Oberlandesgericht Köln Urteil, 11. Feb. 2015 - 5 U 181/12
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 26.11.2012 – 9 O 277/10 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Die am 03.10.1964 geborene Klägerin begab sich im Juli 2002 wegen Schmerzen im rechten Knie in die Behandlung des als niedergelassener Orthopäde tätigen Beklagten zu 1). Am 06.09.2002 erfolgte in der Praxis des Beklagten zu 1) eine Arthroskopie des rechten Kniegelenkes. Der intraoperative Befund ergab eine Innenmeniskusdegeneration und eine Knorpelschädigung auf der inneren Seite des Kniegelenks. Der Innenmeniskus wurde reseziert und eine Knorpelglättung durchgeführt. Aufgrund fortbestehender Beschwerden führte der Beklagten zu 1) am 10.01.2003 eine erneute Arthroskopie durch. Die Knorpelschäden zeigten intraoperativ eine erhebliche Verschlimmerung im Vergleich zum Vorbefund. Es waren nunmehr aufgeworfene Knorpelfragmente erkennbar, die reseziert wurden. Histologisch zeigte sich eine schwergradige degenerative Meniskopathie. Nach wenigen Wochen erfolgte wegen anhaltender Beschwerden eine dritte arthroskopische Behandlung, bei der Karbonstifte implantiert wurden. Auch nach dieser Operation klagte die Klägerin weiter über Schmerzen im rechten Knie. Ein am 06.05.2003 durchgeführtes MRT des rechten Knies ergab ausgeprägte Knorpelschäden am medialen Femurcondylus. Zudem litt die Klägerin unter den Auswirkungen einer schnappenden Hüfte, die zu einer ambulanten Operation in der Praxis des Beklagten zu 1) am 30.05.2003 führte.
4Im September 2003 stellte sich die Klägerin wegen anhaltender Beschwerden an der Innenseite des rechten Kniegelenks in dem durch die Beklagte zu 2) betriebenen St. K Krankenhaus vor. Am 10.10.2003 erfolgte eine Arthroskopie des rechten Kniegelenks, bei der nekrotisches Knorpelgewebe beseitigt, Karbonstifte entfernt und Knorpelknochen transplantiert wurden. Da sich die Schmerzen nach anfänglicher Besserung rasch wieder einstellten, erfolgte nach erfolgloser Schmerztherapie am 29.04.2004 die Implantation einer zementierten unicondylären Schlittenprothese in dem ebenfalls von der Beklagten zu 2) betriebenen St. F Krankenhaus. Auch nach dieser Operation hielten die Schmerzen an. Am 04.07.2005 erfolgte ein Wechsel der Schlittenprothese zu einer bikondylären Oberflächenprothese. Es schloss sich eine ambulante Reha in C an. Die Beschwerdesymptomatik besserte sich in der Folgezeit nicht.
5Am 22.03.2006 erfolgte eine Revision des rechten Kniegelenks mit Femurkomponentenwechsel im St. G Krankenhaus in L. Im Jahr 2007 fand eine weitere Revisionsoperation statt, bei der eine knorpelhaltige Geschwulst unklarer Genese im vorderen Teil des Knies entfernt wurde. Im Juli 2012 wurde bei anhaltender Beschwerdesymptomatik schließlich eine achsgeführte Prothese eingesetzt.
6Die Klägerin hat beantragt,
7- 8
1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld wegen mehrfacher fehlerhafter ärztlicher Behandlung zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 30.000,00 EUR nebst 8 % Zinsen seit dem 09.12.2009;
- 10
2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie weitere 1.690,00 EUR nebst 8 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
- 12
3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr sämtliche materiellen und sämtlich weitere zukünftige immaterielle Schäden, die ihr aus der dortigen fehlerhaften Behandlung entstanden sind, derzeit entstehen und in Zukunft entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Beklagten haben beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 463 ff d.A.) Bezug genommen.
16Nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. L2 vom 05.06.2012 (Bl. 333 ff. d.A.) und Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 29.10.2012 (Bl. 440 ff. d.A.) hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein schadensursächlicher Behandlungsfehler der Beklagten könne nicht festgestellt werden. Eine Beweislastumkehr komme selbst bei unterstelltem Befunderhebungsfehler durch Unterlassen einer Ganzbeinröntgenaufnahme zur Abklärung einer möglichen Achsfehlstellung nicht in Betracht. Es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass eine Ganzbeinaufnahme eine korrekturbedürftige Achsfehlstellung gezeigt hätte. Der Befunderhebungsfehler sei auch nicht als grober Behandlungsfehler anzusehen. Vor dem Hintergrund, dass eine Achsfehlstellung nicht festgestellt worden sei, begründe auch das Unterbleiben einer Umstellungsosteotomie keine Haftung. Sämtliche arthroskopischen Eingriffe, die der Beklagte zu 1) durchgeführt habe, seien medizinisch indiziert gewesen. Auch das Einsetzen von Carbonstiften sei nach dem im Zeitpunkt der Behandlung geltenden medizinischen Standard eine vertretbare Therapie gewesen. Der im Hause der Beklagten zu 2) erfolgte Einsatz einer Schlittenprothese sei nicht behandlungsfehlerhaft erfolgt. Der Sitz der Prothese habe im Toleranzbereich gelegen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
18Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter. Zu Unrecht habe das Landgericht eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Schadenskausalität zu Gunsten der Klägerin verneint. Soweit das Landgericht angenommen habe, dass eine Ganzbeinröntgenaufnahme eine korrekturbedürftige Achsfehlstellung nicht gezeigt hätte, sei ein solcher Schluss auf Grundlage des erstinstanzlich eingeholten Gutachtens von Prof. Dr. L2 nicht zulässig. Der Sachverständige habe seine Annahme, es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass eine Ganzbeinröntgenaufnahme eine Achsfehlstellung ergeben hätte, nicht nachvollziehbar begründet. Der Befunderhebungsfehler stelle überdies – wie auch der für die Gutachterkommission tätig gewesene Sachverständige Prof. Dr. Q ausgeführt habe - einen groben Behandlungsfehler dar. Ohne Abklärung einer möglichen Achsfehlstellung habe die geeignete Therapie nicht bestimmt werden können. Wäre eine Achsfehlstellung diagnostiziert worden, wäre eine Korrekturosteotomie Therapie der Wahl gewesen. Folge der nicht durchgeführten Korrekturosteotomie sei, dass sie bereits jetzt eine achsgeführte Prothese tragen müsse und im Fall, dass diese ausgedient habe, weitere Therapiemöglichkeiten nicht zur Verfügung stünden. Die durch den Beklagten zu 1) erfolgten arthroskopischen Eingriffe, jedenfalls diejenigen von Januar und Februar 2003, seien medizinisch nicht indiziert gewesen. Der Einsatz von Karbonstiften sei nach heutigem medizinischem Standard nicht mehr haltbar. Aber auch im Jahr 2003 hätten bereits erhebliche Zweifel an dem Nutzen dieser Therapie bestanden. Das Landgericht habe sich insoweit auch nicht mit den Einwänden des Privatgutachters Prof. Dr. S vom 20.08.2012 auseinandergesetzt. Soweit das Landgericht einen groben Behandlungsfehler der Beklagten zu 2) bei Einsatz der Schlittenprothese verneint habe, rügt die Klägerin mangelnde Sachaufklärung durch das Gericht. Der Einbau der Prothese habe nicht im Toleranzbereich gelegen. Der Sachverständige habe das Ergebnis seiner Messungen nicht dargelegt.
19Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld wegen mehrfacher fehlerhafter ärztlicher Behandlung zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 30.000,00 EUR nebst 8 % Zinsen seit dem 09.12.2009;
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2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie weitere 1.690,00 EUR nebst 8 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
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3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr sämtliche materiellen und sämtlich weitere zukünftige immaterielle Schäden, die ihr aus der dortigen fehlerhaften Behandlung entstanden sind, derzeit entstehen und in Zukunft entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Beklagten beantragen,
27die Berufung zurückzuweisen.
28Der Beklagte zu 1) ist der Ansicht, das gesamte Berufungsvorbringen sei durch eine unzutreffende Interpretation der Einlassungen des Sachverständigen und durch eine Verkennung der Beweislastverteilung in Arzthaftungsprozessen gekennzeichnet. Er rügt das Berufungsvorbringen als nicht schlüssig, da noch nicht einmal die Klägerin selbst behaupte, dass eine korrekturbedürftige Achsfehlstellung vorgelegen habe. Davon abgesehen sei ihm aber auch kein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen, da klinisch keine Hinweise auf eine Achsfehlstellung vorgelegen hätten. Im Übrigen hätte eine Fehlstellung nicht zwingend zu einer Korrekturosteotomie führen müssen. Eine solche sei bei der Klägerin problematisch gewesen, weil ihr rechtes Knie ein Streckdefizit aufgewiesen habe, welches eine zweidimensionale Osteotomie mit vollständiger Durchtrennung des Tibiakopfes erfordert hätte. Die damit typischerweise einhergehenden Operationsrisiken seien zu berücksichtigen gewesen. Es werde daher bestritten, dass sich die Klägerin für eine Osteotomie entschieden hätte. Der Beklagte zu 1) bestreitet ferner, dass sich bei Durchführung einer Korrekturosteotomie im Vergleich zum tatsächlichen Krankheits- und Behandlungsverlauf ein günstigerer Verlauf eingestellt hätte und der gesundheitliche Zustand der Klägerin heute besser wäre.
