10.1987) bis zum 01.07.1989 im Spezialkinderheim „B.-hof“ erfolgte, zurückgewiesen.

2

Gegen diese ihm am 29.11.2014 förmlich zugestellte Entscheidung wendet sich der Betroffene mit der am 23.12.2014 beim Landgericht eingegangenen Beschwerde im Schreiben seines Bevollmächtigten vom selben Tag, die mit weiterem Anwaltsschreiben vom 18.03.2015 unter gleichzeitiger Beantragung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren näher begründet worden ist.

3

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 27.04.2015 die Verwerfung des Rechtsmittels als unbegründet sowie die Zurückweisung des PKH-Antrags beantragt.

4

Der Betroffene hatte über seinen Bevollmächtigten Gelegenheit zur Stellungnahme, von der mit Anwaltsschreiben vom 22.05.2015 Gebrauch gemacht wurde.

II.

5

Die statthafte und zulässig angebrachte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

6

Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung und auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 27.04.2015 Bezug. Das Beschwerdevorbringen sowie die Gegenäußerung des Bevollmächtigen vom 22.05.2015 geben keinen Anlass zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung.

7

Nach dem eigenen Vorbringen des Betroffenen steht aufgrund späterer ärztlicher Diagnostik fest, dass er bereits seit seiner Kindheit an einem/einer Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder -störung (ADS) leidet, deren Symptome sich - wie man jetzt weiß - bereits bei seiner der Einweisung vorausgegangenen, von seinen Eltern initiierten Langzeitbeobachtung vom 03.08. bis zum 23.10.1987 in der kinderneurologischen Abteilung der Nervenklinik der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock gezeigt hatten. Die dortigen Fachärzte beschrieben den neurologisch und allgemein-körperlich unauffälligen Jungen als „leicht unruhig, affektiv steuerungsschwach, im Auftreten altklug, selbstsicher und aufgeschlossen. Während der Proband sich in der Einzelstation der Klinik ausreichend lenkbar und angepasst gezeigt habe, habe er in Gruppenunterbringung - vor allem im Verbindung mit Anforderungen - soziale Anpassungsstörungen gezeigt, die vorwiegend aus affektiven Steuerungsschwächen, einem übersteigerten Gerechtigkeitsempfinden und einer erschwerten Umstellfähigkeit bestanden hätten. Der Junge sei deshalb bereits aus banalen Anlässen oft in Auseinandersetzungen mit der Gruppe geraten, wobei er mitunter völlig die Selbstkontrolle verloren habe. Ebenso habe er auf für ihn unangenehme Leistungsanforderungen ablehnend, unbeherrscht, unwillig und anhaltend trotzig reagiert. Bei Aussprachen über sein Fehlverhalten habe er sich uneinsichtig und widersprechend gezeigt. Er habe häufig „das letzte Wort“ gehabt, weil er sich ungerecht behandelt fühlte. Vor allem in Beziehungskonflikten mit anderen Kindern habe der Junge auf geringste Konflikte „übernachhaltig empfindlich, reizbar und ungesteuert bis zur affektiven Dekompensation“ reagiert. Aufgrund seines übersteigerten Gerechtigkeitsempfindens habe er sich grundsätzlich falsch beurteilt und immer nur „bestraft“ gefühlt. Deshalb habe er alle erzieherischen Maßnahmen diskutiert, ihnen widersprochen und sich dadurch immer neue Konflikte geschaffen (vgl. zu alledem den auch dem Jugendhilfeausschuss mitgeteilten Abschlussbericht der Klinik vom 09.10.1987).

8

Genau diese auf Veranlassung der Eltern somit auch klinisch diagnostizierten Verhaltensauffälligkeiten waren nach Aktenlage jedoch für die Schulen, in denen der Betroffene zuvor gewesen war, der Anlass gewesen, sich an den Jugendhilfeausschuss des Bezirks Neubrandenburg zu wenden, weil weder die bislang unternommenen pädagogischen Interventionsmaßnahmen noch die beratende Unterstützung der Familie durch die Jugendhilfe zu einem nachhaltigen Erfolg geführt hatten (vgl. die Begründung des Einweisungsbeschlusses).

9

Nach alledem bestand seinerzeit durchaus Anlass zu weitergehenden jugendfürsorgerischen Maßnahmen. Die Behauptung des Betroffenen, seine Heimeinweisung sei die staatliche Reaktion auf den Ausreiseantrag seiner Mutter gewesen, ist danach nicht erwiesen. Nach seinem eigenen Vorbringen war der Ausreiseantrag der Mutter vielmehr deren Reaktion auf das bereits laufende Jugendamtsverfahren und die ihr in Aussicht gestellte Heimeinweisung ihres Sohnes, die sie für ungerechtfertigt hielt.

