Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 10. Feb. 2016 - 20 U 204/15
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
1
Gründe
2Die Berufung des Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und es erfordert auch nicht die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung des Berufungsgerichts.
3I.
4Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rückzahlung von Krankentagegeldleistungen für den Zeitraum 01.08.2012 bis 03.04.2013 in Anspruch, weil er nach ihren Tarifbedingungen wegen des Bezugs einer Berufsunfähigkeitsrente vom 01.05.2012 bis zum 31.05.2013 nicht mehr versicherungsfähig gewesen sei. Der Beklagte meint, er sei trotz Rentenbezugs weiter versicherungsfähig gewesen, weil die Rente nur aufgrund fingierter Berufsunfähigkeit gezahlt wurde, nicht wegen tatsächlicher Berufsunfähigkeit. Widerklagend verlangt er von der Klägerin deshalb weitere Krankentagegeldleistungen für den Zeitraum vom 04.04. bis zum 21.05.2013.
5Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
6Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen, weil die Versicherungsfähigkeit des Beklagten nach den Tarifbedingungen der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund des Bezugs der Berufsunfähigkeitsrente nicht bestanden habe. Auch die wegen fingierter Berufsunfähigkeit bezogene Rente sei eine „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ im Sinne der Tarifbedingungen. Dies ergebe sich aus der Auslegung der Bedingungen vom Standpunkt eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers, der jede Leistung aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung als „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ ansehe. Entsprechendes gelte für die Bedingungen des Berufsunfähigkeitsversicherers, der die sechsmonatige Arbeitsunfähigkeit „als Berufsunfähigkeit“ ansehe, so dass im Ergebnis die Rente „wegen Berufsunfähigkeit“ gezahlt werde. Auf den Unterschied zwischen tatsächlicher und fingierter Berufsunfähigkeit komme es nach den Bedingungen der Klägerin nicht an.
7Wegen der weiteren Argumentation wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des Urteils.
8Mit seiner Berufung hält der Beklagte daran fest, dass er keine Rente „wegen Berufsunfähigkeit“ im Sinne der Tarifbedingungen bezogen habe, weil der Begriff der Berufsunfähigkeit in dieser Klausel nach der Definition in § 15 Abs. 1 b MB/KT auszulegen sei. Der Fall fingierter Berufsunfähigkeit wegen sechsmonatiger Arbeitsunfähigkeit sei vom Wortlaut der Klausel nicht umfasst, weshalb der Bezug einer Rente wegen fingierter Berufsunfähigkeit gerade keine Rente wegen Berufsunfähigkeit im Sinne der Tarifbedingungen darstelle. Bei fingierter Berufsunfähigkeit sei auch der Spezialitätsgrundsatz nicht berührt, weil tatsächlich nur Arbeitsunfähigkeit bestanden habe.
9Im Übrigen habe das Landgericht seine Entscheidung auf das klägerseits vorgelegte Bedingungswerk gestützt, obwohl die zum Vertrag übersandten Vertragsbedingungen eine andere Fassung aufwiesen. Tatsächlich seien die Bedingungen aber auch gar nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden.
10Der Beklagte beantragt daher,
111. das Urteil des Landgerichts Bochum aufzuheben;
122. die Klage abzuweisen
13und
143. die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten 4.700,00 Euro nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit Klagezustellung zu zahlen.
15II.
16Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.
17Das Landgericht hat zu Recht der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.
18Die Klägerin hat Anspruch auf Rückzahlung der für den Zeitraum 01.08.2012 bis 03.04.2013 erbrachten Krankentagegeldleistungen. Denn sie war wegen des zeitgleichen Bezugs von Berufsunfähigkeitsrenten vom 01.05.2012 bis zum 31.05.2013 durch den Beklagten nicht leistungspflichtig. Aus diesem Grund kann der Beklagte für diesen Zeitraum auch keine weiteren Leistungen fordern.
191.
20Gemäß § 11 Satz 2 MB/KT sind die für die Zeit nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses empfangenen Leistungen zurückzugewähren.