29Die Beklagte zu 2) nimmt Bezug auf ihren erstinstanzlichen Beweisantrag auf Vernehmung des damaligen behandelnden Arztes Dr. N als Zeugen zu der Behauptung, dass eine Achsfehlstellung nicht vorgelegen habe. Darüber hinaus verweist sie erneut darauf, dass es seinerzeit nicht möglich gewesen sei, in ihrem Hause eine Ganzbeinröntgenaufnahme anzufertigen.
30Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. K2 (schriftliches Gutachten vom 16.02.2014, Bl. 625 ff d.A.) und Anhörung des Sachverständigen im Termin zur mündlichen Verhandlung (Sitzungsprotokoll vom 24.11.2014, Bl. 743 ff d.A.).
31Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
32II.
33Die Berufung ist unbegründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld aus den §§ 253, 280, 823 Abs. 1, zu. Auch nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist der Beweis schadensursächlicher Behandlungsfehler nicht erbracht.
341.) Der Beklagte zu 1) haftet nicht wegen eines Fehlers bei der Befunderhebung, denn die Klägerin kann den ihr obliegenden Beweis der Schadenskausalität nicht erbringen. Soweit sie dem Beklagten zu 1) vorwirft, die durchgeführten arthroskopischen Eingriffe seien medizinisch nicht indiziert gewesen, ist dieser Vorwurf unbegründet.
35a) Nach dem Ergebnis der durch den Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist zwar davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1) es fehlerhaft unterlassen hat, vor dem arthroskopischen Eingriff am 06.02.2003 mit Implantation von Karbonfaserstiften eine Ganzbeinröntgenaufnahme des rechten Beines anzufertigen. Den Beweis, dass die Klägerin durch diesen Fehler gesundheitliche Schäden erlitten hat, kann die Klägerin jedoch nicht erbringen. Eine Beweislastumkehr findet weder nach den durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des Befunderhebungsfehlers noch aufgrund eines groben Befunderhebungsfehlers statt.
36Die Klägerin hat geltend gemacht, der Beklagte zu 1) habe seinerzeit eine Ganzbeinröntgenaufnahme anfertigen müssen. Eine solche Aufnahme sei deswegen erforderlich gewesen, weil eine Achsfehlstellung vorgelegen habe, die durch eine Korrekturosteotomie hätte behoben werden können. Entgegen der mit der Berufungserwiderung vorgetragenen Auffassung des Beklagten zu 1) hat die Klägerin von Anfang an eine Achsfehlstellung behauptet. Sie hat zur Begründung ihres Klagebegehrens auf die Ausführungen des für die Gutachterkommission tätigen Sachverständigen Prof. Dr. Q und des Privatgutachters Prof. Dr. S Bezug genommen, die von einem Knorpelschaden am medialen Femurkondylus und des Tibiaplateaus infolge einer Verschiebung der Tragachse ausgegangen waren.
37Die Beweisaufnahme hat den Vorwurf eines Befunderhebungsfehlers bestätigt. Der Sachverständige Prof. Dr. K2 ist nach sorgfältiger Auswertung des gesamten Akteninhaltes und der ihm zur Verfügung gestellten Behandlungsdokumentation zu dem den Senat überzeugenden Ergebnis gelangt, dass der Beklagte zu 1) vor der Implantation von Karbonstiften eine Achsfehlstellung hätte abklären und hierzu eine Ganzbeinröntgenaufnahme anfertigen müssen. Eine solche Aufnahme sei vor Durchführung knorpelchirurgischer Maßnahmen grundsätzlich anzufertigen und habe damals wie heute zum Standard gehört. Grund hierfür sei, dass isolierte knorpelchirurgische Maßnahmen ohne Korrektur einer vorhandenen Beinachsenfehlstellung eine hohe Wahrscheinlichkeit auf ein Versagen habe. Während vor den arthroskopischen Eingriffen vom 06.09.2002 und 10.01.2003 eine vorherige Ganzbeinröntgenaufnahme noch nicht erforderlich gewesen sei, weil hier nur eine meniskuschirurgischer Maßnahmen und eine Knorpelglättung betrieben worden sei, habe vor der Arthroskopie am 06.02.2003 mit Implantation von Karbonfaserstiften eine knorpelchirurgische Maßnahme angestanden, die eine vorherige Ganzbeinaufnahme erfordert hätte.
38Den Beweis, dass sie infolge der unterlassenen Ganzbeinaufnahme einen Schaden erlitten hat, kann die Klägerin jedoch nicht führen. Denn sie kann nicht beweisen, dass im Falle einer Ganzbeinaufnahme eine Achsfehlstellung diagnostiziert worden wäre, die eine Korrekturosteotomie nach sich gezogen hätte und dadurch ein positiver Heilungsverlauf in der Weise herbeigeführt worden wäre, dass die nachfolgenden Operationen mit mehrfachen Einsatz von Kniegelenksprothesen nicht erforderlich geworden wären. Der Klägerin kommt keine Beweislastumkehr zugute. Bei der Unterlassung einer gebotenen Befunderhebung erfolgte eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität, wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung eine groben ärztlichen Fehler darstellt (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, vgl. Urteil vom 13.01.1998, Az. VI ZR 242/96; Urteil vom 29.09.2009, Az. ZR 251/08; Urteil vom 13.09.2011, Az. VI ZR 144/10 - zitiert nach juris). Zudem kann auch eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und dieser Fehler generelle Fehler generell geeignet ist, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen (BGH, Urteil vom 13.02.1996, Az. VI ZR 402/94; Urteil vom 27.04.2004, Az. VI ZR 34/03; Urtei vom 02.07.2013, Az. VI ZR 554/12 - zitiert nach juris). Der durch den Beklagten zu 1) begangenen Fehler ist weder als grob zu bewerten, noch kommen die Grundsätze des Befunderhebungsfehlers zur Anwendung.
39Das Unterlassen einer Ganzbeinaufnahme stellte sich im vorliegenden Fall nicht als grober ärztlicher Fehler dar. Ein grober Behandlungsfehler ist dann anzunehmen, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen hat und dadurch einen Fehler begangen hat, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt „schlechterdings nicht unterlaufen darf“ (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Auflage, B. V. 252). Nach dem Ergebnis des durch den Senat eingeholten Sachverständigengutachtens dürfte zwar von einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte medizinische Erkenntnisse auszugehen sein. Der Sachverständige Prof. Dr. K2 hat ausgeführt, die Notwendigkeit von Ganzbeinaufnahmen sei schon im maßgeblichen Behandlungszeitraum Inhalt von Lehrbüchern gewesen und es sei eigentliche allen, die mit Knorpelchirurgie zu tun hatten, bekannt gewesen, dass eine Aufnahme des gesamten Beines vor der Planung knorpelchirurgischer Maßnahmen anzufertigen war. Gleichwohl hat der Sachverständige aus seiner medizinischen Sicht einen groben Fehler verneint und dies damit begründet, dass in Deutschland hundertfach knorpelchirurgische Maßnahmen ohne vorherige Ganzbeinaufnahme durchgeführt würden. Dies sei klinische Realität nicht nur in orthopädischen Praxen, sondern auch in Krankenhäusern und sei vor allem dem Umstand geschuldet, dass die hierfür erforderlichen Geräte zur Fertigung solcher Aufnahmen vielfach nicht zur Verfügung stünden. Der Sachverständige hat ferner darauf hingewiesen, dass sich der Röntgenaufnahme vom 12.12.2002 ein standardmäßiger femoraler und tibialer Winkel habe entnehmen lassen, was weder für ein O- noch ein X-Bein gesprochen habe. Die Beklagten hätten vermutlich darauf vertraut, dass auch im Hinblick auf die Gesamtbeinachse eine Fehlstellung ausgeschlossen sei. Eine zuverlässige Information habe man diesbezüglich den Röntgenaufnahmen jedoch nicht entnehmen können, da sich Achsfehlstellungen auch aus der Situation der Hüfte, des Oberschenkels, des Unterschenkels und des Sprunggelenks ergeben könnten. Auf der Grundlage dieser sachverständigen Ausführungen bewertet auch der Senat den Befunderhebungsfehler nicht als groben Fehler. Vor dem Hintergrund der durch den Sachverständigen geschilderten ärztlichen Praxis fehlt es nach Auffassung des Senates an einem aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlichen Fehler, der einem Arzt „schlechterdings nicht unterlaufen darf“. Eine andere Sichtweise wäre möglicherweise gerechtfertigt, wenn der Beklagte zu 1) die Achsfehlstellung gar nicht im Blick gehabt hätte oder die Eingriffe ohne jede Röntgenaufnahme durchgeführt hätte. Dies war hier aber nicht der Fall. Der Beklagte zu 1) hat eine Röntgenaufnahme gefertigt und ist aufgrund der daraus ersichtlichen unauffälligen Stellung der Kniegelenksache davon ausgegangen, dass dann wohl auch eine Achsfehlstellung nicht vorliegen würde, zumindest nicht sehr wahrscheinlich sein würde. Dass er zur absolut sicheren Abklärung einer Achsfehlstellung als mögliche Ursache eines Knorpeldefektes eine Ganzbeinaufnahme nicht hat anfertigen zu lassen, ist vor dem Hintergrund, dass das Unterlassen einer solchen Aufnahme in einer Vielzahl von Fällen in der Praxis ohne negative Folgen bleibt, nicht unverständlich und stellt auch keinen Fehler dar, der einem Arzt „schlechterdings nicht unterlaufen darf“. Eine hiervon abweichende Bewertung des Behandlungsfehlers ist entgegen den Ausführungen des klägerischen Prozessbevollmächtigten in seinem Schriftsatz vom 06.01.2015 durch den Senat in der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2014 nicht verlautbart worden.
