Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil, 06. Dez. 2018 - 20 U 124/15
Tenor
I.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 13.08.2015 verkündete Urteil der 14c. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das genannte Urteil wird zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
1I.
2Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
3Durch dieses hat das Landgericht die Klage abgewiesen, mit der die Klägerin der Beklagten untersagen lassen will, näher bezeichnete Zentrierstifte in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen, einzuführen, zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken zu besitzen, sowie näher bezeichnete Folgeansprüche geltend macht. Auf die Widerklage (Antrag zu 1.)) hat das Landgericht 17 Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin, die Zentrierstifte zum Gegenstand haben, für nichtig erklärt. Hinsichtlich der mit der Widerklage ebenfalls (Antrag zu 2.)) geltend gemachten vorprozessualen Kosten der Beklagten, die durch ihre anwaltliche Stellungnahme zur Abmahnung der Klägerin entstanden sind, hat das Landgericht die Widerklage abgewiesen.
4Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die streitgegenständlichen Gemeinschaftsgeschmacksmuster, die jeweils einen Zentierstift mit langem Kegel mit geringfügig voneinander abweichenden Proportionen zum Gegenstand hätten, seien nichtig, da sie bereits gemäß Art. 8 Abs. 1 GGV vom Geschmacksmusterschutz ausgeschlossen seien. Danach bestehe ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt seien. Diese Voraussetzungen seien nach einer Meinung erfüllt, wenn keine gangbare Designalternative zu Merkmalen existiere, mit welcher das Erzeugnis seine technische Funktion in zumindest gleicher Weise erfülle. Ob dies vorliegend der Fall sei, könne dahinstehen. Die Kammer schließe sich nämlich der Rechtsprechung der 3. Beschwerdekammer des Harmonsierungsamtes für den Binnenmarkt (HABM) an, das einen Anlass für die Gewährung von Geschmacksmusterschutz auch dann verneint, wenn die gestalterische Wirkung keinerlei Bedeutung für das Produktdesign hat, sondern allein auf Erwägungen der Funktionalität beruht (siehe Entscheidung vom 22.10.2009, R 690/2007-3 – Häcksler). Dabei komme es darauf an, ob ein objektiver Beobachter bei vernünftiger Betrachtungsweise zu dem Ergebnis komme, dass allein funktionale Erwägungen ausschlaggebend für die Designentscheidung gewesen seien. Unter Anwendung dieser Grundsätze sei die Formgebung der Klagegeschmacksmuster als rein technisch bedingt anzusehen. Hierfür spreche zunächst, dass im Hinblick auf die Gestaltungsmerkmale a) – f) und h) die gewählte Gestaltung unter Berücksichtigung des Einsatzzwecks technische Vorteile biete. Hinzu komme, dass die Klägerin selbst in ihrer als Anlage B 7 vorgelegten Werbung ausschließlich die technischen Vorteile sowohl des Werkstoffs als auch der Formgebung der Zentrierstifte hervorhebe. Dies bestätige auch die als Anlagen B 4 – 6 vorgelegte Berichterstattung Dritter über die von der Klägerin nach den Klagegeschmacksmustern vertriebenen Zentrierstifte. Schließlich habe sich bei der Vernehmung des Zeugen K., der für die Klägerin an der Entwicklung der Klagegeschmacksmuster maßgeblich beteiligt gewesen sei, deutlich herausgestellt, dass auch im Rahmen des Entwerfervorgangs allein funktionale Aspekte eine Rolle gespielt hätten. Bei der Zusammenschau dieser Umstände gehe die Kammer davon aus, dass bei objektiv-vernünftiger Betrachtungsweise die Formgebung nicht, auch nicht in geringem Umfang auf ästhetischen Erwägungen beruhe. Das Merkmal g), die blaue Farbgebung der Klagegeschmacksmuster, sei nicht geeignet, einen Geschmacksmusterschutz zu begründen. Dabei könne dahinstehen, ob die Farbgebung durch den Werkstoff vorgegeben und deshalb technisch bedingt sei. Denn sie sei für sich nicht ausreichend, eine Eigenart der Klagegeschmacksmuster zu begründen. Dass eine abweichende Farbgebung die Eigenart eines Geschmacksmusters begründe, komme nur bei Vorliegen besonderer Umstände, wie etwa einer ungewöhnlichen Farbgestaltung in Betracht. Vorliegend sei unstreitig, dass die blaue Farbgebung jedenfalls als Herkunftshinweis auf die Klägerin diene. Schon deshalb werde der informierte Benutzer die Farbgebung zur Bestimmung des Gesamteindrucks deutlich untergewichten. Die Farbgebung sei aber auch nicht ungewöhnlich, sondern in einer Grundfarbe gehalten.
5Ein Anspruch auf die Erstattung vorprozessualer Kosten stehe der Beklagten nicht zu, da es an dem für einen Schadensersatzanspruch notwendigen Verschulden fehle. Die Schutzrechtslage sei insbesonders im Hinblick auf den Rechtsbestand der Klagegeschmacksmuster nicht eindeutig und die von der Klägerin unter Inanspruchnahme anwaltlichen Rats vertretene Rechtsposition jedenfalls vertretbar.
