Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 28. Juni 2016 - 1 RVs 46/16
Gericht
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
1
Gründe:
2I.
3Das Amtsgericht Hamm hat den Angeklagten am 17. Juli 2015 wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt.
4Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte zunächst unbeschränkt Berufung eingelegt. In der Berufungshauptverhandlung am 17. März 2016 ist der Angeklagte nicht erschienen. Der mit Beschluss des Amtsgerichts Hamm vom 10. April 2015 bestellte und zuvor als Wahlverteidiger tätige Pflichtverteidiger, der nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils in der Hauptverhandlung bereit und willens war, für den Angeklagten aufzutreten, und nach Auffassung der Strafkammer zur Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten im Sinne des § 329 Abs. 2 StPO bevollmächtigt war, hat in diesem Termin das Rechtsmittel mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Im Folgenden hat das Landgericht die Berufung verworfen. Die Kammer hat dabei die Rechtsmittelbeschränkung als wirksam und daher die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils zur Tat als bindend angesehen und im Urteil als Zitat wiedergegeben.
5Gegen das Urteil des Landgerichts hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese mit der Erhebung der allgemeinen Sachrüge begründet.
6Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
7II.
8Die zulässige Revision hat auf die Sachrüge hin (vorläufig) Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
9Die in der Berufungshauptverhandlung vom Verteidiger gemäß § 318 StPO erklärte Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, da dem Verteidiger zur nachträglichen Beschränkung eines Rechtsmittels – hier: der Berufung nach Ablauf der Begründungsfrist des § 317 StPO (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 3 Ss 514/07 –, juris m. w. N.) – die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung fehlte. Dies hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen.
10Zwar hatte der Angeklagte dem Verteidiger bei Erteilung des Wahlmandats vor dessen Bestellung zum Pflichtverteidiger eine am 10. April 2015 zur Akte gereichte (Formular)Vollmacht erteilt, die insbesondere das Recht umfassen sollte, „ein Rechtsmittel einzulegen, ganz oder teilweise zurückzunehmen oder auf es zu verzichten, sowie Rechtsmittel zu beschränken“. Diese war jedoch zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung weder wirksam, noch würde sie bei unterstellter Wirksamkeit den an eine ausdrückliche Ermächtigung im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO zu stellenden Anforderungen genügen.
11Die erteilte (Formular)Vollmacht ist mit der Niederlegung des Wahlmandats durch den Verteidiger im Zusammenhang mit seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger durch Beschluss des Amtsgerichts Hamm vom 10. April 2015 erloschen. Dies ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 168 BGB, wonach die Vollmacht mit dem ihr zugrunde liegenden Rechtsgeschäft erlischt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Juni 2012 – III-1 RVs 41/12 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 3. April 2014 – III-5 RVs 11/14 –, juris). Die besondere Vertretungsvollmacht des Verteidigers folgt auch nicht allein aus der Bestellung zum Pflichtverteidiger. Der Pflichtverteidiger hat grundsätzlich dieselbe Rechtsstellung wie der gewählte Verteidiger (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, vor § 137 Rn. 1). Er ist aber nicht der Vertreter des Angeklagten, sondern dessen Beistand, der einen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen hat. Er bedarf daher ebenso wie der Wahlverteidiger zur Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung einer besonderen schriftlichen Vollmacht (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Juni 2012, a. a. O.).
12Eine ausdrückliche Ermächtigung gemäß § 302 Abs. 2 StPO muss sich zudem wegen der besonderen Tragweite, die eine Rechtsmittelrücknahme bzw. eine nachträgliche Rechtsmittelbeschränkung in aller Regel hat, nämlich der grundsätzlichen Unwiderruflichkeit der abgegebenen Erklärung und des regelmäßigen Ausschlusses einer Anfechtungsmöglichkeit wegen Irrtums, auf ein bestimmtes Rechtsmittel beziehen. Es bedarf daher grundsätzlich der genauen Bezeichnung des Rechtsmittels, zu dessen Rücknahme ermächtigt wird, durch den Angeklagten. Diese ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich die Konkretisierung ohne Weiteres aus den Umständen des Einzelfalls ergibt, etwa weil eine allgemein formulierte, dem Verteidiger die Befugnis zur Rücknahme „von Rechtsmitteln“ erteilende Vollmacht nur bzw. erst für ein Berufungsverfahren oder nur bzw. erst zur Durchführung der Revision erteilt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juni 2016 – III-1 RVs 16/16 –; KG, Beschluss vom 8. Januar 2015 – 4 Ws 128/14 –, juris; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., zu § 302, Rn. 32, m.w.N.). Eine solche Konkretisierung ist hingegen vorliegend weder dem Wortlaut der zur Akte gereichten Vollmachtsurkunde noch den sonstigen Umständen zu entnehmen, zumal die Ermächtigung zur Rücknahme von Rechtsmitteln bereits vor der erstinstanzlichen Hauptverhandlung erteilt worden ist.