40Der Klägerin kommt auch nicht über die Grundsätze des Befunderhebungsfehlers eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden – das heißt mit mehr als 50 %tiger - zugute. Denn es steht nicht fest, dass sich nach Fertigung einer Ganzbeinaufnahme mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft dargestellt hätte. Der Sachverständige Prof. Dr. K2 hat es als gänzlich unwahrscheinlich bezeichnet, dass bei der Klägerin eine korrekturbedürftige Achsfehlstellung vorgelegen habe. Zu dieser Aussage ist der Sachverständige nach digitaler Rekonstruktion der rechten Beinseite gelangt. Hierzu hat er die Röntgenaufnahme vom 12.12.2002 mit Abbildung des rechten Kniegelenks auf die Konturen der kniegelenksnahen Oberschenkel- und Unterschenkelanteile des rechten Kniegelenkes von der Ganzbeinaufnahme des rechten Beines vom 21.01.2014 projiziert. Die Rekonstruktion habe, so der Sachverständige, eine korrekturbedürftige Achsfehlstellung nicht gezeigt. Aufgrund der seitengleichen Geometrie beider Hüftgelenke, beider Oberschenkelknochen, beider Unterschenkelknochen und beider Sprunggelenke sowie aufgrund der digitalen Rekonstruktion des Röntgenbildes vom 12.12.2002 in die Ganzbeinaufnahme vom 21.01.2014 sei sogar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass vor dem knorpelchirurgischen Eingriff am 06.02.2003 keine korrekturbedürftige Achsfehlstellung vorgelegen habe. Soweit der von der Klägerin beauftragte Privatgutachter Prof. Dr. S bezweifelt hat, dass beide Aufnahmen unter identischen Bedingungen gefertigt wurden, hat der Sachverständige Prof. Dr. K2 hierzu ausgeführt, eine unterschiedliche Beinposition auf beiden Aufnahmen könnte zwar Auswirkungen auf die Hüfte haben und sei auch nicht völlig auszuschließen. Aufgrund des sehr klaren und deutlichen Bildes der Röntgenaufnahme vom 12.12.2002 ergäben sich jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass eine fehlerhafte Drehung des Beines vorgelegen haben könne. Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K2 überzeugen den Senat. Sie zeugen von einer sorgfältigen Auswertung des aus den Akten und den Behandlungsunterlagen erkennbaren Sachverhaltes. Der Sachverständige hat sich bemüht, die Achsverhältnisse des rechten Beines vor den streitgegenständlichen Eingriffen zu rekonstruieren. Auch wenn die Klägerin die Art und Weise der Rekonstruktion als unwissenschaftlich beanstandet, muss sie sehen, dass ihr der Beweis der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer korrekturbedürftigen Achsfehlstellung jedenfalls nicht gelungen ist. Auf den vom Beklagten zu 1) vorgetragenen Einwand, eine Umstellungsosteotomie sei bereits aufgrund eines höhergradigen Streckdefizits nicht in Frage gekommen, kam es danach nicht mehr an.
41b) Eine Haftung des Beklagten zu 1) ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Durchführung eines medizinisch nicht indizierten Eingriffs. Alle drei durch den Beklagten zu 1) durchgeführten arthroskopischen Behandlungen (06.09.2002, 10.01.2003, 06.02.2003) waren medizinisch indiziert. Die Indikation ist sowohl durch den erstinstanzlich tätigen Gerichtssachverständigen Prof. Dr. L2 als auch durch den vom Senat beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. K2 bestätigt worden. Soweit die Klägerin erstmals mit der Berufungsbegründung auch die medizinische Notwendigkeit der ersten Arthroskopie vom 06.09.2002 angezweifelt hat, fehlte es bereits an qualifizierten Einwendungen gegen das Gutachten von Prof. Dr. L2. Weder in dem für die Gutachterkommission erstellten Gutachten von Prof. Dr. Q noch im Privatgutachten von Prof. Dr. S wurden Zweifel an einer Notwendigkeit dieses ersten Eingriffes geäußert. Auch der Sachverständige Prof. Dr. K2 hat sämtliche, durch den Beklagten zu 1) durchgeführten arthroskopischen Eingriffe als medizinisch indiziert bezeichnet. In Bezug auf die Eingriffe vom 10.01.2003 und vom 06.02.2003 hat der Sachverständige deutlich gemacht, dass es vor dem Hintergrund der geklagten Schmerzen nachvollziehbar gewesen sei, innerhalb eines recht kurzen Zeitraums weitere arthroskopische Eingriffe vorzunehmen. Der Sachverständige ist damit zu dem gleichen Ergebnis wie der erstinstanzlich tätig gewordene Sachverständige Prof. Dr. L2 gelangt, nach dessen Ausführungen gegen eine erneute Spiegelung am 10.01.2003 schon deswegen nichts gesprochen hatte, weil sich nach dem Ergebnis der vor dem Eingriff durchgeführten MRT-Untersuchung und der Dreiphasenknochenszintigraphie noch ein Reizprozess des rechten Kniegelenks gezeigt habe. Aufgrund der anhaltenden Beschwerden sei es korrekt und konsequent gewesen, die Möglichkeiten einer erneuten Kniebinnensanierung durchzuführen. Gegen diese überzeugenden Ausführungen hat auch der Privatgutachter Prof. Dr. S keine weiteren Einwendungen mehr vorgebracht.
42Nach den ebenso überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K2 war auch der dritte arthroskopische Eingriff am 06.02.2003 mit Implantation von Karbonstiften medizinisch indiziert. Der Sachverständige hat nach sorgfältiger Auswertung medizinischer Fachliteratur in nachvollziehbarer Weise dargestellt, dass das seit den 90’er Jahren in den klinischen Bereich eingeführte Verfahren zwar eine in Deutschland wenig gebräuchliche Methode gewesen sei. Dies habe allerdings weniger medizinische Gründe gehabt, sondern sei im Zusammenhang mit der fehlenden Bereitschaft der Krankenkassen zur Kostenübernahme zu sehen. Das Verfahren sei noch im Jahr 2012 durch ausgewiesene Knorpelforscher und Knorpelchirurgen im Rahmen einer prospektiven klinischen Studie von Windt et al. evaluiert worden und habe mit durchaus akzeptablen Ergebnissen abgeschlossen. Auch bei der Klägerin sei die Anwendung des Verfahrens gerechtfertigt gewesen. Dies gelte auch im Hinblick auf die bei ihr gegebene, besondere Situation einer sog. "Knorpelglatze". Windt et al. hätten im Jahr 2011 Patienten mit ganz unterschiedlichen Schäden und auch solche mit einem Schädigungsgrad von III und IV untersucht. Selbst bei diesen Patienten, die tiefer gehende Schäden als die Klägerin hatte, d.h. solche Schäden aufwiesen, die sogar unter den Knochen gingen, hätte das Verfahren akzeptable Effekte gezeigt. Auch Patienten im Alter der Klägerin hätten von dem Verfahren profitiert. Bei Abwägung des möglichen Erfolges der Therapie und des Risikos eines durch die Karbonimplantation möglicherweise ausgelösten Entzündungsprozesses sei es gerechtfertigt gewesen, einen Therapieversuch zu unternehmen. Soweit der Privatgutachter Prof. Dr. S gegen die bei der Klägerin erfolgte Anwendung der Therapie vorgebracht hat, eine Regeneration des Gelenkknorpels sei bei der Klägerin nicht möglich gewesen, weil dieser vollständig gefehlt habe, ist Prof. Dr. K2 diesem Einwand überzeugend unter Vorlage medizinischer Fachliteratur entgegen getreten. Er hat auf die von ihm in der Sitzung in Ablichtung vorgelegte Arbeit von Windt et al. Bezug genommen, die einen therapeutischen Effekt in den der Klägerin vergleichbaren Fällen belegt hat.
