Oberlandesgericht Naumburg Urteil, 14. März 2016 - 1 U 115/14


Gericht
Tenor
Die Berufung der Klägerinnen gegen das am 3. September 2014 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Dieses wie auch das angefochtene Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des nach den Urteilen vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss:
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug entspricht der Gebührenstufe bis 95.000 EUR.
Gründe
I.
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Am 22.8.2008 (wenige Tage vor dem geplanten Entbindungstermin) kam der bei den Klägerinnen versicherte E. G. im Hause der Beklagten nach komplikationsloser Schwangerschaft im Wege der Vakuum-Extraktion zur Welt. Unter der Geburt hatte sich [auf Grund einer Sauerstoffunterversorgung] eine schwere fetale Bradykardie ausgebildet (gegen 7.51 Uhr Herzfrequenz des Kindes von 60 bis 70 Schlägen pro Minute).
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Das Kind leidet u.a. an einer schweren Zerebralparese mit geistiger und motorischer Entwicklungsstörung, woraus sich Leistungspflichten der Klägerinnen ergeben.
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Die Klägerinnen machen das die Geburt begleitende Personal der Beklagten dafür verantwortlich. Hierzu haben sie unter Bezugnahme auf ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 30.4.2012 (K2) und das Gutachten des MDK Sachsen-Anhalt (Dipl.-Med. Y. Kr.) vom 27.12.2011 (K1) behauptet:
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Bereits die erste zwischen 6.39 Uhr und 7.10 Uhr durchgeführte CTG-Ableitung habe mit einer Tachykardie von etwa 160 Herzschlägen pro Minute bei gleichzeitig eingeschränkter undulatorischer bis silenter Bandbreite der Basalfrequenz einen suspekten Befund gezeigt. Dies habe auf eine kompensatorische Tachykardreaktion des Kindes als Folge bestehenden Sauerstoffmangels hingewiesen (Tachykardie als Ausdruck der Zentralisation des fetalen Kreislaufs). Die danach zu stellende Verdachtsdiagnose „Sauerstoffmangel“ hätte abgeklärt werden müssen. Das CTG habe daher nicht zwischen 7.10 Uhr und 7.51 Uhr unterbrochen werden dürfen. Vielmehr habe man eine Blutgasanalyse durchführen und die Entwicklung des Herzschlages weiter beobachten müssen. Dann wäre alsbald der Umschlag in eine Bradykardie zu beobachten und die sofortige Geburt durch Sectio einzuleiten gewesen. Dieser Befunderhebungsfehler sei grob und führe hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität zur Beweislastumkehr. Bei pflichtgemäßem Handeln wären dem Kind die Sauerstoffmangelversorgung und der dadurch hervorgerufene Hirnschaden erspart geblieben. E. hätte 45 Minuten früher geboren werden können.
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Die Beklagte hat behauptet, das Aufnahme-CTG habe ex ante als unauffällig zu gelten. Die anfängliche Tachykardie habe sich aus der erhöhten Anzahl der Wehen erklärt. Deshalb sei die CTG-Untersuchung standardgerecht zur Geburtsvorbereitung unterbrochen worden. Ohne Kenntnis des weiteren Geschehens habe das CTG keine Notwendigkeit für eine Dauerableitung erkennen lassen. Die Mehrzahl der gynäkologischen Fachärzte wäre von einem unauffälligen Befund ausgegangen.
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Eine frühere Einleitung der Geburt hätte zu keinem anderen Ergebnis geführt.
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Das Landgericht Magdeburg hat ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dr. S. vom 11.11.2013 (I/133-144) eingeholt, das der Sachverständige am 16.7.2014 vor der Kammer mündlich erläuterte (I/192-198). Mit Urteil vom 3.9.2014, auf das wegen der dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Dagegen wenden sich die Klägerinnen mit der Berufung.
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Im Berufungsrechtszug haben die Klägerinnen zunächst unter Bezugnahme auf eine weitere Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 27.7.2015 (II/154 ff.) behauptet:
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- Das CTG sei nach dem im Mai 2008 geltenden medizinischen Standard mit einer Grundfrequenz von 160 SpM bei eingeschränkter undulatorischer bis silenter Bandbreite der Basalfrequenz suspekt (151 bis 170 SpM) gewesen.
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- Ein Verdacht habe auch aufkommen müssen, weil es zwischen 6.52 Uhr und 6.58 Uhr zu vier Herzfrequenzabfällen gekommen sei, bei denen es sich um sog. späte und damit ungünstige Dezelerationen gehandelt habe.
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- Dies habe bei den Ärzten der Beklagten die Frage nach den Ursachen aufwerfen müssen.
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- Diese notwendige Fragestellung hätte zum Sauerstoffmangel und spätestens um 7.30 Uhr zur Sectio geführt.