21a)
22Gemäß § 15 Abs. 1 lit a MB/KT endet das Versicherungsverhältnis bei Wegfall einer im Tarif bestimmten Voraussetzung für die Versicherungsfähigkeit.
23Versicherungsfähig ist gem. Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen zum vereinbarten Tarif V nicht, wer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld bezieht.
24Die Versicherungsfähigkeit entfällt damit auch bei Bezug einer Rente wegen fingierter Berufsunfähigkeit, wie sie der Beklagte aufgrund seiner mehr als sechs Monate andauernden Arbeitsunfähigkeit erhalten hat.
25Berufsunfähigkeit im Sinne von Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen ist nicht nur dann anzunehmen, wenn der Versicherte nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 % erwerbsunfähig ist, was bereits gem. § 15 Abs. 1 lit b MB/KT zur Beendigung des Versicherungsverhältnisses führen soll. Vom Standpunkt eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ist die Regelung in Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen vielmehr dahin auszulegen, dass zumindest auch der Rentenbezug wegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen des Berufsunfähigkeitsversicherers der Versicherungsfähigkeit entgegensteht.
26Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2015 – IV ZR 266/14 –, Rn. 37, juris; BGH, Urteil vom 23. Juni 1993 – IV ZR 135/92 –, BGHZ 123, 83-92, Rn. 14). Allgemeine Versicherungsbedingungen sind dabei aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist dabei vom Wortlaut auszugehen (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – IV ZR 281/14 –, Rn. 13, juris; BGH, Urteil vom 23. Juni 1993 – IV ZR 135/92 –, BGHZ 123, 83-92, Rn. 15).
27Ein verständiger Versicherungsnehmer wird die Formulierung „wer Rente wegen (...) Berufsunfähigkeit (...) bezieht“ dahin verstehen, dass es auf den tatsächlichen Bezug einer Rente wegen Berufsunfähigkeit ankommt. Die Frage, wie Berufsunfähigkeit als Grund des Rentenbezugs zu verstehen ist, wird in Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen nicht beantwortet. Dennoch wird der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer die Klausel nicht dahin auslegen, dass nur ein Rentenbezug wegen Berufsunfähigkeit iSd § 15 Abs. 1 lit b MB/KT zum Wegfall der Versicherungsfähigkeit führt. Denn er erkennt ohne weiteres, dass der Rentenbezug „wegen Berufsunfähigkeit“ sich nicht nach den Bedingungen der Klägerin richtet, weil diese gerade keine Berufsunfähigkeitsrente verspricht, sondern Krankentagegeldleistungen. Wegen der denkbaren unterschiedlichen Regelungsmöglichkeiten in der Krankentagegeld- und Berufsunfähigkeitsversicherung wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennen, dass eine „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ auch in anderen Fallgestaltungen gewährt wird als in denen des § 15 Abs. 1 lit b MB/KT und dass es maßgeblich darauf ankommt, ob der andere Versicherer „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ gewährt (Senat, Urteil vom 18.01.2002 – 230 U 108/01 – Rn. 22, juris).
28Dies ergibt sich für den um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer auch daraus, dass die Regelung in § 15 Abs. 1 lit a) MB/KT Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen sonst für den Fall des Bezugs einer Berufsunfähigkeitsrente keine eigenständige Bedeutung hätte, weil das Versicherungsverhältnis dann schon gem. § 15 Abs. 1 lit b MB/KT enden würde.
29Im Übrigen lässt sich aus dem Sinnzusammenhang von § 15 Abs. 1 lit a MB/KT iVm Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse darauf schließen, dass ein Nebeneinander von Krankentagegeld- und Berufsunfähigkeitsleistungen von der Klägerin nicht gewollt ist. Deshalb ist unerheblich, ob die von einem privaten Berufsunfähigkeitsversicherer gezahlte Rente wegen dauernder oder sog. fingierter Berufsunfähigkeit gezahlt wird. Für die Versicherungsfähigkeit schädlich sind Rentenzahlungen aus jedem der beiden genannten Rechtsgründe (Senat aaO; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.07.2006 – 12 U 89/06 – Rn. 27, juris).
