Landessozialgericht NRW Urteil, 13. Feb. 2014 - L 16 KR 17/14 KL
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 2.500.000,00 Euro festgesetzt.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt höhere Zuweisungen aus dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) für das Ausgleichsjahr 2012. Streitig ist, ob im Jahresausgleichsbescheid 2012 die Zuweisungen wegen eines Methodenfehlers bei der Berechnung der risikoadjustierten Zu- und Abschläge rechtswidrig zu niedrig festgesetzt worden sind, weil nach den Festlegungen des Bundesversicherungsamtes (BVA) die Leistungsausgaben für im Berichtsjahr verstorbene Versicherte nicht annualisiert werden.
3Seit 1994 findet zum Ausgleich der unterschiedlichen Risikostrukturen zwischen den gesetzlichen Krankenkassen jährlich ein Risikostrukturausgleich (RSA) statt. Er zielt darauf ab, die finanziellen Auswirkungen von Unterschieden in der Verteilung der Versicherten auf nach Alter und Geschlecht getrennte Versichertengruppen und Morbiditätsgruppen zwischen den Krankenkassen auszugleichen.
4Die gesetzlichen Regelungen der §§ 266 ff. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) sehen seit dem 01.01.2009 vor, die Versichertengruppen und die Gewichtungsfaktoren nach Klassifikationsmerkmalen zu bilden, die zugleich die Morbidität der Versicherten unmittelbar berücksichtigen (so genannter Morbi-RSA). Die zur Bestimmung der Einzelheiten ergangene Regelung des § 31 Risikostrukturausgleichsverordnung (RSAV) macht dazu in Abs. 1 nähere Vorgaben für das Versichertenklassifikationsmodell (u.a. Begrenzung auf 50-80 Krankheiten) und regelt in Abs. 2 und 3 die Berufung eines Wissenschaftlichen Beirats beim BVA, der Vorschläge für die Anpassung eines Klassifikationsmodells an die GKV und dessen Weiterentwicklung erarbeiten soll. Gemäß Abs. 4 legt das hierzu ermächtigte BVA auf der Grundlage dieser Empfehlung die zu berücksichtigenden Krankheiten, die aufgrund dieser Krankheiten zugrundezulegenden Morbiditätsgruppen, den Algorithmus für die Zuordnung der Versicherten zu den Morbiditätsgruppen, das Regressionsverfahren zur Ermittlung der Gewichtungsfaktoren und das Berechnungsverfahren zu Ermittlung der Risikostrukturzuschläge nach Anhörung der Spitzenverbände der Krankenkassen fest und gibt diese Festlegungen in geeigneter Weise bekannt. Das Festlegungsverfahren ist dokumentiert auf der Homepage des BVA unter "Risikostrukturausgleich" - "Festlegungen".
5Die dem RSA dienenden Zuschläge für alle Risikogruppen werden dabei durch ein für den Morbi-RSA in § 34 Abs. 1 Satz 1 RSAV vorgeschriebenes Regressionsverfahren ermittelt. Mittels dieses statistischen Verfahrens wird der quantitative Zusammenhang zwischen einer oder mehreren unabhängigen Variablen und einer abhängigen Variablen ermittelt. Die Ausgaben je Versichertem bilden die abhängige Variable, während die Zuordnung der Versicherten zu den Risikogruppen die unabhängige Variable bildet. Die sich ergebenden Regressionskoeffizienten sind als Anteile an den Ausgaben eines Versicherten zu interpretieren, die der jeweiligen Risikogruppe zugerechnet werden können. Sie werden als Jahreswerte ermittelt; da aber Zuweisungen taggenau (je Versichertentag) zugewiesen werden, werden die ermittelten Regressionskoeffizienten durch 365 geteilt. Da im Regressionsverfahren jeder Versicherte unabhängig von der Dauer der Versicherung gleichwertig berücksichtigt wird, also die Ausgaben für einen Versicherten, der nur einen Tag versichert war, ebenso in die "Durchschnittsbildung" eingehen wie die Ausgaben für einen ganzjährig Versicherten, wird in der internationalen Gesundheitsökonomie empfohlen, zur Vermeidung einer Unterschätzung der Ausgaben die Ausgaben von Versicherten mit unvollständigen Versichertenepisoden vor Durchführung der Regression auf das Gesamtjahr hochzurechnen (annualisieren) und im Gegenzug bei der Durchführung des Regressionsverfahrens mit dem Kehrwert des Hochrechnungsfaktors der Annualisierung zu gewichten.
6Das BVA hat in den Festlegungen vom 03.07.2008 für das Ausgleichsjahr 2009 dieses Verfahren zwar grundsätzlich angewandt, jedoch nicht im Falle der im Ausgleichsjahr Verstorbenen. Deren Ausgaben werden nicht annualisiert und gehen auch nicht abgewichtet in die Regression ein. Vielmehr erhalten diese Ausgaben das Gewicht 1, werden also so behandelt, als seien sie im Gesamtjahr angefallen. Auf diese Weise gehen die Ausgaben der im Ausgleichsjahr Verstorbenen nur zur Hälfte in die Berechnung der Zuschläge für die jeweilige Risikogruppe ein, da solche Versicherte statistisch gesehen im Durchschnitt in der Jahresmitte verstorben sind. Zum Ausgleich werden über einen Korrekturfaktor die Zuschläge aller Risikogruppen proportional angehoben.
7Zur Begründung hatte das BVA in den Erläuterungen zum Entwurf, der zur Anhörung gestellt worden war, ausgeführt, hinsichtlich der Ausgaben von Versicherten mit unvollständigen Versichertenepisoden seien verschiedene Varianten im Hinblick auf die Prognosegüte des Modells verglichen worden. Dabei sei man zu dem Ergebnis gelangt, die Ausgaben der unterjährig Versicherten mit Ausnahme der Verstorbenen auf das Jahr hochzurechnen und die Versicherten in der Regression durch ein Gewicht, das dem Kehrwert des Annualisierungsfaktors entspreche, zu gewichten. Die Ausgaben Verstorbener würden nicht annualisiert, da es ansonsten zu einer Überschätzung der Ausgaben käme. In der Anhörung hatten keine der sich äußernden Kassen und keiner ihrer Verbände diesem Vorgehen widersprochen.
8In den Folgejahren hielt das BVA an dem Berechnungsverfahren fest, obwohl ein Teil der Kassen die Annualisierung auch der Ausgaben der Verstorbenen gefordert und sich auch der Wissenschaftliche Beirat für eine entsprechende Änderung des Verfahrens ausgesprochen hatte. Das BVA wies zuletzt im Zusammenhang mit den Festlegungen für 2012 darauf hin, im Hinblick auf die in Auftrag gegebene Evaluation des Jahresausgleichs 2009 solle diese Frage im größeren Kontext der Weiterentwicklung des RSA diskutiert werden.
9In dem "Evaluationsbericht zum Jahresausgleich 2009 im Risikostrukturausgleich" von Drösler et. al. (Evaluationsbericht) vom 22.06.2011 wird festgestellt, dass es infolge der fehlenden Annualisierung zu einer systematischen Überdeckung jüngerer Altersgruppen und Unterdeckung älterer Altersgruppen komme, ebenso zu Überdeckungen bei Krankheiten mit geringer Mortalität und Unterdeckungen bei Krankheiten mit höherer Mortalität. Eine Annualisierung auch der Ausgaben Verstorbener beseitige diese Über- und Unterdeckungen und führe auch auf Kassenebene zu zielgenaueren Zuweisungen.
10Im Verfahren L 16 KR 646/12 KL hat sich die Klägerin u.a. gegen den Grundlagenbescheid III/2012 vom 28.09.2012 und den Korrekturbescheid II/2012 vom 15.10.2012 gewandt; diese Bescheide sind während des Verfahrens durch den Grundlagenbescheid IV/2012 vom 28.03.2013 und den Korrekturbescheid III/2012 vom 15.04.2013 ersetzt worden.
11Die Klägerin hielt die Zuweisungen für das Jahr 2012 für rechtswidrig zu niedrig. Die Festlegungen der Beklagten wiesen einen logisch-mathematischen Fehler auf, der sie jährlich rechtswidrig mit schätzungsweise 73 Millionen Euro belaste. Das BVA habe es fehlerhaft unterlassen, eine Annualisierung der Ausgaben von im Ausgleichsjahr verstorbenen Versicherten - anders als bei allen anderen Versicherten mit unvollständigen Versichertenepisoden - vorzunehmen. Dies widerspreche den wiederholten und seit langem bekannten Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats und inzwischen sogar der eigenen fachlichen Einschätzung des BVA. Wie die Evaluation für das Ausgleichjahr 2009 durch den Wissenschaftlichen Beirat ergeben habe, führe dies zu einer Unterdeckung der Ausgaben ab einem Lebensjahr von 60 Jahren bei männlichen und 70 Jahren bei weiblichen Versicherten und damit zu einer gesetzeswidrigen Begünstigung der Risikoselektion anhand des Merkmals Alter. Dadurch würden Krankenkassen mit überdurchschnittlich vielen alten Versicherten benachteiligt und solche mit jüngeren Versicherten begünstigt. Die aufgrund der Festlegungen des BVA zu niedrigen Zuweisungen für alte und kranke Versicherte verstießen gegen die höherrangigen gesetzlichen Vorgaben von § 266 Abs. 1 S. 2 SGB V und § 31 Abs. 1 RSAV. Sie verfehlten die gesetzliche Zielsetzung des RSA, die unterschiedlichen Risiken aufgrund von Alter, Geschlecht und Morbidität zwischen den Krankenkassen auszugleichen und erzeugten umgekehrt entgegen § 31 Abs. 1 RSAV Anreize zur Risikoselektion. Die Festlegungen seien als verwaltungsinterne Vorbereitungshandlungen im Rahmen der Überprüfung der darauf beruhenden Bescheide gerichtlich vollständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Hinreichende normative Ansatzpunkte für die Einräumung eines gerichtlich nur eingeschränkt kontrollierbaren Beurteilungsspielraums seien dem SGB V nicht zu entnehmen. Selbst wenn man die Festlegungen - aus Sicht der Klägerin zu Unrecht - als so genannte normkonkretisierende Verwaltungsvor-schriften qualifizieren wollte, ändere dies nichts an ihrer Rechtswidrigkeit, weil Rechenfehler und die Verwendung nicht anerkannter Berechnungsmethoden stets zur Rechtswidrigkeit des behördlichen Handelns führten.
12Der logisch-mathematische Fehler der Festlegungen werde auch nicht dadurch ausgeglichen, dass unter Umständen weiterer Änderungsbedarf bestehe oder möglicherweise sogar andere Regelungen ebenfalls rechtswidrig seien. Für die in diesem Zusammenhang diskutierten Krankengeldzuweisungen bestehe noch erheblicher Forschungsbedarf. Zudem betreffe dieser Komplex nicht die Ebene der Festlegung durch das BVA, sondern die RSAV selber. Auch könnten selbst weitere Rechtswidrigkeiten einen feststehenden Fehler nicht beseitigen - erst recht nicht, wenn es keine Anhaltspunkte für eine gegenseitige Neutralisierung der Fehlerwirkungen gebe.
13Bezogen auf die Festlegungen für das Ausgleichsjahr 2012 führt sie ergänzend aus: Bereits im Zeitpunkt des Erlasses der Festlegungen für das Jahr 2009 am 03.07.2008 sei bekannt gewesen, dass die vorgesehene Berechnungsmethode dem damaligen Erkenntnis - und Erfahrungsstand widersprochen habe. Dies gelte nach mehrfachen Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats und insbesondere dem Evaluationsbericht vom 22.06.2011 erst recht für den Zeitpunkt des Erlasses der inhaltlich identischen Festlegungen für das Jahr 2012 am 30.09.2011 sowie der nachfolgend darauf gestützten streitgegenständlichen Bescheide. Selbst wenn man mit dem Urteil des Senats L 16 KR 249/09 KL den Zeitpunkt des Erlasses der Festlegungen für das folgende Ausgleichsjahr als maßgeblichen Zeitpunkt für den wissenschaftlichen Erkenntnisstand und damit die Rechtmäßigkeit der Festlegung qualifizieren wolle, seien die Festlegungen für das Ausgleichjahr 2012 rechtswidrig. Denn spätestens mit dem Abschlussbericht des Beirats vom 22.06.2011 und der eindeutigen Feststellungen der verzerrenden, die gesetzlichen Vorgaben verfehlenden Auswirkungen der unterbliebenen Annualisierung sei ein Erkenntnisstand erreicht worden, der eine Änderung im Rahmen der am 30.09.2011 erlassenen Festlegungen zwingend geboten habe.
14Die Beklagte ging von der Rechtmäßigkeit der seinerzeit streitigen Zuweisungen für das Jahr 2012 aus. Die diese zu Grunde liegenden Festlegungen verstießen nicht gegen § 266 SGB V. Das BVA habe zur Klärung der Frage, wie die Ausgaben von Versicherten, die nicht an allen Tagen des Berichtsjahres versichert waren, in der Regression behandelt werden sollen, in einer Analyse verschiedene Varianten im Hinblick auf die Prognosegüte des Modells verglichen. Es seien vier Varianten jeweils alternativ mit Monats- und Tageswerten durchgerechnet worden, nämlich a) mit Annualisierung, b) ohne Annualisierung mit Ganzjahreszuweisungen, c) mit Annualisierung und Kappung des Ausgaben bei 250.000 Euro und schließlich d) entsprechend den späteren Festlegungen. Das statistische Bestimmtheitsmaß R² habe den besten Wert für die Ganzjahreszuweisung erbracht; von dieser Berechnungsweise habe man aus rechtlichen Gründen Abstand genommen. Von den verbliebenen Varianten sei die in den Festlegungen gewählte mit den damals zur Verfügung stehenden Daten aus dem Jahr 2005 geringfügig besser gewesen. Die ersten Festlegungen für das Ausgleichsjahr 2009, nach denen die Ausgaben Verstorbener nicht annualisiert worden seien, da es ansonsten zu einer Überschätzung der von ihnen verursachten Ausgaben gekommen wäre, seien auch von allen Anhörungspartnern mitgetragenen worden. Der Diskussion sei insbesondere auch in dieser Thematik eine intensive fachliche Auseinandersetzung über die in Betracht kommenden Umsetzungsmöglichkeiten vorausgegangen; von keinem Anhörungspartner sei die vom BVA vorgeschlagene Verfahrensweise infrage gestellt worden sei. Mit der Beschränkung der Hochrechnung auf die Leistungsausgaben von nicht verstorbenen Versicherten habe auch der Wissenschaftliche Beirat in seinem Gutachten zur Krankheitsauswahl vom Dezember 2007 im Übrigen ein identisches Annualisierungsverfahren empfohlen.
15In den Folgejahren sei die grundlegende Einschätzung des BVA vor dem Hintergrund der weiter sehr kontroversen Stellungnahmen und einer weiterhin fehlenden Positionierung des GKV-Spitzenverbandes unverändert geblieben. Der Wissenschaftliche Beirat habe zwar im Ende 2011 veröffentlichten Evaluationsbericht zum Jahresausgleich 2009 neben zahlreichen weiteren Fragestellungen auch die bis dahin praktizierte Berücksichtigung unvollständiger Versichertenepisoden umfassend untersucht und dargelegt, dass es bei alten Versicherten und jungen Versicherten mit schweren Krankheiten zu Unterdeckungen komme. Auch habe das BVA dem GKV-Spitzenverband im Rahmen des Festlegungsverfahrens für das Ausgleichsjahr 2013 am 27.07.2012 einen Entwurf zur Anhörung vorgelegt, der hinsichtlich der Berücksichtigung unvollständiger Versichertensepisoden erstmals den Vorschlag einer Änderung des Berechnungsverfahrens enthalten habe. Die Bundesregierung sehe zum jetzigen Zeitpunkt aber keine Notwendigkeit für wesentliche Änderungen am RSA. Die Veränderung der Behandlung unvollständiger Versichertenepisoden sei vielmehr in einem größeren, übergreifenden Kontext zusammen mit anderen Fragestellungen vorzunehmen.
16Bezogen auf die Festlegungen für das Ausgleichsjahr 2012 führte sie ergänzend aus: Vor dem Hintergrund der sich dem BVA zum Zeitpunkt der Festlegung im Sommer 2011 darstellenden Faktenlage seien die getroffenen Regelungen zum Umgang mit unvollständigen Versichertenepisoden nicht zu beanstanden. Das Anhörungsverfahren sei auch im Vorfeld der Festlegungen für das Ausgleichsjahr 2012 ordnungsgemäß durchgeführt worden und habe im Ergebnis zu einer Beibehaltung des Verfahrens der Berücksichtigung unvollständiger Versichertenepisoden geführt. Das BVA sei der Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats auch bei diesen Festlegungen nicht gefolgt, da seiner Ansicht nach die Frage in größerem Kontext der Weiterentwicklung des Gesamtverfahrens zu diskutieren sei. Die von der Klägerin dargelegte Einigkeit über das Vorliegen des von ihr behaupteten methodischen Fehlers und über Art und Notwendigkeit seiner Behebung habe keinesfalls bestanden. Die sich dem BVA im Sommer 2011 nach Auswertung der Stellungnahmen darstellende, nach wie vor äußerst kontroverse Meinungslage unter den Anhörungspartnern sowie die Tatsache, dass der GKV-Spitzenverband keine Empfehlung habe abgeben können, hätten es einmal mehr erforderlich gemacht, vor einer Entscheidung die vorgetragenen Argumente weiter zu untersuchen.
17Sie sehe sich in ihrer damaligen Entscheidung nunmehr auch durch die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 22.11.2012 für die Ausgleichsjahre 2009 und 2010 (Hinweis auf die Urteile des Senats vom 22.11.2012 (u.a. zu den Festlegungen 2009 und 2010) - L 16 KR 88/09 KL, L 16 KR 249/09 KL) bestätigt. Der Senat habe dort insbesondere ausgeführt, es könne nicht die Rede davon sein, dass das BVA in den Festlegungen für die Ausgleichsjahre 2009 und 2010 aus sachfremden Erwägungen heraus einen wissenschaftlichen Standard, dessen Eignung und Notwendigkeit für den neuen Morbi-RSA schon festgestanden habe, unbeachtet gelassen habe. Diese Ausführungen könnten auf die Festlegungen des Ausgleichsjahres 2012 unproblematisch übertragen werden.
18Auch eine zeitlich spätere Änderung der Festlegungen während des laufenden Ausgleichsjahres sei mangels Rechtsgrundlage nicht möglich gewesen. Sachlich und rechtlich geboten sei sie ohnehin nicht gewesen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der dem nunmehr angegriffenen Grundlagenbescheid IV/2012 zu Grunde liegenden Festlegungen sei der Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe (§ 31 Abs. 4 RSAV). Der erkennende Senat habe in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich Krankenkassen bei ihrer Finanzplanung auf die Grundlagen der Zuweisungen verlassen können müssten. Daher könnten die Festlegungen als Faktoren, welche die Verteilung der Zuweisungen auf die Krankenkasse maßgeblich steuern, nach ihrer Bekanntgabe nicht mit Wirkung für das laufende Ausgleichsjahr verändert werden. Eine Ausnahme bildeten, so das Gericht, nur die in § 31 Abs. 4 Satz 6 RSAV geregelten Sonderfälle. Auch § 266 Abs. 6 Satz 6 SGB V scheide als Rechtsgrundlage einer Korrektur aus. Die Vorschrift erfasse nur nachträgliche Korrekturen und keine Änderungen im laufenden Ausgleichsjahr, wie die Klägerin sie fordere. Ohnehin gelte in diesem Zusammenhang, dass ein bestimmter wissenschaftlicher Erkenntnisstand zum Zeitpunkt einer vorzunehmenden Festlegung nicht automatisch einen Anspruch der Klägerin oder anderer Krankenkassen auf eine bestimmte Festlegung im Sinne des § 33 Abs. 4 RSAV bewirke. Der Konkretisierungs- bzw. Entscheidungsspielraum des BVA umfasse auch die Entscheidung darüber, zu welchem Zeitpunkt eine Änderung bestimmter Festlegungen erfolge. Dass das BVA hierbei auch Überlegungen der Bundesregierung zur grundsätzlichen Weiterentwicklung des Morbi-RSA im Interesse der Vollzugsfähigkeit des GKV-Systems als Ganzes berücksichtigt habe, liege auf der Hand.
19Mit Urteil vom 04.07.2013 (L 16 KR 646/12 KL) hat der erkennende Senat die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der Entscheidung verwiesen.
20Mit Jahresausgleichsbescheid vom 15.11.2013 entschied das BVA gegenüber der Klägerin über - die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds (RSA) im Jahresausgleich 2012 und - den Ausgleichsbetrag für Zuweisungen 2012 (= Teil 1) - den Korrekturbetrag für Zuweisungen 2011 (= Teil 2) - den Gesamt-Ausgleichsanspruch / die Gesamt-Ausgleichsverpflichtung 2012 (= Teil 3).
21Danach belaufen sich die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds im Ausgleichsjahr 2012 gemäß § 266 Abs. 6 Satz 3 SGB V, § 41 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 und 2 RSAV für standardisierte Leistungsausgaben einschließlich Krankengeld auf 5.857.691.528,31 Euro. Der Korrekturbetrag für Zuweisungen 2011 wurde als Ausgleichsverpflichtung der Klägerin in Höhe von 82.029,53 Euro festgestellt. Der von der Krankenkasse an den Gesundheitsfonds zu zahlende Betrag (die Gesamtausgleichsverpflichtung) beträgt 15.808.733,94 Euro. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass dieser gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des laufenden Rechtsstreites bzw. der laufenden Rechtsstreite vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Sachen Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds 2012 werde. Zur Wahrung der Rechte sei die Einlegung eines gesonderten Rechtsbehelfs nicht erforderlich.
22Am 19.11.2013 hat die Klägerin Klage erhoben. Mit der Klage wendet sie sich (vorsorglich) gegen den Jahresausgleichsbescheid 2012 vom 15.11.2013. Das LSG NRW habe für das Ausgleichsjahr 2012 in dem ausgewählten Musterverfahren der Klägerin (L 16 KR 646/12 KL) eine Entscheidung verkündet. Eine Einbeziehung des Jahresausgleichsbescheides 2012 in dieses Musterverfahren im Wege der Klageerweiterung sei gemäß § 168 Satz 1 SGG ausgeschlossen. Die Festlegungen für das Ausgleichsjahr 2012 seien aufgrund der unterbliebenen Annualisierung der Ausgaben für verstorbene Versicherte mit einem logisch-mathematischen Fehler behaftet, der zur Rechtswidrigkeit der Festlegungen und damit zur Rechtswidrigkeit des Jahresausgleichsbescheides führe, der unter Anwendung der fehlerhaften Festlegungen ergangen sei. Die inzident zu überprüfende Rechtswidrigkeit der Festlegungen sei bereits Gegenstand des Verfahrens L 16 KR 646/12 KL gewesen. Zur Begründung ihrer Klage nehme sie vollinhaltlich Bezug auf ihren Vortrag im Verfahren L 16 KR 646/12 KL. Zwar habe das LSG mit Urteil vom 04.07.2013 die Klage betreffend die vorangegangenen Bescheide für das Ausgleichsjahr 2012 im Verfahren L 16 KR 646/12 KL zurückgewiesen. Dieses Urteil, das bereits mit der Revision (B 1 KR 10/14 R) angegriffen sei, ändere jedoch nichts an ihrer Auffassung zur Rechtswidrigkeit des RSA aufgrund des Berechnungsfehlers auch im Jahre 2012.
23Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
24den Jahresausgleichsbescheid 2012 vom 15.11.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds an sie für das Jahr 2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu ermitteln.
25Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
26die Klage abzuweisen.
27Sie hat auf ihre Ausführungen im Klageverfahren L 16 KR 646/12 KL und das in diesem Verfahren klageabweisende Urteil des erkennenden Senats vom 04.07.2013 verwiesen. Das Verfahren zum Jahresausgleichsbescheid 2012 betreffe wie das bereits erstinstanzlich entschiedene Verfahren zum Grundlagenbescheid IV/2012 und zum Korrekturbescheid III/2012 (L 16 KR 646/12 KL) das Ausgleichsjahr 2012. Der Grundlagenbescheid IV/2012 und der Korrekturbescheid III/2012 seien durch den Jahresausgleichsbescheid 2012 ersetzt worden.
28Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen.
30Entscheidungsgründe:
31I. Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).
321. Die Klage ist zulässig. Sie ist bei dem nach § 29 Abs. 3 Nr. 1 SGG funktionell zuständigem Gericht erhoben worden. Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG bedurfte es keines Vorverfahrens. Die Klägerin durfte ihre mit dem Aufhebungsantrag verbundene und letztlich auf höhere Zuweisungen für Leistungsausgaben zielende Verpflichtungsklage (vgl. BSG SozR 4-2500 § 266 Nr. 2 Rn. 16 (unter Verweis auf § 54 Abs. 4 SGG)) auf die Verpflichtung zur Neubescheidung beschränken. Mit dem angefochtenen Verwaltungsakt hat das BVA zwar eine gebundene Entscheidung getroffen, denn die Höhe der Zuweisungen steht nicht im Ermessen der Beklagten, der Klägerin ist jedoch eine Konkretisierung der von ihr beanspruchten Zuweisungshöhe gegenwärtig nicht möglich, weil die Auswirkungen der von ihr angenommenen Unwirksamkeit der Festlegungen des BVA von ihr nicht zu beziffern sind (vgl. Senat, Urteile v. 22.12.2012 - L 16 KR 88/09 KL und L 16 KR 647/10 KL und v. 06.06.2013 - L 16 KR 24/09 KL).
332. Gegenstand des Verfahrens ist (allein) der (Jahresausgleichs-) Bescheid der Beklagten vom 15.11.2013.
34Dieser Bescheid ist nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des beim Bundessozialgericht anhängigen, den vorausgegangenen Grundlagenbescheid IV/2012 betreffenden Revisionsverfahrens geworden. Gemäß § 171 SGG gilt für den Fall, dass während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt wird, der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim Sozialgericht angefochten, es sei denn, dass der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird. Diese Vorschrift gilt in entsprechender Anwendung auch für Verwaltungsakte, die mit einer unmittelbar beim Landessozialgericht zu erhebenden Klage angefochten werden müssen. In solchen Fällen gilt ein während des Revisionsverfahrens erlassener ändernder oder ersetzender Verwaltungsakt als mit der Klage beim erstinstanzlich zuständigen Landessozialgericht angefochten (BSG, Urteil vom 22.11.2012 - B 3 KR 19/11 R = BSGE 112, 201-221). Die Rechtsfolge des § 171 SGG tritt für das Revisionsverfahren an die Stelle der Rechtsfolge des § 96 Abs. 1 SGG (BSG, Urteil vom 29.08.2007 - B 6 KA 31/06 R zu § 172 Abs. 2 SGG in der bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung).
35Die Voraussetzungen des § 171 SGG liegen vor. Durch die endgültige Festlegung der Zuweisungen im Jahresausgleich 2012 (§ 266 Abs. 6 Satz 3 SGB V) ist der Grundlagenbescheid IV/12 im Sinne dieser Vorschrift ersetzt worden. Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 15.11.2013 auch nicht klaglos gestellt worden. Auch wenn eine Entscheidung des Bundessozialgerichts als Revisionsgericht noch aussteht, ist der Senat an einer Entscheidung nicht gehindert, zumal viel dafür spricht, dass sich der Grundlagenbescheid IV/2012 durch den Bescheid vom 15.11.2013 in vollem Umfang erledigt hat, weil letzterer die endgültige Festsetzung der Höhe der Zuweisungen für das Jahr 2012 für die klagende Krankenkasse enthält (§ 266 Abs. 6 Satz 3 SGB V). Die Höhe der monatlichen Zuweisungen nach Maßgabe des § 266 Abs. 6 Satz 4 SGB V ist mithin lediglich insoweit von Bedeutung als erhaltene Zuweisungen als Abschlagszahlungen gelten und nach der Ermittlung der endgültigen Höhe der Zuweisungen für das Geschäftsjahr nach Satz 3 auszugleichen sind (§ 266 Abs. 6 Satz 5 SGB V).
36Soweit nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus prozessökonomischen Gründen - dann wenn eine Entscheidung ohne weitere Ermittlungen möglich ist - ein neuer Verwaltungsakt auch dann nicht als durch Klage beim erstinstanzlich zuständigen Gericht angefochten gelten soll, wenn es sich um einen nur wiederholenden Verwaltungsakt mit neuer Begründung handelt oder wenn eine bereits getroffene rechtliche Regelung durch den neuen Verwaltungsakt lediglich "fortgeschrieben" wird (BSG, Urteil vom 22.11.2012 - B 3 KR 19/11 R = BSGE 112, 201-221), kann der Senat dahinstehen lassen, ob diese Auffassung mit dem Regelungsgehalt des § 171 SGG vereinbar ist. Denn diese Vorschrift ist weder dispositiv ausgestaltet, so dass von ihr auch nicht im Einverständnis der Beteiligten abgewichen werden kann, noch differenziert die Regelung danach, ob im Rahmen der Prüfung des ersetzenden Bescheides ausschließlich Rechtsfragen oder auch tatsächliche Umstände zu klären sind (BSG, Urteil vom 29.08.2007 a.a.O.). Jedenfalls handelt es sich bei dem Bescheid vom 15.11.2013 angesichts der mit ihm erst erfolgenden endgültigen Festsetzung für das vergangene Kalenderjahr weder um einen nur wiederholenden Verwaltungsakt noch wird die eine bereits getroffene Regelung lediglich "fortgeschrieben".
37II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 15.11.2013 ist rechtmäßig. Die Klägerin kann keine höheren Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds für das Ausgleichsjahr 2012 verlangen.
38Die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds für das Ausgleichsjahr 2012 und die entsprechende Ausgleichsverpflichtung der Beklagten sind in den angefochtenen Jahresausgleichsbescheid rechtmäßig festgesetzt worden. Zu Recht hat das BVA insoweit insbesondere die für dieses Ausgleichsjahr veröffentlichten Festlegungen vom 30.09.2011 (siehe "Festlegungen nach § 31 Abs. 4 RSAV für das Ausgleichsjahr 2012" unter 2.2. "Regressionsverfahren" und dazu die "Erläuterungen" unter IV. "Änderung des Berechnungsverfahrens" Nr. 13) zu Grunde gelegt und die Ausgaben Verstorbener im Ausgleichsjahr 2012 nicht annualisiert.
39Diese Festlegungen für das Ausgleichsjahr 2012 sind nicht rechtswidrig. Sie sind nicht nur als Grundlage für die vorläufigen Entscheidungen über die Zuweisungen für dieses Ausgleichsjahr (Grundlagen-, Zuweisungs- und Korrekturbescheide) heranzuziehen gewesen, sondern auch für den abschließenden Jahresausgleichsbescheid vom 15.11.2013 maßgebend geblieben (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 04.07.2013 - L 16 KR 756/12 KL).
40Die Festlegungen vom 30.09.2011 für das Jahr 2012 sind auf ausreichender Rechtsgrundlage ergangen. Dies hat der Senat bereits mit Urteil vom 04.07.2013 (L 16 KR 646/12 KL) entschieden.
41Der Senat hat ausgeführt:
42"Dass § 31 Abs. 4 Satz 1 RSAV dem BVA die konkrete Ausgestaltung des Klassifikationsmodells einschließlich des Regressionsverfahrens zur Ermittlung der Gewichtungsfaktoren und des Berechnungsverfahrens zur Ermittlung der Risikozuschläge überträgt, begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. ausführlich dazu Senat, Urteil vom 06.06.2013 - L 16 KR 24/09 KL).
