Landgericht Dortmund Urteil, 16. Aug. 2016 - 1 S 35/16
Gericht
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 17.12.2015 – Az.: 196 C 164/15 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft L-Straße in F der Wohnungseigentümerversammlung vom 16.06.2015 zu den Tagesordnungspunkten 3, 4, 5 und 6 werden für unwirksam erklärt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Kläger zu 7 % und die Beklagten zu 93 %, die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen die Kläger zu 9 % und die Beklagten zu 91 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Gründe:
2I.
3Auf die Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO verzichtet.
4II.
5Die Berufung ist teilweise begründet. Die Klage ist teilweise begründet.
61.
7Die Berufung ist bezüglich des Antrages 1) begründet. Das Amtsgericht hat die Klage bezüglich der Ungültigkeitserklärung der Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft vom 16.06.2015 unter den Tagesordnungspunkten 3-6 zu Unrecht abgewiesen. Die Beschlussanfechtungsklage ist begründet.
8Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts führt der Verstoß gegen die Regelung aus § 13 Abs. 8 der Teilungserklärung der Eigentümergemeinschaft dahingehend, dass nur die beklagte Eigentümerin das Protokoll der Eigentümerversammlung vom 16.06.2015 unterschrieben hat und kein zweites Mitglied der Eigentümergemeinschaft, zu einer Anfechtbarkeit sämtlicher auf der Eigentümerversammlung getroffener Beschlüsse.
9a)
10Der Verstoß gegen die von der Eigentümergemeinschaft bestimmte konstitutive Regelung aus § 13 Abs. 8 der Teilungserklärung, in der die Gemeinschaft bestimmt hat, dass zur Gültigkeit von Beschlüssen der Eigentümergemeinschaft die Protokollierung und die Unterschrift von zwei von der Gemeinschaft bestimmten Wohnungseigentümern erforderlich ist, hat die Anfechtbarkeit der Beschlüsse zur Folge (vgl. z. B. Bärmann/Merle, WEG, 12. Aufl., § 23 Rn. 200 ff, Münchener Kommentar zum BGB/Engelhardt, 6. Aufl., § 24 Rn. 33; BGH, Beschluss v. 03.07.1997, Az.: V ZB 2/97; BGH, Urteil v. 30.03.2012, Az.: V ZR 178/11).
11b)
12Der Zweck der von der Eigentümergemeinschaft bestimmten qualifizierten Protokollierungsklausel ist nicht gewahrt. Durch die Unterschrift von zwei Wohnungseigentümern besteht nicht nur für die Eigentümer, die nicht an der Versammlung teilgenommen haben, sondern auch für anwesend gewesene Eigentümer und etwaige Rechtsnachfolger die erhöhte Gewähr dafür, dass das Protokoll den Inhalt der Eigentümerversammlung vollständig und inhaltlich richtig widergibt und sich auf den Inhalt des Protokolls z. B. in einem etwaigen Rechtsstreit verlassen werden kann (vgl. u. a. Bärmann/Merle, WEG, 12. Aufl., § 23 Rn. 203; BGH, Urteil v. 30.03.2012, Az.: V ZR 178/11).
13c)
14Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist die Berufung der Kläger auf die Anfechtbarkeit mangels zweiter Unterschrift eines Miteigentümers nicht rechtsmissbräuchlich, weil zwischen den Parteien streitig ist, ob das Protokoll inhaltlich richtig ist und damit, ob der Kläger zu 1) zu Recht seine Unterschrift verweigert hat (vgl. LG Dortmund, Urteil v. 06.08.2013, Az.: 1 S 298/12 m. w. N.).
15aa)
16Zwischen den Parteien steht im Streit, ob das Protokoll der Versammlung deren Inhalt vollständig und richtig widergibt. Die Kläger haben insbesondere in dem Schriftsatz vom 02.10.2015 die Richtigkeit des Protokolls gerügt, indem sie behauptet haben, dass das Protokoll – zumindest teilweise – nicht den tatsächlichen Ablauf der Eigentümerversammlung vom 16.06.2015 wiedergebe.
