Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts M. vom 14. Oktober 2015 wird verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

 
I.
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Der Kläger hat den Beruf des Industriekaufmanns erlernt und war bis zum Jahr 2006 als kaufmännischer Angestellter versicherungspflichtig beschäftigt. Im Februar 2014 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie Dr. B.. Dieser gelangte zu der Auffassung, der Kläger sei qualitativ, aber nicht quantitativ eingeschränkt. Nicht durchführbar seien lediglich dauerhaft mittelschwere und schwere körperliche Männerarbeiten. Im erlernten Beruf sei der Kläger uneingeschränkt vollschichtig einsatzfähig. Der ferner beauftragte orthopädische Gutachter Dr. R. führte aus, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter mit Innen- und Außendiensttätigkeit sei vollschichtig abverlangbar. Die Beklagte lehnte sodann den Rentenantrag mit Bescheid vom 13. Mai 2014 ab. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte einen Befundbericht vom behandelnden Arzt Dr. G. ein und veranlasste eine Begutachtung durch die Neurologin und Psychiaterin O.. In ihrem Gutachten gelangte sie zu dem Ergebnis, der Kläger sei aus neurologisch-psychiatrischer Sicht vollschichtig leistungsfähig für seine zuletzt ausgeübte kaufmännische Tätigkeit. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2015 wies die Beklagte sodann den Widerspruch zurück.
Am 7. Mai 2015 hat der Kläger hiergegen mit eigenhändig unterschriebenem Schriftsatz Klage zum Sozialgericht M. (SG) erhoben und vorgetragen, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Das SG hat den behandelnden Arzt für Innere Medizin Dr. G. schriftlich als sachverständiger Zeuge vernommen. Der Arzt für Innere Medizin hat ausgesagt, dass von internistischer Seite aus das Leistungsvermögen des Klägers nur gering eingeschränkt sei. Mit Urteil vom 14. Oktober 2015 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen. Wegen der Rechtsmittelbelehrung wird auf Blatt 53 der SG-Akten verwiesen.
Gegen das dem Kläger am 17. November 2015 per Postzustellungsurkunde zugestellte Urteil hat er mit einfacher E-Mail am 26. November 2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Er müsse diesen Weg der Übermittlung wählen, da er keine Straßenschuhe anziehen und nicht richtig gehen könne. Sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, was sich aus den beiliegenden Unterlagen (Notfallscheine der Universitätsmedizin M.: über die Selbstvorstellung am 27. Oktober und 15. November 2015; Diagnosen: Gonarthrose links und Podagra rechts) ergebe. Mit der Eingangsverfügung vom 2. Dezember 2015 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass die auf elektronischem Weg übermittelte Berufung nicht zulässig sein dürfte. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass er eine schriftliche Berufung eigenhändig unterschrieben, gegebenenfalls per Fax erheben sollte. Für eine solche Berufung könne auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) gewährt werden, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine solche fristgerecht zu erheben. Mit gerichtlicher Verfügung vom 29. Dezember 2015 wurde dem Kläger die Berufungserwiderung der Beklagten übersandt und an die Verfügung vom 2. Dezember 2015 erinnert. Mit E-Mail vom 13. Januar 2016 hat der Kläger mitgeteilt, er halte seine Berufung aufrecht.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts M. vom 14. Oktober 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. März 2014 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aus beratungsärztlicher Sicht ergäbe sich aus den vorgelegten Berichten keine Änderung des Standpunktes.
10 
Mit gerichtlicher Verfügung vom 27. Januar 2016 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 158 SGG durch Beschluss ohne ehrenamtliche Richter zu verwerfen. Hierauf hat der Kläger per E-Mail am 3. Februar 2016 mitgeteilt, er habe zeitnah geantwortet, der Eingang seiner Mail sei auch mit Aktenzeichen bestätigt worden. Er werde einen schriftlichen Einspruch nachreichen. Mit gerichtlicher Verfügung vom 8. Februar 2016 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass er erst auf die Erinnerung reagiert habe, aber wiederum nur per E-Mail. Am 12. Februar 2016 hat der Kläger telefonisch eine Berufungsrücknahme angekündigt, die aber nicht erfolgt ist.
11 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
II.
12 
Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 158 SGG durch Beschluss ohne die Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter, weil sie unzulässig ist und der Senat eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält; die Beteiligten haben auch keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die gegen eine Entscheidung durch Beschluss sprächen. Die Beteiligten sind zu dieser Vorgehensweise gehört worden.
13 
