Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 19. Dez. 2013 - L 6 SB 1436/13

published on 19/12/2013 00:00
Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 19. Dez. 2013 - L 6 SB 1436/13
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Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Januar 2013 und der Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2010 abgeändert und der Beklagte verurteilt, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich RF ab dem 23. November 2010 festzustellen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt 3/4 der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens RF (Rundfunkgebührenbefreiung bzw. -ermäßigung).
Bei dem 1954 geborenen Kläger mit langer Suchtkarriere und schwerem Motorradunfall im 17. Lebensjahr, der seit 2005 eine vorgezogene Rente wegen Erwerbsminderung in Höhe von 399,11 EUR bezieht, hatte der Beklagte mit Bescheid vom 25.11.1998 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 anerkannt. Das Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) wurde am 06.02.2002 festgestellt.
Aufgrund eines Antrages des Klägers vom 23.07.2009, auch die Merkzeichen B (Berechtigung einer ständigen Begleitung) und RF festzustellen, zog der Beklagte unter anderem einen Rehabilitationsentlassungsbericht der Rehaklinik B. (stationärer Aufenthalt vom 22.07.2008 bis 14.10.2008) bei (psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen: Abhängigkeitssyndrom, posttraumatische Belastungsstörung, Depersonalisations- und Derealisationssyndrom, alkoholische Fettleber, chronische obstruktive Lungenkrankheit nicht näher bezeichnet: FEV 1 35 % des Sollwertes). Der Versorgungsarzt Dr. E. stellte in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme unter Auswertung der beigezogenen Berichte als funktionsbeeinträchtigende Gesundheitsstörungen Alkohol- und Suchtkrankheit und Suchtkrankheit (Teil-GdB 50), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Beinverkürzung rechts nach Politrauma, Funktionsbehinderung beider Sprunggelenke, Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose), chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 40), Lungenfunktionseinschränkung, Lungenblähung (Teil-GdB 40), Gebrauchseinschränkung des rechten Armes, Gebrauchseinschränkung der rechten Hand (Teil-GdB 30) fest und bewertete den bei dem Kläger vorliegenden Gesamt-GdB mit 100. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen B und RF verneinte er. Mit Bescheid vom 01.10.2009 änderte der Beklagte den Bescheid vom 25.11.1998 ab und stellte unter Wiederholung der in der versorgungsärztlichen Stellungnahme genannten GdB-relevanten Funktionsbeeinträchtigungen den GdB bei dem Kläger mit 100 seit dem 23.07.2009 sowie (weiterhin) das Merkzeichen G fest. Die Feststellung der Merkzeichen B und RF lehnte er ab. Bezüglich des Merkzeichens RF führte er aus, bei dem Kläger liege zwar ein GdB von wenigstens 80 vor, der Besuch öffentlicher Veranstaltungen sei ihm jedoch möglich und zumutbar.
Im Rahmen des anschließend durchgeführten Widerspruchsverfahrens zog der Beklage Berichte des behandelnden HNO-Arztes Dr. L. (Tinnitus aurium) bei. In einer daraufhin eingeholten Stellungnahme der Versorgungsärztin Dr. A. schätzte diese den Teil-GdB für die Lungenfunktionseinschränkung und die Lungenblähung mit einem Teil-GdB von 50 höher als ursprünglich ein und stellte als neue GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigung Persönlichkeitsstörung, posttraumatische Belastungsstörung [PTBS] (Teil-GdB 30) sowie Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (Teil-GdB 15) fest, verneinte jedoch weiterhin das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen RF. Ausreichende Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen könne bei dem vorliegenden Leidensbild zugemutet werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.03.2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, bei dem Kläger liege weder eine Seh- noch eine Hörminderung in berechtigendem Ausmaße vor. Im Übrigen sei er nach versorgungsärztlicher Feststellung trotz der Schwere seiner Behinderungen durchaus noch in der Lage, zumindest gelegentlich öffentliche Veranstaltungen aufzusuchen.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 07.04.2010 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte mehrfach als sachverständige Zeugen befragt und sodann von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt.
In einer ersten sachverständigen Zeugenaussage hat der Allgemeinarzt Dr. L. am 19.10.2010 mitgeteilt, er behandele den Kläger seit 1996. Der Kläger leide unter einer schweren Politoxikomanie mit Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit und in diesem Rahmen unter einer Persönlichkeitsstörung mit PTBS, erheblicher Depression und zeitweise auch mit suizidaler Tendenz. Daneben bestehe eine erhebliche Lungenfunktionseinschränkung mit chronischer COPD (chronische obstruktive Lungenerkrankung) und Nikotinabusus. Es bestünden bekannte Schädigungen des gesamten Skelettsystems, insbesondere ein Zustand nach Fersenbeintrümmerfraktur beidseits, Beinverkürzung rechts, Osteoporose, Funktionsbehinderungen beider Sprunggelenke, erhebliche Funktionseinschränkung der rechten Hand und des rechten Armes und schwere COPD mit rezidivierenden Infekten. Nach den Angaben des Klägers habe dieser mehrfach versucht, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, dabei sei es jedoch aufgrund der psychischen Situation zu Angst, Luftnot und Panikzuständen gekommen. Der Tinnitus habe bei diesen Veranstaltungen zusätzlich seine Teilnahmefähigkeit beeinträchtigt. Dr. L. hat die Voraussetzungen des Merkzeichens RF bejaht.
Der Chirurg W. vom Medizinischen Versorgungszentrum des Landkreises L. hat in seiner Stellungnahme vom 29.10.2010 mitgeteilt, er behandele den Kläger seit 1996. Da er selbst an der Behandlung des Kläger nur marginal beteiligt gewesen sei, könne er zusammenfassend im Wesentlichen nur aus seinen Unterlagen zitieren. Die Funktionsbeeinträchtigungen hat er in Bezug auf die Wirbelsäule, die Beinverkürzung, beide Sprunggelenke sowie das chronische Schmerzsyndrom gesehen und ebenso wie die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes und der rechten Hand mit einem GdB von 40 bewertet. Der Kläger sei durch die Gesundheitsstörungen am Besuch öffentlicher Veranstaltungen nicht gehindert.
Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R. hat in seiner ersten sachverständigen Zeugenaussage vom 30.11.2010 mitgeteilt, der Kläger befinde sich seit dem 26.01.2004 in seiner Behandlung (letzte Behandlung 23.11.2010). Es liege eine PTBS sowie eine Opiatabhängigkeitsproblematik vor dem Hintergrund der chronischen Schmerzen vor. Aufgrund der PTBS leide der Kläger unter Ängsten und Intrusionen sowie Déja-vues und Alpträumen. Den schmerzbedingten Opiatabusus versuche er zwar einzuschränken, was aufgrund der mittlerweile vorliegenden Suchtproblematik jedoch schwierig sei. Weiterhin bestehe ein depressives Syndrom, welches aufgrund der Chronizität und der fehlenden Remission am ehesten der Dysthymia zuzuordnen sei. Daneben resultierten Ängste im Rahmen der PTBS sowie chronische Verunsicherung, Traurigkeit, Affektlabilität, Antriebsprobleme und Konzentrationsstörungen. Aufgrund der Problematik bestehend aus Ängsten vor dem Alleinsein, Überforderung und Reizüberflutung in Gruppen bereits im Wartezimmer könne der Kläger nur vierzehntägig in Begleitung kommen, sei nicht in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Auch mit einer Begleitperson sei eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht denkbar. Die Gründe hierfür seien das ausgeprägte Vermeidungsverhalten im Rahmen der PTBS und den damit assoziierten Ängsten, nun deutlich zugespitzt aufgrund der chronifizierten depressiven Entwicklung.
In einer im Anschluss vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme hat Dr. G. ausgeführt, weder die von Dr. L. und Dr. R. angegebene (Gang-) Unsicherheit noch eine Angstsymptomatik seien in einer entsprechenden Ausprägung nachvollziehbar, als dass die Voraussetzungen für die Merkzeichen B und RF bestätigt werden könnten. Es könne insoweit auf den ausreichend detaillierten Befund in dem Entlassungsbericht der Rehaklinik B. vom 07.08.2009 zurückgegriffen werden. Dem psychotherapeutischen Behandlungsverlauf lasse sich keine entsprechend ausgeprägte Angstsymptomatik oder sonstige seelische Problematik entnehmen, die es dem Kläger unmöglich mache, sich in einer Gruppe aufzuhalten. So habe der Kläger an der therapeutischen Gruppe in der Rehaklinik aktiv und aufmerksam teilgenommen. Auch die Beeinträchtigung der Wahrnehmungs- und Kommunikationsfähigkeit unter dem Einfluss starker Schmerzmittel sei anhand des Entlassungsberichtes nicht belegt. Geistig-seelische Teilnahmehindernisse würden die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich RF in der Regel ohnehin nicht erfüllen und es sei dabei unerheblich, ob der Behinderte überhaupt im Stande sei, die Darbietungen zu erfassen bzw. ihnen bis zum Ende zu folgen.
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In diesem Zusammenhang hat die Klägervertreterin darauf hingewiesen, dass sich seit dem Rehabilitationsaufenthalt in B. die gesundheitliche Situation des Klägers gravierend verschlechtert habe. Man habe zwar die psychotherapeutische Behandlung zwischenzeitlich beendet, aber nicht wegen eingetretener Heilung, sondern weil eine solche für ausgeschlossen gehalten werde und weitere Fortschritte nicht mehr zu erwarten seien. Der Kläger bedürfe jedoch weiterhin medizinischer Behandlung durch Psychopharmaka. Die vorliegenden Erkrankungen eines chronisch depressiven Syndroms, einer schweren Persönlichkeitsstörung und einer PTBS würden nicht nur zu einer Beeinträchtigung der Wahrnehmungs- und Kommunikationsfähigkeit führen, sondern mit physischen Symptomen einhergehen, so dass dem Kläger kein Aufenthalt unter fremden Personen mehr möglich sei. Bei öffentlichen Veranstaltungen, sogar beim Zusammensitzen mit fremden Personen in einem Warteraum, komme es beim Kläger zu Angst, Luftnot und Panikzuständen. Die Teilnahme an Gruppensitzungen während der Rehabilitation stehe dazu nicht im Widerspruch, da er auf die Gruppentherapie therapeutisch vorbereitet worden sei und Gelegenheit gehabt habe, die weiteren Teilnehmer und den Leitenden Therapeuten langsam in Gesprächen kennenzulernen sowie die Sicherheit, dass ärztliche Betreuung und Hilfestellung bei Problemsituationen jederzeit gewährleistet sei. Dies sei in keiner Weise mit einer Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen vergleichbar, bei welcher der Kläger mit einer größeren Anzahl ihm völlig fremder Personen außerhalb einer therapeutischen Vorbereitung, Betreuung und Begleitung konfrontiert würde.
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Zur weiteren Aufklärung bezüglich des Krankheitsverlaufes hat das SG erneut die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt.
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Der Chirurg Dr. D. (Nachfolger von Herrn W. vom Medizinischen Versorgungszentrum des Landkreises L. [Chirurgie und Unfallchirurgie]) hat mittgeteilt, der Kläger leide unter einem Zustand nach Calcaneustrümmerfraktur mit schwerster OSG-Arthrose rechts sowie einem Zustand nach komplizierter Oberarmverletzung rechts mit funktioneller Minderung der Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes. Er sei aufgrund seiner Behinderung auf die Benutzung einer Unterarmgehstütze links ständig angewiesen, da der rechte Arm durch partielle Lähmung nicht einsetzbar sei. Er sei bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge seiner Behinderung auch regelmäßig auf Hilfe angewiesen, könne jedoch an öffentlichen Veranstaltungen noch teilnehmen.
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Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R. hat am 21.12.2011 angegeben, leider hätten sich keine Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers ergeben. Bezüglich der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen verbleibe es bei der Aussage vom November 2010.
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Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. L. hat am 15.11.2011 mitgeteilt, es sei aus seiner Sicht keine Verbesserung eingetreten. Der Kläger könne weiterhin nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, da es zu erheblichen Angstzuständen in diesen Situationen komme.
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Gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. G. hat der Beklagte am 12.03.2012 ein Vergleichsangebot dahingehend abgegeben, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens B ab Oktober 2010 erfüllt seien. Dieses Vergleichsangebot hat der Kläger nicht angenommen.