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Später, nach Vorliegen des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. V., haben die Klägerinnen unter Hinweis auf Äußerungen des Sachverständigen Prof. Dr. R. vom 9.7.2015 (II/60) und 30.11.2015 (III/78 ff.) vorgetragen:
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- das suspekte CTG, welches unter Berücksichtigung der suspekten Herzfrequenz, der Dezelerationen und der Silenz tatsächlich ein pathologisches gewesen sei,
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- die erhebliche Gewichtszunahme der Mutter während der Schwangerschaft (von 68 kg auf 93 kg = 23 kg),
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- die hohe Wehenzahl (> 6 in 10 Minuten) sowie
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- das bei der Aufnahmesonografie festgestellte geringe Fruchtwasser
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hätten zu weiteren Befunderhebungen (Fortschreibung des CTG, Blutgasanalyse) und sodann zur schnellstmöglichen Geburt führen müssen. Dies (vor allem die Notfall-Sectio) nicht in Erwägung gezogen und darauf verzichtet zu haben, sei schlechterdings unverständlich und dürfe einem Facharzt der Geburtshilfe nicht passieren.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften beider Instanzen Bezug genommen.
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Der Senat hat sich zunächst das Gutachten des Sachverständigen Dr. S. mündlich erläutern lassen. Sodann hat er ein weiteres Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. V. eingeholt, welches der Sachverständige am 23.9.2015 schriftlich erstattet (III/1-32) und am 14.3.2016 mündlich erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 2.7.2015 und 14.3.2016 sowie das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. V. vom 23.9.2015 verwiesen.
II.
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Die zulässige Berufung der Klägerinnen hat in der Sache keinen Erfolg. Im Ergebnis erneuter Feststellungen des Senats trifft die angefochtene Entscheidung des Landgerichts zu, sodass sie nicht im Sinne von § 513 I ZPO auf einer Rechtsverletzung beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Die Klägerinnen können von der Beklagten aus dem Behandlungsvertrag mit der Mutter keinen Schadensersatz beanspruchen (vgl. §§ 280 I; 278 BGB i.V.m. § 116 I S. 1 SGB X), weil die vom Personal der Beklagten geleistete Geburtshilfe keine zur Schädigung des Kindes führenden Fehler aufwies.
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1. Das Landgericht hat ausgeführt, den Klägerinnen sei es im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht gelungen, einen Behandlungs-, insbesondere Befunderhebungsfehler der Ärzte der Beklagten zu beweisen. Nach den alle Umstände der Behandlung berücksichtigenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. S., an dessen fachärztlicher Kompetenz kein Zweifel bestehe, habe das aus Anlass der Aufnahme der Mutter bei der Beklagten geschriebene CTG ausnahmslos normale Werte ergeben, sodass kein Handlungsbedarf bestanden habe. In der Zeit zwischen 6.39 Uhr und 7.10 Uhr habe die Grundherzfrequenz des Kindes zunächst bei 160 SpM gelegen und sei dann gegen Ende der Aufzeichnung leicht auf 150 SpM abgesunken. Das beschreibe nach dem fachärztlichen Standard Normalwerte. Soweit die S1-Leitlinie 015/036 „Anwendung des CTG während Schwangerschaft und Geburt“ für den Zeitpunkt der Geburt des Kindes eine Absenkung des vormals und auch heute wieder als normal geltenden Grundherzfrequenzbereichs von 110 bis 160 SpM auf 110 bis 150 SpM enthalten habe, sei dies mit keiner Änderung der von den Ärzten als normal empfundenen Grundherzfrequenz bis 160 SpM verbunden gewesen. Ein Wandel im medizinischen Standard habe sich also nicht vollzogen. Dies müsse hier umso mehr angenommen werden, als aus der von den Klägerinnen beigebrachten Kurzfassung der Leitlinie das Jahres 2008 im Zusammenhang mit der Angabe des Normalbereichs der Herzfrequenz von bis zu 150 SpM der einschränkende Hinweis hervorgehe, wonach neuere Untersuchungen zeigten, dass der physiologische Bereich der fetalen Herzfrequenz am Entbindungstermin vermutlich zwischen 115 (4. Perzentile) und 160 Schlägen pro Minute (96. Perzentile) liege. Soweit die Klägerinnen dementgegen der Auffassung seien, es müsse bei der Ermittlung des Facharztstandards ausschließlich auf den Inhalt der Leitlinie abgestellt werden, folge die Kammer dem nicht. Handlungsanweisungen in Leitlinien ärztlicher Fachgremien oder Verbände könnten gerade nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden. Der Facharztstandard sei von den Gerichten mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigen zu ermitteln.