43Bei den Festlegungen handelt es sich um außenverbindliche Rechtssätze, die in ihrer Funktion einer zwischengeschalteten Regelungsebene (vgl. Gerhard, NJW 1989, 2233, 2236) zwischen Gesetz bzw. Verordnung und Verwaltungsakt weitgehend den im Umweltrecht anerkannten normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften entsprechen (vgl. im Einzelnen Senat, Urteil vom 06.06.2013 - L 16 KR 24/09 KL, juris Rn.72 ff). Der Verordnungsgeber hat dem BVA daher beim Erlass dieser Festlegungen in einem begrenzten Umfang eine Befugnis zur letztverbindlichen Entscheidung (vgl Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rn. 180 m.w.N.) eingeräumt. Sie ergibt sich aus dem gesetzgeberischen Auftrag an die Verwaltung, für den RSA im Ausland vorhandene Modelle unter Beachtung des Stands der Gesundheitswissenschaft auf deutsche Verhältnisse zu übertragen, zu diesem Zweck Regeln für einen funktionsfähigen RSA aufzustellen und diese jährlich im Sinne eines auf ständige Überprüfung und Verbesserung angelegten lernenden Systems neu zu justieren (vgl. Senat, Urteil vom 06.06.2013 - L 16 KR 24/09 KL, juris Rn. 74; vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 205 sowie BT-Drs. 14/6432, S. 15). Der Gesetzgeber hat damit auf gesundheitsökonomische Vorgaben des außerrechtlichen Bereichs Bezug genommen, über die anfangs für das deutsche Gesundheitssystem noch kein abgesicherter Konsens und keine ausreichenden Erfahrungen bestanden. Dadurch hat er das Modell des RSA als unvollständig sowie ergänzungsbedürftig angelegt und es so einer Ausgestaltung und Implementierung durch die vollziehende Gewalt geöffnet, die allerdings nur innerhalb der Bandbreite des wissenschaftlichen Meinungsspektrums erfolgen darf (vgl. Erbguth, DVBl 1989, 473,477 m.w.N.). Denn der Gesetzgeber hat sich bei der Regelung des RSA auf das Beispiel gesundheitsökonomischer Modelle aus dem Ausland bezogen und die Berücksichtigung wissenschaftlichen Sachverstands insbesondere durch den wissenschaftlichen Beirat beim BVA institutionalisiert (vgl. Senat, Urteil vom 06.06.2013 - L 16 KR 24/09 KL, juris Rn.74 sowie BVerfGE 113,167,264).
44Hiervon ausgehend sind die Festlegungen für 2012 auch nicht hinsichtlich des gewählten Regressionsverfahrens rechtswidrig.
45Entgegen anders lautender Ansicht handelt es sich bei der Entscheidung gegen eine Annualisierung nicht (nur) um einen "logisch-mathematischen" Fehler. Vielmehr geht es bei der Wahl des Regressionsverfahrens zur Ermittlung der Gewichtungsfaktoren um die (möglichst) zutreffende Abbildung der mit den ausgewählten Krankheiten verbundenen Behandlungskosten. Der Sachverständige Prof. - X. hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass statistische Bewertungsmethoden durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der statistischen Kennziffern führen könnten, m.a.W. geprüft werden muss, mit welchem methodischen Vorgehen das beste Ergebnis erreicht werden kann. Wie das BVA in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, waren im Zuge der Vorbereitung der Festlegungen für 2009 acht Modellvarianten mit den Daten aus dem Jahr 2005 durchgerechnet worden. Neben den Varianten mit und ohne Annualisierung der Ausgaben Verstorbener waren die weiteren eine ohne Annualisierung, aber mit Ganzjahreszuweisung ohne Berücksichtigung des Todeszeitpunkts (also nicht nur für die Versichertentage) und eine mit Annualisierung, aber Kappung der berücksichtigten Ausgaben bei 250.000 Euro. Alle Varianten wurden mit zwei Alternativen, nämlich Tages- und Monatswerten durchgerechnet. Das Modell mit dem besten Wert für das statistische Bestimmtheitsmaß R² (keine Annualisierung, aber Ganzjahreszuweisung) wurde aus rechtlichen Gründen verworfen, von den verbliebenen Modellen war für die Variante ohne Annualisierung der Wert R² geringfügig am besten. Vor diesem Hintergrund hat sich das BVA für diese Berechnungsmethode entschieden und bei der Anhörung darauf hingewiesen, von einer Annualisierung der Ausgaben Verstorbener werde abgesehen, ohne dass einer der Anhörungspartner oder der Krankenkassen diesem Vorgehen widersprochen hätte. Der gerichtliche Sachverständige Prof. - X. hat - ohne die Berechnungen des BVA zu kennen - konzediert, dass seinerzeit der Wert R² für das gewählte Modell besser gewesen sein könne und es bei statistischen Berechnungsmethoden häufig nach den statistischen Kennziffern Zielkonflikte geben, die aufgelöst werden müssten. Auch wenn insoweit in der internationalen Gesundheitsökonomie die Annualisierung bei unvollständigen Versichertenepisoden ohne Differenzierung zwischen Verstorbenen und Überlebenden empfohlen werden mag, kann die auf fachlichen Überlegungen beruhende Entscheidung des BVA gegen eine Annualisierung nicht als fehlerhaft qualifiziert werden, zumal dem BVA nach § 31 Abs. 1 Satz 1 RSAV die Anpassung des Klassifikationsmodells an die Gegebenheiten der GKV aufgegeben wird.
46Das BVA war auch bei den nachfolgenden Festlegungen nicht gehalten, das Regressionsverfahren zu ändern.
47Zwar hatte der AOK-Bundesverband im Rahmen des Verfahrens für die Festlegungen für 2010 darauf hingewiesen, die unterbliebene Annualisierung führe zu einer Unterschätzung der Ausgaben für jene Altersgruppen, die überdurchschnittlich viele Verstorbene aufwiesen, wohingegen die Ausgaben für die Altersgruppen, die unterdurchschnittlich viele Sterbefälle aufwiesen, systematisch unterschätzt würden. Er hatte daher vorgeschlagen, insoweit analog zur Berechnung bei allen anderen Versicherten mit unvollständigen Versichertenepisoden zu verfahren. In dem zur Anhörung gestellten Entwurf hatte das BVA auch eingeräumt, die Vorhersagegenauigkeit (d.h. das Verhältnis von Zuweisungen zu tatsächlichen Ausgaben) betrage für die Gruppe der Verstorbenen 29 %, für die der Überlebenden 103%; das gegenwärtige Verfahren führe auch zu systematischen Unterdeckungen bei bestimmten letalen Krankheiten. Der Vorschlag des AOK-Bundesverbandes führe dazu, dass sich die Vorhersagegenauigkeit für die Gruppe der Verstorbenen auf 33% erhöhe, nachteilig wirke sich bei diesem Vorschlag allerdings aus, dass die Überdeckungen für Überlebende von 103% auf 106% anstiegen. Aus diesem Grund werde eine weitere Variante verfolgt. Nach dieser bleibe es bei der Annualisierung der Ausgaben und der Berechnung der Regression entsprechend der Festlegung vom 03.07.2008. Allerdings erfolge auf der Ebene der Zuweisungen keine Umrechnung auf Versichertentage, d.h. bei der Höhe der Zuweisung erfolge keine Differenzierung nach dem Todeszeitpunkt. Diese Variante erreiche empirisch eine Vorhersagegenauigkeit im Hinblick auf Verstorbene von 62% und auf Überlebende von 103%, gleichzeitig werde wie beim Vorschlag des AOK-Bundesverbandes auf der Ebene aller Versicherten die Summentreue der Schätzung gewährleistet. Der Wissenschaftliche Beirat habe sich auf seiner Sitzung am 06.07.2009 mit der Problematik befasst. Er habe diesen Vorschlag nicht empfohlen, da er zu einer erhöhten Zuweisung an alle übrigen Versicherten führe. Er habe vielmehr empfohlen, bei der bestehenden Regelung hinsichtlich Annualisierung und Verwendung der entsprechenden Regressionsgewichtung zu bleiben, dafür aber die Zuweisung an Verstorbene unabhängig vom Todeszeitpunkt in voller Höhe zu leisten.
48Der beabsichtigten Änderung des Berechnungsverfahrens wurde schon grundsätzlich von einer Reihe von Kassen widersprochen. Der GKV-Spitzenverband wies in seiner Stellungnahme u.a. darauf hin, die beabsichtigte Änderung implementiere eine Sonderregelung für Verstorbene, die nicht durch § 268 Abs. 1 SGB V gedeckt sei. Das BVA beschloss daraufhin, die Bedenken ausführlicher zu prüfen und eine entsprechende Anpassung zurückzustellen. Diese Entscheidung wurde mit dem Wissenschaftlichen Beirat am 16.09.2009 diskutiert. Dieser nahm zur Kenntnis, dass das beabsichtigte Verfahren eine Sonderbehandlung der Versicherten bedinge, für die man offenbar der Auffassung sein könne, dass es hierfür keine rechtliche Grundlage gebe. Aus empirischer Sicht bestünden jedoch Bedenken, denn die Unterdeckung bei Jahrgängen und Erkrankungen mit einem hohen Anteil Verstorbener und die Überdeckung bei Jahrgängen und Erkrankungen mit einem niedrigen Anteil Verstorbener seien evident. Er korrigiere daher seine Empfehlung vom 06.07.2009 und schlage das etablierte Standardverfahren vor, wie die unterjährigen Versicherungszeiten im RSA berücksichtigt würden. Dieses Verfahren solle auch bei den Verstorbenen Anwendung finden. Das BVA hielt aufgrund der deutlichen Bedenken insbesondere des GKV-Spitzenverbandes daran fest, zunächst eine intensive Prüfung der vorgetragenen Argumente vorzunehmen und die Änderung zurückzustellen.
49Der Umstand, dass sich der Wissenschaftliche Beirat zunächst gegen die vom AOK-Bundesverband geforderte Annualisierung auch der Ausgaben für Verstorbene ausgesprochen hatte, weil es dadurch zu überhöhten Zuweisungen an die übrigen Versicherten komme, zeigt schon, dass nach dem damaligen Erkenntnisstand keineswegs die Annualisierung als allein "richtige" Berechnungsmethode geboten war (und es erst schon gar nicht um die "mathematisch-richtige" Berechnung geht, sondern die methodisch zutreffende Ermittlung der Gewichtungsfaktoren). Dass das BVA dann entgegen der Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats vom 16.09.2009 von der Annualisierung abgesehen hat, um die vorgetragenen Argumente intensiv zu prüfen, ist vor dem Hintergrund, dass die geänderte Empfehlung sich offenbar nicht auf neue Erkenntnisse stützte (dem Sachverständigen Prof. - X. war jedenfalls nicht erinnerlich, dass sich der Wissenschaftliche Beirat von neuen Berechnungen hat leiten lassen), nicht zu beanstanden.
50Gleiches gilt für die Festlegungen für 2011. Auch insoweit gab es unverändert kontroverse Stellungnahmen, ohne dass zum Zeitpunkt des Erlasses neue Erkenntnisse vorlagen, die eindeutig gegen die bisherige Berechnungsmethode sprachen.
51Erst mit dem Evaluationsbericht des Wissenschaftlichen Beirats zum Jahresausgleich 2009 vom 22.06.2011, in dem u.a. die Auswirkungen eines Verzichts auf die unterlassene Annualisierung untersucht worden ist, ist eine neue Beurteilungsbasis geschaffen worden. Der Wissenschaftliche Beirat hat darauf hingewiesen, dass das Vorgehen des BVA dazu führe, dass in Risikogruppen mit einem hohen Anteil Verstorbener ein größerer Anteil der Ausgaben fehle, als durch die proportionale Anhebung kompensiert werde. Umgekehrt würden in Risikogruppen mit einem unterdurchschnittlichen Anteil Verstorbener die wenigen fehlenden Ausgaben durch die proportionale Anhebung überkompensiert. Die Folge seien Überdeckungen in jungen Altersgruppen und Unterdeckungen in höheren Altersgruppen, Überdeckungen bei Krankheiten mit geringer Mortalität und Unterdeckungen bei Krankheiten mit hoher Mortalität, aber auch übermäßige Überdeckungen bei Kassenwechslern, Überlebenden oder Kostenerstattern. Bei einer Annualisierung auch der Ausgaben Verstorbener verbesserten sich die Gütemaße zur Messung der Zielgenauigkeit der Zuweisungen auf der Individualebene; auch auf der Ebene von Gruppen von Versicherten ergäben sich durchweg Verbesserungen der Zielgenauigkeit. Der Evaluationsbericht des Beirats hat nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen eine sichere empirische Grundlage für die Beurteilung der Berechnungsmethode des BVA als fehlerhaft geliefert, indem er die verfälschenden Auswirkungen der fehlenden Annualisierung erstmals anhand realer Daten aus dem deutschen Gesundheitssystem nachgewiesen hat (vgl. im Einzelnen die Senatsurteile vom 04.07.2013 - L 16 KR 800/12 KL und L 16 KR 774/12 KL). Der Sachverständige hat ausdrücklich eingeräumt, dass es zwar schon vor dem Bericht Indizien für die Unrichtigkeit des Berechnungsverfahrens gegeben habe, der Bericht jedoch hinsichtlich der Evidenz eine Kategorie "mehr" biete.
52Die Ergebnisse des Evaluationsberichts waren im Rahmen der Festlegungen für 2012 noch nicht zu berücksichtigen.
53Der Senat hat in seinen das Ausgleichsjahr 2011 betreffenden Urteilen vom 04.07.2013 (L 16 KR 732/12 KL und L 16 KR 756/12 KL; ebenso schon Senat, Urteile vom 22.11.2012 - L 16 KR 249/08 KL und L 16 KR 88/09 KL) dargelegt, dass für die Rechtmäßigkeit der Festlegung des Klassifikationsmodells und des Regressions- und Berechnungsverfahrens auf den Zeitpunkt des Erlasses der Festlegungen abzustellen ist. Da nach § 31 Abs. 4 Satz 1 RSAV die Festlegungen bis zum 30.09. für das folgende Kalenderjahr zu treffen sind, konnte angesichts der gesetzlichen Vorgabe das BVA entgegen der Argumentation der Klägerin keineswegs nach Veröffentlichung des Evaluationsberichts dessen Auswertung abwarten, weil der erste Grundlagenbescheid für 2012 erst Wochen später zu ergehen hatte, sondern musste die Festlegungen für 2012 bis zum 30.09.2011 bekannt geben. Maßgeblich ist somit der Erkenntnisstand zu diesem Zeitpunkt, wobei zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass der Entscheidung des BVA ein Anhörungsverfahren vorgeschaltet ist und somit die Festlegungen nur auf Erkenntnissen beruhen dürfen, zu denen sich die Anhörungspartner auch äußern konnten.
54Auf der Grundlage des insoweit jeweils maßgeblichen Erkenntnisstandes sind nach den genannten Senatsurteilen nicht nur die Festlegungen des BVA für das Ausgleichsjahr 2009 auch hinsichtlich des Regressionsverfahrens mit der Entscheidung gegen eine Annualisierung der Leistungsausgaben unterjährig Verstorbener rechtmäßig zu Stande gekommen; das BVA hat auch in den Folgejahren zu Recht von einer Änderung des Regressionsverfahrens abgesehen, bis zuverlässige Kenntnisse über die Auswirkungen dieser Entscheidungen und einer Änderung der Regressionsberechnung vorlagen. Erstmals sind das Klassifikationsmodell und die Berechnungsmethoden in dem Evaluationsbericht des Wissenschaftlichen Beirats vom 22.06.2011 auf der Basis der "Echtdaten" des Jahres 2009 geprüft worden, was den Erkenntnissen hinsichtlich der Auswirkungen der unterbliebenen Annualisierungen eine neue Qualität verliehen hat. Aufgrund des Evaluationsberichts steht nunmehr fest, dass eine Änderung der Regressionsberechnungen geboten ist (siehe dazu die Senatsurteile vom 04.07.2013 in den Sachen L 16 KR 800/12 KL und L 16 KR 774/12 KL).
55Für die Festlegungen für das Ausgleichsjahr 2012, die nach § 31 Abs. 4 Satz 1 RSAV bis zum 30.09.2011 zu treffen waren, war jedoch das BVA aufgrund des Evaluationsberichts noch nicht verpflichtet, das Berechnungsverfahren zu ändern. Der Bericht datiert zwar vom 22.06.2011 und war dem BVA auch schon vor der Veröffentlichung im September 2011 bekannt (sogar schon in der Entwurfsfassung vom Mai 2011). Gleichwohl musste (und durfte) das BVA diesen Bericht nicht schon zur Grundlage seiner Festlegungen für 2012 machen. Das BVA hat die Festlegungen nämlich nicht nur auf der Grundlage wissenschaftlicher Expertise, sondern auch unter Anhörung der Spitzenverbände der Krankenkassen (jetzt des GKV-Spitzenverbandes) zu erarbeiten (§ 31 Abs. 4 Satz 1 RSAV). Vor dessen Stellungnahme muss auch den Mitgliedskassen noch die Möglichkeit gegeben werden, ihre Meinung zu äußern. Zwar gibt es keine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung für den GKV-Spitzenverband, seine Mitgliedskassen vor der Stellungnahme anzuhören; der GKV-Spitzenverband muss auch die ihm zugewiesene Aufgabe (§ 217f Abs. 1 SGB V) eigenständig erfüllen und eine selbstständige fachliche Bewertung des Festlegungsentwurfs abgeben. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Mitgliedskassen unmittelbar von den Festlegungen betroffen sind, weil die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds wesentlich auch von dem Risikomodell bestimmt werden. Es ist somit sachgerecht, wenn sie in den Prozess der Willensbildung des GKV-Spitzenverbandes einbezogen werden.
56In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das Anhörungsrecht nach § 31 Abs. 4 Satz 1 RSAV anders als die Anhörung im Verwaltungsverfahren nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) weniger den Zweck hat, den Betroffenen vor Überraschungsentscheidungen zu schützen (siehe dazu Kasseler Kommentar/Mutschler, § 24 SGB X Rn. 2), sondern Teil eines Kooperationsprozesses ist, in dem das für die Entscheidung notwendige Wissen mobilisiert wird (vgl. Augsberg, GesR 2008, 515, 519; allgemein zu Verfahren der Wissensgenerierung H.C. Röhl in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd.II, § 30 Rn. 26 ff. m.w.N.). Diese Wissensgewinnung durch ein Beteiligungsverfahren macht das Bundesverwaltungsgericht für die Verbindlichkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften zur Voraussetzung, wenn es verlangt, dass dem Erlass der Verwaltungsvorschriften ein Beteiligungsverfahren vorangegangen ist, um vorliegende Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse auszuschöpfen (vgl. BVerwGE 107, 338, 342). Wie die Verpflichtung des Wissenschaftlichen Beirats zur "laufenden Pflege" (§ 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 RSAV) des Klassifikationsmodells und zur regelmäßigen Überprüfung der Krankheitsauswahl (§ 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 RSAV) sowie die jährliche Festlegung der maßgeblichen Parameter und des Berechnungsverfahrens zeigt, ist der Morbi-RSA - in Erfüllung der verfassungsrechtlichen Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers (vgl. dazu BVerfGE 95, 267, 314 f; 113, 167, 234, 238) - als "lernendes System" ausgestaltet, das auf ständige Verbesserung des Modells zielt, um die Wirklichkeit verlässlich genug abzubilden (Augsberg, a.a.O.; s. auch Schmehl in: Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, § 39 Rn. 83). Die Dokumentation des Festlegungsverfahrens belegt, dass das BVA für die Weiterentwicklung des Morbi-RSA systematisch auf das bei den Krankenkassen und ihren Verbänden sowie den sonstigen interessierten Institutionen (etwa Berufsverbände der Ärzte oder auch Patientenorganisationen) verteilte Wissen zurückgreift. Ausgehend von den jährlichen Vorschlägen für Änderungen entwickelt das BVA seinen Entwurf für die Anpassung des Klassifikationsmodells bzw. das Regressions- und Berechnungsverfahren, den es dann zur Diskussion stellt, bevor es unter Auseinandersetzung mit den eingegangenen Stellungnahmen die Festlegungen erlässt. Vor allem hinsichtlich der Krankheitsauswahl und -abgrenzungen sowie der Zuordnungsalgorithmen tragen die Krankenkassen und andere Institutionen aufgrund ihrer Sachnähe und -kunde in besonderem Maße zur Weiterentwicklung des Klassifikationsmodells bei. Aber auch hinsichtlich des Berechnungsverfahrens setzen Rückmeldungen der einzelnen Betroffenen das BVA in Stand, die Auswirkungen einer von ihm ins Auge gefassten Änderung der Berechnungsweise verlässlicher beurteilen zu können. Dieses Verfahren der Wissensgenerierung durch ein Beteiligungsverfahren wäre gestört, wenn das BVA aufgrund allein ihm zugänglicher Informationen Änderungen der Festlegungen vornehmen würde (oder müsste). Daher musste, wenn das BVA eine Änderung des Regressionsverfahrens aufgrund der im Evaluationsbericht getroffenen Aussagen beabsichtigte, den Kassen die Auseinandersetzung mit dem Bericht und den dort angestellten Berechnungen ermöglicht werden.
57Der Bericht ist am 26.09.2011 veröffentlicht worden ist, so dass erst ab diesem Zeitpunkt seine Auswertung durch die betroffenen Krankenkassen möglich war. Jedenfalls für eine fundierte, breit angelegte Diskussion über den Evaluationsbericht war bis zum Erlass der Festlegungen keine Zeit mehr. Geht man vom Zeitpunkt der Veröffentlichung (26.09.2011) aus, ist dies offenkundig. Aber selbst vom Termin der Fertigstellung am 22.06.2011 ausgehend, war eine allgemeine Auswertung und Diskussion bis Ende September 2011 nicht möglich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass am 22.06.2011 der Bericht (nach Nachholung einer weiteren, vom BMG nach Vorlage des Entwurfs im Mai 2011 gewünschten weiteren Berechnung) erst als vorläufige Endfassung vorlag (die dann allerdings unverändert geblieben ist). Es stand zum damaligen Zeitpunkt aber noch nicht endgültig fest, ob das BMG als Auftraggeber ggf. weitere Ergänzungen wünschen würde. Zudem liegt auf der Hand, dass das BMG den Bericht zunächst inhaltlich überprüfen wollte, bevor es ihn mit einer Veröffentlichung zur allgemeinen Diskussion stellte. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Evaluationsbericht auch die Aufgabe hatte, mögliche Änderungen des Morbi-RSA (z.B. eine Reduzierung der Zahl der Krankheiten) zu bewerten, so dass auch unter diesem Aspekt die Auswertung des Berichts auf der Fachebene des BMG und dessen Aufbereitung für die politische Spitze des Ministeriums zu erfolgen hatte. Ob vor diesem Hintergrund überhaupt eine Veröffentlichung vor dem 26.09.2011 in Betracht gekommen wäre, kann dahinstehen. Selbst wenn man annehmen würde, dass die Veröffentlichung schon deutlich früher in Betracht gekommen wäre, hätte angesichts des notwendigen zeitlichen Vorlaufs für das Beteiligungsverfahren vor den spätestens bis 30.09.2011 vorzunehmenden Festlegungen (der Entwurf der Festlegungen datiert vom 05.08.2011) die gebotene Diskussion des Evaluationsberichts nicht abgeschlossen werden können. Somit ist es nicht zu beanstanden, dass das BVA für das Ausgleichsjahr 2012 noch an dem bisherigen Berechnungsverfahren festgehalten und eine Änderung des Regressionsverfahrens bis zum Abschluss der Bewertung des Evaluationsberichts zurückgestellt hat."
58Der Senat hat seit seinen Entscheidungen vom 04.07.2013 keine (neuen) Erkenntnisse gewonnen, die es rechtfertigten, von der bisherigen rechtlichen Beurteilung Abstand zu nehmen. Er hält es weiterhin für gerechtfertigt, entscheidend auf den Evaluationsbericht des Wissenschaftlichen Beirats vom 22.06.2011 abzustellen und geboten, dem BVA unter Berücksichtigung einzuholender Stellungnahmen eine angemessene Zeit zu dessen Überprüfung und Bewertung einzuräumen, die jedenfalls bis zum für die Festlegungen maßgeblichen Zeitpunkt (dem 30.09.2011) reichte. Mangels neuen Vortrages der Klägerin besteht für weitere Ausführungen des Senats kein Anlass.
59Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
60Der Senat misst dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung bei und hat daher die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
61Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 1, Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 Gerichtskostengesetz. Eine geringere Festsetzung im Hinblick darauf, dass bereits im Verfahren L 16 KR 646/12 KL der Streitwert auf 2.500.000 Euro festgesetzt worden ist, ist nicht gerechtfertigt. Auch wenn wegen der prozessualen Sonderregelung des § 171 SGG zwei (selbständige) Verfahren erforderlich sind, ändert dies nichts daran, dass die wirtschaftliche Bedeutung des vorliegenden Klageverfahrens mit einem geringeren Streitwert nicht zutreffend abgebildet wird. Das geltende Kostenrecht lässt zur Überzeugung des Senats eine streitwertmindernde Berücksichtigung der prozessualen Sondersituation nicht zu. Der Senat hält eine niedrigere Festsetzung des Streitwerts auch angesichts des offenkundigen Interesses der Beteiligten an einer gerichtlichen (Vorab-) Entscheidung (ohne Suspensiveffekt - vgl. § 266 Abs. 6 Satz 7 SGB V) über die Rechtmäßigkeit der einer endgültigen Festsetzung durch den Jahresausgleichsbescheid vorausgehenden Festsetzungen nicht für gerechtfertigt.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht NRW Urteil, 13. Feb. 2014 - L 16 KR 17/14 KL
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(1) Die Krankenkassen erhalten als Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds (§ 271) zur Deckung ihrer Ausgaben eine Grundpauschale und risikoadjustierte Zu- und Abschläge zum Ausgleich der unterschiedlichen Risikostrukturen und Zuweisungen für sonstige Ausgaben (§ 270). Mit den risikoadjustierten Zuweisungen wird jährlich ein Risikostrukturausgleich durchgeführt. Durch diesen werden die finanziellen Auswirkungen von Unterschieden zwischen den Krankenkassen ausgeglichen, die sich aus der Verteilung der Versicherten auf nach Risikomerkmalen getrennte Risikogruppen gemäß Absatz 2 ergeben.
(2) Die Zuordnung der Versicherten zu Risikogruppen erfolgt anhand der Risikomerkmale Alter, Geschlecht, Morbidität, regionalen Merkmalen und danach, ob die Mitglieder Anspruch auf Krankengeld nach § 44 haben. Die Morbidität der Versicherten wird auf der Grundlage von Diagnosen, Diagnosegruppen, Indikationen, Indikationengruppen, medizinischen Leistungen oder Kombinationen dieser Merkmale unmittelbar berücksichtigt. Regionale Merkmale sind solche, die die unterschiedliche Ausgabenstruktur der Region beeinflussen können.
(3) Die Grundpauschale und die risikoadjustierten Zu- und Abschläge dienen zur Deckung der standardisierten Leistungsausgaben der Krankenkassen.
(4) Die Ermittlung der standardisierten Leistungsausgaben nach Absatz 3 orientiert sich an der Höhe der durchschnittlichen krankheitsspezifischen Leistungsausgaben der den Risikogruppen zugeordneten Versicherten. Dabei bleiben außer Betracht
- 1.
die von Dritten erstatteten Ausgaben, - 2.
Aufwendungen für satzungsgemäße Mehr- und Erprobungsleistungen sowie für Leistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.
(5) Die Bildung der Risikogruppen nach Absatz 2 und die Ermittlung der standardisierten Leistungsausgaben nach Absatz 3 erfolgt nach Kriterien, die zugleich
- 1.
Anreize zu Risikoselektion verringern und - 2.
keine Anreize zu medizinisch nicht gerechtfertigten Leistungsausweitungen setzen.
(6) Das Bundesamt für Soziale Sicherung ermittelt die Höhe der Zuweisungen und weist die entsprechenden Mittel den Krankenkassen zu. Es gibt für die Ermittlung der Höhe der Zuweisungen nach Absatz 3 jährlich bekannt
- 1.
die Höhe der standardisierten Leistungsausgaben aller am Ausgleich beteiligten Krankenkassen je Versicherten, getrennt nach Risikogruppen nach Absatz 2, und - 2.
die Höhe der risikoadjustierten Zu- und Abschläge.
(7) Das Bundesamt für Soziale Sicherung stellt im Voraus für ein Kalenderjahr die Werte nach Absatz 6 Satz 2 Nr. 1 und 2 vorläufig fest. Es legt bei der Berechnung der Höhe der monatlichen Zuweisungen die Werte nach Satz 1 und die zuletzt erhobenen Versichertenzahlen der Krankenkassen je Risikogruppe nach Absatz 2 zugrunde. Nach Ablauf des Kalenderjahres ist die Höhe der Zuweisungen für jede Krankenkasse vom Bundesamt für Soziale Sicherung aus den für dieses Jahr erstellten Geschäfts- und Rechnungsergebnissen und den für dieses Jahr erhobenen Versichertenzahlen der beteiligten Krankenkassen zu ermitteln. Die nach Satz 2 erhaltenen Zuweisungen gelten als Abschlagszahlungen. Sie sind nach der Ermittlung der endgültigen Höhe der Zuweisung für das Geschäftsjahr nach Satz 3 auszugleichen. Werden nach Abschluss der Ermittlung der Werte nach Satz 3 sachliche oder rechnerische Fehler in den Berechnungsgrundlagen festgestellt, hat das Bundesamt für Soziale Sicherung diese bei der nächsten Ermittlung der Höhe der Zuweisungen nach den dafür geltenden Vorschriften zu berücksichtigen. Klagen gegen die Höhe der Zuweisungen im Risikostrukturausgleich einschließlich der hierauf entfallenden Nebenkosten haben keine aufschiebende Wirkung.
(8) Das Bundesministerium für Gesundheit regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über
- 1.
die Ermittlung der Höhe der Grundpauschale nach Absatz 1 Satz 1, der Werte nach Absatz 6 sowie die Art, den Umfang und den Zeitpunkt der Bekanntmachung der für die Durchführung des Risikoausgleichsverfahrens erforderlichen Berechnungswerte, - 2.
die Abgrenzung und die Verfahren der Standardisierung der Leistungsausgaben nach den Absätzen 3 bis 6; dabei können für Risikogruppen, die nach dem Anspruch der Mitglieder auf Krankengeld zu bilden sind, besondere Standardisierungsverfahren und Abgrenzungen für die Berücksichtigung des Krankengeldes geregelt werden, - 2a.
die Abgrenzung und die Verfahren der Standardisierung der sonstigen Ausgaben nach § 270, die Kriterien der Zuweisung der Mittel zur Deckung dieser Ausgaben sowie das Verfahren der Verarbeitung der nach § 270 Absatz 2 zu übermittelnden Daten, - 2b.
die Abgrenzung der zu berücksichtigenden Risikogruppen nach Absatz 2 einschließlich der Altersabstände zwischen den Altersgruppen, auch abweichend von Absatz 2; hierzu gehört auch die Festlegung des Verfahrens zur Auswahl der regionalen Merkmale, - 3.
die Festlegung der Anforderungen an die Zulassung der Programme nach § 137g hinsichtlich des Verfahrens der Einschreibung der Versicherten einschließlich der Dauer der Teilnahme und des Verfahrens der Verarbeitung der für die Durchführung der Programme erforderlichen personenbezogenen Daten, - 4.
die Berechnungsverfahren sowie die Durchführung des Zahlungsverkehrs, - 5.
die Fälligkeit der Beträge und die Erhebung von Säumniszuschlägen, - 6.
das Verfahren und die Durchführung des Ausgleichs einschließlich des Ausschlusses von Risikogruppen, die anhand der Morbidität der Versicherten gebildet werden, mit den höchsten relativen Steigerungsraten, - 7.
die Umsetzung der Vorgaben nach Absatz 5 und 12, - 8.
die Vergütung des wissenschaftlichen Beirats zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs beim Bundesamt für Soziale Sicherung für die Erstellung von Gutachten nach Absatz 10, - 9.
die Prüfung der von den Krankenkassen mitzuteilenden Daten durch die mit der Prüfung nach § 274 befassten Stellen einschließlich der Folgen fehlerhafter Datenlieferungen oder nicht prüfbarer Daten sowie das Verfahren der Prüfung und der Prüfkriterien, auch abweichend von § 274.