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg, denn sie ist unzulässig. Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist gemäß § 151 Abs. 2 SGG auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Hiernach muss die Berufung schriftlich erfolgen, was in aller Regel typischerweise durch die eigenhändige Unterschrift des Berechtigten erfolgt (siehe Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Aufl., § 151 SGG Rdnr. 3a). Darüber hinaus kann die Einlegung der Berufung telegraphisch und fernschriftlich sowie durch Telefax erfolgen, nicht ausreichend aber ist eine einfache E-Mail (siehe Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., Rdnr. 3b bis 3f m.w.N.). Bezüglich des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ist auch nicht gemäß § 65a SGG durch Rechtsverordnung die Übermittlung elektronischer Dokumente zugelassen worden (siehe Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 65a Rdnr. 7 und die unter www.egvp.de aufgezählten Gerichte). Schließlich kann ausnahmsweise die Einlegung derart erfolgen, dass als Anhang zu einer elektronischen Nachricht eine Bilddatei übermittelt worden ist, welche die vollständige Berufung einschließlich der eigenhändigen Unterschrift enthält, wenn sie noch vor Fristablauf ausgedruckt wird (siehe BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2008, IX ZP 41/08 unter Hinweis auf die Entscheidung vom 15. Juli 2008, X ZB8/08).
14 
Der Kläger hat bis zum Ablauf der Berufungsfrist keine formgerechte Berufung eingelegt. Das Urteil des SG ist am 17. Oktober 2015 zugestellt worden, so dass die Monatsfrist am 17. November 2015 abgelaufen ist. Die Berufungsfrist hat auch mit Zustellung des Urteils zu laufen begonnen, da das SG im Urteil richtig und vollständig über das Rechtsmittel, das Gericht, den Sitz, die einzuhaltende Frist und zwingend zu beachtende Form belehrt hat; eines Hinweises über die Modalitäten der schriftlichen Einlegung bedurfte es nicht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 66 SGG Rdnr. 10 m.w.N.). Der Kläger hat keine der zuvor dargelegten Möglichkeiten der Berufungseinlegung genutzt, er hat lediglich mit einfacher E-Mail ohne qualifizierte Signatur Berufung eingelegt, was nicht den Formerfordernissen entspricht, es auch in Anbetracht aller Umstände unmöglich macht zu bewerten, dass das Schriftstück mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet werden soll. Da der Kläger bis zum Entscheidungszeitpunkt des Senates keine formgerechte Berufung -der telefonische Anruf am 12. Februar 2016 enthält schon nicht die Einlegung einer Berufung, sondern die Ankündigung einer Rücknahme- eingelegt hat, konnte der Senat auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 67 SGG gewähren. Zudem sind keine gesundheitlichen oder anderen Gründe glaubhaft gemacht worden, dass es dem Kläger ohne Verschulden unmöglich war, einen Brief mit einer unterschriebenen Berufung zur Post aufzugeben bzw. z.B. mit Telefax zu übermitteln. Insbesondere aus den Notfallscheinen der Universitätsmedizin M. ergibt sich nicht, dass seine Fähigkeit, einen Brief aufzugeben, ununterbrochen aufgehoben war.
15 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des den Gerichten danach eingeräumten Ermessens sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Sach- und Rechtslage bzw. der Ausgang des Verfahrens (s. hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 193 Rdnr. 12 ff.). Hiernach war für den Senat maßgeblich, dass das eingelegte Rechtsmittel ohne Erfolg ist und kein berechtigter Anlass für dessen Einlegung bestanden hat. Bei einer Verwerfung eines Rechtsmittels hat das Gericht -anders als bei einer Zurückweisung (vgl. Beschluss des erkennenden Senates vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, Juris)- in Abweichung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 Rdnr. 8; Roos/Wahrendorf, Kommentar zum SGG, § 193 Rdnr. 8; a.A. BSG, Beschluss vom 23. April 2013, B 9 V 4/12 R, veröffentlicht in Juris). Denn ein Rechtsmittel, das sich nur gegen die Kostenentscheidung richtet, hat der Gesetzgeber ausgeschlossen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193 Rdnr. 16 m.w.N.), womit verhindert wird, dass das Rechtsmittelgericht trotz rechtskräftiger Entscheidung in der Hauptsache die Sach- und Rechtslage allein wegen der Kostenentscheidung zu prüfen hat und zu einer gegenüber der vorausgehenden Instanz abweichenden Auffassung gelangen kann. Eine entsprechende Situation besteht, wenn ein Rechtsmittel in der Hauptsache zwar eingelegt wird, das aber unzulässig ist. Auch dann kann dem Rechtsmittelgericht nicht allein wegen der Kostenentscheidung die Kompetenz eingeräumt sein, die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu prüfen (vgl. BSG, Beschluss vom 12. September 2011, B 14 AS 25/11 B; BGH, Beschluss vom 15. Mai 2012, VI ZB 27/11; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 7. Dezember 2009, 5 So 192/09, alle veröffentlicht in Juris).
16 
Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen nicht.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 67


