Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 25. Okt. 2016 - 4 Ws 313/16

ECLI:ECLI:DE:OLGHAM:2016:1025.4WS313.16.00
bei uns veröffentlicht am25.10.2016

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, auf Kosten des Beschwerdeführers (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.


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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

Strafgesetzbuch - StGB | § 67d Dauer der Unterbringung


(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich

Strafgesetzbuch - StGB | § 67e Überprüfung


(1) Das Gericht kann jederzeit prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist. Es muß dies vor Ablauf bestimmter Fristen prüfen. (2) Die Fristen betragen bei der Unterbringung in

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Tenor Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. März 2014 und 11. Februar 2014 - III-4 Ws 12/14 - sowie der Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 13. November 2013 - III-1 StVK 45/13 - v

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Tenor Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 18. Januar 2012 wird als unbegründet v e r w o r f e n . Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Gründe   I.

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(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Das Gericht kann jederzeit prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist. Es muß dies vor Ablauf bestimmter Fristen prüfen.

(2) Die Fristen betragen bei der Unterbringung
in einer Entziehungsanstalt sechs Monate,
in einem psychiatrischen Krankenhaus ein Jahr,
in der Sicherungsverwahrung ein Jahr, nach dem Vollzug von zehn Jahren der Unterbringung neun Monate.

(3) Das Gericht kann die Fristen kürzen. Es kann im Rahmen der gesetzlichen Prüfungsfristen auch Fristen festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag auf Prüfung unzulässig ist.

(4) Die Fristen laufen vom Beginn der Unterbringung an. Lehnt das Gericht die Aussetzung oder Erledigungserklärung ab, so beginnen die Fristen mit der Entscheidung von neuem.

Tenor

Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. März 2014 und 11. Februar 2014 - III-4 Ws 12/14 - sowie der Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 13. November 2013 - III-1 StVK 45/13 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 25.000 Euro (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verletzung des Freiheitsrechts des Beschwerdeführers durch die Nichteinhaltung der Überprüfungsfrist des § 67e Abs. 2 StGB bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.

I.

2

1. a) Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Essen vom 28. Dezember 2005 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Des Weiteren wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

3

b) Mit Beschluss vom 15. Dezember 2010 ordnete das Landgericht Arnsberg den Vollzug der Sicherungsverwahrung an und lehnte eine bedingte Entlassung des Beschwerdeführers ab. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird seit dem 12. Juli 2011 vollstreckt.

4

c) Einen Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung, mit dem dieser die Unterbringungsbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Werl insbesondere hinsichtlich der Größe und Ausstattung des ihm zugewiesenen Unterbringungsraums rügte, wies das Landgericht Arnsberg mit Beschluss vom 15. Mai 2012 zurück.

5

d) Mit Beschluss vom 14. März 2013 beauftragte das Landgericht Arnsberg den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie B. mit der Begutachtung des Beschwerdeführers. Der Sachverständige bestätigte unter dem 26. April 2013 "den heutigen Eingang" des Gutachtenauftrags sowie des Vollstreckungsheftes und bat um baldmöglichste Zusendung der Haupt- und Vorstrafenakten; auf das Fehlen dieser Akten wies der Sachverständige mit Schreiben vom 12. Juni 2013 erneut hin.

6

e) Mit Schreiben vom 19. August 2013 - abgesandt am 23. August 2013 - wurde der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers das am 13. August 2013 bei Gericht eingegangene Gutachten des Sachverständigen vom 8. August 2013 übersandt. Nachdem ein für den 16. Oktober 2013 anberaumter Anhörungstermin aufgrund einer Verhinderung des Sachverständigen aufgehoben worden war, fand dessen Anhörung im Beisein des Beschwerdeführers schließlich am 13. November 2013 statt.

7

f) Mit angegriffenem Beschluss vom 13. November 2013 stellte das Landgericht Arnsberg fest, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung werde nicht für erledigt erklärt und nicht zur Bewährung ausgesetzt. Feststellungen zur Überschreitung der Überprüfungsfrist gemäß § 67e Abs. 2 StGB enthielt der Beschluss nicht.

8

g) Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers, mit der dieser die nicht rechtzeitige Beschlussfassung rügte, verwarf das Oberlandesgericht Hamm mit angegriffenem Beschluss vom 11. Februar 2014 "aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses" als unbegründet.

9

h) Die hiergegen erhobene Anhörungsrüge, mit der der Beschwerdeführer wiederum die Dauer des Überprüfungsverfahrens und die fehlende Auseinandersetzung der Gerichte hiermit beanstandete, verwarf das Oberlandesgericht Hamm mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 20. März 2014 als unzulässig, da das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers nicht verletzt worden sei. Dies ergebe sich aus dem Vermerk der Generalstaatsanwaltschaft vom 23. Januar 2014, welcher der Verteidigerin mit Verfügung vom 28. Januar 2014 übermittelt worden sei.

10

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer die Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer und des Oberlandesgerichts an. Er rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG und vertritt die Auffassung, die Überschreitung der Prüfungsfrist sei der Gleichgültigkeit und einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung seines Freiheitsgrundrechts geschuldet.

11

3. Die Fortdauer der Unterbringung wurde zwischenzeitlich erneut mit rechtskräftigem Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 28. April 2015 angeordnet.

II.

12

1. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen.

13

2. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde für aussichtsreich. Das Oberlandesgericht, welches den Ausführungen des Landgerichts vollumfänglich gefolgt sei, habe sich in keiner Weise mit der Tatsache der Überschreitung der Prüffrist des § 67e StGB auseinandergesetzt. Unterlasse das Gericht jegliche Auseinandersetzung mit dieser Frage, obwohl sich eine Erörterung sowohl aufgrund der objektiven Gegebenheiten des Verfahrensgangs (Offensichtlichkeit der Fristüberschreitung) als auch aufgrund der ausdrücklichen Beanstandung durch den Beschwerdeführer hätte aufdrängen müssen, werde der Beschwerdeführer dadurch in seinen Grundrechten verletzt.

14

3. Dem Bundesverfassungsgericht hat das Vollstreckungsheft vorgelegen.

III.

15

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), und gibt ihr statt. Nach den Maßstäben, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt sind, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet (§ 93b, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

16

1. a) Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>). Zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände jedoch auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung bestimmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. November 2011 - 2 BvR 1665/10 -, juris, Rn. 10). Das gilt auch für die Unterbringung eines Straftäters in der Sicherungsverwahrung nach Maßgabe des § 66 StGB.

17

Der Gesetzgeber hat im Hinblick auf das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Untergebrachten für die Vollstreckung der Maßregel besondere Regelungen getroffen. So kann die Strafvollstreckungskammer die Aussetzungsreife der Maßregel jederzeit überprüfen; sie ist dazu seit der zum 1. Juni 2013 in Kraft getretenen Änderung des § 67e Abs. 2 StGB durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes in der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl I S. 2425) jeweils spätestens vor Ablauf eines Jahres verpflichtet (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. November 2011 - 2 BvR 1665/10 -, juris, Rn. 11). Vor diesem Zeitpunkt betrug die Überprüfungsfrist gemäß § 67e Abs. 2 StGB a.F. zwei Jahre.

