Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 02. Aug. 2017 - 13 UF 351/17

Gericht
Tenor
1. Auf die Beschwerde des beteiligten Jugendamtes wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Linz am Rhein vom 30.05.2017 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die elterliche Sorge für den Betroffenen, ...[A], ruht.
Das Jugendamt …, wird zum Amtsvormund für den Betroffenen bestellt.
Die Vormundschaft endet am 31.12.2017.
Gerichtskosten werden für das Verfahren nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
2. Für das Beschwerdeverfahren werden Gerichtskosten nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Im vorliegenden Verfahren begehrt das beteiligte Jugendamt die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge sowie die Anordnung der Vormundschaft für den Betroffenen. Dieser stammt aus Afghanistan und reiste im Zuge der aktuellen Fluchtbewegung ohne Eltern bzw. ohne einen gesetzlichen Vertreter nach Deutschland ein. Der Betroffene wurde zunächst als Erwachsener eingeordnet. In der Folgezeit suchte der Betroffene das Jugendamt auf und gab an, minderjährig zu sein. Mit sich führte er ein afghanisches Dokument, wonach sein Alter am 17.09.2015 auf Grundlage seines Aussehens auf 16 Jahre geschätzt wurde (Bl. 4 d.A.).
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Das Familiengericht holte ein Sachverständigengutachten zur Bestimmung des Alters ein. Dieses ergab nach einem Röntgen der Hand ein Skelettalter von 19 Jahren mit dem Hinweis, dass das chronologische Alter um zwei bis drei Jahre nach unten oder oben abweichen könne. Hieraufhin hat das Familiengericht den Antrag nach Anhörung des Betroffenen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es nach dem eingeholten Gutachten und der äußeren Erscheinung des Betroffenen sowie aufgrund des vom Betroffenen angegebenen Kalküls, im Falle einer Minderjährigkeit bessere Sozialleistungen zu erhalten, von einer bereits erreichten Volljährigkeit ausgehe.
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Hiergegen wendet sich das beteiligte Jugendamt mit seiner Beschwerde, mit welcher es an seinem erstinstanzlichen Begehren festhalte. Es macht geltend, dass der Betroffene im Zweifel noch als minderjährig zu gelten habe und sein Geburtsdatum fiktiv mit dem 31.12.1999 anzusetzen sei.
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Der Senat hat den Betroffenen und das beteiligte Jugendamt nochmals angehört. Insoweit wird auf die Niederschrift vom 26.07.2017 (Bl. 88 ff. d.A.) verwiesen.
II.
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Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
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1. Die Beschwerde des beteiligten Jugendamts ist gemäß §§ 58 ff. FamFG statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
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Das Jugendamt ist hier gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt. Denn die Beschwerdebefugnis nach dieser Vorschrift erfasst alle Fälle, in denen das Jugendamt als Antragsteller durch eine seinem Antrag widersprechende Entscheidung des Gerichts beschwert ist, etwa wenn einem Antrag auf Bestellung zum Vormund oder Pfleger nicht (voll) entsprochen wird (vgl. MünchKomm-ZPO/Schumann 2. Auflage 2013 § 162 FamFG Rn. 23).
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Daneben besteht die Beschwerdebefugnis des Jugendamts vorliegend aber auch nach §§ 59 Abs. 3, 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG unabhängig von der ansonsten nach § 59 Abs. 1 FamFG erforderlichen Beeinträchtigung eigener Rechte. Das gilt dann, wenn das Jugendamt die Wahrnehmung öffentlicher Interessen unter Kindeswohlgefährdungsgesichtspunkten geltend macht. Letzteres ist hier der Fall. Denn die Beschwerde wendet ein, dass der Betroffene als Minderjähriger eines Vormunds bedarf. Die Frage nach der Minderjährigkeit des Betroffenen stellt sich dabei auch im Rahmen der Begründetheitsprüfung, so dass es sich um einen sog. doppelt-relevanten Aspekt handelt. Für die Frage nach der Zulässigkeit des Rechtsmittels ist die Minderjährigkeit folglich als gegeben zu unterstellen.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet.
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a) Die deutschen Gerichte sind vorliegend jedenfalls nach §§ 97 Abs. 1, 99 Abs. 1 Satz 2 FamFG international zuständig. Das beteiligte Jugendamt macht ein Fürsorgebedürfnis für den Betroffenen geltend (vgl. Senat FamRZ 2017, 1229).
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b) Sodann kann dahinstehen, ob sich die Frage nach der Volljährigkeit des Betroffenen hier nach deutschem (§ 2 BGB) oder nach afghanischem Personenstandsrecht richtet. Denn auch im letztgenannten Fall tritt die Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres ein (vgl. Senat NJW 2017, 2208 und Bamberger/Roth/Mäsch Beck'scher Online-Kommentar BGB 41. Edition 01.05.2013 Art. 7 EGBGB Rn. 57.1 „Afghanistan“).
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c) Vorliegend kann noch nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon ausgegangen werden, dass der Betroffene das 18. Lebensjahr schon vollendet hat.
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Wegen den insoweit bestehenden gerichtlichen Ermittlungspflichten und der Entscheidungsfindung im Zweifelfall wird auf den Senatsbeschluss vom 14.03.2017 (vgl. NJW 2017, 2208) verwiesen.