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Sodann hat das Gericht den Kläger durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. von Amts wegen untersuchen und begutachten lassen. Im Rahmen der Untersuchung vom 30.07.2012 hat der Kläger gegenüber dem Gutachter angegeben, seine Suchtkarrieren vom 16. bis 47. Lebensjahr seit 11 Jahren beendet zu haben, seitdem sei er clean. Seine wesentliche soziale Anbindung bestehe in den Kontakten zur Institution „Drehscheibe“ (Einrichtung der Drogenhilfe des Baden-Württembergischen Landesverbandes für Prävention und Rehabilitation gGmbH mit Drogenberatung und Kontaktcafé) und den daraus resultierten Bekanntschaften, wobei es sich nicht um intensive Beziehungen handele. Er sei nur kurz verheiratet gewesen, jetzt aber geschieden. Er lebe allein und müsse niemanden betreuen. Er habe Schmerzen im Bereich von Armen und Beinen nach seinen Verletzungen. Er könne sich nur schlE.end vorwärts bewegen. Außerdem habe sich in letzter Zeit die COPD sehr verschlechtert und er benötige ein mobiles Sauerstoffgerät. Von seelischer Seite komme es immer wieder zu Angstattacken. Er sei in der Stimmung immer etwas herabgestimmt, schlafe schlecht und neige zu SchW.ausbrüchen. Bei längeren Filmen im Fernsehen müsse er wegen seiner Beschwerden häufig aufstehen, sich bewegen und die Toilette aufsuchen. An Medikamenten gab er an, Tilidin in der Retardform zu nehmen, außerdem mehrere Medikamente als Spray im Rahmen der COPD und im Bedarfsfall Diazepam. Zusätzlich nehme er Amitriptylin. Zu der Untersuchung ist der Kläger von der Sozialpädagogin Frau B. von der Drogenberatungsstelle „Drehscheibe“ begleitet worden. Diese hat während der Untersuchung fremdanamnestisch angegeben, der Kläger könne nur in Begleitung außer Haus gehen, da er starke Kontaktängste habe. Der Kläger lebe völlig zurückgezogen. Dies gelte auch für das Landratsamt, wo er und von sich aus auf die Grundsicherung verzichtet habe, da er die damit verbundene ständige Notwendigkeit des persönlichen Erscheinens nicht wolle. Zum psychiatrischen Befund hat Dr. H. ausgeführt, der Kläger könne sich nicht im Wartezimmer aufhalten, sondern müsse in einen Nebenraum gesetzt werden. Er wirke dabei blass, schwitzig und deutlich ängstlich. Die Untersuchung habe sich dann schwierig gestaltet. Der Kläger sei sehr konzentrationsgestört gewesen und habe teilweise dem Verlauf der Unterhaltung nicht folgen können. Die Angaben seien an sich sonst stimmig und es fänden sich keine umschriebenen formalen oder inhaltlichen Denkstörungen. Der Kläger sei bewusstseinsklar und orientiert, jedoch rasch irritierbar und emotional kaum schwingungsfähig. Während der Untersuchung sei es zu einem starken Konzentrationsabfall ohne umschriebene kognitive Defizite gekommen. Zusammenfassend hat Dr. H. ausgeführt, bei dem Kläger handele es sich um einen komplexen Erkrankungsfall mit einer über vierzigjährigen Drogenanamnese, schwierigen sozialen Bedingungen und einer zusätzlich überlagernden ängstlich depressiven Symptomatik. Er könne die Ansicht der behandelnden Nervenärzte bestätigen, dass der Kläger nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Ausdrücklich schließe dies nicht aus, dass in sehr seltenen Ausnahmefällen auch einmal der Kläger außerhalb seiner vier Wände sein könne. Es gehe darum, dass er allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit an solchen öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Neben seiner vorgebrachten Ängste und der psychisch bedingten Unruhe sei auch relevant, dass er ständig Bewegung brauche, da er mit seinen multiplen Schmerzen aufgrund seiner Verletzungsfolgen nicht in der Lage sei, in einer konstanten Körperhaltung länger zu verweilen. Außerdem gebe er häufigen Harndrang an, der noch dazukomme. Diagnostiziert hat Dr. H. bei dem Kläger eine hirnorganisch bedingte generalisierte Angststörung auf dem Boden einer langjährigen Drogenanamnese. Von körperlicher Seite kämen eine Belastungseinschränkung des rechten Beines und eine komplexe Nervenschädigung des rechten Armes nach Unfall mit weitgehender Gebrauchsunfähigkeit des rechten Armes hinzu.
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In einer vom Beklagten daraufhin vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme hat der Versorgungsarzt Dr. H. ausgeführt, zwar könnten die Voraussetzungen für das Merkzeichen B festgestellt werden, die Kriterien für das Merkzeichen RF erfülle der Kläger jedoch nicht. Er sei weder hochgradig sehgemindert noch hochgradig schwerhörig, auch eine schwere Herzleistungs- oder Lungenfunktionsstörung sei nicht erkennbar. Bei chronischer obstruktiver Bronchitis werde nunmehr ein mobiles Sauerstoffgerät benutzt. In der letzten bekannten Lungenfunktionsprüfung aus dem Jahr 2008 habe die Vitalkapazität 73 % der Norm und die Einsekundenausatemkapazität 48 % der Norm betragen. Eine Partialinsuffizienz oder Globalinsuffizienz hätten nicht vorgelegen und von daher würden die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF nicht erfüllt. Es lägen auch keine Entstellungen oder Geruchsbelästigungen oder hirnorganische Anfälle oder eine ansteckungsfähige Krankheit vor. Aufgrund der körperlichen Behinderungen sollte der Kläger in der Lage sein, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Bei geistig oder seelisch behinderten Menschen seien die Voraussetzungen des Merkzeichens RF nur dann erfüllt, wenn bei ihnen befürchtet werden müsse, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören würden. Dieser Sachverhalt sei nicht erfüllt. Zudem sei es dem Kläger möglich gewesen, zur fachärztlichen Begutachtung zu erscheinen und bestehe ein regelmäßiger Kontakt zur Institution „Drehscheibe“. Fremdanamnestisch werde auch berichtet, dass der Kläger das Haus in Begleitung verlasse.
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Der Beklagte hat am 05.12.2012 ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens B ab Oktober 2010 erfüllt seien. Dieses Teilanerkenntnis wurde vom Kläger angenommen, die Klage jedoch bezüglich des Merkzeichens RF aufrecht erhalten. Die Klägervertreterin hat in der mündlichen Verhandlung vom 15.01.2013 eine Bescheinigung zum Betreuungsverlauf durch die Sozialpädagogin Frau B. von der Drogenhilfe „Drehscheibe“ sowie ein ärztliches Attest des Urologen Dr. W. über eine nur begrenzt behandelbare Drangblasensymptomatik vorgelegt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Klägerbevollmächtigte weiterhin mitgeteilt, dass der Kläger seit Anfang 2010 keine Grundsicherung mehr beziehe und durch seine Erwerbsminderungsrente und eine kleine Heimarbeit seinen Lebensunterhalt finanziere.