17bb)Die Entscheidung über die Frage, ob der Kläger zu 1) die Unterschrift zu Recht verweigert hat, ist indes nicht in den hiesigen Rechtsstreit zu verlagern, sondern ist ggf. in einem Rechtsstreit der hiesigen Beklagten gegen den hiesigen Kläger zu 1) auf Protokollunterzeichnung zu klären.
18Selbst bei unberechtigter Verweigerung der Unterschrift muss ein Verfahren gegen den Kläger auf Leistung der entsprechenden Unterschrift geführt werden und kann ggf. mit dessen Beschlussanfechtungsklage verbunden werden (BGH, Beschluss vom 03.07.1997, Az.: V ZB 2/97 und auch LG Dortmund, Urteil v. 06.08.2013, Az.: 1 S 298/12).
19Insbesondere kann ein Wohnungseigentümer, der von der Richtigkeit der Protokollierung in der Eigentümerversammlung nicht überzeugt ist, durch die übrigen Wohnungseigentümer ohne weitergehende gerichtliche Überprüfung nicht zu einer Versicherung der Vollständigkeit und inhaltlichen Richtigkeit des Protokolls in Form seiner Unterschrift gezwungen werden.
20cc)
21Ein Verstoß gegen die Formvorschrift ist zwingend mit der Anfechtbarkeit der Beschlüsse verbunden, unabhängig davon, ob sich der Verstoß auf die Richtigkeit oder Vollständigkeit des Protokolls ausgewirkt hat (BGH, Beschluss vom 03.07.1997, Az.: V ZB 2/97).
22Ein Verweis auf die fehlende Unterschrift – unabhängig davon, ob es die eigene ist – und die damit mögliche Anfechtbarkeit der Beschlüsse, ändert nichts daran, dass die Wohnungseigentümer im Rahmen der ordnungsmäßen Verwaltung aus § 21 Abs. 4 WEG einen Anspruch darauf haben, dass eine ordnungsgemäße Protokollierung entsprechend der Vereinbarungen in der Teilungserklärung erfolgt.
232.
24Die Berufung ist bezüglich des Gestaltungsantrages der Kläger gem. § 21 Abs. 8 WEG dahingehend, dass das Gericht den bestehenden Verwaltervertrag kündige und der Wohnungseigentümergemeinschaft einen Notverwalter bestelle, unbegründet.
25Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine Ermessensentscheidung durch das Gericht gem. § 21 Abs. 8 WEG, weder hinsichtlich der Kündigung des Verwaltervertrages noch hinsichtlich der Bestellung eines Notverwalters.
26a)
27Der Klage mangelt es bereits am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Die Kläger haben sich zuvor nicht ausreichend und vergeblich um die Herbeiführung einer Beschlussfassung durch die Eigentümergemeinschaft bemüht (vgl. Bärmann/Merle, WEG, 12. Aufl., § 21 Rn. 207).
28aa)
29Weil der Eigentümergemeinschaft bezüglich der von ihr gefassten Beschlüsse ein weiter Ermessenspielraum zusteht, ist die gestaltende Entscheidung durch das Gericht nur in Ausnahmefällen geboten (z.B. BGH, Urteil v. 15.01.2010, Az. V ZR 114/09; BGH, Urteil v. 20.11.2015, Az.: V ZR 284/14).
30Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Eigentümergemeinschaft sich nicht mit der Frage der Abberufung des jetzigen Verwalters vor der hiesigen Klage befasst hat und dass die Kläger vor dem Antrag gem. § 21 Abs. 8 WEG im hiesigen Rechtsstreit keine Beschlussfassung über die Abberufung des jetzigen Verwalters angestrebt haben. Insbesondere haben die Kläger keinen Beschlussantrag in der Eigentümerversammlung vom 16.06.2015 gestellt.
31bb)
32Allein die Tatsache, dass es sich bei der Wohnungseigentümergemeinschaft L-Straße um eine zerstrittene Gemeinschaft handelt, deren Mitglieder bereits mehrere Verfahren bis in die Berufungsinstanz gegeneinander geführt haben und die Beklagte aufgrund ihrer Majoritätsstellung in der Gemeinschaft in der Lage ist, allein Mehrheitsentscheidungen herbeizuführen, rechtfertigt es nicht, dass die Kläger die Beschlussfassung über die Abberufung des jetzigen Verwalters nicht versucht haben.