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Ebenso wie die Grundherzfrequenz habe sich die Bandbreite der Herzaktivität in der Norm (>/= 5 SpM) bewegt. Dezelerationen seien nicht aufgetreten. Bei den ab 6.52 Uhr zu beobachtenden und nach eigener Anschauung der Kammer nur kurzzeitigen (bis max. 15 Sek.) Ausschlägen nach unten habe es sich nur um sog. „Spikes“ gehandelt, welche auf verschiedenste unbedenkliche Ursachen, wie Bewegungen des Kindes, Wehen oder Verwicklungen der Nabelschnur, zurückgeführt werden könnten, und hier augenscheinlich mit den Wehen im Zusammenhang stünden. Die darüber hinaus nachzuweisenden sporadischen Akzelerationen seien günstig und weder suspekt noch pathologisch in Erscheinung getreten. Wenn die Klägerinnen mit Unterstützung ihres Sachverständigen Prof. Dr. K. dennoch zu berücksichtigende Auffälligkeiten sähen, beruhe dies auf einer ex-post-Betrachtung, die der Beantwortung der Haftungsfrage nicht zugrunde zu legen sei. Das CTG habe mit Rücksicht auf den Geburtsfortschritt standardgerecht um 7.10 Uhr unterbrochen werden dürfen. Es seien aus Sicht der Behandelnden keine Gründe für weitere Befunderhebungen vorhanden gewesen.
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Dies hält auch nach den erneuten Feststellungen des Senats einer Überprüfung stand. Die Begründung des Landgerichts trifft im Wesentlichen zu.
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2. Die Klägerinnen stellen mit ihrem Rechtsmittel vor allem den vom Landgericht festgestellten CTG-Standard in Frage. Dabei gehen sie von einem Befunderhebungsfehler aus, der ihnen selbst als einfache Fehlleistung zu Beweiserleichterungen in Bezug auf die haftungsbegründende Kausalität verhelfen würde (vgl. hierzu bspw. BGH NJW 2011, 2508; 2013, 3094; 2014, 688). Das Landgericht scheint einen Befunderhebungsfehler geprüft und verneint zu haben. Einzig dieser Ausgangspunkt ist problematisch. Der vorliegende Fall verlangt, sich der Abgrenzung des Befunderhebungsfehlers zu einem Fehler in der Diagnose zuzuwenden. Ginge es um einen Diagnoseirrtum des Personals der Beklagten, würde sich die von der Berufung - sachverständig untersetzt - aufgeworfene Frage, ob das vorgeburtlich abgeleitete CTG als normal behandelt werden durfte, nicht mit der von den Klägerinnen behaupteten Deutlichkeit stellen, weil möglicherweise Wertungsspielräume existierten und die gewonnenen Erkenntnisse in eine Gesamtbetrachtung der Befundlage einzuordnen waren, was sogar das Berufungsvorbringen für sich schon nahe legt.
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Der Senat entnimmt dem konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Landgerichts im Sinne von § 529 I Nr. 1 ZPO, die ihn zu eigenen Feststellungen verpflichten. In diesem Zusammenhang war mit Hilfe der Erläuterungen des Sachverständigen Dr. S. sowie des weiteren Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. V. auch der Versuch zu unternehmen, die widersprüchlichen Angaben der Sachverständigen zum geltenden Facharztstandard einer Klärung zuzuführen (vgl. BGH NJW 2014, 71, 73 f.; 74, 76; 2015, 411, 412).
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Im Ergebnis der Beweisaufnahme des Senats geht es tatsächlich ausschließlich um einen Diagnosefehler. Dieser ließe sich - wie gesagt - bereits mit den vom Landgericht angeführten Gründen verneinen. Selbst wenn die Diagnose der Ärzte der Beklagten unrichtig gewesen sein sollte, wäre ihnen dies zumindest nicht vorzuwerfen. Die Betrachtung des CTG-Befundes als normal und damit die Annahme, für das Kind bestehe keine Gefahr, insbesondere es drohe keine Sauerstoffunterversorgung, weshalb man die CTG-Ableitung unterbrechen könne, war nach Überzeugung des Senats für einen gewissenhaften Facharzt (Geburtshelfer) vertretbar.
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3. Die Klägerinnen können den Geburtshelfern der Beklagten lediglich einen Diagnosefehler vorwerfen. Ein Befunderhebungsfehler ist nicht ersichtlich, auch wenn die Klägerinnen einen solchen dem Wortlaut nach behaupten.