(9) Die landwirtschaftliche Krankenkasse nimmt am Risikostrukturausgleich nicht teil.
(10) Die Wirkungen des Risikostrukturausgleichs insbesondere auf den Wettbewerb der Krankenkassen und die Manipulationsresistenz des Risikostrukturausgleichs sind regelmäßig, mindestens alle vier Jahre, durch den wissenschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs beim Bundesamt für Soziale Sicherung in einem Gutachten zu überprüfen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann den Gegenstand des Gutachtens näher bestimmen; im Jahr 2023 sind gesondert die Wirkungen der regionalen Merkmale als Risikomerkmal im Risikostrukturausgleich zu untersuchen. Die Wirkungen des Ausschlusses von Risikogruppen nach § 18 Absatz 1 Satz 4 der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung insbesondere auf die Manipulationsresistenz und Zielgenauigkeit des Risikostrukturausgleichs einschließlich der Einhaltung der Vorgaben des § 266 Absatz 5 sind zusätzlich zu dem Gutachten nach Satz 2 zweiter Halbsatz durch den wissenschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs beim Bundesamt für Soziale Sicherung im Jahr 2023 zu untersuchen. Für den Zweck des Gutachtens nach Satz 3 ist auch die Veränderung der Häufigkeit der Diagnosen nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung der Zuordnung der Versicherten zu Risikogruppen zu untersuchen.
(11) Die Krankenkassen erhalten die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds für die Ausgleichsjahre 2019 und 2020 nach Maßgabe der §§ 266 bis 270 in der bis zum 31. März 2020 geltenden Fassung. Die Anpassung der Datenmeldung nach § 7 Absatz 1 Satz 1 Nummer 7 der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung gemäß § 7 Absatz 1 Satz 3 der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung ist ab dem Ausgleichsjahr 2021 bei den Zuweisungen nach Absatz 3 zu berücksichtigen. Die Zuordnung der Versicherten zu Risikogruppen, die nach dem Anspruch der Mitglieder auf Krankengeld zu bilden sind, erfolgt für das Ausgleichsjahr 2020 danach, ob die Mitglieder Anspruch auf Krankengeld nach den §§ 44 und 45 haben.
(12) Bei den Zuweisungen nach Absatz 3 werden die finanziellen Auswirkungen der Bildung von Risikogruppen anhand von regionalen Merkmalen nach Absatz 2 durch Zu- und Abschläge im Ausgleichsjahr 2021 auf 75 Prozent begrenzt. Die Begrenzung erfolgt für alle Länder jeweils einheitlich für die Summe der Zuweisungen nach Absatz 3 für die Versicherten mit Wohnsitz in einem Land. Durch die Zu- und Abschläge werden 25 Prozent der Differenz der hypothetischen Höhe der Zuweisungen nach Absatz 3 ohne Bildung von Risikogruppen anhand von regionalen Merkmalen und der Höhe der Zuweisungen nach Absatz 3 einheitlich auf die Versicherten mit Wohnsitz in einem Land verteilt.
(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.
(2) Eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts ist dem Gericht mitzuteilen, bei dem das Verfahren anhängig ist.
Klageänderungen und Beiladungen sind im Revisionsverfahren unzulässig. Dies gilt nicht für die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts nach § 75 Abs. 1 Satz 2 und, sofern der Beizuladende zustimmt, für Beiladungen nach § 75 Abs. 2.
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Die Landessozialgerichte entscheiden im zweiten Rechtszug über die Berufung gegen die Urteile und die Beschwerden gegen andere Entscheidungen der Sozialgerichte.
(2) Die Landessozialgerichte entscheiden im ersten Rechtszug über
- 1.
Klagen gegen Entscheidungen der Landesschiedsämter sowie der sektorenübergreifenden Schiedsgremien auf Landesebene und gegen Beanstandungen von Entscheidungen der Landesschiedsämter und der sektorenübergreifenden Schiedsgremien auf Landesebene nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch, gegen Entscheidungen der Schiedsstellen nach § 75 Absatz 3c, § 111b Absatz 6, § 120 Absatz 4, § 132a Absatz 3 und § 132l Absatz 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, der Schiedsstellen nach § 133 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, der Schiedsstelle nach § 76 des Elften Buches Sozialgesetzbuch und des Schiedsgremiums nach § 113c Absatz 4 des Elften Buches Sozialgesetzbuch und der Schiedsstellen nach § 81 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, - 2.
Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern der Sozialversicherung und ihren Verbänden, gegenüber den Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, gegenüber der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und den Medizinischen Diensten sowie dem Medizinischen Dienst Bund, bei denen die Aufsicht von einer Landes- oder Bundesbehörde ausgeübt wird, - 3.
Klagen in Angelegenheiten der Erstattung von Aufwendungen nach § 6b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, - 4.
Anträge nach § 55a, - 5.
Streitigkeiten nach § 4a Absatz 7 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch.
(3) Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entscheidet im ersten Rechtszug über
- 1.
Streitigkeiten zwischen gesetzlichen Krankenkassen untereinander betreffend den Risikostrukturausgleich sowie zwischen gesetzlichen Krankenkassen oder ihren Verbänden und dem Bundesamt für Soziale Sicherung betreffend den Risikostrukturausgleich, die Anerkennung von strukturierten Behandlungsprogrammen und die Verwaltung des Gesundheitsfonds, - 2.
Streitigkeiten betreffend den Finanzausgleich der gesetzlichen Pflegeversicherung, - 3.
Streitigkeiten betreffend den Ausgleich unter den gewerblichen Berufsgenossenschaften nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch, - 4.
Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen.
(4) Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entscheidet im ersten Rechtszug über
- 1.
Klagen gegen die Entscheidung der Bundesschiedsämter nach § 89 Absatz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, des weiteren Schiedsamtes auf Bundesebene nach § 89 Absatz 12 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, des sektorenübergreifenden Schiedsgremiums auf Bundesebene nach § 89a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sowie der erweiterten Bewertungsausschüsse nach § 87 Abs. 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, soweit die Klagen von den Einrichtungen erhoben werden, die diese Gremien bilden, - 2.
Klagen gegen Entscheidungen des Bundesministeriums für Gesundheit nach § 87 Abs. 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gegenüber den Bewertungsausschüssen und den erweiterten Bewertungsausschüssen sowie gegen Beanstandungen des Bundesministeriums für Gesundheit gegenüber den Bundesschiedsämtern und dem sektorenübergreifenden Schiedsgremium auf Bundesebene, - 3.
Klagen gegen Entscheidungen und Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (§§ 91, 92 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch), Klagen in Aufsichtsangelegenheiten gegenüber dem Gemeinsamen Bundesausschuss, Klagen gegen die Festsetzung von Festbeträgen durch die Spitzenverbände der Krankenkassen oder den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, Klagen gegen Entscheidungen der Schiedsstellen nach den §§ 125, 129, 130b, 131, 134, 134a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und der Schlichtungsstelle nach § 319 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sowie Klagen gegen Entscheidungen des Schlichtungsausschusses Bund nach § 19 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 1991 (BGBl. I S. 886), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 14. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2789) geändert worden ist, - 4.
Klagen gegen Entscheidungen des Qualitätsausschusses nach § 113b Absatz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch sowie des erweiterten Qualitätsausschusses nach § 113b Absatz 3 des Elften Buches Sozialgesetzbuch und gegen Entscheidungen des Bundesministeriums für Gesundheit nach § 113b Absatz 9 des Elften Buches Sozialgesetzbuch gegenüber dem Qualitätsausschuss und dem erweiterten Qualitätsausschuss sowie über Klagen, welche die Mitwirkung an den Richtlinien des Medizinischen Dienstes Bund betreffen (§ 17 Absatz 1, §§ 18b, 112a Absatz 2, § 114a Absatz 7 und § 114c Absatz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch).
(5) (weggefallen)
(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn
- 1.
ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder - 2.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde, einer obersten Landesbehörde oder von dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder - 3.
ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will.
(2) (weggefallen)
(3) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.
(2) Eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts ist dem Gericht mitzuteilen, bei dem das Verfahren anhängig ist.
Wird während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so gilt der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim Sozialgericht angefochten, es sei denn, daß der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird.
Tenor
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Auf die Revisionen der Kläger werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Januar 2011 und des Sozialgerichts Berlin vom 1. August 2007 sowie der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. Juli 2007 geändert.
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Die Festbetragsfestsetzung für Einlagen vom 1. Dezember 2004 in der Fassung des Beschlusses des Beklagten vom 12. Dezember 2011 wird aufgehoben, soweit es in den "Allgemeinen Erläuterungen" heißt: "Bei der Abgabe von Kopieeinlagen (08.03.01) ist ein Gipsabdruck nicht erforderlich" … "Ein Trittspurabdruck reicht für die korrekte Erstellung der Kopieeinlagen aus."
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Es wird festgestellt, dass die Festbetragsfestsetzungen vom 1. Dezember 2004 für Einlagen, Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie und Stomaartikel rechtswidrig waren, soweit es in den "Allgemeinen Erläuterungen" heißt: "Bei den Festbeträgen handelt es sich um Bruttopreise, die die gesetzliche Mehrwertsteuer in der jeweils geltenden Höhe umfassen."
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Es wird ferner festgestellt, dass die Festbetragsfestsetzung vom 1. Dezember 2004 für Einlagen rechtswidrig war, soweit es in den "Allgemeinen Erläuterungen" heißt: "Bei den Festbeträgen der Positionen 08.03.01 (Kopieeinlagen) bis 08.03.06.0 (Stoßabsorber/Fersenkissen) handelt es sich um Paarpreise. Die weiteren Festbeträge (08.03.06.1 'herausnehmbarer Verkürzungsausgleich' bis 08.99.99.0010 'Formabdruck aus eigener Werkstatt') sind als Stückpreise ausgewiesen."
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Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
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Die weitergehenden Revisionen werden zurückgewiesen.
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Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Kläger zu zwei Dritteln und die Beigeladenen zu einem Drittel. Die Kosten des Rechtsstreits in zweiter und dritter Instanz tragen die Kläger zu zwei Dritteln und der Beklagte zu einem Drittel; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
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Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 200 000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
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Am 1.12.2004 haben die Beigeladenen bzw deren Rechtsvorgänger in ihrer damaligen Funktion als Spitzenverbände der Krankenkassen bundesweite Festbeträge für Einlagen, Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie und Stomaartikel mit Wirkung ab 1.1.2005 erstmals festgesetzt (BAnz vom 10.12.2004 Nr 235a). Der Beschluss zu den Festbeträgen für Einlagen enthält ua folgende Regelungen:
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"Die Spitzenverbände der Krankenkassen bestimmen gemäß § 36 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit (i.V.m.) § 213 SGB V gemeinsam und einheitlich Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden. Die Spitzenverbände der Krankenkassen setzen auf dieser Basis die nachfolgenden Festbeträge für Einlagen fest. Die Festbeträge treten am 1. Januar 2005 in Kraft und gelten bundesweit.
Bei den Festbeträgen für Einlagen handelt es sich um Bruttopreise, die die gesetzliche Mehrwertsteuer in der jeweils geltenden Höhe enthalten. Eine ggf. notwendige Anpassung wird im Rahmen der nach § 36 i.V.m. § 35 SGB V vorgeschriebenen Überprüfung vorgenommen.
Nach neueren Erkenntnissen ist bei der Abgabe von Kopieeinlagen (08.03.01) ein Gipsabdruck nicht erforderlich. Deshalb werden die abrechenbaren Zusatzoptionen (08.99.99.0009 und 08.99.99.0010) im Festbetragsgruppensystem gestrichen. Ein Trittspurabdruck reicht für die korrekte Erstellung von Kopieeinlagen aus. Die Kosten für den Trittspurabdruck sind in dem Festbetrag enthalten.
Mit dem Festbetrag sind sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstehen (z.B. die Materialkosten, der Trittspurabdruck, die Einweisung in die Handhabung der Produkte, ggf. notwendige Nacharbeiten und andere Dienstleistungen), abgegolten. Die Einlagen haben mindestens den Qualitätsstandards des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 128 SGB V i.V.m. § 139 SGB V zu entsprechen.
Bei den Festbeträgen der Positionen 08.03.01 (Kopieeinlagen) bis 08.03.06.0 (Stoßabsorber/Fersenkissen) handelt es sich um Paarpreise. Die weiteren Festbeträge (08.03.06.1 'herausnehmbarer Verkürzungsausgleich' bis 08.99.99.0010 'Formabdruck aus eigener Werkstatt') sind als Stückpreise ausgewiesen."
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Unter der Positionsnummer 08.03.01 "Kopieeinlagen (¾-lang)" hieß es:
"Bei Ledereinlagen mit Längsgewölbestütze (08.03.01.0) ist eine ¾-lange Lederdecke im Festbetrag enthalten. Die Zusätze 09.99.99.001 bis 0005 und 0007 bis 0008 sind nach gesonderter ärztlicher Begründung zusätzlich abrechenbar.
Bei Kopieeinlagen aus thermoplastisch verformbaren Kunststoffen (08.03.01.1) sind die Zusätze 08.99.99.0001 bis 0008 nach gesonderter ärztlicher Begründung zusätzlich abrechenbar.
Bei Leichtmetalleinlagen (08.03.01.2) sind die Zusätze 08.99.99.0001 bis 0008 nach gesonderter ärztlicher Begründung zusätzlich abrechenbar.
Bei Edelstahleinlagen (08.03.01.3) sind die Zusätze 08.99.99.0001 bis 0008 nach gesonderter ärztlicher Begründung zusätzlich abrechenbar."
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Zur Positionsnummer 08.99.99.0007 ist ein Betrag von 3,22 Euro als "Mehrpreis" für langsohlige Lederdecken ausgewiesen.
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Ähnliche Regelungen finden sich zu den Produktgruppen Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie sowie Stomaartikel. Teilweise stimmen diese Regelungen sogar wörtlich überein.
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Der Bundesinnungsverband für Orthopädietechnik - Kläger zu 1) - sowie die Innungen für Orthopädietechnik aus den fünf Regierungsbezirken des Landes Nordrhein-Westfalen - Kläger zu 2) bis 6) - halten die Festsetzungsbeschlüsse für rechtswidrig und machen die Verletzung eigener Rechte sowie der Rechte ihrer Mitglieder (Sanitätshäuser und andere Leistungserbringer aus dem Bereich der Orthopädietechnik) geltend. Die Spitzenverbände hätten nicht lediglich Festbeträge, also Obergrenzen der Sachleistungsverpflichtung der Krankenkassen im Verhältnis zu ihren Versicherten, sondern Abgabepreise festgesetzt und darüber hinaus zahlreiche Abrechnungsregelungen getroffen, die aber einer vertraglichen Vereinbarung mit den Leistungserbringern bzw deren Verbänden nach § 127 SGB V in seiner bis zum 31.3.2007 geltenden Fassung (aF) bedurft hätten. Damit sei die Festsetzungsermächtigung nach § 36 SGB V überschritten und in die Preisbildungsfreiheit der Leistungserbringer(Art 12 Abs 1 GG) sowie in die Vertragsabschlusskompetenz und Berufsausübungsfreiheit der Innungen und Innungsverbände (§ 127 SGB V aF, Art 12 Abs 1 GG)eingegriffen worden.
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Während des erstinstanzlichen Klageverfahrens (S 86 KR 64/05, später S 112 KR 244/07 SG Berlin) haben die Spitzenverbände durch Beschlüsse vom 11.5.2006 mit Wirkung ab 1.7.2006 neue Festbeträge für Einlagen und Hilfsmittel zur Kompressionstherapie festgesetzt (BAnz vom 20.6.2006 Nr 112 S 4524-4526, berichtigt BAnz vom 4.7.2006 Nr 122, S 4815). Das von den Klägern daraufhin eingeleitete Klageverfahren (S 28 KR 1901/06 SG Berlin) ruht.
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Neue Festbeträge für alle vier Hilfsmittelgruppen sind durch Beschlüsse der Spitzenverbände vom 23.10.2006 mit Wirkung ab 1.1.2007 festgesetzt worden (BAnz vom 17.11.2006 Nr 216a). Diese Festbetragsfestsetzungen vom 23.10.2006 orientieren sich weitestgehend an den Vorbildern vom 1.12.2004; sie sind von den Klägern ebenfalls angefochten worden (S 81 KR 3481/06 SG Berlin). Hinsichtlich der Inkontinenzhilfen und Stomaartikel sind die Festbetragsfestsetzungen vom 23.10.2006 bis heute in Kraft.
- 9
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Durch Beschluss vom 17.9.2007 haben die Spitzenverbände mit Wirkung ab 1.1.2008 neue Festbeträge für Hilfsmittel zur Kompressionstherapie festgesetzt (BAnz vom 16.11.2007 Nr 214, S 8032). Mit weiterem Beschluss vom 3.12.2007 folgten dann zum 1.3.2008 neue Festbeträge für Einlagen (BAnz vom 12.2.2008 Nr 23, S 452-458). Diese Festsetzungen sind gleichfalls von den Klägern angefochten worden (S 73 KR 3215/07 SG Berlin). Alle Klagen beruhen auf derselben Argumentation der Kläger.
- 10
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Ab 1.7.2008 ist die Zuständigkeit für die Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel nach § 36 SGB V auf den neu gebildeten Spitzenverband Bund der Krankenkassen übergegangen. Er hat zu diesem Zeitpunkt als Funktionsnachfolger die Stellung als Beklagter eingenommen; die bis dahin beklagten Spitzenverbände der Krankenkassen sind zu Beigeladenen geworden (Beschluss des LSG vom 23.7.2010). Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat erstmals durch Beschlüsse vom 12.12.2011 mit Wirkung ab 1.3.2012 neue Festbeträge für Einlagen und Hilfsmittel zur Kompressionstherapie festgesetzt (BAnz vom 1.2.2012 Nr 18, S 379-382). Diese Beschlüsse haben die Kläger nicht gesondert angefochten; sie sind auch derzeit noch gültig.
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Das SG hat die Klagen gegen die vier Beschlüsse vom 1.12.2004 als unzulässig abgewiesen (Urteil vom 1.8.2007 - S 112 KR 244/07), weil den Klägern die Anfechtungsbefugnis fehle. Die Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel in Form von Allgemeinverfügungen verletze nicht die Rechte der Leistungserbringer und ihrer Verbände. Die Spitzenverbände hätten bei sachgerechter Auslegung der Beschlüsse keine Abgabepreise geregelt und auch keine Vertragsbedingungen festgelegt. Die nachfolgenden Festsetzungen vom 11.5.2006 und 23.10.2006 seien nicht gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden, weil die ursprünglichen Festsetzungen vom 1.12.2004 weder geändert noch ersetzt worden seien. Daher sei über diese Festsetzungen nicht zu entscheiden gewesen.
- 12
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Eine andere Kammer des SG hatte am Tag zuvor bereits die Klagen gegen die vier Beschlüsse vom 23.10.2006 als unzulässig abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 31.7.2007 - S 81 KR 3481/06), allerdings mit einer anderen Begründung. Diese Kammer war nämlich der Auffassung, dass die Festsetzungen vom 23.10.2006 schon mit ihrer Bekanntmachung von Gesetzes wegen (§ 96 Abs 1 SGG) als im Ausgangsverfahren S 112 KR 244/07 angefochten gelten und daher wegen anderweitiger Rechtshängigkeit nicht mit einer separaten Klage nochmals hätten angefochten werden können.
- 13
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Die Kläger haben beide Entscheidungen des SG mit der Berufung angegriffen. Das LSG hat die Berufungsverfahren L 9 KR 530/07 (zum Urteil vom 1.8.2007) und L 9 KR 534/07 (zum Gerichtsbescheid vom 31.7.2007) nach § 153 Abs 1 iVm § 113 Abs 1 SGG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden(Beschluss vom 19.1.2011) und sodann die Berufungen im Wesentlichen zurückgewiesen (Urteil vom 19.1.2011). Die erstinstanzlichen Entscheidungen sind lediglich insoweit geändert worden, als das LSG nunmehr festgestellt hat, dass die Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 rechtswidrig waren, soweit sie bezüglich der Produktgruppe der Hilfsmittel zur Kompressionstherapie folgende Regelung enthielten: "Die Körpermaße sind auf der Basis des vorgenannten Maßschemas vollständig bei der Abrechnung anzugeben."
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Das LSG hat die Klagen gegen die Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 als Fortsetzungsfeststellungsklagen (§ 131 Abs 1 S 3 SGG) betrachtet, soweit die Festbeträge abgeschlossene Zeiträume aus der Vergangenheit betreffen, und als reine Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 SGG)angesehen, soweit sie im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (19.1.2011) noch aktuell waren, was auf die Festsetzungen vom 23.10.2006 für Inkontinenzhilfen und Stomaartikel bis heute zutrifft. Die Festsetzungen vom 11.5.2006, 17.9.2007 und 3.12.2007 waren nicht Gegenstand der Berufungsentscheidung, nachdem die Kläger mit Blick auf die von den Kammern des SG unterschiedlich beantwortete Frage der Einbeziehung späterer Festsetzungen in die laufenden Klageverfahren nach § 96 SGG auf Anregung des LSG übereinstimmend erklärt hatten, sie teilten die Ansicht, dass eine Einbeziehung hier ausscheide; weil aber das gegenteilige Ergebnis nicht auszuschließen sei, machten sie von ihrer Dispositionsbefugnis Gebrauch und beschränkten den Streitstoff ausdrücklich auf die Festsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006, zumal die Festsetzungen vom 11.5.2006 im Verfahren S 28 KR 1901/06 und die Festsetzungen vom 17.9.2007 und 3.12.2007 im Verfahren S 73 KR 3215/07 gesondert angefochten worden seien. Die ebenfalls streitige Frage, ob schon die Festsetzung vom 23.10.2006 über § 96 SGG Gegenstand des Ausgangsverfahrens zur ersten Festsetzung vom 1.12.2004 geworden war, hatte sich durch die Verbindung beider Berufungsverfahren erledigt.
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Das LSG hat die Klagebefugnis der Kläger und deren Rechtsschutzinteresse an den Fortsetzungsfeststellungsklagen bejaht, die Klagen in der Sache aber als im Wesentlichen unbegründet erachtet. Es seien entsprechend dem gesetzlichen Auftrag (§ 36 SGB V)nur Festbeträge für die vier Hilfsmittelgruppen, jedoch keine Abgabepreise festgesetzt worden. Die vereinzelt verwendeten Begriffe Bruttopreis, Paarpreis und Stückpreis dienten lediglich der Erläuterung, wie die festgesetzten Festbeträge zu verstehen seien, nämlich als die gesetzliche Mehrwertsteuer in ihrer jeweils geltenden Höhe umfassend, und worauf sie sich bezögen, nämlich auf Einzelstücke oder Paare (wie zB bei den Einlagen und Kompressionsstrümpfen). Die Spitzenverbände der Krankenkassen seien auch befugt gewesen, im Rahmen der Festbetragsfestsetzung Regelungen zu treffen, welche sächlichen Leistungen und persönlichen Dienstleistungen mit dem Festbetrag jeweils abgegolten sein sollten. Es verstoße auch nicht gegen geltendes Recht, dass in den Allgemeinverfügungen zu den Einlagen angeordnet worden sei, der Festbetrag für Kopieeinlagen umfasse den Trittspurabdruck; ein Gipsabdruck sei nicht erforderlich, sodass die bis dahin abrechenbaren Zusatzoptionen (08.99.99.0009 und 08.99.99.0010) mit Wirkung ab 1.1.2005 im Festbetragsgruppensystem gestrichen seien. Hierbei gehe es lediglich um eine Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 2 Abs 4, § 12 SGB V), die den Versicherten vor Augen führe, dass sie die Mehrkosten eines von ihnen gewünschten Gipsabdrucks künftig selbst zu tragen hätten (§ 33 Abs 1 S 6 SGB V). Die Spitzenverbände seien auch befugt gewesen, die Abrechenbarkeit bestimmter Leistungen von einer gesonderten ärztlichen Verordnung abhängig zu machen, weil es dabei lediglich um die Umsetzung einer schon in den Hilfsmittel-Richtlinien enthaltenen allgemeinen Regelung gegangen sei. Von der Ermächtigungsgrundlage des § 36 SGB V nicht gedeckt sei lediglich die Anordnung, dass die Abrechenbarkeit maßgefertigter Hilfsmittel zur Kompressionstherapie von der Angabe der Körpermaße des Versicherten auf der Grundlage eines Maßschemas oder einer Maßtabelle abhängig sei.
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Mit den vom erkennenden Senat wegen eines Verfahrensfehlers und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revisionen rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§§ 36, 127 SGB V aF, Art 12 Abs 1 GG) sowie einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG). Sie wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen und beantragen,
die Urteile des LSG Berlin-Brandenburg vom 19.1.2011 und des SG Berlin vom 1.8.2007 sowie den Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 31.7.2007 zu ändern und
1) hinsichtlich der Festsetzung von Festbeträgen für Einlagen
a) den Beschluss vom 1.12.2004 in der Fassung des Beschlusses des Beklagten vom 12.12.2011 aufzuheben, soweit folgende Regelungen getroffen worden sind:
aa) "Bei der Abgabe von Kopieeinlagen (08.03.01) ist ein Gipsabdruck nicht erforderlich. Ein Trittspurabdruck reicht für die korrekte Erstellung der Kopieeinlagen aus. Die Kosten für den Trittspurabdruck sind in dem Festbetrag enthalten und können nicht zusätzlich abgerechnet werden; dies gilt auch, wenn Verfahren wie Trittschaum oder Scan-Technik zum Einsatz kommen."
bb) … soweit Zusätze (08.99.99 ff) jeweils nur nach gesonderter ärztlicher Verordnung für abrechenbar erklärt werden.
cc) "Sofern ein Lederbezug notwendig ist, so ist dieser im Festbetrag enthalten."
b) festzustellen, dass die Festbetragsfestsetzung vom 1.12.2004 für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis zum 30.6.2006 rechtswidrig war, soweit Bruttopreise, die die gesetzliche Mehrwertsteuer in der jeweils geltenden Höhe umfassen, Paarpreise oder Stückpreise festgesetzt worden sind und soweit die Abrechenbarkeit von Hilfsmitteln von einer besonderen ärztlichen Begründung abhängig gemacht worden ist.
2) hinsichtlich der Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel zur Kompressionstherapie festzustellen, dass die Festbetragsfestsetzung vom 1.12.2004 für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis zum 30.6.2006 rechtswidrig war, soweit Bruttopreise festgesetzt worden sind, die die gesetzliche Mehrwertsteuer in der jeweils geltenden Höhe enthalten.
3) hinsichtlich der Festsetzung von Festbeträgen für Inkontinenzhilfen
a) den Beschluss vom 1.12.2004 in der Fassung des Beschlusses vom 23.10.2006 aufzuheben, soweit Bruttopreise festgesetzt worden sind, die die gesetzliche Mehrwertsteuer in der jeweils geltenden Höhe enthalten;
b) festzustellen, dass die Festbetragsfestsetzung vom 1.12.2004 für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis zum 31.12.2006 insoweit rechtswidrig war, als mit dem Festbetrag nicht nur sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstehen, abgegolten sein sollten, sondern auch "andere Dienstleistungen".
4) hinsichtlich der Festsetzung von Festbeträgen für Stomaartikel
a) den Beschluss vom 1.12.2004 in der Fassung des Beschlusses vom 23.10.2006 aufzuheben,
aa) soweit von dem Festbetrag nicht nur sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstehen, umfasst werden, sondern auch "andere Serviceleistungen";
bb) soweit geregelt ist: "Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei den Produkten "geschlossener Beutel" (29.26.01) und den Stoma-Kappen/Minibeuteln (29.26.04) ein (ggf. integrierter) Filter vom Festbetrag umfasst wird. Bei den Ausstreifbeuteln sind der Verschluss und ein (ggf. integrierter) Filter vom Festbetrag umfasst. Filter, die zusätzlich benötigt werden, können weiterhin unter der Position 29.26.11.1 abgerechnet werden, sofern sie verordnet wurden. Zur Verdeutlichung wurde diese Position in der Festbetragsstruktur in "Zusatzfilter" umbenannt. Von dem Festbetrag für Urostomie-Beutel (29.26.03) sind Abflussventil/-adapter und Verschluss umfasst. Bei Beuteln mit Hautschutzring (…) wird dieser vom Festbetrag umfasst. Nur Hautschutzringe, die zusätzlich benötigt werden, können bei Verordnung weiterhin unter der Position 29.26.11.2. abgerechnet werden. Zusätzliche Beutelüberzüge aus Vlies sind nicht abrechenbar bei Beuteln mit Vlies."
b) festzustellen, dass die Festbetragsfestsetzung vom 1.12.2004 für den Zeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2006 insoweit rechtswidrig war,
aa) als Bruttopreise festgesetzt worden sind, die die gesetzliche Mehrwertsteuer in der jeweils geltenden Höhe enthalten sollten;
bb) als mit dem Festbetrag nicht nur sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstehen, abgegolten sein sollten, sondern auch "andere Dienstleistungen".
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Die Beklagte verteidigt das Urteil des LSG und beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
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Die Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
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Die Revisionen der Kläger sind zulässig und zum Teil begründet, überwiegend jedoch unbegründet. Das LSG hat die Berufungen gegen die beiden klageabweisenden Entscheidungen des SG nur mit den aus dem Urteilstenor ersichtlichen geringfügigen Einschränkungen zu den Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 bezüglich der Hilfsmittel zur Kompressionstherapie zurückgewiesen. Soweit das LSG diese Festsetzungen hinsichtlich der Anordnung "Die Körpermaße sind auf der Basis der vorgenannten Maßschemas vollständig bei der Abrechnung anzugeben" aufgehoben (Festsetzungs-Beschluss vom 23.10.2006) bzw dessen Rechtswidrigkeit festgestellt hat (Festsetzungs-Beschluss vom 1.12.2004), ist das Berufungsurteil rechtskräftig geworden, weil weder der Beklagte noch die Beigeladenen dagegen Revision eingelegt haben. Die allein von den Klägern eingelegten Revisionen sind jedoch in weiterem Umfang als vom LSG angenommen begründet, weil die Festbetragsfestsetzungen einige weitere rechtswidrige Passagen aufweisen.
