Landgericht Kiel Urteil, 26. Jan. 2007 - 18 O 231/07

ECLI: ECLI:DE:LGKIEL:2007:0126.18O231.07.0A
published on 26.01.2007 00:00
Landgericht Kiel Urteil, 26. Jan. 2007 - 18 O 231/07
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Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Unfallrente in Höhe von 1.000,00 € monatlich, beginnend mit dem 01.02.2004 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Invaliditätsleistung in Höhe von 360.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 280.000,00 € seit dem 28.06.2006 sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.11.2006 auf einen Betrag in Höhe von 80.000,00 € zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Der Kläger trägt 37 %, die Beklagte 63 % der Kosten des Rechtsstreits.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Unfallrente sowie einer Invaliditätsleistung aufgrund einer Unfallversicherung in Anspruch.

2

Der Kläger schloss bei der Beklagten eine Unfallversicherung mit der Nummer … ab. Der Versicherungsbeginn war der … 12.00 Uhr, Versicherungsablauf der …, 12.00 Uhr. Durch den Vertrag wurden u. a. eine Unfallinvalidität mit einer Grundsumme von 200.000,00 € und einer Versicherungssumme bei Vollinvalidität in Höhe von 600.000,00 €, eine Unfallrente in Höhe von monatlich 1.000,00 € sowie u. a. Unfallkrankenhaustagegeld, Unfallgenesungsgeld, Unfallserviceleistungen und unfallbedingte Kurbeihilfe versichert. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen AUB 2000 zugrunde. Wegen der Einzelheiten wird auf den Unfallversicherungsschein vom … einschließlich der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (Anlage K 2) Bezug genommen.

3

Der Kläger arbeitete als selbstständiger Maurer. Am … führte er auf einer Baustelle in … Estrich- bzw. Putzarbeiten aus. Er schleppte ca. um 15.00 Uhr einen 40 Kilo schweren Sack auf einem Plattenweg auf den Schultern in Richtung Hauseingang, als ihm ein anderer Handwerker entgegen kam. Dem wollte der Kläger Platz machen und trat zur Seite. Dabei trat er mit einem Fuß über den Rand des Plattenweges auf die tieferliegende Grünfläche und kam dadurch zu Fall. Im Fallen hielt er den Sack fest, weil er befürchtete, dass dieser beim Aufschlagen aufplatzen würde. Er drehte sich dann beim Fallen und spürte dabei einen Schmerz in der Beckengegend. Er fiel in eine neben dem Plattenweg befindliche Vertiefung von ca. 30 cm bis 50 cm. Nach dem Fallen lag er dort eine kurze Zeit und setzte sich dann auf. Beim Versuch aufzustehen, merkte er, dass seine Beine taub waren. Er konnte nicht aufstehen. Der Schmerz strahlte in das rechte Bein ab. Nachdem ihm zwei Schmerztabletten gegeben wurden, ließen die Schmerzen nach ca. einer halben Stunde etwas nach und er wurde von seinem Auftraggeber nach Hause gefahren.

4

Zu Hause legte sich der Kläger zunächst ins Bett. Als über Nacht die Schmerzen immer stärker wurden, suchte er am nächsten Morgen seinen Hausarzt auf, der ihm zwei Spritzen in den Rücken gab und Bettruhe verordnete. Aufgrund der dann verstärkt auftretenden Schmerzen ließ er den Notarzt rufen, der ihn in das … in … überführen ließ. Zwecks Transport wurde er in Narkose versetzt.

5

In der Zeit vom … blieb der Kläger im …, wo eine sogenannte konservative Behandlung in der neurologischen Abteilung stattfand. Nachdem keine Besserung eintrat, wurde der Kläger auf Empfehlung des Facharztes für Neurochirurgie … am … einer Bandscheibenoperation unterzogen, wodurch die Beschwerden des Klägers nicht behoben wurden. Eine Rehabilitationsmaßnahme in der Zeit vom … verlief ebenfalls erfolglos. Der Kläger ist erwerbsunfähig und lebt von einer LVA-Rente.