432.) Die Berufung ist desweitern unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung der gegen die Beklagte zu 2) gerichteten Klage richtet.
44a) Den in dem von der Beklagten zu 2) tätigen Ärzten ist zwar nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. K2 ein Befunderhebungsfehler unterlaufen, indem sie vor Einsatz der Schlittenendoprothese am 29.04.2004 keine Ganzbeinaufnahme gefertigt hat, um das Vorliegen einer Achsfehlstellung abzuklären. Der Einwand der Beklagten zu 2), eine korrekturbedürftige Achsfehlstellung könne nicht vorgelegen haben, da der behandelnde Arzt Dr. O solche im Rahmen der klinischen Untersuchung, also mit bloßem Auge nicht festgestellt habe, greift nicht durch. Denn der Sachverständige Prof. Dr. L2 hat im Rahmen seiner mündlichen Anhörung deutlich gemacht, dass mit dem bloßen Auge nur größere Achsfehlstellungen von 10 bis 15 Grad zu erkennen seien. Bei jüngeren Menschen, wie der Klägerin, sei man jedoch bemüht, schon bei geringeren Achsfehlstellungen von etwa 5 Grad einzugreifen. Jedenfalls bei 8 bis 10 Grad Fehlstellungen sei man bei jüngeren Menschen um eine entsprechende Korrekturosteotomie besorgt. Auch der weitere Einwand, dass eine Ganzbeinröntgenaufnahme im Hause der Beklagten zu 2) nicht möglich gewesen sei, entlastet sie nicht. Die behandelnden Ärzte hätten die Klägerin zur Fertigung einer Ganzbeinaufnahme überweisen können und müssen.
45Den Kausalitätsnachweis kann die Klägerin jedoch nicht führen. Eine Beweislastumkehr findet nicht statt. Denn es liegt weder ein grober Fehler vor, noch finden die durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Befunderhebungsfehler Anwendung. Zur Begründung nimmt der Senat auf seine Ausführungen zu Ziff. 1.) a) Bezug, die auch hinsichtlich der Frage einer Haftung der Beklagten zu 2) gelten. Die durch den Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung erneut aufgeworfene Frage, ob die von der Klägerin als notwendig behauptete Umstellungsosteotomie schon deshalb ausgeschlossen war, weil das rechte Knie der Klägerin vor der Operation ein Streckdefizit von 15 Grad aufgewiesen hat, kann der Senat dahin stehen lassen. Der Sachverständige Prof. Dr. K2 hat für den Fall eines solchen Streckdefizits, die Umstellungsosteotomie als kontraindiziert bezeichnet, ohne jedoch eine Aussage darüber zu treffen, ob das Streckdefizit in dem behaupteten Ausmaß vorgelegen habe. Der Senat hat den Behandlungsunterlagen ein Streckdefizit von 15 Grad nicht entnehmen können. Der an den Hausarzt der Klägerin gerichtete Brief der Beklagten zu 2) vom 16.09.2003 spricht von einer „Funktion im rechten Kniegelenk von 10-10-100°“, was gegen ein Streckdefizit des behaupten Umfangs spricht.
46b) Ein Behandlungsfehler ist auch nicht darin zu sehen, dass im Rahmen der am 10.10.2003 durchgeführten Operation nicht alle, sondern nur einige der durch den Beklagten zu 1) implantierten Karbonstifte entfernt wurden. Der Sachverständige Prof. Dr. K2 hat hierzu nachvollziehbar erläutert, dass die Stifte in der Regel bis zu 15 mm tief im Knochen steckten. Soweit diese einfach zu entfernen seien, nehme man sie heraus. Anderenfalls müssten sie aus dem Knochen ausgegraben werden, was jedoch nur ungern getan werde, oder sie würden im Zusammenhang mit der Einbringung einer Prothese entfernt, wie es dann im Rahmen der Operation am 29.04.2004 auch geschehen ist.
47c) Schließlich hat die Klägerin auch keine Behandlungsfehler im Zusammenhang mit dem Einsatz der Schlittenendoprothese am 29.04.2004 bewiesen. Bereits der erstinstanzlich tätig gewordene Sachverständige Prof. Dr. L2 hat nachvollziehbar und überzeugend begründet, dass der Gelenkersatz weitgehend korrekt platziert wurde. Das tibiale Implantat habe zwar keine perfekte kortikale Abstützung, aber dennoch einen guten Zementmantel gehabt und sei nicht ursächlich für die Schmerzen der Klägerin gewesen. Dass die Komponente fest und nicht – wie von Prof. Dr. Q in seinem für die Gutachterkommission erstellten Gutachten vom 02.06.2006 angenommen - locker saß, ergebe sich aus dem Operationsbericht vom 04.07.2005 über die Entfernung des Schlittens, wonach sowohl die tibiale als auch die femorale Komponente herausgemeißelt werden mussten. Auch wenn es sich nicht um einen absolut perfekt sitzenden medialen Schlitten gehandelt habe, hätten die Achsabweichungen in allen Ebenen im Toleranzbereich gelegen. Der durch den Senat beauftragte Sachverständige Prof. Dr. K2 hat die Ausführungen von Prof. Dr. L2 bestätigt. Auch Prof. Dr. K2 hat den Röntgenaufnahmen eine nicht vollständige kortikale Abstützung entnommen, die jedoch nach seinen Ausführungen zweifelsfrei zu keinem Einsinken oder einer Lockerung der Prothese geführt habe. Zu diesem Schluss ist Prof. Dr. K2 nach Auswertung der Röntgenaufnahmen vom 04.07.2005 und dem Operationsbericht vom gleichen Tag gelangt. Auch die Lage der tibialen Komponente hat Prof. Dr. K2 in Übereinstimmung mit Prof. Dr. L2 als im Toleranzbereich liegend bezeichnet. Gegen diese Ausführungen hat der Privatgutachter Prof. S keine Einwendungen mehr erhoben. Auch die Berufung zeigt keine Gründe auf, die Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen.
48Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
49Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.
50Berufungsstreitwert: bis 50.000,- €
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(1) Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen enthält das Urteil
- 1.
die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen, - 2.
eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger macht Schadensersatzansprüche wegen eines von ihm behaupteten Diagnose- bzw. Befunderhebungsfehlers geltend.
- 2
- Die Beklagte wurde am 11. November 2004 als Notärztin zu dem Kläger gerufen. Bei einer telefonischen Rückfrage gab dessen Ehefrau an, dieser leide unter Herz- und Magenschmerzen. Nach Hinweis auf einen in der Familie aufgetretenen Herzinfarkt kam die Beklagte um 22:30 Uhr zu einem Hausbesuch. Die Beklagte verabreichte dem Kläger zwei Hub Nitrangin. Während des Besuchs verbesserten sich die Beschwerden des Klägers geringfügig. Als Diagnose dokumentierte die Beklagte Verdacht auf Virusinfekt und auf Angina pectoris.
- 3
- Da sich die Beschwerden nicht besserten, brachte die Ehefrau des Klägers diesen in das Krankenhaus nach G. Bei einem um 2:34 Uhr erstellten EKG zeigte sich ein akuter Vorderwandinfarkt. Da eine sofortige Lysetherapie zu keinem Erfolg führte, wurde der Kläger in das Klinikum B. verbracht. Nachdem die dortige Behandlung keinen ausreichenden Erfolg hatte, wurde am 2. Dezember 2004 im Herzzentrum C. eine Bypassoperation durchgeführt. Seit dem 1. Dezember 2004 erhält der Kläger, der am 19. April 2004 auch einen Verkehrsunfall erlitten hatte, in dessen Folge er jedenfalls bis zum streitigen Vorfall am 11. November 2004 arbeitsunfähig war, eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
- 4
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schadensersatzansprüche weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
- 5
- Das Berufungsgericht hat - wie das Landgericht - einen Befunderhebungsfehler der Beklagten bejaht. Angesichts des jungen Patientenalters und der bekannten Risikofaktoren habe nach den Ausführungen des Sachverständigen zumindest von einer neu aufgetretenen Angina pectoris ausgegangen werden müssen. Deshalb sei eine stationäre Einweisung und weitere Abklärung hinsichtlich des Vorliegens eines akuten Koronarsyndroms mittels Ableitung eines Zwölf-Kanal-EKGs erforderlich gewesen.
- 6
- Die Kausalität des Behandlungsfehlers für die eingetretene Schädigung lasse sich jedoch nicht feststellen. Deswegen hätte die Klage nur dann Erfolg haben können, wenn sich der Befunderhebungsfehler als grob dargestellt hätte. Davon sei nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht auszugehen. Mithin sei hinsichtlich der Kausalität keine Beweislastumkehr eingetreten und der Kläger beweisfällig geblieben.
II.
- 7
- Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Revision bemängelt mit Recht, dass das Berufungsgericht die rechtlichen Grundsätze für eine mögliche Beweislastumkehr bei einem Befunderhebungsfehler verkannt hat.