10

Ging die damalige Empfehlung der Universitätsklinik auch dahin, den Jungen wegen der beschriebenen „Verhaltensauffälligkeiten“ vorzugsweise dem Heim des Sonderkombinats für Psychotherapie und Psychodiagnostik in Berlin vorzustellen und ihn gegebenenfalls dort zur weiteren Diagnose und Behandlung in Form einer „sehr individuellen, dabei aber konsequenten pädagogisch-psychologischen Führung“ einzuweisen, weil die dortigen „idealen Bedingungen“ in einem Spezialkinderheim nicht gegeben seien, diente die stattdessen erfolgte Einweisung in das Spezialkinderheim „B.-hof“ (diese Einrichtung wird in dem Einweisungsbeschluss nicht erwähnt, in dem nur von „Heimerziehung“ die Rede ist!) deswegen weder im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG der politischen Verfolgung des Betroffenen (vgl. zu dieser Voraussetzung BGH, Beschluss vom 25. März 2015 - 4 StR 525/13 -, Rdz. 17, 19 in juris) oder seiner Eltern, speziell seiner Mutter, noch erfolgte sie „zu sachfremden Zwecken“ (vgl. zu diesem Begriff KG Berlin, Beschluss vom 29. März 2012 - 2 Ws 116/12 REHA -, Rdz. 25 in juris m.w.N.).

11

Die Erkenntnis, dass es sich bei ADS um eine in verschiedenen Varianten und unterschiedlichen Ausprägungsgraden auftretende multifaktorielle und erblich begünstigte psychische Erkrankung und nicht lediglich um eine Störung des Sozialverhaltens handelt, hat sich erst in den letzten Jahrzehnten in der psychiatrischen Wissenschaft herausgebildet und gefestigt. Der Wissensstand außerhalb der Fachärzteschaft war noch bis vor wenigen Jahren unzureichend. Die Differenzialdiagnostik zur Abgrenzung von anderen Krankheitsbildern oder zu lediglich dissozialen Verhaltensweisen gestaltet sich bis heute oftmals schwierig (vgl. Eintrag zu ADS/ADHS in Wikipedia). Von daher verwundert nicht, dass selbst die Ärzte der Universität Rostock bei dem Betroffenen seinerzeit keine psychische Störung festgestellt, sondern in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 09.10.1987 lediglich von“ Verhaltensauffälligkeiten“ (sic!) des Jungen ausgingen, die deshalb auch keiner medizinisch-psychiatrischen Intervention, sondern lediglich einer zwar individuell und einfühlsamen andererseits aber auch konsequenten pädagogisch-psychologischen Führung bedürften.

12

Dass der Jugendhilfeausschuss der Empfehlung der Ärzte zur Vorstellung und ggfls. Einweisung des Betroffenen in das Heim des Sonderkombinats für Psychotherapie und Psychodiagnostik in Berlin in Abänderung/Ergänzung der bereits mit Beschluss vom 19.05.1987 angeordneten Heimerziehung nicht gefolgt ist, mag bezüglich des stattdessen gewählten Spezialkinderheims „B.-hof“ fachlich verfehlt und damit ermessensfehlerhaft und nach heutigen Maßstäben insoweit rechtswidrig gewesen sein. Sachfremde Zwecke sind gleichwohl nicht festzustellen.

13

Dass es einer weitergehenden jugendfürsorgerischen Intervention in Form einer stationären Heimunterbringung bedurfte, nachdem alle zuvor unternommenen Versuche, z.B. durch eine Umschulung des Betroffenen und „viele pädagogische Aktivitäten durch Lehrer und Erzieher“ sowie die Betreuung der Familie durch Mitarbeiter der Jugendhilfe nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt hatten, ist offensichtlich und seinerzeit auch von der Fachklinik empfohlen worden. Die dagegen erhobenen Einwendungen der Eltern haben Berücksichtigung gefunden (vgl. die ausführlich begründete Beschwerdeentscheidung des Jugendhilfeausschusses des Rates des Bezirkes Neubrandenburg vom 02.07.1987). Ihnen ist sogar Gelegenheit gegeben worden, ihren Sohn zur klinischen Langzeitdiagnostik in der Universitätsnervenklinik in Rostock vorzustellen. Das Ergebnis der dortigen Untersuchungen ist abgewartet worden, bevor es zum Vollzug der Heimeinweisung kam. All dies spricht deutlich gegen eine von sachfremden Motiven beeinflusste, insbesondere grob rechtsstaatswidrig und damit willkürlich getroffene Entscheidung. Allein - teilweise - rechtsfehlerhaftes Verwaltungshandeln, wie es auch aktuell durchaus vorkommt, erfüllt die Voraussetzungen für eine strafrechtliche Rehabilitierung auch bei DDR-Heimeinweisungen nicht. Die anzuwendenden Maßstäbe unterscheiden sich insoweit nicht von Fällen, in denen es zu zwar rechtsfehlerhaften strafrechtlichen Verurteilungen gekommen ist, die aber ebenfalls nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 StrRehaG (Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung; grobes Missverhältnis zwischen Anlass und Rechtsfolgen) rehabilitierungsfähig sind.