6Aus dem zum Widerklageantrag zu 1.) Gesagten folge, dass die Klage unbegründet sei.
7Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung und macht geltend, bei richtiger Gesetzesanwendung habe das Landgericht die etablierte Auslegung des Art. 8 Abs. 1 GGV anwenden und, weil es Designalternativen gebe, zu einem anderen Ergebnis kommen müssen. Widersprüchlich sei die Vorgehensweise des Landgerichts, bei der Beurteilung der Frage, ob die gestalterische Wirkung Bedeutung für das Produktdesign habe, als Ausgangspunkt auf die Sichtweise eines objetiven Betrachters abzustellen, dann aber von der Aussage des Zeugen K. auszugehen.
8Die Klägerin beantragt,
9unter Abänderung des am 13.08.2015 verkündeten Urteils des Landgerichts Düsseldorf,
10I. die Beklagte zu verurteilen,
111. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt zwei Jahren, es zu unterlassen, in der Bundesrepublik Deutschland
12a. Zentrierstifte mit langem Kegel gemäß den nachfolgenden (hier verkleinert wiedergegebenen) Abbildungen
13M4
1415
und/oder
16M5
1718
und/oder
19M6
2021
und/oder
22M8
2324
und/oder
25M10
2627
und/oder
28M12
2930
und/oder
31b. Zentrierstifte mit langem Kegel und Bund gemäß den nachfolgenden (hier verkleinert wiedergegebenen) Abbildungen
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3334
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und/oder
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und/oder
50c. Zentrierstifte mit Kegelstumpf gemäß den nachfolgenden (hier verkleinert wiedergegebenen) Abbildungen
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und/oder
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6162
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66M12
6768
herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen, einzuführen, zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken zu besitzen;
692. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlich geordneten Verzeichnes vollständige Auskunft darüber zu erteilen und Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 19.10.2014 begangen hat, und zwar unter Angabe
70a. der Menge der hergestellten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
71b. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der jweiligen Abnehmer,
72c. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der jeweiligen Angebotsempfänger,
73d. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
74e. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
75II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jedweden Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 19.10.2004 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird;
76III. die Widerklage abzuweisen.
77Die Beklagte beantragt,
78die Berufung zurückzuweisen.
79Sie verteidigt das angefochtene Urteil, soweit es zu ihren Gunsten ergangen ist, unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens als zutreffend und ist der Ansicht, auf die verschiedenen Auffassungen zur Auslegung von Art. 8 Abs. 1 GGV komme es nicht an, da keine Gestaltungsmöglichkeiten vorhanden seien, die einen anderen Gesamteindruck der streitgegenständlichen Zentrierstifte vermittelten. Dies gelte jedenfalls bei Berücksichtigung des Einsatzzwecks.
80Für nicht richtig hält sie allerdings die teilweise Abweisung der Widerklage durch das Landgericht und macht insoweit geltend, vor dem Hintergrund, dass es sich vor-liegend um ungeprüfte Schutzrechte handele, hätte die Klägerin vor Abmahnung eine gründlichere Prüfung vornehmen müssen. Dabei hätte sie erkennen können und müssen, dass ihre Klagemuster nichtig sind bzw. die angegriffenen Erzeugnisse nicht in ihren Schutzbereich fallen.
81Die Beklagte beantragt deshalb im Wege der Anschlussberufung,
82das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit die Widerklage im Übrigen abge-wiesen wurde, und die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 3.098,- € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit Rechtshängigkeit der Widerklage zu zahlen.
83Die Klägerin beantragt,
84die Anschlussberufung zurückzuweisen.
85Der Senat hat durch Beschluss vom 07.07.2016 (Bl. 424 ff GA) dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV ein Vorabentscheidungsersuchen mit folgenden Fragen vorgelegt:
861. Liegt eine schutzausschließende technische Bedingtheit im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12.12.2001 über die Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Abl. L 003/2003 S. 1) auch dann vor, wenn die gestalterische Wirkung keinerlei Bedeutung für das Produktdesign hat, sondern die (technische) Funktionalität der einzige, das Design bestimmende Faktor ist?
872. Sollte der Gerichtshof die Frage zu Nummer 1) bejahen:
88Von welchem Standpunkt aus ist zu beurteilen, ob die einzelnen Gestaltungsmerkmale eines Produkts allein aus Erwägungen der Funktionalität gewählt worden sind. Ist ein „objektiver Beobachter“ maßgeblich und wenn ja, wie ist dieser zu definieren?
89Das Ersuchen ist vom Europäischen Gerichtshof durch Urteil vom 08.03.2018 – C-395/16 – (Bl. 459 ff GA) wie folgt beschieden worden:
901. Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12.12.2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass für die Beurteilung, ob Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, zu ermitteln ist, ob diese Funktion der einzige diese Merkmale bestimmende Faktor ist. Das Bestehen alternativer Geschmacksmuster ist insoweit nicht ausschlaggebend.
912. Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht für die Beurteilung, ob die fraglichen Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses im Sinne dieser Vorschrift ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, alle objektiven maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu würdigen hat. Auf die Sicht eines „objektiven Beobachters“ kommt es insoweit nicht an.
92Im Anschluss hieran hat die Klägerin vorgetragen, die Entwicklung der zum Gegen-stand der Klagegeschmacksmuster gemachten Zentrierstifte habe zwei Ziele ge-habt. In technischer Hinsicht sei es um die Verwendung eines neuen Werkstoffs, nämlich Keramik statt Metall, gegangen. Zum anderen sei es ihr Anliegen gewesen, dass sich die geschützten Zentrierstifte optisch von den Wettbewerbsprodukten un-terscheiden, um Verwechslungen beim Kauf der Stifte und bei deren täglicher An-wendung zu vermeiden. Der Unterscheidung diene die Farbe Blau und die konkrete Kontur und Form der jeweiligen Stifte.
93Die Beklagte hat in ihrer Stellungnahme nach Beendigung des Vorlageverfahrens unter anderem ausgeführt, dass bei Maschinenteilen wie den vorliegenden, die nur von Fachkreisen erworben würden, sich allein an technischen Funktionen – insbesondere der Passgenauigkeit und der Haltbarkeit bis zum nächsten Austausch – orientierten und beim regulären Betrieb nicht bzw. kaum sichtbar seien, generell davon auszugehen sei, dass die Produktgestaltung nur technischen Überlegungen geschuldet sei. Sie hat des Weiteren behauptet, die Klägerin habe durch ihren Prozessbevollmächtigten vor dem EuGH auf Nachfrage erklärt, dass
94• die Optik der Zentrierstifte für die Kaufentscheidung der Kunden keine Rolle spiele und
95• der obere Bereich der Zentrierstifte jeweils eine technische Funktion habe.
96Die Klägerin hat daraufhin schriftsätzlich bestritten, dass ihr Prozessbevollmächtigter diese Äußerung getätigt hat. In der mündlichen Verhandlung hat sie ihr Bestreiten dahingehend modifiziert, dass die Äußerung zur technischen Funktion der oberen Bereiche der Zentrierstifte komplexer als behauptet gewesen sei. Die Tätigung der Aussage, die Optik der Zentrierstifte spiele für die Kaufentscheidung der Kunden keine Rolle, hat sie mit Nichtwissen bestritten, nachdem ihr Prozessbevollmächtiger auf Nachfrage des Senats erklärt hatte, sich nicht erinnern zu können, ob er eine solche Aussag getätigt hat.
97Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Zentrierstifte seien sichtbar, weil sie in einer Aufbewahrungsbox geliefert, aufbewahrt und dort sichtbar sortiert seien. Auch bei einem Wechsel der Zentrierstifte in der Maschine komme die vollständige Gestaltung zur Geltung. Sie verweist auf die Beweislast der Beklagten für die Technizität und meint, die Vernehmung des Entwerfers sei das einzige taugliche Beweismittel zur Feststellung der Motive des Entwerfers. Die Würdigung des Landgerichts in Bezug auf die Aussage des Zeugen K. sei unzutreffend; dieser sei zu den Motiven bei der Auswahl der Gestaltungsmerkmale nicht befragt worden. Die Art der Ware spreche vorliegend für die Relevanz der ästhetischen Gestaltung, da der Käufer Ersatzteile bevorzuge, die den bisher eingesetzten weitgehend entsprechen. Die ästhetische Wirkung werde in der Werbung unterstrichen. Eine Gestaltung, die bewusst eine nicht vorhandene Technizität vermittle, könne eine ästhetische sein.
98Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien ge-wechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
99Berufung und Anschlussberufung sind zulässig. In der Sache Erfolg haben beide nicht.
1001.) Berufung der Klägerin
101Aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung ist der Widerkla-geantrag zu 1.) begründet und die Klage damit unbegründet. Die streitgegenständlichen Gemeinschaftsgeschmacksmuster sind gemäß Art. 8 Abs. 1 GGV vom Geschmacksmusterschutz ausgenommen.
102Zu Recht ist das Landgericht im Ansatz davon ausgegangen, dass eine nach Art. 8 Abs. 1 GGV schutzausschließende technische Bedingtheit auch dann vorliegt, wenn die (technische) Funktionalität der einzige das Design bestimmende Faktor ist. Diese Frage war bislang in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet worden. Sie ist auf die Vorlage des Senats vom EuGH nunmehr im Sinne des Landgerichts entschieden. Ob die fraglichen Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, bestimmt sich – so der EuGH – nach den objektiven maßgeblichen Umständen des Einzelfalles, aus denen die Motive für die Wahl der Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses deutlich werden, nach Informationen über dessen Verwendung oder auch nach dem Bestehen alternativer Geschmacksmuster, mit denen sich dieselbe technische Funktion erfüllen lässt, soweit für diese Umstände, Informationen oder Alternativen tragfähige Beweise vorliegen.