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Bei allen zu Wort gekommenen Sachverständigen nimmt die Fehlerbetrachtung im sog. Aufnahme-CTG der Beklagten ihren Ausgang. Hieraus ergeben sich dann Folgerungen für das weitere standardgerechte Vorgehen der Ärzte, entweder in Form der Befunderhebung oder der zulässigen Unterbrechung des CTG zum Zwecke allgemeiner geburtsvorbereitender Maßnahmen, wie sie der Sachverständige Prof. Dr. V. in seinem schriftlichen Gutachten beschreibt. Das haftungsrelevante Verhalten fand also nicht dort statt, wo mit der Unterbrechung des CTG die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen worden sein soll (vgl. allgemein zum Befunderhebungsfehler BGH NJW 2011, 1672 f.). Der Grund für dieses Unterlassen bliebe dann nämlich unberücksichtigt. Die Rechtfertigung für ihr Vorgehen zogen die Geburtshelfer der Beklagten aus der für sie dem CTG zu entnehmenden normalen gesundheitlichen Situation von Mutter und Kind. Das ist eine Diagnose, wie der Sachverständige Prof. Dr. V. dem Senat auf ausdrückliche Nachfrage bestätigt hat. Diese Diagnose halten die Klägerinnen für falsch. Ihr Vorwurf beschränkt sich damit tatsächlich auf die Fehlinterpretation von erhobenen oder sonst vorliegenden Befunden, in deren Folge die Ärzte der Beklagten die aus berufsfachlicher Sicht ihres Fachbereichs gebotenen therapeutischen oder diagnostischen Maßnahmen nicht ergriffen, was den Diagnosefehler kennzeichnet (BGH NJW 2011, 1672, 1673; Greiß/Greiner, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rdn. B55; Martis/Winkhart-Martis MDR 2013, 634, 635). Es ist dagegen kein Befunderhebungsfehler, wenn bei zutreffender Diagnose weitere Befunde zu erheben gewesen wären (BGH NJW 2011, 1672, 1673; OLG Koblenz NJOZ 2013, 979, 980; Greiß/Greiner, Rdn. B64; Martis/Winkhart-Martis MDR 2015, 746 m.w.N.; 2013, 634, 635). Lediglich wenn vor der Diagnose oder nachfolgend zu ihrer Überprüfung noch weitere Befunde hätten erhoben werden müssen, wäre die Diagnose auf eine unzureichende Befunderhebung zurückzuführen, womit wiederum ein Befunderhebungsfehler vorläge (vgl. Greiß/Greiner, Rdn. B65a m.w.N.; zur Abgrenzung nach dem Schwerpunkt des vorwerfbaren Verhaltens vgl. Martis/Winkhart-Martis MDR 2013, 634, 636; 2015, 746 f.). Dies war hier allerdings nicht der Fall. Der vom Senat hierauf angesprochene Sachverständige Prof. Dr. V. hat bestätigt, dass die Entscheidung, das CTG um 7.10 Uhr zu unterbrechen, auf der damals vorhandenen Befundlage getroffen werden konnte, es also zur Beurteilung der gesundheitlichen Situation des Kindes, speziell der Sauerstoffversorgung, keiner weiteren Befunderhebung bedurfte.
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Für seine Auffassung kann sich der Senat auch auf die Äußerungen der übrigen Sachverständigen stützen. Stets stehen in den Gutachten oder Stellungnahmen die Beurteilung des CTG und die daraus zu ziehenden Schlüsse für die weitere Behandlung im Mittelpunkt und an keiner Stelle wird beanstandet, unabhängig vom Aussagegehalt des CTG hätten noch weitere Befunde erhoben werden müssen:
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• Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt e.V. vom 10.1.2012: im CTG nicht erkannte leichte Tachykardie als Hinweis auf eine mögliche fetale Hypoxie, wodurch es nicht zur gebotenen Fortschreibung des CTG kam;
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• Gutachten des Privatsachverständigen Prof. Dr. K. vom 30.4.2012: als Hinweis auf eine Sauerstoffunterversorgung im CTG nicht erkannte Tachykardie = standardwidrige Fehlinterpretation und deshalb fehlerhafte Unterbrechung der fetalen Überwachung;
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• Gutachten des Sachverständigen Dr. S. vom 11.11.2013: Aufnahme-CTG ist als unauffällig zu bewerten, sodass kein Fehler vorliegt = das CTG wurde richtig gedeutet;
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• Erläuterung seines Gutachtens durch den Sachverständigen Dr. S. vom 16.7.2014: da das CTG mit einer Grundherzfrequenz von 160 SpM unauffällig war, musste keine Ursachenforschung betrieben werden;
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• E-Mail des Privatsachverständigen Prof. Dr. R. vom 9.7.2015: das CTG war suspekt und deshalb reaktionspflichtig;
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• Gutachterliche Stellungnahme des Privatsachverständigen Prof. Dr. K. vom 27.7.2015: seitens der Klinikärzte wurde das Aufnahme-CTG in mehrfacher Hinsicht fehlinterpretiert, deshalb fehlende Wahrnehmung einer möglichen Hypoxämie/Hypoxie;
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• Tischvorlage des Sachverständigen Dr. S. zum Senatstermin am 2.7.2015: CTG ergab weder ein suspektes noch ein pathologisches Kriterium;
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• Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen Dr. S. vom 2.7.2015: CTG lag im Normbereich;
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• Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. V. vom 23.9.2015: das CTG ist als normal zu interpretieren;
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• Privatgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R. vom 30.11.2015: aus dem CTG folgt die Tachykardie bei einer silenten Oszillationsamplitude mit späten Dezelerationen, die Absenkung der Grundherzfrequenz auf 150 SpM war nicht als Ausdruck der Normalisierung zu werten.