(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. (2) Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stelle

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 66


(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhalten

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 158


Ist die Berufung nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Die Entsc

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 65a


(1) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter können nach Maßgabe der Absätz

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Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Mai 2012 - VI ZB 27/11

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZB 27/11 vom 15. Mai 2012 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 233 (Fc); ZPO § 99 Abs. 1 a) Weist der Rechtsanwalt eine Kanzleikraft mündlich an, die von ihm errechnete

Bundessozialgericht Beschluss, 23. Apr. 2013 - B 9 V 4/12 R

bei uns veröffentlicht am 23.04.2013

Tenor Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Juni 2012 wird als unzulässig verworfen.

Bundessozialgericht Beschluss, 12. Sept. 2011 - B 14 AS 25/11 B

bei uns veröffentlicht am 12.09.2011

Tenor Die Beteiligten haben einander für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht keine Kosten zu erstatten.

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(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(2) Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat. Der Beschluß, der die Wiedereinsetzung bewilligt, ist unanfechtbar.

Ist die Berufung nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter können nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden.

(2) Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und die Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht.

(3) Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Satz 1 gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind.

(4) Sichere Übermittlungswege sind

1.
der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt,
2.
der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
3.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
4.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten elektronischen Postfach einer natürlichen oder juristischen Person oder einer sonstigen Vereinigung und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
5.
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens genutzten Postfach- und Versanddienst eines Nutzerkontos im Sinne des § 2 Absatz 5 des Onlinezugangsgesetzes und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
6.
sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind.
Das Nähere zu den Übermittlungswegen gemäß Satz 1 Nummer 3 bis 5 regelt die Rechtsverordnung nach Absatz 2 Satz 2.

(5) Ein elektronisches Dokument ist eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Dem Absender ist eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs zu erteilen. Die Vorschriften dieses Gesetzes über die Beifügung von Abschriften für die übrigen Beteiligten finden keine Anwendung.

(6) Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.

(7) Soweit eine handschriftliche Unterzeichnung durch den Richter oder den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgeschrieben ist, genügt dieser Form die Aufzeichnung als elektronisches Dokument, wenn die verantwortenden Personen am Ende des Dokuments ihren Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Der in Satz 1 genannten Form genügt auch ein elektronisches Dokument, in welches das handschriftlich unterzeichnete Schriftstück gemäß § 65b Absatz 6 Satz 4 übertragen worden ist.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 67 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(2) Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat. Der Beschluß, der die Wiedereinsetzung bewilligt, ist unanfechtbar.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Juni 2012 wird als unzulässig verworfen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten über die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Bei der 1962 geborenen Klägerin ist nach dem Schwerbehindertenrecht ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 wegen einer psychischen Minderbelastbarkeit bei posttraumatischer Belastungsstörung sowie wegen eines Wirbelsäulensyndroms, Schulter-Arm-Syndroms beidseits und eines chronischen Schmerzsyndroms festgestellt (Bescheid des beklagten Landes vom 12.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2009).

3

Im September 1993 beantragte die Klägerin erstmals nach dem OEG die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Folge sexuellen Missbrauchs mit Gewaltanwendung durch ihren Vater in der Zeit von 1965 bis 1978. Nach Rücknahme dieses Antrags berichtete die Klägerin im Rahmen ihres erneuten Antrags vom 11.9.2003 von sexuellem Missbrauch (Vergewaltigung) durch den Vater in der Zeit von ihrem 4. bis 11. Lebensjahr. Sie teilte auf Anfrage gegenüber dem Beklagten mit, dass eine detaillierte Schilderung des Geschehens bei ihr erneut erhebliche psychische Probleme hervorrufen würde und sie zum Teil keinen Kontakt mehr zu ihren Schwestern habe. Diese wollten auch die Vergangenheit ruhen lassen und zu diesem Thema nichts mehr sagen. Diesen Antrag zog die Klägerin mit Schreiben vom 19.12.2003 wieder zurück.

4

Mit Schreiben vom 29.3.2006 stellte die Klägerin dann den im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Antrag auf Leistungen nach dem OEG. Dabei verwies sie auf ihre Schilderung der Gewalttaten gegenüber ihrem Psychotherapeuten Dipl.-Psychologe J., da es ihr extrem schwerfalle, die Gewalttaten selbst zu schildern. Mit Schreiben vom 7.9.2006 teilte die Klägerin mit, dass sie weiterhin mit der Befragung ihrer Eltern und Schwestern nicht einverstanden sei. Nach Auswertung der Stellungnahmen des Dipl.-Psychologen J. lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab, weil der Vollbeweis für rechtswidrige, vorsätzliche tätliche Angriffe im Sinne des OEG nicht erbracht worden sei (Bescheid vom 16.11.2006). Im anschließenden Widerspruchsverfahren wies die Klägerin erfolglos darauf hin, dass auch ihr Ex-Mann bis zur Trennung 1992 ihr gegenüber gewalttätig geworden sei und ihr kurz vor der Trennung ein Messer an den Hals gehalten habe (Widerspruchsbescheid vom 4.4.2007).

5

Im nachfolgenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Speyer ua Beweis erhoben durch Einholung eines psychosomatisch-psychotherapeutischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 26.5.2009, in dem dieser bei der Klägerin eine andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung diagnostiziert hat, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit allein als Folge der erlittenen Gewalttaten und der sexuellen Misshandlungen in der Kindheit anzusehen sei. Dieser Zustand bedinge einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 70. Unter Auswertung der Angaben der Klägerin im Erörterungs- und Beweistermin vom 6.2.2008 und einer weiteren Stellungnahme des Dipl.-Psychologen J. vom 18.8.2009 sowie dessen Aussage als sachverständiger Zeuge in der mündlichen Verhandlung vom 5.11.2009 hat das SG mit Urteil vom selben Tage die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, als Schädigungsfolge nach dem OEG "Persönlichkeitsveränderungen nach Extrembelastung" anzuerkennen und der Klägerin ab dem 1.3.2006 Versorgungsrente nach einem GdS gemäß § 30 Abs 1 und 2 BVG von 70 zu gewähren.

