Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 13. Juli 2017 - Ausl 301 AR 112/17

published on 13/07/2017 00:00
Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 13. Juli 2017 - Ausl 301 AR 112/17
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Tenor

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines - vorläufigen - Auslieferungshaftbefehls wird abgelehnt.

Die sofortige Freilassung des Verfolgten wird angeordnet, soweit keine Haftanordnung in anderer Sache besteht.

Gründe

 
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 07.07.2017, welcher am 12.07.2017 beim Senat eingegangen ist, auf Erlass eines - vorläufigen - Auslieferungshaftbefehls war nicht zu entsprechen.
I.
Der Verfolgte ist Bezugsperson einer Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS II, A-Formular), aus welcher sich ergibt, dass gegen ihn ein nationaler Haftbefehl des Gerichts in Mailand vom 29.05.2017 besteht. Der gegen den Verfolgten erhobene Vorwurf wird in der Ausschreibung nebst rechtlicher Würdigung wie folgt umschrieben:
Wird ausgeführt
II.
Am 22.06.2017 informierte das Bundeskriminalamt Wiesbaden die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe über die Ausschreibung des Verfolgten zur Festnahme gem. Artikel 26 Ratsbeschluss SIS II, bat um Verifizierung eines Fahndungshinweises sowie ggf. um weitere Veranlassung in eigener Zuständigkeit. Die Generalstaatsanwaltschaft beauftragte sodann am 23.06.2017 die Polizei mit der Aufklärung des tatsächlichen Aufenthalts sowie der persönlichen Verhältnisse des Verfolgten. Diese Nachforschung ergab ausweislich eines Berichts des Polizeipräsidiums G. vom 07.07.2017, dass sich der Verfolgte seit 22.10.2015 in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, seitdem in der Gemeinde I. polizeilich gemeldet ist, über eine bis zum 04.10.2019 gültige Aufenthaltserlaubnis des Landratsamtes F. vom 05.10.2016 sowie gemeinsam mit einem Cousin über einen festen Wohnsitz in einer Containerunterkunft in I. verfügt und zudem bei einem Zahnarzt in S. als Aushilfe arbeitstätig ist.
Am 07.07.2017 wurde der Verfolgte sodann festgenommen und sogleich dem Haftrichter des Amtsgerichts G. vorgeführt. Bei seiner richterlichen Anhörung stimmte der Verfolgte einer vereinfachten Auslieferung nicht zu, stellte den Tatvorwurf mangels Kenntnis einer beabsichtigten Schleusung in Abrede und gab an, in dem Flüchtlingslager in Italien seien zwar zehn syrische Asylbewerber in das Auto gestiegen, die Polizei habe das Fahrzeug aber nicht abfahren lassen, weil die Syrer nicht über Papiere verfügt hätten. Das Amtsgericht G. hat am 07.07.2017 eine Festhalteanordnung erlassen.
III.
Dem Antrag auf Erlass eines - vorläufigen - Auslieferungshaftbefehls war nicht zu entsprechen.
1. Zunächst genügt bereits die Ausschreibung des Verfolgten im SIS II - A-Formular nicht den an eine solche zu stellenden Anforderungen, da sie lückenhaft, unklar und widersprüchlich ist und zudem eine Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit nicht ermöglicht. Schon der Ausschreibung selbst ist zu entnehmen, dass sich die - mindestens - zehn syrischen Staatsangehörigen am 23.09.2016 bereits in Italien aufhielten und es nicht zu einem Grenzüberübertritt dieser Personen nach Frankreich oder Deutschland gekommen ist. Bezüglich des Verfolgten ergibt sich zudem aus der Ausschreibung, dass er das Beförderungsmittel angemietet hatte und die Auslagen für die Reise zahlen sollte, sodass unklar bleibt, ob und in welcher Form er an einem etwaigen nicht näher beschrieben „Gewinn“ aus der beabsichtigten Schleusung beteiligt gewesen sein sollte. Auch wird die kriminelle Gruppierung, an welcher der Verfolgte beteiligt gewesen sein soll, nicht näher beschrieben.
Bei dieser Sachlage kann der Senat nicht - auch nicht im Form einer bloßen Schlüssigkeitsprüfung bei Bezeichnung des Tatvorwurfs als Katalogtat im Rahmen eines Europäischen Haftbefehls (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 13.07.2011, 1 AK 24/11) - sicher feststellen, dass das dem Verfolgten vorgeworfene Verhalten auch nach deutschem Recht strafbar wäre - etwa nach § 96 AufenthaltG.
2. Daneben besteht auch kein Haftgrund, denn es ist nicht als überwiegend wahrscheinlich anzusehen, dass sich der Verfolgte dem Auslieferungsverfahren durch Flucht oder Untertauchen im Inland zu entziehen suchen würde (§ 15 Abs.2 IRG). Er verfügt - wenn auch in einer Containerunterkunft - in Deutschland nicht nur über einen festen Wohnsitz, sondern auch über eine Arbeitsstelle. Allein die Höhe der Straferwartung rechtfertigt eine solche Besorgnis nicht, zumal sich der Verfolgte ersichtlich gegen den Tatvorwurf verteidigen will.
10 
3. Der Senat sieht sich zu folgendem Hinweis veranlasst:
11 
Nach § 19 IRG sind die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes zur vorläufigen Festnahme eines Verfolgten befugt, wenn - was hier objektiv und offensichtlich nicht der Fall ist - die Voraussetzungen eines Auslieferungshaftbefehls vorliegen. Darüber hinaus setzt eine Freiheitsentziehung nach Art. 104 Abs. 2 GG grundsätzlich ein vorherige richterlichen Anordnung voraus, wenn nicht eine vorläufige Festnahme wegen Bestehens von Gefahr im Verzug geboten ist (vgl. BVerfG StV 2011, 170 zum Gebot einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 3 S. 2 IRG in Evidenzfällen sowie zur Pflicht des Amtsgerichts zur jedenfalls summarischen Prüfung der Haftvoraussetzungen der §§ 15, 16 IRG; vgl. hierzu näher Böhm in: Grützner/Pötz/Kress, Internationale Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, § 19 Rn. 5).
12 
Warum eine solche vorherige richterliche Entscheidung vorliegend nicht eingeholt worden ist, erschließt sich dem Senat aus den vorliegenden Akten nicht.
IV.
13 
Die Ablehnung des Erlasses eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls bedingt die Anordnung der sofortige Freilassung.
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(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden. (2) Über die Zuläss