18

Die Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung dienen der Wahrung des Übermaßverbots bei der Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGK 4, 176 <181>; 5, 67 <68>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Mai 2008 - 2 BvR 1615/07 -, juris, Rn. 17; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvR 1334/10 -, juris, Rn. 16). Ihre Missachtung kann dieses Grundrecht verletzen, wenn es sich um eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht handelt, die auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts schließen lässt (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; 72, 105 <114 f.>; BVerfGK 4, 176 <181>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvR 1334/10 -, juris, Rn. 16).

19

Zwar führt nicht jede Verzögerung des Geschäftsablaufs in Unterbringungssachen, die zu einer Überschreitung der einschlägigen Fristvorgaben führt, automatisch auch zu einer Grundrechtsverletzung, weil es zu solchen Verzögerungen auch bei sorgfältiger Führung des Verfahrens kommen kann (BVerfGK 4, 176 <181>). Es muss jedoch sichergestellt sein, dass der Geschäftsgang der Kammer in der Verantwortung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters eine Fristenkontrolle vorsieht, die die Vorbereitung einer rechtzeitigen Entscheidung vor Ablauf der Jahresfrist sicherstellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene in aller Regel persönlich anzuhören ist und dass auch für eine sachverständige Begutachtung ausreichend Zeit verbleibt, soweit die Kammer eine solche für erforderlich halten sollte. Die gesetzliche Entscheidungsfrist lässt dafür ausreichend Raum (vgl. BVerfGK 4, 176 <181>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvR 1334/10 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. November 2011 - 2 BvR 1665/10 -, juris, Rn. 12). Gründe für eine etwaige Fristüberschreitung sind zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in der Fortdauerentscheidung darzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvR 1334/10 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. November 2011 - 2 BvR 1665/10 -, juris, Rn. 12).

20

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen an Entscheidungen werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht.

21

Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers ist nicht innerhalb der von § 67e Abs. 2 StGB vorgegebenen Überprüfungsfrist ergangen. Da die Sicherungsverwahrung seit dem 12. Juli 2011 vollstreckt wurde und nach § 67e Abs. 4 Satz 1 StGB die Überprüfungsfristen vom Beginn der Unterbringung an laufen, hätte nach § 67e Abs. 2 StGB in der bis zum 31. Mai 2013 gültigen Fassung die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung spätestens nach zwei Jahren seit Vollstreckungsbeginn erfolgen müssen. Stattdessen hat das Landgericht erst am 13. November 2013 die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet, indem es deren Nichterledigung festgestellt und eine Aussetzung abgelehnt hat.

22

Demgegenüber kann als Zeitpunkt des Beginns der Überprüfungsfrist auch nicht auf den Beschluss des Landgerichts vom 15. Mai 2012 abgestellt werden. Gegenstand dieses Beschlusses war, wie im Beschluss selbst ausdrücklich dargelegt wird, ausschließlich die Frage, ob die Entscheidung, "den Antrag des Antragstellers auf Zuweisung eines größeren und besser ausgestatteten Haftraumes (bzw. Unterbringungsraumes, da sich der Antragsteller nicht in Strafhaft befindet) zurückzuweisen, rechtmäßig" war. Eine Überprüfung und Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung ist mit diesem Beschluss nicht verbunden. Dem entspricht, dass im Vollstreckungsheft der 11. Juli 2013 als nächster Überprüfungstermin vermerkt worden war.

23

Demgemäß endete selbst bei Außerachtlassung der mit dem Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl I S. 2425) einhergehenden Verkürzung der Überprüfungsfrist auf ein Jahr die Frist zur Überprüfung der Unterbringung des Beschwerdeführers spätestens am 12. Juli 2013.

24

Gleichwohl haben weder die Strafvollstreckungskammer noch das Oberlandesgericht die mit der Fortdauerentscheidung am 13. November 2013 verbundene nicht unerhebliche Fristüberschreitung von vier Monaten in ihren Entscheidungen begründet. Zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG wäre jedoch im Fortdauerbeschluss darzulegen gewesen, warum die Strafvollstreckungskammer die Überprüfungsfrist um mehrere Monate überschritten hat.

25

Infolge der fehlenden Begründung ist nicht erkennbar, ob die Fristüberschreitung trotz sorgfältiger Führung des Verfahrens zustande kam oder ob sie auf einer Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht beruhte. Insbesondere erschließt sich nicht, warum zwischen dem Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens am 14. März 2013 und dem Eingang des Auftrages laut Schreiben des Sachverständigen vom 26. April 2013 ein Zeitraum von mehr als einem Monat lag, aus welchem Grund die Übersendung der Haupt- und Vorstrafenakten trotz Anmahnung durch den Sachverständigen zumindest bis zum 12. Juni 2013 unterblieb und warum zwischen dem Eingang des Sachverständigengutachtens am 13. August 2013 und der erstmaligen Anberaumung eines Anhörungstermins auf den 16. Oktober 2013 mehr als zwei Monate vergingen.

26

Bereits der Beschluss der Strafvollstreckungskammer enthält insoweit keinerlei Feststellungen. Das Oberlandesgericht hat die darin liegende Grundrechtsverletzung durch die Strafvollstreckungskammer in den Beschlüssen vom 11. Februar und 20. März 2014 vertieft, indem es lediglich auf die zutreffenden Gründe der angegriffenen Entscheidung beziehungsweise den Vermerk der Generalstaatsanwaltschaft vom 23. Januar 2014, der sich mit den Verfahrensabläufen nach Einleitung des Überprüfungsverfahrens im Februar 2013 nicht befasst, Bezug nimmt.

27

2. Es ist daher gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellen, dass die angegriffenen Beschlüsse des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. März 2014 und 11. Februar 2014 sowie des Landgerichts Arnsberg vom 13. November 2013 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG verletzen. Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Hamm sind jedoch nicht aufzuheben, da sie durch die Fortdauerentscheidung des Landgerichts Arnsberg vom 28. April 2015 mittlerweile prozessual überholt sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2014 - 2 BvR 2774/12 -, juris, Rn. 51).

28

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. dazu auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 18. Januar 2012 wird als unbegründet

v e r w o r f e n .