6

Mit Schreiben vom … wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen für die Eintrittspflicht der Beklagten wegen eines Bandscheibenschadens anlässlich des Vorfalls nicht bestehen würden. Diese Meinung bekräftigte sie gegenüber dem Kläger nochmals durch Schreiben vom … nach Einsicht eingereichter Arztatteste. Gleichwohl gewährte sie dem Kläger Krankenhaustagegeld und Genesungsgeld für die Zeit vom ... In ihrem diesbezüglichen Schreiben vom … an den Kläger informierte sie ihn darüber, dass eine Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sowie spätestens vor Ablauf einer Frist von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellt und geltend gemacht sein muss. Für den Fall einer bleibenden Invalidität wurde der Kläger aufgefordert, bis spätestens … ein fachärztliches Attest zu übersenden, auch wenn die Behandlung noch nicht abgeschlossen sein sollte.

7

Der Kläger wurde im Auftrage der …, bei der er ebenfalls eine Unfallversicherung abgeschlossen hatte, von … untersucht, der am … ein Gutachten fertigte, wonach durch den Vorfall am … ein Bandscheibenvorfall eingetreten sei, wobei die degenerative Schädigung der Bandscheibe mit einem Mitwirkungsanteil auf 40 % geschätzt wird. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Begutachtung ebenfalls im Auftrage der Beklagten erfolgte. Jedenfalls wies die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom … darauf hin, dass aufgrund einer Stellungnahme eines beratenden Facharztes der Einschätzung von … sowie der Einschätzung des behandelnden Arztes …, der eine unfallfremde Mitwirkung von lediglich 30 % angenommen hatte, nicht geteilt werde. Die Beklagte beauftragte eine weitere Begutachtung des Klägers durch …, der in seinem Gutachten vom … zu dem Ergebnis kam, dass der Bandscheibenvorfall überwiegend in einer schicksalhaften Veränderung zu sehen sei und es bei dem Ereignis vom … zum Symptomatisch-Werden eines alten Bandscheibenvorfalles gekommen sei. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Schreiben vom … Leistungen aus der Unfallversicherung ab.

8

Der Kläger ist der Meinung, dass die Beklagte ihre Eintrittspflicht durch Zahlung des Krankenhaustage- und Genesungsgeldes anerkannt habe. Des Weiteren behauptet der Kläger, dass der Bandscheibenvorfall überwiegend durch den Unfall vom … verursacht worden sei. Dadurch sei volle Invalidität eingetreten.

9

Der Kläger beantragt,

10

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Unfallrente von 1.000,00 € monatlich, beginnend mit dem 01.02.2004 zu zahlen
und
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Invaliditätsentschädigung von 600.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagzustellung zu zahlen.

11

Die Beklagte beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Die Beklagte ist der Meinung, dass der Vorfall vom … kein Unfall im Sinne des Unfallversicherungsrechts sei. Es fehle insbesondere an einem von außen auf den Körper des Klägers wirkenden Ereignisses. Des Weiteren behauptet die Beklagte, dass der Bandscheibenvorfall überwiegend durch die degenerative Vorschädigung verursacht worden sei. Deshalb sei der Bandscheibenvorfall entsprechend den vereinbarten Versicherungsbedingungen nicht versichert. Darüber hinaus ist die Beklagte der Meinung, dass eine Vollinvalidität nicht eingetreten sei. Selbst wenn man eine 60-prozentige Verursachung des Bandscheibenvorfalls unfallbedingt annehmen wollte, würde dies zu einem Invaliditätsgrad von unter 50 % führen, was hinsichtlich der begehrten Unfallrente auch im Falle ihrer Eintrittspflicht zu einem Wegfall der Zahlungspflicht der Beklagten und einer Reduzierung der Invaliditätsleistung führen würde.

14

Das Gericht hat den Kläger persönlich angehört. Des Weiteren hat es Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens vom … sowie mündlicher Anhörung des Sachverständigen ... Auf das Terminsprotokoll vom … sowie die gewechselten Schriftsätze einschließlich Anlagen wird ergänzend Bezug genommen.

