Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 03. Apr. 2003 - 3 Ws 48/03

bei uns veröffentlicht am03.04.2003

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts B. vom 30. Januar 2003 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens an das Landgericht B. zurückverwiesen.

Gründe

 
I.
In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft B. vom 24.05.2002 wird dem Angeschuldigten zur Last gelegt, er habe als Geschäftsführer der Fa. R. für diese handelnd mit Vereinbarung vom 24.05.1996 unter Missbrauch seiner Vertretungsmacht Patente und Patentanmeldungen der Firma unentgeltlich auf seine Ehefrau übertragen und sich damit der Untreue nach § 266 Abs. 1 1. Alt. StGB schuldig gemacht. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht B. die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, weil hinsichtlich des Anklagevorwurfs Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft B. mit ihrer fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.
II.
Das zulässige Rechtsmittel (§ 210 Abs.2 StPO) hat in der Sache - vorläufigen - Erfolg. Die Verfolgung der dem Angeklagten in der Anklageschrift vom 24.05.2002 angelastete Tat ist nicht verjährt, da die Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB entgegen der Auffassung des Landgerichts durch die Verfügung der Staatsanwaltschaft B. vom 21.05.2001 nach § 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB wirksam unterbrochen worden ist.
In rechtlicher Hinsicht geht die Strafkammer allerdings zutreffend davon aus, dass lediglich die unbedingte Anordnung der ersten Vernehmung des Beschuldigten gem. § 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB die Verjährung unterbricht, während ein bloßer allgemeiner Ermittlungsauftrag an die Polizei selbst dann keine verjährungsunterbrechende Wirkung entfaltet, wenn im Rahmen der zur Aufklärung des Sachverhalts durchzuführenden Ermittlungen auch die Vernehmung des Beschuldigten erfolgen soll (vgl. BGH NStZ 1985, 545; StV 1997, 634 [Ls]; HansOLG Hamburg MDR 1978, 689; NJW 1978, 434; BayObLG NStZ-RR 1996, 46; LG Hamburg NStZ-RR 1997, 265; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 78 c Rdnr. 10; Jähnke in LK-StGB 11. Aufl. § 78 c Rdnr. 22). Die Auslegung der Verfügung der Staatsanwaltschaft B. vom 21.05.2001, für welche neben Wortlaut und Gestaltung der Verfügung ergänzend auch der bis dahin angefallene Akteninhalt heranzuziehen ist (vgl. BGH NJW 2000, 2829; NStZ 2000, 427, 428; Jähnke a.a.O. Rdnr. 12), ergibt indes, dass die Staatsanwaltschaft die Kriminalpolizei R. unter anderem mit der Durchführung einer ersten verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten im Sinne des § 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB beauftragt hat.
Mit der Verfügung vom 21.05.2001 leitete die Staatsanwaltschaft gegen den in der Strafanzeige der Firma H. vom 18.05.2001 bestimmt bezeichneten Angeschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue und des Bankrotts ein. Der Gegenstand des Verfahrens war in tatsächlicher Hinsicht - einschließlich des unter Nr. 2 der Verfügung wiedergegebenen Tatzeitpunkts- durch die Strafanzeige und die beigefügten Unterlagen so weitgehend konkretisiert, dass eine erste Vernehmung des Angeschuldigten sachgerecht möglich war.
Nr. 4 der Verfügung vom 21.05.2001 ordnete die Übersendung der Akten an die Kriminalpolizei R. „mit der Bitte um Durchführung der Ermittlungen“ an und führte eingeleitet durch die Formulierung „insbesondere“ drei unterschiedliche Ermittlungsmaßnahmen auf, darunter -neben der unter a) und b) genannten Beiziehung und Auswertung von Konkursakten sowie der Vernehmung verschiedener Zeugen- unter Gliederungspunkt c) die Vernehmung des Beschuldigten. Ein in zeitlicher oder sachlicher Hinsicht gewolltes Stufenverhältnis zwischen den verschiedenen verfügungstechnisch aneinandergereihten Ermittlungsmaßnahmen besteht nach dem Wortlaut der Verfügung nicht. Insbesondere lässt sich der Verfügung nicht entnehmen, dass die Durchführung der Beschuldigtenvernehmung nach den Intentionen der Staatsanwaltschaft vom Ergebnis der weiteren, ansonsten angeordneten Ermittlungen abhängig sein sollte. Allein der Umstand, dass die Anordnung verschiedener Ermittlungsmaßnahmen in ein und derselben Verfügung zusammengefasst wurden, rechtfertigt eine solche Auslegung nicht. Die Annahme des Landgerichts, die Staatsanwaltschaft habe die Beschuldigtenvernehmung nur in Abhängigkeit von weiteren polizeilichen Ermittlungen verfügt und die Entscheidung über ihre Durchführung aus der Hand gegeben, entbehrt daher einer tatsächlichen Grundlage.
Entscheidend für eine Wertung als unbedingte Anordnung einer ersten Beschuldigtenvernehmung spricht der Umstand, dass die auf die Unterbrechung der Verjährung abzielende Absicht der Staatsanwaltschaft in der Verfügung vom 21.05.2001  objektiv erkennbar Ausdruck gefunden hat. So wird unter Nr. 2 der Verfügung ausdrücklich die Tatzeit 24.05.1996 angegeben, wobei die Mitteilung der Tatzeit, die zur rechtlichen Einordnung des Tatvorwurfs in die Verfügung aufgenommene Paragraphenbezeichnung „266“ und die Weisung „Vernehmung des Beschuldigten“ jeweils schreibtechnisch durch Fettdruck aus dem Kontext der Verfügung herausgehoben werden. Diese Hervorhebung lässt zumal vor dem Hintergrund der mehrfachen deutlichen Hinweise in der Strafanzeige vom 18.05.2001 auf den am 24.05.2001 drohenden Verjährungseintritt zweifelsfrei erkennen, dass es der Staatsanwaltschaft bei der Abfassung der Verfügung vom 21.05.2001 maßgeblich auch darum ging, den Lauf der Verjährungsfrist zu unterbrechen. Dem in der Verfügung vom 21.05.2001 selbst nach außen erkennbar zum Ausdruck gebrachten Willen zur Verjährungsunterbrechung kommt bei der Bestimmung des der Verfügung beizumessenden objektiven Sinngehalts entscheidende Bedeutung zu. Er rechtfertigt es, der unter Nr. 4. c der Verfügung vom 21.05.2001 getroffenen Weisung der Staatsanwaltschaft im Wege der Auslegung die unbedingte Anordnung einer ersten Beschuldigtenvernehmung im Sinne des § 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB zu entnehmen.
Dass die Vernehmung des Angeschuldigten nicht zeitnah nach der Anordnung vom 21.05.2001, sondern nach umfangreichen kriminalpolizeilichen Ermittlungen erst am 09.04.2002 durchgeführt wurde, ist für die durch die Anordnung als solche bewirkte Verjährungsunterbrechung ohne Belang (vgl. BGH NStZ 1985, 545, 546; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke-Schröder StGB 26. Aufl. § 78 c Rdnr. 6; Tröndle/Fischer a.a.O.; Jähnke a.a.O. Rdnr. 10). Für die Unterbrechungswirkung kann aus Gründen der Rechtssicherheit nur die Unterbrechungshandlung nach § 78 c Abs. 1 StGB selbst, nicht aber der weitere Verlauf des Verfahrens maßgeblich sein. Aus diesem Grund spielt es entgegen der Auffassung der Verteidigung für die Beurteilung der Verjährungsfrage auch keine Rolle, dass die Staatsanwaltschaft im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens nicht auf eine Durchführung der Beschuldigtenvernehmung insistierte.
III.
Da der Lauf der fünfjährigen Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB durch die noch am selben Tag in den Geschäftsgang gelangte Verfügung vom 21.05.2001 rechtzeitig nach § 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB unterbrochen wurde, ist die Verfolgung der dem Angeschuldigten in der Anklage vom 24.05.2002 angelasteten Tat nicht verjährt. Der angefochtene Beschluss des Landgerichts B. kann daher keinen Bestand haben.
Da die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens ausschließlich auf die unzutreffende Annahme eines Prozesshindernisses gestützt worden ist, es mithin bislang an einer sich mit dem hinreichenden Tatverdacht befassenden Sachentscheidung der Strafkammer fehlt, sieht sich der Senat gehindert, selbst über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden (vgl. Tolksdorf KK-StPO 4. Aufl. § 210 Rdnr. 8; Pfeiffer StPO 4. Aufl. § 210 Rdnr. 4; Paeffgen SK-StPO § 210 Rdnr. 12; vgl. auch BGHSt 43, 122, 124 f; a.A. Rieß in Löwe-Rosenberg StPO 25. Aufl. § 210 Rdnr. 20). Die Sache wird daher zur neuerlichen Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens an das Landgericht B. zurückverwiesen.