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4. Das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung (hier der Unterversorgung des Kindes mit Sauerstoff bzw. einer bedrängten oder kritischen Situation des Feten) und der sie kennzeichnenden Symptome ist objektiv ein Fehler in der Behandlung (BGH NJW 2003, 2827). Wegen der Unterschiedlichkeit im menschlichen Organismus und der daraus folgenden Möglichkeit, dass sich die Anzeichen ein und derselben Erkrankung bei jedem Patienten auch bei Rückgriff auf technische Hilfsmittel in anderer Weise ausprägen, ist bei der Annahme eines zur Haftung der Beklagten führenden Diagnosefehlers dennoch Zurückhaltung geboten (BGH NJW 2003, 2827 f.; Greiß/Greiner, Rdn. B55; Martis/Winkhart-Martis MDR 2013, 634). Dem Arzt steht bei der Diagnose grundsätzlich ein gewisser Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zu. Eine objektiv falsche Diagnose stellt daher nur dann einen vorwerfbaren Behandlungsfehler dar, wenn sie für einen gewissenhaften Arzt in der konkreten Situation unvertretbar oder nicht mehr vertretbar war (Greiß/Greiner a.a.O.; Martis/Winkhart-Martis MDR 2015, 746, 747 m.w.N.).
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Dieser verobjektivierte Sorgfaltsmaßstab richtet sich nach medizinischen Kriterien, insbesondere dem fachmedizinischen Standard, den der Arzt kennen und beachten muss (BGH, Urteil vom 24.2.2015 - VI ZR 106/13). Bei der Auswertung von Befunden hat der verantwortungsvolle Arzt unter Berücksichtigung der konkreten Behandlungssituation alle aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs als auffällig zu wertende Umstände zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen (BGH NJW 2011, 1672; Greiß/Greiner a.a.O.).
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Dies vorangestellt, lässt sich den Ärzten der Beklagten bereits deshalb kein Vorwurf machen, weil beide Gerichtssachverständige, deren guter Ruf als sorgfältige Fachärzte keinem Zweifel unterliegt, in Auswertung der vollständig erhobenen Befunde, insbesondere des Aufnahme-CTG, zu der übereinstimmenden Auffassung gelangten, es habe sich kein Hinweis auf eine fetale Gefährdung ergeben, weshalb weitere Maßnahmen (wie Befunderhebungen) nicht zu ergreifen waren. Augenscheinlich hatten die Ärzte der Beklagten also eine zumindest vertretbare Diagnose getroffen.
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In diesem Zusammenhang bleibt darauf aufmerksam zu machen, dass die Privatsachverständigen der Klägerinnen zu keiner durchweg einheitlichen Bewertung des CTG gelangen. Prof. Dr. K. hat das CTG in erster Instanz als suspekt bezeichnet. Erst in der Stellungnahme vom 27.7.2015 geht er, wie Prof. Dr. R. auch, von einem pathologischen CTG aus. Ein Blick auf die von den Klägerinnen im Schriftsatz vom 18.12.2015 (S. 5 unten) zusammengefassten Basalfrequenzen macht auch in dieser Beziehung Unterschiede deutlich, die auf Spielräume in der Interpretation schließen lassen, welche auch den Ärzten der Beklagten eingeräumt werden müssen.
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5. Auch bei näherer Betrachtung gelangt der Senat in Würdigung des Beweisergebnisses zu keinem anderen Schluss:
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a) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen lassen sich auf einen vorwerfbaren Fehler hindeutende Auffälligkeiten einzig mit Blick auf das sog. Aufnahme-CTG diskutieren. Die übrigen Umstände, wie sie im Berufungsrechtszug mit der Gewichtszunahme, der Wehenanzahl und der Fruchtwassermenge thematisiert wurden, boten keinen Anhalt für eine kritische Situation des Kindes. Dies konnten die Gerichtssachverständigen dem Senat gut und nachvollziehbar vermitteln.