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Danach sprechen hier zwar ebenfalls einige, vom Familiengericht angesprochene Indizien für eine schon bestehende Volljährigkeit des Betroffenen. Insbesondere jedoch nach der persönlichen äußeren Inaugenscheinnahme des Betroffenen geht der Senat vorliegend noch von einer im Zweifel gegebenen Minderjährigkeit aus. Der Betroffene wirkt noch sehr jung und wies insbesondere noch nicht so markante Gesichtszüge auf, die eher bei einem jungen Erwachsenen vorkommen als bei einem unter 18 Jahre alten Jugendlichen. Auch die Angabe in dem vom Betroffenen mitgeführten afghanischen Dokument, wonach er jedenfalls in rund sechs Wochen volljährig sein würde, beruht letztlich auf einer Schätzung. Von einer weiteren Begründung diesbezüglich wird gemäß § 38 Abs. 4 Nr. 2 FamFG abgesehen.
- 15
Folglich war das Ruhen der elterlichen Sorge für den Betroffenen nach § 1674 BGB festzustellen. Der bzw. die Sorgeberechtigte/n sind tatsächlich verhindert. Gemäß §§ 1675, 1773 Abs. 1, 1774, 1779, 1791b BGB war die tenorierte Vormundschaft anzuordnen.
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3. Nachdem der Betroffene beim zuständigen Jugendamt lediglich mit einem fiktiven Geburtsdatum geführt wird, sieht sich der Senat hier (ausnahmsweise) veranlasst, aus Gründen der Rechtsklarheit das Ende der angeordneten Vormundschaft festzusetzen. Mit Ablauf dieser am 31.12.2017 ist - nicht zuletzt im Hinblick auf das erstinstanzlich eingeholte Gutachten und das vom Betroffenen mitgeführte afghanische Dokument - mit der nach § 26 FamFG ausreichenden Überzeugung (vgl. Senat NJW 2017, 2208) dann von einer Volljährigkeit auszugehen.
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4. Die Nebenentscheidungen ergehen nach §§ 81 Abs. 1 FamFG, 40, 42, 45, 46 FamGKG.

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(1) Die Beschwerde steht demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist.
(2) Wenn ein Beschluss nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen worden ist, steht die Beschwerde nur dem Antragsteller zu.
(3) Die Beschwerdeberechtigung von Behörden bestimmt sich nach den besonderen Vorschriften dieses oder eines anderen Gesetzes.
(1) Das Gericht hat in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, das Jugendamt anzuhören. Unterbleibt die Anhörung wegen Gefahr im Verzug, ist sie unverzüglich nachzuholen.
(2) In Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist das Jugendamt zu beteiligen. Im Übrigen ist das Jugendamt auf seinen Antrag am Verfahren zu beteiligen.
(3) In Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, ist das Jugendamt von Terminen zu benachrichtigen und ihm sind alle Entscheidungen des Gerichts bekannt zu machen. Gegen den Beschluss steht dem Jugendamt die Beschwerde zu.
(1) Die Beschwerde steht demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist.
(2) Wenn ein Beschluss nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen worden ist, steht die Beschwerde nur dem Antragsteller zu.
(3) Die Beschwerdeberechtigung von Behörden bestimmt sich nach den besonderen Vorschriften dieses oder eines anderen Gesetzes.
(1) Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen gehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften dieses Gesetzes vor. Regelungen in Rechtsakten der Europäischen Union bleiben unberührt.
(2) Die zur Umsetzung und Ausführung von Vereinbarungen und Rechtsakten im Sinne des Absatzes 1 erlassenen Bestimmungen bleiben unberührt.
Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein.
(1) Das Gericht entscheidet durch Beschluss, soweit durch die Entscheidung der Verfahrensgegenstand ganz oder teilweise erledigt wird (Endentscheidung). Für Registersachen kann durch Gesetz Abweichendes bestimmt werden.
(2) Der Beschluss enthält
- 1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten; - 2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Gerichtspersonen, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben; - 3.
die Beschlussformel.
(3) Der Beschluss ist zu begründen. Er ist zu unterschreiben. Das Datum der Übergabe des Beschlusses an die Geschäftsstelle oder der Bekanntgabe durch Verlesen der Beschlussformel (Erlass) ist auf dem Beschluss zu vermerken.
(4) Einer Begründung bedarf es nicht, soweit
- 1.
die Entscheidung auf Grund eines Anerkenntnisses oder Verzichts oder als Versäumnisentscheidung ergeht und entsprechend bezeichnet ist, - 2.
gleichgerichteten Anträgen der Beteiligten stattgegeben wird oder der Beschluss nicht dem erklärten Willen eines Beteiligten widerspricht oder - 3.
der Beschluss in Gegenwart aller Beteiligten mündlich bekannt gegeben wurde und alle Beteiligten auf Rechtsmittel verzichtet haben.
(5) Absatz 4 ist nicht anzuwenden:
- 1.
in Ehesachen, mit Ausnahme der eine Scheidung aussprechenden Entscheidung; - 2.
in Abstammungssachen; - 3.
in Betreuungssachen; - 4.
wenn zu erwarten ist, dass der Beschluss im Ausland geltend gemacht werden wird.
(6) Soll ein ohne Begründung hergestellter Beschluss im Ausland geltend gemacht werden, gelten die Vorschriften über die Vervollständigung von Versäumnis- und Anerkenntnisentscheidungen entsprechend.
Solange die elterliche Sorge ruht, ist ein Elternteil nicht berechtigt, sie auszuüben.
Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.
(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn
- 1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat; - 2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste; - 3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat; - 4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat; - 5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.
(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.
(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.
(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.