33Die Kläger hätten insbesondere die Möglichkeit gehabt, auf der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung vom 16.06.2015 einen diesbezüglichen Antrag zu stellen, um bei Ablehnung des Beschlussantrages den hiesigen Gestaltungsantrag zu stellen. Die Kläger hatten nach ihrem Vortrag bereits seit (spätestens) Ende 2014 Kenntnis von dem gegen den Verwalter gerichteten Insolvenzverfahren und damit von einem (ggf.) bestehenden wichtigen Grund zur Abberufung des Verwalters.
34b)
35Die Klage ist darüber hinaus unbegründet, weil die Kläger keinen Anspruch auf die Kündigung des Verwaltervertrages durch das Gericht haben.
36aa)
37Das Gericht ist grundsätzlich an sämtliche Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft gebunden, die nicht nichtig sind, also auch an solche, die ordnungsmäßiger Verwaltung widersprechen (vgl. Bärmann/Merle, WEG, 13. Aufl., § 21 Rn. 206). Es steht den Eigentümern frei, die Bestandskraft durch die Erhebung der Anfechtungsklage zu verhindern. Hinzu kommt, dass der Eigentümergemeinschaft ein umfassender Ermessensspielraum zukommt, den das Gericht im Rahmen einer Beschlussanfechtungsklage lediglich auf Ermessensfehler überprüft (vgl. Bärmann/Merle, WEG, 13. Aufl., § 21 Rn. 30; LG Berlin, Urteil v. 01.11.2013, Az. 55 S 184/11).
38bb)
39Im Rahmen der Gestaltungsklage gem. § 21 Abs. 8 WEG kann das Gericht allerdings einen bestandskräftigen und nicht nichtigen Beschluss der Gemeinschaft über die Bestellung eines Verwalters im Ergebnis aufheben, wenn die Entscheidung der Gemeinschaft, den Verwalter nicht abzuberufen ordnungsmäßiger Verwaltung gem. § 21 Abs. 4 WEG widerspricht, weil die Entscheidung dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen widerspricht.
40Die Nichtabberufung des Verwalters entspricht – zur Zeit der Entscheidung durch das Gericht am 16.08.2016 – ordnungsmäßiger Verwaltung gem. § 21 Abs. 4 WEG. Ein wichtiger Grund zur vorzeitigen Abberufung des Verwalters liegt nicht vor.
41(1)
42Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung nicht zu berücksichtigen, ob – trotz Privatinsolvenz des Verwalters – die Entscheidung zur Verwalterbestellung im Jahr 2013 ordnungsmäßiger Verwaltung entsprach, weil dies einer Beschlussanfechtungsklage vorbehalten gewesen wäre, die – unstreitig – gegen den Bestellungsbeschluss des jetzigen Verwalters nicht erhoben worden ist.
43(2)
44Vielmehr hatte die Kammer bei der Entscheidung auf die Umstände zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.
45(a)
46Durch den – unstreitigen – Abschluss einer Vermögensschadenshaftpflichtversicherung im Jahr 2015 durch den Verwalter ist nunmehr sicher gestellt, dass die Gemeinschaft im Haftungsfall Ersatz erhält, weil die Versicherung die im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Verwalters dessen Verbindlichkeiten gegenüber der Gemeinschaft ersetzt (vgl. BGH, Urteil v. 22.06.2012, Az.: V ZR 190/11).
47(b)
48Weiterhin führt das Amtsgericht zu Recht aus, dass die Beeinflussung der Beklagten durch den Verwalter nicht substantiiert dargelegt ist und die Nichtzahlung auf die Forderung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss eines nicht rechtskräftigen Verfahrens keine Pflichtverletzung darzustellen vermag.