III.

14

Nachdem bereits das Landgericht mit im Wesentlichen gleichen - zutreffenden - Erwägungen, die zudem der ständigen Rechtsprechung des Senats entsprechen, den Rehabilitierungsantrag des Betroffenen zurückgewiesen hat, hatte die dagegen eingelegte Beschwerde, die auch kein grundsätzlich neues Tatsachenvorbringen, sondern lediglich eine abweichende rechtliche Bewertung enthält, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 4 StrRehaG, § 114 Satz 1 ZPO. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen war deshalb zurückzuweisen.

IV.

15

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 14 Abs. 1 und 4 StrRehaG, § 473 Abs. 1 StPO.

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Bundesgerichtshof Beschluss, 25. März 2015 - 4 StR 525/13

bei uns veröffentlicht am 25.03.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR525/13 vom 25. März 2015 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ––––––––––––––––––––––––––- StrRehaG § 2 Abs. 1 Satz 2 Die Anordnung der Unterbringung eines Betroffenen in einem

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(1) Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auf eine außerhalb eines Strafverfahrens ergangene gerichtliche oder behördliche Entscheidung, mit der eine Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, entsprechende Anwendung. Dies gilt insbesondere für eine Einweisung in eine psychiatrische Anstalt sowie eine Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche, die der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat.

(2) Der Freiheitsentziehung werden Leben unter haftähnlichen Bedingungen oder Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen gleichgestellt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR525/13
vom
25. März 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––-
Die Anordnung der Unterbringung eines Betroffenen in einem Heim für Kinder
oder Jugendliche hat nicht allein deshalb im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2
StrRehaG der politischen Verfolgung gedient, weil sie aus Anlass des Umstandes
erfolgte, dass die Eltern des Betroffenen infolge ihrer Inhaftierung als Opfer
politischer Verfolgung an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert waren.
BGH, Beschluss vom 25. März 2015 - 4 StR 525/13 - Thüringer OLG
in der Rehabilitierungssache
der
hier: Vorlagebeschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 7. Mai 2013
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
am 25. März 2015 beschlossen:
Die Anordnung der Unterbringung eines Betroffenen in einem Heim für Kinder oder Jugendliche hat nicht allein deshalb im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG der politischen Verfolgung gedient, weil sie aus Anlass des Umstandes erfolgte, dass die Eltern des Betroffenen infolge ihrer Inhaftierung als Opfer politischer Verfolgung an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert waren.

Gründe:


I.


1
Die Betroffene begehrt ihre Rehabilitierung wegen der Unterbringung in einem Kinderheim der ehemaligen DDR.
2
Die zum damaligen Zeitpunkt geschiedene Mutter der Betroffenen wurde durch Urteil des Bezirksgerichts Erfurt vom 20. Oktober 1961 wegen staatsgefährdender Hetze gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 2 des Strafrechtsergänzungsgesetzes der DDR zu der Gefängnisstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Sie befand sich vom 9. September 1961 bis zum 9. Mai 1963 in Untersuchungsund Strafhaft. Mit Beschluss vom 6. Oktober 1992 hob das Bezirksgericht Erfurt das Urteil desselben Gerichts vom 20. Oktober 1961 auf und rehabilitierte die Mutter der Betroffenen.
3
Nach ihren im Rehabilitierungsverfahren als zutreffend zugrunde gelegten Angaben wurde die damals 7-jährige Betroffene am Tag der Inhaftierung ihrer Mutter in das Normalkinderheim „ “ in S. verbracht, wo sie vom 9. September 1961 bis Anfang Juli 1963 verblieb.
4
Das Landgericht Erfurt erklärte mit Beschluss vom 29. Oktober 2012 die vom Rat des Kreises N. – Jugendhilfeausschuss – vorgenommene Anordnung der Unterbringung der Betroffenen in Heimerziehung für rechtsstaatswidrig , hob sie auf und stellte – unter Zurückweisung des Rehabilitierungsantrags im Übrigen – fest, dass die Betroffene vom 9. September 1961 bis 9. Mai 1963 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hat. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft, die dem Rehabilitierungsantrag der Betroffenen entgegengetreten war, mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde.