19 
Mit Urteil vom 15.01.2013 hat das SG die Klage abgewiesen, aber dem Beklagten 1/3 der außergerichtlichen Kosten auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Rechtsschutzbedürfnis für die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung des Merkzeichens RF könne allenfalls bis 31.01.2010 wegen des Bezuges von Grundsicherungsleistungen verneint werden. Für die Zeit ab dem 01.02.2010 habe der Kläger aber auch keinen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens RF. Das Gericht habe sich nicht davon überzeugen können, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens RF erfülle. Unstreitig sei der Kläger erheblich behindert und infolge seiner Behinderungen sei die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen auch erheblich erschwert, aber nicht allgemein und umfassend von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Im Vordergrund stehe eine hirnorganisch bedingte Angststörung auf dem Boden einer langjährigen Drogenanamnese. Soweit ein Depersonalisationssyndrom und eine Derealisationssyndrom geltend gemacht werde, könnten diese das Merkzeichen nicht begründen, da es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hierfür nicht auf den Grad der geistigen Aufnahmefähigkeit ankomme. Die körperlichen Beschwerden seien ausweislich der Aussagen der Chirurgen W. und Dr. D. nicht so ausgeprägt, als dass der Besuch von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei. Der Kläger könne auch nicht einwenden, dass die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen durchgehend stillsitzen oder stillstehen über mehr als 30 Minuten erfordere, was ihm aufgrund seiner Bewegungseinschränkungen, des chronischen Schmerzsyndroms und wegen der von Dr. W. attestierten Drangblasensymptomatik nicht möglich sei. Denn es verbleibe insoweit ein nennenswerter Bereich öffentlicher Veranstaltungen, bei denen die Teilnehmer auch aufstehen und herumgehen könnten. Gleiches gelte für die Schwerhörigkeit und den attestierten Tinnitus, welche es nach dem Vortrag des Klägers diesem teilweise unmöglich machten, einem Vortrag, Konzert oder ähnlichem zu folgen. Denn er gehöre nicht zu den hörgeschädigten Menschen, die gehörlos seien oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich sei und die bereits deshalb die Voraussetzungen des Merkzeichens RF erfüllten. Auch die angeführten Angstzustände bzw. die Angsterkrankung könnten nicht die Überzeugung begründen, dass der Kläger allgemein und umfassend von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei. Dr. R. habe in seinen beiden Aussagen ausgeführt, dass der Kläger wegen Ängsten vor dem Alleinsein und Überforderung und Reizüberflutungen in Gruppen bereits im Wartezimmer nicht in der Lage sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Dies könne jedoch nicht überzeugen, da der Kläger selbst in seiner Klagebegründung als Grund für die fehlende Möglichkeit der Teilnahme nicht etwa die Ängste, sondern eine komplexe PTBS, die mit Depersonalisationsyndromen, also Entfremdungserlebnissen, einhergehe, angegeben habe. Er empfinde sich losgelöst von seinen Gefühlen und seinem Körper. Es sei daher nicht nachvollziehbar, wie in diesem Falle zugleich eine Angststörung eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen unmöglich machen sollte. Die Angsterkrankung habe der Kläger bezeichnenderweise erst nach Vorliegen der Aussagen von Dr. L. und Dr. R. in einer ergänzenden Klagebegründung geltend gemacht. Auch die Ausführungen von Dr. H. könnten nicht überzeugen. Der Kläger selbst habe angegeben, dass er an den seltenen Tagen mit keinen oder nur geringen Beschwerden mit einer Begleitperson an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne, dass dies jedoch durch seine psychische Erkrankung, die Ohrgeräusche und starke Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und des rechten Beines überwiegend nicht der Fall sei. Er verlasse phasenweise das Haus nicht und nehme Arzttermine in Begleitung wahr. Dies alles lasse jedoch den Rückschluss zu, dass es dem Kläger jedenfalls phasenweise möglich sei, tatsächlich das Haus zu verlassen - wenn auch in Begleitung -, und es ihm möglich sei, bestimmte öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Bei Würdigung dieser Angaben des Klägers könne sich das Gericht auch in Zusammenschau mit dem Gutachten und den Zeugenaussagen nicht davon überzeugen, dass der Kläger in dem von der Rechtsprechung geforderten Maße faktisch an das Haus gebunden sei. Auch der Stellungnahme der Sozialpädagogin Frau B. lasse sich entnehmen, dass der Kläger, wenn auch unregelmäßig, das Kontaktcafé besuche, was zeige, dass er eben nicht faktisch an das Haus gebunden sei.
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Gegen das am 20.02.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.03.2013 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, das Gericht habe die Verschlechterung der gesundheitlichen Lage und die Zunahme und Vertiefung der Funktionsbeeinträchtigungen in dem Zeitraum zwischen Antragstellung und gerichtlicher Entscheidung nicht berücksichtigt, sondern dem klageabweisenden Urteil teilweise durch neue medizinische Befunde inzwischen überholte ärztliche Einschätzungen aus früheren Jahren zugrunde gelegt. Man habe seine konkrete Situation nicht berücksichtigt. Übersehen habe man auch, dass die Funktionsbeeinträchtigungen auf körperlichem Gebiet ein „gelegentliches Herumgehen“ kaum zuließen. Er sei auf die Nutzung von Unterarmgehstützen sowie auf ein Sauerstoffgerät angewiesen. Eine Fortbewegung außerhalb seiner Wohnung ohne Hilfsperson sei nahezu unmöglich und selbst mit Hilfe Dritter noch äußerst beschwerlich, zudem er angesichts seiner Drangblasensymptomatik teilweise mehrmals in der Stunde die Toilette aufsuchen müsse. Bereits der Gedanke daran, bei öffentlichen Veranstaltungen gegenüber einer Vielzahl ihm unbekannter Personen in der beschriebenen Fortbewegungsweise aufzufallen und dort in eine hilflose oder völlig überfordernde Lage zu geraten, würde bei ihm starke Angstgefühle und Panik auslösen, so dass er nicht imstande sei, angesichts dieser Vorstellung sich überhaupt noch zu einer öffentlichen Veranstaltung zu begeben.
21 
Der Kläger beantragt,
22 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Januar 2013 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 1. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2010 zu verurteilen, bei ihm ab dem 1. Februar 2010 die Voraussetzungen für das Merkzeichen „RF“ festzustellen.
23 
Der Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuwiesen.
25 
Der Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
26 
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat am 06.12.2013 mitgeteilt, die gesundheitliche Situation des Klägers habe sich weiter verschlechtert, da er nun auf ein größeres Sauerstoffgerät angewiesen sei. Sie hat einen vorläufigen Ambulanzbericht der Pneumologischen Ambulanz der Universitätsklinik F. vom 29.11.2013 vorgelegt, wo der Kläger sich am 07.11.2013 und 21.11.2013 vorgestellt hat (COPD Stadium IV, Barrett Ösophagus, Z.n. Soorösophagitis, Polytoxikomanie, Z.n. multiplen Operationen bei diversen Traumata, Z.n. ChE). Ausweislich des Berichts hat der Kläger bei einer am 07.11.2012 durchgeführten Ganzkörperplethysmografie unter anderem einen Lungenfunktionswert FEV 1 von 0,78 l (21% des Sollwerts) erreicht.