103Dabei ist es zutreffend, dass die Beklagte, die sich auf den Ausschlussgrund des Art. 8 Abs. 1 GGV beruft, für das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen darlegungs- und beweisbelastet ist. Diese Pflicht hat sie erfüllt. Die festzustellenden objektiven Umstände des vorliegenden Falles lassen allein den Schluss darauf zu, dass die Merkmale der streitgegenständlichen Gemeinschaftsgeschmacksmuster ausschließlich durch die technische Funktion der geschützten Zentrierstifte bedingt sind.
104Bei Produkten, die nur von Fachkreisen erworben, sodann in Maschinen verbaut und anschließend allein im Rahmen industrieller Fertigung benutzt werden, entspricht es bereits der Lebenserfahrung, dass die Merkmale des Produkts ausschließlich deren Funktion geschuldet sind. Entscheidend für den Verwender sind in einer solchen Konstellation nämlich Passform und Langlebigkeit der Teile, für den Hersteller sind es ein großer Absatzmarkt und eine kostengünstige Herstellungsmöglichkeit. Dies hat der Zeuge K. anlässlich seiner Aussage vor dem Landgericht für den Bereich der Zentrierstifte ausdrücklich bestätigt. Es spricht objektiv nichts dafür, dass, wie es die Klägerin jetzt für die von den Klageschutzrechten umfassten Produkte behauptet, ein industrieller Entwerfer bei solchen Produkten Merkmale auch im Hinblick darauf gestaltet, dass sie „elegant“ aussehen und/oder eine Verwechslung beim Kauf und bei der täglichen Anwendung vermeiden helfen. „Eleganz“ ist kein Aspekt, der irgendeinen wirtschaftlichen Vorteil bietet. Nur auf solche kommt es industriellen Abnehmern aber an. Was den Kauf anbelangt, weiß der Senat aufgrund seiner langjährigen Befassung mit der Materie, dass – wofür ebenfalls die Lebenserfahrung spricht – ein Kauf auf „Sicht“ in der Industrie nicht vorkommt. Geht es um Verschleißteile, zu denen die vorliegend streitgegenständlichen Zentrierstifte gehören, wird in erster Linie versucht, Ersatzteile von demselben Hersteller zu bekommen, da man dann sicher sein kann, dass sie passen. Dass Käufer Ersatzteile bevorzugen, die den bisher eingesetzten weitgehend entsprechen, räumt auch die Klägerin in ihrem letzten Schriftsatz ein. Soweit sie meint, dies spreche für die Relevanz der ästhetischen Gestalt, kann dem nicht gefolgt werden. Denn es ist ausgeschlossen, dass das „Passen“ von einem industriellen Käufer nach „Sicht“ bestimmt wird. Dies birgt, schon was die allein sichtbare Form anbelangt, zu viele Risiken. Hier kommt es auf Millimeter an. Relevant ist aber auch das Material, so dass ein Käufer nur sicher gehen kann, ein passendes Ersatzteil zu erwerben, wenn er auf die genaue Artikelbezeichnung des bisher verwendeten Zentrierstiftes bzw. seine in Zahlen angegebene Gestalt und das benötigte Material verweist. Ist der Weg über den Hersteller des zu ersetzenden Teils nicht gangbar, wird von industriellen Käufern der Hersteller ausgewählt, der ein den technischen Anforderungen genügendes Produkt termingerecht liefern kann. Dies haben fachkundige Zeugen für eine vergleichbare Fallgestaltung in einem anderen Verfahren vor dem Senat glaubhaft bestätigt, wie der Senat bereits im Vorlagebeschluss dargelegt hat. Dies und die beabsichtigte Verwendung dieses Wissens im vorliegenden Verfahren hat der Senat den Parteien in der mündlichen Verhandlung am 06.11.2018 nochmals ausdrücklich mitgeteilt. Wie es zu der von der Klägerin nunmehr in den Raum gestellten Verwechslungsgefahr „in der täglichen Anwendung“ kommen soll, wird von der Klägerin nicht nachvollziehbar erläutert und ist auch nicht ansonsten ersichtlich. Von einer Verwechslungsgefahr im Dauerbetrieb scheint sie selber nicht auszugehen. Jedenfalls spricht sie nur von Kunden durchgeführte Tests an, bei denen – so die Klägerin – auch Wettbewerbsprodukte, in diesem Fall nicht nur die bekannten Stifte aus Stahl, sondern auch Stifte aus Industriekeramik, die von Wettbewerbern der Klägerin inzwischen am Markt angeboten wurden, eingesetzt worden seien. Gerade bei Testläufen ist jedoch eine genaue Dokumentation üblich, sprich es wird Buch darüber geführt, welches Produkt gerade getestet wird und welche Erfahrungen damit verbunden sind. Im Übrigen erfolgten die Tests der Zentrierstifte nicht dergestalt, dass die Stifte in kurzer Zeit gegeneinander ausgetauscht wurden. Vielmehr wurden die Stifte, wie der Zeuge K. bekundet hat, von den Kunden „unter Serienbedingungen“ getestet, „also beispielsweise 6 Wochen für die Produktion eingesetzt oder auch länger, eben solange bis sie in die Knie gingen“.