II.


5
Das Thüringer Oberlandesgericht möchte die Beschwerde der Staatsanwaltschaft verwerfen. Es ist der Auffassung, dass in Fällen, in denen Kinder oder Jugendliche von den Jugendbehörden der DDR nur deshalb in Heimen untergebracht wurden, weil ihre Eltern als Opfer politischer Verfolgung inhaftiert worden waren und deshalb als Betreuungspersonen nicht mehr zur Verfügung standen, die Anordnung der Heimunterbringung gleichfalls Ausdruck politischer Verfolgung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG sei und es keiner weiteren Prüfung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit bedürfe. Denn das Handeln der Verwal- tungs- bzw. Jugendbehörde sei eine notwendige Folge des rechtsstaatswidrigen Handelns der Justizbehörden, dessen Unrechtsgehalt damit auf die Bewertung des Handelns der Jugendbehörde durchschlage (Thüringer OLG, ZOV 2013, 124; vgl. auch ZOV 2012, 274; ZOV 2012, 134).
6
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Thüringer Oberlandesgericht durch den Beschluss des Kammergerichts vom 13. Dezember 2011 – 2 Ws 443/11 REHA – gehindert. In dieser Entscheidung hat das Kammergericht eine wegen einer Heimunterbringung in der DDR begehrte Rehabilitierung versagt und dies – entscheidungstragend – damit begründet, dass sich die Einweisung eines Betroffenen in ein Kinderheim nicht schon deshalb als Maßnahme politischer Verfolgung darstelle, weil sie Folge der Verhaftung und Verurteilung seiner Eltern aus Gründen politischer Verfolgung gewesen sei. Die Einweisung in ein Kinderheim sei in diesen Fällen keine unmittelbare, sondern mittelbare Folge der politischen Verfolgung der Eltern. Deshalb müsse sie, um der Rehabilitierung zugänglich zu sein, ihrerseits politisch begründetes Unrecht sein und sachfremden Erwägungen folgen, die nicht durch den üblichen rechtskonformen Zweck der Einweisung – hier: fürsorgerische Erwägungen – gedeckt seien (vgl. auch KG, ZOV 2011, 166; ZOV 2011, 211; VIZ 1997, 663).
7
Das Thüringer Oberlandesgericht hat daher mit Beschluss vom 7. Mai 2013 (ZOV 2013, 124) die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG i.V.m. § 13 Abs. 4 StrRehaG dem Bundesgerichtshof zur Beantwortung folgender Rechtsfrage vorgelegt: „Ist es in den Fällen der Einweisung in ein Kinderheim in der ehemaligen DDR für die Rehabilitierung des/der Betroffenen gemäß § 2 StrRehaG ausreichend, wenn die Heimunterbringung ausschließlich deshalb erfolgt, weil die Eltern ihrerseits Opfer politischer Verfolgung und deshalb inhaf- tiert wurden (sog. ‚mittelbare‘ politische Verfolgung) oder bedarf es der Feststellung einer darüber hinausgehenden (‚unmittelbaren‘) eigenen politischen Verfolgung des betroffenen Kindes/Jugendlichen bzw. weiterer sachfremder Erwägungen, die – über den haftbedingten Ausfall der bisherigen Erziehungsberechtigten hinaus – für die Heimunterbringung ursächlich geworden sind?“
8
Der Generalbundesanwalt ist im Ergebnis der Rechtsauffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts beigetreten und hat beantragt zu beschließen: „Die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Ju- gendliche in der ehemaligen DDR ist mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar und damit nach § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 StrRehaG für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, wenn sie ausschließlich deshalb erfolgte, weil die Eltern als Opfer politischer Verfolgung inhaftiert wurden.“

III.


9
Die Rechtsansicht des vorlegenden Thüringer Oberlandesgerichts wird von den Oberlandesgerichten Dresden (ZOV 2013, 63; ZOV 2012, 140) und Naumburg (OLGSt StrRehaG § 2 Nr. 4) geteilt.

IV.


