Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 27. Jan. 2015 - 1 Vollz (Ws) 664, 665/14

Gericht
Tenor
Dem Betroffenen wird kostenfrei (§ 21 GKG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist gewährt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, soweit der Antrag des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beobachtung durch weibliche Bedienstete zurückgewiesen worden ist.
Soweit die Rechtsbeschwerde zugelassen worden ist, wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Aachen zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde wird als unzulässig verworfen.
1
Gründe
2I.
3Der Betroffene befindet sich inzwischen in der JVA C, war aber früher in der JVA B inhaftiert. Nach den Feststellungen im angefochtenen Beschluss war dort gegen ihn nach einem Selbstmordversuch in einer anderen Justizvollzugsanstalt die Sicherungsmaßnahme der Beobachtung in unregelmäßigen Zeitabständen von nicht mehr als 15 Minuten, auch bei Nacht, angeordnet worden. Diese Beobachtungsmaßnahmen (durch das Fenster zu seinem Haftraum) wurden teilweise auch von weiblichen Bediensteten durchgeführt. In mindestens drei Fällen war er dabei nackt, nachdem er sich nach sportlicher Betätigung gewaschen hatte. Mit dem im angefochtenen Beschluss zurückgewiesenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beobachtung durch weibliche Bedienstete begehrt. Ferner hat er die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Betretens seines Haftraums durch Bedienstete der Justizvollzugsanstalt ohne vorheriges Anklopfen begehrt.
4Gegen die Zurückweisung seiner Anträge wendet sich der Betroffene nunmehr mit der Rechtsbeschwerde. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen vertritt die Auffassung, dass die Rechtsbeschwerde in Ermangelung eines Zulassungsgrundes unzulässig sei.
5II.
6Die Rechtsbeschwerde ist teilweise zulässig.
71.
8Soweit es um die Frage des Anklopfens von Bediensteten der Justizvollzugsanstalt vor Betreten des Haftraumes geht, ist das Rechtsmittel allerdings unzulässig, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 3 StVollzG). Es ist bereits verfassungsgerichtlich geklärt, dass auch ein vernehmbares Schließgeräusch vor Öffnen der Tür zum Haftraum
9ausreicht, um dem Gefangenen hinreichend die Möglichkeit zu geben, seine Intimsphäre zu schützen (BVerfG, Beschl. v. 13.11.2007 – 2 BvR 939/07 – juris; BVerfG NJW 1996, 2643). In einem solchen Fall (und dieser lag nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses vor) bedarf es zur Wahrung der Intimsphäre des Gefangenen nicht eines (zusätzlichen) vorherigen Anklopfens.
102.
11Soweit es um die Frage der Beobachtung durch weibliche Bedienstete geht, wird die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts (§ 116 StVollzG) zugelassen, da insoweit die Frage, unter welchen Modalitäten eine solche zulässig ist, bisher obergerichtlich noch nicht hinreichend geklärt ist.
12Die Rechtsbeschwerde ist auch – nach Wiedereinsetzung – insoweit im Übrigen zulässig. Angesichts der möglichen Verletzung der Intimsphäre läge auch eine tiefgreifende Grundrechtsverletzung vor, welche ein entsprechendes Feststellungsinteresse des Betroffenen rechtfertigen würde.
13III.
14Soweit die Rechtsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet.
15Zutreffend ist zwar noch der Ansatz des Landgerichts, dass es sich vorliegend nicht um eine an § 84 StVollzG zu messende Durchsuchungsmaßnahme handelt. Die Definition der Durchsuchung entspricht grundsätzlich der des Polizeirechts und des Strafprozessrechts. Danach ist eine Durchsuchung des Gefangenen gegeben, wenn nach Sachen oder Spuren in oder unter der Kleidung sowie auf der Körperoberfläche und in Körperhöhlen und Körperöffnungen, die ohne Eingriff mit medizinischen Hilfsmitteln einzusehen sind, gesucht wird. Entsprechendes gilt für die Durchsuchung von Sachen oder des Haftraumes des Gefangenen (Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 84
16Rdn. 2). Die bloße Sichtkontrolle durch ein Fenster, dass der Gefangene keine Selbstmordversuche unternimmt, fällt ersichtlich nicht hierunter.