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aa) Die Fruchtwassermenge lag nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. S. und Prof. Dr. V. noch im Normbereich und war angesichts der unmittelbar bevorstehenden Geburt nicht als problematisch einzuschätzen. Das mit geringer Fruchtwassermenge verbundene Risiko der Nabelschnurkompression, wie es Prof. Dr. R. beschreibt, bestätigt auch der Sachverständige Prof. Dr. V. . Es handelt sich jedoch, so Prof. Dr. V., um die normale Situation unter der Geburt, die nicht automatisch auf eine drohende Hypoxie bzw. eine Plazentainsuffizienz hinweist (so auch Prof. Dr. K.). Vielmehr ergeben sich, wie Prof. Dr. V. im schriftlichen Gutachten ausführt, gerade unter Berücksichtigung dieser Ausgangssituation im CTG Herzfrequenzvarianten (Akzelarations-Dezelerations-Komplexe), die für sich nicht auffällig sind.
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bb) Die Gewichtszunahme der Mutter schätzen die Sachverständigen Dr. S. und Prof. Dr. V. nicht als ungewöhnlich oder gar besorgniserregend ein. Keinesfalls ergab sich hieraus eine richtungweisende Auffälligkeit. Auch der Privatsachverständige Prof. Dr. K. vermag eine Plazentainsuffizienz im Zusammenhang mit der Gewichtszunahme nicht zu erkennen (S. 5 Senatsprotokoll).
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cc) Die erhöhte Wehenfrequenz bestätigt auch der Sachverständige Prof. Dr. V. . Er hat jedoch darauf hingewiesen, dass die erhöhte Anzahl der Wehen nicht als Ausdruck der hier im Raum stehenden fetalen Gefährdung zu werten ist. Gehäufte Wehen gehören selbst zu den möglichen Ursachen einer fetalen Unterversorgung. Deshalb kann von einer erhöhten Wehenfrequenz nicht auf eine spätere Gefährdung des Kindes geschlossen werden. Zur möglichen Diagnose einer unmittelbaren Kindsgefährdung infolge der Wehentätigkeit gelangt man nach den nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. V. im vorliegenden Fall nicht. Denn nach dem Ende einer denkbaren zeitweisen eingeschränkten Sauerstoffversorgung hatte sich das Ganze im CTG ersichtlich wieder normalisiert und es traten keine negativen Folgen für das Kind in Erscheinung. Der Privatsachverständige Prof. Dr. K. hat vor dem Senat in dieser Beziehung ebenfalls erklärt, die erhöhte Wehenfrequenz habe mit einer Hypoxie nichts zu tun und sei für sich genommen kein Hypoxiehinweis. Für ihn sind die damit verbundenen Dezelerationen in der CTG-Auswertung von Bedeutung (dazu unten).
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Gut zusammenfassen lässt sich dieser Punkt mit den Worten des Privatsachverständigen Prof. Dr. K. in seiner Stellungnahme vom 27.7.2015:
- 51
„…Schwangerschaftsverlauf und aktuelle 'maternale Klinik' boten keine Auffälligkeiten, eine primäre Handlungsrelevanz diesbezüglich bestand nicht“.
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b) Damit konzentriert sich der Streit der Parteien zu Recht auf die Bewertung des CTG als normal, suspekt oder gar pathologisch. Allein daraus konnten die Ärzte der Beklagten Anhaltspunkte für eine fetale Mangelversorgung und damit Gefährdung gewinnen. Auch der Geburtsfortschritt forderte für sich betrachtet keine Aufrechterhaltung der CTG-Ableitung, wie der Sachverständige Dr. S. in der Tischvorlage zum Senatstermin vom 2.7.2015 nochmals unwidersprochen hervorhob.
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Im Ergebnis der Beweisaufnahme sieht der Senat mit den Sachverständigen Dr. S. und Prof. Dr. V. in der Einordnung des Aufnahme-CTG als normal keine unvertretbare Fehldiagnose.
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Die in der CTG-Auswertung gewonnenen Parameter der Herzfrequenz (Grundfrequenz, Dezelerationen, Bandbreite und Akzelerationen) führen über ihre standardgemäße Bewertung zur Klassifikation in normal, suspekt oder pathologisch und dementsprechend zu keinem, zu konservativem oder zu einem konservativ-invasivem Handlungsbedarf. Prof. Dr. V. hat gegenüber dem Senat deutlich gemacht, was dabei auf eine gestörte Sauerstoffversorgung hingewiesen hätte und von den Ärzten der Beklagten nicht übersehen werden durfte:
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o konstante oder zunehmende Tachykardie,
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o fehlende Akzelerationen sowie
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o späte oder anormale Dezelerationen, insbesondere im Zusammenhang mit einer Silenz.
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Auf nichts dergleichen trafen die Ärzte der Beklagten im sog. Aufnahme-CTG.