10
Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 121 Abs. 2 GVG i.V.m. § 13 Abs. 4 StrRehaG sind erfüllt. Die Vorlegungsfrage betrifft die – hier entscheidungserhebliche – Auslegung des Begriffs der politischen Verfolgung in § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG, mithin einer Rechtsfrage, die bereits durch ein anderes Oberlandesgericht entschieden worden ist. Das Thüringer Oberlandes- gericht kann nicht wie beabsichtigt entscheiden, ohne von der Entscheidung des Kammergerichts abzuweichen.
11
Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlegungsfrage wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Thüringer Oberlandesgericht keine Feststellungen zu den Unterbringungsbedingungen während des Heimaufenthalts der Betroffenen getroffen hat. Das vorlegende Oberlandesgericht ist insoweit der Ansicht , dass bei der Entscheidung über die Rehabilitierung einer Heimunterbringung infolge der Änderung des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG durch das am 9. Dezember 2010 in Kraft getretene Vierte Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vom 2. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1744), durch welche die Vorschrift um die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche erweitert worden ist, nicht mehr zu prüfen sei, ob sich diese Unterbringung im konkreten Fall als Freiheitsentziehung darstellte oder zumindest unter haftähnlichen Bedingungen erfolgte, weil der Gesetzgeber durch die Gesetzesänderung zum Ausdruck gebracht habe, dass jede Heimeinweisung als Freiheitsentziehung zu behandeln sei. Diese in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung einhellig vertretene Rechtsansicht (vgl. Thüringer OLG, ZOV 2012, 134; KG, ZOV 2014, 21; OLG Naumburg, OLGSt StrRehaG § 2 Nr. 4; OLG Brandenburg, OLGSt StrRehaG § 1 Nr. 11; OLG Rostock, Beschluss vom 14. November 2011 – I Ws RH 24/11; Mützel, ZOV 2013, 98, 100; aA LG Erfurt, ZOV 2011, 212; Toberer/Plöger, NJ 2012, 328), die sich darauf stützen kann, dass mit der Aufnahme der Heimeinweisung in die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche mit der Einweisung in eine psychiatrische Anstalt gleichgestellt worden ist, für die eine gesetzliche Vermutung ihres freiheitsentziehenden Charakters angenommen wird (vgl. BVerfG, ZOV 2014, 237 [bei juris Rn. 50]; Thüringer OLG, ZOV 2012, 134; Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zweiten Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht, BR-Drucks. 92/93, S. 149; Mützel aaO), ist zumindest vertretbar und damit für den Senat im Vorlegungsverfahren bindend (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 1974 – 1 StR 366/73, BGHSt 25, 325, 328).
12
Im Hinblick darauf, dass die für das Vorlegungsverfahren maßgebliche rechtliche Divergenz die Auslegung des Merkmals der politischen Verfolgung in § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG betrifft, hat der Senat die Vorlegungsfrage wie folgt präzisiert und neu gefasst: „Hat die Anordnung der Unterbringung eines Betroffenen in einem Heim für Kinder oder Jugendliche allein deshalb im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG der politischen Verfolgung gedient, weil sie aus Anlass des Umstands erfolgte, dass die Eltern des Betroffenen infolge ihrer Inhaftierung als Opfer politischer Verfolgung an der Ausübung der elter- lichen Sorge gehindert waren?“

V.


