Landgericht Bonn Urteil, 10. Juni 2016 - 17 O 68/16
Gericht
Tenor
1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
1
Tatbestand
2Der Kläger macht Ansprüche aufgrund des von ihm erklärten Widerrufs seiner auf Abschluss von Darlehensverträgen gerichteten Willenserklärungen geltend.
3Der Kläger unterzeichnete am 01.06.2006 ein Darlehnsangebot der Beklagten über ein Darlehen aus L-Finanzierungsmitteln in Höhe von 58.500,00 EUR, geführt als Unterkonto ### zur Hauptdarlehensnummer ##########. Für dieses Darlehen wurde ein Zinssatz von nominal 4,55 % p.a. mit einer Festzinsbindung bis 30.06.2016 vereinbart.
4Am 04.05.2016 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Darlehensantrag über ein Darlehen in Höhe von 111.500,00 EUR, geführt als Unterkonto ### zur Hauptdarlehensnummer ##########. Für dieses Darlehen wurde ein Zinssatz von nominal 4,7 % p.a. mit einer Festzinsbindung bis zum 30.06.2016 vereinbart.
5In der Widerrufsbelehrung, die dem Darlehensangebot auf Seite 6 und dem Darlehensantrag auf Seite 5 beigefügt war, heißt es unter anderem:
6„Die Widerrufsfrist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung.“
7Für die weiteren Einzelheiten der Darlehensverträge und der Widerrufsbelehrung wird auf die Darlehensverträge (Anlage K 1 und Anlage K 2) verwiesen.
8Die Beklagte zahlte das Darlehen in der Folgezeit vereinbarungsgemäß an den Kläger aus. Dieser leistete in der Folgezeit die vereinbarten Zahlungen.
9Für das Unterkonto ### wurde am 09.05.2008 eine Änderung der Tilgungsvereinbarung vorgenommen und Tilgungssatz auf 1,324% p.a. reduziert (Anlage B 2).
10Mit Schreiben vom 18.07.2014 widerrief der Kläger seine auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen (Anlage K 5). In diesem Schreiben erklärte der Kläger, die weiteren Zahlungen erfolgten unter Vorbehalt der Rückforderung. Die Beklagte lehnte die Abwicklung mit Schreiben vom 01.10.2014 ab (Anlage K 6).
11Die Beklagte übersandte am 18.06.2015 dem Kläger eine Aufhebungsvereinbarung. Diese Vereinbarung sah für die vorzeitige Vertragsaufhebung die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung für beide Darlehensunterkonten in Höhe von 6.135,21 EUR vor. In der Vereinbarung war eine Regelung folgenden Inhalts vorgesehen:
12„Nach Zahlung der vorgenannten Beträge sind alle gegenseitigen Ansprüche bezüglich der v.g. Darlehensbeträge abgegolten.“
13Für die weiteren Einzelheiten wird auf die „Vereinbarung über vorzeitige Vertragsaufhebung“ vom 18.06.2015 (Anlage B 5) Bezug genommen, die der Kläger vorbehaltlos annahm. Der Kläger beglich die fälligen Beträge einschließlich der Vorfälligkeitsentschädigung vollständig.
14Der Kläger behauptet, zum Zeitpunkt des Widerrufs seien alle weiteren Erklärungen unter Vorbehalt gestellt worden.
15Der Kläger ist der Ansicht, die auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärungen seien wirksam widerrufen worden, da er - der Kläger - nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden sei. Die Verwendung des Wortes „frühestens“ ermögliche es dem Verbraucher nicht, den Fristbeginn ohne weiteres zu erkennen. Auf die Schutzwirkung der Musterwiderrufsbelehrung könne sich die Beklagte nicht berufen, da sie die Musterbelehrung einer inhaltlichen Bearbeitung unterzogen habe. Im Übrigen sei die Aufhebungsvereinbarung nach erklärtem Widerruf ohne Wirkung und damit unbeachtlich. Insbesondere hätte zum Zeitpunkt des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung nur ein Rückgewährschuld- und kein Darlehensverhältnis bestanden.
16Die von dem Kläger geleisteten Zahlungen seien in der Rückabwicklung mit 5 % über dem Basiszins zu verzinsen.