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A. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind sämtliche Beschlüsse der ehemaligen Spitzenverbände der Krankenkassen über die Festsetzung von Festbeträgen für die Produktgruppen Einlagen, Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie und Stomaartikel für die Zeit ab 1.1.2005, und zwar unabhängig davon, ob sie sich zwischenzeitlich durch Neufestsetzungen und Zeitablauf erledigt haben oder - wie die Beschlüsse vom 23.10.2006 zu den Festbeträgen für Inkontinenzhilfen und Stomaartikel - bis heute in Kraft sind. Ferner sind Streitgegenstand des Revisionsverfahrens die Beschlüsse des Beklagten vom 12.12.2011 über die Neufestsetzung von Festbeträgen für Einlagen und Hilfsmittel zur Kompressionstherapie, die seit dem 1.3.2012 in Kraft und bis heute gültig sind. Es geht damit um insgesamt 14 Festbetragsfestsetzungen, und zwar
- um 5 Festbetragsfestsetzungen für Einlagen:
(1) Beschluss vom 1.12.2004, Gültigkeitsdauer 1.1.2005 bis 30.6.2006,
(2) Beschluss vom 11.5.2006, Gültigkeitsdauer 1.7.2006 bis 31.12.2006,
(3) Beschluss vom 23.10.2006, Gültigkeitsdauer 1.1.2007 bis 29.2.2008,
(4) Beschluss vom 3.12.2007, Gültigkeitsdauer 1.3.2008 bis 29.2.2012,
(5) Beschluss vom 12.12.2011, gültig ab 1.3.2012;
- um 2 Festbetragsfestsetzungen für Inkontinenzhilfen:
(1) Beschluss vom 1.12.2004, Gültigkeitsdauer 1.1.2005 bis 31.12.2006,
(2) Beschluss vom 23.10.2006, gültig ab 1.1.2007;
- um 5 Festbetragsfestsetzungen für Hilfsmittel zur Kompressionstherapie:
(1) Beschluss vom 1.12.2004, Gültigkeitsdauer 1.1.2005 bis 30.6.2006,
(2) Beschluss vom 11.5.2006, Gültigkeitsdauer 1.7.2006 bis 31.12.2006,
(3) Beschluss vom 23.10.2006, Gültigkeitsdauer 1.1.2007 bis 31.12.2007,
(4) Beschluss vom 17.9.2007, Gültigkeitsdauer 1.1.2008 bis 29.2.2012,
(5) Beschluss vom 12.12.2011, gültig ab 1.3.2012;
- um 2 Festbetragsfestsetzungen für Stomaartikel:
(1) Beschluss vom 1.12.2004, Gültigkeitsdauer 1.1.2005 bis 31.12.2006,
(2) Beschluss vom 23.10.2006, gültig ab 1.1.2007.
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1. Sämtliche Beschlüsse der ehemaligen Spitzenverbände der Krankenkassen sowie die beiden Beschlüsse des Beklagten zu den Festbetragsfestsetzungen für die vier Hilfsmittelgruppen (§ 36 SGB V) sind als Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen (§ 31 S 2 SGB X) erlassen (vgl BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2; BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 8; BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 15) und im Bundesanzeiger bekannt gemacht (§ 37 Abs 3 S 2 und Abs 4 SGB X) worden. Die Frage der Einbeziehung späterer Neufestsetzungen in das Klageverfahren über die Anfechtung der vier ursprünglichen Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 richtet sich damit nach § 96 SGG, der grundsätzlich auch für ändernde und ersetzende Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen gilt(BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 18); nichts anderes gilt für die Einbeziehung erst während des Berufungsverfahrens beschlossener Neufestsetzungen in den Rechtsstreit (§ 153 Abs 1 iVm § 96 SGG).
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2. Die Anwendbarkeit des § 96 Abs 1 SGG auf die hier betroffenen Allgemeinverfügungen beruht auf deren spezieller Ausgestaltung, und zwar im Hinblick auf ihre Wirkungsdauer. Nach § 36 Abs 2 S 1 SGB V setzt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (bis 30.6.2008: die Spitzenverbände der Krankenkassen) für die nach § 36 Abs 1 S 1 SGB V bestimmten Hilfsmittel - bisher sind dies Einlagen, Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie, Stomaartikel sowie Seh- und Hörhilfen - einheitliche Festbeträge fest. Gemäß § 36 Abs 3 iVm § 35 Abs 5 S 3 SGB V sind diese Festbeträge mindestens einmal im Jahr zu überprüfen und in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage anzupassen. Dieser gesetzliche Auftrag kann in der Weise erfüllt werden, dass der Festbetrag für ein Hilfsmittel von vornherein nur für eine bestimmte Zeit - zB ein Jahr - festgesetzt wird und nach Fristablauf je nach dem Ergebnis der Überprüfung entweder ein neuer, der geänderten Marktlage angepasster Festbetrag festgesetzt oder die vorhandene Festsetzung um einen weiteren Zeitraum - zB wiederum ein Jahr - verlängert wird. In diesen Fällen ist eine Festsetzung von vornherein befristet, sodass eine sich zeitlich anschließende Festsetzung von § 96 Abs 1 SGG nicht erfasst werden kann; denn ein befristeter Verwaltungsakt wird durch einen sich zeitlich anschließenden Verwaltungsakt weder geändert noch ersetzt, wie es aber für die Einbeziehung des neuen Verwaltungsakts in das Klageverfahren zum vorhergehenden Verwaltungsakt erforderlich ist. Der gesetzliche Auftrag kann aber auch durch eine unbefristete Festsetzung eines Festbetrages erfüllt werden. Deren Wirksamkeit wird im Zuge der Neufestsetzung des Festbetrages nachträglich auf den Tag vor Inkrafttreten der neuen Festsetzung begrenzt. Mit der neuen Allgemeinverfügung wird dann stets die zeitlich vorhergehende Allgemeinverfügung für die Zeit ab Inkrafttreten der neuen Festsetzung aufgehoben. Diesen Weg haben die Beigeladenen und ab 1.7.2008 der Beklagte in allen bisherigen Festbetragsfestsetzungen gewählt. Die Festsetzung unbefristeter Festbeträge führt aber dazu, dass Verwaltungsakte mit unbegrenzter Dauerwirkung vorliegen, die durch die nachfolgenden Verwaltungsakte jeweils für die Zukunft, nämlich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Festsetzung, aufgehoben werden. Eine solche Vorgehensweise führt zur Änderung des angefochtenen vorhergehenden Verwaltungsakts gemäß § 96 Abs 1 SGG und damit zur Einbeziehung in das bereits anhängige Klageverfahren zur begehrten Aufhebung der jeweils vorhergehenden Festbetragsfestsetzung.
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Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - nicht die festgesetzten Geldbeträge selbst umstritten sind, sondern ergänzende Bestimmungen der Allgemeinverfügungen, die aus Sicht der Kläger die angeblichen Festbeträge in Wahrheit zu Abgabepreisen machen und darüber hinaus Abrechnungsregelungen enthalten, die der vertraglichen Vereinbarung nach § 127 SGB V aF vorbehalten waren.
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a) Die Festsetzung jeweils unbefristeter Festbeträge führt dazu, dass bei der Aufhebung einer als rechtswidrig erkannten späteren Allgemeinverfügung notwendigerweise die vorhergehende wieder wirksam wird, weil die aufhebende Regelung entfallen ist und deshalb die vorhergehende Festsetzung unbefristet weitergilt. Wird dann auch diese vorhergehende Allgemeinverfügung aufgehoben, tritt wiederum deren Vorgängerregelung in Kraft. Wegen dieser Rechtswirkungen muss die gesamte Kette von unbefristeten Allgemeinverfügungen in das zur Anfechtung der ersten Festbetragsfestsetzung eingeleitete Klageverfahren nach § 96 Abs 1 SGG einbezogen werden(so auch der 1. Senat des BSG zu aufeinanderfolgenden unbefristeten Festbetragsfestsetzungen nach § 35 SGB V für Arzneimittel, vgl BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 11 und BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 16 - 18).
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b) Die vom LSG gegen die Anwendbarkeit des § 96 SGG ins Feld geführte Befürchtung der Unübersichtlichkeit des Streitstoffs bei einer Vielzahl von einzubeziehenden Verwaltungsakten und dem daraus resultierenden Widerspruch zur Prozessökonomie teilt der erkennende Senat nicht. Da eine spätere unbefristete Festbetragsfestsetzung immer zur Änderung der vorhergehenden unbefristeten Festsetzung führt, ist § 96 Abs 1 SGG unabhängig davon einschlägig, ob im Einzelfall eine Detailregelung zusätzlich geändert wird. Der Gefahr der Unübersichtlichkeit des Streitstoffs kann insbesondere dadurch begegnet werden, dass über eine Klage zügig entschieden wird, sodass sich die Frage der Einbeziehung einer nachfolgenden Festbetragsfestsetzung nach § 96 Abs 1 SGG möglichst gar nicht oder eventuell nur einmal, aber jedenfalls nicht - wie hier - gleich mehrmals stellt.
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c) Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass sowohl die Kläger als auch das SG und das LSG zur Unübersichtlichkeit des Streitstoffs dadurch beigetragen haben, dass die Festbetragsfestsetzungen gleich für vier Produktgruppen mit nur einer Klage, also nicht getrennt mit vier Klagen, angefochten worden sind und die Gerichte gar nicht die - sich ohne Weiteres anbietende - Möglichkeit der Verfahrenstrennung entsprechend den vier Produktgruppen (§ 202 SGG iVm § 145 Abs 1 ZPO) in Erwägung gezogen haben. So hätte durchaus berücksichtigt werden können, dass die Festbetragsfestsetzungen für die vier Produktgruppen nicht in einer einheitlichen Regelung zusammengefasst, sondern in vier separaten Allgemeinverfügungen getroffen worden sind. Daneben gab es am 1.12.2004, 23.10.2006 und 12.12.2011 noch Festbetragsfestsetzungen für Hörhilfen (BAnz vom 10.12.2004 Nr 235a, vom 17.11.2006 Nr 216a und vom 1.2.2012 Nr 18 S 382) sowie Festbetragsfestsetzungen für Sehhilfen am 1.12.2004, 23.10.2006 und 3.12.2007 (BAnz vom 10.12.2004 Nr 235a, vom 17.11.2006 Nr 216a und vom 12.2.2008 Nr 23 S 454). Die Festbetragsfestsetzungen für Hör- und Sehhilfen sind zu Recht nicht angefochten worden, weil diese Hilfsmittel nicht zum Leistungsbereich der Orthopädietechnik gehören, den die Kläger repräsentieren. Sämtliche jeweils am gleichen Tag erfolgten Festbetragsfestsetzungen für die diversen Produktgruppen sind stets in separaten Allgemeinverfügungen getroffen, aber dann in einer gemeinsamen Bekanntmachung im Bundesanzeiger (§ 36 Abs 3 iVm § 35 Abs 7 S 1 SGB V) veröffentlicht worden. Im Interesse der Übersichtlichkeit des Streitstoffs hätte es sich angeboten, spätestens im Berufungsverfahren eine Verfahrenstrennung entsprechend den vier betroffenen Produktgruppen vorzunehmen. Der Beklagte mag überlegen, ob künftig die einzelnen Festbetragsbeschlüsse nicht nur in getrennten Allgemeinverfügungen erlassen, sondern auch getrennt bekannt gemacht werden, um die Übersichtlichkeit der Materie zu fördern.
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3. Wegen der von Gesetzes wegen über § 96 Abs 1 SGG bewirkten Einbeziehung aller bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG (19.1.2011) erlassenen Festbetragsfestsetzungen für Einlagen, Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie und Stomaartikel in das Berufungsverfahren war es prozessual rechtswidrig, dass das LSG nur über die Festsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 entschieden hat, nicht aber auch über die weiteren Festbetragsfestsetzungen vom 11.5.2006, 17.9.2007 und 3.12.2007, die nach § 96 Abs 1 SGG ebenfalls Gegenstand des Verfahrens geworden waren. Der Unsicherheit der Beteiligten über die Anwendbarkeit des § 96 SGG sollte zwar dadurch begegnet werden, dass die Kläger "im Rahmen ihrer allgemeinen Dispositionsbefugnis" die Aufhebungsanträge und Feststellungsbegehren ausdrücklich auf die Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 beschränkt haben. Ein solches Vorgehen war jedoch prozessual unzulässig, weil wegen der speziellen Art der inhaltlichen und formalen Verknüpfung der aufeinander folgenden Festbetragsfestsetzungen nur eine Gesamtbetrachtung der jeweiligen Kette von Allgemeinverfügungen möglich war, einzelne Glieder aus der Kette also nicht herausgenommen werden durften. Die fehlende Entscheidung des LSG über die Rechtmäßigkeit der Festbetragsfestsetzungen vom 11.5.2006, 17.9.2007 und 3.12.2007 ist revisionsrechtlich jedoch unschädlich, weil diese Festsetzungen abgelaufene Zeiträume betreffen und durch spätere Festsetzungen ersetzt worden sind. Über die deshalb allein noch denkbare Frage der Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Allgemeinverfügungen war im Revisionsverfahren nicht zu entscheiden, weil die Kläger das Feststellungsbegehren jeweils auf die Zeit der Geltung der vier ursprünglichen Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 beschränkt haben, über die auch das LSG befunden hat.
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Es bleibt darauf hinzuweisen, dass die Allgemeinverfügungen vom 11.5.2006, 17.9.2007 und 3.12.2007 durch separate Klagen in den Verfahren S 28 KR 1901/06 und S 73 KR 3215/07 beim SG Berlin angefochten worden sind. Diesen Klagen steht wegen der Einbeziehung der Allgemeinverfügungen in den vorliegenden Rechtsstreit nach § 96 SGG von Anfang an der zur Unzulässigkeit der Klage führende Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit(§ 202 SGG iVm § 17 Abs 1 S 2 GVG) entgegen. Über diese Klagen hat unverändert das SG Berlin zu befinden. Nicht zuständig ist das LSG Berlin-Brandenburg, auf das die erstinstanzliche Zuständigkeit für Klagen gegen die Festsetzung von Festbeträgen gemäß § 29 Abs 4 SGG idF des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008 (SGG ArbGGÄndG, BGBl I 444) mit Wirkung ab 1.4.2008 übergegangen ist. Dieser Zuständigkeitswechsel erstreckt sich nach § 98 SGG iVm § 17 Abs 1 S 1 GVG indes nicht auf die schon vor dem 1.4.2008 erhobenen und damit rechtshängig (§ 94 SGG) gewordenen Klagen (vgl Keller in Meyer-Ladwig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 29 RdNr 4).
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4. In das vorliegende Verfahren einbezogen sind ausnahmsweise auch die erst während des laufenden Revisionsverfahrens ergangenen Festbetragsfestsetzungen vom 12.12.2011 für Einlagen und Hilfsmittel zur Kompressionstherapie (BAnz vom 1.2.2012 Nr 18, S 379-381).
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a) Die Regelung des § 96 SGG wird für ändernde und ersetzende Verwaltungsakte, die erst während des Revisionsverfahrens erlassen werden, durch § 171 Abs 2 SGG modifiziert: "Wird während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so gilt der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim SG angefochten, es sei denn, dass der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird." Diese Vorschrift gilt in entsprechender Anwendung auch für Verwaltungsakte, die mit einer unmittelbar beim LSG anzubringenden Klage angefochten werden müssen. In solchen Fällen gilt ein während des Revisionsverfahrens erlassener ändernder oder ersetzender Verwaltungsakt als mit der Klage beim erstinstanzlich zuständigen LSG angefochten. Für Klagen gegen die Festsetzung von Festbeträgen, die ab 1.4.2008 erhoben werden, ist nach § 29 Abs 4 Nr 3 SGG das LSG Berlin-Brandenburg erstinstanzlich zuständig, sodass gemäß § 171 Abs 2 SGG in analoger Anwendung die Allgemeinverfügung über die Neufestsetzung eines Festbetrages, die während eines laufenden Revisionsverfahrens über die vorangegangene Festsetzung und nach dem 31.3.2008 erlassen wird, grundsätzlich als mit der Klage beim LSG Berlin-Brandenburg angefochten gilt (so bereits BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 19).
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b) Von diesem Regelfall gibt es jedoch mehrere Ausnahmen: Der ändernde oder ersetzende Verwaltungsakt wird unmittelbar Gegenstand des Revisionsverfahrens, wenn der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt wird (§ 171 Abs 2 letzter Halbs, 1. Alt SGG). Der Kläger ist dann nicht mehr beschwert und muss die Klage oder die Revision zurücknehmen oder die Hauptsache für erledigt erklären (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 171 RdNr 4). Die zunächst eingetretene Rechtshängigkeit einer Anfechtungsklage gegen den ändernden oder ersetzenden Verwaltungsakt beim SG/LSG wird wieder beseitigt, wenn dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird (§ 171 Abs 2 letzter Halbs, 2. Alt SGG); der Kläger kann diesen Effekt nur dadurch vermeiden, dass er den neuen Verwaltungsakt vor dem SG/LSG separat anficht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 171 RdNr 4). Ein neuer Verwaltungsakt gilt schließlich auch dann nicht als durch Klage beim erstinstanzlich zuständigen Gericht angefochten, wenn es sich um einen nur wiederholenden Verwaltungsakt mit neuer Begründung handelt oder wenn eine bereits getroffene rechtliche Regelung durch den neuen Verwaltungsakt lediglich "fortgeschrieben" wird (BSGE 15, 105, 107 = SozR Nr 3 zu § 171 SGG; BSGE 59, 137, 141 = SozR 2200 § 368a Nr 13). Aus prozessökonomischen Gründen kann das BSG in solchen Fällen über den neuen Verwaltungsakt mitentscheiden, wenn es ohne neue Ermittlungen möglich ist (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, RdNr 3b). Zwei dieser Ausnahmen sind im vorliegenden Falle einschlägig, sodass das BSG über die beiden Festbetragsfestsetzungen vom 12.12.2011 in eigener Zuständigkeit entscheiden konnte.
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c) Erstens sind die Kläger durch die neuen Allgemeinverfügungen vom 12.12.2011 klaglos gestellt worden; der Beklagte hat konsequent auf die Verwendung des Begriffes "Preis" (Abgabepreis, Stückpreis, Paarpreis, Mehrpreis) verzichtet und nur noch den Begriff "Festbetrag" verwendet, sodass der Einwand der Festsetzung von Abgabepreisen schon vom Wortlaut her nicht mehr erhoben werden konnte. Da die Anfechtung der Festbetragsfestsetzung für die Hilfsmittel zur Kompressionstherapie nach dem Teilerfolg im Berufungsverfahren zuletzt auf diesen Einwand beschränkt war, hat der Kläger auch folgerichtig auf einen Aufhebungsantrag zum Beschluss vom 12.12.2011 verzichtet, sodass das BSG hierüber keine Entscheidung in der Sache mehr treffen musste. In der Antragsbeschränkung liegt eine konkludent erklärte Teilrücknahme der Klage nach § 102 Abs 1 SGG(BSG SozR Nr 10 zu § 102 SGG; BSG SozR 4-1500 § 92 Nr 2; BSG SozR 4-1500 § 95 Nr 1; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 102 RdNr 7b). Hinsichtlich der Festbetragsfestsetzung für Einlagen sind die Kläger durch die Vermeidung des Begriffes "Preis" jedoch nur teilweise klaglos gestellt worden, weil insoweit auch Einwände gegen Abrechnungsregelungen erhoben worden waren, denen der Beklagte in der Neufestsetzung vom 12.12.2011 nicht Rechnung getragen hat.
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d) Zweitens greift hier die von der Rechtsprechung für lediglich wiederholende bzw fortschreibende Verwaltungsakte entwickelte Ausnahme vom Regelfall des § 171 Abs 2 SGG. Soweit in der Allgemeinverfügung vom 12.12.2011 zu den Festbeträgen für Einlagen von den Klägern nicht akzeptierte Abrechnungsregelungen enthalten sind, handelt es sich ausnahmslos um wortgleiche Wiederholungen von Regelungen, die bereits in der ersten Festbetragsfestsetzung vom 1.12.2004 enthalten und in die nachfolgenden Festsetzungen ebenfalls aufgenommen worden waren. Die zum 1.1.2005 erstmals getroffenen Regelungen sind also einfach wiederholt bzw fortgeschrieben worden, haben ihren Regelungsgehalt damit nicht verändert und deshalb auch zu keiner erweiterten Beschwer der Kläger geführt. Neue Ermittlungen zum Sachverhalt waren nicht erforderlich. Deshalb konnte der erkennende Senat auch über die Frage der Rechtswidrigkeit der von den Klägern beanstandeten Regelungen in der Allgemeinverfügung vom 12.12.2011 zu den Festbeträgen für Einlagen in eigener Zuständigkeit befinden.
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B. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.
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1. Die Kläger haben ihre Klagen im Berufungsverfahren auf den Beklagten umgestellt, um nach der Änderung der Zuständigkeit für Festbetragsfestsetzungen in § 36 Abs 2 S 1 iVm § 217f Abs 1 SGB V(idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung
vom 26.3.2007, BGBl I 378) dem mit dieser Funktionsnachfolge verbundenen gesetzlichen Beteiligtenwechsel von den jetzigen Beigeladenen zum Beklagten Rechnung zu tragen (vgl hierzu BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 13; BSGE 102, 248 = SozR 4-5050 § 15 Nr 6, RdNr 14; BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 20; BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 12).
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2. Die dem Streitgegenstand entsprechende Klageart ist für die Festbetragsfestsetzung in der aktuell gültigen Fassung die reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG); denn bei Festbetragsfestsetzungen für Hilfsmittel handelt es sich um Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen (§ 31 S 2 SGB X). Es findet sich hier für jede der vier Produktgruppen eine ununterbrochene Reihe von jeweils zwei (Inkontinenzhilfen und Stomaartikel) bzw jeweils fünf (Einlagen und Hilfsmittel zur Kompressionstherapie) unbefristeten Allgemeinverfügungen, wobei die neuere Fassung jeweils mit Wirkung für die Zukunft die vorausgegangene Fassung aufhob und ersetzte. Die Ausgestaltung der Allgemeinverfügungen als jeweils unbefristet hat zur Folge, dass im Falle einer vollständigen Aufhebung der aktuell gültigen Fassung die zuvor geltende Fassung und bei deren Aufhebung dann die davor geltende Festbetragsregelung usw wieder in Kraft treten würde (so auch BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 18 für unbefristete Festbetragsfestsetzungen bei Arzneimitteln). Ansonsten aber sind Regelungen aus früheren Fassungen, die sich in einer späteren Fassung so nicht wiederfinden, mit dem Ende der Gültigkeitsdauer der früheren Fassung erledigt. Für die Feststellung der Rechtswidrigkeit in dieser Weise erledigter Regelungen steht die Möglichkeit des Übergangs auf Fortsetzungsfeststellungsklagen (§ 131 Abs 1 S 3 SGG)zur Verfügung. Hiervon haben die Kläger bei allen vier Produktgruppen Gebrauch gemacht.
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3. Die Kläger sind klagebefugt. Eine Anfechtungsklage ist nach § 54 Abs 1 S 2 SGG nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den angefochtenen Verwaltungsakt beschwert zu sein. Dies setzt voraus, dass die Verletzung der eigenen Rechte oder der in zulässiger Prozessstandschaft vertretenen Rechte eines Dritten geltend gemacht wird und die Verletzung dieser Rechte danach auch möglich erscheint (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 54 RdNr 9 bis 12a mwN). Das ist hier der Fall.
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a) Zu Recht wenden sich die Kläger hier nicht gegen die gesetzliche Möglichkeit selbst, Festbeträge für Hilfsmittel festzusetzen (§ 36 SGB V). Das insoweit allein in Betracht kommende Grundrecht der Berufsfreiheit der Leistungserbringer (Art 12 Abs 1 GG) ist durch die gesetzliche Einführung von Festbeträgen für Arzneimittel und Hilfsmittel (§§ 35, 36 SGB V) nicht berührt. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 17.12.2002 (1 BvL 28/95, 29/95, 30/95 - BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2) entschieden, dass Arzneimittelhersteller und Hilfsmittellieferanten in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit nicht tangiert sind, soweit der Gesetzgeber die (früheren) Spitzenverbände der Krankenkassen zur Festsetzung von Festbeträgen für Arznei- und Hilfsmittel ermächtigt hat. Im vorliegenden Rechtsstreit wird aber gerade die rechtswidrige Überschreitung dieser gesetzlichen Ermächtigung gerügt, weil die Spitzenverbände bei genauer Betrachtung der Bekanntmachungen über die Festbetragsfestsetzungen keine Festbeträge, sondern Abgabepreise festgesetzt und darüber hinaus auch noch der vertraglichen Ebene vorbehaltene Abrechnungsregelungen einseitig eingeführt hätten.
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b) Mit diesem Vorbringen machen die Kläger die Verletzung eigener Rechte und - in gesetzlicher Prozessstandschaft - die Verletzung der Rechte der von ihnen vertretenen Leistungserbringer geltend, und eine Verletzung dieser Rechte erscheint zumindest denkbar. Damit ist die Klagebefugnis der Kläger zu bejahen.
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aa) Handwerksinnungen haben ua die Aufgabe, die gemeinsamen gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder zu fördern (§ 54 Abs 1 S 1 Handwerksordnung - HwO) und sind daher berechtigt, diese Interessen auch im gerichtlichen Verfahren in Prozessstandschaft zu verfolgen. Sie können daher neben ihren eigenen subjektiven Rechten auch die subjektiven Rechte ihrer Mitglieder, also der als Hilfsmittelerbringer tätigen natürlichen und juristischen Personen (§ 126 SGB V), im Wege der Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt geltend machen. Als verletztes eigenes Recht der Kläger zu 2) bis 6) kommt hier die Vertragsabschlusskompetenz nach § 127 SGB V aF sowie für die Zeit ab 1.4.2007 nach § 127 SGB V idF des GKV-WSG in Betracht. Als verletztes Recht ihrer Mitglieder steht die Berufsausübungsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) in Form der Preisbildungsfreiheit zur Diskussion.
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bb) Der Kläger zu 1) ist aus den gleichen Gründen klagebefugt. Als Bundesinnungsverband für das Orthopädiemechaniker- und Bandagisten-Handwerk ist er eine juristische Person des privaten Rechts (§ 85 Abs 2 S 1 iVm § 80 S 1 HwO). Nach § 85 Abs 2 S 1 iVm § 79 HwO und § 5 seiner Satzung können ihm neben den Landesinnungsverbänden(§ 79 Abs 1 HwO) auch einzelne Handwerksinnungen (§ 52 HwO), die nicht selbst einem Landesinnungsverband angeschlossen sind, sowie selbstständige Handwerker (§ 79 Abs 3 HwO) als Einzelmitglieder angehören. Als verletztes eigenes Recht kommt wiederum die auch ihm zustehende Vertragsabschlusskompetenz nach § 127 SGB V in Betracht. In gesetzlicher Prozessstandschaft kann der Kläger zu 1) zumindest die Rechte der ihm angeschlossenen Einzelmitglieder, hier in Form der Berufsausübungsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG), geltend machen, weil er insoweit keine andere Funktion ausfüllt als eine regionale Handwerksinnung.
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cc) Auf die Frage, ob die Kläger zusätzlich auch die Verletzung der Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) aus eigenem Recht geltend machen können, kommt es nach alledem nicht mehr an. Ebenso kann es offenbleiben, ob der Kläger zu 1) befugt ist, die Rechte der ihm angeschlossenen Landesinnungsverbände und Handwerksinnungen im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft geltend zu machen, oder ob er nur als gewillkürter Prozessstandschafter auftreten könnte, was aber im konkreten Fall ausgeschlossen wäre, weil ihm keine entsprechenden Vollmachten für dieses Verfahren erteilt worden sind.
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4. Die Fortsetzungsfeststellungsklagen sind ebenso zulässig. Das Rechtsschutzinteresse der Kläger an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit früherer Regelungen ist vorhanden, weil die Kläger ernsthaft die Möglichkeit in Betracht ziehen, im Auftrag ihrer Mitglieder die Beigeladenen und den Beklagten auf Schadensersatz wegen einer Amtspflichtverletzung in Haftung zu nehmen, weil es den Leistungserbringern faktisch unmöglich gemacht worden sei, in der Vergangenheit bei der Preisgestaltung über die Festbeträge hinauszugehen, nachdem diese Beträge in den Allgemeinverfügungen fälschlich bzw missverständlich als "Preise", also im Verhältnis zu den Versicherten maßgebliche Abgabepreise, dargestellt worden seien. Außerdem seien zu Unrecht diverse Zusatzleistungen als gar nicht bzw nicht neben dem Festbetrag abrechenbar deklariert gewesen. Dies reicht zur Bejahung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses der Kläger und ihrer Mitglieder aus.
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C. Da der Beklagte keine Revision eingelegt hat und auch die Beigeladenen das Berufungsurteil nicht angefochten haben, ist über die Klagen nur im Umfang ihrer Abweisung durch das LSG zu entscheiden. Soweit das LSG festgestellt hat, dass die Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 teilweise rechtswidrig waren und die Festsetzung vom 23.6.2006 insoweit aufgehoben worden ist, ist das Berufungsurteil somit rechtskräftig geworden. Dies betrifft die zur Produktgruppe der Hilfsmittel zur Kompressionstherapie angeordnete Regelung: "Die Körpermaße sind auf der Basis des vorgenannten Maßschemas vollständig bei der Abrechnung anzugeben". Im Übrigen sind die Revisionen der Kläger nur zum Teil begründet.
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1. Rechtsgrundlage der Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004, 11.5.2006 und 23.10.2006 war § 36 SGB V in der ab 1.1.2004 gültigen Fassung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190). Diese alte Fassung (aF) galt bis zum 31.3.2007. Sie wurde durch die Neufassung der Vorschrift durch das GKV-WSG vom 26.3.2007 (BGBl I 378) abgelöst, die am 1.4.2007 in Kraft getreten ist (nF). Diese neue Fassung ist für die Festsetzungen vom 17.9.2007, 3.12.2007 und 12.12.2011 einschlägig. Dabei ist hier über die Festsetzungen vom 17.9.2007 (zu den Hilfsmitteln zur Kompressionstherapie) sowie 11.5.2006 und 3.12.2007 (zu den Einlagen) nicht zu entscheiden, weil die Kläger ihre Fortsetzungsfeststellungsklagen zur Feststellung der Rechtswidrigkeit in den aktuellen Fassungen nicht mehr enthaltener Regelungen auf die vier Ursprungsfassungen vom 1.12.2004 und deren jeweilige Geltungsdauer beschränkt haben.
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Nach § 33 Abs 2 S 1 und 2 SGB V aF trugen die Krankenkassen die Kosten eines Hilfsmittels, für das ein Festbetrag nach § 36 SGB V festgesetzt war, bis zur Höhe dieses Betrages, während sie für andere Hilfsmittel die jeweils vertraglich vereinbarten Preise gemäß § 127 Abs 1 S 1 SGB V aF übernahmen. Mit dem Festbetrag erfüllten die Krankenkassen in diesen Fällen ihre Leistungspflicht (§ 12 Abs 2 SGB V). Nach § 36 Abs 1 und 2 SGB V aF bestimmten die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt wurden (sog Festbetragsgruppen), und setzten gemeinsam und einheitlich erstmals bis zum 31.12.2004 für die nach Abs 1 bestimmten Hilfsmittel einheitliche Festbeträge fest (§ 36 Abs 2 S 1 SGB V aF).