17Vielmehr handelt es sich bei der angeordneten Sicherungsmaßnahme um eine solche nach § 88 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG, soweit sie zur Nachtzeit durchzuführen war und eine solche nach § 4 Abs. 2 StVollzG im Übrigen (vgl. BGH NJW 1991, 2652). Hier ging es offensichtlich um eine Beobachtung nicht zur Nachtzeit, was sich aus dem Umstand ergibt, dass der Betroffene bei oder kurz nach der Körperpflege nach sportlicher Betätigung (Laufen in der Freistunde) angetroffen wurde. Maßstab der Überprüfung ist also § 4 Abs. 2 StVollzG. Danach dürfen dem Gefangenen nur Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerlässlich sind. Grundsätzlich ist zwar die Beobachtung durch einen Türspion oder ein Fenster zum Haftraum – auch durch weibliche Bedienstete – eine zulässige Maßnahme zur Abwendung der Realisierung einer Selbstmordgefahr. Auch hierbei ist freilich die Intimsphäre des Gefangenen, die durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt wird, möglichst zu schonen. Dem wurde im angefochtenen Beschluss nicht vollständig Rechnung getragen. Soweit die angefochtene Entscheidung darauf abstellt, die beanstandeten Sichtkontrollen durch weibliche Bedienstete seien zu Zeiten erfolgt, in denen „grundsätzlich nicht damit zu rechnen ist, dass der Gefangene sich in seinem Haftraum nackt aufhält“, hätte es gleichwohl der Erörterung bedurft ob nicht gleichwohl auch hier die Möglichkeit bestand, sich vor der Verschaffung des Einblicks in den Haftraum des Betroffenen in irgendeiner Form anzukündigen, um ihm so die Möglichkeit zu geben, einen – wenn auch nicht zu erwartenden, jedoch gleichwohl nicht fern liegenden – etwaigen Eingriff in seine Intimsphäre abzuwenden. Insoweit gelten nach Auffassung des Senats die verfassungsgerichtlichen Anforderungen zum Sich-bemerkbar-Machen vor einem Betreten des Haftraumes (s.o.) entsprechend. Es hätte also hier der Erörterung bedurft, warum es, wenn eine weibliche Bedienstete die Beobachtung durchführt, nicht möglich gewesen sein sollte, dass diese die Sichtkontrolle zuvor (etwa durch Abgabe eines vorher mit dem Gefangenen vereinbarten Zeichens, durch Ansprache durch die Haftraumtür hindurch o.ä.) ankündigte. Ein solcher Grund könnte etwa dann vorliegen, wenn zu befürchten ist, dass der Gefangene eine Selbstmordabsicht noch zwischen Ankündigung und Sichtkontrolle verwirklicht und aufgrund dessen ein zeitlicher Vorlauf entstünde, der die Sicherungsmaßnahme leerlaufen ließe. Mit diesen Fragen setzt sich der angefochtene Beschluss indes nicht auseinander.
18Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass es angesichts des Sicherungszwecks der Maßnahme freilich nicht erforderlich ist, eine Sichtkontrolle bis zu einer entsprechenden Zustimmungserklärung des Gefangenen hinauszuschieben oder sonst länger zuzuwarten, als es notwendig ist, damit der Gefangene seine etwaige Blöße bedecken kann.
19Die Frage, ob es auch bei der Durchführung der Sichtkontrolle durch männliche Bedienstete grundsätzlich einer Vorankündigung bedurft hätte, kann vorliegend dahinstehen, da der Betroffene insoweit keine Rechtsverletzung geltend macht.

moreResultsText
Annotations
(1) Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, werden nicht erhoben. Das Gleiche gilt für Auslagen, die durch eine von Amts wegen veranlasste Verlegung eines Termins oder Vertagung einer Verhandlung entstanden sind. Für abweisende Entscheidungen sowie bei Zurücknahme eines Antrags kann von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.
(2) Die Entscheidung trifft das Gericht. Solange nicht das Gericht entschieden hat, können Anordnungen nach Absatz 1 im Verwaltungsweg erlassen werden. Eine im Verwaltungsweg getroffene Anordnung kann nur im Verwaltungsweg geändert werden.
(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend.
(4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
(1) Gefangene, ihre Sachen und die Hafträume dürfen durchsucht werden. Die Durchsuchung männlicher Gefangener darf nur von Männern, die Durchsuchung weiblicher Gefangener darf nur von Frauen vorgenommen werden. Das Schamgefühl ist zu schonen.
(2) Nur bei Gefahr im Verzug oder auf Anordnung des Anstaltsleiters im Einzelfall ist es zulässig, eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorzunehmen. Sie darf bei männlichen Gefangenen nur in Gegenwart von Männern, bei weiblichen Gefangenen nur in Gegenwart von Frauen erfolgen. Sie ist in einem geschlossenen Raum durchzuführen. Andere Gefangene dürfen nicht anwesend sein.
(3) Der Anstaltsleiter kann allgemein anordnen, daß Gefangene bei der Aufnahme, nach Kontakten mit Besuchern und nach jeder Abwesenheit von der Anstalt nach Absatz 2 zu durchsuchen sind.
(1) Gegen einen Gefangenen können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach seinem Verhalten oder auf Grund seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maß Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht.
(2) Als besondere Sicherungsmaßnahmen sind zulässig:
- 1.
der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen, - 2.
die Beobachtung auch mit optisch-elektronischen Einrichtungen, - 3.
die Absonderung von anderen Gefangenen, - 4.
der Entzug oder die Beschränkung des Aufenthalts im Freien, - 5.
die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände und - 6.
die Fesselung.
(3) Maßnahmen nach Absatz 2 Nr. 1, 3 bis 5 sind auch zulässig, wenn die Gefahr einer Befreiung oder eine erhebliche Störung der Anstaltsordnung anders nicht vermieden oder behoben werden kann.
(4) Bei einer Ausführung, Vorführung oder beim Transport ist die Fesselung auch dann zulässig, wenn aus anderen Gründen als denen des Absatzes 1 in erhöhtem Maß Fluchtgefahr besteht.
(5) Besondere Sicherungsmaßnahmen dürfen nur soweit aufrechterhalten werden, als es ihr Zweck erfordert.
(1) Der Gefangene wirkt an der Gestaltung seiner Behandlung und an der Erreichung des Vollzugszieles mit. Seine Bereitschaft hierzu ist zu wecken und zu fördern.
(2) Der Gefangene unterliegt den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen seiner Freiheit. Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, dürfen ihm nur Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerläßlich sind.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.