- 8
- 1. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats erfolgt bei der Unterlassung der gebotenen Befunderhebung eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität, wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt (vgl. Senatsurteile vom 13. Januar 1998 - VI ZR 242/96, BGHZ 138, 1, 5 f.; vom 29. September 2009 - VI ZR 251/08, VersR 2010, 115 Rn. 8 mwN). Zudem kann auch eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde (vgl. Senatsurteile vom 13. Februar 1996 - VI ZR 402/94, BGHZ 132, 47, 52 ff.; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03, BGHZ 159, 48, 56; vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02, VersR 2004, 790, 791 f.; vom 7. Juni 2011 - VI ZR 87/10, NJW 2011, 2508 Rn. 7 mwN). Es ist nicht erforderlich, dass der grobe Behandlungsfehler die einzige Ursache für den Schaden ist. Es genügt, dass er generell geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; wahrscheinlich braucht der Eintritt eines solchen Erfolgs nicht zu sein. Eine Umkehr der Beweislast ist nur ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03, aaO, 56 f.; vom 7. Juni 2011 - VI ZR 87/10, aaO).
- 9
- 2. Im Streitfall hat das Berufungsgericht einen grob fehlerhaften Befunderhebungsfehler verneint, weil es aus Sicht des Sachverständigen zwar naheliegender gewesen sei, an eine Herzbeteiligung zu denken und daher eine sofortige EKG-Untersuchung zu veranlassen, die geschilderten Symptome aber auch als Hinweise auf eine Virusinfektion gedeutet werden konnten. Feststellungen dazu, ob die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr bei einem einfachen Befunderhebungsfehler vorliegen, hat es jedoch nicht getroffen. Eine solche Prüfung hätte das Berufungsgericht aber vornehmen müssen. Es lässt sich zumindest nicht ausschließen, dass die vom Sachverständigen geforderte ergänzende Diagnostik mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges Ergebnis im Sinne eines akuten koronaren Geschehens gezeigt hätte und sich die Nichtreaktion hierauf bzw. eine verspätete Reaktion als grob fehlerhaft dargestellt hätte. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist nämlich grundsätzlich mit höherer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das Geschehen bei einer sofortigen Einweisung in das Krankenhaus einen anderen Verlauf genommen hätte.
- 10
- 3. Das angefochtene Urteil kann demnach nicht aufrecht erhalten werden. Es ist aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuver- weisen, damit über die Frage der Beweislastumkehr bei dem vom Berufungsgericht festgestellten einfachen Befunderhebungsfehler entschieden werden kann. Käme dem Kläger nach den dafür geltenden Grundsätzen eine Beweislastumkehr zugute, hätte die Beklagte darzulegen und zu beweisen, dass dessen Gesundheitsschaden nicht auf der unterbliebenen sofortigen Einweisung in das Krankenhaus zur weiteren Abklärung beruht. Die Umkehr der Beweislast wegen eines etwaigen groben Behandlungsfehlers umfasst allerdings grundsätzlich nur den Beweis von dessen Ursächlichkeit für den haftungsbegründenden primären Gesundheitsschaden, nicht hingegen die haftungsausfüllende Kausalität (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 2008 - VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn. 13; vom 7. Juni 2011 - VI ZR 87/10, aaO, Rn. 10, jeweils mwN). Galke Zoll Wellner Diederichsen Stöhr
LG Stendal, Entscheidung vom 14.10.2009 - 21 O 299/07 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 22.04.2010 - 1 U 112/09 -
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler. Nach einem Motorradunfall am 10. Mai 1998 wurde die Klägerin in das von der Beklagten zu 1 betriebene Krankenhaus, in dem die Beklagten zu 3 bis 5 als Ärzte tätig waren, eingeliefert. Es wurde festgest ellt, daß sie sich einige Rippen, den dritten Lendenwirbelkörper und das Schulterblatt gebrochen hatte. Nicht bemerkt wurde, daß sie darüber hinaus eine Beckenringfraktur mit einem Sakrumkompressionsbruch rechts davongetragen hatte. Zunächst wurde ihr Bettruhe verordnet. Ab 11. Juni 1998 wurde die Klägerin mobilisiert. Eine Entlastung durch Unterarmgehstützen erfolgte dabei nicht. Einen Tag nach Beginn der Mobilisierung verspürte sie Schmerzen beim Gehen, worauf sie die Schwestern und die behandelnden Ärzte hinwies. Die Beklagten zu 3 bis 5 untersuchten die Klägerin zwar, veranlaßten jedoch keine Röntgenaufnahmen, so daß die Beckenringfraktur weiterhin nicht festgestellt wurde. Sie verordneten auch bei der weiteren Mobilisierung keine (Teil)entlastung durch Unterarmgehstützen. Am 17. Juni 1998 wurde die Klägerin entlassen. Wegen fortdauernder Beschwerden begab sie sich anderweitig in ärztliche Behandlung. Im Rahmen dieser Behandlung wurde am 3. Juli 1998 mit Hilfe einer Beckenübersichtsaufnahme der Beckenringbruch diagnostiziert. Dieser Bruch ist mit einer leichten Verschiebung zusammengewachsen. In einem Gutachten des ärztlichen Dienstes vom 17. Februar 1999 wurde eine nicht korrekte Ausheilung der Fraktur mit verbliebener Pseudarthrose festgestellt. Die Klägerin behauptet, es sei behandlungsfehlerhaft gewesen, daß die Beckenringfraktur nicht schon im Krankenhaus erkannt und mit der Mobilisierung nicht zugleich eine Teilentlastung angeordnet worden sei. Auf diese Be-handlungsfehler sei die bei ihr festgestellte Pseudarthrose zurückzuführen. Als Folge der Fehlbehandlung leide sie außerdem unter ständigen Schmerzen u.a. in der rechten Leiste, der rechten Gesäßhälfte, beim Liegen und beim Geschlechtsverkehr sowie unter einem Dranggefühl. Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 20.451,68 € sowie die Feststellung , daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr sämtliche nach dem 1. April 2000 entstehenden materiellen Schäden aus ihrer stationären Behandlung im Krankenhaus der Beklagten zu 1 zu erstatten, soweit solche Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Klage gegen den Beklagten zu 2 richtete. Auf die Berufung der Klägerin hat es die Beklagten zu 1, 3, 4 und 5 zur Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 3.000 € nebst Zinsen verurteilt. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision der Klägerin, mit der diese den vollen Klageantrag gegen die Beklagten zu 1, 3, 4 und 5 weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin könne von der Beklagten zu 1 und von den Beklagten zu 3 bis 5 die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 3.000 € verlangen. Den Beklagten sei als Behandlungsfeh-ler anzulasten, daß sie keine Röntgenaufnahme des Beckens anfertigen ließen, obwohl die Klägerin im Anschluß an die Mobilisierung über Schmerzen geklagt habe. Mit Hilfe dieser - medizinisch gebotenen - diagnostischen Maßnahme wäre die Beckenringfraktur nämlich festgestellt worden. Alsdann wäre es schlechthin unverständlich und grob fehlerhaft gewesen, die Mobilisierung ohne Teilentlastung durch Unterarmgehstützen fortzusetzen. Als Folgen des Behandlungsfehlers habe die Klägerin vom Abend des zweiten Tages nach Beginn der Mobilisierung bis zur Feststellung des Beckenringbruchs am 3. Juli 1998 unter vermeidbaren Schmerzen gelitten. Dazu habe sich der Heilungsprozeß entsprechend verzögert. Zwar könne die Klägerin nicht den Vollbeweis dafür führen , daß diese Schadensfolgen auf den Behandlungsfehler zurückzuführen seien. Ihr kämen jedoch hinsichtlich der Ursächlichkeit Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen zur Verletzung der Pflicht zur Erhebung und Sicherung medizinischer Befunde zugute, weshalb insoweit die Wahrscheinlichkeit der Verursachung für den Kausalitätsnachweis ausreiche. Hingegen könne nicht festgestellt werden, daß das Nichterkennen der Beckenringfraktur nach Beginn der Mobilisierung zu weitergehenden negativen Folgen für die Klägerin geführt habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, daß es weder während der Bettlägerigkeit der Klägerin noch bei ihrer anschließenden Mobilisierung zu einer Verschiebung des Bruches gekommen sei. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte sich am Heilungsverlauf nichts verändert, wenn die Beckenringfraktur bereits früher festgestellt und dementsprechend eine Teilentlastung durch Unterarmgehstützen bei Beginn der Mobilisierung angeordnet worden wäre. Zwar sei nicht völlig auszuschließen , daß der festgestellte Behandlungsfehler gewisse Auswirkungen auf den Heilungsverlauf und das Heilungsergebnis gehabt habe. Dies sei im Ergebnis aber so unwahrscheinlich, daß auch unter Berücksichtigung der grundsätzlich möglichen Beweiserleichterungen nicht von einer Mitursächlichkeit des Behand-