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Zum 1.4.2008 ist § 33 Abs 2 S 1 und 2 SGB V aF aufgehoben worden, ohne dass sich die Rechtslage geändert hat. Die Regelung war überflüssig, weil sich deren Inhalt ohne Weiteres aus § 33 Abs 6 und 7 SGB V nF und § 12 Abs 2 SGB V ergibt. Danach übernimmt eine Krankenkasse nach wie vor die mit den Leistungserbringern für die Hilfsmittel vereinbarten Preise, im Falle der Festsetzung eines Festbetrages indes nur bis zu dessen Höhe. Zur Festsetzung der Festbeträge ist nach § 36 Abs 1 S 2 SGB V nF jedoch nunmehr der Spitzenverband Bund der Krankenkassen zuständig. Dabei sollen unter Berücksichtigung des Hilfsmittelverzeichnisses (§ 139 SGB V) in ihrer Funktion gleichartige und gleichwertige Hilfsmittel in Gruppen zusammengefasst und die Einzelheiten der Versorgung festgelegt werden (§ 36 Abs 1 S 2 SGB V nF). Auf dieser Basis sind dann für die Produktgruppen einheitliche Festbeträge festzusetzen (§ 36 Abs 2 S 1 SGB V nF).
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Diesen gesetzlichen Vorgaben sind die Spitzenverbände mit den Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 sowie der Beklagte mit der Festbetragsfestsetzung vom 12.12.2011 zu den Einlagen nicht in vollem Umfang nachgekommen. Die Einwände der Kläger sind zum Teil begründet.
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2. Der alle vier Produktgruppen betreffende Vorwurf der Kläger, die Spitzenverbände hätten zum 1.1.2005 Abgabepreise statt Festbeträge festgesetzt und damit rechtswidrig gehandelt, ist insoweit begründet, als jene von den Klägern beanstandeten Klauseln, in denen der Begriff "Preis" (Bruttopreis, Paarpreis, Stückpreis) verwendet worden ist, von der Ermächtigungsnorm des § 36 SGB V aF nicht gedeckt waren; deshalb war die Rechtswidrigkeit dieser Klauseln festzustellen. Das gilt für alle vier Allgemeinverfügungen vom 1.12.2004 gleichermaßen.
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Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben in den Festsetzungen vom 1.12.2004 nicht nur die Begriffe "Festbetrag" und "Festbeträge" verwendet, sondern an diversen Stellen davon gesprochen, es gehe um einen "Bruttopreis", "Mehrpreis", "Paarpreis" bzw "Stückpreis". Damit waren aus Sicht der Spitzenverbände möglicherweise nur - die jeweilige Mehrwertsteuer einschließende - Bruttobeträge (also keine Nettobeträge), Mehrbeträge für extra zu vergütende Zusatzleistungen sowie Beträge für Paare bzw Einzelstücke gemeint. Dieser Sinn der "Preis"-Begriffe ist allerdings den veröffentlichten Texten der Allgemeinverfügungen nicht eindeutig zu entnehmen. Objektiv stellt der "Preis" einer Ware jenen Geldbetrag dar, den der Anbieter (Verkäufer) für die Veräußerung der Ware verlangt und den der Interessent (Käufer) zu zahlen hat, um das Eigentum übertragen zu bekommen ("Kaufpreis", vgl § 433 Abs 2 BGB). Die mit den Festbetragsregelungen (§§ 35, 36 SGB V) nicht vertrauten Beteiligten, also insbesondere die Versicherten, aber auch Leistungserbringer und Krankenkassenmitarbeiter, konnten ohne detaillierte Kenntnis des rechtlichen Hintergrundes den Eindruck gewinnen, es gehe bei den festgesetzten Beträgen um "Abgabepreise" für die Hilfsmittel, was zur Folge gehabt hätte, dass der Hilfsmittellieferant verpflichtet gewesen wäre, das Hilfsmittel zum angegebenen Betrag (Kaufpreis) an den Versicherten abzugeben, sodass also ein aus wirtschaftlichen Gründen erforderlicher höherer Preis gar nicht verlangt werden durfte und sich die finanzielle Beteiligung des Versicherten auf die übliche Zuzahlung (§ 33 Abs 8 SGB V) beschränkte. Die Hilfsmittelerbringer standen in dieser Situation stets vor der Frage, ob sie sich im Einzelfall mit dem - von der Krankenkasse geschuldeten - Festbetrag begnügen wollten oder andernfalls Gefahr liefen, dass der von der Vorstellung eines "Abgabepreises" (Kaufpreis) ausgehende Versicherte den geforderten höheren Preis nicht akzeptieren und sich an einen anderen Lieferanten wenden würde, der möglicherweise zum Festbetrag zu liefern bereit war. Die Verwendung der Begriffe "Bruttopreis", "Mehrpreis", "Stückpreis" und "Paarpreis" war also objektiv geeignet, der Festbetragsfestsetzung den Sinn einer Preisfestsetzung zu verleihen. Dies ist für die Frage der Rechtswidrigkeit der Festbetragsfestsetzung nach § 36 SGB V maßgeblich. Die Auslegung eines Verwaltungsaktes, auch in der Form einer Allgemeinverfügung nach § 31 S 2 SGB X, richtet sich nämlich nach den für Willenserklärungen maßgebenden Auslegungsgrundsätzen(§§ 133, 157 BGB). Der objektive Sinngehalt einer Erklärung bestimmt sich nach dem Empfängerhorizont eines verständigen Dritten und nicht etwa danach, von welcher Vorstellung die Behörde ausgegangen ist (Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 31 RdNr 26; BSGE 76, 184, 186 = SozR 3-1200 § 53 Nr 8; BSGE 89, 90, 100 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3). Es war deshalb nicht entscheidend, dass die Spitzenverbände in den Überschriften ihrer Bekanntmachungen jeweils den Begriff "Festbetrag" verwandt haben und nach den einleitenden Bemerkungen mit ihren Beschlüssen ausdrücklich die Umsetzung der ihnen in § 36 SGB V aF auferlegten gesetzlichen Verpflichtungen, dh die Festsetzung von Festbeträgen, beabsichtigten. Die mehrfache Verwendung des nicht nur missverständlichen, sondern sachlich regelrecht unrichtigen Begriffes "Preis" vermittelte objektiv den Eindruck, dass die Spitzenverbände in den Allgemeinverfügungen vom 1.12.2004 über die ihnen gesetzlich übertragene Aufgabe hinaus allgemeine Abgabehöchstpreise festgelegt haben, sie also nicht nur den Umfang des Sachleistungsanspruchs der Versicherten gegenüber ihrer Krankenkassen begrenzen (§ 12 Abs 2 SGB V), sondern darüber hinaus ähnlich wie bei einer staatlichen Gebührenordnung einen Höchstpreis für alle Fälle bestimmen wollten, in denen zugelassene Leistungserbringer die erfassten Hilfsmittel an Käufer aller Art, also zB auch Privat- oder Nichtversicherte, abgeben. Daher waren diejenigen Klauseln der die Allgemeinverfügungen vom 1.12.2004 jeweils einleitenden "Allgemeinen Erläuterungen" rechtswidrig, in denen die Spitzenverbände von "Bruttopreisen", "Stückpreisen" und "Paarpreisen" gesprochen haben. Die Kläger haben nach § 131 Abs 1 S 3 SGG einen Anspruch darauf, dass die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügungen vom 1.12.2004 insoweit festgestellt wird.
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Die Verwendung des Begriffs "Mehrpreis" war nach alledem zwar auch fehlerhaft (vgl die Festbetragsfestsetzung für Einlagen vom 1.12.2004 zu Positionsnummer 08.99.99.0007, Mehrpreis für langsohlige Lederdecke: 3,22 Euro); insoweit schied die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung jedoch aus, weil die Kläger diese Klausel - offenbar irrtümlich - nicht gesondert gerügt und in ihren Feststellungsantrag nicht aufgenommen haben. An diese eingeschränkte Antragstellung war der erkennende Senat nach § 202 SGG iVm § 308 Abs 1 S 1 ZPO gebunden.
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3. Unbegründet war hingegen der Anspruch auf Aufhebung der Festbetragsfestsetzung vom 23.10.2006 für Inkontinenzhilfen, soweit dort wiederum "Bruttopreise" festgesetzt worden sind.
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Anders als in den Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 haben die Spitzenverbände in den Allgemeinverfügungen vom 23.10.2006 auf die Verwendung des Begriffs "Preis" bzw des Wortteils "…preis" durchgängig verzichtet. Stattdessen ist von "Bruttobeträgen" (statt Bruttopreis) und von Festbeträgen für ein Paar (statt Paarpreis) bzw für einzelne Einlagen (statt Stückpreis) die Rede. Der frühere "Mehrpreis" einer Einlage mit langsohliger Lederdecke wird hier als "Aufschlag" zum Festbetrag bezeichnet. Lediglich in den Allgemeinen Erläuterungen zu den Festbeträgen für Inkontinenzhilfen ist an einer Stelle noch von "Bruttopreisen" die Rede. Damit steht fest, dass die Spitzenverbände am 23.10.2006 tatsächlich nur, wie in § 36 SGB V angeordnet, Festbeträge für die vier Produktgruppen festgelegt haben und die einmalige Verwendung des fehlerhaften Begriffes "Bruttopreis" ein reines Redaktionsversehen darstellt. Für die Beteiligten war offensichtlich, dass auch hier nicht weiter von der Festsetzung eines Bruttoabgabepreises die Rede sein konnte, sondern - wie in den anderen Festsetzungen auch - nur von einem Bruttobetrag. Es ging also auch hier lediglich um die Klarstellung, dass der festgesetzte Festbetrag die gesetzliche Mehrwertsteuer bereits enthielt, es sich also nicht um einen Nettobetrag handelte, auf den zusätzlich noch Mehrwertsteuer entfiel.
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Ergänzend ist anzumerken, dass der Beklagte in den Festbetragsfestsetzungen vom 12.12.2011 durchgängig nur noch von "Beträgen" spricht und die - missverständliche - Verwendung des Begriffes "Preis" vollständig vermeidet. Außerdem ist klargestellt, dass nunmehr die Festbeträge Nettobeträge sind, die jeweilige Mehrwertsteuer also noch hinzukommt.
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4. Die Spitzenverbände der Krankenkassen waren auch berechtigt, im Rahmen der Festbetragsfestsetzung Regelungen zu treffen, welche sächlichen Leistungen und Dienstleistungen mit dem jeweiligen Festbetrag abgegolten sein sollten.
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a) Im Zuge der Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln durch die Leistungserbringer ist vielfach nicht nur die bloße Übergabe eines Hilfsmittels erforderlich, sondern es sind auch vorbereitende, begleitende und nachgehende Dienstleistungen unerlässlich, die ihrerseits mit Materialverbrauch und somit zusätzlichen Sachkosten verbunden sein können. Das betrifft bei den hier interessierenden Produktgruppen zB die Abnahme eines Fußabdrucks für die Herstellung einer Einlage, die Einweisung in die Handhabung und Pflege eines Kompressionsstrumpfes sowie eine nachträglich erforderliche Anpassung eines maßgefertigten Hilfsmittels. Bei der Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel ist daher zwangsläufig eine Regelung zu treffen, welche der erforderlichen Begleitleistungen vom Festbetrag umfasst sein und somit den Sachleistungsanspruch des Versicherten iS des § 12 Abs 2 SGB V konkretisieren und begrenzen sollen. Die Einbeziehung derartiger Begleitleistungen ist notwendiger Bestandteil einer Festbetragsfestsetzung im Hilfsmittelbereich. Zugleich wird dadurch klargestellt, welche im Einzelfall ebenfalls erforderlichen Zusatzleistungen vom Festbetrag nicht umfasst und deshalb von der Krankenkasse gesondert zu vergüten sind.
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b) Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber den Bedenken gegen die Befugnis zu solchen ergänzenden Regelungen im Rahmen der Festbetragsfestsetzung inzwischen Rechnung getragen hat. Durch § 36 Abs 1 S 2 SGB V nF ist mit Wirkung ab 1.4.2007 ausdrücklich klargestellt, dass der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bei der Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel auch "Einzelheiten der Versorgung" festlegen soll. Es handelt sich dabei nicht um eine konstitutive Ausweitung der Befugnisse, sondern nur um eine Klarstellung zu einer immer schon so bestehenden Rechtslage (BT-Drucks 16/3100, S 104; Beck in juris PraxisKommentar, SGB V, 2. Aufl 2012, § 36 RdNr 19), sodass die Neufassung des § 36 SGB V insoweit auch bei der rechtlichen Überprüfung der Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 herangezogen werden konnte.
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c) Vor diesem Hintergrund erweisen sich die folgenden Klauseln als rechtmäßig:
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bei den Festbetragsfestsetzungen für Einlagen: "Die Kosten für den Trittspurabdruck sind in dem Festbetrag enthalten und können nicht zusätzlich abgerechnet werden; dies gilt auch, wenn Verfahren wie Trittschaum oder Scan-Technik zum Einsatz kommen." … "Sofern ein Lederbezug notwendig ist, so ist dieser im Festbetrag enthalten."
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bei den Festbetragsfestsetzungen für Stomaartikel: "Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei den Produkten "geschlossener Beutel" (29.26.01) und den Stoma-Kappen/Minibeuteln (29.26.04) ein (ggf. integrierter) Filter vom Festbetrag umfasst wird. Bei den Ausstreifbeuteln sind der Verschluss und ein (ggf. integrierter) Filter vom Festbetrag umfasst. Filter, die zusätzlich benötigt werden, können weiterhin unter der Position 29.26.11.1 abgerechnet werden, sofern sie verordnet wurden. Zur Verdeutlichung wurde diese Position in der Festbetragsstruktur in "Zusatzfilter" umbenannt. Von dem Festbetrag für Urostomie-Beutel (29.26.03) sind Abflussventil/-adapter und Verschluss umfasst. Bei Beuteln mit Hautschutzring (…) wird dieser vom Festbetrag umfasst. Nur Hautschutzringe, die zusätzlich benötigt werden, können bei Verordnung weiterhin unter der Position 29.26.11.2. abgerechnet werden. Zusätzliche Beutelüberzüge aus Vlies sind nicht abrechenbar bei Beuteln mit Vlies."
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d) Die Festbetragsfestsetzungen für Inkontinenzhilfen und Stomaartikel sind nach vorstehenden Ausführungen auch nicht zu beanstanden, soweit dort niedergelegt ist, dass mit dem Festbetrag nicht nur sämtliche Kosten abgegolten sein sollen, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstehen, sondern auch "andere Dienstleistungen" bzw "andere Serviceleistungen" (so die Formulierung bei den Stomaartikeln ab 1.1.2007). Auch insoweit handelt es sich um eine notwendige Zusatzregelung zur Reichweite der Festbeträge.
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Die Klausel genügt auch dem Bestimmtheitsgebot des § 33 Abs 1 SGB X. Angesichts der Vielzahl der im Einzelfall denkbaren zusätzlichen Dienst- bzw Serviceleistungen wäre es praktisch kaum möglich gewesen, einen Katalog konkreter Leistungen dieser Art aufzustellen, die vom jeweiligen Festbetrag umfasst sein sollten. Eine solche "Positivliste" hätte zwangsläufig zur Folge gehabt, dass dort nicht ausdrücklich erwähnte Leistungen zusätzlich zu vergüten gewesen wären, obgleich dies nach Art und Umfang der Leistung im Vergleich zu den in der "Positivliste" aufgeführten Leistungen nicht gerechtfertigt wäre. Maßgeblich zur Ausfüllung der Begriffe "zusätzliche Dienstleistungen" bzw "zusätzliche Serviceleistungen" ist die branchenspezifische Üblichkeit und hilfsweise die allgemeine Verkehrsauffassung.
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5. Zu beanstanden ist allerdings die Regelung, dass bei der Abgabe von Kopieeinlagen (Positionsnummer 08.03.01) ein Gipsabdruck nicht erforderlich sei; ein Trittspurabdruck reiche für die korrekte Erstellung der Kopieeinlagen aus.
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Mit dieser Klausel haben die Spitzenverbände nicht etwa das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 2 Abs 4, § 12 SGB V) umgesetzt, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen, sondern explizit eine technisch-handwerkliche Regelung getroffen und damit gegen die Ermächtigungsgrundlage des § 36 SGB V verstoßen, die allein die Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel gestattet. Es bleibt grundsätzlich den Leistungserbringern überlassen, in welcher Weise sie ein Hilfsmittel anfertigen. Gibt es also bezüglich Herstellungsablauf und verwendetem Material mehrere Möglichkeiten zur Anfertigung eines Hilfsmittels und finden die unterschiedlich hohen Herstellungskosten Ausdruck in unterschiedlich hohen Abgabepreisen der Leistungserbringer, darf im Rahmen einer Festbetragsfestsetzung nicht geregelt werden, dass ein bestimmter Herstellungsweg dem Wirtschaftlichkeitsgebot nicht entspricht, sondern nur, dass der Festbetrag eine bestimmte Leistung umfasst (hier: Trittspurabdruck für Kopieeinlagen) und dass eine andere Leistung neben dem Festbetrag nicht abgerechnet werden kann (hier: Gipsabdruck). Der Hilfsmittelerbringer hat dann die Wahl, ob er im Einzelfall trotz höherer Gestehungskosten einen Gipsabdruck anfertigt oder sich mit einem Trittspurabdruck begnügt. Diese fachliche Frage ist der Regelungsgewalt des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen nach § 36 SGB V entzogen.
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6. Rechtmäßig ist die Allgemeinverfügung vom 1.12.2004 zu den Einlagen auch, soweit sie die Abrechenbarkeit bestimmter Leistungen von einer "gesonderten ärztlichen Begründung" abhängig machte. Damit sollte nur folgende Regelung in Ziffer 25 der Hilfsmittel-Richtlinien vom 6.2.2001 (BAnz Nr 102 vom 2.6.2001) umgesetzt werden:
"In der Verordnung ist das Hilfsmittel so eindeutig wie möglich zu bezeichnen, ferner sind alle für die individuelle Versorgung oder Therapie erforderlichen Einzelangaben zu machen. Der Kassenarzt soll deshalb unter Nennung der Diagnose und des Datums insbesondere angeben:
25.4 bei Hilfsmitteln
- Anzahl
- Bezeichnung des Hilfsmittels nach Maßgabe der Arztinformation (s. Nr. 8.2)
- Art der Herstellung (Konfektion, Maßkonfektion, Anfertigung nach Maß).
Hinweise (z.B. über Zweckbestimmung, Material, Abmessungen), die eine funktionsgerechte Anfertigung, Zurichtung oder Abänderung durch den Lieferanten gewährleisten. Ggf. sind die notwendigen Angaben der Verordnung gesondert beizufügen."Eine inhaltlich gleichlautende, lediglich dem Begriff "Kassenarzt" durch den Begriff "Vertragsarzt" ersetzende Regelung findet sich in § 7 Abs 2 der Hilfsmittel-Richtlinien vom 21.12.2011/ 15.3.2012 (BAnz AT vom 10.4.2012), die am 1.4.2012 in Kraft getreten sind. Diese Fassung liegt der insoweit ebenfalls angegriffenen Festbetragsfestsetzung für Einlagen vom 12.12.2011 zugrunde.
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Den Klägern ist zuzugestehen, dass mit der Wendung "nach ärztlicher Begründung" vom reinen Wortlaut her an eine Abweichung von den Hilfsmittel-Richtlinien gedacht werden könnte, in denen eine ärztliche "Verordnung" gefordert wird. Aber auch hier ist wiederum eine die Zusammenhänge berücksichtigende Auslegung der Regelung aus dem Empfängerhorizont eines objektiven Dritten (§§ 133, 157 BGB)vorzunehmen. Die Auslegung ergibt eindeutig, dass die Spitzenverbände sich an die Vorgaben der Hilfsmittel-Richtlinien, die nach § 91 Abs 6 SGB V für die Versicherungsträger, die Leistungserbringer und die Versicherten verbindlich sind, halten wollten und mit der Nennung des Begriffs "ärztliche Begründung" allenfalls eine Ungenauigkeit unterlaufen ist. Gemeint war nichts anderes als die Notwendigkeit, die Zusätze bzw Zusatzleistungen in einer ärztlichen Verordnung extra aufzuführen und so ihre medizinisch-technische Erforderlichkeit (§ 33 Abs 1 S 1 SGB V) zu belegen - mit der Folge, dass sie von dem Festbetrag für die verordneten Einlagen nicht erfasst und deshalb separat zu vergüten sind. In den nachfolgenden Festbetragsfestsetzungen zu den Einlagen ist deshalb auch richtigerweise die Wendung "nach gesonderter ärztlicher Verordnung" verwandt worden. Darauf hat der Beklagte zutreffend hingewiesen. Dabei kann es sich um eine von der Einlagen-Verordnung getrennte ärztliche Verordnung handeln, aber auch um die ausdrückliche Nennung dieser Zusätze bzw Zusatzleistungen in der Einlagen-Verordnung selbst oder in einer Anlage zu dieser Verordnung. Alle drei Varianten der "gesonderten ärztlichen Verordnung" sind von der Regelung der Hilfsmittel-Richtlinien umfasst. Der Einwand der Kläger, die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hätten hier eine vom SGB V bzw den Hilfsmittel-Richtlinien nicht gedeckte zusätzliche ärztliche Verordnung gefordert, trifft somit nicht zu.
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D. Da über die Revisionen der Kläger allein aus materiell-rechtlichen Gründen abschließend entschieden werden konnte, erübrigen sich Erörterungen zu den von den Klägern gerügten Verfahrensfehlern des LSG.
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E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und § 162 Abs 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 2 S 1 GKG. Dabei ist der Senat von einem Streitwert von 50 000 Euro für jede der vier Produktgruppen ausgegangen.
Wird während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so gilt der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim Sozialgericht angefochten, es sei denn, daß der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird.
(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.
(2) Eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts ist dem Gericht mitzuteilen, bei dem das Verfahren anhängig ist.
(1) Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist.
(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Vertagungsbeschlüsse, Fristbestimmungen, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen und Sachverständigen können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Die Beschwerde ist ausgeschlossen
- 1.
in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte, - 2.
gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn - a)
das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint, - b)
in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte oder - c)
das Gericht in der Sache durch Beschluss entscheidet, gegen den die Beschwerde ausgeschlossen ist,
- 3.
gegen Kostengrundentscheidungen nach § 193, - 4.
gegen Entscheidungen nach § 192 Abs. 4, wenn in der Hauptsache kein Rechtsmittel gegeben ist und der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro nicht übersteigt.
Wird während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so gilt der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim Sozialgericht angefochten, es sei denn, daß der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird.
(1) Die Krankenkassen erhalten als Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds (§ 271) zur Deckung ihrer Ausgaben eine Grundpauschale und risikoadjustierte Zu- und Abschläge zum Ausgleich der unterschiedlichen Risikostrukturen und Zuweisungen für sonstige Ausgaben (§ 270). Mit den risikoadjustierten Zuweisungen wird jährlich ein Risikostrukturausgleich durchgeführt. Durch diesen werden die finanziellen Auswirkungen von Unterschieden zwischen den Krankenkassen ausgeglichen, die sich aus der Verteilung der Versicherten auf nach Risikomerkmalen getrennte Risikogruppen gemäß Absatz 2 ergeben.
(2) Die Zuordnung der Versicherten zu Risikogruppen erfolgt anhand der Risikomerkmale Alter, Geschlecht, Morbidität, regionalen Merkmalen und danach, ob die Mitglieder Anspruch auf Krankengeld nach § 44 haben. Die Morbidität der Versicherten wird auf der Grundlage von Diagnosen, Diagnosegruppen, Indikationen, Indikationengruppen, medizinischen Leistungen oder Kombinationen dieser Merkmale unmittelbar berücksichtigt. Regionale Merkmale sind solche, die die unterschiedliche Ausgabenstruktur der Region beeinflussen können.
(3) Die Grundpauschale und die risikoadjustierten Zu- und Abschläge dienen zur Deckung der standardisierten Leistungsausgaben der Krankenkassen.
(4) Die Ermittlung der standardisierten Leistungsausgaben nach Absatz 3 orientiert sich an der Höhe der durchschnittlichen krankheitsspezifischen Leistungsausgaben der den Risikogruppen zugeordneten Versicherten. Dabei bleiben außer Betracht
- 1.
die von Dritten erstatteten Ausgaben, - 2.
Aufwendungen für satzungsgemäße Mehr- und Erprobungsleistungen sowie für Leistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.
(5) Die Bildung der Risikogruppen nach Absatz 2 und die Ermittlung der standardisierten Leistungsausgaben nach Absatz 3 erfolgt nach Kriterien, die zugleich
- 1.
Anreize zu Risikoselektion verringern und - 2.
keine Anreize zu medizinisch nicht gerechtfertigten Leistungsausweitungen setzen.
(6) Das Bundesamt für Soziale Sicherung ermittelt die Höhe der Zuweisungen und weist die entsprechenden Mittel den Krankenkassen zu. Es gibt für die Ermittlung der Höhe der Zuweisungen nach Absatz 3 jährlich bekannt
- 1.
die Höhe der standardisierten Leistungsausgaben aller am Ausgleich beteiligten Krankenkassen je Versicherten, getrennt nach Risikogruppen nach Absatz 2, und - 2.
die Höhe der risikoadjustierten Zu- und Abschläge.
(7) Das Bundesamt für Soziale Sicherung stellt im Voraus für ein Kalenderjahr die Werte nach Absatz 6 Satz 2 Nr. 1 und 2 vorläufig fest. Es legt bei der Berechnung der Höhe der monatlichen Zuweisungen die Werte nach Satz 1 und die zuletzt erhobenen Versichertenzahlen der Krankenkassen je Risikogruppe nach Absatz 2 zugrunde. Nach Ablauf des Kalenderjahres ist die Höhe der Zuweisungen für jede Krankenkasse vom Bundesamt für Soziale Sicherung aus den für dieses Jahr erstellten Geschäfts- und Rechnungsergebnissen und den für dieses Jahr erhobenen Versichertenzahlen der beteiligten Krankenkassen zu ermitteln. Die nach Satz 2 erhaltenen Zuweisungen gelten als Abschlagszahlungen. Sie sind nach der Ermittlung der endgültigen Höhe der Zuweisung für das Geschäftsjahr nach Satz 3 auszugleichen. Werden nach Abschluss der Ermittlung der Werte nach Satz 3 sachliche oder rechnerische Fehler in den Berechnungsgrundlagen festgestellt, hat das Bundesamt für Soziale Sicherung diese bei der nächsten Ermittlung der Höhe der Zuweisungen nach den dafür geltenden Vorschriften zu berücksichtigen. Klagen gegen die Höhe der Zuweisungen im Risikostrukturausgleich einschließlich der hierauf entfallenden Nebenkosten haben keine aufschiebende Wirkung.
(8) Das Bundesministerium für Gesundheit regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über
- 1.
die Ermittlung der Höhe der Grundpauschale nach Absatz 1 Satz 1, der Werte nach Absatz 6 sowie die Art, den Umfang und den Zeitpunkt der Bekanntmachung der für die Durchführung des Risikoausgleichsverfahrens erforderlichen Berechnungswerte, - 2.
die Abgrenzung und die Verfahren der Standardisierung der Leistungsausgaben nach den Absätzen 3 bis 6; dabei können für Risikogruppen, die nach dem Anspruch der Mitglieder auf Krankengeld zu bilden sind, besondere Standardisierungsverfahren und Abgrenzungen für die Berücksichtigung des Krankengeldes geregelt werden, - 2a.
die Abgrenzung und die Verfahren der Standardisierung der sonstigen Ausgaben nach § 270, die Kriterien der Zuweisung der Mittel zur Deckung dieser Ausgaben sowie das Verfahren der Verarbeitung der nach § 270 Absatz 2 zu übermittelnden Daten, - 2b.
die Abgrenzung der zu berücksichtigenden Risikogruppen nach Absatz 2 einschließlich der Altersabstände zwischen den Altersgruppen, auch abweichend von Absatz 2; hierzu gehört auch die Festlegung des Verfahrens zur Auswahl der regionalen Merkmale, - 3.
die Festlegung der Anforderungen an die Zulassung der Programme nach § 137g hinsichtlich des Verfahrens der Einschreibung der Versicherten einschließlich der Dauer der Teilnahme und des Verfahrens der Verarbeitung der für die Durchführung der Programme erforderlichen personenbezogenen Daten, - 4.
die Berechnungsverfahren sowie die Durchführung des Zahlungsverkehrs, - 5.
die Fälligkeit der Beträge und die Erhebung von Säumniszuschlägen, - 6.
das Verfahren und die Durchführung des Ausgleichs einschließlich des Ausschlusses von Risikogruppen, die anhand der Morbidität der Versicherten gebildet werden, mit den höchsten relativen Steigerungsraten, - 7.
die Umsetzung der Vorgaben nach Absatz 5 und 12, - 8.
die Vergütung des wissenschaftlichen Beirats zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs beim Bundesamt für Soziale Sicherung für die Erstellung von Gutachten nach Absatz 10, - 9.
die Prüfung der von den Krankenkassen mitzuteilenden Daten durch die mit der Prüfung nach § 274 befassten Stellen einschließlich der Folgen fehlerhafter Datenlieferungen oder nicht prüfbarer Daten sowie das Verfahren der Prüfung und der Prüfkriterien, auch abweichend von § 274.
(9) Die landwirtschaftliche Krankenkasse nimmt am Risikostrukturausgleich nicht teil.
(10) Die Wirkungen des Risikostrukturausgleichs insbesondere auf den Wettbewerb der Krankenkassen und die Manipulationsresistenz des Risikostrukturausgleichs sind regelmäßig, mindestens alle vier Jahre, durch den wissenschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs beim Bundesamt für Soziale Sicherung in einem Gutachten zu überprüfen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann den Gegenstand des Gutachtens näher bestimmen; im Jahr 2023 sind gesondert die Wirkungen der regionalen Merkmale als Risikomerkmal im Risikostrukturausgleich zu untersuchen. Die Wirkungen des Ausschlusses von Risikogruppen nach § 18 Absatz 1 Satz 4 der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung insbesondere auf die Manipulationsresistenz und Zielgenauigkeit des Risikostrukturausgleichs einschließlich der Einhaltung der Vorgaben des § 266 Absatz 5 sind zusätzlich zu dem Gutachten nach Satz 2 zweiter Halbsatz durch den wissenschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs beim Bundesamt für Soziale Sicherung im Jahr 2023 zu untersuchen. Für den Zweck des Gutachtens nach Satz 3 ist auch die Veränderung der Häufigkeit der Diagnosen nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung der Zuordnung der Versicherten zu Risikogruppen zu untersuchen.
(11) Die Krankenkassen erhalten die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds für die Ausgleichsjahre 2019 und 2020 nach Maßgabe der §§ 266 bis 270 in der bis zum 31. März 2020 geltenden Fassung. Die Anpassung der Datenmeldung nach § 7 Absatz 1 Satz 1 Nummer 7 der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung gemäß § 7 Absatz 1 Satz 3 der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung ist ab dem Ausgleichsjahr 2021 bei den Zuweisungen nach Absatz 3 zu berücksichtigen. Die Zuordnung der Versicherten zu Risikogruppen, die nach dem Anspruch der Mitglieder auf Krankengeld zu bilden sind, erfolgt für das Ausgleichsjahr 2020 danach, ob die Mitglieder Anspruch auf Krankengeld nach den §§ 44 und 45 haben.
