Oberlandesgericht München Endurteil, 12. Mai 2017 - 10 U 748/16


Gericht
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin vom 17.02.2016 gegen das Endurteil des Landgerichts München I
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das vorgenannte Urteil des Landgerichts München I und dieses Urteil sind jeweils vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
B.
I.
– Es erschließt sich bereits von vornherein nicht, welches Interesse der im Verhältnis zu den hiesigen Parteien unbeteiligte Zeuge Ku. daran haben sollte, bewusst wahrheitswidrig zu behaupten, er habe nicht nur einen Anstoß verspürt, sondern zwei oder drei.
– Auf S. 6/7 des o.g. Schriftsatz vom 24.07.2013 (= Bl. 71/72 d.A.) wird (zur Begründung der fehlenden Glaubhaftigkeit der Aussagen des Zeugen Ku.) u.a. Folgendes ausgeführt: „In seiner richterlichen Einvernahme am 12.06.2012 i.S. Mauser ./. Riedl, 315 C 6616/12, behauptet er: „Ob es mehrere Anschläge waren - zwei oder auch drei - ich kann es nicht sagen“. Ferner: „Da ich ziemlich laut Musik gehört habe, habe ich das akustisch gar nicht so wahrgenommen usw.“.
– Ausweislich S. 4 des Protokolls jener Sitzung vor dem AG München,
– Das Erstgericht geht zunächst ohne nähere Begründung davon aus, dass die Beklagten insoweit grundsätzlich haften. Dieser Mangel der Urteilsdarstellung belastet die Berufungsführerin allerdings nicht. Nur ergänzend ist daher auf Folgendes hinzuweisen: Offenbar wendet das Erstgericht hinsichtlich der Verursachung des Heckschadens zu Gunsten der Klägerin einen für ein Verschulden des Beklagten zu 1) als Auffahrenden sprechenden Anscheinsbeweis an. Dies ist indes bei Kettenauffahrunfällen keineswegs selbstverständlich. So hat das OLG Hamm in seinem bereits oben zitierten Urteil Folgendes ausgeführt: „Bei einem Kettenauffahrunfall kommt ein Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Verursachung des Heckaufpralls durch den letzten in der Kette auffahrenden Verkehrsteilnehmer nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass das ihm vorausfahrende Fahrzeug des Geschädigten rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen ist und nicht durch einen Aufprall auf das vorausfahrende Fahrzeug den Bremsweg des ihm folgenden Fahrzeugs verkürzt hat.“ Die Frage dieser Bremswegverkürzung war jedoch Gegenstand des vom Erstgericht gem. § 411a ZPO verwerteten o.g. unfallanalytischen Sachverständigengutachten (nebst Ergänzungsgutachten). Demzufolge kam es hier allenfalls zu einer geringfügigen, für die Kollision des Beklagtenfahrzeuges mit dem klägerischen Pkw letztlich nicht kausalen Bremswegverkürzung.
– Widersprüchlich sind die Gründe des angefochtenen Urteils, soweit es um die Frage geht, ob die Beklagten für den Heckschaden allein haften oder nur anteilig. Während auf S. 7 und S. 12 des Ersturteils (= Bl. 208 und 213 d.A.) die Rede ist von einer „quotenmäßigen Begrenzung“ bzw. der Haftung der Beklagten „für 2/3 des Heckschadens“, spricht das Erstgericht der Klägerin die als Heckschaden geschätzten 500,00 € dann doch vollständig zu. Auch dies ist im Ergebnis jedoch nicht zu beanstanden, erschlösse sich doch nicht, woraus sich eine anteilige Haftung der Klägerin hinsichtlich des Heckschadens ergeben sollte.
– Zu beanstanden ist schließlich die Methode des Erstgerichts bei der Schätzung der Höhe des Heckschadens. Weshalb dieser ausgerechnet 500,00 € betragen sollte, und nicht etwa weniger oder auch mehr, bleibt unklar. Trotz der Beweiserleichterung im Rahmen von § 287 ZPO hätte es hier entweder einer schlüssigen Darstellung der Berechnung dieser 500,00 € in Verbindung mit einer Darlegung der hierfür erforderlichen besonderen Sachkunde des Gerichts bedurft oder der Erholung eines Sachverständigengutachtens.
– Entgegen der Auffassung der Klägerin kann der Heckschaden nicht isoliert vom Frontschaden betrachtet werden: Wer mit einem bereits vorbeschädigten Fahrzeug kollidiert, haftet nur für denjenigen Schaden, welcher neu verursacht wird. Der Geschädigte trägt die Beweislast, dass es sich bei dem von ihm geltend gemachten Schaden um einen solchen neu verursachten handelt. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Klägerin im hiesigen Verfahren nicht den Ersatz ihres Frontschadens als solchen begehrt.