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aa) Das CTG wies zeitweise eine Grundherzfrequenz von 160 SpM aus. Hieraus leiten die Klägerinnen entsprechend dem Wortlaut der im Mai 2008 geltenden Leitlinie „Anwendung des CTG während Schwangerschaft und Geburt“ eine Tachykardie und damit zumindest einen suspekten Befund ab. Dabei gehen sie mit den Privatsachverständigen davon aus, dass die aus der Leitlinie hervorgehende Normalfrequenz von 110 bis 150 SpM quasi einem Gesetz gleich den medizinischen Standard der Normokardie repräsentiert. Diese Auffassung, der bereits das Landgericht nicht näher treten konnte, teilt auch der Senat nicht.
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Leitlinien sind wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Entscheidungshilfen für das angemessene ärztliche Vorgehen, die einen Handlungs- und Entscheidungskorridor eröffnen, und von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann (Martis MDR 2009, 1082, 1083). Sie dürfen keinesfalls unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden; ein Verstoß gegen Leitlinien indiziert auch nicht automatisch einen Behandlungsfehler (BGH NJW-RR 2014, 1053, 1055; Greiß/Greiner, Rdn. B9a; Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl., Rdn. X10). Deshalb kommt es auch hier nicht hauptsächlich darauf an, was in der Leitlinie steht, sondern was zur Zeit der Behandlung medizinischem Standard der Geburtshilfe entsprach. Dies unterliegt der Würdigung des sachverständig beratenen Tatrichters (BGH, Beschluss vom 28.3.2008 - VI ZR 57/07).
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Die Sachverständigen Dr. S. und Prof. Dr. V. haben dem Senat die Überzeugung verschafft, dass es zur Zeit der Geburt einen festen Normgrenzwert zur Tachykardie von 150 SpM in der Grundfrequenz als geltenden medizinischen Standard nicht gab. Auch ein Wert von bis zu 160 SpM konnte (zumindest vertretbar) als normal angesehen werden.
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Der Sachverständige Dr. S. hat in der Erläuterung seines Gutachtens vom 2.7.2015 festgestellt, dass die medizinische Praxis 160 SpM als Grundfrequenz nicht als suspekt bewertete. Es gab auch keinen gefestigten medizinischen Meinungsstand, wonach die Obergrenze der Normokardie bei 150 SpM lag. Dieses Thema war, so der Sachverständige, schon immer fachwissenschaftlichen Bewertungsschwankungen unterworfen. Ähnlich hatte sich der Sachverständige auch schon vor dem Landgericht geäußert, was die Kammer überzeugte. Die Richtigkeit dessen unterstreicht nach Auffassung des Senats der schon im Januar 2008 in der Zeitschrift „Der Frauenarzt“ mit veröffentlichte und nach Dr. S. wissenschaftlich abgesicherte Zusatz, wonach der physiologische Bereich der fetalen Herzfrequenz am Entbindungstermin vermutlich zwischen 115 und 160 Schlägen liegt. Der Stand der medizinischen Erkenntnisse hatte sich danach weiterentwickelt, worauf man aufmerksam machte. Der Sachverständige Prof. Dr. V. sieht hierdurch sogar einen zweiten Grenzwert von 160 SpM veröffentlicht. Während seiner mündlichen Erläuterung des Gutachtens wiederholte er dann genau das, was bereits der Sachverständige Dr. S. feststellte; es gab Lehrbücher und Mediziner, die weiterhin oder wieder von 160 SpM als Grenzwert zur Tachykardie ausgingen, und es gab andere, die den Grenzwert mit 150 SpM der Leitlinie entnahmen. Wie vom Gerichtssachverständigen Prof. V. im Anhörungstermin vor dem Senat zitiert, ging der Privatsachverständige Prof. K. in seinem Lehrbuch in der Auflage von 2003 davon aus, dass sich für den klinischen Gebrauch die alten Grenzwerte - mithin der Wert von 160 SpM - „bewährt“ hätten. Diese Situation bestreiten auch die Klägerinnen nicht. Sollte sich der Senat insoweit irren, wären die Klägerinnen durch die Feststellungen der Sachverständigen widerlegt.
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Hieraus ist nach Auffassung des Senats zu schließen, dass sich der für die Basalfrequenz herausgebildete Standard für die Grenze zur Tachykardie mit 150 bis 160 SpM beschreiben ließ. Damit bewegte sich die Bewertung der Grundherzfrequenz durch die Ärzte der Beklagten im anerkannten Rahmen. Aber selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre die Annahme einer Basalfrequenz von 160 SpM als normal nicht vorwerfbar. Denn damit hätten sich die Ärzte der Beklagten angesichts eines immer wieder Meinungsschwankungen unterworfenen Themas an dem orientiert, was bis zur Leitlinie der herrschenden Auffassung entsprach, nachfolgend immer noch praktiziert und später wieder zum Inhalt der Leitlinie wurde.