lungsfehlers für die von der Klägerin geltend gemachten weiteren Folgen ausgegangen werden könne. Allerdings scheide nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum groben Behandlungsfehler eine mögliche Beweislastumkehr nur dann aus, wenn es gänzlich unwahrscheinlich sei, daß der grobe Behandlungsfehler zu dem eingetretenen Körperschaden des Patienten geführt habe. Ein derartiger Grad an Unwahrscheinlichkeit werde hier nicht anzunehmen sein, weil der Sachverständige einen Wahrscheinlichkeitsgrad von bis 90% dafür genannt habe, daß sich am Heilungsverlauf nichts verändert habe. Jedoch müßten dem Patienten Beweiserleichterungen zur Kausalität auch dann, wenn die Voraussetzungen dafür grundsätzlich vorlägen, nicht notwendigerweise zugebilligt werden. Außerdem müsse nicht stets die sehr weitgehende Form der Umkehr der (subjektiven) Beweislast zum Tragen kommen. Vielmehr gebe es auch Beweiserleichterungen unterhalb der Schwelle der Beweislastumkehr. Es liege in der Verantwortung des Tatrichters, im Einzelfall über die Zubilligung von Beweiserleichterungen sowie über deren Umfang, Qualität und jeweilige Reichweite zu entscheiden. Nach diesen Grundsätzen komme vorliegend eine Beweislastumkehr in der Kausalitätsfrage jedenfalls nicht für denjenigen Körperschaden in Betracht, der über vermeidbare Schmerzen und eine verzögerte Heilung in dem Zeitraum zwischen Beginn der Mobilisierung und Feststellung des Beckenringbruchs hinausgehe. Dafür sei neben der vergleichsweise hohen Wahrscheinlichkeit, daß sich das verzögerte Erkennen des Beckenringbruchs auf den weiteren Heilungsverlauf nicht ausgewirkt habe, der Umstand maßgeblich, daß die versäumte Befunderhebung für die Aufklärung des Sachverhalts keine wesentlichen Schwierigkeiten herbeigeführt habe. Daß eine Beckenringfraktur des später festgestellten Typs schon beim Unfall entstanden sei, lasse sich auch aus den nachträglich angefertigten Röntgenaufnahmen feststellen. Unabhängig vom Zeitpunkt der Feststellung der Fraktur stehe fest, daß die konservative Behand-
lung mit der tatsächlich erfolgten vierwöchigen Bettruhe eine zumindest gut vertretbare Behandlungsmethode gewesen sei. Schließlich komme es bei derartigen Frakturen in einer größeren Zahl der Fälle auch bei fehlerfreier Behandlung zur Ausbildung einer Pseudarthrose und zu einem für den Patienten unbefriedigenden Heilungsergebnis. Die Klägerin sei daher beweisfällig geblieben. Beweiserleichterungen unterhalb der Beweislastumkehr würden ihr angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, daß sich bei früherem Erkennen der Fraktur und Mobilisierung unter Teilentlastung durch Unterarmgehstützen am späteren Heilungsverlauf nichts geändert hätte, nicht weiterhelfen. Die Berufung habe auch hinsichtlich des Feststellungsantrags keinen Erfolg. Da Folgen des Behandlungsfehlers ausschließlich für die Zeit bis zum 3. Juli 1998 hätten festgestellt werden können, bestünden keine Anhaltspunkte für die Möglichkeit künftiger materieller Schäden als Folge des Behandlungsfehlers.
II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. 1. Ohne Rechtsfehler und von der Revision als ihr günstig nicht angegriffen hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, daß eine Abklärung der von der Klägerin nach Beginn der Mobilisierung geklagten Schmerzen durch eine Röntgenaufnahme hätte veranlaßt werden müssen, daß die Beckenringfraktur bei dieser Untersuchung erkannt worden wäre und daß eine Fehlreaktion auf diesen Befund, insbesondere eine Fortsetzung der Mobilisierung ohne gleichzeitige (Teil)Entlastung durch Unterarmgehstützen schlechthin unver-ständlich und grob fehlerhaft gewesen wäre. Die Revision wendet sich auch nicht gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, es sei zwar nicht auszuschließen , daß der festgestellte Behandlungsfehler die Pseudarthrose und die weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin mitverursacht habe, dies sei jedoch unwahrscheinlich, wenn auch nicht gänzlich unwahrscheinlich. 2. Auf dieser Grundlage beanstandet die Revision jedoch zu Recht, daß das Berufungsgericht eine Beweislastumkehr hinsichtlich der ursächlichen Auswirkungen des Behandlungsfehlers verneint hat.
a) Das Berufungsgericht meint, aus der Rechtsprechung des erkennenden Senats ergebe sich, daß es in der Verantwortung des Tatrichters im Einzelfall liege, über die Zubilligung von Beweiserleichterungen sowie über Umfang und Qualität der eintretenden Beweiserleichterungen zu entscheiden. Das trifft jedoch in dieser Form nicht zu.
b) Zwar hat der erkennende Senat verschiedentlich die Formulierung verwendet, daß ein grober Behandlungsfehler, der geeignet sei, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, für den Patienten „zu Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast“ führen könne (vgl. Senatsurteile BGHZ 72, 132, 133 f.; 85, 212, 215 f.; vom 16. Juni 1981 - VI ZR 38/80 - VersR 1981, 954, 955; vom 7. Juni 1983 - VI ZR 284/81 - VersR 1983, 983, 984; vom 29. März 1988 - VI ZR 185/87 - VersR 1988, 721, 722; vom 18. April 1989 - VI ZR 221/88 - VersR 1989, 701 f.; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - VersR 1997, 362, 363). Insofern kommt jedoch dem Begriff "Beweiserleichterungen" gegenüber der Beweislastumkehr keine eigenständige Bedeutung bei. Soweit es in einigen Entscheidungen heißt (vgl. Senatsurteile vom 28. Juni 1988 - VI ZR 217/87 – VersR 1989, 80, 81; vom 26. Oktober 1993 - VI ZR 155/92 - VersR 1994, 52, 53; vom 4. Oktober 1994 - VI ZR 205/93 -
VersR 1995, 46, 47), daß das Ausmaß der dem Patienten zuzubilligenden Beweiserleichterungen im Einzelfall danach abzustufen sei, in welchem Maße wegen der besonderen Schadensneigung des Fehlers das Spektrum der für den Mißerfolg in Betracht kommenden Ursachen verbreitert oder verschoben worden sei, betrifft dies die Schadensneigung des groben Behandlungsfehlers, also die Frage seiner Eignung, den Gesundheitsschaden des Patienten herbeizuführen. Insoweit geht es um die Bewertung und beweisrechtlichen Konsequenzen eines groben Behandlungsfehlers im konkreten Einzelfall.
c) Das hat der erkennende Senat in zahlreichen neueren Entscheidungen verdeutlicht und dabei klargestellt, daß es der Sache nach um die Umkehr der Beweislast geht und daß deren Verlagerung auf die Behandlungsseite im Hinblick auf die geringe Schadensneigung des Fehlers nur ausnahmsweise dann ausgeschlossen ist, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen grobem Behandlungsfehler und Schaden gänzlich bzw. äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 129, 6, 12; 138, 1, 8; vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95 - VersR 1996, 1535, 1536; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - VersR 1997, 362, 364; vom 27. Januar 1998 - VI ZR 339/96 - VersR 1998, 585, 586; vom 27. Juni 2000 - VI ZR 201/99 - VersR 2000, 1282, 1283).
d) Bei dieser Betrachtungsweise kann der Formulierung „Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr“ nicht die Bedeutung zukommen, die das Berufungsgericht ihr beilegen will. Vielmehr führt ein grober Behandlungsfehler , der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen , grundsätzlich zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden. Dafür reicht aus, daß der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahelegen oder wahrscheinlich machen muß der Fehler den Schaden hingegen nicht (vgl. Senatsurteile BGHZ
85, 212, 216 f.; vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95 - aaO - jeweils m.w.N.; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - aaO; Nichtannahmebeschluß vom 3. Mai 1994 - VI ZR 340/93 - VersR 1994, 1067). Deshalb ist eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite nur ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 129, 6, 12; 138, 1, 8; vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95 - aaO; vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - aaO; vom 27. Januar 1998 - VI ZR 339/96 - aaO; vom 27. Juni 2000 - VI ZR 201/99 - aaO). Gleiches gilt, wenn sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen läßt (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 1981 - VI ZR 38/80 - aaO) oder wenn der Patient durch sein Verhalten eine selbständige Komponente für den Heilungserfolg vereitelt hat und dadurch in gleicher Weise wie der grobe Behandlungsfehler des Arztes dazu beigetragen hat, daß der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann (vgl. KG, VersR 1991, 928 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 19. Februar 1991 - VI ZR 224/90; OLG Braunschweig, VersR 1998, 459 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 20. Januar 1998 - VI ZR 161/97). Das Vorliegen einer derartigen Ausnahmekonstellation hat allerdings der Arzt zu beweisen (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 1981 - VI ZR 38/80 - aaO; vom 28. Juni 1988 - VI ZR 217/87 - aaO; Groß, Festschrift für Geiß, S. 429, 431).