49c)
50Unabhängig davon, dass auch der Gestaltungsklage auf Bestellung eines Notverwalters das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (s. o.) und die Kläger bereits keinen Anspruch auf die gerichtliche Abberufung des jetzigen Verwalters haben, besteht kein Anspruch auf die Bestellung eines Notverwalters.
51Die Kläger verkennen bereits die Anforderungen, die an eine begründete Gestaltungsklage nach § 21 Abs. 8 WEG zu stellen sind.
52aa)
53Im Rahmen einer Gestaltungsklage nach § 21 Abs. 8 WEG übt das Gericht kein freies Ermessen aus. Vielmehr ist das Gericht an den Tatsachenvortrag der Parteien gebunden (Bärmann/Merle, WEG, 13. Aufl., § 21, Rn. 210) und übt sein Ermessen lediglich anstelle der Wohnungseigentümer aus, wobei es eine Regelung nach denselben Maßstäben zu treffen hat, wie sie das Gesetz den Wohnungseigentümern vorgibt (Bärmann/Merle, WEG, 13. Aufl., § 21, Rn. 214; LG Dortmund, 1 S 416/15).
54bb)
55Unter Beachtung des Beibringungsgrundsatzes haben die Parteien dem Gericht die zur Ermessensausübung erforderlichen Tatsachen beizubringen, um dieses in die Lage zu versetzen, nach billigem Ermessen in der Weise zu entscheiden, wie es an sich die Aufgabe der Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung wäre. Dies bedingt, dass die Kläger gehalten sind, geeignete Personen für die Verwalterbestellung vorgeschlagen und die jeweiligen Konditionen des Verwaltervertrages nebst der Zustimmung zur Übernahme des Verwalteramtes durch gerichtliche Bestellung darzulegen (Bärmann/Merle, WEG, 13. Aufl., § 26, Rn. 283), wobei nach ständiger Rechtsprechung der Kammer bei einer Neubestellung eines Verwalters - anders als bei einer Wiederbestellung - wenigstens drei Alternativangebote vorliegen müssen (vgl. LG Dortmund, Urteil v. 10.11.2015, Az.: 1 S 308/15). Denn auch in einer Eigentümerversammlung könnten die Wohnungseigentümer einen ordnungsgemäßen Beschluss über eine Verwalterbestellung nur fassen, wenn entsprechende Alternativangebote vorliegen.
56Vorliegend fehlen bereits drei ordnungsgemäße Alternativangebote.
57III.
58Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
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Annotations
(1) Die Kosten einer baulichen Veränderung, die einem Wohnungseigentümer gestattet oder die auf sein Verlangen nach § 20 Absatz 2 durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer durchgeführt wurde, hat dieser Wohnungseigentümer zu tragen. Nur ihm gebühren die Nutzungen.
(2) Vorbehaltlich des Absatzes 1 haben alle Wohnungseigentümer die Kosten einer baulichen Veränderung nach dem Verhältnis ihrer Anteile (§ 16 Absatz 1 Satz 2) zu tragen,
- 1.
die mit mehr als zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und der Hälfte aller Miteigentumsanteile beschlossen wurde, es sei denn, die bauliche Veränderung ist mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden, oder - 2.
deren Kosten sich innerhalb eines angemessenen Zeitraums amortisieren.
(3) Die Kosten anderer als der in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten baulichen Veränderungen haben die Wohnungseigentümer, die sie beschlossen haben, nach dem Verhältnis ihrer Anteile (§ 16 Absatz 1 Satz 2) zu tragen. Ihnen gebühren die Nutzungen entsprechend § 16 Absatz 1.
(4) Ein Wohnungseigentümer, der nicht berechtigt ist, Nutzungen zu ziehen, kann verlangen, dass ihm dies nach billigem Ermessen gegen angemessenen Ausgleich gestattet wird. Für seine Beteiligung an den Nutzungen und Kosten gilt Absatz 3 entsprechend.
(5) Die Wohnungseigentümer können eine abweichende Verteilung der Kosten und Nutzungen beschließen. Durch einen solchen Beschluss dürfen einem Wohnungseigentümer, der nach den vorstehenden Absätzen Kosten nicht zu tragen hat, keine Kosten auferlegt werden.
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.