15

Mit der am … zugestellten Klage hat der Kläger hinsichtlich der Invaliditätsleistung einen Betrag in Höhe von 280.000,00 € geltend gemacht. Der weitergehende Antrag wurde in der mündlichen Verhandlung vom … gestellt.

Entscheidungsgründe

16

Die Klage ist überwiegend begründet. Bei dem Vorgang vom … handelt es sich um einen Unfall, der den Bandscheibenvorfall des Klägers überwiegend verursacht hat. Dadurch ist Vollinvalidität des Klägers eingetreten. Die beantragte Invaliditätsleistung ist jedoch um 40 % aufgrund der Mitverursachung des Bandscheibenvorfalls durch verschleißbedingte Veränderungen zu reduzieren.

17

Der Sturz des Klägers am … ist schon in dem Stadium, in dem der Kläger noch nicht auf den Boden aufschlug, ein Unfall im Sinne des Unfallversicherungsrechts. Entgegen der Meinung der Beklagten ist es nicht erforderlich, dass der Bandscheibenvorfall durch Aufschlagen auf den Boden ausgelöst wurde. Ein Unfall liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Mit dem Merkmal „von außen" sollen Gesundheitsschädigungen ausgeschlossen werden, die auf einen inneren, organischen, zumeist krankhaften oder degenerativen Vorgang im Körper beruhen. Das Merkmal ist daher erfüllt, wenn Kräfte auf den Körper einwirken, die außerhalb des Einflussbereiches des eigenen Körpers liegen. Dabei ist es gleichgültig, ob als Folge der Einwirkung äußere oder innere Gesundheitsschädigungen entstehen. Eine Kollision des Körpers mit der Außenwelt ist dabei nicht erforderlich. Die Gesundheitsschädigung muss nicht die Körperoberfläche treffen. Das Ereignis muss lediglich von außen auf den Körper wirken im Gegensatz zu rein organischen krankhaften Vorgängen im Körper (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 4 Aufl., Unfallbegriff Rdnrn. 16, 27, 29, 30, 37). Stürze sind nach allgemeiner Auffassung als Unfall im oben genannten Sinne anzusehen. Das gilt auch für den vorliegenden Fall. Der Kläger trat versehentlich neben den Plattenweg und verlor dadurch unerwartet das Gleichgewicht mit der Folge, dass er unkontrolliert rotierend zu Fall kam. Durch diese von ihm nicht beherrschbare rotierende Bewegung wurde der Bandscheibenvorfall ausgelöst. Es liegt daher nicht lediglich eine ungeschickte Körperbewegung oder normale Eigenbewegung, die nicht als von außen wirkendes Ereignis anzusehen wären, vor. Vielmehr wurde die Körperbewegung irregulär von außen provoziert, sodass ein Unfallereignis zu bejahen ist.

18

Der von dem Kläger erlittene Bandscheibenvorfall ist versichert.