(12) Bei den Zuweisungen nach Absatz 3 werden die finanziellen Auswirkungen der Bildung von Risikogruppen anhand von regionalen Merkmalen nach Absatz 2 durch Zu- und Abschläge im Ausgleichsjahr 2021 auf 75 Prozent begrenzt. Die Begrenzung erfolgt für alle Länder jeweils einheitlich für die Summe der Zuweisungen nach Absatz 3 für die Versicherten mit Wohnsitz in einem Land. Durch die Zu- und Abschläge werden 25 Prozent der Differenz der hypothetischen Höhe der Zuweisungen nach Absatz 3 ohne Bildung von Risikogruppen anhand von regionalen Merkmalen und der Höhe der Zuweisungen nach Absatz 3 einheitlich auf die Versicherten mit Wohnsitz in einem Land verteilt.
Tenor
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Auf die Revisionen der Kläger werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Januar 2011 und des Sozialgerichts Berlin vom 1. August 2007 sowie der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. Juli 2007 geändert.
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Die Festbetragsfestsetzung für Einlagen vom 1. Dezember 2004 in der Fassung des Beschlusses des Beklagten vom 12. Dezember 2011 wird aufgehoben, soweit es in den "Allgemeinen Erläuterungen" heißt: "Bei der Abgabe von Kopieeinlagen (08.03.01) ist ein Gipsabdruck nicht erforderlich" … "Ein Trittspurabdruck reicht für die korrekte Erstellung der Kopieeinlagen aus."
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Es wird festgestellt, dass die Festbetragsfestsetzungen vom 1. Dezember 2004 für Einlagen, Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie und Stomaartikel rechtswidrig waren, soweit es in den "Allgemeinen Erläuterungen" heißt: "Bei den Festbeträgen handelt es sich um Bruttopreise, die die gesetzliche Mehrwertsteuer in der jeweils geltenden Höhe umfassen."
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Es wird ferner festgestellt, dass die Festbetragsfestsetzung vom 1. Dezember 2004 für Einlagen rechtswidrig war, soweit es in den "Allgemeinen Erläuterungen" heißt: "Bei den Festbeträgen der Positionen 08.03.01 (Kopieeinlagen) bis 08.03.06.0 (Stoßabsorber/Fersenkissen) handelt es sich um Paarpreise. Die weiteren Festbeträge (08.03.06.1 'herausnehmbarer Verkürzungsausgleich' bis 08.99.99.0010 'Formabdruck aus eigener Werkstatt') sind als Stückpreise ausgewiesen."
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Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
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Die weitergehenden Revisionen werden zurückgewiesen.
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Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Kläger zu zwei Dritteln und die Beigeladenen zu einem Drittel. Die Kosten des Rechtsstreits in zweiter und dritter Instanz tragen die Kläger zu zwei Dritteln und der Beklagte zu einem Drittel; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
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Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 200 000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
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Am 1.12.2004 haben die Beigeladenen bzw deren Rechtsvorgänger in ihrer damaligen Funktion als Spitzenverbände der Krankenkassen bundesweite Festbeträge für Einlagen, Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie und Stomaartikel mit Wirkung ab 1.1.2005 erstmals festgesetzt (BAnz vom 10.12.2004 Nr 235a). Der Beschluss zu den Festbeträgen für Einlagen enthält ua folgende Regelungen:
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"Die Spitzenverbände der Krankenkassen bestimmen gemäß § 36 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit (i.V.m.) § 213 SGB V gemeinsam und einheitlich Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden. Die Spitzenverbände der Krankenkassen setzen auf dieser Basis die nachfolgenden Festbeträge für Einlagen fest. Die Festbeträge treten am 1. Januar 2005 in Kraft und gelten bundesweit.
Bei den Festbeträgen für Einlagen handelt es sich um Bruttopreise, die die gesetzliche Mehrwertsteuer in der jeweils geltenden Höhe enthalten. Eine ggf. notwendige Anpassung wird im Rahmen der nach § 36 i.V.m. § 35 SGB V vorgeschriebenen Überprüfung vorgenommen.
Nach neueren Erkenntnissen ist bei der Abgabe von Kopieeinlagen (08.03.01) ein Gipsabdruck nicht erforderlich. Deshalb werden die abrechenbaren Zusatzoptionen (08.99.99.0009 und 08.99.99.0010) im Festbetragsgruppensystem gestrichen. Ein Trittspurabdruck reicht für die korrekte Erstellung von Kopieeinlagen aus. Die Kosten für den Trittspurabdruck sind in dem Festbetrag enthalten.
Mit dem Festbetrag sind sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstehen (z.B. die Materialkosten, der Trittspurabdruck, die Einweisung in die Handhabung der Produkte, ggf. notwendige Nacharbeiten und andere Dienstleistungen), abgegolten. Die Einlagen haben mindestens den Qualitätsstandards des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 128 SGB V i.V.m. § 139 SGB V zu entsprechen.
Bei den Festbeträgen der Positionen 08.03.01 (Kopieeinlagen) bis 08.03.06.0 (Stoßabsorber/Fersenkissen) handelt es sich um Paarpreise. Die weiteren Festbeträge (08.03.06.1 'herausnehmbarer Verkürzungsausgleich' bis 08.99.99.0010 'Formabdruck aus eigener Werkstatt') sind als Stückpreise ausgewiesen."
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Unter der Positionsnummer 08.03.01 "Kopieeinlagen (¾-lang)" hieß es:
"Bei Ledereinlagen mit Längsgewölbestütze (08.03.01.0) ist eine ¾-lange Lederdecke im Festbetrag enthalten. Die Zusätze 09.99.99.001 bis 0005 und 0007 bis 0008 sind nach gesonderter ärztlicher Begründung zusätzlich abrechenbar.
Bei Kopieeinlagen aus thermoplastisch verformbaren Kunststoffen (08.03.01.1) sind die Zusätze 08.99.99.0001 bis 0008 nach gesonderter ärztlicher Begründung zusätzlich abrechenbar.
Bei Leichtmetalleinlagen (08.03.01.2) sind die Zusätze 08.99.99.0001 bis 0008 nach gesonderter ärztlicher Begründung zusätzlich abrechenbar.
Bei Edelstahleinlagen (08.03.01.3) sind die Zusätze 08.99.99.0001 bis 0008 nach gesonderter ärztlicher Begründung zusätzlich abrechenbar."
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Zur Positionsnummer 08.99.99.0007 ist ein Betrag von 3,22 Euro als "Mehrpreis" für langsohlige Lederdecken ausgewiesen.
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Ähnliche Regelungen finden sich zu den Produktgruppen Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie sowie Stomaartikel. Teilweise stimmen diese Regelungen sogar wörtlich überein.
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Der Bundesinnungsverband für Orthopädietechnik - Kläger zu 1) - sowie die Innungen für Orthopädietechnik aus den fünf Regierungsbezirken des Landes Nordrhein-Westfalen - Kläger zu 2) bis 6) - halten die Festsetzungsbeschlüsse für rechtswidrig und machen die Verletzung eigener Rechte sowie der Rechte ihrer Mitglieder (Sanitätshäuser und andere Leistungserbringer aus dem Bereich der Orthopädietechnik) geltend. Die Spitzenverbände hätten nicht lediglich Festbeträge, also Obergrenzen der Sachleistungsverpflichtung der Krankenkassen im Verhältnis zu ihren Versicherten, sondern Abgabepreise festgesetzt und darüber hinaus zahlreiche Abrechnungsregelungen getroffen, die aber einer vertraglichen Vereinbarung mit den Leistungserbringern bzw deren Verbänden nach § 127 SGB V in seiner bis zum 31.3.2007 geltenden Fassung (aF) bedurft hätten. Damit sei die Festsetzungsermächtigung nach § 36 SGB V überschritten und in die Preisbildungsfreiheit der Leistungserbringer(Art 12 Abs 1 GG) sowie in die Vertragsabschlusskompetenz und Berufsausübungsfreiheit der Innungen und Innungsverbände (§ 127 SGB V aF, Art 12 Abs 1 GG)eingegriffen worden.
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Während des erstinstanzlichen Klageverfahrens (S 86 KR 64/05, später S 112 KR 244/07 SG Berlin) haben die Spitzenverbände durch Beschlüsse vom 11.5.2006 mit Wirkung ab 1.7.2006 neue Festbeträge für Einlagen und Hilfsmittel zur Kompressionstherapie festgesetzt (BAnz vom 20.6.2006 Nr 112 S 4524-4526, berichtigt BAnz vom 4.7.2006 Nr 122, S 4815). Das von den Klägern daraufhin eingeleitete Klageverfahren (S 28 KR 1901/06 SG Berlin) ruht.
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Neue Festbeträge für alle vier Hilfsmittelgruppen sind durch Beschlüsse der Spitzenverbände vom 23.10.2006 mit Wirkung ab 1.1.2007 festgesetzt worden (BAnz vom 17.11.2006 Nr 216a). Diese Festbetragsfestsetzungen vom 23.10.2006 orientieren sich weitestgehend an den Vorbildern vom 1.12.2004; sie sind von den Klägern ebenfalls angefochten worden (S 81 KR 3481/06 SG Berlin). Hinsichtlich der Inkontinenzhilfen und Stomaartikel sind die Festbetragsfestsetzungen vom 23.10.2006 bis heute in Kraft.
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Durch Beschluss vom 17.9.2007 haben die Spitzenverbände mit Wirkung ab 1.1.2008 neue Festbeträge für Hilfsmittel zur Kompressionstherapie festgesetzt (BAnz vom 16.11.2007 Nr 214, S 8032). Mit weiterem Beschluss vom 3.12.2007 folgten dann zum 1.3.2008 neue Festbeträge für Einlagen (BAnz vom 12.2.2008 Nr 23, S 452-458). Diese Festsetzungen sind gleichfalls von den Klägern angefochten worden (S 73 KR 3215/07 SG Berlin). Alle Klagen beruhen auf derselben Argumentation der Kläger.
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Ab 1.7.2008 ist die Zuständigkeit für die Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel nach § 36 SGB V auf den neu gebildeten Spitzenverband Bund der Krankenkassen übergegangen. Er hat zu diesem Zeitpunkt als Funktionsnachfolger die Stellung als Beklagter eingenommen; die bis dahin beklagten Spitzenverbände der Krankenkassen sind zu Beigeladenen geworden (Beschluss des LSG vom 23.7.2010). Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat erstmals durch Beschlüsse vom 12.12.2011 mit Wirkung ab 1.3.2012 neue Festbeträge für Einlagen und Hilfsmittel zur Kompressionstherapie festgesetzt (BAnz vom 1.2.2012 Nr 18, S 379-382). Diese Beschlüsse haben die Kläger nicht gesondert angefochten; sie sind auch derzeit noch gültig.
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Das SG hat die Klagen gegen die vier Beschlüsse vom 1.12.2004 als unzulässig abgewiesen (Urteil vom 1.8.2007 - S 112 KR 244/07), weil den Klägern die Anfechtungsbefugnis fehle. Die Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel in Form von Allgemeinverfügungen verletze nicht die Rechte der Leistungserbringer und ihrer Verbände. Die Spitzenverbände hätten bei sachgerechter Auslegung der Beschlüsse keine Abgabepreise geregelt und auch keine Vertragsbedingungen festgelegt. Die nachfolgenden Festsetzungen vom 11.5.2006 und 23.10.2006 seien nicht gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden, weil die ursprünglichen Festsetzungen vom 1.12.2004 weder geändert noch ersetzt worden seien. Daher sei über diese Festsetzungen nicht zu entscheiden gewesen.
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Eine andere Kammer des SG hatte am Tag zuvor bereits die Klagen gegen die vier Beschlüsse vom 23.10.2006 als unzulässig abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 31.7.2007 - S 81 KR 3481/06), allerdings mit einer anderen Begründung. Diese Kammer war nämlich der Auffassung, dass die Festsetzungen vom 23.10.2006 schon mit ihrer Bekanntmachung von Gesetzes wegen (§ 96 Abs 1 SGG) als im Ausgangsverfahren S 112 KR 244/07 angefochten gelten und daher wegen anderweitiger Rechtshängigkeit nicht mit einer separaten Klage nochmals hätten angefochten werden können.
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Die Kläger haben beide Entscheidungen des SG mit der Berufung angegriffen. Das LSG hat die Berufungsverfahren L 9 KR 530/07 (zum Urteil vom 1.8.2007) und L 9 KR 534/07 (zum Gerichtsbescheid vom 31.7.2007) nach § 153 Abs 1 iVm § 113 Abs 1 SGG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden(Beschluss vom 19.1.2011) und sodann die Berufungen im Wesentlichen zurückgewiesen (Urteil vom 19.1.2011). Die erstinstanzlichen Entscheidungen sind lediglich insoweit geändert worden, als das LSG nunmehr festgestellt hat, dass die Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 rechtswidrig waren, soweit sie bezüglich der Produktgruppe der Hilfsmittel zur Kompressionstherapie folgende Regelung enthielten: "Die Körpermaße sind auf der Basis des vorgenannten Maßschemas vollständig bei der Abrechnung anzugeben."
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Das LSG hat die Klagen gegen die Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 als Fortsetzungsfeststellungsklagen (§ 131 Abs 1 S 3 SGG) betrachtet, soweit die Festbeträge abgeschlossene Zeiträume aus der Vergangenheit betreffen, und als reine Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 SGG)angesehen, soweit sie im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (19.1.2011) noch aktuell waren, was auf die Festsetzungen vom 23.10.2006 für Inkontinenzhilfen und Stomaartikel bis heute zutrifft. Die Festsetzungen vom 11.5.2006, 17.9.2007 und 3.12.2007 waren nicht Gegenstand der Berufungsentscheidung, nachdem die Kläger mit Blick auf die von den Kammern des SG unterschiedlich beantwortete Frage der Einbeziehung späterer Festsetzungen in die laufenden Klageverfahren nach § 96 SGG auf Anregung des LSG übereinstimmend erklärt hatten, sie teilten die Ansicht, dass eine Einbeziehung hier ausscheide; weil aber das gegenteilige Ergebnis nicht auszuschließen sei, machten sie von ihrer Dispositionsbefugnis Gebrauch und beschränkten den Streitstoff ausdrücklich auf die Festsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006, zumal die Festsetzungen vom 11.5.2006 im Verfahren S 28 KR 1901/06 und die Festsetzungen vom 17.9.2007 und 3.12.2007 im Verfahren S 73 KR 3215/07 gesondert angefochten worden seien. Die ebenfalls streitige Frage, ob schon die Festsetzung vom 23.10.2006 über § 96 SGG Gegenstand des Ausgangsverfahrens zur ersten Festsetzung vom 1.12.2004 geworden war, hatte sich durch die Verbindung beider Berufungsverfahren erledigt.
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Das LSG hat die Klagebefugnis der Kläger und deren Rechtsschutzinteresse an den Fortsetzungsfeststellungsklagen bejaht, die Klagen in der Sache aber als im Wesentlichen unbegründet erachtet. Es seien entsprechend dem gesetzlichen Auftrag (§ 36 SGB V)nur Festbeträge für die vier Hilfsmittelgruppen, jedoch keine Abgabepreise festgesetzt worden. Die vereinzelt verwendeten Begriffe Bruttopreis, Paarpreis und Stückpreis dienten lediglich der Erläuterung, wie die festgesetzten Festbeträge zu verstehen seien, nämlich als die gesetzliche Mehrwertsteuer in ihrer jeweils geltenden Höhe umfassend, und worauf sie sich bezögen, nämlich auf Einzelstücke oder Paare (wie zB bei den Einlagen und Kompressionsstrümpfen). Die Spitzenverbände der Krankenkassen seien auch befugt gewesen, im Rahmen der Festbetragsfestsetzung Regelungen zu treffen, welche sächlichen Leistungen und persönlichen Dienstleistungen mit dem Festbetrag jeweils abgegolten sein sollten. Es verstoße auch nicht gegen geltendes Recht, dass in den Allgemeinverfügungen zu den Einlagen angeordnet worden sei, der Festbetrag für Kopieeinlagen umfasse den Trittspurabdruck; ein Gipsabdruck sei nicht erforderlich, sodass die bis dahin abrechenbaren Zusatzoptionen (08.99.99.0009 und 08.99.99.0010) mit Wirkung ab 1.1.2005 im Festbetragsgruppensystem gestrichen seien. Hierbei gehe es lediglich um eine Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 2 Abs 4, § 12 SGB V), die den Versicherten vor Augen führe, dass sie die Mehrkosten eines von ihnen gewünschten Gipsabdrucks künftig selbst zu tragen hätten (§ 33 Abs 1 S 6 SGB V). Die Spitzenverbände seien auch befugt gewesen, die Abrechenbarkeit bestimmter Leistungen von einer gesonderten ärztlichen Verordnung abhängig zu machen, weil es dabei lediglich um die Umsetzung einer schon in den Hilfsmittel-Richtlinien enthaltenen allgemeinen Regelung gegangen sei. Von der Ermächtigungsgrundlage des § 36 SGB V nicht gedeckt sei lediglich die Anordnung, dass die Abrechenbarkeit maßgefertigter Hilfsmittel zur Kompressionstherapie von der Angabe der Körpermaße des Versicherten auf der Grundlage eines Maßschemas oder einer Maßtabelle abhängig sei.
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Mit den vom erkennenden Senat wegen eines Verfahrensfehlers und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revisionen rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§§ 36, 127 SGB V aF, Art 12 Abs 1 GG) sowie einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG). Sie wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen und beantragen,
die Urteile des LSG Berlin-Brandenburg vom 19.1.2011 und des SG Berlin vom 1.8.2007 sowie den Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 31.7.2007 zu ändern und
1) hinsichtlich der Festsetzung von Festbeträgen für Einlagen
a) den Beschluss vom 1.12.2004 in der Fassung des Beschlusses des Beklagten vom 12.12.2011 aufzuheben, soweit folgende Regelungen getroffen worden sind:
aa) "Bei der Abgabe von Kopieeinlagen (08.03.01) ist ein Gipsabdruck nicht erforderlich. Ein Trittspurabdruck reicht für die korrekte Erstellung der Kopieeinlagen aus. Die Kosten für den Trittspurabdruck sind in dem Festbetrag enthalten und können nicht zusätzlich abgerechnet werden; dies gilt auch, wenn Verfahren wie Trittschaum oder Scan-Technik zum Einsatz kommen."
bb) … soweit Zusätze (08.99.99 ff) jeweils nur nach gesonderter ärztlicher Verordnung für abrechenbar erklärt werden.
cc) "Sofern ein Lederbezug notwendig ist, so ist dieser im Festbetrag enthalten."
b) festzustellen, dass die Festbetragsfestsetzung vom 1.12.2004 für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis zum 30.6.2006 rechtswidrig war, soweit Bruttopreise, die die gesetzliche Mehrwertsteuer in der jeweils geltenden Höhe umfassen, Paarpreise oder Stückpreise festgesetzt worden sind und soweit die Abrechenbarkeit von Hilfsmitteln von einer besonderen ärztlichen Begründung abhängig gemacht worden ist.
2) hinsichtlich der Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel zur Kompressionstherapie festzustellen, dass die Festbetragsfestsetzung vom 1.12.2004 für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis zum 30.6.2006 rechtswidrig war, soweit Bruttopreise festgesetzt worden sind, die die gesetzliche Mehrwertsteuer in der jeweils geltenden Höhe enthalten.
3) hinsichtlich der Festsetzung von Festbeträgen für Inkontinenzhilfen
a) den Beschluss vom 1.12.2004 in der Fassung des Beschlusses vom 23.10.2006 aufzuheben, soweit Bruttopreise festgesetzt worden sind, die die gesetzliche Mehrwertsteuer in der jeweils geltenden Höhe enthalten;
b) festzustellen, dass die Festbetragsfestsetzung vom 1.12.2004 für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis zum 31.12.2006 insoweit rechtswidrig war, als mit dem Festbetrag nicht nur sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstehen, abgegolten sein sollten, sondern auch "andere Dienstleistungen".
4) hinsichtlich der Festsetzung von Festbeträgen für Stomaartikel
a) den Beschluss vom 1.12.2004 in der Fassung des Beschlusses vom 23.10.2006 aufzuheben,
aa) soweit von dem Festbetrag nicht nur sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstehen, umfasst werden, sondern auch "andere Serviceleistungen";
bb) soweit geregelt ist: "Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei den Produkten "geschlossener Beutel" (29.26.01) und den Stoma-Kappen/Minibeuteln (29.26.04) ein (ggf. integrierter) Filter vom Festbetrag umfasst wird. Bei den Ausstreifbeuteln sind der Verschluss und ein (ggf. integrierter) Filter vom Festbetrag umfasst. Filter, die zusätzlich benötigt werden, können weiterhin unter der Position 29.26.11.1 abgerechnet werden, sofern sie verordnet wurden. Zur Verdeutlichung wurde diese Position in der Festbetragsstruktur in "Zusatzfilter" umbenannt. Von dem Festbetrag für Urostomie-Beutel (29.26.03) sind Abflussventil/-adapter und Verschluss umfasst. Bei Beuteln mit Hautschutzring (…) wird dieser vom Festbetrag umfasst. Nur Hautschutzringe, die zusätzlich benötigt werden, können bei Verordnung weiterhin unter der Position 29.26.11.2. abgerechnet werden. Zusätzliche Beutelüberzüge aus Vlies sind nicht abrechenbar bei Beuteln mit Vlies."
b) festzustellen, dass die Festbetragsfestsetzung vom 1.12.2004 für den Zeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2006 insoweit rechtswidrig war,
aa) als Bruttopreise festgesetzt worden sind, die die gesetzliche Mehrwertsteuer in der jeweils geltenden Höhe enthalten sollten;
bb) als mit dem Festbetrag nicht nur sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstehen, abgegolten sein sollten, sondern auch "andere Dienstleistungen".
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Die Beklagte verteidigt das Urteil des LSG und beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
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Die Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
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Die Revisionen der Kläger sind zulässig und zum Teil begründet, überwiegend jedoch unbegründet. Das LSG hat die Berufungen gegen die beiden klageabweisenden Entscheidungen des SG nur mit den aus dem Urteilstenor ersichtlichen geringfügigen Einschränkungen zu den Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 bezüglich der Hilfsmittel zur Kompressionstherapie zurückgewiesen. Soweit das LSG diese Festsetzungen hinsichtlich der Anordnung "Die Körpermaße sind auf der Basis der vorgenannten Maßschemas vollständig bei der Abrechnung anzugeben" aufgehoben (Festsetzungs-Beschluss vom 23.10.2006) bzw dessen Rechtswidrigkeit festgestellt hat (Festsetzungs-Beschluss vom 1.12.2004), ist das Berufungsurteil rechtskräftig geworden, weil weder der Beklagte noch die Beigeladenen dagegen Revision eingelegt haben. Die allein von den Klägern eingelegten Revisionen sind jedoch in weiterem Umfang als vom LSG angenommen begründet, weil die Festbetragsfestsetzungen einige weitere rechtswidrige Passagen aufweisen.
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A. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind sämtliche Beschlüsse der ehemaligen Spitzenverbände der Krankenkassen über die Festsetzung von Festbeträgen für die Produktgruppen Einlagen, Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie und Stomaartikel für die Zeit ab 1.1.2005, und zwar unabhängig davon, ob sie sich zwischenzeitlich durch Neufestsetzungen und Zeitablauf erledigt haben oder - wie die Beschlüsse vom 23.10.2006 zu den Festbeträgen für Inkontinenzhilfen und Stomaartikel - bis heute in Kraft sind. Ferner sind Streitgegenstand des Revisionsverfahrens die Beschlüsse des Beklagten vom 12.12.2011 über die Neufestsetzung von Festbeträgen für Einlagen und Hilfsmittel zur Kompressionstherapie, die seit dem 1.3.2012 in Kraft und bis heute gültig sind. Es geht damit um insgesamt 14 Festbetragsfestsetzungen, und zwar
- um 5 Festbetragsfestsetzungen für Einlagen:
(1) Beschluss vom 1.12.2004, Gültigkeitsdauer 1.1.2005 bis 30.6.2006,
(2) Beschluss vom 11.5.2006, Gültigkeitsdauer 1.7.2006 bis 31.12.2006,
(3) Beschluss vom 23.10.2006, Gültigkeitsdauer 1.1.2007 bis 29.2.2008,
(4) Beschluss vom 3.12.2007, Gültigkeitsdauer 1.3.2008 bis 29.2.2012,
(5) Beschluss vom 12.12.2011, gültig ab 1.3.2012;
- um 2 Festbetragsfestsetzungen für Inkontinenzhilfen:
(1) Beschluss vom 1.12.2004, Gültigkeitsdauer 1.1.2005 bis 31.12.2006,
(2) Beschluss vom 23.10.2006, gültig ab 1.1.2007;
- um 5 Festbetragsfestsetzungen für Hilfsmittel zur Kompressionstherapie:
(1) Beschluss vom 1.12.2004, Gültigkeitsdauer 1.1.2005 bis 30.6.2006,
(2) Beschluss vom 11.5.2006, Gültigkeitsdauer 1.7.2006 bis 31.12.2006,
(3) Beschluss vom 23.10.2006, Gültigkeitsdauer 1.1.2007 bis 31.12.2007,
(4) Beschluss vom 17.9.2007, Gültigkeitsdauer 1.1.2008 bis 29.2.2012,
(5) Beschluss vom 12.12.2011, gültig ab 1.3.2012;
- um 2 Festbetragsfestsetzungen für Stomaartikel:
(1) Beschluss vom 1.12.2004, Gültigkeitsdauer 1.1.2005 bis 31.12.2006,
(2) Beschluss vom 23.10.2006, gültig ab 1.1.2007.
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1. Sämtliche Beschlüsse der ehemaligen Spitzenverbände der Krankenkassen sowie die beiden Beschlüsse des Beklagten zu den Festbetragsfestsetzungen für die vier Hilfsmittelgruppen (§ 36 SGB V) sind als Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen (§ 31 S 2 SGB X) erlassen (vgl BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2; BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 8; BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 15) und im Bundesanzeiger bekannt gemacht (§ 37 Abs 3 S 2 und Abs 4 SGB X) worden. Die Frage der Einbeziehung späterer Neufestsetzungen in das Klageverfahren über die Anfechtung der vier ursprünglichen Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 richtet sich damit nach § 96 SGG, der grundsätzlich auch für ändernde und ersetzende Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen gilt(BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 18); nichts anderes gilt für die Einbeziehung erst während des Berufungsverfahrens beschlossener Neufestsetzungen in den Rechtsstreit (§ 153 Abs 1 iVm § 96 SGG).
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2. Die Anwendbarkeit des § 96 Abs 1 SGG auf die hier betroffenen Allgemeinverfügungen beruht auf deren spezieller Ausgestaltung, und zwar im Hinblick auf ihre Wirkungsdauer. Nach § 36 Abs 2 S 1 SGB V setzt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (bis 30.6.2008: die Spitzenverbände der Krankenkassen) für die nach § 36 Abs 1 S 1 SGB V bestimmten Hilfsmittel - bisher sind dies Einlagen, Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie, Stomaartikel sowie Seh- und Hörhilfen - einheitliche Festbeträge fest. Gemäß § 36 Abs 3 iVm § 35 Abs 5 S 3 SGB V sind diese Festbeträge mindestens einmal im Jahr zu überprüfen und in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage anzupassen. Dieser gesetzliche Auftrag kann in der Weise erfüllt werden, dass der Festbetrag für ein Hilfsmittel von vornherein nur für eine bestimmte Zeit - zB ein Jahr - festgesetzt wird und nach Fristablauf je nach dem Ergebnis der Überprüfung entweder ein neuer, der geänderten Marktlage angepasster Festbetrag festgesetzt oder die vorhandene Festsetzung um einen weiteren Zeitraum - zB wiederum ein Jahr - verlängert wird. In diesen Fällen ist eine Festsetzung von vornherein befristet, sodass eine sich zeitlich anschließende Festsetzung von § 96 Abs 1 SGG nicht erfasst werden kann; denn ein befristeter Verwaltungsakt wird durch einen sich zeitlich anschließenden Verwaltungsakt weder geändert noch ersetzt, wie es aber für die Einbeziehung des neuen Verwaltungsakts in das Klageverfahren zum vorhergehenden Verwaltungsakt erforderlich ist. Der gesetzliche Auftrag kann aber auch durch eine unbefristete Festsetzung eines Festbetrages erfüllt werden. Deren Wirksamkeit wird im Zuge der Neufestsetzung des Festbetrages nachträglich auf den Tag vor Inkrafttreten der neuen Festsetzung begrenzt. Mit der neuen Allgemeinverfügung wird dann stets die zeitlich vorhergehende Allgemeinverfügung für die Zeit ab Inkrafttreten der neuen Festsetzung aufgehoben. Diesen Weg haben die Beigeladenen und ab 1.7.2008 der Beklagte in allen bisherigen Festbetragsfestsetzungen gewählt. Die Festsetzung unbefristeter Festbeträge führt aber dazu, dass Verwaltungsakte mit unbegrenzter Dauerwirkung vorliegen, die durch die nachfolgenden Verwaltungsakte jeweils für die Zukunft, nämlich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Festsetzung, aufgehoben werden. Eine solche Vorgehensweise führt zur Änderung des angefochtenen vorhergehenden Verwaltungsakts gemäß § 96 Abs 1 SGG und damit zur Einbeziehung in das bereits anhängige Klageverfahren zur begehrten Aufhebung der jeweils vorhergehenden Festbetragsfestsetzung.
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Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - nicht die festgesetzten Geldbeträge selbst umstritten sind, sondern ergänzende Bestimmungen der Allgemeinverfügungen, die aus Sicht der Kläger die angeblichen Festbeträge in Wahrheit zu Abgabepreisen machen und darüber hinaus Abrechnungsregelungen enthalten, die der vertraglichen Vereinbarung nach § 127 SGB V aF vorbehalten waren.
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a) Die Festsetzung jeweils unbefristeter Festbeträge führt dazu, dass bei der Aufhebung einer als rechtswidrig erkannten späteren Allgemeinverfügung notwendigerweise die vorhergehende wieder wirksam wird, weil die aufhebende Regelung entfallen ist und deshalb die vorhergehende Festsetzung unbefristet weitergilt. Wird dann auch diese vorhergehende Allgemeinverfügung aufgehoben, tritt wiederum deren Vorgängerregelung in Kraft. Wegen dieser Rechtswirkungen muss die gesamte Kette von unbefristeten Allgemeinverfügungen in das zur Anfechtung der ersten Festbetragsfestsetzung eingeleitete Klageverfahren nach § 96 Abs 1 SGG einbezogen werden(so auch der 1. Senat des BSG zu aufeinanderfolgenden unbefristeten Festbetragsfestsetzungen nach § 35 SGB V für Arzneimittel, vgl BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 11 und BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 16 - 18).
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b) Die vom LSG gegen die Anwendbarkeit des § 96 SGG ins Feld geführte Befürchtung der Unübersichtlichkeit des Streitstoffs bei einer Vielzahl von einzubeziehenden Verwaltungsakten und dem daraus resultierenden Widerspruch zur Prozessökonomie teilt der erkennende Senat nicht. Da eine spätere unbefristete Festbetragsfestsetzung immer zur Änderung der vorhergehenden unbefristeten Festsetzung führt, ist § 96 Abs 1 SGG unabhängig davon einschlägig, ob im Einzelfall eine Detailregelung zusätzlich geändert wird. Der Gefahr der Unübersichtlichkeit des Streitstoffs kann insbesondere dadurch begegnet werden, dass über eine Klage zügig entschieden wird, sodass sich die Frage der Einbeziehung einer nachfolgenden Festbetragsfestsetzung nach § 96 Abs 1 SGG möglichst gar nicht oder eventuell nur einmal, aber jedenfalls nicht - wie hier - gleich mehrmals stellt.