105Ob die Klägerin wie von ihr im Schriftsatz vom 16.05.2018 behauptet subjektiv das Ziel der Vermeidung von Verwechslungen erreichen wollte, ist nach den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen unerheblich, da danach nur auf die objektiven Umstände, aus denen die Motive für die Wahl der Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses deutlich werden, nicht auf die subjektiven abzustellen ist. Es ist mithin unzutreffend, dass – wie die Klägerin in ihrem letzten Schriftsatz meint – alleine durch eine Vernehmung des Entwerfers die maßgeblichen Motive festgestellt wer-den können. Das Gegenteil hat sie im Übrigen in ihrer an den EuGH gerichteten Stellungnahme zum Vorlagebeschluss vertreten, weshalb der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen ausführt (siehe Rdnr. 52):
106„In Bezug auf die Frage des objektiven oder subjektiven Charakters der Prüfung, die für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 vorzunehmen ist, sind sich die Parteien des Ausgangsverfahrens und die Beteiligten, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, einig, dass die subjektive Intention des Entwerfers, die er beim Entwurf des fraglichen Geschmacksmusters hatte, nicht der entscheidende Faktor sein kann, anhand dessen geklärt werden kann, ob dieses Geschmacksmuster aufgrund rein technischer Erwägungen gewählt wurde. Auch ich bin dieser Auffassung.“
107Die in Bezug genommene Erklärung der Klägerin im Vorlageverfahren lautete:
108„Die positive Beantwortung der Vorlagefrage 1 zöge erhebliche Schwierigkeiten bei der praktischen Handhabbarkeit der Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 GGV nach sich. Zunächst müsste festgestellt werden, ob es darauf ankommt, ob der Desig-ner bei der Gestaltung des Erzeugnisses tatsächlich nur die technische Funktion oder auch die ästhetische Wirkung des Erzeugnisses in seine Gestaltungsent-scheidung hat einfließen lassen. Wollte man hierauf abstellen, hätte dies zufolge, dass innere Tatsachen, nämlich die Gedanken, die sich der Designer des Erzeugnisses bei dem Designprozess gemacht hat, in einem Rechtsstreit zu ermitteln wären. Dies wirft Schwierigkeiten auf. Zum einen wird der Designer häufig in einem Rechtsstreit zur Vernehmung als Zeuge nicht zur Verfügung stehen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sich ein solcher Zeuge bei seiner Aussage von dem Umstand beeinflussen lässt, dass sein Design einen besseren Schutz genießt, wenn er aussagt, dass er bei der Gestaltung auch ästhetische Wirkungen im Blick gehabt habe.“
109Eine Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen K., M. und L. dazu, „dass die Erreichung einer technischen Funktion nicht das einzige Motiv des Entwerfers der Klagegeschmacksmuster war“, kam schon deshalb nicht in Betracht.
110Die streitgegenständlichen Zentrierstifte geben keine Veranlassung, von der dargelegten allgemeinen Beurteilung abzuweichen. Sie gehören zu der oben genannten Produktkategorie. Wenn sie – dies sei zugunsten der Klägerin unterstellt – gut sichtbar sortiert in einer Aufbewahrungsbox geliefert werden, ändert das nichts daran, dass sie weder in der Aufbewahrungsbox liegend noch bei ihrem Wechsel noch bei ihrem Einsatz für Außenstehende sichtbar sind. Ihre Merkmale a) bis f) bieten technische Vorteile. Den diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird und denen, was ihre tatsächliche Richtigkeit anbelangt, die Klägerin nicht entgegen getreten ist, ist nichts hinzufügen.
111Ob der klägerische Prozessbevollmächtigte im Rahmen des Vorlageverfahrens vor dem EuGH auf dessen Nachfrage erklärt hat, dass die Optik der Zentrierstifte für die Kaufentscheidung der Kunden keine Rolle spielt und der obere Bereich der Zentrierstifte jeweils eine technische Funktion hat, ist nach alledem nicht streitentscheidend. Aus Gründen der Vollständigkeit sei jedoch gesagt, dass der Beurteilung als unstreitig zugrunde zu legen ist, dass er vor dem EuGH auf dessen Nachfrage eingeräumt hat, dass die Optik der Zentrierstifte für die Kaufentscheidung der Kunden keine Rolle spielt. Dies bestätigt das obige Ergebnis.