6

Während des anschließenden Berufungsverfahrens hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) ein Gutachten der Dipl.-Psychologin von J., Institut für Gerichtspsychologie in Bochum, vom 5.4.2011 zur Feststellung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin eingeholt und eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 2.5.2012 beigezogen. Sodann hat es mit Urteil vom 27.6.2012 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Dabei hat es sich auf folgende Erwägungen gestützt:

7

Die Klägerin habe einen Anspruch auf Anerkennung einer "Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung" nach dem OEG und Gewährung von Versorgung nach einem GdS von 70 gemäß §§ 1 Abs 1, 10a Abs 1 S 1 OEG iVm § 30 Abs 1 und 2 BVG. Sie erfülle die Voraussetzungen des § 10a Abs 1 S 1 OEG und sei Opfer einer Gewalttat geworden. Dabei komme der Klägerin der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) zugute, der auch dann anzuwenden sei, wenn Beweismittel zwar zur Verfügung ständen, die Erhebung dieser Beweise aber für das Verbrechensopfer unzumutbar sei. Nach den überzeugenden Ausführungen des Dipl.-Psychologen J. sei im vorliegenden Verfahren eine Vernehmung der Geschwister und der Eltern als Zeugen für die Klägerin mit schwersten gesundheitlichen Problemen verbunden. Auch der Sachverständige Prof. Dr. K. lege in seiner Stellungnahme vom 2.5.2012 dar, dass aus ärztlich-psychotherapeutischer Sicht von einer Befragung der genannten Zeugen zum Schutze der Gesundheit der Klägerin dringend abzuraten sei. Dies gelte sowohl für eine Befragung in Anwesenheit als auch in Abwesenheit der Klägerin. Ansonsten sei mit einer schweren psychischen Dekompensation bis hin zum Suizid zu rechnen. Bei einer Vernehmung der Zeugen in Abwesenheit der Klägerin sei eine Konfrontation der Klägerin mit ihren Familienangehörigen auch außerhalb des Gerichtes zu befürchten. Dieser Begegnung sei die Klägerin aufgrund ihres labilen Gesundheitszustandes nicht gewachsen. Vor diesem Hintergrund habe sich der Senat nicht gedrängt gefühlt, eine Zeugenvernehmung vorzunehmen. Diese stehe vernünftigerweise dann nicht zur Verfügung, wenn sie zu schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Opfers führe. Auch habe der Beklagte einen Beweisantrag in der letzten mündlichen Verhandlung ausdrücklich nicht mehr gestellt. Eine Zeugenvernehmung, die nach überzeugenden Darlegungen verschiedener Sachverständiger zu einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung der Klägerin führe, überschreite die Pflicht zur Amtsermittlung und müsse deshalb unterbleiben.

8

Da somit weitere Beweismittel ohne Verschulden der Klägerin nicht zur Verfügung ständen, reiche gemäß § 15 KOVVfG eine Glaubhaftmachung des sexuellen Missbrauchs zur Feststellung eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus. Nach der insoweit erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände sei es glaubhaft, dass die Klägerin in ihrer Kindheit Opfer sexueller Misshandlungen und damit einer Gewalttat iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Gutachten der Dipl.-Psychologin von J. vom 5.4.2011, weil im Rahmen der Glaubhaftmachung einer Tatsache iS des § 15 KOVVfG gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich seien. Zur Überzeugung des Senats sei für die Glaubhaftmachung im Opferentschädigungsrecht ein psychosomatisches Gutachten entsprechend der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. K. vom 2.5.2012 geeigneter als ein aussagepsychologisches Gutachten. Dieser sexuelle Missbrauch sei auch ursächlich für die "Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung", zu deren Anerkennung das SG den Beklagten verurteilt habe. Insoweit werde gemäß § 153 Abs 2 SGG auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen. Hieraus folge ein GdS von 70 als schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten entsprechend der VersorgungsmedizinVerordnung iVm den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil B Ziff 3.7).

9

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Beklagten. Mit Beschluss vom 29.1.2013 hat der Senat die Bundesrepublik Deutschland auf ihren Antrag zum Revisionsverfahren beigeladen. Zur Begründung seiner Revision trägt der Beklagte vor: Das LSG gehe in rechtlich fehlerhafter Weise davon aus, dass für die Glaubhaftmachung im Opferentschädigungsrecht ein psychosomatisches Gutachten geeigneter sei, als ein aussagepsychologisches. Es könne rechtlich jedoch nicht unterschiedliche wissenschaftliche Anforderungen an ein einzuholendes Gutachten mit der Frage nach der Glaubhaftigkeit geben. Die insoweit geltende wissenschaftliche Methodik sei bereits umfangreich durch den Bundesgerichtshof (BGH) herausgearbeitet worden. Demzufolge müsse ein psychosomatisch-psychotherapeutisches Gutachten, wenn es auf die Frage der Glaubhaftigkeit eingehe, dieselben Anforderungen erfüllen, wie ein aussagepsychologisches Gutachten, da ansonsten die Gefahr bestehe, dass je nach Maßstab des Gutachtens unterschiedliche rechtliche Ergebnisse in ein und demselben Fall zu finden wären. Das LSG selbst sei der Auffassung, dass, wenn man die wissenschaftliche Methodik des BGH anwende, die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin im Rahmen des Verfahrens nach dem sozialen Entschädigungsrecht als nicht gegeben anzunehmen wäre. Im Übrigen habe das LSG die Revision zur Klärung der Rechtsfrage zugelassen, ob § 15 KOVVfG ausscheide, wenn theoretisch eine Zeugeneinvernahme möglich, praktisch aber nach Angabe eines Gutachters oder behandelnden Therapeuten unzumutbar sei. Das LSG habe diesbezüglich die grundsätzliche Rechtsfrage zugelassen, ob die Norm des § 15 KOVVfG auf diese Fälle entsprechend anzuwenden sei, was das LSG bejahe. Grenze könne aber der eigentliche Wortlaut der Norm sein, der diese Fälle expressis verbis nicht erfasse und eine Beweiserleichterung darstelle.