27 
In einer hierauf vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme hat Dr. W. unter anderem ausgeführt, dass der Kläger trotz deutlicher Lungenfunktionseinschränkung im 6-Minuten-Gehtest immerhin noch 454 m habe gehen können. Die Lungenfunktionsstörung sei daher nicht so ausgeprägt, dass man in Zusammenschau mit den übrigen Gesundheitsstörungen davon ausgehen müsse, dass ein Besuch öffentlicher Veranstaltungen zumutbar unmöglich sei. Der Kläger sei auch mit einem leicht auffüllbaren transportablen Tank für unterwegs ausgestattet. Zur Harndrangsymptomatik sei zu sagen, dass es dem Kläger für den Besuch öffentlicher Veranstaltungen zumutbar sei, Windelhosen zu tragen.
28 
Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
29 
Die Berufung ist gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie wurde nach § 151 Abs. 1 SGG auch form- und fristgemäß erhoben. Ausweislich des Fax-Empfangsvermerks des Sozialgerichts Freiburg ging der Berufungsschriftsatz dort am 20.03.2013, also fristgemäß ein.
30 
Nachdem der Rechtsstreit durch ein angenommenes Teilanerkenntnis bezüglich des Merkzeichens B erledigt wurde, ist streitbefangen allein die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens RF ab dem 01.02.2010. Im Übrigen wurde die erstinstanzliche Entscheidung nicht angefochten.
31 
Die Berufung ist auch insoweit begründet, als dem Kläger ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF ab dem 23.11.2010 zusteht. Insoweit waren das klageabweisende Urteil des SG und die Bescheide des Beklagten abzuändern, da der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird. Im Übrigen ist die Berufung jedoch unbegründet. Zu einem früheren Zeitpunkt steht die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens nicht zu.
32 
Die Feststellung von Merkzeichen richtet sich nach den Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX). Unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF besteht, ist in § 69 Abs. 5 SGB IX geregelt, wonach auf Antrag des behinderten Menschen die zuständigen Behörden aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale ausstellen.
33 
Unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF besteht, ist in § 69 Abs. 5 SGB IX i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweis-Verordnung (SchwbAwV) landesrechtlich und daher in Baden-Württemberg für die Zeit bis 31.12.2012 in § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags (RGebStV) vom 15.10.2004 geregelt, der ab dem 01.04.2005 in der Fassung des Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. S. 189) und seit dem 01.01.2009 in der Fassung des Zwölften Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 18.12.2008 (GBl. 2009, S. 131) gilt. Für die Zeit ab dem 01.01.2013 regelt dies nunmehr der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15. bis 21.12.2010, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl S. 477 ff.) zum 01.01.2013 in Kraft gesetzt worden ist. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge auf ein Drittel ermäßigt. Die medizinischen Voraussetzungen haben sich im Vergleich zu den nach § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 RGebStV geltenden Voraussetzungen jedoch nicht geändert. So besteht nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 RBStV (früher § 6 Abs. 1 Nr. 7a RGebStV) ein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens RF für blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von (wenigstens) 60 allein wegen der Sehbehinderung, nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 RBStV (früher § 6 Abs. 1 Nr. 7b RGebStV) für hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist und nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 RBStV (früher § 6 Abs. 1 Nr. 8 RGebStV) für behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
34 
Zur Überzeugung des Senates sind bei dem Kläger die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 RBStV erfüllt. Unstreitig liegt ihm zunächst nicht nur ein GdB von 80, sondern wie mit Bescheid vom 01.10.2009 festgestellt, ein GdB von 100 vor. Er kann auch wegen seines Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen.
35 
Der Kläger leidet unter einer hirnorganisch bedingten generalisierten Angststörung auf dem Boden einer langjährigen Drogenanamnese sowie einer zusätzlich überlagernden ängstlich depressiven Symptomatik. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. H. und der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. R.. Übereinstimmend haben beide Ärzte mitgeteilt, dass der Kläger nicht in der Lage ist, während er auf die Untersuchung wartet, im normalen Wartezimmer mit den anderen Patienten Platz zu nehmen. Dr. H. hat hierzu ausgeführt, der Kläger habe dabei blass, schwitzig und deutlich ängstlich gewirkt. Dr. H. hat in Bezug auf die Untersuchung, welche sich nach seinen Angaben sehr schwierig gestaltet hat, mitgeteilt, der Kläger sei sehr konzentrationsgestört und könne teilweise dem Verlauf der Unterhaltung nicht folgen. Er sei sehr rasch irritierbar und emotional kaum schwingungsfähig. Ebenso hat Dr. R. mitgeteilt, dass der Kläger aufgrund seiner Ängste schnell überfordert und reizüberflutet sei, was zu dem von Dr. H. erhobenen Befund passt. Soweit die Beratungsärzte des Beklagten das Vorliegen einer Angsterkrankung nicht als nachgewiesen angesehen haben, so ist dem entgegen zu halten, dass die beiden Fachärzte, welche den Kläger in der persönlichen Situation untersucht und begutachtet haben, eine solche Angstsymptomatik diagnostiziert haben. Der Senat misst hier dem Eindruck aufgrund der persönlichen Untersuchung einen höheren Wert bei, als demjenigen, welcher allein auf die Aktenlage gestützt ist. Ebenso wie Dr. H. hat auch Dr. R. bei dem Kläger eine chronische Verunsicherung, Traurigkeit, Affektlabilität, Antriebsprobleme und Konzentrationsstörungen festgestellt. Soweit das SG in der Entscheidung sich nicht davon überzeugen konnte, dass eine solche Angstsymptomatik vorliegt, sondern dem Kläger vorhält, er habe anfangs angegeben, er leide unter einem Depersonalisations- und Derealisationssyndrom, so vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Die Entscheidung über das vorliegende Leiden ist nicht auf die laienhafte Auffassung des Klägers zu gründen, sondern das Gericht hat sich zur Aufklärung des Sachverhaltes des medizinischen Sachverstandes der behandelnden Ärzte oder Gutachter zu bedienen. Soweit die Beratungsärzte des Beklagten Bezug nehmen auf den Rehabilitationsentlassungsbericht der Klinik B. vom 07.08.2009, wo der Kläger sich in der Zeit von Juli 2008 bis Oktober 2008 aufgehalten hat, hat sich die psychische Situation des Klägers seither geändert. Dies ist eindeutig dem Gutachten von Dr. H. zu entnehmen. Hatte der Kläger damals noch eine Partnerschaft, so ist diese mittlerweile gescheitert und er von seiner Ehefrau geschieden. Der Kläger hatte damals auch eine Ausbildung als Suchthelfer absolviert und auf 400-EUR-Basis beim Caritasverband L. gearbeitet (siehe Rehabilitationsentlassungsbericht Seite 4). Mittlerweile hat sich auch ausweislich des Berichtes des Dr. R. durch das Vorliegen der überlagernden depressiven Symptomatik die Angstsymptomatik deutlich zugespitzt, so dass eine Änderung in der psychischen Situation des Klägers für den Senat nachvollziehbar ist (siehe sachverständige Zeugenaussage Dr. R. vom 30.11.2010 zur Frage 9).