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c) Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass sowohl die Kläger als auch das SG und das LSG zur Unübersichtlichkeit des Streitstoffs dadurch beigetragen haben, dass die Festbetragsfestsetzungen gleich für vier Produktgruppen mit nur einer Klage, also nicht getrennt mit vier Klagen, angefochten worden sind und die Gerichte gar nicht die - sich ohne Weiteres anbietende - Möglichkeit der Verfahrenstrennung entsprechend den vier Produktgruppen (§ 202 SGG iVm § 145 Abs 1 ZPO) in Erwägung gezogen haben. So hätte durchaus berücksichtigt werden können, dass die Festbetragsfestsetzungen für die vier Produktgruppen nicht in einer einheitlichen Regelung zusammengefasst, sondern in vier separaten Allgemeinverfügungen getroffen worden sind. Daneben gab es am 1.12.2004, 23.10.2006 und 12.12.2011 noch Festbetragsfestsetzungen für Hörhilfen (BAnz vom 10.12.2004 Nr 235a, vom 17.11.2006 Nr 216a und vom 1.2.2012 Nr 18 S 382) sowie Festbetragsfestsetzungen für Sehhilfen am 1.12.2004, 23.10.2006 und 3.12.2007 (BAnz vom 10.12.2004 Nr 235a, vom 17.11.2006 Nr 216a und vom 12.2.2008 Nr 23 S 454). Die Festbetragsfestsetzungen für Hör- und Sehhilfen sind zu Recht nicht angefochten worden, weil diese Hilfsmittel nicht zum Leistungsbereich der Orthopädietechnik gehören, den die Kläger repräsentieren. Sämtliche jeweils am gleichen Tag erfolgten Festbetragsfestsetzungen für die diversen Produktgruppen sind stets in separaten Allgemeinverfügungen getroffen, aber dann in einer gemeinsamen Bekanntmachung im Bundesanzeiger (§ 36 Abs 3 iVm § 35 Abs 7 S 1 SGB V) veröffentlicht worden. Im Interesse der Übersichtlichkeit des Streitstoffs hätte es sich angeboten, spätestens im Berufungsverfahren eine Verfahrenstrennung entsprechend den vier betroffenen Produktgruppen vorzunehmen. Der Beklagte mag überlegen, ob künftig die einzelnen Festbetragsbeschlüsse nicht nur in getrennten Allgemeinverfügungen erlassen, sondern auch getrennt bekannt gemacht werden, um die Übersichtlichkeit der Materie zu fördern.
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3. Wegen der von Gesetzes wegen über § 96 Abs 1 SGG bewirkten Einbeziehung aller bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG (19.1.2011) erlassenen Festbetragsfestsetzungen für Einlagen, Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel zur Kompressionstherapie und Stomaartikel in das Berufungsverfahren war es prozessual rechtswidrig, dass das LSG nur über die Festsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 entschieden hat, nicht aber auch über die weiteren Festbetragsfestsetzungen vom 11.5.2006, 17.9.2007 und 3.12.2007, die nach § 96 Abs 1 SGG ebenfalls Gegenstand des Verfahrens geworden waren. Der Unsicherheit der Beteiligten über die Anwendbarkeit des § 96 SGG sollte zwar dadurch begegnet werden, dass die Kläger "im Rahmen ihrer allgemeinen Dispositionsbefugnis" die Aufhebungsanträge und Feststellungsbegehren ausdrücklich auf die Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 beschränkt haben. Ein solches Vorgehen war jedoch prozessual unzulässig, weil wegen der speziellen Art der inhaltlichen und formalen Verknüpfung der aufeinander folgenden Festbetragsfestsetzungen nur eine Gesamtbetrachtung der jeweiligen Kette von Allgemeinverfügungen möglich war, einzelne Glieder aus der Kette also nicht herausgenommen werden durften. Die fehlende Entscheidung des LSG über die Rechtmäßigkeit der Festbetragsfestsetzungen vom 11.5.2006, 17.9.2007 und 3.12.2007 ist revisionsrechtlich jedoch unschädlich, weil diese Festsetzungen abgelaufene Zeiträume betreffen und durch spätere Festsetzungen ersetzt worden sind. Über die deshalb allein noch denkbare Frage der Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Allgemeinverfügungen war im Revisionsverfahren nicht zu entscheiden, weil die Kläger das Feststellungsbegehren jeweils auf die Zeit der Geltung der vier ursprünglichen Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 beschränkt haben, über die auch das LSG befunden hat.
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Es bleibt darauf hinzuweisen, dass die Allgemeinverfügungen vom 11.5.2006, 17.9.2007 und 3.12.2007 durch separate Klagen in den Verfahren S 28 KR 1901/06 und S 73 KR 3215/07 beim SG Berlin angefochten worden sind. Diesen Klagen steht wegen der Einbeziehung der Allgemeinverfügungen in den vorliegenden Rechtsstreit nach § 96 SGG von Anfang an der zur Unzulässigkeit der Klage führende Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit(§ 202 SGG iVm § 17 Abs 1 S 2 GVG) entgegen. Über diese Klagen hat unverändert das SG Berlin zu befinden. Nicht zuständig ist das LSG Berlin-Brandenburg, auf das die erstinstanzliche Zuständigkeit für Klagen gegen die Festsetzung von Festbeträgen gemäß § 29 Abs 4 SGG idF des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008 (SGG ArbGGÄndG, BGBl I 444) mit Wirkung ab 1.4.2008 übergegangen ist. Dieser Zuständigkeitswechsel erstreckt sich nach § 98 SGG iVm § 17 Abs 1 S 1 GVG indes nicht auf die schon vor dem 1.4.2008 erhobenen und damit rechtshängig (§ 94 SGG) gewordenen Klagen (vgl Keller in Meyer-Ladwig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 29 RdNr 4).
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4. In das vorliegende Verfahren einbezogen sind ausnahmsweise auch die erst während des laufenden Revisionsverfahrens ergangenen Festbetragsfestsetzungen vom 12.12.2011 für Einlagen und Hilfsmittel zur Kompressionstherapie (BAnz vom 1.2.2012 Nr 18, S 379-381).
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a) Die Regelung des § 96 SGG wird für ändernde und ersetzende Verwaltungsakte, die erst während des Revisionsverfahrens erlassen werden, durch § 171 Abs 2 SGG modifiziert: "Wird während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so gilt der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim SG angefochten, es sei denn, dass der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird." Diese Vorschrift gilt in entsprechender Anwendung auch für Verwaltungsakte, die mit einer unmittelbar beim LSG anzubringenden Klage angefochten werden müssen. In solchen Fällen gilt ein während des Revisionsverfahrens erlassener ändernder oder ersetzender Verwaltungsakt als mit der Klage beim erstinstanzlich zuständigen LSG angefochten. Für Klagen gegen die Festsetzung von Festbeträgen, die ab 1.4.2008 erhoben werden, ist nach § 29 Abs 4 Nr 3 SGG das LSG Berlin-Brandenburg erstinstanzlich zuständig, sodass gemäß § 171 Abs 2 SGG in analoger Anwendung die Allgemeinverfügung über die Neufestsetzung eines Festbetrages, die während eines laufenden Revisionsverfahrens über die vorangegangene Festsetzung und nach dem 31.3.2008 erlassen wird, grundsätzlich als mit der Klage beim LSG Berlin-Brandenburg angefochten gilt (so bereits BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 19).
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b) Von diesem Regelfall gibt es jedoch mehrere Ausnahmen: Der ändernde oder ersetzende Verwaltungsakt wird unmittelbar Gegenstand des Revisionsverfahrens, wenn der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt wird (§ 171 Abs 2 letzter Halbs, 1. Alt SGG). Der Kläger ist dann nicht mehr beschwert und muss die Klage oder die Revision zurücknehmen oder die Hauptsache für erledigt erklären (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 171 RdNr 4). Die zunächst eingetretene Rechtshängigkeit einer Anfechtungsklage gegen den ändernden oder ersetzenden Verwaltungsakt beim SG/LSG wird wieder beseitigt, wenn dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird (§ 171 Abs 2 letzter Halbs, 2. Alt SGG); der Kläger kann diesen Effekt nur dadurch vermeiden, dass er den neuen Verwaltungsakt vor dem SG/LSG separat anficht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 171 RdNr 4). Ein neuer Verwaltungsakt gilt schließlich auch dann nicht als durch Klage beim erstinstanzlich zuständigen Gericht angefochten, wenn es sich um einen nur wiederholenden Verwaltungsakt mit neuer Begründung handelt oder wenn eine bereits getroffene rechtliche Regelung durch den neuen Verwaltungsakt lediglich "fortgeschrieben" wird (BSGE 15, 105, 107 = SozR Nr 3 zu § 171 SGG; BSGE 59, 137, 141 = SozR 2200 § 368a Nr 13). Aus prozessökonomischen Gründen kann das BSG in solchen Fällen über den neuen Verwaltungsakt mitentscheiden, wenn es ohne neue Ermittlungen möglich ist (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, RdNr 3b). Zwei dieser Ausnahmen sind im vorliegenden Falle einschlägig, sodass das BSG über die beiden Festbetragsfestsetzungen vom 12.12.2011 in eigener Zuständigkeit entscheiden konnte.
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c) Erstens sind die Kläger durch die neuen Allgemeinverfügungen vom 12.12.2011 klaglos gestellt worden; der Beklagte hat konsequent auf die Verwendung des Begriffes "Preis" (Abgabepreis, Stückpreis, Paarpreis, Mehrpreis) verzichtet und nur noch den Begriff "Festbetrag" verwendet, sodass der Einwand der Festsetzung von Abgabepreisen schon vom Wortlaut her nicht mehr erhoben werden konnte. Da die Anfechtung der Festbetragsfestsetzung für die Hilfsmittel zur Kompressionstherapie nach dem Teilerfolg im Berufungsverfahren zuletzt auf diesen Einwand beschränkt war, hat der Kläger auch folgerichtig auf einen Aufhebungsantrag zum Beschluss vom 12.12.2011 verzichtet, sodass das BSG hierüber keine Entscheidung in der Sache mehr treffen musste. In der Antragsbeschränkung liegt eine konkludent erklärte Teilrücknahme der Klage nach § 102 Abs 1 SGG(BSG SozR Nr 10 zu § 102 SGG; BSG SozR 4-1500 § 92 Nr 2; BSG SozR 4-1500 § 95 Nr 1; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 102 RdNr 7b). Hinsichtlich der Festbetragsfestsetzung für Einlagen sind die Kläger durch die Vermeidung des Begriffes "Preis" jedoch nur teilweise klaglos gestellt worden, weil insoweit auch Einwände gegen Abrechnungsregelungen erhoben worden waren, denen der Beklagte in der Neufestsetzung vom 12.12.2011 nicht Rechnung getragen hat.
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d) Zweitens greift hier die von der Rechtsprechung für lediglich wiederholende bzw fortschreibende Verwaltungsakte entwickelte Ausnahme vom Regelfall des § 171 Abs 2 SGG. Soweit in der Allgemeinverfügung vom 12.12.2011 zu den Festbeträgen für Einlagen von den Klägern nicht akzeptierte Abrechnungsregelungen enthalten sind, handelt es sich ausnahmslos um wortgleiche Wiederholungen von Regelungen, die bereits in der ersten Festbetragsfestsetzung vom 1.12.2004 enthalten und in die nachfolgenden Festsetzungen ebenfalls aufgenommen worden waren. Die zum 1.1.2005 erstmals getroffenen Regelungen sind also einfach wiederholt bzw fortgeschrieben worden, haben ihren Regelungsgehalt damit nicht verändert und deshalb auch zu keiner erweiterten Beschwer der Kläger geführt. Neue Ermittlungen zum Sachverhalt waren nicht erforderlich. Deshalb konnte der erkennende Senat auch über die Frage der Rechtswidrigkeit der von den Klägern beanstandeten Regelungen in der Allgemeinverfügung vom 12.12.2011 zu den Festbeträgen für Einlagen in eigener Zuständigkeit befinden.
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B. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.
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1. Die Kläger haben ihre Klagen im Berufungsverfahren auf den Beklagten umgestellt, um nach der Änderung der Zuständigkeit für Festbetragsfestsetzungen in § 36 Abs 2 S 1 iVm § 217f Abs 1 SGB V(idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung
vom 26.3.2007, BGBl I 378) dem mit dieser Funktionsnachfolge verbundenen gesetzlichen Beteiligtenwechsel von den jetzigen Beigeladenen zum Beklagten Rechnung zu tragen (vgl hierzu BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 13; BSGE 102, 248 = SozR 4-5050 § 15 Nr 6, RdNr 14; BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 20; BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 12).
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2. Die dem Streitgegenstand entsprechende Klageart ist für die Festbetragsfestsetzung in der aktuell gültigen Fassung die reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG); denn bei Festbetragsfestsetzungen für Hilfsmittel handelt es sich um Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen (§ 31 S 2 SGB X). Es findet sich hier für jede der vier Produktgruppen eine ununterbrochene Reihe von jeweils zwei (Inkontinenzhilfen und Stomaartikel) bzw jeweils fünf (Einlagen und Hilfsmittel zur Kompressionstherapie) unbefristeten Allgemeinverfügungen, wobei die neuere Fassung jeweils mit Wirkung für die Zukunft die vorausgegangene Fassung aufhob und ersetzte. Die Ausgestaltung der Allgemeinverfügungen als jeweils unbefristet hat zur Folge, dass im Falle einer vollständigen Aufhebung der aktuell gültigen Fassung die zuvor geltende Fassung und bei deren Aufhebung dann die davor geltende Festbetragsregelung usw wieder in Kraft treten würde (so auch BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 18 für unbefristete Festbetragsfestsetzungen bei Arzneimitteln). Ansonsten aber sind Regelungen aus früheren Fassungen, die sich in einer späteren Fassung so nicht wiederfinden, mit dem Ende der Gültigkeitsdauer der früheren Fassung erledigt. Für die Feststellung der Rechtswidrigkeit in dieser Weise erledigter Regelungen steht die Möglichkeit des Übergangs auf Fortsetzungsfeststellungsklagen (§ 131 Abs 1 S 3 SGG)zur Verfügung. Hiervon haben die Kläger bei allen vier Produktgruppen Gebrauch gemacht.
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3. Die Kläger sind klagebefugt. Eine Anfechtungsklage ist nach § 54 Abs 1 S 2 SGG nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den angefochtenen Verwaltungsakt beschwert zu sein. Dies setzt voraus, dass die Verletzung der eigenen Rechte oder der in zulässiger Prozessstandschaft vertretenen Rechte eines Dritten geltend gemacht wird und die Verletzung dieser Rechte danach auch möglich erscheint (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 54 RdNr 9 bis 12a mwN). Das ist hier der Fall.
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a) Zu Recht wenden sich die Kläger hier nicht gegen die gesetzliche Möglichkeit selbst, Festbeträge für Hilfsmittel festzusetzen (§ 36 SGB V). Das insoweit allein in Betracht kommende Grundrecht der Berufsfreiheit der Leistungserbringer (Art 12 Abs 1 GG) ist durch die gesetzliche Einführung von Festbeträgen für Arzneimittel und Hilfsmittel (§§ 35, 36 SGB V) nicht berührt. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 17.12.2002 (1 BvL 28/95, 29/95, 30/95 - BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2) entschieden, dass Arzneimittelhersteller und Hilfsmittellieferanten in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit nicht tangiert sind, soweit der Gesetzgeber die (früheren) Spitzenverbände der Krankenkassen zur Festsetzung von Festbeträgen für Arznei- und Hilfsmittel ermächtigt hat. Im vorliegenden Rechtsstreit wird aber gerade die rechtswidrige Überschreitung dieser gesetzlichen Ermächtigung gerügt, weil die Spitzenverbände bei genauer Betrachtung der Bekanntmachungen über die Festbetragsfestsetzungen keine Festbeträge, sondern Abgabepreise festgesetzt und darüber hinaus auch noch der vertraglichen Ebene vorbehaltene Abrechnungsregelungen einseitig eingeführt hätten.
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b) Mit diesem Vorbringen machen die Kläger die Verletzung eigener Rechte und - in gesetzlicher Prozessstandschaft - die Verletzung der Rechte der von ihnen vertretenen Leistungserbringer geltend, und eine Verletzung dieser Rechte erscheint zumindest denkbar. Damit ist die Klagebefugnis der Kläger zu bejahen.
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aa) Handwerksinnungen haben ua die Aufgabe, die gemeinsamen gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder zu fördern (§ 54 Abs 1 S 1 Handwerksordnung - HwO) und sind daher berechtigt, diese Interessen auch im gerichtlichen Verfahren in Prozessstandschaft zu verfolgen. Sie können daher neben ihren eigenen subjektiven Rechten auch die subjektiven Rechte ihrer Mitglieder, also der als Hilfsmittelerbringer tätigen natürlichen und juristischen Personen (§ 126 SGB V), im Wege der Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt geltend machen. Als verletztes eigenes Recht der Kläger zu 2) bis 6) kommt hier die Vertragsabschlusskompetenz nach § 127 SGB V aF sowie für die Zeit ab 1.4.2007 nach § 127 SGB V idF des GKV-WSG in Betracht. Als verletztes Recht ihrer Mitglieder steht die Berufsausübungsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) in Form der Preisbildungsfreiheit zur Diskussion.
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bb) Der Kläger zu 1) ist aus den gleichen Gründen klagebefugt. Als Bundesinnungsverband für das Orthopädiemechaniker- und Bandagisten-Handwerk ist er eine juristische Person des privaten Rechts (§ 85 Abs 2 S 1 iVm § 80 S 1 HwO). Nach § 85 Abs 2 S 1 iVm § 79 HwO und § 5 seiner Satzung können ihm neben den Landesinnungsverbänden(§ 79 Abs 1 HwO) auch einzelne Handwerksinnungen (§ 52 HwO), die nicht selbst einem Landesinnungsverband angeschlossen sind, sowie selbstständige Handwerker (§ 79 Abs 3 HwO) als Einzelmitglieder angehören. Als verletztes eigenes Recht kommt wiederum die auch ihm zustehende Vertragsabschlusskompetenz nach § 127 SGB V in Betracht. In gesetzlicher Prozessstandschaft kann der Kläger zu 1) zumindest die Rechte der ihm angeschlossenen Einzelmitglieder, hier in Form der Berufsausübungsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG), geltend machen, weil er insoweit keine andere Funktion ausfüllt als eine regionale Handwerksinnung.
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cc) Auf die Frage, ob die Kläger zusätzlich auch die Verletzung der Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) aus eigenem Recht geltend machen können, kommt es nach alledem nicht mehr an. Ebenso kann es offenbleiben, ob der Kläger zu 1) befugt ist, die Rechte der ihm angeschlossenen Landesinnungsverbände und Handwerksinnungen im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft geltend zu machen, oder ob er nur als gewillkürter Prozessstandschafter auftreten könnte, was aber im konkreten Fall ausgeschlossen wäre, weil ihm keine entsprechenden Vollmachten für dieses Verfahren erteilt worden sind.
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4. Die Fortsetzungsfeststellungsklagen sind ebenso zulässig. Das Rechtsschutzinteresse der Kläger an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit früherer Regelungen ist vorhanden, weil die Kläger ernsthaft die Möglichkeit in Betracht ziehen, im Auftrag ihrer Mitglieder die Beigeladenen und den Beklagten auf Schadensersatz wegen einer Amtspflichtverletzung in Haftung zu nehmen, weil es den Leistungserbringern faktisch unmöglich gemacht worden sei, in der Vergangenheit bei der Preisgestaltung über die Festbeträge hinauszugehen, nachdem diese Beträge in den Allgemeinverfügungen fälschlich bzw missverständlich als "Preise", also im Verhältnis zu den Versicherten maßgebliche Abgabepreise, dargestellt worden seien. Außerdem seien zu Unrecht diverse Zusatzleistungen als gar nicht bzw nicht neben dem Festbetrag abrechenbar deklariert gewesen. Dies reicht zur Bejahung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses der Kläger und ihrer Mitglieder aus.
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C. Da der Beklagte keine Revision eingelegt hat und auch die Beigeladenen das Berufungsurteil nicht angefochten haben, ist über die Klagen nur im Umfang ihrer Abweisung durch das LSG zu entscheiden. Soweit das LSG festgestellt hat, dass die Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 teilweise rechtswidrig waren und die Festsetzung vom 23.6.2006 insoweit aufgehoben worden ist, ist das Berufungsurteil somit rechtskräftig geworden. Dies betrifft die zur Produktgruppe der Hilfsmittel zur Kompressionstherapie angeordnete Regelung: "Die Körpermaße sind auf der Basis des vorgenannten Maßschemas vollständig bei der Abrechnung anzugeben". Im Übrigen sind die Revisionen der Kläger nur zum Teil begründet.
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1. Rechtsgrundlage der Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004, 11.5.2006 und 23.10.2006 war § 36 SGB V in der ab 1.1.2004 gültigen Fassung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190). Diese alte Fassung (aF) galt bis zum 31.3.2007. Sie wurde durch die Neufassung der Vorschrift durch das GKV-WSG vom 26.3.2007 (BGBl I 378) abgelöst, die am 1.4.2007 in Kraft getreten ist (nF). Diese neue Fassung ist für die Festsetzungen vom 17.9.2007, 3.12.2007 und 12.12.2011 einschlägig. Dabei ist hier über die Festsetzungen vom 17.9.2007 (zu den Hilfsmitteln zur Kompressionstherapie) sowie 11.5.2006 und 3.12.2007 (zu den Einlagen) nicht zu entscheiden, weil die Kläger ihre Fortsetzungsfeststellungsklagen zur Feststellung der Rechtswidrigkeit in den aktuellen Fassungen nicht mehr enthaltener Regelungen auf die vier Ursprungsfassungen vom 1.12.2004 und deren jeweilige Geltungsdauer beschränkt haben.
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Nach § 33 Abs 2 S 1 und 2 SGB V aF trugen die Krankenkassen die Kosten eines Hilfsmittels, für das ein Festbetrag nach § 36 SGB V festgesetzt war, bis zur Höhe dieses Betrages, während sie für andere Hilfsmittel die jeweils vertraglich vereinbarten Preise gemäß § 127 Abs 1 S 1 SGB V aF übernahmen. Mit dem Festbetrag erfüllten die Krankenkassen in diesen Fällen ihre Leistungspflicht (§ 12 Abs 2 SGB V). Nach § 36 Abs 1 und 2 SGB V aF bestimmten die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt wurden (sog Festbetragsgruppen), und setzten gemeinsam und einheitlich erstmals bis zum 31.12.2004 für die nach Abs 1 bestimmten Hilfsmittel einheitliche Festbeträge fest (§ 36 Abs 2 S 1 SGB V aF).
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Zum 1.4.2008 ist § 33 Abs 2 S 1 und 2 SGB V aF aufgehoben worden, ohne dass sich die Rechtslage geändert hat. Die Regelung war überflüssig, weil sich deren Inhalt ohne Weiteres aus § 33 Abs 6 und 7 SGB V nF und § 12 Abs 2 SGB V ergibt. Danach übernimmt eine Krankenkasse nach wie vor die mit den Leistungserbringern für die Hilfsmittel vereinbarten Preise, im Falle der Festsetzung eines Festbetrages indes nur bis zu dessen Höhe. Zur Festsetzung der Festbeträge ist nach § 36 Abs 1 S 2 SGB V nF jedoch nunmehr der Spitzenverband Bund der Krankenkassen zuständig. Dabei sollen unter Berücksichtigung des Hilfsmittelverzeichnisses (§ 139 SGB V) in ihrer Funktion gleichartige und gleichwertige Hilfsmittel in Gruppen zusammengefasst und die Einzelheiten der Versorgung festgelegt werden (§ 36 Abs 1 S 2 SGB V nF). Auf dieser Basis sind dann für die Produktgruppen einheitliche Festbeträge festzusetzen (§ 36 Abs 2 S 1 SGB V nF).
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Diesen gesetzlichen Vorgaben sind die Spitzenverbände mit den Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 sowie der Beklagte mit der Festbetragsfestsetzung vom 12.12.2011 zu den Einlagen nicht in vollem Umfang nachgekommen. Die Einwände der Kläger sind zum Teil begründet.
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2. Der alle vier Produktgruppen betreffende Vorwurf der Kläger, die Spitzenverbände hätten zum 1.1.2005 Abgabepreise statt Festbeträge festgesetzt und damit rechtswidrig gehandelt, ist insoweit begründet, als jene von den Klägern beanstandeten Klauseln, in denen der Begriff "Preis" (Bruttopreis, Paarpreis, Stückpreis) verwendet worden ist, von der Ermächtigungsnorm des § 36 SGB V aF nicht gedeckt waren; deshalb war die Rechtswidrigkeit dieser Klauseln festzustellen. Das gilt für alle vier Allgemeinverfügungen vom 1.12.2004 gleichermaßen.
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Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben in den Festsetzungen vom 1.12.2004 nicht nur die Begriffe "Festbetrag" und "Festbeträge" verwendet, sondern an diversen Stellen davon gesprochen, es gehe um einen "Bruttopreis", "Mehrpreis", "Paarpreis" bzw "Stückpreis". Damit waren aus Sicht der Spitzenverbände möglicherweise nur - die jeweilige Mehrwertsteuer einschließende - Bruttobeträge (also keine Nettobeträge), Mehrbeträge für extra zu vergütende Zusatzleistungen sowie Beträge für Paare bzw Einzelstücke gemeint. Dieser Sinn der "Preis"-Begriffe ist allerdings den veröffentlichten Texten der Allgemeinverfügungen nicht eindeutig zu entnehmen. Objektiv stellt der "Preis" einer Ware jenen Geldbetrag dar, den der Anbieter (Verkäufer) für die Veräußerung der Ware verlangt und den der Interessent (Käufer) zu zahlen hat, um das Eigentum übertragen zu bekommen ("Kaufpreis", vgl § 433 Abs 2 BGB). Die mit den Festbetragsregelungen (§§ 35, 36 SGB V) nicht vertrauten Beteiligten, also insbesondere die Versicherten, aber auch Leistungserbringer und Krankenkassenmitarbeiter, konnten ohne detaillierte Kenntnis des rechtlichen Hintergrundes den Eindruck gewinnen, es gehe bei den festgesetzten Beträgen um "Abgabepreise" für die Hilfsmittel, was zur Folge gehabt hätte, dass der Hilfsmittellieferant verpflichtet gewesen wäre, das Hilfsmittel zum angegebenen Betrag (Kaufpreis) an den Versicherten abzugeben, sodass also ein aus wirtschaftlichen Gründen erforderlicher höherer Preis gar nicht verlangt werden durfte und sich die finanzielle Beteiligung des Versicherten auf die übliche Zuzahlung (§ 33 Abs 8 SGB V) beschränkte. Die Hilfsmittelerbringer standen in dieser Situation stets vor der Frage, ob sie sich im Einzelfall mit dem - von der Krankenkasse geschuldeten - Festbetrag begnügen wollten oder andernfalls Gefahr liefen, dass der von der Vorstellung eines "Abgabepreises" (Kaufpreis) ausgehende Versicherte den geforderten höheren Preis nicht akzeptieren und sich an einen anderen Lieferanten wenden würde, der möglicherweise zum Festbetrag zu liefern bereit war. Die Verwendung der Begriffe "Bruttopreis", "Mehrpreis", "Stückpreis" und "Paarpreis" war also objektiv geeignet, der Festbetragsfestsetzung den Sinn einer Preisfestsetzung zu verleihen. Dies ist für die Frage der Rechtswidrigkeit der Festbetragsfestsetzung nach § 36 SGB V maßgeblich. Die Auslegung eines Verwaltungsaktes, auch in der Form einer Allgemeinverfügung nach § 31 S 2 SGB X, richtet sich nämlich nach den für Willenserklärungen maßgebenden Auslegungsgrundsätzen(§§ 133, 157 BGB). Der objektive Sinngehalt einer Erklärung bestimmt sich nach dem Empfängerhorizont eines verständigen Dritten und nicht etwa danach, von welcher Vorstellung die Behörde ausgegangen ist (Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 31 RdNr 26; BSGE 76, 184, 186 = SozR 3-1200 § 53 Nr 8; BSGE 89, 90, 100 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3). Es war deshalb nicht entscheidend, dass die Spitzenverbände in den Überschriften ihrer Bekanntmachungen jeweils den Begriff "Festbetrag" verwandt haben und nach den einleitenden Bemerkungen mit ihren Beschlüssen ausdrücklich die Umsetzung der ihnen in § 36 SGB V aF auferlegten gesetzlichen Verpflichtungen, dh die Festsetzung von Festbeträgen, beabsichtigten. Die mehrfache Verwendung des nicht nur missverständlichen, sondern sachlich regelrecht unrichtigen Begriffes "Preis" vermittelte objektiv den Eindruck, dass die Spitzenverbände in den Allgemeinverfügungen vom 1.12.2004 über die ihnen gesetzlich übertragene Aufgabe hinaus allgemeine Abgabehöchstpreise festgelegt haben, sie also nicht nur den Umfang des Sachleistungsanspruchs der Versicherten gegenüber ihrer Krankenkassen begrenzen (§ 12 Abs 2 SGB V), sondern darüber hinaus ähnlich wie bei einer staatlichen Gebührenordnung einen Höchstpreis für alle Fälle bestimmen wollten, in denen zugelassene Leistungserbringer die erfassten Hilfsmittel an Käufer aller Art, also zB auch Privat- oder Nichtversicherte, abgeben. Daher waren diejenigen Klauseln der die Allgemeinverfügungen vom 1.12.2004 jeweils einleitenden "Allgemeinen Erläuterungen" rechtswidrig, in denen die Spitzenverbände von "Bruttopreisen", "Stückpreisen" und "Paarpreisen" gesprochen haben. Die Kläger haben nach § 131 Abs 1 S 3 SGG einen Anspruch darauf, dass die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügungen vom 1.12.2004 insoweit festgestellt wird.
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Die Verwendung des Begriffs "Mehrpreis" war nach alledem zwar auch fehlerhaft (vgl die Festbetragsfestsetzung für Einlagen vom 1.12.2004 zu Positionsnummer 08.99.99.0007, Mehrpreis für langsohlige Lederdecke: 3,22 Euro); insoweit schied die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung jedoch aus, weil die Kläger diese Klausel - offenbar irrtümlich - nicht gesondert gerügt und in ihren Feststellungsantrag nicht aufgenommen haben. An diese eingeschränkte Antragstellung war der erkennende Senat nach § 202 SGG iVm § 308 Abs 1 S 1 ZPO gebunden.
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3. Unbegründet war hingegen der Anspruch auf Aufhebung der Festbetragsfestsetzung vom 23.10.2006 für Inkontinenzhilfen, soweit dort wiederum "Bruttopreise" festgesetzt worden sind.
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Anders als in den Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 haben die Spitzenverbände in den Allgemeinverfügungen vom 23.10.2006 auf die Verwendung des Begriffs "Preis" bzw des Wortteils "…preis" durchgängig verzichtet. Stattdessen ist von "Bruttobeträgen" (statt Bruttopreis) und von Festbeträgen für ein Paar (statt Paarpreis) bzw für einzelne Einlagen (statt Stückpreis) die Rede. Der frühere "Mehrpreis" einer Einlage mit langsohliger Lederdecke wird hier als "Aufschlag" zum Festbetrag bezeichnet. Lediglich in den Allgemeinen Erläuterungen zu den Festbeträgen für Inkontinenzhilfen ist an einer Stelle noch von "Bruttopreisen" die Rede. Damit steht fest, dass die Spitzenverbände am 23.10.2006 tatsächlich nur, wie in § 36 SGB V angeordnet, Festbeträge für die vier Produktgruppen festgelegt haben und die einmalige Verwendung des fehlerhaften Begriffes "Bruttopreis" ein reines Redaktionsversehen darstellt. Für die Beteiligten war offensichtlich, dass auch hier nicht weiter von der Festsetzung eines Bruttoabgabepreises die Rede sein konnte, sondern - wie in den anderen Festsetzungen auch - nur von einem Bruttobetrag. Es ging also auch hier lediglich um die Klarstellung, dass der festgesetzte Festbetrag die gesetzliche Mehrwertsteuer bereits enthielt, es sich also nicht um einen Nettobetrag handelte, auf den zusätzlich noch Mehrwertsteuer entfiel.