e) Liegen die oben dargestellten Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr vor, so darf sich der Tatrichter nicht darauf beschränken, dem Patienten statt der vollen Beweislastumkehr lediglich abgestufte Beweiserleichterungen zu gewähren, die im übrigen - wie das Berufungsgericht erkennt - der durch den Behandlungsfehler geschaffenen Beweisnot nicht abhelfen könnten. Diese Betrachtungsweise trägt auch den im Schrifttum geäußerten Bedenken Rechnung, daß ein "Ermessen" des Tatrichters bei der Anwendung von Beweislastregeln
dem Gebot der Rechtssicherheit zuwiderlaufen würde. Nach diesem müssen der Rechtssuchende bzw. sein Anwalt in der Lage sein, das Prozeßrisiko in tatsächlicher Hinsicht abzuschätzen. Des weiteren würde die Gleichheit der Rechtsanwendung infolge richterlicher Willkür gefährdet sein (vgl. Laumen, NJW 2002, 3739, 3741 m.w.N.; Leipold, Beweismaß und Beweislast im Zivilprozeß S. 21, 26; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 468 f.; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, 2. Aufl., § 823 Anhang C II Rdn. 3; Laufs-Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 110 Rdn. 3). Deshalb erfolgt die Zuweisung des Risikos der Klärung eines entscheidungserheblichen Tatbestandsmerkmals und damit die Verteilung der objektiven Beweislast in abstrakt-genereller Form. Sie muß vor dem Prozeß grundsätzlich feststehen und kann auch während des Prozesses nicht ohne weiteres vom Gericht nach seinem Ermessen verändert werden (vgl. BVerfG, NJW 1979, 1925; Laumen, NJW 2002, aaO). Eine flexible und angemessene Lösung wird im Arzthaftungsprozeß im Einzelfall dadurch gewährleistet , daß dem Tatrichter die Wertung des Behandlungsgeschehens als grob fehlerhaft vorbehalten ist, wobei er freilich die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen zugrundezulegen hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 138, 1, 6 f.; vom 3. Juli 2001 - VI ZR 418/99 - VersR 2001, 1116 f. und vom 29. Mai 2001 - VI ZR 120/00 - VersR 2001, 1030 f. jeweils m.w.N.).
f) Diese dargestellten Grundsätze gelten nicht nur für den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen einem groben Behandlungsfehler und dem eingetretenen Gesundheitsschaden, sie gelten entsprechend für den Nachweis des Kausalzusammenhangs bei einem einfachen Befunderhebungsfehler, wenn - wie im vorliegenden Fall - zugleich auf einen groben Behandlungsfehler zu schließen ist, weil sich bei der unterlassenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, daß sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde, d.h. für die zweite Stufe der vom Senat ent-
wickelten Beweiserleichterungen nach einem einfachen Befunderhebungsfehler (vgl. dazu Senatsurteile BGHZ 132, 47, 52 ff.; vom 6. Juli 1999 - VI ZR 290/98 – VersR 1999, 1282, 1283; vom 29. Mai 2001 – VI ZR 120/00 – aaO; vom 8. Juli 2003 - VI ZR 394/02 – VersR 2003, 1256, 1257; vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02 - zur Veröffentlichung vorgesehen - jeweils m.w.N.; Groß, aaO, S. 429, 432 ff.; Steffen, Festschrift für Hans Erich Brandner, S. 327, 334 ff.). Ist das Verkennen des gravierenden Befundes oder die Nichtreaktion auf ihn generell geeignet, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen , tritt also - wenn nicht ein Ursachenzusammenhang zwischen dem ärztlichen Fehler und dem Schaden äußerst unwahrscheinlich ist - grundsätzlich eine Beweislastumkehr ein. In einem derartigen Fall führt nämlich bereits das - nicht grob fehlerhafte - Unterlassen der gebotenen Befunderhebung wie ein grober Behandlungsfehler zu erheblichen Aufklärungsschwierigkeiten hinsichtlich des Kausalverlaufs. Es verhindert die Entdeckung des wahrscheinlich gravierenden Befundes und eine entsprechende Reaktion darauf mit der Folge, daß hierdurch das Spektrum der für die Schädigung des Patienten in Betracht kommenden Ursachen besonders verbreitert oder verschoben wird (Groß, aaO, S. 435).
g) So verhält es sich entgegen der Auffassung des Beru fungsgerichts auch im vorliegenden Fall. Der (einfache) Befunderhebungsfehler der Beklagten hat die gebotene und zur Vermeidung des eingetretenen Schadens geeignete Reaktion auf die Beckenringfraktur verhindert und damit die Aufklärung des hypothetischen weiteren Krankheitsverlaufs, der für die Klägerin erheblich günstiger hätte sein können, erschwert. Mithin hätte sich ohne das Fehlverhalten der Beklagten gezeigt, ob bei der Klägerin auch bei fehlerfreier Behandlung des Beckenringbruchs Dauerfolgen in Form einer Pseudarthrose und von andauernden Schmerzen aufgetreten wären.
III.
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben . Es ist aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Müller Greiner Diederichsen
Pauge Zoll
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerinnen sind die Töchter und Erbinnen der am 17. Oktober 2003 verstorbenen Frau K. (im Folgenden: Erblasserin). Sie nehmen die Beklagten (behandelnde Ärztin und Krankenhausträger) wegen behaupteter Befunderhebungs -, Diagnose- und Dokumentationsfehler auf Zahlung von Schmerzensgeld und materiellem Schadensersatz in Anspruch.
- 2
- Bei der Erblasserin wurde bereits mehrere Jahre vor dem 3. Februar 2002 eine Migräne diagnostiziert. Sie befand sich deshalb u.a. in Behandlung beim ehemaligen Beklagten zu 3. Wegen bereits seit mehreren Tagen andau- ernder Kopfschmerzen suchte die Erblasserin am 3. Februar 2002 den ärztlichen Notdienst auf. Wie lange die Kopfschmerzen zu diesem Zeitpunkt bereits genau andauerten, ist zwischen den Parteien streitig. Der Notarzt ordnete die Einweisung ins Krankenhaus an. Der erhobene neurologische Untersuchungsbefund war unauffällig. Es wurde dokumentiert, dass keine Hinweise auf eine fokale zerebrale Störungssymptomatik bestünden, insbesondere keine Hinweise auf eine epileptische Aktivität. Angaben zur Art und Ausprägung der Kopfschmerzen wurden nicht festgehalten. Die Beklagte zu 1 entschloss sich zu einer Gabe Aspisol (ein Aspirinmittel) und einer Gabe MCP (gegen die Übelkeit). Was danach geschah, ist zwischen den Parteien streitig. Die Verweildauer der Erblasserin nach der Injektion wurde von der Beklagten zu 1 nicht dokumentiert.
- 3
- Am 4. Februar 2002 verschlechterte sich bei der Erblasserin das Krankheitsbild mit dem Auftreten einer symptomatischen Epilepsie (generalisierter Status epilepticus); es wurde eine Hirnvenenthrombose diagnostiziert. Die Erblasserin erlitt im Rahmen des Status epilepticus eine schwere hirndiffuse Schädigung und verstarb aufgrund der mit der Hirnvenenthrombose auftretenden Komplikationen.
- 4
- Die Klägerinnen haben geltend gemacht, bei der von der Beklagten zu 1 geschilderten Symptomatik seien bereits am 3. Februar 2002 weitere diagnostische Maßnahmen erforderlich gewesen, so dass die Hirnvenenthrombose bereits rund 20 Stunden früher hätte diagnostiziert und eine gezielte Therapie (z.B.) mit Heparin hätte eingeleitet werden können. In diesem Fall wären die schwerwiegenden Folgen bei der Erblasserin nicht eingetreten.
- 5
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen den Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
- 6
- Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, dass die - unstreitig - unterlassene Dokumentation der Verlaufskontrolle betreffend die Wirkung der verabreichten Medikamente einen erheblichen Dokumentationsmangel darstelle. Den Beweis, dass eine solche Kontrolle doch erfolgt sei, könnten die Beklagten nicht führen. Infolge dessen liege ein gravierender Diagnosefehler vor mit der Folge der versäumten rechtzeitigen, in den Leitlinien der neurologischen Fachgesellschaft empfohlenen Therapie. Eine Verlaufskontrolle hätte im Streitfall bei Ausbleiben eines positiven Effektes der verabreichten Schmerzmittel Anlass zu weiteren diagnostischen Maßnahmen geboten, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen reaktionspflichtigen Befund ergeben hätten. Soweit das Verkennen des gravierenden Befundes oder die Nichtreaktion auf ihn generell geeignet erscheine, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen, trete aber - wenn nicht ein Ursachenzusammenhang zwischen dem ärztlichen Fehler und dem Schaden äußerst unwahrscheinlich sei - grundsätzlich eine Beweislastumkehr ein. Ein Fall äußerster Unwahrscheinlichkeit lasse sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen. Allerdings erstrecke sich die Beweislastumkehr grundsätzlich nur auf den Beweis der Ursächlichkeit des Befunderhebungsfehlers für den haftungsbegründenden Primärschaden (= nicht rechtzeitige Erkennung der Thrombose) sowie auf Sekundärschäden als typische Folge der Primärverletzung. Auf die haftungsausfüllende Kausalität, d.h. den Kausalzusammenhang zwischen körperlicher oder gesundheitlicher Primärschädigung und weiteren Gesundheits- schäden, werde die Beweislastumkehr grundsätzlich nicht ausgedehnt. Insoweit bleibe es bei der Beweislast des Patienten.