19

Nach Ziffer 5.2.1. ist allerdings der Versicherungsschutz von Schäden an Bandscheiben grundsätzlich ausgeschlossen. Der Versicherungsschutz besteht jedoch dann, wenn das Unfallereignis die überwiegende Ursache ist. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, Bandscheibenschädigungen grundsätzlich dem Krankheitsbereich und damit der Krankenversicherung zuzurechnen. Denn sie entstehen auch ohne äußere Einwirkung aufgrund schicksalhafter oder anlagebedingter Abnutzungserscheinungen und degenerativer Vorgänge im Körper. Die Bandscheiben unterliegen typischerweise bereits von früher Kindheit an Veränderungen, die im Alterungsprozess und in der Degeneration den benachbarten Strukturen deutlich vorauseilen. Die Veränderungen verlaufen zunächst klinisch stumm, d. h. sie werden subjektiv nicht wahrgenommen und manifestieren sich häufig erst anlässlich einer beliebigen Bewegung (sogenannte Gelegenheitsursache), wobei die dann auftretenden Beschwerden subjektiv als Unfall erfahren werden (vgl. Grimm, a. a. O., Ausschlüsse, Rdnrn. 62, 63). Es ist daher in der Rechtsprechung anerkannt, dass diese Einschränkung des Versicherungsschutzes durch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zulässig ist und der Versicherte den sogenannten Wiedereinschluss eines Bandscheibenvorfalls als Versicherungsfall zu beweisen hat. Dies erfordert den Nachweis, dass der Unfall die überwiegende Ursache des Bandscheibenvorfalls ist. An den Nachweis werden einhellig von der Rechtsprechung hohe Anforderungen gestellt. Im Hinblick auf die im Allgemeinen festzustellenden degenerativen Vorschäden lässt die Rechtsprechung es für die Annahme eines überwiegenden Verursachungsbeitrags des Unfalls an einem Bandscheibenvorfall in der Regel nicht ausreichen, dass der Versicherte zuvor auch bei körperlich schwerer Arbeit beschwerdefrei war und anlässlich des Unfalls unmittelbar Schmerzen aufgetreten sind. In der Regel wird davon ausgegangen, dass der jeweilige Unfall nur Gelegenheitsursache eines schon längerfristigen degenerativen Schädigungsprozesses ist, dem die überwiegende Ursächlichkeit für den Bandscheibenvorfall zugeschrieben wird. In den Urteilsbegründungen wird als Nachweis einer überwiegenden Verursachung durch das Unfallereignis gefordert, dass der Bandscheibenvorfall auch bei einer gesunden, nicht vorgeschädigten Bandscheibe aufgetreten wäre oder dass zugleich eine Verletzung der umgebenden knöchernen Strukturen vorliegen müsste (vgl. OLG Oldenburg Urteil v. 21.08.1996, 2 U 107/96; OLG Köln, r+s 2004, S. 165; OLG Frankfurt, r+s 2004, S. 431; OLG Karlsruhe, Urteil v. 17.03.2005, Az. 12 U 329/04).

20

Dieser Auslegung der Allg. Unfallsbedingungen folgt das Gericht, wobei darauf hinzuweisen ist, dass es kein allein ausschlaggebendes Kriterium sein kann, ob der jeweils zu beurteilende Unfall auch bei einer nicht vorgeschädigten Bandscheibe zu dem Bandscheibenvorfall hätte führen können. Da die Bandscheiben schon von frühester Kindheit an einer Degeneration ausgesetzt sind, ist der Rechtsprechung kein objektiver Idealzustand einer Wirbelsäule zu entnehmen, der als Maßstab dienen könnte. Der Wortlaut der Ziffer 5.2.1. der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (überwiegende Ursache) erfordert zudem eine Abwägung des jeweiligen Anteils an der Ursache des Bandscheibenvorfalls, für die kein Raum mehr bliebe, wenn eine idealtypische Bandscheibe oder Wirbelsäule alleiniges Kriterium wäre. Die Feststellung einer überwiegenden Verursachung erfordert eine Abwägung des konkreten Zustandes der Bandscheibe mit dem konkreten Unfallgeschehen und einer prozentualen Gewichtung des beiderseitigen Verursachungsbeitrags. Dabei wirken sich degenerative Veränderungen zu Lasten des Versicherten aus.

21

Bei der Frage, ob Bandscheibenvorfälle isoliert ohne begleitende knöcherne Verletzung an gesunden Bandscheiben anlässlich eines Unfalls überhaupt verursacht werden können, handelt es sich um eine medizinische, nicht um eine rechtliche Fragestellung. Der Sachverständige hat hierzu überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass diese Ansicht aufgrund von Untersuchungen vertreten wird, die an Leichenteilen oder Tierteilen durchgeführt worden sind. Dabei handelt es sich um experimentelle Laboruntersuchungen, in denen präparierte Wirbelsäulen in Materialprüfmaschinen eingespannt werden. Mit wenigen Ausnahmen würden diese Laboruntersuchungen davon ausgehen, dass Bandscheibenvorfälle nicht vorkommen. Diese Untersuchungen seien nicht an lebenden Menschen wurden gemacht worden und seien auf lebende Menschen in dynamischen Abläufen nicht ohne Weiteres übertragbar. Sie würden lediglich Erkenntnisse darüber liefern, welche Kräfte erforderlich seien, um Bandscheiben zu schädigen und welchen Kräften Bandscheiben in unterschiedlichem Hydrationszustand wiederstehen können, bis es zu Verletzungen kommt. Es handele sich um theoretische Erörterungen, die nicht zum Maßstab eines Unfallgeschehens gemacht werden können. Daraus ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts, dass das Fehlen knöcherner Verletzungen bei dem Kläger allein kein Grund ist, einen überwiegenden Verursachungsanteil des Unfallgeschehens an dem Bandscheibenvorfall auszuschließen.