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht B. verurteilte den Angeklagten am 09. August 2011 wegen Diebstahls zu der Freiheitsstrafe von drei Monaten ohne Bewährung. Die Berufung wurde vom Landgericht R. durch Urteil vom 21. Dezember 2011 als unbegründet verworfen. Bis dahin war der Angeklagte nicht verteidigt.
Am 22. Dezember 2011 meldete sich für den Angeklagten der Verteidiger. Er legte gegen das Urteil Rechtsmittel ein und beantragte zugleich seine Beiordnung. Zur Begründung führte er aus, der Angeklagte sei durch das Amtsgericht K. nicht rechtskräftig zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt worden, deshalb müsse voraussichtlich unter Einbeziehung der Verurteilung in der vorliegenden Sache eine Gesamtstrafe von mehr als einem Jahr gebildet werden. Diesen Beiordnungsantrag lehnte der Vorsitzende der Kleinen Strafkammer mit Beschluss vom 18. Januar 2012 ab. Hiergegen wendet sich der Verteidiger mit seiner Beschwerde vom 24. Januar 2012.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig. Es wird vom Senat ungeachtet seines nicht ganz klaren Wortlauts dahin verstanden, dass der Angeklagte die Beschwerde führt. In der Sache erweist sich die Beschwerde als unbegründet, da ein Fall notwendiger Verteidigung im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO nicht vorliegt.
In dem Verfahren selbst liegen keine Umstände vor, die eine Verteidigung als notwendig erscheinen lassen. Die Schwere der angeklagten Tat begründet eine solche Notwendigkeit für sich genommen nicht. Maßgeblich für die Beurteilung ist vor allem die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung. Meist wird angenommen, dass die Erwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe die Grenze bildet, ab der regelmäßig Anlass zur Beiordnung besteht (Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage, § 140 Rn. 23 m.w.N.). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von nur drei Monaten, die aus Rechtsgründen nicht verschlechtert werden kann. Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage, die die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen, liegen nicht vor. Es geht um einen einfachen Ladendiebstahl, den der Angeklagte in vollem Umfang gestanden hat. Die Rechtsfolgenentscheidung zeigt ebenfalls keine besonderen Schwierigkeiten. Dies gilt gleichermaßen für die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, die der Verteidiger besonders angesprochen hat.
Auch der Umstand, dass aus der Strafe im vorliegenden Verfahren und aus der Strafe, die in dem inzwischen bei dem Landgericht Konstanz anhängigen Verfahren zu erwarten ist, voraussichtlich eine Gesamtstrafe von mehr als einem Jahr zu bilden sein wird, rechtfertigt es nicht, wegen der Schwere der Tat einen Fall notwendiger Verteidigung im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO anzunehmen.
Die Vorschriften der Strafprozessordnung über die notwendige Verteidigung und die Bestellung eines Verteidigers stellen sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verhandlungsführung dar. Der Beschuldigte muss die Möglichkeit haben, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dazu gehört auch, dass ein Beschuldigter, der die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag, in schwerwiegenden Fällen von Amts wegen und auf Staatskosten einen rechtskundigen Beistand (Verteidiger) erhält (BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1977, 2 BvR 462/77, juris Rn. 31; Meyer-Goßner a.a.O. § 140 Rn. 1 m.w.N.). Für die Bewertung, ob ein solcher schwerwiegender Fall vorliegt, kommt es deshalb zunächst auf das Gewicht der Rechtsfolgen an, die in dem betreffenden Verfahren, in dem sich der Beschuldigte verteidigen muss, zu erwarten sind, gegebenenfalls auf die zu erwartende Gesamtstrafe unter Einbeziehung vorangegangener Verurteilungen (für viele Meyer-Goßner, a.a.O. § 140 Rn. 23 m.w.N.). Darüber hinaus ist allerdings auch die Gesamtwirkung der Strafe zu berücksichtigen. Hierzu gehören sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Angeklagte infolge der Verurteilung zu befürchten hat, wie etwa ein drohender Bewährungswiderruf (Meyer-Goßner, a. a. O. § 140 Rn. 25 m.w.N.). Nach verbreiteter Auffassung gehören hierzu auch weitere gegen den Angeklagten anhängige Strafverfahren, in denen es zu einer Gesamtstrafenbildung kommen kann (OLG Hamm, StV 2004, 586; Wessing in Graf, StPO, § 140 Rn. 15; Laufhütte in KK, StPO, 6. Auflage, § 140 Rn. 21; Lüdersen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 140 Rn. 57 - jeweils m.w.N.).
Der Senat teilt die Auffassung, dass bei der Gesamtbewertung im Einzelfall auch andere anhängige Verfahren zu berücksichtigen sind, soweit bekannt. Diese „Berücksichtigung“ bedeutet aber keinen starren Schematismus. Ein geringfügiges Delikt wird nicht allein deshalb zur schweren Tat im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO, weil die Strafe später voraussichtlich in einem anderen Verfahren in eine Gesamtstrafenbildung von mehr als einem Jahr einzubeziehen sein wird. So hat z. B. das Landgericht Frankfurt die Notwendigkeit der Verteidigung in einem Fall verneint, in dem es nur um eine Geldstrafe von 25 Tagessätze wegen Schwarzfahrens ging, obwohl die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr in Betracht kam (LG Frankfurt, NStZ-RR 2011, 183). Es bedarf deshalb der Prüfung im Einzelfall, ob andere Verfahren und die Erwartung späterer Gesamtstrafenbildung das Gewicht des abzuurteilenden Falles tatsächlich so erhöhen, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ist. Dabei ist zu beachten, dass bei der Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen eine progressive Vollzugswirkung und damit eine Verschärfung des Strafübels eintreten kann (dazu Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Auflage, Rn. 4 vor § 52 m.w.N.; kritisch z. B. v. Heintschel-Heinegg in MünchKommStGB § 53 Rn. 6 m.w.N.). Dieser möglichen Progression wird aber von Gesetzes wegen bei der Gesamtstrafenbildung Rechnung getragen, § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB sieht lediglich eine Erhöhung der sog. Einsatzstrafe vor, § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB schreibt ausdrücklich vor, dass die Gesamtstrafe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen darf. Das bedeutet, dass bei einer späteren Gesamtstrafenbildung die Dauer der Strafverbüßung für die abzuurteilende Tat nicht verlängert, sondern von Gesetzes wegen verkürzt wird. Insofern liegt der Fall gerade anders als im Fall eines anderweitig drohenden Bewährungswiderrufs, der zu einer Erhöhung des Strafübels führen kann. Eine erhebliche Verschärfung des Strafübels kommt aber in Betracht, wenn durch die spätere Gesamtstrafenbildung in einem anderen Verfahren eine sonst mögliche Bewährung gefährdet wird.
In diesem Fall bewertet der Senat die Tat auch unter Berücksichtigung einer möglichen späteren Gesamtstrafenbildung nicht als so schwer, dass eine Verteidigung im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO geboten ist. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind der Schuldspruch wegen Diebstahls und die verhängte Freiheitsstrafe von drei Monaten ohne Bewährung. Sowohl eine Erhöhung dieser Strafe als auch die Bildung einer höheren Gesamtstrafe sind im Revisionsverfahren ausgeschlossen. Dass es später in einem anderen Verfahren voraussichtlich zu einer Einbeziehung dieser Strafe und zur Bildung einer Gesamtstrafe von mehr als einem Jahr kommen wird, sofern das angefochtene Urteil Bestand hat, erhöht das Gewicht der Rechtsfolgen in diesem Fall nicht. Gegenstand des anderweitig anhängigen Berufungsverfahrens ist die amtsgerichtliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 2 Monaten wegen räuberischer Erpressung. Die dort erstinstanzlich einbezogene Geldstrafe ist inzwischen durch Zahlung erledigt. In dieser Konstellation hat für die vorliegende Sache die Progressionswirkung durch die spätere Gesamtstrafenbildung kein höheres Gewicht als die damit verbundene Verkürzung der Strafverbüßungsdauer, die gem. §§ 54 Abs. 2 Satz 1, 39 2. Halbsatz StGB mindestens einen Monat, also ein Drittel der Strafe betragen wird. Auch für die Frage, ob die später zu bildende Gesamtstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, ist die Strafe in der vorliegenden Sache allenfalls von untergeordneter Bedeutung. Eine Verschärfung der Rechtsfolge, die in ihrem Gesamtgewicht auch nur annähernd einer Freiheitsstrafe von einem Jahr entspricht und damit die Mitwirkung eines Verteidigers gebieten könnte, ist ausgeschlossen.