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Strafgesetzbuch - StGB | § 78 Verjährungsfrist


(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht. (3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjäh

Strafprozeßordnung - StPO | § 210 Rechtsmittel gegen den Eröffnungs- oder Ablehnungsbeschluss


(1) Der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden. (2) Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltsc

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(1) Der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden.

(2) Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde zu.

(3) Gibt das Beschwerdegericht der Beschwerde statt, so kann es zugleich bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Kammer des Gerichts, das den Beschluß nach Absatz 2 erlassen hat, oder vor einem zu demselben Land gehörenden benachbarten Gericht gleicher Ordnung stattzufinden hat. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, kann der Bundesgerichtshof bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat dieses Gerichts stattzufinden hat.

(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht.

(3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjährungsfrist

1.
dreißig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind,
2.
zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind,
3.
zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind,
4.
fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind,
5.
drei Jahre bei den übrigen Taten.

(4) Die Frist richtet sich nach der Strafdrohung des Gesetzes, dessen Tatbestand die Tat verwirklicht, ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind.

(1) Der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden.

(2) Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde zu.

(3) Gibt das Beschwerdegericht der Beschwerde statt, so kann es zugleich bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Kammer des Gerichts, das den Beschluß nach Absatz 2 erlassen hat, oder vor einem zu demselben Land gehörenden benachbarten Gericht gleicher Ordnung stattzufinden hat. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, kann der Bundesgerichtshof bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat dieses Gerichts stattzufinden hat.