112Nachdem von Seiten der Klägerin in einem nicht vom sachbearbeitenden Klägervertreter, sondern einem anderen Rechtsanwalt der Kanzlei unterschriebenen Schriftsatz die Tätigung einer solchen Aussage positiv bestritten worden war, hat der sachbearbeitende Klägervertreter auf die – durch die straf- und berufsrechtliche Relevanz der Vorgänge veranlasste – Frage des Senats in der mündlichen Verhandlung am 06.11.2018, ob auch er persönlich dies bestreitet und sich als Zeugen für die Nichttätigung der Aussage anbietet, erklärt, er könne sich nicht erinnern, ob er vor dem EuGH gesagt habe, die Optik der Zentrierstifte spiele für die Kaufentscheidung der Kunden keine Rolle, und bestreite dies daher mit Nichtwissen. Damit ist das positive Bestreiten der Klägerin korrigiert. Ihr nunmehriges Bestreiten mit Nichtwissen ist prozessual unzulässig. Gemäß § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Die Wahrnehmung ihres Prozessbevollmächtigten muss sich die Klägerin zurechnen lassen, § 85 ZPO. Zwar kommt nach der Rechtsprechung ausnahmsweise ein Bestreiten eigener Handlungen und Wahrnehmungen in Betracht, wenn die Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft macht, sich an gewisse Vorgänge nicht mehr erinnern zu können; die bloße Behauptung, sich nicht zu erinnern, reicht indessen nicht aus (vgl. BGH NJW 1995, 130 m.w.N.). Vorliegend spricht weder die Lebenserfahrung dafür, dass sich der Klägervertreter nicht mehr erinnern kann, ob und was er insoweit vor dem EuGH gesagt hat. Noch hat der Klägervertreter dies überhaupt, geschweige denn glaubhaft, erläutert. Der Auftritt vor dem EuGH ist für einen deutschen Rechtsanwalt keine alltägliche Angelegenheit. Die von Berufs wegen ohnehin zu fordernde Aufmerksamkeit bei der Teilnahme an einer mündlichen Gerichtsverhandlung war deshalb nach der Lebenserfahrung in der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH noch gesteigert. Die Frage, welche Anforderungen der Verkehr an die Zentrierstifte stellt, denen der Entwerfer naturgemäß mit der von ihm entworfenen Gestaltung entsprechen will, ist auch keine, die den Rechtsstreit allenfalls am Rande betrifft, sondern Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens für den Fall, dass der EuGH die Rechtsauffassung des Landgerichts teilt.
113Ob auch das Merkmal g), die durchgängig blaue Färbung der Stifte, eine technische Funktion hat, hat das Landgericht zu Recht dahinstehen lassen. Auf seine zutref-fenden Ausführungen, dass und weshalb diese Farbgebung alleine nicht geeignet ist, die für ein Design/Gemeinschaftsgeschmacksmuster notwendige Eigenart zu begründen, wird zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang Bezug genommen.
114Nur die technischen Vorteile werden von der Klägerin auch beworben, wie das Landgericht ebenfalls zu Recht festgestellt hat und was nach den Vorgaben des EuGH im Rahmen der Gesamtwürdigung als „Information zu dessen Verwendung“ im Sinne der Ausführungen des EuGH unter Rdnr. 37 zu berücksichtigen ist. Ein „elegantes“ Erscheinungsbild der Zentrierstifte findet im Text der Werbung keine Erwähnung. Die Klägerin hebt darin auch nicht hervor, dass die Stifte aufgrund ihres Aussehens leicht von denen der Konkurrenz zu unterscheiden seien. Dass die Klägerin ihre Produkte schön in Szene gesetzt bewirbt, führt zu keiner anderen Be-urteilung. Denn dies bedeutet nicht, dass der Kunde die abgebildeten Teile wegen der dort abgebildeten Form kauft. Auch werden die allein angesprochenen Fachleu-te entgegen der in der Berufungsbegründung von der Klägerin geäußerten Ansicht in einem schön designten Produkt nicht zwingend ein technisch ausgereiftes Produkt erblicken und es deshalb bei der Kaufentscheidung bevorzugen. Der Fachmann weiß, dass die Qualität in Aussehen und Funktion nicht Hand in Hand gehen muss. Soweit die Klägerin in ihrem letzten Schriftsatz meint, aus der Bewerbung der streitgegenständlichen Zentrierstifte könne nicht darauf geschlossen werden, dass der Entwerfer ausschließlich technische Motive bei der Gestaltung verfolgt habe, dies folge schon daraus, dass der Entwerfer und der Bewerbende unterschiedliche Personen seien und der Entwerfer keinen bestimmenden Einfluss auf die Bewerbung der Geschmacksmusterinhaberin habe, ist das schon deshalb nicht folgerichtig, weil der Entwerfer und der Bewerbende nicht „isoliert im Raum stehen“. Der Bewerbende erstellt die Werbung zur Erfüllung eines Auftrags, den er, wenn nicht vom Entwerfer selber, von demjenigen, in dessen Auftrag der Entwerfer tätig geworden ist, erhalten hat. Dieser wird die Absichten, die beim Entwurf eine Rolle gespielt haben, auch dem Werbenden kommunizieren. Denn diese Absichten ergeben sich – wie schon gesagt wurde – aus der Erwartung der Käufer, die durch die Werbung angesprochen werden sollen. Dies ist offensichtlich auch der Grund, weshalb der EuGH Informationen über die Verwendung des Produkts als Indiz dafür anerkennt, ob allein die technische Funktion das Motiv für die Wahl von Gestaltungsmerkmalen war.