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Ergänzend ist anzumerken, dass der Beklagte in den Festbetragsfestsetzungen vom 12.12.2011 durchgängig nur noch von "Beträgen" spricht und die - missverständliche - Verwendung des Begriffes "Preis" vollständig vermeidet. Außerdem ist klargestellt, dass nunmehr die Festbeträge Nettobeträge sind, die jeweilige Mehrwertsteuer also noch hinzukommt.
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4. Die Spitzenverbände der Krankenkassen waren auch berechtigt, im Rahmen der Festbetragsfestsetzung Regelungen zu treffen, welche sächlichen Leistungen und Dienstleistungen mit dem jeweiligen Festbetrag abgegolten sein sollten.
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a) Im Zuge der Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln durch die Leistungserbringer ist vielfach nicht nur die bloße Übergabe eines Hilfsmittels erforderlich, sondern es sind auch vorbereitende, begleitende und nachgehende Dienstleistungen unerlässlich, die ihrerseits mit Materialverbrauch und somit zusätzlichen Sachkosten verbunden sein können. Das betrifft bei den hier interessierenden Produktgruppen zB die Abnahme eines Fußabdrucks für die Herstellung einer Einlage, die Einweisung in die Handhabung und Pflege eines Kompressionsstrumpfes sowie eine nachträglich erforderliche Anpassung eines maßgefertigten Hilfsmittels. Bei der Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel ist daher zwangsläufig eine Regelung zu treffen, welche der erforderlichen Begleitleistungen vom Festbetrag umfasst sein und somit den Sachleistungsanspruch des Versicherten iS des § 12 Abs 2 SGB V konkretisieren und begrenzen sollen. Die Einbeziehung derartiger Begleitleistungen ist notwendiger Bestandteil einer Festbetragsfestsetzung im Hilfsmittelbereich. Zugleich wird dadurch klargestellt, welche im Einzelfall ebenfalls erforderlichen Zusatzleistungen vom Festbetrag nicht umfasst und deshalb von der Krankenkasse gesondert zu vergüten sind.
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b) Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber den Bedenken gegen die Befugnis zu solchen ergänzenden Regelungen im Rahmen der Festbetragsfestsetzung inzwischen Rechnung getragen hat. Durch § 36 Abs 1 S 2 SGB V nF ist mit Wirkung ab 1.4.2007 ausdrücklich klargestellt, dass der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bei der Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel auch "Einzelheiten der Versorgung" festlegen soll. Es handelt sich dabei nicht um eine konstitutive Ausweitung der Befugnisse, sondern nur um eine Klarstellung zu einer immer schon so bestehenden Rechtslage (BT-Drucks 16/3100, S 104; Beck in juris PraxisKommentar, SGB V, 2. Aufl 2012, § 36 RdNr 19), sodass die Neufassung des § 36 SGB V insoweit auch bei der rechtlichen Überprüfung der Festbetragsfestsetzungen vom 1.12.2004 und 23.10.2006 herangezogen werden konnte.
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c) Vor diesem Hintergrund erweisen sich die folgenden Klauseln als rechtmäßig:
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bei den Festbetragsfestsetzungen für Einlagen: "Die Kosten für den Trittspurabdruck sind in dem Festbetrag enthalten und können nicht zusätzlich abgerechnet werden; dies gilt auch, wenn Verfahren wie Trittschaum oder Scan-Technik zum Einsatz kommen." … "Sofern ein Lederbezug notwendig ist, so ist dieser im Festbetrag enthalten."
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bei den Festbetragsfestsetzungen für Stomaartikel: "Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei den Produkten "geschlossener Beutel" (29.26.01) und den Stoma-Kappen/Minibeuteln (29.26.04) ein (ggf. integrierter) Filter vom Festbetrag umfasst wird. Bei den Ausstreifbeuteln sind der Verschluss und ein (ggf. integrierter) Filter vom Festbetrag umfasst. Filter, die zusätzlich benötigt werden, können weiterhin unter der Position 29.26.11.1 abgerechnet werden, sofern sie verordnet wurden. Zur Verdeutlichung wurde diese Position in der Festbetragsstruktur in "Zusatzfilter" umbenannt. Von dem Festbetrag für Urostomie-Beutel (29.26.03) sind Abflussventil/-adapter und Verschluss umfasst. Bei Beuteln mit Hautschutzring (…) wird dieser vom Festbetrag umfasst. Nur Hautschutzringe, die zusätzlich benötigt werden, können bei Verordnung weiterhin unter der Position 29.26.11.2. abgerechnet werden. Zusätzliche Beutelüberzüge aus Vlies sind nicht abrechenbar bei Beuteln mit Vlies."
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d) Die Festbetragsfestsetzungen für Inkontinenzhilfen und Stomaartikel sind nach vorstehenden Ausführungen auch nicht zu beanstanden, soweit dort niedergelegt ist, dass mit dem Festbetrag nicht nur sämtliche Kosten abgegolten sein sollen, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstehen, sondern auch "andere Dienstleistungen" bzw "andere Serviceleistungen" (so die Formulierung bei den Stomaartikeln ab 1.1.2007). Auch insoweit handelt es sich um eine notwendige Zusatzregelung zur Reichweite der Festbeträge.
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Die Klausel genügt auch dem Bestimmtheitsgebot des § 33 Abs 1 SGB X. Angesichts der Vielzahl der im Einzelfall denkbaren zusätzlichen Dienst- bzw Serviceleistungen wäre es praktisch kaum möglich gewesen, einen Katalog konkreter Leistungen dieser Art aufzustellen, die vom jeweiligen Festbetrag umfasst sein sollten. Eine solche "Positivliste" hätte zwangsläufig zur Folge gehabt, dass dort nicht ausdrücklich erwähnte Leistungen zusätzlich zu vergüten gewesen wären, obgleich dies nach Art und Umfang der Leistung im Vergleich zu den in der "Positivliste" aufgeführten Leistungen nicht gerechtfertigt wäre. Maßgeblich zur Ausfüllung der Begriffe "zusätzliche Dienstleistungen" bzw "zusätzliche Serviceleistungen" ist die branchenspezifische Üblichkeit und hilfsweise die allgemeine Verkehrsauffassung.
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5. Zu beanstanden ist allerdings die Regelung, dass bei der Abgabe von Kopieeinlagen (Positionsnummer 08.03.01) ein Gipsabdruck nicht erforderlich sei; ein Trittspurabdruck reiche für die korrekte Erstellung der Kopieeinlagen aus.
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Mit dieser Klausel haben die Spitzenverbände nicht etwa das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 2 Abs 4, § 12 SGB V) umgesetzt, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen, sondern explizit eine technisch-handwerkliche Regelung getroffen und damit gegen die Ermächtigungsgrundlage des § 36 SGB V verstoßen, die allein die Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel gestattet. Es bleibt grundsätzlich den Leistungserbringern überlassen, in welcher Weise sie ein Hilfsmittel anfertigen. Gibt es also bezüglich Herstellungsablauf und verwendetem Material mehrere Möglichkeiten zur Anfertigung eines Hilfsmittels und finden die unterschiedlich hohen Herstellungskosten Ausdruck in unterschiedlich hohen Abgabepreisen der Leistungserbringer, darf im Rahmen einer Festbetragsfestsetzung nicht geregelt werden, dass ein bestimmter Herstellungsweg dem Wirtschaftlichkeitsgebot nicht entspricht, sondern nur, dass der Festbetrag eine bestimmte Leistung umfasst (hier: Trittspurabdruck für Kopieeinlagen) und dass eine andere Leistung neben dem Festbetrag nicht abgerechnet werden kann (hier: Gipsabdruck). Der Hilfsmittelerbringer hat dann die Wahl, ob er im Einzelfall trotz höherer Gestehungskosten einen Gipsabdruck anfertigt oder sich mit einem Trittspurabdruck begnügt. Diese fachliche Frage ist der Regelungsgewalt des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen nach § 36 SGB V entzogen.
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6. Rechtmäßig ist die Allgemeinverfügung vom 1.12.2004 zu den Einlagen auch, soweit sie die Abrechenbarkeit bestimmter Leistungen von einer "gesonderten ärztlichen Begründung" abhängig machte. Damit sollte nur folgende Regelung in Ziffer 25 der Hilfsmittel-Richtlinien vom 6.2.2001 (BAnz Nr 102 vom 2.6.2001) umgesetzt werden:
"In der Verordnung ist das Hilfsmittel so eindeutig wie möglich zu bezeichnen, ferner sind alle für die individuelle Versorgung oder Therapie erforderlichen Einzelangaben zu machen. Der Kassenarzt soll deshalb unter Nennung der Diagnose und des Datums insbesondere angeben:
25.4 bei Hilfsmitteln
- Anzahl
- Bezeichnung des Hilfsmittels nach Maßgabe der Arztinformation (s. Nr. 8.2)
- Art der Herstellung (Konfektion, Maßkonfektion, Anfertigung nach Maß).
Hinweise (z.B. über Zweckbestimmung, Material, Abmessungen), die eine funktionsgerechte Anfertigung, Zurichtung oder Abänderung durch den Lieferanten gewährleisten. Ggf. sind die notwendigen Angaben der Verordnung gesondert beizufügen."Eine inhaltlich gleichlautende, lediglich dem Begriff "Kassenarzt" durch den Begriff "Vertragsarzt" ersetzende Regelung findet sich in § 7 Abs 2 der Hilfsmittel-Richtlinien vom 21.12.2011/ 15.3.2012 (BAnz AT vom 10.4.2012), die am 1.4.2012 in Kraft getreten sind. Diese Fassung liegt der insoweit ebenfalls angegriffenen Festbetragsfestsetzung für Einlagen vom 12.12.2011 zugrunde.
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Den Klägern ist zuzugestehen, dass mit der Wendung "nach ärztlicher Begründung" vom reinen Wortlaut her an eine Abweichung von den Hilfsmittel-Richtlinien gedacht werden könnte, in denen eine ärztliche "Verordnung" gefordert wird. Aber auch hier ist wiederum eine die Zusammenhänge berücksichtigende Auslegung der Regelung aus dem Empfängerhorizont eines objektiven Dritten (§§ 133, 157 BGB)vorzunehmen. Die Auslegung ergibt eindeutig, dass die Spitzenverbände sich an die Vorgaben der Hilfsmittel-Richtlinien, die nach § 91 Abs 6 SGB V für die Versicherungsträger, die Leistungserbringer und die Versicherten verbindlich sind, halten wollten und mit der Nennung des Begriffs "ärztliche Begründung" allenfalls eine Ungenauigkeit unterlaufen ist. Gemeint war nichts anderes als die Notwendigkeit, die Zusätze bzw Zusatzleistungen in einer ärztlichen Verordnung extra aufzuführen und so ihre medizinisch-technische Erforderlichkeit (§ 33 Abs 1 S 1 SGB V) zu belegen - mit der Folge, dass sie von dem Festbetrag für die verordneten Einlagen nicht erfasst und deshalb separat zu vergüten sind. In den nachfolgenden Festbetragsfestsetzungen zu den Einlagen ist deshalb auch richtigerweise die Wendung "nach gesonderter ärztlicher Verordnung" verwandt worden. Darauf hat der Beklagte zutreffend hingewiesen. Dabei kann es sich um eine von der Einlagen-Verordnung getrennte ärztliche Verordnung handeln, aber auch um die ausdrückliche Nennung dieser Zusätze bzw Zusatzleistungen in der Einlagen-Verordnung selbst oder in einer Anlage zu dieser Verordnung. Alle drei Varianten der "gesonderten ärztlichen Verordnung" sind von der Regelung der Hilfsmittel-Richtlinien umfasst. Der Einwand der Kläger, die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hätten hier eine vom SGB V bzw den Hilfsmittel-Richtlinien nicht gedeckte zusätzliche ärztliche Verordnung gefordert, trifft somit nicht zu.
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D. Da über die Revisionen der Kläger allein aus materiell-rechtlichen Gründen abschließend entschieden werden konnte, erübrigen sich Erörterungen zu den von den Klägern gerügten Verfahrensfehlern des LSG.
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E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und § 162 Abs 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 2 S 1 GKG. Dabei ist der Senat von einem Streitwert von 50 000 Euro für jede der vier Produktgruppen ausgegangen.
Wird während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so gilt der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim Sozialgericht angefochten, es sei denn, daß der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird.
(1) Ergänzend zum Risikostrukturausgleich gemäß § 266 werden die finanziellen Belastungen für aufwendige Leistungsfälle teilweise über einen Risikopool ausgeglichen. Übersteigt die Summe der im Risikopool ausgleichsfähigen Leistungsausgaben eines Versicherten bei einer Krankenkasse innerhalb eines Ausgleichsjahres den Schwellenwert nach Satz 3, werden 80 Prozent des den Schwellenwert übersteigenden Betrags über den Risikopool ausgeglichen. Der Schwellenwert beträgt 100 000 Euro und ist in den Folgejahren anhand der jährlichen Veränderungsrate der im Risikopool ausgleichsfähigen Leistungsausgaben je Versicherten anzupassen.
(2) Im Risikopool sind die Leistungsausgaben ausgleichsfähig, die bei der Ermittlung der standardisierten Leistungsausgaben nach § 266 Absatz 3 zu berücksichtigen sind, abzüglich der Aufwendungen für Krankengeld nach den §§ 44 und 45.
(3) Bei der Ermittlung der Höhe der Zuweisungen nach § 266 Absatz 7 Satz 3 und 6 sind die Leistungsausgaben, die im Risikopool ausgeglichen werden, nicht bei der Ermittlung der standardisierten Leistungsausgaben nach § 266 Absatz 3 zu berücksichtigen.
(4) Das Bundesamt für Soziale Sicherung ermittelt für jede Krankenkasse den Ausgleichsbetrag nach Absatz 1 Satz 2 und weist die entsprechenden Mittel den Krankenkassen zu. § 266 Absatz 6 Satz 3, Absatz 7 Satz 3, 6 und 7 sowie Absatz 9 gilt für den Risikopool entsprechend.
(5) Das Bundesministerium für Gesundheit regelt in der Rechtsverordnung nach § 266 Absatz 8 Satz 1 das Nähere über
(1) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat ab dem 1. Juli 2008 die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Der Vorstand hat dem Bundesministerium für Gesundheit zu berichten, wenn die dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben nicht rechtzeitig umgesetzt werden. Der Bericht ist dem Bundesministerium für Gesundheit spätestens innerhalb eines Monats nach dem für die Umsetzung der gesetzlichen Aufgabe vorgegebenen Zeitpunkt schriftlich vorzulegen. In dem Bericht sind insbesondere die Gründe für die nicht rechtzeitige Umsetzung, der Sachstand und das weitere Verfahren darzulegen.
(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen unterstützt die Krankenkassen und ihre Landesverbände bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und bei der Wahrnehmung ihrer Interessen, insbesondere durch die Entwicklung von und Abstimmung zu Datendefinitionen (Formate, Strukturen und Inhalte) und Prozessoptimierungen (Vernetzung der Abläufe) für den elektronischen Datenaustausch in der gesetzlichen Krankenversicherung, mit den Versicherten und mit den Arbeitgebern. Die Wahrnehmung der Interessen der Krankenkassen bei über- und zwischenstaatlichen Organisationen und Einrichtungen ist Aufgabe des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen.
(2a) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit und den zuständigen Aufsichtsbehörden erstmals zum 31. März 2020 und danach jährlich über den aktuellen Stand und Fortschritt der Digitalisierung der Verwaltungsleistungen der Krankenkassen für Versicherte und bestimmt die dafür von seinen Mitgliedern zu übermittelnden Informationen. Dabei ist für jede Verwaltungsleistung bei jeder Krankenkasse darzustellen, ob und inwieweit diese elektronisch über eigene Verwaltungsportale und gemeinsame Portalverbünde für digitale Verwaltungsleistungen abgewickelt werden können. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen unterstützt die Anbindung der Krankenkassen an gemeinsame Portalverbünde für digitale Verwaltungsleistungen und gibt Empfehlungen für die Umsetzung gesetzlicher Verpflichtungen nach den für diese Portalverbünde geltenden Bestimmungen. Er legt für seine Mitglieder fest, welche einheitlichen Informationen, Dokumente und Anwendungen in gemeinsamen Portalverbünden zu den Verwaltungsleistungen der Krankenkassen für Versicherte angeboten werden und welche technischen Standards und sozialdatenschutzrechtlichen Anforderungen unter Beachtung der Richtlinie nach Absatz 4b Satz 1 die Krankenkassen einhalten müssen, damit diese ihre Verwaltungsleistungen elektronisch über gemeinsame Portalverbünde anbieten können. Er stellt seinen Mitgliedern geeignete Softwarelösungen zur Verfügung, um den erforderlichen Datenaustausch zwischen dem Verwaltungsportal der jeweils für den Versicherten zuständigen Krankenkasse und gemeinsamen Portalverbünden zu ermöglichen. Das Nähere einschließlich der gemeinsamen Kostentragung für die Entwicklung und Bereitstellung von Softwarelösungen durch die Mitglieder regelt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen.
(3) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen trifft in grundsätzlichen Fach- und Rechtsfragen Entscheidungen zum Beitrags- und Meldeverfahren und zur einheitlichen Erhebung der Beiträge (§§ 23, 76 des Vierten Buches).
(4) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen trifft Entscheidungen zur Organisation des Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitswettbewerbs der Krankenkassen, insbesondere zu dem Erlass von Rahmenrichtlinien für den Aufbau und die Durchführung eines zielorientierten Benchmarking der Leistungs- und Qualitätsdaten.
(4a) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen legt in einer Richtlinie allgemeine Vorgaben zu den Regelungen nach § 73b Absatz 3 Satz 8 und § 140a Absatz 4 Satz 6 und 7 fest. Die Richtlinie bedarf der Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit.
(4b) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen legt bis zum 31. Januar 2018 in einer Richtlinie Maßnahmen zum Schutz von Sozialdaten der Versicherten vor unbefugter Kenntnisnahme fest, die von den Krankenkassen bei Kontakten mit ihren Versicherten anzuwenden sind. Die Maßnahmen müssen geeignet sein, im Verhältnis zum Gefährdungspotential mit abgestuften Verfahren den Schutz der Sozialdaten zu gewährleisten und dem Stand der Technik entsprechen. Insbesondere für die elektronische Übermittlung von Sozialdaten hat die Richtlinie Maßnahmen zur sicheren Identifizierung und zur sicheren Datenübertragung vorzusehen; hierbei sollen bereits vorhandene Verfahren für einen sicheren elektronischen Identitätsnachweis nach § 36a Absatz 2 Satz 5 des Ersten Buches berücksichtigt werden. Die Richtlinie muss zusätzlich zum 1. Oktober 2023 Regelungen zu dem Abgleich der Anschrift der Versicherten mit den Daten aus dem Melderegister vor dem Versand der elektronischen Gesundheitskarte und deren persönlicher Identifikationsnummer (PIN) an die Versicherten enthalten. Die Richtlinie hat Konzepte zur Umsetzung der Maßnahmen durch die Krankenkassen und Vorgaben für eine Zertifizierung durch unabhängige Gutachter vorzusehen. Sie ist in Abstimmung mit der oder dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zu erstellen und bedarf der Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Richtlinie ist erstmalig zum 1. Januar 2021 und dann fortlaufend zu evaluieren und spätestens alle zwei Jahre unter Einbeziehung eines vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu beauftragenden unabhängigen geeigneten Sicherheitsgutachters im Benehmen mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik an den Stand der Technik anzupassen. Die geänderte Richtlinie bedarf jeweils der Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit.
(5) Die von den bis zum 31. Dezember 2008 bestehenden Bundesverbänden sowie der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, den Verbänden der Ersatzkassen und der See-Krankenkasse bis zum 30. Juni 2008 zu treffenden Vereinbarungen, Regelungen und Entscheidungen gelten so lange fort, bis der Spitzenverband Bund im Rahmen seiner Aufgabenstellung neue Vereinbarungen, Regelungen oder Entscheidungen trifft oder Schiedsämter den Inhalt von Verträgen neu festsetzen.
(6) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen trifft Entscheidungen, die bei Schließung oder Insolvenz einer Krankenkasse im Zusammenhang mit dem Mitgliederübergang der Versicherten erforderlich sind, um die Leistungsansprüche der Versicherten sicherzustellen und die Leistungen abzurechnen.
(7) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen kann zur Durchführung seiner gesetzlichen Aufgaben nach § 130b die Daten nach § 267 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 anonymisiert und ohne Krankenkassenbezug verarbeiten.
(8) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat zur Sicherheit des Zahlungsverkehrs und der Buchführung für die Krankenkassen in Abstimmung mit dem Bundesversicherungsamt eine Musterkassenordnung nach § 3 der Sozialversicherungs-Rechnungsverordnung aufzustellen.
(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn
- 1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint, - 2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde, - 3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll, - 4.
Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen, - 5.
einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen, - 6.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen oder - 7.
gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro aufgerechnet oder verrechnet werden soll; Nummer 5 bleibt unberührt.
(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.
(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.
(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.
Wird während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so gilt der neue Verwaltungsakt als mit der Klage beim Sozialgericht angefochten, es sei denn, daß der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt wird.
(1) Die Krankenkassen erhalten als Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds (§ 271) zur Deckung ihrer Ausgaben eine Grundpauschale und risikoadjustierte Zu- und Abschläge zum Ausgleich der unterschiedlichen Risikostrukturen und Zuweisungen für sonstige Ausgaben (§ 270). Mit den risikoadjustierten Zuweisungen wird jährlich ein Risikostrukturausgleich durchgeführt. Durch diesen werden die finanziellen Auswirkungen von Unterschieden zwischen den Krankenkassen ausgeglichen, die sich aus der Verteilung der Versicherten auf nach Risikomerkmalen getrennte Risikogruppen gemäß Absatz 2 ergeben.
(2) Die Zuordnung der Versicherten zu Risikogruppen erfolgt anhand der Risikomerkmale Alter, Geschlecht, Morbidität, regionalen Merkmalen und danach, ob die Mitglieder Anspruch auf Krankengeld nach § 44 haben. Die Morbidität der Versicherten wird auf der Grundlage von Diagnosen, Diagnosegruppen, Indikationen, Indikationengruppen, medizinischen Leistungen oder Kombinationen dieser Merkmale unmittelbar berücksichtigt. Regionale Merkmale sind solche, die die unterschiedliche Ausgabenstruktur der Region beeinflussen können.
(3) Die Grundpauschale und die risikoadjustierten Zu- und Abschläge dienen zur Deckung der standardisierten Leistungsausgaben der Krankenkassen.
(4) Die Ermittlung der standardisierten Leistungsausgaben nach Absatz 3 orientiert sich an der Höhe der durchschnittlichen krankheitsspezifischen Leistungsausgaben der den Risikogruppen zugeordneten Versicherten. Dabei bleiben außer Betracht
- 1.
die von Dritten erstatteten Ausgaben, - 2.
Aufwendungen für satzungsgemäße Mehr- und Erprobungsleistungen sowie für Leistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.
(5) Die Bildung der Risikogruppen nach Absatz 2 und die Ermittlung der standardisierten Leistungsausgaben nach Absatz 3 erfolgt nach Kriterien, die zugleich
- 1.
Anreize zu Risikoselektion verringern und - 2.
keine Anreize zu medizinisch nicht gerechtfertigten Leistungsausweitungen setzen.
(6) Das Bundesamt für Soziale Sicherung ermittelt die Höhe der Zuweisungen und weist die entsprechenden Mittel den Krankenkassen zu. Es gibt für die Ermittlung der Höhe der Zuweisungen nach Absatz 3 jährlich bekannt
- 1.
die Höhe der standardisierten Leistungsausgaben aller am Ausgleich beteiligten Krankenkassen je Versicherten, getrennt nach Risikogruppen nach Absatz 2, und - 2.
die Höhe der risikoadjustierten Zu- und Abschläge.
(7) Das Bundesamt für Soziale Sicherung stellt im Voraus für ein Kalenderjahr die Werte nach Absatz 6 Satz 2 Nr. 1 und 2 vorläufig fest. Es legt bei der Berechnung der Höhe der monatlichen Zuweisungen die Werte nach Satz 1 und die zuletzt erhobenen Versichertenzahlen der Krankenkassen je Risikogruppe nach Absatz 2 zugrunde. Nach Ablauf des Kalenderjahres ist die Höhe der Zuweisungen für jede Krankenkasse vom Bundesamt für Soziale Sicherung aus den für dieses Jahr erstellten Geschäfts- und Rechnungsergebnissen und den für dieses Jahr erhobenen Versichertenzahlen der beteiligten Krankenkassen zu ermitteln. Die nach Satz 2 erhaltenen Zuweisungen gelten als Abschlagszahlungen. Sie sind nach der Ermittlung der endgültigen Höhe der Zuweisung für das Geschäftsjahr nach Satz 3 auszugleichen. Werden nach Abschluss der Ermittlung der Werte nach Satz 3 sachliche oder rechnerische Fehler in den Berechnungsgrundlagen festgestellt, hat das Bundesamt für Soziale Sicherung diese bei der nächsten Ermittlung der Höhe der Zuweisungen nach den dafür geltenden Vorschriften zu berücksichtigen. Klagen gegen die Höhe der Zuweisungen im Risikostrukturausgleich einschließlich der hierauf entfallenden Nebenkosten haben keine aufschiebende Wirkung.
(8) Das Bundesministerium für Gesundheit regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über
- 1.
die Ermittlung der Höhe der Grundpauschale nach Absatz 1 Satz 1, der Werte nach Absatz 6 sowie die Art, den Umfang und den Zeitpunkt der Bekanntmachung der für die Durchführung des Risikoausgleichsverfahrens erforderlichen Berechnungswerte, - 2.
die Abgrenzung und die Verfahren der Standardisierung der Leistungsausgaben nach den Absätzen 3 bis 6; dabei können für Risikogruppen, die nach dem Anspruch der Mitglieder auf Krankengeld zu bilden sind, besondere Standardisierungsverfahren und Abgrenzungen für die Berücksichtigung des Krankengeldes geregelt werden, - 2a.
die Abgrenzung und die Verfahren der Standardisierung der sonstigen Ausgaben nach § 270, die Kriterien der Zuweisung der Mittel zur Deckung dieser Ausgaben sowie das Verfahren der Verarbeitung der nach § 270 Absatz 2 zu übermittelnden Daten, - 2b.
die Abgrenzung der zu berücksichtigenden Risikogruppen nach Absatz 2 einschließlich der Altersabstände zwischen den Altersgruppen, auch abweichend von Absatz 2; hierzu gehört auch die Festlegung des Verfahrens zur Auswahl der regionalen Merkmale, - 3.
die Festlegung der Anforderungen an die Zulassung der Programme nach § 137g hinsichtlich des Verfahrens der Einschreibung der Versicherten einschließlich der Dauer der Teilnahme und des Verfahrens der Verarbeitung der für die Durchführung der Programme erforderlichen personenbezogenen Daten, - 4.
die Berechnungsverfahren sowie die Durchführung des Zahlungsverkehrs, - 5.
die Fälligkeit der Beträge und die Erhebung von Säumniszuschlägen, - 6.
das Verfahren und die Durchführung des Ausgleichs einschließlich des Ausschlusses von Risikogruppen, die anhand der Morbidität der Versicherten gebildet werden, mit den höchsten relativen Steigerungsraten, - 7.
die Umsetzung der Vorgaben nach Absatz 5 und 12, - 8.
die Vergütung des wissenschaftlichen Beirats zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs beim Bundesamt für Soziale Sicherung für die Erstellung von Gutachten nach Absatz 10, - 9.
die Prüfung der von den Krankenkassen mitzuteilenden Daten durch die mit der Prüfung nach § 274 befassten Stellen einschließlich der Folgen fehlerhafter Datenlieferungen oder nicht prüfbarer Daten sowie das Verfahren der Prüfung und der Prüfkriterien, auch abweichend von § 274.
(9) Die landwirtschaftliche Krankenkasse nimmt am Risikostrukturausgleich nicht teil.
(10) Die Wirkungen des Risikostrukturausgleichs insbesondere auf den Wettbewerb der Krankenkassen und die Manipulationsresistenz des Risikostrukturausgleichs sind regelmäßig, mindestens alle vier Jahre, durch den wissenschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs beim Bundesamt für Soziale Sicherung in einem Gutachten zu überprüfen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann den Gegenstand des Gutachtens näher bestimmen; im Jahr 2023 sind gesondert die Wirkungen der regionalen Merkmale als Risikomerkmal im Risikostrukturausgleich zu untersuchen. Die Wirkungen des Ausschlusses von Risikogruppen nach § 18 Absatz 1 Satz 4 der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung insbesondere auf die Manipulationsresistenz und Zielgenauigkeit des Risikostrukturausgleichs einschließlich der Einhaltung der Vorgaben des § 266 Absatz 5 sind zusätzlich zu dem Gutachten nach Satz 2 zweiter Halbsatz durch den wissenschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs beim Bundesamt für Soziale Sicherung im Jahr 2023 zu untersuchen. Für den Zweck des Gutachtens nach Satz 3 ist auch die Veränderung der Häufigkeit der Diagnosen nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 unter Berücksichtigung der Zuordnung der Versicherten zu Risikogruppen zu untersuchen.
(11) Die Krankenkassen erhalten die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds für die Ausgleichsjahre 2019 und 2020 nach Maßgabe der §§ 266 bis 270 in der bis zum 31. März 2020 geltenden Fassung. Die Anpassung der Datenmeldung nach § 7 Absatz 1 Satz 1 Nummer 7 der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung gemäß § 7 Absatz 1 Satz 3 der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung ist ab dem Ausgleichsjahr 2021 bei den Zuweisungen nach Absatz 3 zu berücksichtigen. Die Zuordnung der Versicherten zu Risikogruppen, die nach dem Anspruch der Mitglieder auf Krankengeld zu bilden sind, erfolgt für das Ausgleichsjahr 2020 danach, ob die Mitglieder Anspruch auf Krankengeld nach den §§ 44 und 45 haben.
(12) Bei den Zuweisungen nach Absatz 3 werden die finanziellen Auswirkungen der Bildung von Risikogruppen anhand von regionalen Merkmalen nach Absatz 2 durch Zu- und Abschläge im Ausgleichsjahr 2021 auf 75 Prozent begrenzt. Die Begrenzung erfolgt für alle Länder jeweils einheitlich für die Summe der Zuweisungen nach Absatz 3 für die Versicherten mit Wohnsitz in einem Land. Durch die Zu- und Abschläge werden 25 Prozent der Differenz der hypothetischen Höhe der Zuweisungen nach Absatz 3 ohne Bildung von Risikogruppen anhand von regionalen Merkmalen und der Höhe der Zuweisungen nach Absatz 3 einheitlich auf die Versicherten mit Wohnsitz in einem Land verteilt.