10

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 27.6.2012 und des SG Speyer vom 5.11.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

12

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und ist der Ansicht: Es sei davon auszugehen, dass die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG auch dann anzuwenden sei, wenn Beweismittel (hier: Zeugen) zwar zur Verfügung ständen, die Erhebung dieser Beweise aber für das Verbrechensopfer unzumutbar sei.

13

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

14

II. Die Revision des Beklagten ist unzulässig. Es fehlt an einer ausreichenden Begründung.

15

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 und 3 SGG muss die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Der Art nach rügt der Beklagte Verletzungen formellen und materiellen Rechts, woraus sich unterschiedliche Begründungsanforderungen ergeben.

16

In der Revisionsbegründung muss nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (vgl etwa BSG Beschluss vom 13.5.2011 - B 13 R 30/10 R - Juris RdNr 11 ff mwN; BSG Urteil vom 30.3.2011 - B 12 KR 23/10 R - Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14; BSG Urteil vom 21.9.2005 - B 12 KR 1/05 R - USK 2005-27) sorgfältig, sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt werden, weshalb eine Vorschrift des materiellen Rechts von der Vorinstanz (LSG oder SG) nicht oder nicht richtig angewandt worden ist. Dabei darf die Revisionsbegründung nicht nur die eigene Meinung wiedergeben, sondern muss sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen sowie erkennen lassen, dass sich der Revisionsführer mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der von der Vorinstanz angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (vgl zB BSG Urteil vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111, 112 f = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 10 mwN). Dieses Formerfordernis soll im Interesse der Entlastung des Revisionsgerichts sicherstellen, dass der Revisionsführer das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat.

17

Diesen Anforderungen genügt die bis zum Ablauf der Begründungsfrist (§ 164 Abs 2 S 1 SGG) vorgebrachte Revisionsbegründung des Beklagten nicht. In dem betreffenden Schriftsatz vom 14.9.2012 fehlen schon Ausführungen dazu, welche Vorschriften des materiellen Rechts die Vorinstanz nicht oder nicht richtig angewandt haben könnte. Zu §§ 1 und 10a OEG wird keine Rechtsverletzung geltend gemacht. § 15 KOVVfG wird zwar genannt, dem Vorbringen der Klägerin ist jedoch nicht zu entnehmen, inwiefern das LSG diese Vorschrift zu Unrecht herangezogen oder in ihrem Regelungsinhalt verkannt habe. Der Beklagte legt lediglich die Möglichkeit nahe, dass der eigentliche Wortlaut dieser Vorschrift Fälle einer unzumutbaren Zeugenvernehmung nicht erfassen könnte. Der Beklagte stellt weder dar, welche Rechtsansicht das LSG zu § 15 KOVVfG konkret vertreten habe, noch führt er aus, weshalb diese Rechtsansicht von ihm nicht geteilt werde.

18

Zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels müssen zunächst die den Mangel begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsauffassung - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl dazu allgemein Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 12 mwN). Auch diesen Begründungserfordernissen hat der Beklagte nicht hinreichend Rechnung getragen.

19

Es wird zwar der Beweisbeschluss des SG vom 5.6.2008 sowie der inhaltliche Wert des Gutachtens von Prof. Dr. K. kritisiert. Es fehlen jedoch jegliche Ausführungen dazu, weshalb sich das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus - zu einer weiteren Amtsermittlung nach § 103 SGG hätte gedrängt fühlen müssen(vgl BSGE 40, 49, 50 = SozR 3100 § 30 Nr 7 S 33 f). Nähere Angaben wären umso mehr erforderlich gewesen, als der Beklagte laut Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.6.2012 vor dem LSG auf die Stellung eines Beweisantrages verzichtet und eine Vernehmung der Zeugen gleichfalls als unzumutbar angesehen hat. Im Übrigen betrifft das Vorbringen des Beklagten durchweg die berufungsgerichtliche Beweiswürdigung. Dazu legt der Beklagte an keiner Stelle dar, inwiefern das LSG die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG)überschritten und damit einen Verfahrensfehler begangen habe. Die bloße Kritik an der Beweiswürdigung des LSG genügt nicht den Mindesterfordernissen einer Revisionsbegründung (§ 164 Abs 2 S 3 SGG). Denn ein Verfahrensmangel liegt insoweit grundsätzlich erst dann vor, wenn das LSG gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstoßen oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt hat (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 128 RdNr 10 mwN).

20

Die nicht ordnungsgemäß begründete Revision ist außerhalb der mündlichen Verhandlung durch Beschluss ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 169 S 2 und 3 SGG).

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Beteiligten haben einander für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht keine Kosten zu erstatten.

Der Antrag des Klägers, dem Beklagten die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens aufzuerlegen, wird als unzulässig verworfen.

Gründe

1

Wird ein Verfahren anders als durch Urteil beendet, entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben (§ 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 24.8.2010 - L 3 AS 397/09 - in einem Rechtsstreit um Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch durch die Zurücknahme der Klage im Laufe des Beschwerdeverfahrens erledigt und der Kläger beantragt hat, dem Beklagten die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen (vgl zur Zulässigkeit einer Klagerücknahme im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde: BSG vom 27.9.1983 - 8 BK 16/82 - SozR 1500 § 102 Nr 5).