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bb) Entgegen der Auffassung des Prof. Dr. R. sieht der Sachverständige Prof. Dr. V. eine normale Bandbreite und keine Silenz. Das entspricht der Wertung des Sachverständigen Dr. S. vor dem Landgericht. Diese Ansicht teilt auch der Privatsachverständige Prof. Dr. K. (S. 2 Anhörungsprotokoll), womit sich eine Einordnung des CTG als suspekt in dieser Beziehung verbietet. Kurzfristige Veränderungen der Oszillationsbreite sind normal.
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cc) Akzelerationen ließen sich nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. S. und Prof. Dr. V. im CTG nachweisen. Diese gingen mit Kindsbewegungen einher, erfolgten also sporadisch. Periodische Akzelerationen als möglicher Ausdruck einer Unterversorgung gab es (noch) nicht.
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dd) Auch bei den Dezelerationen sind sich die gerichtlichen Sachverständigen einig. Es kam nach ihrer Interpretation schon zu keinen Dezelerationen. Sollte es sich um Dezelerationen gehandelt haben, dann korrespondierten diese mit den Wehen, was als normal zu betrachten war. Die Gründe dafür hat der Sachverständige Dr. S. dem Senat am 2.7.2015 nachvollziehbar dargelegt.
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Die Absenkung der Herzfrequenz stand stets mit den Wehen und ihren Spitzen im Zusammenhang. Dies ließ sich mit dem geringen Fruchtwasser und der hierdurch beförderten Kompression der Nabelschnur in Verbindung bringen (= sog. Nabelschnurdezelerationen
; so auch Prof. Dr. K.), gab aber nichts für eine dauerhaft eingeschränkte Sauerstoffversorgung her. Kurzfristige kompressionsbedingte Unterversorgungssituationen hatten nichts mit der später eingetretenen Hypoxie zu tun und wiesen auch nicht auf den drohenden Eintritt einer solchen Situation hin. Grund zur Sorge bestand also nicht, so Prof. Dr. V. . Die vermeintlichen Dezelerationen hatten keine Kreislaufrelevanz. Schlimmstenfalls gaben sie Hinweise auf reduzierte Reserven des Kindes, was Prof. Dr. V. im Stadium der Geburt als normal bezeichnet hat.
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c) Der Senat verkennt nicht, dass es auch nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen auf eine Gesamtschau aller Umstände ankommt. Der Sachverständige Prof. Dr. V. gelangte insgesamt zu dem Schluss, dass die Annahme der Ärzte, es drohten dem Kind keine Versorgungsengpässe, vertretbar war. Der Sachverständige Prof. Dr. K. will dem auch für ihn entscheidenden CTG mit der Folge fortgesetzter Überwachungspflicht zumindest den Verdacht entnehmen, dass sich die Versorgungssituation des Kindes in Zukunft verschlechtern könnte. In Auseinandersetzung damit kann offen bleiben, ob das CTG vom Ende her zu beurteilen war, wie es Prof. Dr. V. vor dem Senat erläutert hat. Ausgangspunkt bei Prof. Dr. K. ist stets die suspekte Basalfrequenz und damit die Tachykardie. Diese lässt es nicht zu, das nachfolgende Absenken der Grundfrequenz zum Ende der CTG-Ableitung als Normalisierungsprozess oder als Ende einer kurzfristigen Ursache (so Prof. Dr. V.) zu interpretieren. So mussten die Ärzte der Beklagten aber nicht an ihre Diagnose herangehen, weil sie weder von einer Trachykardie auszugehen hatten, noch den tragischen Ausgang der Entbindung kannten.
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Das CTG kann sogar angesichts des nachfolgenden Geschehens noch unauffällig bzw. normal gewesen sein. Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. S. und Prof. Dr. V. spricht die objektive Befundlage nicht dafür, dass sich der Prozess einer durch Sauerstoffminderversorgung einsetzenden Tachykardie mit nachfolgendem Übergang zur Bradykardie bereits in Gang gesetzt hatte, als man sich zur Beendigung der CTG-Ableitung entschied. So hat der Sachverständige Dr. S. dem Senat erklärt, der Abfall der Grundherzfrequenz könne nicht als auffällige Verschiebung der Basalfrequenz betrachtet werden, weil sich dies mit ganz natürlichen Zuständen des Kindes erklären ließ. Nach dem Sachverständigen Prof. Dr. V. war es zur Zeit der Unterbrechung des CTG noch nicht zum Überschreiten der Akzelerationsschwelle gekommen, woran sich später dann das Unterschreiten der Dezelerationsschwelle, also die Bradykardie, angeschlossen haben muss.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 I; 100 I ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10; 711 S. 1, 2; 709 S. 2 ZPO.
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Die Revision lässt der Senat nicht zu. Die Sache wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf und weder die Fortbildung des Rechts noch die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordern die Entscheidung des Revisionsgerichts.

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(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:
- 1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.
Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.