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- Im Streitfall stelle sich die Abgrenzung zwischen Primär- und Sekundärschaden als schwierig dar. Denn die Hirnvenenthrombose (als solche) und die Epilepsie stünden irgendwie in einem Kontext. Andererseits sei die Epilepsie keine unmittelbare Folge des Behandlungsfehlers. Der Gerichtssachverständige habe ausgeführt, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der verzögerte Beginn der Antikoagulation zu einer belegten morphologischen Schädigung am Hirn geführt habe. Er habe mehrfach davon gesprochen, dass die Erblasserin nicht an den Folgen einer Hirngewebeschädigung gestorben sei, sondern an den Folgen der Epilepsie. Die eingetretenen Folgen seien am ehesten als Folgen der Verkrampfungen zu erklären und stünden damit nur in einem Kontext mit der Hirnvenenthrombose. Wenn sich aber insoweit schon kein typischer Zusammenhang zwischen Hirnvenenthrombose und Epilepsie feststellen lasse, müsse dies erst recht gelten für den Zusammenhang zwischen dem verspäteten Beginn der Gabe von Heparin und der Epilepsie. Im Hinblick auf diesen allenfalls losen Zusammenhang könne die Epilepsie auf dem vorgenannten Strahl (Primär-, notwendiger Sekundär- und sonstiger Sekundärschaden) allenfalls als sonstiger Sekundärschaden eingeordnet werden.
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- Die Klägerinnen trügen demnach weiter die Beweislast dafür, dass die Schadensfolge von den Beklagten verursacht sei. Diesen Beweis könnten sie aber, aus dem vom Sachverständigen immer wieder betonten Grund, dass es keinerlei gesicherte Erkenntnis über den therapeutischen Wert der Gabe von Heparin gebe, auch nach dem geminderten Beweismaß von § 287 ZPO nicht führen.
II.
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- Die zulässige Revision hat Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.
- 10
- 1. Das Berufungsgericht geht ersichtlich von einem einfachen Befunderhebungsfehler - und nicht von einem Diagnosefehler aus. Es prüft, ob deshalb den Klägerinnen eine Beweislastumkehr nach Maßgabe der vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätze zugute kommt und die Feststellung rechtfertigt, dass die von der Beklagten zu 1 unterlassene Verlaufskontrolle für den Tod der Erblasserin kausal geworden ist. Die Verneinung des Kausalzusammenhangs erweist sich auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen als rechtsfehlerhaft.
- 11
- a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats erfolgt bei der Unterlassung der gebotenen Befunderhebung eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität, wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt (vgl. Senatsurteile vom 13. Januar 1998 - VI ZR 242/96, BGHZ 138, 1, 5 f.; vom 29. September 2009 - VI ZR 251/08, VersR 2010, 115 Rn. 8; vom 13. September 2011 - VI ZR 144/10, VersR 2011, 1400 Rn. 8). Zudem kann auch eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen (vgl. Senatsurteile vom 13. Februar 1996 - VI ZR 402/94, BGHZ 132, 47, 52 ff.; vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03, BGHZ 159, 48, 56; vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02, VersR 2004, 790, 792; vom 7. Juni 2011 - VI ZR 87/10, VersR 2011, 1148 Rn. 7; vom 13. September 2011 - VI ZR 144/10, aaO). Wahrscheinlich braucht der Eintritt eines solchen Erfolgs nicht zu sein. Eine Umkehr der Beweislast ist nur ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03, aaO, 56 f.; vom 7. Juni 2011 - VI ZR 87/10, aaO; vom 13. September 2011 - VI ZR 144/10, aaO). Nach diesen Grundsätzen kommt eine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerinnen in Betracht. Denn für die rechtliche Prüfung ist entsprechend den im Berufungsurteil festgestellten und unterstellten tatsächlichen Umständen davon auszugehen , dass bei einer Verlaufskontrolle der verordneten Medikation deren Wirkungslosigkeit festgestellt worden wäre, die sodann gebotene weitere Befunderhebung zur Feststellung der Hirnvenenthrombose am 3. Februar 2002 - statt am 4. Februar 2002 - geführt hätte und die Ärzte der Beklagten zu 2 darauf sogleich mit der Gabe von Heparin hätten reagieren müssen.
- 12
- b) Allerdings finden die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Beweislastumkehr für den Kausalitätsbeweis bei groben Behandlungsfehlern grundsätzlich nur Anwendung, soweit durch den Fehler des Arztes unmittelbar verursachte haftungsbegründende Gesundheitsverletzungen (Primärschäden) in Frage stehen. Für den Kausalitätsnachweis für Folgeschäden (Sekundärschäden), die erst durch die infolge des Behandlungsfehlers eingetretene Gesundheitsverletzung entstanden sein sollen, gelten sie nur dann, wenn der Sekundärschaden eine typische Folge des Primärschadens ist. Hinsichtlich der Haftung für Schäden, die durch eine (einfach oder grob fehlerhaft ) unterlassene oder verzögerte Befunderhebung entstanden sein könnten , gilt nichts anderes (Senatsurteile vom 21. Oktober 1969 - VI ZR 82/68, VersR 1969, 1148, 1149; vom 9. Mai 1978 - VI ZR 81/77, VersR 1978, 764, 765; vom 28. Juni 1988 - VI ZR 210/87, VersR 1989, 145; vom 16. November 2004 - VI ZR 328/03, VersR 2005, 228, 230; vom 12. Februar 2008 - VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn. 13).
- 13
- Das Berufungsgericht meint, nach Maßgabe dieser Rechtsprechung greife im Streitfall eine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerinnen nicht ein. Das ist nicht richtig.
- 14
- Der vom Berufungsgericht angenommene Sachverhalt rechtfertigt nicht die Annahme, die von der Erblasserin erlittene Epilepsie sei Teil des Sekundärschadens , auf den sich die Beweislastumkehr nicht beziehe.
- 15
- aa) Die haftungsbegründende Kausalität betrifft die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Rechtsgutsverletzung, also für den so genannten Primärschaden des Patienten im Sinne einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit. Dagegen betrifft die haftungsausfüllende Kausalität den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Rechtsgutsverletzung und weiteren Gesundheitsschäden (vgl. Senatsurteil vom 12. Februar 2008 - VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn. 9; vom 22. Mai 2012 - VI ZR 157/11, VersR 2012, 905 Rn. 10).
- 16
- bb) Rechtsgutsverletzung (Primärschaden), auf die sich die haftungsbegründende Kausalität ausrichtet, ist - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht die nicht rechtzeitige Erkennung einer bereits vorhandenen behandlungsbedürftigen Gesundheitsbeeinträchtigung, hier der Hirnvenenthrombose. Die geltend gemachte Körperverletzung (Primärschaden) ist vielmehr in der durch den Behandlungsfehler herbeigeführten gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung zu sehen (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 2008, aaO, Rn. 10 und vom 21. Juli 1998 - VI ZR 15/98, VersR 1998, 1153 - juris Rn. 11). Das heißt im Streitfall ist Primärschaden die gesund- heitliche Befindlichkeit der Erblasserin, die dadurch entstanden ist, dass am 3. Februar 2002 die klinische Verlaufskontrolle und - in der Folge dieses Umstandes - weitere Untersuchungen und die Behandlung der dann entdeckten Hirnvenenthrombose bereits an diesem Tage unterblieben. Zu dieser gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung gehörte auch ein dadurch etwa geschaffenes oder erhöhtes Risiko der Erblasserin, eine Epilepsie - und dies mit tödlichen Folgen - zu erleiden.
- 17
- 2. Das Berufungsgericht hat unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt Feststellungen nicht getroffen.
- 18
- Daher ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats erneut prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr aufgrund der getroffenen oder zusätzlich, evtl. aufgrund weiterer Beweiserhebung, zu treffender Feststellungen zu bejahen sind. Dabei werden auch die im Revisionsverfahren vorgetragenen Gesichts- punkte, insbesondere auch die Gegenrügen der Revisionserwiderung, zu erwägen sein. Galke Zoll Diederichsen Pauge von Pentz
LG Dessau-Roßlau, Entscheidung vom 27.07.2010 - 4 O 233/09 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 15.12.2011 - 1 U 75/10 -
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.