22

Der Sachverständigen hat nach Überzeugung des Gerichts eine nachvollziehbare und zutreffende Abwägung zwischen dem Zustand der Bandscheibe des Klägers und dem Hergang des Unfalls vorgenommen. Er hat dargelegt, dass verschleißbedingte Veränderungen der Wirbelsäule bei dem Kläger vorliegen würden. Die Wirbelsäule des Klägers habe sich jedoch in einem altersgerechten Zustand befunden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Kläger in einem Alter sei, in dem Bandscheibenvorfälle häufig auftreten würden. Es handele sich um den Altersgipfel. Auf Frage des Beklagtenvertreters hat er erklärt, dass es sogenannte stumme Bandscheibenvorfälle gebe, die jeder haben könne, ohne etwas zunächst zu bemerken. Ein solcher Vorfall hätte auch beim Kläger vorgelegen haben können, wofür er, der Sachverständige, jedoch keine Anhaltspunkte habe. Ausschließen könne er dies jedoch nicht. Auf Veranlassung des Beklagtenvertreters wurde dem Sachverständigen auch der Operationsbericht des Arztes vom vorgehalten. Er hat dazu erklärt, dass sich für ihn daraus keine Erkenntnisse herleiten, die auf einen Bandscheibenvorfall hindeuten, der älter als drei Wochen sei. Die dortigen Befunde könnten ebenso gut durch den Vorfall verursacht worden sein. Die in dem Operationsbericht festgestellten narbig eingeheilten Sequesteranteile seien Zeichen für eine Degeneration der Bandscheibe, die von ihm ohnehin angenommen werde. Auch wenn der Sachverständige die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Vorfall einem 20-jährigen mit gesunder Wirbelsäule ebenfalls passiert wäre, für deutlich geringer ansieht, stellt der Sturz des Klägers für den Sachverständigen keine sogenannte Gelegenheitsursache dar. Überzeugend weist er darauf hin, dass der Kläger einen 40 Kilogramm schweren Sack auf den Schultern getragen habe und beim Ausweichmanöver plötzlich in eine Vertiefung getreten sei und den weiteren Bewegungsablauf muskulär nicht mehr habe kontrollieren können. Die Wirbelsäule sei dabei einer Kombination von einsetzenden Rotations- und Biegekräften unter gleichzeitiger Last des Körpergewichts zuzüglich 40 Kilo auf den Schultern des Klägers ausgesetzt gewesen. Der Verursachungsbeitrag der Degeneration der Wirbelsäule einerseits und den Umständen des Unfalls andererseits, könne nur aufgrund einer medizinischen Wertung vorgenommen werden. Weitere verlässliche medizinische Daten würden nicht zur Verfügung stehen. Diese Wertung nehme er derart vor, dass der Bandscheibenvorfall überwiegend von dem Fallen verursacht worden sei.

23

Dieser Wertung mit eine Quotelung von 40 zu 60 schließt sich das Gericht an (§ 287 ZPO). Abgesehen von den Besonderheiten der Fallbewegung und des auf dem Kläger lastenden Gewichts, sprechen nach Auffassung des Gerichts hierfür letztendlich auch die äußeren Umstände. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bereits vorher Probleme mit seiner Wirbelsäule gehabt hat. Im Gegenteil, der Umstand, dass er die schwere Last tragen konnte, spricht dagegen. Auch durch Voruntersuchungen, insbesondere durch den von der Beklagten selbst eingeschalteten Sachverständigen … in einem früheren Gutachten vom … wurde ein altersgerechter Zustand der Wirbelsäule festgestellt. Es ist unverständlich, wie er diese Befunde in seiner dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Begutachtung zulasten des Klägers relativieren will.