Tenor

Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 1. November 2012 - 1 Ws 183/12 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.

Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Damit erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts D.

Gründe

A.

1

Die mit dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.

I.

2

1. a) Das Landgericht Neuruppin verurteilte den bereits zuvor mehrfach einschlägig in Erscheinung getretenen Beschwerdeführer mit Urteil vom 15. April 1994 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen und wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und ordnete zugleich seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an.

3

Der Beschwerdeführer hatte zwei zur Tatzeit 10- beziehungsweise 11-jährige Jungen mehrfach unter Androhung von Gewalt gegenüber deren Eltern oder Versprechungen dazu veranlasst, sexuelle Handlungen des Beschwerdeführers und die Anfertigung von Fotos ihrer Geschlechtsteile zu dulden.

4

b) Das sachverständig beratene Landgericht Neuruppin ging von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers im Sinne von § 21 StGB zur Tatzeit aus. Die bei dem Beschwerdeführer diagnostizierte Persönlichkeitsstörung, die sich primär durch eine Störung der Bindungsfähigkeit und eine intellektuelle Retardierung entwickelt habe und durch dissoziale, paranoide und querulatorische Züge sowie eine psychosexuelle Beeinträchtigung begleitet werde, erfülle die Voraussetzungen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB. Der Beschwerdeführer sei aufgrund dieser Erkrankung nicht in der Lage gewesen, nach einer vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln. Von ihm seien infolge seines Zustandes auch zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, da er in seinen sexuellen Vorstellungen und Wünschen auf 9- bis 13-jährige Kinder fixiert sei und sich jeder Therapiemöglichkeit verweigere.

5

c) Nach vollständiger Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe befindet sich der Beschwerdeführer seit dem 24. Juli 1998 im Maßregelvollzug, derzeit im A. Fachklinikum B.

6

2. Nachdem das Landgericht Potsdam mit Beschluss vom 16. März 2011 die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet hatte, erging ein erneuter Fortdauerbeschluss nach der mündlichen Anhörung des Beschwerdeführers am 6. März 2012. Der Beschluss wurde am 16. August 2012 zur Zustellung an die Beteiligten abgesandt und am 17. August 2012 zugestellt. Zur Begründung seiner Fortdauerentscheidung führte das Landgericht aus:

7

Die Voraussetzungen des § 67d Abs. 2 StGB lägen nicht vor, weil nicht zu erwarten sei, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde.

8

a) aa) Die behandelnden Ärzte hätten im Rahmen ihrer Stellungnahme die Ausgangsdiagnosen einer leichten Intelligenzminderung mit deutlichen Verhaltensstörungen (ICD 10 F 70.1), die Beobachtung und Behandlung erfordere, sowie einer homosexuellen Pädophilie (ICD 10 F 65.4) bestätigt. Der Beschwerdeführer habe aufgrund seiner bekannten Frustrationsintoleranz auf verschiedenen Stationen untergebracht werden müssen. Er verweigere nach wie vor die Teilnahme an sämtlichen Therapien, insbesondere einer Kriminaltherapie, und bringe zudem deutlich zum Ausdruck, dass er, soweit er die Gelegenheit dazu erhalte, wieder den Kontakt zu Kindern suchen werde.

9

bb) Der Beschwerdeführer sei im Berichtszeitraum auch durch einen externen Gutachter, den die behandelnde Klinik gemäß § 37 des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen sowie über den Vollzug gerichtlich angeordneter Unterbringung für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen im Land Brandenburg (Brandenburgisches Psychisch-Kranken-Gesetz - BbgPsychKG) beauftragt habe, untersucht worden. In seinem Gutachten sei dieser zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt nicht vermindert schuldfähig gewesen sei. Er habe dem Handlungsimpuls Widerstand entgegensetzen können, es jedoch nicht gewollt. Prognostisch seien Straftaten allerdings nur zu vermeiden, wenn der Beschwerdeführer lebenslang triebdämpfende Medikamente einnehme oder eine chirurgische Kastration vornehmen lasse. Da der Beschwerdeführer beides ablehne, sei er für Kinder weiterhin gefährlich.

10

cc) Die behandelnde Klinik vertrete demgegenüber die Auffassung, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage sei, seine Bedürfnisse aufzuschieben, so dass seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert sei.

11

b) aa) Soweit das Gutachten nach § 37 BbgPsychKG - unter Bestätigung der Diagnosen - zu dem Ergebnis gelangt sei, dass der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt nicht im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gehandelt habe, könne diese Auffassung keine Berücksichtigung finden, weil das Landgericht die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, dass die Störung die Anwendung der §§ 20, 21 StGB rechtfertige, hinnehmen müsse. Insoweit verbiete die materielle Rechtskraft des Urteils eine andere Bewertung. Vor diesem Hintergrund habe es auch nicht der mündlichen Anhörung des Sachverständigen und einer Auseinandersetzung mit seinen lediglich in diesem Punkt von den Ärzten abweichenden Ansichten bedurft.

12

bb) Der Beschwerdeführer sei nach wie vor nicht zur therapeutischen Aufarbeitung seiner devianten sexuellen Entwicklung sowie der durch ihn begangenen Straftaten bereit. Aufgrund des unveränderten Therapiestandes sei daher von einem hohen Rückfallrisiko bezüglich sexueller Übergriffe auf Kinder und mithin von der fortbestehenden Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die Allgemeinheit auszugehen, so dass die Fortdauer der Unterbringung unabdingbar sei. Diese sei trotz ihrer bereits langen Dauer angesichts des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes auch nicht unverhältnismäßig.

13

3. Das Brandenburgische Oberlandesgericht verwarf die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers mit angegriffenem Beschluss vom 1. November 2012 als unbegründet.

14

a) aa) Eine positive Kriminalprognose, wie sie § 67d Abs. 2 StGB fordere, habe das Landgericht Potsdam dem Beschwerdeführer mit ausführlicher und überzeugender Begründung, auf die Bezug genommen werde, nicht gestellt. Es habe seine Entscheidung dabei auf die Stellungnahme der behandelnden Klinik stützen dürfen, da diese eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage schaffe. In Ansehung der von dem Beschwerdeführer begangenen gravierenden Straftaten erweise sich die Dauer der bisherigen Unterbringung zudem als verhältnismäßig.