13
Der Senat beantwortet die Vorlegungsfrage wie aus dem Tenor ersichtlich.
14
1. Nach § 1 Abs. 1 StrRehaG ist die strafrechtliche Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts im Beitrittsgebiet aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990 auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben , soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist. Mit der Anknüpfung an wesentliche Grundsätze einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung wollte der Gesetzge- ber dasjenige Staatsunrecht erfassen, das als „Systemunrecht“ den Einzelnen unter Missachtung seiner Individualität und Menschenwürde zum Objekt gesellschaftspolitischer Zielsetzungen degradierte (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Ersten Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht, BT-Drucks. 12/1608, S. 16). Der in § 1 Abs. 1 StrRehaG im Sinne einer Generalklausel geregelte Maßstab für die strafrechtliche Rehabilitierung wird durch die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StrRehaG normierten Regelbeispiele dahin konkretisiert, dass eine Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung insbesondere dann gegeben ist, wenn die Entscheidung politischer Verfolgung gedient hat oder die angeordneten Rechtsfolgen in grobem Missverhältnis zu der zu Grunde liegenden Tat stehen.
15
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG finden die Vorschriften des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes auf eine außerhalb eines Strafverfahrens ergangene gerichtliche oder behördliche Entscheidung, mit der eine Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, entsprechende Anwendung. Dies gilt nach § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG insbesondere für eine Einweisung in eine psychiatrische Anstalt sowie eine Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche, die der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat. Aufgrund der in § 2 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG enthaltenen Verweisung auf die Generalklausel des § 1 Abs. 1 StrRehaG setzt die Rehabilitierung wegen einer Heimunterbringung voraus, dass die gerichtliche oder behördliche Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar war. Durch die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG, die ausweislich ihres die Formulierung „insbesondere“ verwendenden Wortlauts und der Intentionen des Gesetzgebers (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zweiten Gesetz der Bereinigung von SED-Unrecht, BR-Drucks. 92/93, S. 149) als Regelbeispiel ausgestaltet ist, wird klargestellt, dass die materiellen Rehabilitierungsvoraussetzungen erfüllt sind, wenn die Anordnung der Heimunterbringung der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat.
16
2. Der Begriff der politischen Verfolgung wird in den Bestimmungen des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes nicht näher definiert. Die Gesetzesmaterialien beschränken sich insoweit auf den pauschal gehaltenen Hinweis auf eine politisch-ideologisch motivierte Verfolgung Andersdenkender (vgl. Entwurf der Bundesregierung zum Ersten Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht, BT-Drucks. 12/1608, S. 16). Zur Auslegung kann indes auf die zum Asylrecht ergangene Rechtsprechung rekurriert werden (vgl. Schröder in Bruns/Schröder/ Tappert, StrRehaG, § 1 Rn. 80 f.). Danach wohnt dem Begriff der politischen Verfolgung ein finales Element inne (vgl. BVerwGE 87, 141, 145 mwN). Erfasst werden Maßnahmen, die ihrem inhaltlichen Charakter nach erkennbar darauf gerichtet sind, den Betroffenen wegen seiner – tatsächlich oder vermeintlich gegebenen – politischen Überzeugung, religiösen Grundentscheidung oder eines anderen für ihn unverfügbaren persönlichen Merkmals zu diskriminieren (vgl. BVerfGE 80, 315, 333 ff. mwN; BVerwG aaO; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl., Art. 16a Rn. 19). Erforderlich ist eine dem Einzelnen in Anknüpfung an eines der genannten Merkmale zielgerichtet zugefügte Rechtsverletzung (vgl. BVerfG aaO). Das mithin bereits aus dem Begriff der politischen Verfolgung abzuleitende Erfordernis einer auf die Benachteiligung aus politischen Gründen abzielenden Zweckbestimmung der Maßnahme wird für die hier in Rede stehende rehabilitierungsrechtliche Bewertung der Anordnung einer Heimunterbringung durch eine grammatikalische und systematische Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG bestätigt. Denn gemäß dem Wortlaut der Vorschrift muss die Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der politischen Verfolgung gerade „gedient“ haben und nachdem Regelungsgefüge des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG handelt es sich bei dem Merkmal der politischen Verfolgung lediglich um einen benannten Unterfall eines mit der Unterbringungsanordnung verfolgten sachfremden Zwecks. Schließlich gehen auch die Gesetzesmaterialien zum Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz für die Auslegung der gleichgelagerten Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 1 1. Halbsatz StrRehaG davon aus, dass die Qualifizierung einer Entscheidung als Akt politischer Verfolgung eine politisch-ideologische Zwecksetzung erfordert, die in der Entscheidung erkennbar geworden sein muss (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/1608, S. 17).
17