24

Durch den Unfall ist Vollinvalidität im Sinne Nr. 2.1.2.2.2 der Versicherungsbedingungen entstanden. Der Invaliditätsgrad bemisst sich danach, inwieweit die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt ist, was ausschließlich durch medizinische Gesichtspunkte zu bewerten ist. Abzustellen ist danach auf einen Durchschnittsbürger („normalen") gleichen Alters und Geschlechts. Unerheblich ist, ob die Beeinträchtigung im Einzelfall wegen besonderer Begabungen und Fähigkeiten höher ist. Durch das ausschließliche Abstellen auf medizinische Gesichtspunkte werden andere Bewertungen und Empfindungen des Verletzten ausgeschlossen (vgl. Prölls/Martin, § 7 AUB 94, Rdnr. 3).

25

Der Kläger hat in seiner persönlichen Anhörung glaubhaft angegeben, dass er weder lange laufen noch lange sitzen könne. Der normale Lebensablauf sei nicht mehr vorhanden. Auch anlässlich der mündlichen Verhandlung tat ihm der Rücken weh und er musste am Morgen Schmerzmittel nehmen, um die Verhandlung überhaupt durchhalten zu können. Das sei ihm alles schon viel zu viel gewesen. Spazieren gehe er schon lange nicht mehr. Er gehe lediglich nur noch einen kurzen Weg zur Bushaltestelle vor seiner Wohnung, um sich dort auf eine Bank zu setzen, weil er Freude daran habe, die Schulkinder in den Bus ein- und aussteigen zu sehen. Zu Hause habe er ein Kissen, dass ihm beim Liegen helfe. Er könne ca. eine viertel Stunde bis 20 Minuten auf einer Stelle liegen und müsse sich dann wieder wenden. Im Alltag könne er sich kaum noch selbst helfen. Er gehe immer an einem Stock. Dadurch könne er sich besser halten. Er habe alles versucht, um gesund zu werden. Einmal sei er gestolpert. Dies habe zur Inkontinenz geführt. Man habe ihm geraten, sich operieren zu lassen, wovon er jedoch im Hinblick auf die Krankheit seiner Ehefrau Abstand genommen habe.

26

Mit der Klagschrift hat der Kläger vortragen lassen, dass er sich nur eingeschränkt bewegen könne und dies unter ständiger Wirkung von Schmerzmitteln. Er müsse einen Stützgürtel tragen. Körperlich sei er überhaupt nicht mehr belastbar. Es könne keine Lasten tragen. Er könne nicht einmal lange auf einer Seite sitzen, weil dadurch der Schmerz zu groß werde. Auch im Liegen müsse er ständig die Stellung wechseln, um Rückenschmerzen zu minimieren. Dieser Dauerschmerz, die dadurch verursachten Schlafstörungen, drückten sich dadurch aus, dass der Kläger nicht nur körperlich beeinträchtigt sei, sondern auch seelisch in der Weise, dass durch den Dauerschmerz die geistige Leistungsfähigkeit erheblich gemindert werde.

27

Der Sachverständige hat an der Richtigkeit der Beschreibung der Beschwerden keinen Zweifel. Nach seiner Einschätzungen seien die geschilderten Beschwerden absolut verständlich. Der Kläger leide unter dem typischen Durchbrechgefühl, die absolute Belastungsunfähigkeit und hochgradige Einschränkung der Bewegungsfähigkeit sowie die Auslösung von Rücken- und Beinschmerzen unter Bewegung. Die Versorgung mit einem Stützkorsett führe nur zu einer geringfügigen Linderung, sei jedoch nicht geeignet, die Instabilität der Wirbelsäule zu kompensieren. Durch den inzwischen langanhaltenden Schmerzzustand komme es nicht nur zu körperlichen oder notwendigerweise auch zu begleitenden seelischen Beeinträchtigungen.