13Einer – in einer gleichgelagerten Sache erfolgten – Nachfrage des Senats bei dem Verteidiger, ob ihm der Angeklagte zu einem Zeitpunkt nach der allgemeinen Vollmachtserteilung eine ausdrückliche Ermächtigung zur Berufungsrücknahme erteilt hat, bedurfte es im vorliegenden Verfahren nicht, da hierfür nichts ersichtlich ist. Gegen die Erteilung einer ausdrücklichen Ermächtigung spricht vielmehr, dass sich der Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung am 17. März 2016 ausdrücklich auf die unter dem 10. April 2015 zur Akte gereichte (Formular)Vollmacht bezogen hat.
14Die fehlende Ermächtigung zur Beschränkung der Berufung hat zur Folge, dass das Rechtsmittel als unbeschränkt eingelegt anzusehen ist. Mangels einer wirksamen Beschränkung war die Strafkammer verpflichtet, den Sachverhalt in vollem Umfang festzustellen und rechtlich zu bewerten. Das ist hinsichtlich der Feststellungen zur Tat nicht erfolgt.
15Der Senat konnte bereits entscheiden, ohne den Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO abzuwarten, da das Rechtsmittel des Angeklagten Erfolg hat.
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(1) Ist bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt, so hat das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen. Ebenso ist zu verfahren, wenn die Fortführung der Hauptverhandlung in dem Termin dadurch verhindert wird, dass
- 1.
sich der Verteidiger ohne genügende Entschuldigung entfernt hat und eine Abwesenheit des Angeklagten nicht genügend entschuldigt ist oder der Verteidiger den ohne genügende Entschuldigung nicht anwesenden Angeklagten nicht weiter vertritt, - 2.
sich der Angeklagte ohne genügende Entschuldigung entfernt hat und kein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend ist oder - 3.
sich der Angeklagte vorsätzlich und schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat und kein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend ist.
(2) Soweit die Anwesenheit des Angeklagten nicht erforderlich ist, findet die Hauptverhandlung auch ohne ihn statt, wenn er durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten wird oder seine Abwesenheit im Fall der Verhandlung auf eine Berufung der Staatsanwaltschaft nicht genügend entschuldigt ist. § 231b bleibt unberührt.
(3) Kann die Hauptverhandlung auf eine Berufung der Staatsanwaltschaft hin nicht ohne den Angeklagten abgeschlossen werden oder ist eine Verwerfung der Berufung nach Absatz 1 Satz 4 nicht zulässig, ist die Vorführung oder Verhaftung des Angeklagten anzuordnen, soweit dies zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten ist.
(4) Ist die Anwesenheit des Angeklagten in der auf seine Berufung hin durchgeführten Hauptverhandlung trotz der Vertretung durch einen Verteidiger erforderlich, hat das Gericht den Angeklagten zur Fortsetzung der Hauptverhandlung zu laden und sein persönliches Erscheinen anzuordnen. Erscheint der Angeklagte zu diesem Fortsetzungstermin ohne genügende Entschuldigung nicht und bleibt seine Anwesenheit weiterhin erforderlich, hat das Gericht die Berufung zu verwerfen. Über die Möglichkeit der Verwerfung ist der Angeklagte mit der Ladung zu belehren.
(5) Wurde auf eine Berufung der Staatsanwaltschaft hin nach Absatz 2 verfahren, ohne dass ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war, hat der Vorsitzende, solange mit der Verkündung des Urteils noch nicht begonnen worden ist, einen erscheinenden Angeklagten oder Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist. Eine Berufung der Staatsanwaltschaft kann in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 und 2 auch ohne Zustimmung des Angeklagten zurückgenommen werden, es sei denn, dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 4 vorliegen.
(6) Ist die Verurteilung wegen einzelner von mehreren Taten weggefallen, so ist bei der Verwerfung der Berufung der Inhalt des aufrechterhaltenen Urteils klarzustellen; die erkannten Strafen können vom Berufungsgericht auf eine neue Gesamtstrafe zurückgeführt werden.
(7) Der Angeklagte kann binnen einer Woche nach der Zustellung des Urteils die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den in den §§ 44 und 45 bezeichneten Voraussetzungen beanspruchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Die Berufung kann auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Ist dies nicht geschehen oder eine Rechtfertigung überhaupt nicht erfolgt, so gilt der ganze Inhalt des Urteils als angefochten.
Die Berufung kann binnen einer weiteren Woche nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels oder, wenn zu dieser Zeit das Urteil noch nicht zugestellt war, nach dessen Zustellung bei dem Gericht des ersten Rechtszuges zu Protokoll der Geschäftsstelle oder in einer Beschwerdeschrift gerechtfertigt werden.
(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.
Das Erlöschen der Vollmacht bestimmt sich nach dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Die Vollmacht ist auch bei dem Fortbestehen des Rechtsverhältnisses widerruflich, sofern sich nicht aus diesem ein anderes ergibt. Auf die Erklärung des Widerrufs findet die Vorschrift des § 167 Abs. 1 entsprechende Anwendung.
(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.