15

bb) (1) Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, aus dem Gutachten des externen Sachverständigen ergebe sich, dass das Landgericht Neuruppin bei seiner Verurteilung zu Unrecht von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen sei und die Voraussetzungen des § 63 StGB damit von Anfang an nicht vorgelegen hätten, sei dies im vorliegenden Verfahren ohne Bedeutung. Das Landgericht habe es zu Recht abgelehnt, die Maßregel nach § 67d Abs. 6 StGB für erledigt zu erklären. Auf den Fall, dass bereits die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf einer Fehldiagnose beruhe, also eine Fehleinweisung vorliege, sei die Vorschrift nicht anwendbar.

16

(2) Einer mündlichen Anhörung des externen Sachverständigen habe es daher nicht bedurft. Die Vorschriften der § 463 Abs. 4 Satz 4, § 454 Abs. 2 Satz 2 StPO, die eine Anhörung des externen Sachverständigen vorsähen, seien unmittelbar nur auf vom Gericht veranlasste Begutachtungen anwendbar. Von der behandelnden Klinik aufgrund landesrechtlicher Vorschriften in Auftrag gegebene Gutachten zögen allenfalls eine Anhörungspflicht nach sich, wenn das Gericht seine Entscheidung maßgeblich auf ein solches Gutachten stütze. Vorliegend habe das Landgericht sich jedoch aus den dargestellten Gründen nicht auf das Gutachten des externen Sachverständigen gestützt.

17

b) Der Beschluss des Landgerichts unterliege auch nicht wegen einer Überschreitung der Jahresfrist des § 67e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 StGB der Aufhebung.

18

Im Zeitpunkt der mündlichen Anhörung des Beschwerdeführers am 6. März 2012 sei die Jahresfrist des § 67e Abs. 2 StGB noch nicht abgelaufen gewesen. Das spätere Versäumnis des Landgerichts, die angefochtene Entscheidung erst über fünf Monate nach Ablauf der Jahresfrist abzufassen und zuzustellen, sei nicht geeignet, die Aufhebung des Beschlusses zu begründen. Eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht, die auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts schließen lasse, sei der Sachbehandlung durch das Landgericht nicht zu entnehmen, zumal die Fristüberschreitung als relativ mäßig anzusehen sei und die Situation des Beschwerdeführers sich seit März 2012 nicht entscheidend verändert habe.

19

4. Die Fortdauer der Unterbringung wurde zwischenzeitlich erneut mit Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 12. April 2013 angeordnet. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 27. Juni 2013 verworfen.

II.

20

Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angegriffenen Beschluss in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt.

21

Für das Verfahren der Überprüfung der Unterbringung gelte das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung, welches insbesondere die Pflicht zur Hinzuziehung eines erfahrenen Sachverständigen begründe, soweit es um Prognoseentscheidungen gehe, bei denen geistige und seelische Anomalien in Frage stünden. Insoweit sei die Hinzuziehung eines externen Sachverständigen umso dringender notwendig, wenn - wie vorliegend - nicht nur die Frage der aktuellen Gefährlichkeit des Untergebrachten einzuschätzen, sondern sogar die Frage nach einer möglichen Fehleinweisung zu klären sei. Da die Gerichte - obwohl zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Fehleinweisung vorgelegen hätten - auf die mündliche Anhörung des durch die Klinik beauftragten externen Sachverständigen verzichtet hätten, sei ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG zu bejahen.

III.

22

1. a) Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde für aussichtsreich. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts, mit denen es die Überschreitung der Prüfungsfrist des § 67e Abs. 2 StGB gebilligt habe, würden den von der Schutzfunktion dieser Obliegenheit für das Freiheitsrecht geprägten verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht (aa). Darüber hinaus unterlägen die Darlegungen zur Begründung des Absehens von einer mündlichen Anhörung des externen Sachverständigen im Hinblick auf die umfassende Pflicht zur Sachaufklärung Bedenken (bb).

23

aa) Die im Hinblick auf die fünfmonatige Überschreitung der Prüffrist des § 67e Abs. 2 StGB durch das Oberlandesgericht getätigten Ausführungen trügen weder der besonderen grundrechtssichernden Funktion der Prüffrist als solcher hinreichend Rechnung noch gingen sie näher auf den Gehalt der spezifischen Ursache für die Verzögerung und deren beträchtliche Dauer ein.

24

bb) Darüber hinaus habe es weiterer Aufklärung bedurft, ob der externe Sachverständige seine Aussagen zur Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers nur auf den Zeitpunkt der Begehung der Anlasstaten bezogen oder ihnen Gültigkeit auch für die jetzige Einschätzung des Zustandes des Beschwerdeführers habe zugestehen wollen. Auf diese Frage sei das Oberlandesgericht indes nicht eingegangen, sondern habe das Gutachten bereits aus rechtlichen Gründen als irrelevant angesehen. Infolgedessen habe es aber eine umfassende Würdigung des Gutachtens in seinem möglichen Einfluss auf die aktuell zu treffende Bewertung nicht vorgenommen. Dies lege eine Verkürzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf umfassende Sachaufklärung nahe.

25

b) Das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg hat von einer Stellungnahme abgesehen.

26

2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten A130d Js 894/93 der Staatsanwaltschaft Neuruppin vorgelegen.

B.

27

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Anforderungen an die Anordnung der Fortdauer lang andauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus - bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 70, 297). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

I.

28

Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass der angegriffene Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 1. November 2012 sowie der diesem zugrunde liegende Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 6. März 2012 nicht mehr die aktuelle Grundlage der Vollstreckung bilden, sondern prozessual überholt sind. Denn die angegriffene Entscheidung war - in Verbindung mit dem Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 6. März 2012 - Grundlage eines tiefgreifenden Eingriffs in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 128, 326 <389>). Der Beschwerdeführer hat daher ein fortbestehendes schutzwürdiges Interesse an einer nachträglichen verfassungsrechtlichen Überprüfung und gegebenenfalls einer hierauf bezogenen Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Grundrechtseingriffs durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 9, 89 <92 ff.>; 32, 87 <92>; 53, 152 <157 f.>; 91, 125 <133>; 104, 220 <234 f.>).

II.

29

Der angegriffene Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 1. November 2012 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil er den Anforderungen, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ergeben, nicht genügt. Weder weist der Beschluss die verfassungsrechtlich gebotene Begründungstiefe auf (1), noch kann ihm entnommen werden, dass die Überschreitung der Frist des § 67e Abs. 2 StGB hinreichend gerechtfertigt ist (2).

30

1. a) aa) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann die Freiheit der Person und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als "unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>).

31

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>); zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen. Das gilt auch für die Regelung der Unterbringung eines schuldunfähigen oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters, von dem infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297 <307>).

32

bb) Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 <222>) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 58, 208 <230>).

33

cc) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das hier bestehende Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Dieser lässt sich für die Entscheidung über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung nur dadurch bewirken, dass die Sicherungsbelange und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten als wechselseitiges Korrektiv gesehen und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden (BVerfGE 70, 297 <311>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in die Prüfung der Aussetzungsreife der Maßregel nach § 67d Abs. 2 StGB einzubeziehen (integrative Betrachtung). Die darauf aufbauende Gesamtwürdigung hat die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen (vgl. BVerfGE 70, 297 <312 f.>).