Die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche hat nach den dargelegten Maßstäben nur dann im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG der politischen Verfolgung gedient, wenn sie nach der ihr erkennbar innewohnenden Zweckbestimmung zumindest auch darauf abzielte , eine politische intendierte Benachteiligung herbeizuführen. Da die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG nicht auf die Verfolgung gerade des von der Unterbringung Betroffenen abstellt, ist dabei unerheblich, ob sich der mit der Anordnung der Unterbringung verfolgte Verfolgungszweck gegen die unterzubringende Person selbst oder Dritte richtete. Auch die zur politischen Disziplinierung von Eltern oder Verwandten angeordnete Heimunterbringung stellt sich als politische Verfolgung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG dar (vgl. KG, ZOV 2014, 21; OLG Dresden, ZOV 2011, 259; VerfGH Berlin, Beschluss vom 15. Dezember 2014 – 88/13; Mützel, ZOV 2013, 98, 102). Der bloße ursächliche Zusammenhang mit einer gegen die Eltern gerichteten Verfolgungsmaßnahme , der bestehen kann, wenn die Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche durch die Inhaftierung der die elterliche Sorge ausübenden Eltern veranlasst wurde, reicht dagegen nicht aus, um die Unterbringungsanordnung selbst als Akt der politischen Verfolgung zu qualifizieren.
18
3. Die gegenteilige Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts ist zudem mit dem Regelungskonzept des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes nicht zu vereinbaren. Anknüpfend an die in Art. 18 Abs. 1 und Art. 19 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889) geregelte fortbestehende Wirksamkeit von Entscheidungen der Gerichte und der Verwaltungsbehörden der DDR hat sich der Gesetzgeber mit dem durch das Erste SEDUnrechtsbereinigungsgesetz vom 29. Oktober 1992 (BGBl. I S. 1814) geschaffenen Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz für eine Konzeption der Rehabilitierung entschieden, die eine einzelfallbezogene Überprüfung der vom Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz formell erfassten Entscheidungen und sonstigen Maßnahmen der Gerichte und Behörden der DDR auf Antrag des Betroffenen anhand gesetzlich festgelegter materieller Kriterien vorsieht (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/1608, S. 17). Eine die angegriffene Entscheidung aufhebende und den Betroffenen rehabilitierende Entscheidung kann nur ergehen, wenn im Einzelfall festzustellen ist, dass hinsichtlich der konkret in Rede stehenden Entscheidung die materiellen Rehabilitierungsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. zu dem aus § 10 Abs. 2 StrRehaG resultierenden Beweismaß BVerfG, ZOV 2014, 237 [bei juris Rn. 55]). Die Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen geht zu Lasten des Antragstellers ; der strafprozessuale Zweifelssatz findet keine Anwendung (vgl. BVerfG aaO und VIZ 2000, 376). Dieses auf eine einzelfallbezogene Überprüfung einzelner Entscheidungen und Maßnahmen abstellende Regelungskonzept des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes schließt es aus, für die Anwendung des Regelbeispiels des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG auf ein nicht näher konkretisiertes unteilbares Verfolgungsschicksal der Familie abzustellen (so OLG Naumburg, OLGSt StrRehaG § 2 Nr. 4) oder den Unrechtscharakter der politischen Verfolgung der Eltern allein deshalb auf die Anordnung der Heimunter- bringung „durchschlagen“ zu lassen, weil die Heimeinweisung der durch die Inhaftierung der Eltern entstandenen tatsächlichen Situation Rechnung trug.
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4. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. Mützel, ZOV 2013, 98, 103; Wapler in Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer , Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR – Expertisen, 5, 95) kann die Einstufung einer in der Folge der politisch intendierten Inhaftierung der Eltern erfolgten Heimeinweisung als Akt politischer Verfolgung schließlich nicht unter Rückgriff auf die in der asylrechtlichen Rechtsprechung anerkannte, unter bestimmten Voraussetzungen für die minderjährigen Kinder eines Verfolgten geltende Vermutung einer eigenen politischen Verfolgung (vgl. BVerwGE 75, 304, 312; 79, 244, 245 f.; Randelzhofer in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 16a Abs. 1 Rn. 64 [Stand: März 2007]; Jarass aaO Rn. 12) begründet werden. Denn einer Übertragung dieser asylrechtlichen Vermutung in das Recht der Rehabilitierung stehen die unterschiedlichen Zielrichtungen des Asylrechts einerseits und des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes andererseits entgegen. Während im Asylrecht die Frage der Gewährung von Schutz vor staatlicher Verfolgung im Fokus steht und die widerlegbare Vermutung einer eigenen politischen Verfolgung der minderjährigen Kinder in diesem Kontext dazu dient, den personellen Schutzbereich des Asylrechts zu erweitern, um einer prognostisch zu berücksichtigenden potentiellen Gefährdungslage Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG aaO), geht es im Rahmen des Rehabilitierungsrechts um die Wiedergutmachung für staatliches Unrecht der DDR und die in diesem Zusammenhang vorzunehmende retrospektive Bewertung von durch Gericht und Behörden der DDR getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen.
Mutzbauer RinBGH Roggenbuck ist infolge Cierniak Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer
Franke Bender