17Der Kläger beantragt,
18die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 23.277,63 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über den Basiszins seit dem 10. August 2015 zu zahlen.
19Die Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Die Beklagte ist der Auffassung, dem Kläger stehe kein Widerrufsrecht zu. Zum einen sei der Widerruf verfristet, da die verwendete Widerrufsbelehrung sowohl den gesetzlichen Vorgaben entspreche als auch der Schutzwirkung der Musterbelehrung unterfalle. Zum anderen sei die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger nach mehr als acht Jahren Vertragslaufzeit und Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen verwirkt und rechtsmissbräuchlich. Die Aufhebungsvereinbarung nach Erklärung des Widerrufs stehe der Geltendmachung etwaiger Ansprüche entgegen.
22Dem Kläger stehe im Übrigen kein Anspruch auf Verzinsung geleisteter Zahlungen zu.
23Die Klage wurde am 04.05.2015 am Landgericht Bochum angestellt und der Beklagten am 26.05.2015 zugestellt.
24Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2016 (Bl. ### - ### d.A.) Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe
26I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf die mit dem Klageantrag begehrte Leistung.
27Es kann dahinstehen, ob die Widerrufsbelehrungen bezüglich der streitgegenständlichen Darlehensverträge den an sie zu stellenden Anforderungen gerecht geworden ist oder der Beklagten die Gesetzlichkeitsfiktion der Musterbelehrung zur Seite steht. Unterstellt man zu Gunsten des Klägers, dass die Widerrufsbelehrungen die Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt haben, stand der Ausübung eines Widerrufsrechts durch den Kläger der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (OLG Köln, Beschl. v. 10.02.2016 – 13 U 137/15). Zwar ist widersprüchliches Verhalten nach der Rechtsordnung grundsätzlich zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13 -, BGHZ 202, 102-122, Rn. 33). Indessen ist widersprüchliches Verhalten rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann eine Rechtsausübung etwa dann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (vgl. BGH, Urteil vom 14.07.2015, VI ZR 326/14 Rn. 26 = MDR 2015, 1198, 1199). Für den aus widersprüchlichem Verhalten hergeleiteten Einwand des Rechtsmissbrauchs sind weder unredliche Absichten oder ein Verschulden des Klägers erforderlich. Durch das Verhalten des Rechtsinhabers muss nur ein ihm erkennbares, schutzwürdiges Vertrauen der Gegenseite auf eine bestimmte Sach- oder Rechtslage hervorgerufen worden sein (BGH, Urteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13 – BGHZ 202, 102-122, Rn. 37).
28So liegt es hier. Dem Kläger war sein Widerrufsrecht bekannt und er hatte es zum Zeitpunkt des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung mit Schreiben vom 18.07.2014 hinsichtlich der Darlehensverträge ausgeübt. Aufgrund des Schreiben der Beklagten vom 01.10.2014 (Anlage K 6) war dem Kläger auch bekannt, dass er und die Beklagte hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der Widerrufsbelehrungen und damit bezüglich des (Fort-)Bestandes des Widerrufsrechtes unterschiedliche Auffassungen vertraten und ihm nach Auffassung der Beklagten weder ein Widerrufsrecht noch ein Kündigungsrecht hinsichtlich des streitgegenständlichen Darlehensvertrages zustand (OLG Köln, Beschl. v. 10.02.2016 – 13 U 137/15). Gerade vor diesem Hintergrund entschloss sich der Kläger den Klageweg zu beschreiten und die Umwandlung der Darlehensverhältnisse in Rückgewährschuldverhältnisse feststellen zu lassen. Durch die Klageschrift vom 29.04.2015, die auf mehreren Seiten Stellung zum Bestand und den Rechtsfolgen des Widerrufsrechts bezog, war dem Kläger sein rechtlicher Standpunkt bekannt. Auf Grund der Erläuterungen der Klageschrift konnte er auch erkennen, dass das von geltend gemachte Widerrufsrecht ihm die Möglichkeit bot, sich ohne Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung von den Darlehensverträgen zu lösen.