– Es bleibt dabei, dass vorliegend die vom Senat bereits beispielhaft zitierte Rechtsprechung zu den sog. Kettenauffahrunfällen einschlägig ist. Denn unstreitig kollidierten hier - sei es nun aktiv oder passiv im Sinne eines Aufschiebens - nicht nur zwei Fahrzeuge miteinander, sondern vier. Bei derartigen Sachverhalten spricht nicht bereits der erste Anschein dafür, dass der Frontschaden eines mittleren Gliedes der Kette durch das Auffahren und ein damit verbundene Aufschieben des „Hintermannes“ verursacht worden ist. Denn ebenso ist es möglich, dass das mittlere Fahrzeug bereits vor dem Auffahren durch das Fahrzeug des „Hintermannes“ seinerseits bereits auf das Fahrzeug des „Vordermannes“ aufgefahren war. Diese Rechtsprechung gilt im Übrigen nicht nur hinsichtlich auf § 7 StVG gestützter Ansprüche (Gefährdungshaftung), sondern auch hinsichtlich § 18 StVG (Haftung für vermutetes Verschulden) und § 823 BGB (Verschuldenshaftung).
– Schließlich bleibt es auch dabei, dass nicht ersichtlich ist, inwieweit die Feststellung des Sachverständigen Dipl.-Ing. L., wonach eine größere Wahrscheinlichkeit für ein aktives Auffahren des klägerischen Pkws auf den Pkw Fiat Punto spricht als für ein Aufschieben durch den Beklagten-Pkw, falsch sein sollte. Insbesondere liegen dieser Feststellung ersichtlich allein objektive Anknüpfungstatsachen zu Grunde. Soweit der Sachverständige auf S. 24 des Gutachtens vom 03.05.2013 (= Bl. 135 der Akte des AG München,
– Zu Recht ist das Erstgericht - mangels klägerischen Nachweises - nicht davon ausgegangen, dass die Klägerin durch den vom Beklagten zu 1) geführten Pkw auf den Pkw Fiat Punto aufgeschoben worden ist (vgl. dazu oben). Vielmehr hat es für seine weiteren Überlegungen folgerichtig zu Grunde gelegt, dass die Klägerin zunächst ihrerseits aktiv gegen den Pkw Fiat Punto gestoßen und erst anschließend der Anprall gegen das Heck ihres Pkw seitens des vom Beklagten zu 1) geführten Pkw erfolgt ist.
– Für diesen Fall ist ausweislich S. 28 des vom Erstgericht erholten biomechanisch-orthopädischen Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. B. und Dr. H. vom 07.07.2015 die Entstehung eines HWS-Schleudertraumas des Grades I (Erdmann) bzw. des Grades 1 (Quebec Task Force) nur „nicht ausschließbar denkbar“.
– Zu Recht hat das Erstgericht dem angefochtenen Urteil auch die Ergebnisse dieses Gutachtens, ebenso wie diejenigen des o.g. unfallanalytischen Gutachtens, zu Grunde gelegt. Die Angriffe der Klägerin gegen diese Gutachten erscheinen nicht nachvollziehbar, bauen beide Gutachten doch jeweils auf objektiven Grundlagen auf, untersuchen jeweils die verschiedenen denkbaren Sachverhaltsvarianten und überlassen jeweils ausdrücklich dem Gericht die letztliche juristische Bewertung.
II.
III.
IV.

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Die schriftliche Begutachtung kann durch die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden.
(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.
(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.
(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.
(1) In den Fällen des § 7 Abs. 1 ist auch der Führer des Kraftfahrzeugs zum Ersatz des Schadens nach den Vorschriften der §§ 8 bis 15 verpflichtet. Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht ist.
(2) Die Vorschrift des § 16 findet entsprechende Anwendung.
(3) Ist in den Fällen des § 17 auch der Führer eines Kraftfahrzeugs zum Ersatz des Schadens verpflichtet, so sind auf diese Verpflichtung in seinem Verhältnis zu den Haltern und Führern der anderen beteiligten Kraftfahrzeuge, zu dem Tierhalter oder Eisenbahnunternehmer die Vorschriften des § 17 entsprechend anzuwenden.
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
Der Prüfung und Entscheidung des Berufungsgerichts unterliegen nur die Berufungsanträge. Das Urteil des ersten Rechtszuges darf nur insoweit abgeändert werden, als eine Abänderung beantragt ist.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
Der Prüfung und Entscheidung des Berufungsgerichts unterliegen nur die Berufungsanträge. Das Urteil des ersten Rechtszuges darf nur insoweit abgeändert werden, als eine Abänderung beantragt ist.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.