(1) Die strafrechtliche Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990 ist auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben (Rehabilitierung), soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, insbesondere weil

1.
die Entscheidung politischer Verfolgung gedient hat; dies gilt in der Regel für Verurteilungen nach folgenden Vorschriften:
a)
Landesverräterische Nachrichtenübermittlung (§ 99 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33);
b)
Staatsfeindlicher Menschenhandel (§ 105 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33);
c)
Staatsfeindliche Hetze (§ 106 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33);
d)
Ungesetzliche Verbindungsaufnahme (§ 219 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33);
e)
Ungesetzlicher Grenzübertritt (§ 213 Abs. 1, 2, 3 Satz 2 Nr. 3 bis 6, oder Abs. 4 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33);
f)
Boykotthetze gemäß Artikel 6 Abs. 2 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949 (GBl. I Nr. 1 S. 5);
g)
Wehrdienstentziehung und Wehrdienstverweigerung (§ 256 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33) oder § 43 des Gesetzes über den Wehrdienst in der Deutschen Demokratischen Republik vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 12 S. 221);
h)
nach Vorschriften, die den unter den Buchstaben a bis g genannten Vorschriften inhaltlich entsprechen, sowie
i)
Hochverrat, Spionage, Anwerbenlassen zum Zwecke der Spionage, Landesverräterische Agententätigkeit, Staatsverbrechen, die gegen einen verbündeten Staat gerichtet sind, Unterlassung der Anzeige einer dieser Straftaten, Geheimnisverrat (§§ 96, 97, 98, 100, 108, 225 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit diesen Vorschriften, §§ 245 oder 246 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33) oder nach inhaltlich entsprechenden Vorschriften, wenn die Tat für die Bundesrepublik Deutschland, einen mit ihr verbündeten Staat oder für eine Organisation begangen worden sein soll, die den Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung verpflichtet ist, oder
2.
die angeordneten Rechtsfolgen in grobem Missverhältnis zu der zu Grunde liegenden Tat stehen.

(2) Mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sind die Entscheidungen des Landgerichts Chemnitz, Außenstelle Waldheim, aus dem Jahr 1950 ("Waldheimer Prozesse").

(3) Ist eine Entscheidung auf die Verletzung mehrerer Strafvorschriften gestützt und liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 nur hinsichtlich eines Teiles der Strafvorschriften vor, kann die Entscheidung insgesamt aufgehoben werden, wenn die übrigen Gesetzesverletzungen für die Anordnung der Rechtsfolgen von untergeordneter Bedeutung gewesen sind.

(4) Kommt eine vollständige Aufhebung der Entscheidung nicht in Betracht, hebt das Gericht den Teil der Entscheidung auf, für den die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen.

(5) Für strafrechtliche Maßnahmen, die keine gerichtlichen Entscheidungen sind, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend.

(6) Ein Antrag nach Absatz 1 ist unzulässig, soweit nach dem 2. Oktober 1990 über einen auf denselben Sachverhalt gestützten zulässigen Antrag auf Rehabilitierung oder Kassation rechtskräftig entschieden worden ist. Dies gilt nicht, soweit dargelegt wird, dass der frühere Antrag nach den Vorschriften dieses Gesetzes Erfolg gehabt hätte.

(1) Der Antrag nach § 1 kann

1.
von dem durch die Entscheidung unmittelbar in seinen Rechten Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter,
2.
nach dem Tode des Betroffenen von seinem Ehegatten, seinen Verwandten in gerader Linie, seinen Geschwistern oder von Personen, die ein berechtigtes Interesse an der Rehabilitierung des von der rechtsstaatswidrigen Entscheidung Betroffenen haben, oder
3.
von der Staatsanwaltschaft, jedoch nicht, soweit der unmittelbar in seinen Rechten Betroffene widersprochen hat,
gestellt werden.

(2) Der Antrag kann bei jedem Gericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Der Antrag ist zu begründen.

(3) Der Antrag kann auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden.

(4) Die in Absatz 1 Nr. 1 und 2 genannten Verfahrensbeteiligten können sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Zu Bevollmächtigten können die im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Rechtsanwälte sowie Rechtslehrer an deutschen Hochschulen gewählt werden. Andere Personen können mit Zustimmung des Gerichts zu Bevollmächtigten gewählt werden. Für die Prozesskostenhilfe gelten dieselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.

(5) Verstirbt der Betroffene nach Antragstellung, können die nach Absatz 1 Nr. 2 oder 3 Antragsberechtigten binnen sechs Monaten die Fortsetzung des Verfahrens beantragen.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben.

(2) Wird dem Antrag ganz oder teilweise stattgegeben, fallen die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Staatskasse zur Last. Im Übrigen kann das Gericht die notwendigen Auslagen des Antragstellers ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegen, wenn es unbillig wäre, den Antragsteller damit zu belasten.

(3) Die Entscheidung nach Absatz 2 Satz 2 ist unanfechtbar.

(4) Für die notwendigen Auslagen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren gilt § 473 Abs. 1 bis 4 der Strafprozessordnung entsprechend.

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.