36 
Mit diesem psychischen Leiden, welches nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes auch geeignet ist, die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF zu erfüllen (BSG, Urteil vom 16.02.2012 - B 9 SB 2/11 R, SozR 4-3250, § 69 Nr. 4 und ihm folgend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.10.2012 - L 13 SB 56/12), ist der Kläger nicht in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
37 
Generell gilt, dass der Betroffene wegen seiner Leiden allgemein und umfassend von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sein muss, welche in diesem Sinne Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wirtschaftlicher, sportlicher, kirchlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art sein können (BSG, Urteil vom 11.09.1991 - 9 a/9 RVS 15/98). Eine Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist dann unmöglich, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann (BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91).
38 
Der Kläger kann aufgrund des bei ihm bestehenden psychischen Leidens allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit der öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen und ist damit faktisch von der Teilnahme ausgeschlossen. Der Senat stützt sich auf die Einschätzung des Gutachters Dr. H. und des behandelnden Facharztes Dr. R.. Beide sind aufgrund einer persönlichen Untersuchung und Begutachtung zu dem Schluss gekommen, dass es dem Kläger aufgrund seiner Angst und depressiven Symptomatik nicht möglich ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Dem Kläger ist es noch nicht einmal möglich, im Wartezimmer des behandelnden Arztes zu sitzen. Er muss in einem separaten Wartezimmer untergebracht werden. Das geht so weit, dass er sogar auf Grundsicherungsleistungen verzichtet hat, weil er den Gang zum Amt nicht machen kann und ihm das persönliche Erscheinen unmöglich ist. Er hat im Rahmen der Begutachtung auch keine sozialen Kontakte angegeben, was von seiner Betreuerin, der Sozialarbeiterin Frau B., bestätigt wird. Soweit der Kläger noch zum Arzt geht, ergibt sich daraus nichts anderes, denn der Arztbesuch ist keine öffentliche Veranstaltung und mit dieser nicht vergleichbar. Die Arzt-Patienten-Beziehung findet in einem geschützten und langjährig bekannten Raum statt, wie dies die dem Kläger behandelnde Ärzte bestätigt haben und basiert auf einem Vertrauensverhältnis zwischen Therapeuten und Patienten, in dem auf die Bedürfnisse des Klägers eingegangen werden kann, was für den Kläger im Rahmen seiner Angsterkrankung sehr wichtig ist. Nicht einmal in dieser behüteten Situation ist es dem Kläger möglich, sich mit anderen, ihm fremden Menschen im Wartezimmer zu konfrontieren. Nach Ansicht des Senates steht der Annahme der Voraussetzungen des Merkzeichens RF auch nicht entgegen, dass der Kläger ausweislich des Berichtes von Dr. R. nach Beendigung der einzeltherapeutischen Psychotherapie erwägt hat, eine Gruppentherapie zu machen. Hier gilt das für die Arzt-Patienten-Beziehung Gesagte. Eine Gruppentherapie stellt keine öffentliche Veranstaltung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dar. Ähnlich verhält es sich nach Überzeugung des Senats mit der unregelmäßigen Teilnahme des Klägers am Kontaktcafé der Drogenberatungsstelle „Drehscheibe“. Zum einen stellt dies nur einen ganz unwesentlichen Teil an Veranstaltungen dar und zum anderen handelt es sich hier wieder um eine behütete Beziehung in einem festen und für den Kläger berechenbaren Rahmen. So hat die Sozialpädagogin Frau B. ausgeführt, dass er dort den Kontakt mit den Mitarbeitern sucht und auch Beratungsgespräche wahrnimmt. Eine Kontaktaufnahme mit dort anwesenden Fremden findet nicht statt. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass es dem Kläger nicht mehr möglich ist, an öffentlichen Veranstaltungen in einem Mindestmaß allein wegen seines psychischen Leidens teilzunehmen. Der Kläger erfüllt damit die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens RF. Daher kann offenbleiben, ob im Fall des Klägers in der Zusammenschau aller Gesundheitsstörungen nicht ohnehin ausnahmsweise diese Voraussetzungen vorliegen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.01.2013 - L 3 SB 3862/12).
39 
Allerdings sind die Voraussetzungen nicht bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung im Juli 2009 nachgewiesen. Wie bereits oben dargestellt, ist der Senat davon überzeugt, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers nach Entlassung aus der Rehabilitationsmaßnahme im Oktober 2008 verschlechtert hat. 2008 war dem Kläger eine Tätigkeit als Suchthelfer und eine Partnerschaft noch möglich. Der behandelnde Arzt Dr. R. hat auch darauf hingewiesen, dass sich gerade durch die Veränderung in der Depression die Situation zugespitzt hat. In seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 30.11.2010 hat Dr. R. den 23.11.2010 als letztes Untersuchungsdatum genannt und darauf hingewiesen, dass sich das ausgeprägte Vermeidungsverhalten im Rahmen der posttraumatischen Belastungsstörung und den damit assoziierten Ängsten aufgrund der sich chronifizierten depressiven Entwicklung deutlich zugespitzt hat. Der Senat geht daher davon aus, dass im Rahmen der Verschlechterung nach 2008 die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF am 23.11.2010 nachgewiesen sind und der Kläger ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF erfüllt. Zu einem früheren Datum ist der Nachweis dieser Voraussetzungen nicht erfolgt. Aus den im Verwaltungsverfahren beigezogenen Befundberichten ergibt sich eine solche massive Angstsymptomatik nicht. Im Berufungsverfahren war die Zuerkennung ohnehin erst ab dem 1. Februar 2010 beantragt.
40 
Das klageabweisende Urteil war daher insoweit abzuändern, als es die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF auch ab dem 23.11.2010 verneint. Im Übrigen ist die Entscheidung nicht zu beanstanden.
41 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Es ist in der Regel billig, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt. Bei teilweisem Erfolg wird eine Quotelung angemessen sein (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 10. Aufl., § 193 Rz. 12a). Der Kläger konnte insgesamt mit dem Schwerpunkt seiner Berufung durchdringen, wenn auch nicht für den gesamten beantragten Zeitraum. Der Beklagte hat zunächst die Voraussetzungen zu Recht verneint, dann aber auf eine eingetretene Änderung nicht adäquat reagiert. Es ist daher billig, dass der Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers nicht ganz, sondern nur zu drei Vierteln zu tragen hat.