2

Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Beteiligten bei Erledigung des Verfahrens ohne Urteil einander Kosten zu erstatten haben, erfolgt nach sachgemäßem bzw billigem Ermessen. Dabei steht grundsätzlich der nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung zu beurteilende Verfahrenserfolg im Vordergrund, aber auch die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung des Rechtsstreits können zu berücksichtigen sein (vgl BSG vom 16.5.2007 - B 7b AS 40/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 4; BSG vom 7.9.1998 - B 2 U 10/98 R - SozR 3-1500 § 193 Nr 10; BSG vom 24.5.1991 - 7 RAr 2/91 - SozR 3-1500 § 193 Nr 2; zuletzt BSG vom 1.4.2010 - B 13 R 233/09 B - Juris RdNr 8).

3

Nach diesen Voraussetzungen hat der Kläger gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung seiner Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, weil die Beschwerde aufgrund der zwischenzeitlichen Klagerücknahme des Klägers erfolglos war und keine Gründe zu erkennen sind, um dem Beklagten zB aufgrund des Veranlassungsprinzips (vgl BSG vom 16.5.2007 - B 7b AS 40/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 4 RdNr 5; BSG vom 20.10.2010 - B 13 R 15/10 R - SozR 4-1500 § 193 Nr 6 RdNr 37) die Kosten des Klägers aufzuerlegen.

4

Die Aufwendungen des beklagten Jobcenters sind grundsätzlich nicht erstattungsfähig (§ 193 Abs 4 SGG).

5

Soweit der Kläger beantragt hat, dem Beklagten die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens aufzuerlegen, ist der Antrag unzulässig.

6

Zwar ist der Rechtsstreit - beschränkt auf die Frage der Kostenerstattung - nur noch vor dem Bundessozialgericht (BSG) anhängig, daraus alleine folgt jedoch ausgehend von einem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde keine Kompetenz zu einer Kostenentscheidung über alle Instanzen hinweg, selbst wenn - vordergründig - Gesichtspunkte der Prozessökonomie dafür sprechen sollten (vgl Bayerischer Verwaltungsgerichtshof vom 9.2.1999 - 11 ZE 98.3358).

7

Eine Nichtzulassungsbeschwerde hemmt zwar die Rechtskraft des Urteils des LSG (§ 160a Abs 3 SGG), führt aber grundsätzlich nicht zu einer Überprüfung der vorinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache, sondern nur zu der Überprüfung, ob einer der drei in § 160 Abs 2 SGG enumerativ aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision gegeben ist(§ 160a SGG). Sie hat folglich nur einen begrenzten Devolutiveffekt hinsichtlich der (Neben-)Entscheidung des LSG über die Zulassung der Revision (ähnlich differenzierend: Bundesverwaltungsgericht vom 18.9.1969 - VIII B 200.67 - BVerwGE 34, 40).

8

Eine Entscheidung des Revisionsgerichts über die Kosten auch des Klage- und des Berufungsverfahrens könnte mittelbar zu einer Überprüfung der Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache nach den oben dargestellten Kriterien führen und damit zu einer Erörterung von Fragen, deren Behandlung dem Revisionsgericht im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde gerade nicht eröffnet ist. Denn dadurch würden dem BSG im Rahmen einer Kostenentscheidung mehr Kompetenzen eingeräumt werden als in dem eigentlichen Zwischenverfahren "Nichtzulassungsbeschwerde". Gegen die Zulässigkeit einer Entscheidung des BSG über die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens spricht auch, dass nach § 144 Abs 4 SGG ein Rechtsmittel alleine wegen der Kosten ausgeschlossen ist.

9

Aufgrund der vom SGG abweichenden gesetzlichen Vorgaben zur Kostenentscheidung in § 161 Verwaltungsgerichtsordnung folgt aus der gegenteiligen instanzgerichtlichen Rechtsprechung von Verwaltungsgerichten nichts anderes(Bayerischer Verwaltungsgerichtshof vom 9.2.1999 - 11 ZE 98.3358; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 24.4.1997 - 6 S 661/97; ebenso aber ohne Begründung: Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 941).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 27/11
vom
15. Mai 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Weist der Rechtsanwalt eine Kanzleikraft mündlich an, die von ihm errechnete
Berufungsbegründungsfrist nebst Vorfrist zu notieren, ist durch geeignete organisatorische
Vorkehrungen sicherzustellen, dass die Eintragung nicht in Vergessenheit
gerät. Dazu ist konkret vorzutragen.

b) Ist eine Rechtsbeschwerde zur Hauptsache unzulässig, weil die Voraussetzungen
des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen, sind auch Angriffe gegen die Kostenentscheidung
des angegriffenen Beschlusses unzulässig.
BGH, Beschluss vom 15. Mai 2012 - VI ZB 27/11 - OLG Stuttgart
LG Heilbronn
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Mai 2012 durch den Vorsitzenden
Richter Galke, die Richter Zoll, Wellner und Stöhr, und die Richterin
von Pentz