30Soweit der Beklagte darauf abhebt, dass er tatsächlich nur arbeitsunfähig gewesen sei und sich das Risiko einer Berufsunfähigkeit gar nicht verwirklicht habe, verkennt er, dass sich auch im Fall fingierter Berufsunfähigkeit das Risiko einer Berufsunfähigkeit verwirklicht, mit dem einzigen Unterschied, dass der Berufsunfähigkeitsversicherer auf den Nachweis einer ungünstigen Prognose verzichtet.
31Damit endete das Versicherungsverhältnis der Parteien gem. § 15 Abs. 1 lit a MB/KT zum 31.07.2012.
32b)
33Die Regelung zur Beendigung des Versicherungsverhältnisses in § 15 Abs. 1 lit a MB/KT ist wirksam.
34Zwar wäre die zwingende Beendigung des Vertrages nach § 307 BGB unwirksam (BGH, Urteil vom 22.01.1992 – IV ZR 59/91 – Rn. 14 ff , juris). Die Klägerin hat jedoch der Rechtsprechung des BGH durch die Möglichkeit einer Anwartschaftsversicherung in § 15 Abs. 2 MB/KT Rechnung getragen, so dass unter diesem Gesichtspunkt keine Unwirksamkeit der Bedingungen vorliegt (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 06. Juli 2006 – 12 U 89/06 –, Rn. 29, juris; OLG Celle, Urteil vom 01.11.2007 – 8 U 127/07 -, Rn. 4, juris).
35c)
36Entgegen der vom Beklagten geäußerten Ansicht sind die Regelungen in §§ 11 Satz 2, 15 Abs. 1 lit a MB/KT und Ziffer 2 Satz 3 der Tarifbedingungen wirksam in den Vertrag einbezogen worden.
37Der Beklagte hat schon erstinstanzlich unstreitig gestellt, dass ihm die Tarifbedingungen zum vereinbarten Tarif V in einer Fassung übersandt worden sind, die denen des von der Klägerin vorgelegten Bedingungswerkes entspricht.
38Dass die ihm übersandten AVB der Krankentagegeldversicherung keine dem § 15 Abs. 2 MB/KT entsprechende Regelung zur Anwartschaftsversicherung enthalten, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen würde die für diesen Fall gebotene ergänzende Vertragsauslegung ebenfalls zu dem Ergebnis kommen, dass die Klägerin für den Zeitraum des Bezugs der Berufsunfähigkeitsrente nicht leistungspflichtig ist (BGH aaO).
392.
40Nach alledem ist die Widerklage des Beklagten unbegründet.
41III.
42Auf die Gebührenreduktion im Falle für den Fall der Berufungsrücknahme wird hingewiesen (KV-Nr. 1222).
ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 10. Feb. 2016 - 20 U 204/15
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 10. Feb. 2016 - 20 U 204/15
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenOberlandesgericht Hamm Beschluss, 10. Feb. 2016 - 20 U 204/15 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
Tenor
-
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 17. Dezember 2013 aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Strausberg vom 13. Juni 2013 zurückgewiesen.
-
Der Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
-
Von Rechts wegen
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger begehrt vom Beklagten Ersatz eines Unfallschadens.
- 2
-
Zwischen den Parteien besteht ein Kfz-Versicherungsvertrag unter Einbeziehung der Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB). Der Kläger verlangt von dem Beklagten den Ausgleich eines am 10. Juni 2011 erlittenen Glasbruchschadens an seinem PKW sowie aufgewandter Gutachterkosten. Die Einstandspflicht des Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig; die Parteien streiten über die Fälligkeit und Höhe des klägerischen Anspruchs. Der Beklagte macht geltend, das gemäß A.2.18 AKB vereinbarte Sachverständigenverfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die AKB sehen insoweit folgende Regelung zum Sachverständigenverfahren vor:
-
"A.2.18
Meinungsverschiedenheit über die Schadenhöhe (Sachverständigenverfahren)
A.2.18.1
Bei Meinungsverschiedenheit über die Höhe des Schadens einschließlich der Feststellung des Wiederbeschaffungswerts oder über den Umfang der erforderlichen Reparaturarbeiten entscheidet ein Sachverständigenausschuss.