42 
Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Grund des § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.

Gründe

 
29 
Die Berufung ist gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie wurde nach § 151 Abs. 1 SGG auch form- und fristgemäß erhoben. Ausweislich des Fax-Empfangsvermerks des Sozialgerichts Freiburg ging der Berufungsschriftsatz dort am 20.03.2013, also fristgemäß ein.
30 
Nachdem der Rechtsstreit durch ein angenommenes Teilanerkenntnis bezüglich des Merkzeichens B erledigt wurde, ist streitbefangen allein die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens RF ab dem 01.02.2010. Im Übrigen wurde die erstinstanzliche Entscheidung nicht angefochten.
31 
Die Berufung ist auch insoweit begründet, als dem Kläger ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF ab dem 23.11.2010 zusteht. Insoweit waren das klageabweisende Urteil des SG und die Bescheide des Beklagten abzuändern, da der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird. Im Übrigen ist die Berufung jedoch unbegründet. Zu einem früheren Zeitpunkt steht die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens nicht zu.
32 
Die Feststellung von Merkzeichen richtet sich nach den Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX). Unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF besteht, ist in § 69 Abs. 5 SGB IX geregelt, wonach auf Antrag des behinderten Menschen die zuständigen Behörden aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale ausstellen.
33 
Unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF besteht, ist in § 69 Abs. 5 SGB IX i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweis-Verordnung (SchwbAwV) landesrechtlich und daher in Baden-Württemberg für die Zeit bis 31.12.2012 in § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags (RGebStV) vom 15.10.2004 geregelt, der ab dem 01.04.2005 in der Fassung des Gesetzes vom 17.03.2005 (GBl. S. 189) und seit dem 01.01.2009 in der Fassung des Zwölften Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 18.12.2008 (GBl. 2009, S. 131) gilt. Für die Zeit ab dem 01.01.2013 regelt dies nunmehr der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15. bis 21.12.2010, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl S. 477 ff.) zum 01.01.2013 in Kraft gesetzt worden ist. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge auf ein Drittel ermäßigt. Die medizinischen Voraussetzungen haben sich im Vergleich zu den nach § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 RGebStV geltenden Voraussetzungen jedoch nicht geändert. So besteht nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 RBStV (früher § 6 Abs. 1 Nr. 7a RGebStV) ein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens RF für blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von (wenigstens) 60 allein wegen der Sehbehinderung, nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 RBStV (früher § 6 Abs. 1 Nr. 7b RGebStV) für hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist und nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 RBStV (früher § 6 Abs. 1 Nr. 8 RGebStV) für behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
34 
Zur Überzeugung des Senates sind bei dem Kläger die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 RBStV erfüllt. Unstreitig liegt ihm zunächst nicht nur ein GdB von 80, sondern wie mit Bescheid vom 01.10.2009 festgestellt, ein GdB von 100 vor. Er kann auch wegen seines Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen.
35 
Der Kläger leidet unter einer hirnorganisch bedingten generalisierten Angststörung auf dem Boden einer langjährigen Drogenanamnese sowie einer zusätzlich überlagernden ängstlich depressiven Symptomatik. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. H. und der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. R.. Übereinstimmend haben beide Ärzte mitgeteilt, dass der Kläger nicht in der Lage ist, während er auf die Untersuchung wartet, im normalen Wartezimmer mit den anderen Patienten Platz zu nehmen. Dr. H. hat hierzu ausgeführt, der Kläger habe dabei blass, schwitzig und deutlich ängstlich gewirkt. Dr. H. hat in Bezug auf die Untersuchung, welche sich nach seinen Angaben sehr schwierig gestaltet hat, mitgeteilt, der Kläger sei sehr konzentrationsgestört und könne teilweise dem Verlauf der Unterhaltung nicht folgen. Er sei sehr rasch irritierbar und emotional kaum schwingungsfähig. Ebenso hat Dr. R. mitgeteilt, dass der Kläger aufgrund seiner Ängste schnell überfordert und reizüberflutet sei, was zu dem von Dr. H. erhobenen Befund passt. Soweit die Beratungsärzte des Beklagten das Vorliegen einer Angsterkrankung nicht als nachgewiesen angesehen haben, so ist dem entgegen zu halten, dass die beiden Fachärzte, welche den Kläger in der persönlichen Situation untersucht und begutachtet haben, eine solche Angstsymptomatik diagnostiziert haben. Der Senat misst hier dem Eindruck aufgrund der persönlichen Untersuchung einen höheren Wert bei, als demjenigen, welcher allein auf die Aktenlage gestützt ist. Ebenso wie Dr. H. hat auch Dr. R. bei dem Kläger eine chronische Verunsicherung, Traurigkeit, Affektlabilität, Antriebsprobleme und Konzentrationsstörungen festgestellt. Soweit das SG in der Entscheidung sich nicht davon überzeugen konnte, dass eine solche Angstsymptomatik vorliegt, sondern dem Kläger vorhält, er habe anfangs angegeben, er leide unter einem Depersonalisations- und Derealisationssyndrom, so vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Die Entscheidung über das vorliegende Leiden ist nicht auf die laienhafte Auffassung des Klägers zu gründen, sondern das Gericht hat sich zur Aufklärung des Sachverhaltes des medizinischen Sachverstandes der behandelnden Ärzte oder Gutachter zu bedienen. Soweit die Beratungsärzte des Beklagten Bezug nehmen auf den Rehabilitationsentlassungsbericht der Klinik B. vom 07.08.2009, wo der Kläger sich in der Zeit von Juli 2008 bis Oktober 2008 aufgehalten hat, hat sich die psychische Situation des Klägers seither geändert. Dies ist eindeutig dem Gutachten von Dr. H. zu entnehmen. Hatte der Kläger damals noch eine Partnerschaft, so ist diese mittlerweile gescheitert und er von seiner Ehefrau geschieden. Der Kläger hatte damals auch eine Ausbildung als Suchthelfer absolviert und auf 400-EUR-Basis beim Caritasverband L. gearbeitet (siehe Rehabilitationsentlassungsbericht Seite 4). Mittlerweile hat sich auch ausweislich des Berichtes des Dr. R. durch das Vorliegen der überlagernden depressiven Symptomatik die Angstsymptomatik deutlich zugespitzt, so dass eine Änderung in der psychischen Situation des Klägers für den Senat nachvollziehbar ist (siehe sachverständige Zeugenaussage Dr. R. vom 30.11.2010 zur Frage 9).