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(1) Die Auslieferungshaft kann unter den Voraussetzungen des § 15 schon vor dem Eingang des Auslieferungsersuchens angeordnet werden, wenn 1. eine zuständige Stelle des ersuchenden Staates darum ersucht oder2. ein Ausländer einer Tat, die zu seiner A

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(1) Nach dem Eingang des Auslieferungsersuchens kann gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft angeordnet werden, wenn

1.
die Gefahr besteht, daß er sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen werde, oder
2.
auf Grund bestimmter Tatsachen der dringende Verdacht begründet ist, daß der Verfolgte die Ermittlung der Wahrheit in dem ausländischen Verfahren oder im Auslieferungsverfahren erschweren werde.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Auslieferung von vornherein unzulässig erscheint.

Liegen die Voraussetzungen eines Auslieferungshaftbefehls vor, so sind die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes zur vorläufigen Festnahme befugt. Unter den Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 Satz 1 der Strafprozeßordnung ist jedermann zur vorläufigen Festnahme berechtigt.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Wird der Verfolgte vorläufig festgenommen, so ist er unverzüglich, spätestens am Tag nach der Festnahme, dem Richter des nächsten Amtsgerichts vorzuführen.

(2) Der Richter beim Amtsgericht vernimmt den Verfolgten unverzüglich nach der Vorführung, spätestens am nächsten Tag, über seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere über seine Staatsangehörigkeit. Er weist ihn darauf hin, daß er sich in jeder Lage des Verfahrens eines Rechtsbeistands (§ 40) bedienen kann und daß es ihm freisteht, sich zu der ihm zur Last gelegten Tat zu äußern oder dazu nicht auszusagen. Sodann befragt er ihn, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen er Einwendungen gegen die Auslieferung oder gegen seine vorläufige Festnahme erheben will. § 21 Abs. 2 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Ergibt sich bei der Vernehmung, daß der Ergriffene nicht die Person ist, auf die sich das Ersuchen oder die Tatsachen im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 4 beziehen, so ordnet der Richter beim Amtsgericht seine Freilassung an. Andernfalls ordnet der Richter beim Amtsgericht an, daß der Verfolgte bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts festzuhalten ist. § 21 Abs. 4 Satz 2, Abs. 6 und 7 gilt entsprechend.

(1) Nach dem Eingang des Auslieferungsersuchens kann gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft angeordnet werden, wenn

1.
die Gefahr besteht, daß er sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen werde, oder
2.
auf Grund bestimmter Tatsachen der dringende Verdacht begründet ist, daß der Verfolgte die Ermittlung der Wahrheit in dem ausländischen Verfahren oder im Auslieferungsverfahren erschweren werde.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Auslieferung von vornherein unzulässig erscheint.

(1) Die Auslieferungshaft kann unter den Voraussetzungen des § 15 schon vor dem Eingang des Auslieferungsersuchens angeordnet werden, wenn

1.
eine zuständige Stelle des ersuchenden Staates darum ersucht oder
2.
ein Ausländer einer Tat, die zu seiner Auslieferung Anlaß geben kann, auf Grund bestimmter Tatsachen dringend verdächtig ist.

(2) Der Auslieferungshaftbefehl ist aufzuheben, wenn der Verfolgte seit dem Tag der Ergreifung oder der vorläufigen Festnahme insgesamt zwei Monate zum Zweck der Auslieferung in Haft ist, ohne daß das Auslieferungsersuchen und die Auslieferungsunterlagen bei der in § 74 bezeichneten Behörde oder bei einer sonst zu ihrer Entgegennahme zuständigen Stelle eingegangen sind. Hat ein außereuropäischer Staat um Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft ersucht, so beträgt die Frist drei Monate.

(3) Nach dem Eingang des Auslieferungsersuchens und der Auslieferungsunterlagen entscheidet das Oberlandesgericht unverzüglich über die Fortdauer der Haft.