A.2.18.2
Für den Ausschuss benennen Sie und wir je einen Kraftfahrzeugsachverständigen. Wenn Sie oder wir innerhalb von zwei Wochen nach Aufforderung keinen Sachverständigen benennen, wird dieser von dem jeweils Anderen bestimmt.
A.2.18.3
Soweit sich der Ausschuss nicht einigt, entscheidet ein weiterer Kraftfahrzeugsachverständiger als Obmann, der vor Beginn des Verfahrens von dem Ausschuss gewählt werden soll. Einigt sich der Ausschuss nicht über die Person des Obmanns, wird er über das zuständige Amtsgericht benannt. Die Entscheidung des Obmanns muss zwischen den jeweils von den beiden Sachverständigen geschätzten Beträgen liegen.
A.2.18.4
Die Kosten des Sachverständigenverfahrens sind im Verhältnis des Obsiegens zum Unterliegen von uns bzw. von Ihnen zu tragen."
- 3
-
Nach Anzeige des Schadens bezifferte der Beklagte diesen mit Schreiben vom 18. Juli 2011 zunächst auf 509,92 €. Der Kläger zweifelte an der Richtigkeit der Abrechnung und beauftragte am 27. Juli 2011 einen Diplom-Ingenieur mit der Prüfung der Abrechnung sowie erforderlichenfalls mit der Einleitung des Sachverständigenverfahrens. Mit Gutachten vom 5. August 2011 bezifferte dieser den Schaden mit 1.734,12 € netto. Für das Gutachten fielen 437,55 € an. Der vom Kläger beauftragte Ingenieur forderte den Beklagten zur Benennung seines Ausschussmitglieds für das Sachverständigenverfahren auf. Der Beklagte korrigierte die von ihm akzeptierte Schadenhöhe auf 1.019,84 € und benannte den Leiter seiner Sachverständigenabteilung als Ausschussmitglied, den der Ingenieur des Klägers wegen seiner beruflichen Tätigkeit für den Beklagten als befangen ablehnte. Nachdem der Beklagte innerhalb der Zweiwochenfrist kein anderes Ausschussmitglied benannt hatte, berief der vom Kläger beauftragte Ingenieur für den Beklagten einen weiteren Diplom-Ingenieur als Ausschussmitglied. Diese beiden Ingenieure bezifferten den Schaden auf 1.734,12 €. Abzüglich der vom Kläger zu tragenden Selbstbeteiligung ergab sich ein Anspruch des Klägers in Höhe von 1.584,12 €. Der Kläger begehrt mit der Klage diesen Betrag abzüglich vom Beklagten bereits gezahlter 869,84 €, zuzüglich der Kosten für das Sachverständigenverfahren in Höhe von 820,43 €, insgesamt damit einen Betrag von 1.534,71 €.
- 4
-
Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Auf dessen Berufung hat das Landgericht das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, der die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils begehrt.
Entscheidungsgründe
- 5
-
Die Revision ist begründet.
- 6
-
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Urteil in r+s 2014, 120 abgedruckt ist, ist die geltend gemachte Forderung wegen nicht ordnungsgemäßer Durchführung des Sachverständigenverfahrens nicht fällig. Der Beklagte habe fristgerecht einen Sachverständigen benannt, der am Verfahren habe beteiligt werden müssen. Ein Recht zur Zurückweisung des Sachverständigen sähen die vertraglichen Bestimmungen nicht vor. Eines solchen Rechts bedürfe es auch nicht, weil die inhaltliche Richtigkeit dadurch sichergestellt sei, dass ein Obmann über etwaige divergierende Feststellungen der Parteisachverständigen entscheide.
- 7
-
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 8
-
1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Anspruch des Klägers fällig. Das nach A.2.18 AKB vereinbarte Sachverständigenverfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Der Kläger war nach A.2.18.2 Satz 2 AKB berechtigt, selbst einen weiteren Sachverständigen zu benennen, nachdem der Beklagte dies trotz Aufforderung und Ablauf von zwei Wochen nicht getan hatte.