29Vor diesem Hintergrund konnte die Beklagte die ohne Vorbehalt erfolgte Zahlung des von ihr mit Schreiben vom 18.06.2015 als Voraussetzung für eine vorzeitige Beendigung des Darlehensverhältnisses ausgerechneten Ablösebetrags zzgl. Vorfälligkeitsentschädigung nicht anders verstehen, als dass der Kläger diesem Angebot zustimmen und die Durchsetzung des reklamierten sowie erklärten Widerrufsrechts samt seiner Rechtsfolgen nicht mehr verfolgen würde.
30Ein Vorbehalt hinsichtlich des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung und der Zahlungen, der einem widersprüchlichen Verhalten entgegenstehen könnte, besteht nach Auffassung der Kammer nicht. Soweit mit dem Widerrufschreiben vom 18.07.2014 (Anlage K 5) alle weiteren Zahlungen unter den Vorbehalt der Rückforderung gestellt wurden, erfolgte dies zwar vor Abschluss der Aufhebungsvereinbarung. Die Beklagte konnte aber in Folge des nicht erneut erklärten Vorbehalts im Rahmen der Anbahnung der Aufhebungsvereinbarung davon ausgehen, dass die auf Grund der Vereinbarungen geleisteten Zahlungen den bestehenden Streit beenden sollten. Diesen Eindruck konnte sie gerade deshalb gewinnen, da die Aufhebungsvereinbarung gerade nach Rechtshängigkeit des vorliegenden Verfahrens zu Stande kam und eine neue einvernehmliche Lösung darstellen sollte. Soweit der Kläger vorgetragen hat, auch alle weiteren Erklärungen hätten unter einem Vorbehalt gestanden, kann ein solcher Vorbehalt weder im Widerrufsschreiben des Klägers (Anlage K 5) noch im Schreiben seines Bevollmächtigten vom 22.10.2014 (Anlage K 7) gefunden werden. Der mit Schreiben vom 18.07.2014 erklärte Vorbehalt bezieht sich ausdrücklich nur auf Leistungen und nicht auf Erklärungen.
31Dem steht nicht entgegen, dass in der Aufhebungsvereinbarung kein konkreter Bezug auf den vorliegenden Rechtsstreit genommen wurde. Im Hinblick auf den bereits rechtshängigen Streit wäre vielmehr ein konkreter Vorbehalt seitens des Klägers zu erwarten gewesen.
32Mit der Weiterverfolgung des Widerrufsrechts hat sich der Kläger in rechtsmissbräuchlicher Weise in Widerspruch zu seinem vorangegangenen Verhalten gesetzt, denn die Beklagte war zum Abschluss der Aufhebungsvereinbarung nur unter der Voraussetzung bereit, dass der Anspruch auf die Vorfälligkeitsentschädigung mit dem Abschluss der Aufhebungsvereinbarung geklärt wird. Die Beklagte durfte angesichts dieser Umstände darauf vertrauen, dass der Kläger nach vorbehaltlosem Abschluss der Aufhebungsvereinbarung ein etwaiges Widerrufsrecht nicht weiter verfolgen würde. Das Vertrauen der Beklagten in den Fortbestand der mit der Aufhebungsvereinbarung geschaffenen Rechtslage ist angesichts der vorangegangenen Differenzen hinsichtlich des Widerrufsrechts und der Klageerhebung auch schützenswert.
33Diesen Erwägungen steht nicht die Annahme der Kammer nicht entgegen, dass die in Rede stehende Aufhebungsvereinbarung den Widerruf nicht ausschließt und sie kein eigenständigen Rechtsgrund für Zahlungen begründet (zuletzt LG Bonn, Urt. v. 06.05.2016 – 17 O 187/15). In der hier streitgegenständlichen Konstellation wurde die Aufhebungsvereinbarung gerade nicht in Unkenntnis des Widerrufsrechts abgeschlossen.
34II. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
35Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Klägers vom 06.06.2016 bot keinen Anlass die mündliche Verhandlung gem. § 156 ZPO wiederzueröffnen.
Annotations
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.
(2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn
- 1.
das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt, - 2.
nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen Wiederaufnahmegrund (§§ 579, 580) bilden, oder - 3.
zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung (§§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ein Richter ausgeschieden ist.