115Weshalb – so die Ansicht der Klägerin – die Fähigkeit der vorliegenden Werbung, indizielle Bedeutung zu haben, dadurch geschmälert oder ausgeschlossen sein soll, dass „Gestaltungen, die bewusst eine nicht vorhandene Technizität vermitteln, eine ästhetische Gestaltung sein können“, wird von der Klägerin nicht erläutert und erschließt sich auch ansonsten nicht. Dies gilt schon deshalb, weil es vorliegend nicht um eine „Gestaltung, die bewusst eine nicht vorhandene Technizität vermittelt“, geht.
116Bleibt danach nur das Bestehen von Designalternativen, mit denen sich dieselbe technische Funktion erfüllen lässt, als für eine nicht ausschließlich technische Be-dingtheit der Merkmale der Klagegeschmacksmuster sprechender Umstand übrig, ist eine Schutzfähigkeit ausgeschlossen, da dieses Kriterium nach den dargelegten Grundsätzen des EuGH aus Rechtsgründen allein nicht den Nachweis erbringen kann, dass Erwägungen anderer Art als das Erfordernis, dass dieses Erzeugnis seine technische Funktion erfüllt, bei der Entscheidung für die Merkmale eine Rolle gespielt haben.
1172.) Anschlussberufung der Beklagten
118Der Widerklageantrag zu 2.) ist unbegründet. Es fehlt an dem für einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB notwendigen Verschulden. Zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Schutzrechtsklage bei Abmahnung nicht eindeutig und die von der Klägerin vertretene Rechtsposition jedenfalls vertretbar war. Wie der Senat schon im Vorlagebeschluss ausgeführt hat, sind die Klagegeschmacksmuster neu (siehe nachfolgend lit. a)) und eigenartig (siehe nachfolgend lit. b). Auch bestehen Designalternativen, die nicht in den Schutzbereich der Klagemuster fallen (siehe nachfolgend lit. c)), so dass die Klägerin mit der zum Zeitpunkt der Abmahnung herrschenden Meinung in Deutschland davon ausgehen durfte, die Klageschutzrechte seien nicht wegen technischer Bedingtheit nichtig. Schließlich war es nicht fahrlässig anzunehmen, die angegriffenen Ausführungsformen fielen in den Schutzbereich der Klageschutzrechte (dazu nachfolgend lit. d)).
119a) Dass ein identisches Geschmacksmuster vor dem Tag der Anmeldung der streit-gegenständlichen Schutzrechte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist und damit gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. b) GGV die Neuheit fehlt, was nach Art. 25 Abs. 1 lit. b) GGV einen Nichtigkeitsgrund darstellen würde, kann nicht festgestellt werden.
120(a) Was die Offenlegung der Anmeldung des Patents DE 1… (Anlage B 8) anbelangt, fallen die Unterschiede bereits bei den nachfolgend eingeblendeten Gegenüberstellungen seitens der Beklagten auf Seite 13 der Klageerwiderung (Bl. 41 f GA) auf.
121 122Soweit die Beklagte bzgl. dieser Klagemuster meint, die im Patent abgebildeten Zentrierstifte, die rechts wiedergegeben sein sollen, entsprächen dem jeweiligen Klagemuster links, vermag der Senat diese Auffassung aufgrund der offensichtlichen Unterschiede in der Spitzengestaltung und im Verhältnis des Durchmessers des Stiftkörpers im Verhältnis zum Durchmesser der Spitze nicht zu teilen. Dieser Bereich mag am eingespannten Zentrierstift nicht (vollständig) sichtbar sein, wenn er ein Blech hält. Er ist am eingespannten Zentrierstift aber sichtbar, wenn ein Blech noch nicht oder nicht mehr aufgelegt ist. Dies ergibt sich beispielsweise aus den Seiten 1 und 2 der Anlage B 7, die eine Werbung der Klägerin zeigt.