36 
Mit diesem psychischen Leiden, welches nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes auch geeignet ist, die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF zu erfüllen (BSG, Urteil vom 16.02.2012 - B 9 SB 2/11 R, SozR 4-3250, § 69 Nr. 4 und ihm folgend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.10.2012 - L 13 SB 56/12), ist der Kläger nicht in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
37 
Generell gilt, dass der Betroffene wegen seiner Leiden allgemein und umfassend von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sein muss, welche in diesem Sinne Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wirtschaftlicher, sportlicher, kirchlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art sein können (BSG, Urteil vom 11.09.1991 - 9 a/9 RVS 15/98). Eine Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist dann unmöglich, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann (BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91).
38 
Der Kläger kann aufgrund des bei ihm bestehenden psychischen Leidens allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit der öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen und ist damit faktisch von der Teilnahme ausgeschlossen. Der Senat stützt sich auf die Einschätzung des Gutachters Dr. H. und des behandelnden Facharztes Dr. R.. Beide sind aufgrund einer persönlichen Untersuchung und Begutachtung zu dem Schluss gekommen, dass es dem Kläger aufgrund seiner Angst und depressiven Symptomatik nicht möglich ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Dem Kläger ist es noch nicht einmal möglich, im Wartezimmer des behandelnden Arztes zu sitzen. Er muss in einem separaten Wartezimmer untergebracht werden. Das geht so weit, dass er sogar auf Grundsicherungsleistungen verzichtet hat, weil er den Gang zum Amt nicht machen kann und ihm das persönliche Erscheinen unmöglich ist. Er hat im Rahmen der Begutachtung auch keine sozialen Kontakte angegeben, was von seiner Betreuerin, der Sozialarbeiterin Frau B., bestätigt wird. Soweit der Kläger noch zum Arzt geht, ergibt sich daraus nichts anderes, denn der Arztbesuch ist keine öffentliche Veranstaltung und mit dieser nicht vergleichbar. Die Arzt-Patienten-Beziehung findet in einem geschützten und langjährig bekannten Raum statt, wie dies die dem Kläger behandelnde Ärzte bestätigt haben und basiert auf einem Vertrauensverhältnis zwischen Therapeuten und Patienten, in dem auf die Bedürfnisse des Klägers eingegangen werden kann, was für den Kläger im Rahmen seiner Angsterkrankung sehr wichtig ist. Nicht einmal in dieser behüteten Situation ist es dem Kläger möglich, sich mit anderen, ihm fremden Menschen im Wartezimmer zu konfrontieren. Nach Ansicht des Senates steht der Annahme der Voraussetzungen des Merkzeichens RF auch nicht entgegen, dass der Kläger ausweislich des Berichtes von Dr. R. nach Beendigung der einzeltherapeutischen Psychotherapie erwägt hat, eine Gruppentherapie zu machen. Hier gilt das für die Arzt-Patienten-Beziehung Gesagte. Eine Gruppentherapie stellt keine öffentliche Veranstaltung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dar. Ähnlich verhält es sich nach Überzeugung des Senats mit der unregelmäßigen Teilnahme des Klägers am Kontaktcafé der Drogenberatungsstelle „Drehscheibe“. Zum einen stellt dies nur einen ganz unwesentlichen Teil an Veranstaltungen dar und zum anderen handelt es sich hier wieder um eine behütete Beziehung in einem festen und für den Kläger berechenbaren Rahmen. So hat die Sozialpädagogin Frau B. ausgeführt, dass er dort den Kontakt mit den Mitarbeitern sucht und auch Beratungsgespräche wahrnimmt. Eine Kontaktaufnahme mit dort anwesenden Fremden findet nicht statt. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass es dem Kläger nicht mehr möglich ist, an öffentlichen Veranstaltungen in einem Mindestmaß allein wegen seines psychischen Leidens teilzunehmen. Der Kläger erfüllt damit die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens RF. Daher kann offenbleiben, ob im Fall des Klägers in der Zusammenschau aller Gesundheitsstörungen nicht ohnehin ausnahmsweise diese Voraussetzungen vorliegen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.01.2013 - L 3 SB 3862/12).
39 
Allerdings sind die Voraussetzungen nicht bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung im Juli 2009 nachgewiesen. Wie bereits oben dargestellt, ist der Senat davon überzeugt, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers nach Entlassung aus der Rehabilitationsmaßnahme im Oktober 2008 verschlechtert hat. 2008 war dem Kläger eine Tätigkeit als Suchthelfer und eine Partnerschaft noch möglich. Der behandelnde Arzt Dr. R. hat auch darauf hingewiesen, dass sich gerade durch die Veränderung in der Depression die Situation zugespitzt hat. In seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 30.11.2010 hat Dr. R. den 23.11.2010 als letztes Untersuchungsdatum genannt und darauf hingewiesen, dass sich das ausgeprägte Vermeidungsverhalten im Rahmen der posttraumatischen Belastungsstörung und den damit assoziierten Ängsten aufgrund der sich chronifizierten depressiven Entwicklung deutlich zugespitzt hat. Der Senat geht daher davon aus, dass im Rahmen der Verschlechterung nach 2008 die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF am 23.11.2010 nachgewiesen sind und der Kläger ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF erfüllt. Zu einem früheren Datum ist der Nachweis dieser Voraussetzungen nicht erfolgt. Aus den im Verwaltungsverfahren beigezogenen Befundberichten ergibt sich eine solche massive Angstsymptomatik nicht. Im Berufungsverfahren war die Zuerkennung ohnehin erst ab dem 1. Februar 2010 beantragt.
40 
Das klageabweisende Urteil war daher insoweit abzuändern, als es die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF auch ab dem 23.11.2010 verneint. Im Übrigen ist die Entscheidung nicht zu beanstanden.
41 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Es ist in der Regel billig, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt. Bei teilweisem Erfolg wird eine Quotelung angemessen sein (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 10. Aufl., § 193 Rz. 12a). Der Kläger konnte insgesamt mit dem Schwerpunkt seiner Berufung durchdringen, wenn auch nicht für den gesamten beantragten Zeitraum. Der Beklagte hat zunächst die Voraussetzungen zu Recht verneint, dann aber auf eine eingetretene Änderung nicht adäquat reagiert. Es ist daher billig, dass der Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers nicht ganz, sondern nur zu drei Vierteln zu tragen hat.
42 
Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Grund des § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.
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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu
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published on 16/01/2013 00:00

Tenor 1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15. August 2012 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. August 2011 verpflichtet, bei
published on 16/02/2012 00:00

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. April 2010 aufgehoben, soweit es die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeiche
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Annotations

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.