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. März 2011 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen. Beschwerdewert: 1.837,52 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage teilweise abgewiesen.
2
Das Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 5. November 2010 zugestellt. Diese legte gegen das Urteil mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2010 (Montag), der am selben Tag vorab per Telefax beim Berufungsgericht einging, Berufung ein. Mit einem an das Landgericht gerichteten Schriftsatz vom selben Tag beantragte die Klägerin, das Urteil im Tenor zu berichtigen. Mit Verfügung vom 7. Januar 2011 wies der Senatsvorsitzende auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hin. Mit Schriftsatz vom 19. Januar 2011, der taggleich per Telefax übermittelt wurde, beantragte die Klägervertreterin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Gleichzeitig hat sie die Berufung begründet und beantragt, das angefochtene Urteil des Landgerichts dahingehend abzuändern, dass die Beklagten verurteilt werden, an die Klägerin weitere 1.837,52 € nebst weiteren 61,88 €, jeweils nebst Zinsen zu zahlen.
3
Das Berufungsgericht hat die Berufung unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

4
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist aber unzulässig. Weder der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch der der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) liegen vor.
5
1. Das Berufungsgericht hat die Ablehnung der Wiedereinsetzung wie folgt begründet:
6
Der Klägerin sei keine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist sei durch ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin versäumt worden; dieses sei der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
7
Im Zusammenhang mit der erforderlichen Fristenkontrolle komme Wiedereinsetzung nur in Betracht, wenn Fehler allein auf das Verhalten Dritter, insbesondere des Büropersonals, zurückzuführen seien. Fehlerquellen müssten beim Eintragen und Behandeln von Fristen möglichst ausgeschlossen sein. Betreffe die mündliche Anweisung einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist, müssten in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anweisung in Vergessenheit gerate und die Fristeintragung unterbleibe. Insoweit müsse die unverzügliche Ausführung der Weisung verlangt werden. Sehe der Rechtsanwalt davon ab, gereiche ihm zum Verschulden, dass er keine Vorkehrungen dagegen getroffen habe, die Ausführung seiner Anweisung sicherzustellen oder zu kontrollieren.
8
Diese Voraussetzungen habe die Klägerin nicht dargetan. Dass gemäß allgemeiner Büroanweisung in der Kanzlei der Klägervertreterin die von dem Rechtsanwalt errechnete Berufungsbegründungsfrist umgehend mit einer entsprechenden Vorfrist von einer Woche im Fristenkalender einzutragen sei, genüge bei einer mündlich erteilten Einzelanweisung nicht. Vielmehr sei, wenn der Rechtsanwalt keine schriftliche Weisung erteile, zusätzlich die klare und präzise Anweisung erforderlich, die Frist sofort zu notieren, damit sie nicht in Vergessenheit geraten könne. Wenn weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht sei, dass die Organisation der Fristenkontrolle diesen Anforderungen genügt habe, sei ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten nicht ausgeschlossen und der Antrag auf Wiedereinsetzung zurückzuweisen.
9
2. Diese Ausführungen betreffen weder noch nicht vom Bundesgerichtshof entschiedene Fragen von grundsätzlicher Bedeutung, noch lassen sie Rechtsfehler erkennen, die die Rechtsbeschwerde als zulässig i.S. des § 574 Abs. 2 ZPO erscheinen lassen könnten.
10
a) Die Rechtsbeschwerde beruft sich darauf, grundsätzlich dürfe ein Rechtsanwalt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe, eine konkrete Einzelanweisung befolge. Mit dieser Begründung kann indes ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht verneint werden.
11
Zwar kommt es auf die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen in einer Rechtsanwaltskanzlei für die Fristwahrung nicht entscheidend an, wenn der Rechtsanwalt von ihnen abweicht und stattdessen eine genaue Anweisung für den konkreten Fall erteilt, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte, wobei der Rechtsanwalt im allgemeinen nicht verpflichtet ist, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. In einem solchen Fall ist für die Fristversäumnis nicht die Büroorganisation, sondern der Fehler des Mitarbeiters ursächlich, weil ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass die einem zuverlässigen Mitarbeiter erteilte Einzelanweisung befolgt wird. Jedoch kann eine konkrete Einzelanweisung den Rechtsanwalt dann nicht von einer unzureichenden Büroorganisation entlasten, wenn diese die bestehende Organisation nicht außer Kraft setzt, sondern sich darin einfügt und nur einzelne Elemente ersetzt, während andere ihre Bedeutung behalten , die bestimmt sind, der Fristversäumnis entgegenzuwirken, dieses infolge eines Organisationsmangels aber nicht bewirken (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02, VersR 2003, 1462; vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03, VersR 2005, 94, 95; vom 22. Juni 2004 - VI ZB 10/04, VersR 2005, 383 f.; vom 12. Januar 2010 - VI ZB 64/09, NJW-RR 2010, 417 Rn. 7; vom 13. Juli 2010 - VI ZB 1/10, NJW 2011, 151 Rn. 13; jeweils mwN).
12