28

Anlässlich dieser Beschwerden ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger im Vergleich zu einem normalen Durchschnittsbürger gleichen Alters und Geschlechts als Vollinvalide anzusehen ist. Die Invalidität ist auch auf Dauer eingetreten. Denn die Operation verlief erfolglos und der Zustand des Klägers hat sich in den ca. 3 Jahren nach dem Unfall trotz Rehabilitationsmaßnahmen nicht gebessert.

29

Der Hinweis der Beklagten auf die Gliedertaxe insbesondere darauf, dass auch der Verlust eines Beines lediglich mit 70 % Invalidität angesetzt werde, ist nicht überzeugend. Auch nach Verlust eines Beines ist der Betroffene unter Hilfsmitteln in der Lage, sich schmerzfrei zu bewegen. Daher bleibt ihm noch ein erheblicher Spielraum, aktiv zu sein. Dies ist bei dem Kläger nicht der Fall, der aufgrund der ständigen Schmerzen vollständig in seiner Bewegungsfreiheit und auch sonstigen Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist.

30

Unzutreffend ist es auch, wenn die Beklagte darauf hinweist, dass hinsichtlich der psychischen Einschränkungen des Klägers der Ausschlusstatbestand der Ziffer 5.2.6. der Unfallbedingungen zu berücksichtigen sei. Danach besteht kein Versicherungsschutz für krankhafte Störungen infolge von psychischer Reaktionen, wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden. Diese Bestimmung setzt die krankhafte Störung infolge einer psychischen Reaktion auf ein Unfallereignis voraus (vgl. dazu Grimm, a. a. O., Rdnr. 99). Hierum geht es jedoch bei den Beschwerden des Klägers nicht. Der Kläger ist vielmehr durch andauernde Schmerzen, nicht durch eine psychische Fehlverarbeitung des Vorfalles, beeinträchtigt.

31

Es gibt daher keinen Anlass, eine ergänzende Begutachtung des Klägers hinsichtlich der Folgen des Unfalls einschließlich einer etwaigen Abgrenzung von psychischen Beeinträchtigungen vorzunehmen. Die Sachverständigenfeststellungen reichen zur Feststellung der Invalidität des Klägers aus.

32

Die Einwendungen der Beklagten gegen die Sachverständigenausführungen rechtfertigen auch keine Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 412 ZPO. Dies kommt nur dann in Betracht, wenn das Gutachten mangelhaft, also unvollständig, widersprüchlich, nicht überzeugend ist, das Gutachten von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht und der Sachverständige erkennbar oder erklärtermaßen nicht die notwendige Sachkunde hat, die sogenannten Anschlusstatsachen sich durch neuen Sachvortrag geändert haben oder ein anderer Sachverständiger über überlegene Forschungsmittel oder Erfahrung verfügt (vgl. Greger in Zöller, § 412 Rdnr. 1). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Sachverständige hat sich überzeugend mit den kritischen Fragen der Beklagten auseinandergesetzt und diese zur Überzeugung des Gerichts sachkundig beantwortet. Der Umstand, dass der von der Beklagten beauftragte Gutachter .. zu einer anderen Bewertung kommt, rechtfertigt eine weitere Begutachtung nicht, ohne dass damit die Integrität von … in Zweifel gezogen werden soll. Zweifel an der Sachkunde des gerichtlichen Sachverständigen und an der Richtigkeit seiner Begutachtung ergeben sich aus den abweichenden Bewertung des Parteigutachters nicht.

33

Ausgehend von der festgestellten Vollinvalidität ist diese jedoch gemäß Ziffer 2.1.2.2.3. der Unfallbedingungen um den Umfang der aufgrund der Degeneration bereits vorhandenen Beeinträchtigung der Wirbelsäule zu reduzieren. Die Invaliditätsleistung ist daher um 40 % zu mindern. Insoweit ist die Klage unbegründet.

34

Der Zinsanspruch hinsichtlich der Invaliditätsleistung ist gemäß den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB begründet.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

36

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur
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published on 17.03.2005 00:00

Tenor 1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.07.2004 - 9 0 32/00 - wird zurückgewiesen. 2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
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(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.

(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.

Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.

*

(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.

(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.

(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.

(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.