34

dd) Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs. Bei langdauernden Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) wirkt sich das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch auf die an die Begründung einer Entscheidung zu stellenden Anforderungen aus. In diesen Fällen engt sich der Bewertungsrahmen des Strafvollstreckungsrichters ein; mit wachsender Intensität des Freiheitseingriffs wächst auch die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Dem lässt sich dadurch Rechnung tragen, dass der Richter seine Würdigung eingehender abfasst, sich also nicht etwa mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten einfachrechtlichen Kriterien substantiiert offenlegt. Erst dadurch wird es möglich, im Rahmen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nachzuvollziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag (vgl. BVerfGE 70, 297 <315 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 442/12 -, NStZ-RR 2013, S. 72 <73>).

35

Zu verlangen ist die Konkretisierung der Art und des Grades der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten, die von dem Untergebrachten drohen (vgl. BVerfGE 70, 297 <315 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Februar 2014 - 2 BvR 1795/12, 2 BvR 12 BvR 1852/13 -, juris, Rn. 42). Dabei ist auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles einzugehen. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bislang begangene Taten. Abzuheben ist aber auch auf die seit Anordnung der Maßregel eingetretenen Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind. Dazu gehören der Zustand des Untergebrachten und die künftig zu erwartenden Lebensumstände (vgl. BVerfGE 70, 297 <314 f.>; BVerfGK 16, 501 <506>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Februar 2014 - 2 BvR 1795/12, 2 BvR 12 BvR 1852/13 -, juris, Rn. 40; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 442/12 -, juris, Rn. 15).

36

Genügen die Gründe einer Entscheidung über die Fortdauer einer bereits außergewöhnlich lange währenden Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus diesen Maßstäben nicht, so führt dies dazu, dass die Freiheit der Person des Untergebrachten nicht rechtmäßig eingeschränkt werden kann; sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist verletzt, weil es an einer verfassungsrechtlich tragfähigen Grundlage für die Unterbringung fehlt (vgl. BVerfGE 70, 297 <316 f.>).

37

b) Die Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 2 und Abs. 6, § 67e StGB) dienen der Wahrung des Übermaßverbots bei der Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGK 4, 176 <181>; 5, 67 <68>). Zwar führt nicht jede Verzögerung des Geschäftsablaufs, die eine Überschreitung der Frist zur Folge hat, automatisch auch zu einer Grundrechtsverletzung, weil es zu solchen Verzögerungen auch bei sorgfältiger Führung des Verfahrens kommen kann (vgl. BVerfGK 4, 176 <181>). Die Missachtung der Vorschriften zur regelmäßigen Überprüfung der Fortdauer einer Unterbringung kann aber gegen das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verstoßen, wenn sie auf einer Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht beruht, die auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts schließen lässt (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; 72, 105 <114 f.>; 109, 133 <163>). Gründe für eine etwaige Fristüberschreitung sind zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in der Fortdauerentscheidung darzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. November 2011 - 2 BvR 1334/10 -, juris, Rn. 16).

38

2. Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 1. November 2012 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

39

a) Das Oberlandesgericht hat sich mit den Ausführungen des Sachverständigen in dem nach § 37 BbgPsychKG erstellten Gutachten vom 31. Oktober 2011, wonach eine erhebliche Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beschwerdeführers im Sinne von § 21 StGB bereits bei Begehung der dem Ausgangsurteil zugrundeliegenden Delikte nicht bestanden habe und daher das Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 StGB höchst fraglich sei, gleichwohl aber eine hohe Rückfallgefahr für den Anlassdelikten vergleichbare sexuelle Übergriffe bestehe, nicht hinreichend auseinandergesetzt. Zwar ist die Auffassung des Oberlandesgerichts, in Fällen einer "rechtlichen Fehleinweisung" sei für eine Erledigterklärung der Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6 StGB kein Raum, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (aa). Bei der Prüfung der Aussetzungsreife der Maßregel gemäß § 67d Abs. 2 StGB hätte das Gericht sich aber im Rahmen der durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebotenen Abwägung der Sicherungsbelange der Allgemeinheit und des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers mit den Ausführungen des Sachverständigen zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beschwerdeführers befassen müssen. Da es dies nicht getan hat, fehlt der angegriffenen Entscheidung die verfassungsrechtlich erforderliche Begründungstiefe (bb).

40

aa) Gemäß § 67d Abs. 6 StGB ist die weitere Vollstreckung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt zu erklären, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung feststellt, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist diese Vorschrift selbst für den Fall, dass entsprechend den Feststellungen des Sachverständigen in seinem Gutachten gemäß § 37 BbgPsychKG die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beschwerdeführers im Tatzeitpunkt nicht vermindert war und daher eine "rechtliche Fehleinweisung" vorlag, vorliegend nicht anwendbar. Hiergegen ist verfassungsrechtlich nichts zu erinnern.

41

(1) Mit der Einführung des § 67d Abs. 6 StGB wollte der Gesetzgeber der in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung Rechnung tragen, dass sich bei Wegfall einer gesetzlichen Voraussetzung des § 63 StGB die Unterbringung erledigt und nicht weiter vollstreckt werden darf. Die Frage, ob möglicherweise die Unterbringungsdiagnose fehlerhaft war, stelle sich demgegenüber im Erledigungsverfahren nicht. Das Gericht habe sich in diesem Verfahren nur mit der Frage zu befassen, ob im Zeitpunkt seiner Entscheidung ein schuldausschließender oder -vermindernder Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB besteht (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 2. April 2004, BTDrucks 15/2887, S. 14).

42

(2) Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass es von Verfassungs wegen - auch unter Berücksichtigung des besonderen Gewichts des Freiheitsgrundrechts - nicht zu beanstanden ist, dass § 67d Abs. 6 StGB in Fällen ausschließlich fehlerhafter Rechtsanwendung in einem die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnenden Urteil keine Anwendung findet (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Oktober 2006 - 2 BvR 1486/06 -, juris, Rn. 3). Bei der rechtlichen Zuordnung der unstreitigen tatsächlichen Feststellungen zu den Eingangsmerkmalen der §§ 20, 21 StGB handele es sich um einen juristischen Subsumtionsvorgang, der der Rechtskraft fähig sei, und für den als solchen keine Wiederaufnahmemöglichkeit bestehe. Es sei fernliegend anzunehmen, dass der Gesetzgeber trotz der Rechtskraftproblematik eine zur bisherigen Praxis gegenteilige Behandlung rechtsfehlerhafter Einweisungen gleichsam nebenher habe mitregeln wollen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Oktober 2006 - 2 BvR 1486/06 -, juris, Rn. 4).

43

Demgemäß ist vorliegend, selbst wenn - wovon der Sachverständige in seinem Gutachten gemäß § 37 BbgPsychKG auszugehen scheint - eine rechtliche Fehleinweisung vorläge, für eine Erledigterklärung der Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6 StGB kein Raum.