Betrifft die Anweisung einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt. In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen entscheidenden Organisationsmangel (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juni 2004 - VI ZB 10/04, VersR 2005, 383 f.).
13
Mit Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass nach dem Vortrag der Klägerin zu ihrem Wiedereinsetzungsgesuch, dessen Richtigkeit die Prozessbevollmächtigte anwaltlich versichert und durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der Kanzleiangestellten weiter glaubhaft gemacht hat, nicht davon ausgegangen werden kann, dass das Vorgehen der Anwältin im vorliegenden Fall diesen Anforderungen genügt hat. In dem Wiedereinsetzungsgesuch heißt es u.a.:
14
"… So wie geschildert wurde auch die Berufungsfrist eingetragen und sodann vorgelegt, bearbeitet und letztendlich am 06.12.2010 erledigt. Weiterhin dem üblichen Ablauf folgend hatte die Unterzeichnerin mit der Erstellung der Berufungsschrift die Berufungsbegründungsfrist korrekt auf den 05.01.2011 be- rechnet und die an diesem Montag tätige Frau … angewiesen, diese Frist zu notieren. Darüber hinaus erfolgte die Einzelanweisung durch die Unterzeichnerin , die sonst übliche Vorfrist von einer Woche nicht auf den 29.12.2010 einzutragen , sondern bereits auf den 20.12.2010, um hier vor dem Weihnachtsurlaub der Unterzeichnerin, welcher vom 23. bis 31.12.2010 dauerte, beim Landgericht Heilbronn wegen des Sachstandes der beantragten Urteilsberichtigung nachzufragen. Entgegen der Einzelanweisung trug Frau … jedoch weder die Beru- fungsbegründungsfrist … noch die Vorfrist … in den Fristenkalender ein. …"
15
Dem ist nicht zu entnehmen, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ihrer Kanzleikraft mündlich die umgehende Erledigung aufgetragen hat, und auch nicht, welche organisatorischen Absicherungen dagegen bestanden, dass die Anweisung in Vergessenheit geriet.
16
b) Die Rechtsbeschwerde meint, es habe ausgereicht, dass in der Praxis der Prozessbevollmächtigten die allgemeine Anweisung bestanden habe, Berufungsbegründungsfristen mit einer entsprechenden Vorfrist von einer Woche im Fristenkalender einzutragen. Damit wird indes für den vorliegenden Fall ein fehlendes Verschulden nicht dargelegt.
17
Insoweit beruft sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg auf den Senatsbeschluss vom 4. November 2003 (VI ZB 50/03, aaO, unter II. 2. C) a.E.). In jener Entscheidung hat der Senat ausgeführt, wenn ein so wichtiger Vorgang wie die Notierung einer Berufungsfrist nur mündlich vermittelt werde, dann bedeute das Fehlen jeder Sicherung einen entscheidenden Organisationsmangel (aaO, unter II. 2. A) bb) a.E.). Die von der Rechtsbeschwerde zitierte Textstelle besagt - in Abgrenzung zu der zuvor erörterten Fragestellung in anderen Entscheidungen - lediglich, dass es hinsichtlich der Eintragung von Rechtsmittelfristen allgemeiner Anweisungen bedarf. Dass auch ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein müssen, dass eine mündliche Einzelanweisung in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt, ist schon zuvor ausgeführt (aaO).
18
Dem Vorbringen der Klägerin ist insoweit nur zu entnehmen, dass ihre Prozessbevollmächtigte die Kanzleiangestellte mündlich anwies, die von ihr errechnete Frist einzutragen verbunden mit der Anweisung, die Vorfrist bereits auf den 20. Dezember 2010 zu notieren. Dass eine umgehende Erledigung verlangt worden sei, wird nicht behauptet. Inwieweit die allgemeine Anweisung, Fristen umgehend einzutragen, für den Fall mündlicher Einzelanweisungen das "gebotene Mittel" gegen das Vergessen sein soll, ist nicht ersichtlich, zumal nichts zur (vorgesehenen) Behandlung der Handakte und zur Kontrolle der Eintragung im vorliegenden Fall und in ähnlichen Fällen vorgetragen ist.
19
c) Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob - wie die Rechtsbeschwerdeerwiderung meint - die Prozessbevollmächtigte der Klägerin bereits deshalb ein Verschulden trifft, weil bereits im Rahmen der Bearbeitung der Handakte für die Berufungseinlegung Maßnahmen zur Eintragung der Berufungsbegründungsfrist und deren Kontrolle hätten ergriffen werden müssen.
20
3. Soweit die Rechtsbeschwerde die Kostenentscheidung des angefochtenen Beschlusses beanstandet, ist das Rechtsmittel ebenfalls unzulässig. Nach § 99 Abs. 1 ZPO ist die Anfechtung einer Kostenentscheidung unzulässig, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird. Das Rechtsmittel zur Hauptsache, das die zugehörige Kostenentscheidung mit umfasst, muss zulässig eingelegt sein (vgl. Musielak/Lackmann, ZPO, 9. Aufl., § 99 Rn. 5; Schneider in Prütting/Gehrlein/Schneider, ZPO, 3. Aufl., § 99 Rn. 2; Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 99 Rn. 4). Daran fehlt es hier, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen (oben 2) ergibt.
21
Darauf, ob und inwieweites nach der obergerichtlichen Rechtsprechung gerechtfertigt ist, im Falle einer Anschlussberufung bei der Verwerfung der Berufung als unzulässig dem Kläger die vollen Kosten des Rechtsmittelverfahrens nach dem Streitwert aus Berufung und Anschlussberufung aufzuerlegen, kommt es danach nicht an, selbst wenn - wie die Rechtsbeschwerde geltend macht - die Kostenentscheidung des angefochtenen Beschlusses in Divergenz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen stehen sollte. Galke Zoll Wellner Stöhr von Pentz
Vorinstanzen:
LG Heilbronn, Entscheidung vom 29.10.2010 - 2 O 119/10 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 28.03.2011 - 5 U 192/10 -