Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 22. Juni 2017 - 1 Ws (RB) 25/17
Gericht
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Landgerichts Stendal vom 8. Mai 2017 (509 StVK 220/16) aufgehoben und der Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung vom 25. Juni 2017 als unbegründet verworfen.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen.
3. Der Gegenstandswert wird auf 1.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Am 20.06.2017 wurde beim Antragsteller anlässlich einer Wohnraumkontrolle ein T-Shirt der Marke "Y." sichergestellt (siehe die Lichtbilder Bl. 14, 15 d.A.). Mit Antrag vom 25.06.2017 begehrte der Antragsteller die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme und die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Herausgabe des Kleidungsstücks. Mit Beschluss vom 08.05.2017 entsprach das Landgericht seinem Ansinnen. Gegen diese ihr am 12.05.2017 zugestellte Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin vom 01.06.2017, welche noch am selben Tag beim Landgericht Stendal einging.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§§ 166 Nr. 3 JVollzG LSA, 138 Abs. 3, 116 Abs. 1, StVollzG).
- 3
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg (§§ 166 Nr. 3 JVollzG LSA, 138 Abs. 3, 119 Abs. 4 S. 1 und 2 StVollzG), denn der zulässige Antrag vom 25.06.2017 war unbegründet.
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Zwar dürfen Untergebrachte gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SVVollzG LSA eigene Kleidung tragen.
- 5
Soweit das SVVollzG LSA keine besondere Regelung enthält, dürfen ihnen gem. § 5 Abs. 1 S. 2 SVVollzG LSA aber Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Einrichtung oder zum Schutz der Allgemeinheit vor erheblichen Straftaten unerlässlich sind.
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Der Auffassung der Antragsgegnerin, dass § 15 Abs. 2 S. 2 SVVollzG LSA, wonach die Einbringung oder der Besitz von Gegenständen versagt werden kann, wenn diese geeignet sind, die Sicherheit oder in schwerwiegender Weise die Ordnung der Einrichtungoder die Erreichung der Vollzugsziele zu gefährden, bzw. § 15 Abs. 3 S. 2 SVVollzG LSA, wonach die Erlaubnis zur Annahme von Gegenständen versagt oder widerrufen werden kann, wenn die Gegenstände die Sicherheit oder in schwerwiegender Weise die Ordnung der Einrichtungoder die Erreichung der Vollzugsziele gefährden, besondere Regelungen i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 2 SVVollzG LSA darstellten, vermag der Senat nicht zu teilen. Beide Tatbestände beziehen sich allein auf die Einbringung und den Besitz bzw. die Annahme oder Abgabe von Gegenständen in die Einrichtung bzw. in den Unterkunftsbereich (§ 15 Abs. 1 und 2 SVVollzG LSA), wohingegen § 16 SVVollzG eine eigenständige Regelung hinsichtlich der Kleidung enthält, welche keinen Unterfall des § 15 SVVollzG darstellt und dementsprechend auch nicht auf die dortigen (speziellen) Einschränkungen verweist.
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Der Umstand, dass § 5 Abs. 1 S. 2 SVVollzG LSA, auf dessen Grundlage auch das Tragen bestimmter Kleidung untersagt werden kann (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.02.2016, 2 Ws 6/16, Rn. 9, m.w.N.), anders als § 15 Abs. 2 S. 2 bzw. § 15 Abs. 3 S. 2 SVVollzG LSA nicht auch auf eine schwerwiegende Gefährdung der Vollzugsziele abstellt, wirkt sich hier im Ergebnis allerdings nicht aus. Da sich auch die Entscheidungen im Bereich der Sicherheit und Ordnung am Vollzugsziel auszurichten haben (vgl. Feest Lesting, StVollzG, 6. Aufl., Vor § 81, Rn. 3, 7) und die Sicherheit und Ordnung primär durch ein therapeutisch orientiertes Milieu, d.h. durch allgemeine und spezielle Behandlungsmaßnahmen herzustellen ist (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl., § 81, Rn. 2), stellt eine schwerwiegende Gefährdung der Vollzugsziele i.S.d. § 15 Abs. 3 S. 2 SVVollzG nämlich immer auch eine Störung der Ordnung der Einrichtung i.S.d. 5 Abs. 1 S. 2 SVVollzG dar.
- 8
So liegt der Fall hier. Das Tragen eines T-Shirts der Marke Y. mit dem Aufdruck "Im scared to go home", versehen mit einem geflügelten Totenkopf mit den zwei gekreuzten Knochen und den Aufschriften Y., der Wortfolge eight nine three bzw. der Zahlenfolge 8-9-3 (siehe die Fotos Bl. 14, 15 d.A.) deutet mitnichten auf eine "eher ängstliche" Haltung des Antragstellers hin. Bei der Bezeichnung Ya-Ku-Za handelt es sich um die dialektale Aussprache der Zahlenkombination 8-9-3, welche im Kartenspiel als wertlos gilt, und einen Oberbegriff für die Organisierte Kriminalität in Japan bildet. Das Tragen derartiger Kleidung stellt daher eine bewusst provokative Identifizierung mit Strukturen der Organisierten Kriminalität im ohnehin bereits spannungsgeladenen Umfeld des Maßregelvollzugs dar, welche in schwerwiegender Weise das Vollzugsziel gefährdet, die Untergebrachten zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (§ 2 Abs. 2 SVVollzG LSA). Hinzu kommt, dass die Marke Y., auch wenn sie sich hiervon ausdrücklich distanziert hat, weite Verbreitung in der rechten Szene gefunden hat, was im Maßregelvollzug die Gefahr von Auseinandersetzungen mit anderen Untergebrachten, namentlich solchen mit Migrationshintergrund, erhöht, sodass die Sicherstellung des T-Shirts auch der Aufrechterhaltung der Sicherheit in der Einrichtung dient (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 03.05.2013, 1 Ws 117/13, Rn. 9, zitiert nach juris).
- 9
Insoweit kann sich der Antragsteller auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, denn das Erreichen des Vollzugsziels und die Vermeidung von Auseinandersetzungen zwischen den Untergebrachten sind Rechtsgüter von hohem Gewicht, hinter denen das Vertrauen des Antragstellers, das streitgegenständliche Kleidungsstück weiterhin tragen zu dürfen, zurückzutreten hat (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 29.01.2013, 1 VollzG (Ws) 659/12, Rn. 10-13, zitiert nach juris).
- 10
Ermessensfehler der Antragsgegnerin vermag der Senat vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen (vgl. OLG Celle, a.a.O., Rn. 8, 12).
- 11
Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen folgt aus §§ 166 Nr. 3 JVollzG LSA, 138 Abs. 3, 121 Abs. 2 S. 1, Abs. 4, StVollzG, 465 Abs. 1, 464 Abs. 2 StPO. Der Gegenstandswert wurde gem. §§ 65, 60, 52 Abs. 1 GKG festgesetzt.
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In gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz, auch in Verbindung mit § 92 des Jugendgerichtsgesetzes, ist der Wert von Amts wegen festzusetzen. § 63 Absatz 3 gilt entsprechend.
Für die Bestimmung des Werts in gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz, auch in Verbindung mit § 92 des Jugendgerichtsgesetzes, ist § 52 Absatz 1 bis 3 entsprechend anzuwenden; im Verfahren über den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs einer Maßnahme der Vollzugsbehörde oder auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gilt § 52 Absatz 1 und 2 entsprechend.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.