- 9
-
Der Senat braucht die Frage, ob ein Sachverständiger im Sachverständigenverfahren als befangen abgelehnt werden kann, hier nicht zu entscheiden. Der von dem Beklagten benannte Leiter seiner Sachverständigenabteilung ist als Mitarbeiter einer der Parteien nicht Sachverständiger im Sinne von A.2.18.2 AKB.
- 10
-
a) Das ergibt die Auslegung von A.2.18.1 und A.2.18.2 AKB.
- 11
-
Welche Anforderungen an die Person und die Sachkunde eines Sachverständigen zu stellen sind, richtet sich nach den zugrunde liegenden AKB.
- 12
-
aa) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Senatsrechtsprechung so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch seine Interessen an (vgl. zum Maßstab der Auslegung allgemeiner Versicherungsbedingungen Senatsurteil vom 23. Juni 1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85; st. Rspr.).
- 13
-
bb) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist dabei vom Wortlaut auszugehen (Senatsurteil vom 25. Juli 2012 - IV ZR 201/10, VersR 2012, 1149 Rn. 21 m.w.N.; st. Rspr.). Diesem entnimmt der Versicherungsnehmer, dass nach A.2.18.1 AKB bei Meinungsverschiedenheiten über die Höhe des Schadens ein Sachverständigenausschuss entscheidet und dieser Ausschuss nach A.2.18.2 Satz 1 AKB gebildet wird, indem Versicherungsnehmer und Versicherer je einen "Kraftfahrzeugsachverständigen" benennen. Im Übrigen sind in den Versicherungsbedingungen keine Anforderungen an die Person und Sachkunde des Sachverständigen genannt. Der Versicherungsnehmer kann aus dem Wortlaut nur ersehen, dass es sich bei dem Ausschussmitglied um einen Kraftfahrzeugsachverständigen handeln muss, maßgeblich also der technische Sachverstand der Person ist. Es erscheint daher zweifelhaft, ob er - wie die Revision meint - bereits dem Wortlaut der Regelung eine Einschränkung dahin entnehmen wird, dass ein Mitarbeiter des Versicherers nicht als Ausschussmitglied benannt werden kann, weil nach dem üblichen Verständnis des Begriffs ein Sachverständiger seine "gutachterlichen Leistungen persönlich, unabhängig, unparteiisch, gewissenhaft und weisungsfrei erbringt". Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer kennt diese Definition nicht. Mit dem Begriff "Kraftfahrzeugsachverständiger" wird er lediglich ein besonderes Fachwissen verbinden. Da jede Partei einen Sachverständigen zu benennen hat, wird er dem Wortlaut der Klausel nicht entnehmen, dass der jeweils benannte Sachverständige neutral sein muss.
- 14
-
cc) Dem mit der Regelung verfolgten Sinn und Zweck - soweit diese für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. Senatsurteil vom 25. Juli 2012 - IV ZR 201/10, VersR 2012, 1149 Rn. 21 m.w.N.; st. Rspr.) - wird er aber entnehmen, dass ein Mitarbeiter einer der Parteien, also auch ein Mitarbeiter des Versicherers, nicht als Sachverständiger auftreten kann. Mit dem Sachverständigenverfahren wird ersichtlich bezweckt, dass die Schadenregulierung möglichst rasch mit sachverständiger Hilfe erledigt wird und kein - möglicherweise langwieriger und kostspieliger - Streit vor den staatlichen Gerichten um die oftmals komplizierte Schadenfeststellung ausgetragen wird (BGH, Urteil vom 1. April 1987 - IVa ZR 139/85, VersR 1987, 601 unter 1 b). Damit ist es unvereinbar, dass der Versicherer oder der Versicherungsnehmer einen Mitarbeiter benennt. Für den Versicherungsnehmer erkennbar soll durch die Beteiligung von Sachverständigen eine dritte, durch Sachkunde ausgewiesene Meinung, jenseits der Ansichten der Parteien, den Schaden bewerten. Das Ziel, die Hinzuziehung eines sach- und fachkundigen Dritten, wird durch die Auswahl eines Mitarbeiters einer Partei als Sachverständigen nicht erreicht. Auf den Einwand des Beklagten, der von ihm benannte Leiter