123Noch deutlicher werden die Unterschiede bei den nachfolgenden Gegenüberstellungen:
124 125(b) Gleiches gilt im Ergebnis für die Entgegenhaltung zweiter Stift links in der oberen Reihe von Anlage B 9, von dem die Klägerin eine vergrößerter Aufnahme als Anlage K 25 vorgelegt hat, die nachfolgend eingeblendet wird:
126 127Es handelt sich um einen Zentrierstift mit Kegelstumpf, der über einen deutlich sichtbaren, zweitgeteilten Übergang vom Grundkörper zur Kegelrundung verfügt, bestehend aus einer sich an den Grundkörper anschließenden Abschrägung und einer sich an die Abschrägung anschließenden Geraden, der eine ausgeprägte Rundung des Kegels folgt. Abgesehen von anderen sonstigen Proportionen zeigt keines der Klagegeschmacksmuster, die einen Zentrierstift mit Kegelstumpf zum Gegenstand haben, eine solche markante Aufteilung. Dies verdeutlichen die nachfolgend eingeblendeten Gegenüberstellungen:
128129
Zentrierstift gemäß Anlage K 25 0…-12
130131
Zentrierstift gemäß Anlage K 25 0…-13
132133
Zentrierstift gemäß Anlage K 25 0…-14
134135
Zentrierstift gemäß Anlage K 25 0…-15
136137
Zentrierstift gemäß Anlage K 25 0…-16
138139
Zentrierstift gemäß Anlage K 25 0…-17
140zu b):
141(a) Aus dem unter lit. a) Gesagten folgt, dass die dort abgehandelten Entgegenhaltungen auch der Eigenart der Klagemuster im Sinne von Art. 6 GGV nicht entgegen stehen. Die genannten Unterschiede führen jeweils zu einem unterschiedlichen Gesamteindruck.
142(b) Gleiches gilt für die weiteren, von der Beklagten in diesem Zusammenhang herangezogenen Entgegenhaltungen B 11, B 12, B 14, B 16, B 18, B 19 und B 20. Bei allen räumt die Beklagte selber Unterschiede zu den von ihr im Einzelnen zum Vergleich herangezogenen Klageschutzrechten ein. Diese Unterschiede sind entgegen der Ansicht der Beklagten für den Gesamteindruck von Bedeutung.
143c) Die Klägerin hat Designalternativen insbesondere durch die Vorlage der Zentrierstifte Anlage K 27 in das Verfahren eingeführt. Diese weisen einen anderen Ge-samteindruck auf, wie auch die Beklagte mit Schriftsatz vom 22.10.2014 (dort Seite 7) eingeräumt hat. Ob es sich um handelsübliche Stifte oder um solche, die für ei-nen Kunden hergestellt wurden, handelt, ist unerheblich. Maßgeblich ist allein dass es sich um gangbare Designalternativen handelt, was zu bejahen ist, wenn mit ihnen die technische Funktion der Merkmale der Klageschutzrechte in zumindest gleicher Weise erfüllt werden (vgl. Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, 2. Aufl., Art. 8 Rdnr. 18; Eichmann DesignG, 5. Aufl., § 3 Rdnr. 8 m.w.N.). Dies ist jedenfalls bei der nachfolgend eingeblendeten Spitzengestaltung
144 145der Fall, die unabhängig von der Ausgestaltung des Fußes den angegriffenen Aus-führungsformen einen von den Klageschutzrechten abweichenden Gesamteindruck verschaffen würde. Soweit die Beklagte einwendet, dieser Stift sei mit den streitgegenständlichen Zentrierstiften technisch nicht vergleichbar, sondern technisch nachteilig, aufgrund der Gestaltung des oberen Abschnittes sitze die Mutter zunächst schräg auf, es komme nicht zum Formschluss, die Selbstzentrierung sei mangelhaft und die Zentrierung erfolge erst, wenn die Oberelektrode aufgesetzt werde, erscheint das nicht schlüssig. Die Klägerin setzt dem aus Sicht des Senats zu Recht entgegen, dass die Mutter bei jedem konischen oberen Abschnitt, mithin bei Stiften gemäß der Klagemuster sich nie selbst zentriere, sondern immer (abhängig von der Länge und des Winkels des konischen Bereichs) mehr oder weniger schräg aufsitze. Diese Argumentation betrifft im Übrigen nicht nur nach Klageschutzrechten hergestellte Zentrierstifte, sondern auch solche der Beklagten und zwar von den streitgegenständlichen die mit der Bezeichnung M4 lang, M5 lang, M8 lang, M10 lang und M12 lang (siehe nachfolgenden Einblendungen). Zu diesem Gesichtspunkt hat die Beklagte keine Stellung mehr genommen. Ihr Vorbringen zum Druckluftbetrieb hat sie mit Schriftsatz vom 02.03.2016 unter Ziff. 3 relativiert.
146d) Angesichts der Ähnlichkeiten zwischen den angegriffenen Ausführungsformen und den Klageschutzrechten ist die Argumentation der Klägerin, die angegriffenen Ausführungsformen fielen in den Schutzbereich der Klageschutzrechte jedenfalls vertretbar, was im vorliegenden Zusammenhang ausreicht.
147III.
148Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
149Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
150Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Vorliegend stellen sich keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen, deren Beantwortung durch den Bundesgerichtshof zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre. Die anzuwenden Grundsätze stehen aufgrund des Urteils des EuGH vom 08.03.2018 – C-395/16 – fest. Diese vorliegend anzuwenden ist eine Frage des Einzelfalles.
151Streitwert für die Berufungsinstanz: bis 600.000,- €
ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil, 06. Dez. 2018 - 20 U 124/15
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Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
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Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
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Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
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In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.