44

bb) Das Oberlandesgericht hätte sich aber mit den Ausführungen des Sachverständigen zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beschwerdeführers im Rahmen der Prüfung der Aussetzungsreife der Maßregel gemäß § 67d Abs. 2 StGB befassen müssen.

45

Aufgrund der Einbeziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in diese Prüfung (integrative Betrachtung) hatte das Oberlandesgericht in einer Gesamtwürdigung die vom Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Fortdauerentscheidung ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Fortdauer der Unterbringung verbundenen Eingriffs in sein Freiheitsrecht ins Verhältnis zu setzen. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers bereits mehr als 14 Jahre andauerte und demgemäß die Strafobergrenze der begangenen und nach Darstellung des Gerichts künftig zu erwartenden Delikte von zehn Jahren Freiheitsstrafe überschritten war. Angesichts dieser langen Dauer der Unterbringung und des daraus resultierenden Gewichts des Freiheitsrechts des Beschwerdeführers war das Oberlandesgericht verpflichtet, in einer der gesteigerten gerichtlichen Kontrolldichte Rechnung tragenden Weise unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles die Art und den Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten des Beschwerdeführers zu bestimmen und auf dieser Grundlage eine Abwägung des Freiheitsgrundrechts des Beschwerdeführers mit den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit vorzunehmen und nachvollziehbar darzulegen.

46

Dabei kann die Frage, ob und inwieweit der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in der Lage ist, das Unrecht künftiger Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, nicht außer Betracht bleiben. Demgemäß hätte es einer Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten gemäß § 37 BbgPsychKG vom 31. Oktober 2011 bedurft. Insbesondere hätte das Oberlandesgericht sich mit der Frage befassen müssen, ob die Behauptung des Sachverständigen, eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Beschwerdeführers sei nicht anzunehmen, lediglich auf den Zeitpunkt der Begehung der Ausgangsdelikte oder auch auf den Zeitpunkt der Fortdauerentscheidung zu beziehen ist. Gegebenenfalls hätte es insoweit weiterer Sachaufklärung bedurft. Sodann wäre zu klären gewesen, welche Konsequenzen sich hieraus für die Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten und die Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Unterbringung ergeben. Soweit das Gericht seine Entscheidung lediglich auf die Stellungnahme der Unterbringungseinrichtung hätte stützen wollen, hätte es zumindest nachvollziehbar begründen müssen, warum die entgegenstehenden Ausführungen des Sachverständigen zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beschwerdeführers außer Betracht bleiben können. Zu all diesen Fragen verhält sich das Oberlandesgericht nicht. Damit wird es den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung seiner Entscheidung im Rahmen des § 67d Abs. 2 StGB nicht gerecht.

47

b) Auch die Billigung der bis zur Zustellung des Fortdauerbeschlusses mehr als fünfmonatigen Überschreitung der Prüfungsfrist des § 67e StGB im angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Gründe, die das Gericht für die Überschreitung der Frist des § 67e Abs. 2 StGB anführt, sind nicht geeignet, die Verzögerung der Entscheidung zu rechtfertigen, und sprechen dafür, dass die Missachtung dieser Frist auf einer Fehlhaltung gegenüber dem Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers beruht.

48

aa) Soweit das Oberlandesgericht geltend macht, im Zeitpunkt der Anhörung des Beschwerdeführers und der mündlichen Beschlussfassung am 6. März 2012 sei die Jahresfrist des § 67e Abs. 2 StGB noch nicht abgelaufen gewesen, lässt das Gericht außer Acht, dass die rechtzeitige Abfassung der schriftlichen Beschlussgründe für das Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist. Mit dem Betreiben des Verfahrens bis zur Entscheidungsreife und der mündlichen Entscheidung ist die Frist des § 67e Abs. 2 StGB nicht gewahrt, da erst mit der Zustellung der schriftlichen Beschlussgründe die Beschwerdefrist des § 311 Abs. 2 StPO in Lauf gesetzt wird. Mit Blick auf das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG macht es keinen Unterschied, ob die Beschlussfassung als solche oder die Mitteilung der Beschlussgründe verspätet erfolgt, weil der Untergebrachte sich in beiden Fällen - bei andauernder Freiheitsentziehung - nicht in der Lage sieht, über seine weiteren Rechtsschutzmöglichkeiten zur Durchsetzung seines möglicherweise verletzten Freiheitsanspruchs zu entscheiden.

49

bb) Soweit das Oberlandesgericht ausführt, dass die über fünfmonatige Fristüberschreitung noch "relativ mäßig" sei, ist dies vor dem Hintergrund, dass die gesamte Prüffrist lediglich ein Jahr beträgt, nicht nachvollziehbar.

50

cc) Schließlich kann auch die Feststellung, dass sich die Situation des Beschwerdeführers seit Ablauf der Prüffrist im März 2012 nicht entscheidend geändert habe, die Fristüberschreitung nicht rechtfertigen. Durch die Frist soll gerade eine fortlaufende und regelmäßige Überprüfung der Unterbringungsvoraussetzungen gesichert werden. Eine rückwirkende Betrachtung des Überschreitungszeitraums ist nicht geeignet, ein Kontrolldefizit auszugleichen.

III.

51

Es ist daher festzustellen, dass der angegriffene Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 1. November 2012 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Er ist jedoch nicht aufzuheben, da er durch die Fortdauerentscheidung des Landgerichts Potsdam vom 12. April 2013 und die Beschwerdeentscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 27. Juni 2013 mittlerweile prozessual überholt ist.

52

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

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Damit erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Martin D. (vgl. BVerfGE 105, 1 <17> m.w.N.).

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 18. Januar 2012 wird als unbegründet

v e r w o r f e n .