seiner Sachverständigenabteilung sei bei der Erstellung von Sachverständigengutachten weisungsfrei, kommt es nicht an. Der Leiter der Sachverständigenabteilung ist vielmehr schon deshalb kein Sachverständiger im Sinne der AKB, weil es sich bei dem Mitarbeiter einer Partei nicht um einen Dritten im oben genannten Sinne handelt (vgl. ebenso zur Frage der Befangenheit eines Sachverständigen: Volze, VersR 2006, 627, 630 unter V 7 c; ähnlich Voit in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 84 Rn. 16; MünchKomm-VVG/Halbach, § 84 Rn. 28, 30; vgl. auch Langheid in Römer/Langheid, VVG 4. Aufl. § 84 Rn. 27, 29; Rüffer in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG 2. Aufl. § 84 Rn. 14; Schwintowski/Brömmelmeyer/Kloth/Neuhaus, PK-VersR 2. Aufl. § 84 Rn. 21 ff., 24; Schmidt-Kessel in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 84 Rn. 25, 28).
- 15
-
Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ergibt sich etwas anderes auch nicht daraus, dass beide Parteien einen Sachverständigen stellen müssen und nach A.2.18.3 AKB ein weiterer Kraftfahrzeugsachverständiger als Obmann entscheidet, soweit sich der Ausschuss nicht einigt. Diesem Regelungszusammenhang entnimmt der Versicherungsnehmer gerade das Gewicht, das der Bewertung durch Dritte beigemessen wird. Der Versicherungsnehmer wird aus dem Umstand, dass beide Parteien einen Sachverständigen zu benennen haben, zwar schließen, dass der jeweils Benannte in einem gewissen Näheverhältnis zum Benennenden stehen kann (Schwintowski/Brömmelmeyer/Kloth/Neuhaus, PK-VersR 2. Aufl. § 84 Rn. 23). Keinesfalls wird er aber zu der Ansicht gelangen, dass er in einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis stehen darf, denn damit ist er nicht mehr außerhalb der Parteien stehender Dritter.
- 16
-
b) Mit dem Leiter seiner Sachverständigenabteilung hat der Beklagte damit innerhalb der Zweiwochenfrist keinen Sachverständigen im Sinne der maßgeblichen AKB benannt. Dies hat zur Folge, dass das Bestimmungsrecht nach Ablauf der Frist auf den Kläger übergegangen und das in den AKB vorgesehene Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.
- 17
-
2. Die im Sachverständigenverfahren getroffenen Feststellungen sind nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VVG verbindlich. Der Beklagte muss sich wegen der Schadenhöhe am Ergebnis des Sachverständigengutachtens festhalten lassen.
- 18
-
Grundsätzlich sind die Parteien an das Ergebnis des Sachverständigenverfahrens gebunden. Diese Bindung kann nur durch den Nachweis einer erheblichen und offenbaren Unrichtigkeit im Rahmen eines Rechtsstreits aufgehoben werden. Eine offenbare Unrichtigkeit liegt dann vor, wenn sie sich dem unbefangenen, sachkundigen Beurteiler aufdrängt, wenn auch möglicherweise erst nach eingehender Prüfung; daran sind strenge Anforderungen zu stellen, weil sonst der von den Parteien verfolgte Zweck in Frage gestellt würde, den Schaden möglichst rasch und kostengünstig zu regulieren (Senatsurteil vom 30. November 1977 - IV ZR 42/75, VersR 1978, 121 unter III 3). Soweit der Beklagte in den Vorinstanzen die Schadenhöhe bestritten hat, genügte dies den genannten hohen Anforderungen nicht.
-
Mayen Wendt Felsch
-
Lehmann Dr. Brockmöller
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 15.02.2006 -5 O 264/05- wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
| ||||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
|
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
- 1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder - 2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 15.02.2006 -5 O 264/05- wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
| ||||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
|