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht B. verurteilte den Angeklagten am 09. August 2011 wegen Diebstahls zu der Freiheitsstrafe von drei Monaten ohne Bewährung. Die Berufung wurde vom Landgericht R. durch Urteil vom 21. Dezember 2011 als unbegründet verworfen. Bis dahin war der Angeklagte nicht verteidigt.
Am 22. Dezember 2011 meldete sich für den Angeklagten der Verteidiger. Er legte gegen das Urteil Rechtsmittel ein und beantragte zugleich seine Beiordnung. Zur Begründung führte er aus, der Angeklagte sei durch das Amtsgericht K. nicht rechtskräftig zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt worden, deshalb müsse voraussichtlich unter Einbeziehung der Verurteilung in der vorliegenden Sache eine Gesamtstrafe von mehr als einem Jahr gebildet werden. Diesen Beiordnungsantrag lehnte der Vorsitzende der Kleinen Strafkammer mit Beschluss vom 18. Januar 2012 ab. Hiergegen wendet sich der Verteidiger mit seiner Beschwerde vom 24. Januar 2012.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig. Es wird vom Senat ungeachtet seines nicht ganz klaren Wortlauts dahin verstanden, dass der Angeklagte die Beschwerde führt. In der Sache erweist sich die Beschwerde als unbegründet, da ein Fall notwendiger Verteidigung im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO nicht vorliegt.
In dem Verfahren selbst liegen keine Umstände vor, die eine Verteidigung als notwendig erscheinen lassen. Die Schwere der angeklagten Tat begründet eine solche Notwendigkeit für sich genommen nicht. Maßgeblich für die Beurteilung ist vor allem die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung. Meist wird angenommen, dass die Erwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe die Grenze bildet, ab der regelmäßig Anlass zur Beiordnung besteht (Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage, § 140 Rn. 23 m.w.N.). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von nur drei Monaten, die aus Rechtsgründen nicht verschlechtert werden kann. Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage, die die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen, liegen nicht vor. Es geht um einen einfachen Ladendiebstahl, den der Angeklagte in vollem Umfang gestanden hat. Die Rechtsfolgenentscheidung zeigt ebenfalls keine besonderen Schwierigkeiten. Dies gilt gleichermaßen für die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, die der Verteidiger besonders angesprochen hat.
Auch der Umstand, dass aus der Strafe im vorliegenden Verfahren und aus der Strafe, die in dem inzwischen bei dem Landgericht Konstanz anhängigen Verfahren zu erwarten ist, voraussichtlich eine Gesamtstrafe von mehr als einem Jahr zu bilden sein wird, rechtfertigt es nicht, wegen der Schwere der Tat einen Fall notwendiger Verteidigung im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO anzunehmen.
Die Vorschriften der Strafprozessordnung über die notwendige Verteidigung und die Bestellung eines Verteidigers stellen sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verhandlungsführung dar. Der Beschuldigte muss die Möglichkeit haben, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dazu gehört auch, dass ein Beschuldigter, der die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag, in schwerwiegenden Fällen von Amts wegen und auf Staatskosten einen rechtskundigen Beistand (Verteidiger) erhält (BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1977, 2 BvR 462/77, juris Rn. 31; Meyer-Goßner a.a.O. § 140 Rn. 1 m.w.N.). Für die Bewertung, ob ein solcher schwerwiegender Fall vorliegt, kommt es deshalb zunächst auf das Gewicht der Rechtsfolgen an, die in dem betreffenden Verfahren, in dem sich der Beschuldigte verteidigen muss, zu erwarten sind, gegebenenfalls auf die zu erwartende Gesamtstrafe unter Einbeziehung vorangegangener Verurteilungen (für viele Meyer-Goßner, a.a.O. § 140 Rn. 23 m.w.N.). Darüber hinaus ist allerdings auch die Gesamtwirkung der Strafe zu berücksichtigen. Hierzu gehören sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Angeklagte infolge der Verurteilung zu befürchten hat, wie etwa ein drohender Bewährungswiderruf (Meyer-Goßner, a. a. O. § 140 Rn. 25 m.w.N.). Nach verbreiteter Auffassung gehören hierzu auch weitere gegen den Angeklagten anhängige Strafverfahren, in denen es zu einer Gesamtstrafenbildung kommen kann (OLG Hamm, StV 2004, 586; Wessing in Graf, StPO, § 140 Rn. 15; Laufhütte in KK, StPO, 6. Auflage, § 140 Rn. 21; Lüdersen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 140 Rn. 57 - jeweils m.w.N.).
Der Senat teilt die Auffassung, dass bei der Gesamtbewertung im Einzelfall auch andere anhängige Verfahren zu berücksichtigen sind, soweit bekannt. Diese „Berücksichtigung“ bedeutet aber keinen starren Schematismus. Ein geringfügiges Delikt wird nicht allein deshalb zur schweren Tat im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO, weil die Strafe später voraussichtlich in einem anderen Verfahren in eine Gesamtstrafenbildung von mehr als einem Jahr einzubeziehen sein wird. So hat z. B. das Landgericht Frankfurt die Notwendigkeit der Verteidigung in einem Fall verneint, in dem es nur um eine Geldstrafe von 25 Tagessätze wegen Schwarzfahrens ging, obwohl die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr in Betracht kam (LG Frankfurt, NStZ-RR 2011, 183). Es bedarf deshalb der Prüfung im Einzelfall, ob andere Verfahren und die Erwartung späterer Gesamtstrafenbildung das Gewicht des abzuurteilenden Falles tatsächlich so erhöhen, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ist. Dabei ist zu beachten, dass bei der Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen eine progressive Vollzugswirkung und damit eine Verschärfung des Strafübels eintreten kann (dazu Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Auflage, Rn. 4 vor § 52 m.w.N.; kritisch z. B. v. Heintschel-Heinegg in MünchKommStGB § 53 Rn. 6 m.w.N.). Dieser möglichen Progression wird aber von Gesetzes wegen bei der Gesamtstrafenbildung Rechnung getragen, § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB sieht lediglich eine Erhöhung der sog. Einsatzstrafe vor, § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB schreibt ausdrücklich vor, dass die Gesamtstrafe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen darf. Das bedeutet, dass bei einer späteren Gesamtstrafenbildung die Dauer der Strafverbüßung für die abzuurteilende Tat nicht verlängert, sondern von Gesetzes wegen verkürzt wird. Insofern liegt der Fall gerade anders als im Fall eines anderweitig drohenden Bewährungswiderrufs, der zu einer Erhöhung des Strafübels führen kann. Eine erhebliche Verschärfung des Strafübels kommt aber in Betracht, wenn durch die spätere Gesamtstrafenbildung in einem anderen Verfahren eine sonst mögliche Bewährung gefährdet wird.
In diesem Fall bewertet der Senat die Tat auch unter Berücksichtigung einer möglichen späteren Gesamtstrafenbildung nicht als so schwer, dass eine Verteidigung im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO geboten ist. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind der Schuldspruch wegen Diebstahls und die verhängte Freiheitsstrafe von drei Monaten ohne Bewährung. Sowohl eine Erhöhung dieser Strafe als auch die Bildung einer höheren Gesamtstrafe sind im Revisionsverfahren ausgeschlossen. Dass es später in einem anderen Verfahren voraussichtlich zu einer Einbeziehung dieser Strafe und zur Bildung einer Gesamtstrafe von mehr als einem Jahr kommen wird, sofern das angefochtene Urteil Bestand hat, erhöht das Gewicht der Rechtsfolgen in diesem Fall nicht. Gegenstand des anderweitig anhängigen Berufungsverfahrens ist die amtsgerichtliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 2 Monaten wegen räuberischer Erpressung. Die dort erstinstanzlich einbezogene Geldstrafe ist inzwischen durch Zahlung erledigt. In dieser Konstellation hat für die vorliegende Sache die Progressionswirkung durch die spätere Gesamtstrafenbildung kein höheres Gewicht als die damit verbundene Verkürzung der Strafverbüßungsdauer, die gem. §§ 54 Abs. 2 Satz 1, 39 2. Halbsatz StGB mindestens einen Monat, also ein Drittel der Strafe betragen wird. Auch für die Frage, ob die später zu bildende Gesamtstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, ist die Strafe in der vorliegenden Sache allenfalls von untergeordneter Bedeutung. Eine Verschärfung der Rechtsfolge, die in ihrem Gesamtgewicht auch nur annähernd einer Freiheitsstrafe von einem Jahr entspricht und damit die Mitwirkung eines Verteidigers gebieten könnte, ist ausgeschlossen.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.