Landgericht Bonn Urteil, 11. Dez. 2013 - 1 O 460/11
Gericht
Tenor
1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus dem von einem deutschen Bundeswehr-Angehörigen befohlenen Luftangriff am 04.09.2009 auf zwei Tanklastzüge in der Nähe von Kunduz im Rahmen des NATO-geführten ISAF-Einsatzes in Afghanistan.
3Nach Abzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1989 hatten sich seit Mitte der 1990er Jahre die Taliban als stärkste Gruppierung in Afghanistan etabliert. Nach den Geschehnissen des 11.09.2001 ist das Taliban-Regime durch die militärische Intervention US-amerikanischer Truppen im Dezember 2001 gestürzt worden. Mithilfe der Petersberger Konferenz vom 27.11.2001 bis 05.12.2001, an der unterschiedliche afghanische Gruppen teilnahmen, kam es zur Wiederherstellung staatlicher Strukturen in Afghanistan und schließlich zur Einsetzung einer neuen Regierung und zur Durchführung demokratischer Wahlen. Diese wird jedoch von aufständischen Taliban bekämpft, die sich Taktiken der Guerillakriegsführung bedienen.
4Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen richtete mit der Resolution 1386 vom 20.12.2001 eine internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force = ISAF) für Afghanistan ein, deren Aufgabe die Unterstützung der gewählten Regierung Afghanistans zur Herstellung und Aufrechterhaltung eines sicheren Umfeldes in Afghanistan ist. Das Mandat, das auf Grundlage von Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen auch den Einsatz militärischer Gewalt umfasst, ist seitdem regelmäßig verlängert worden, zuletzt durch die Resolution 2069 vom 09.12.2012. Die durch die NATO-Mitgliedstaaten gestellten ISAF-Truppen dürfen mit Blick auf ihren Auftrag alle notwendigen Maßnahmen ergreifen. Sie haben ihren Handlungsspielraum deshalb einvernehmlich in Vorgaben für die gemeinsame Operationsführung umgesetzt, die im Operationsplan der NATO enthalten sind. Dieser formuliert unter anderem die Befugnisse für den Einsatz militärischer Gewalt in den „Rules of Engagement“.
5Der Deutsche Bundestag beschloss am 22.12.2001 die Beteiligung deutscher Soldaten an den von der NATO gestellten ISAF-Truppen. Das Einsatzgebiet des deutschen ISAF-Kontingents wurde mit Beschluss des Deutschen Bundestages vom 28.09.2005 auf die Regionen Kabul und Nord festgelegt. Das Mandat des Bundestages wurde mehrmals verlängert, zuletzt mit Beschluss vom 31.01.2013.
6Der damalige Oberst K übernahm im April 2009 das Kommando des Provincial Reconstruction Team (im Folgenden PRT) Kunduz. Operativ unterstand die Dienststelle in Kunduz dem Kommandeur des Regional Command North, der wiederum dem ISAF-Kommandeur unterstand. Truppendienstlich hingegen unterstand der PRT-Kommandeur K dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Geltow bei Potsdam.
7Die Sicherheitslage in der Provinz Kunduz hatte sich in den Monaten vor dem 04.09.2009 erheblich verschlechtert. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle im Zuständigkeitsbereich des PRT Kunduz nahmen im Laufe des Jahres 2009 stetig zu. Am 29.04.2009 kam erstmalig in Afghanistan ein deutscher Soldat bei einem Gefecht ums Leben. Ab Mai 2009 mussten die Soldaten des PRT Kunduz bei Verlassen des Feldlagers stets mit Angriffen rechnen.
8Den Aufständischen gelang es in den Monaten vor dem 04.09.2009 mehrfach, Kleintransporter der Afghanischen Nationalpolizei und andere Fahrzeuge zu entführen, um sie als Autobomben einzusetzen. Die gestohlenen Fahrzeuge wurden häufig in Dörfer nordwestlich von Kunduz verbracht, um sie dort für Autobomben-Anschläge umzubauen. Die Taliban versuchten, die Hauptverbindungsstraßen in der Provinz Kunduz zu kontrollieren. Am 25.08.2009 wurde in Kabul ein Tanklastwagen in die Luft gesprengt, wobei 40 Personen getötet wurden. Auch in Kandahar kam es zu einem ähnlichen Attentat. Am 03.09.2009 geriet eine nördlich von Kunduz eingesetzte deutsche Kompanie in einen Hinterhalt, bei dem drei deutsche Soldaten verwundet wurden.
9Dem PRT Kunduz lag ein ernstzunehmender nachrichtendienstlicher Warnhinweis vom 15.07.2009 vor, dem zufolge eine bekannte Talibangruppe im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl einen fahrzeuggestützten Anschlag gegen das PRT Kunduz plane. Ein mit Sprengstoff versehenes Fahrzeug sollte an der Wache des Feldlagers zur Explosion gebracht werden. Sodann sollte ein weiteres Fahrzeug in das Feldlager hineinfahren und dort zur Explosion gebracht werden. Weitere Selbstmordattentäter sollten zu Fuß in das Feldlager gelangen.
10Am Nachmittag des 03.09.2009, während des Ramadan, bemächtigte sich eine Gruppe von Taliban-Kämpfern gegen 15:30 Uhr Ortszeit zweier Tanklaster der Firma N in der Nähe einer Tankstelle etwa 15 km südlich der Stadt Kunduz und etwa 8 km süd-südwestlich des Feldlagers des PRT Kunduz. Einer der beiden Tanklastwagenfahrer wurde sofort erschossen, der andere wurde gezwungen, den Wagen weiter zu steuern. Bei dem Versuch, die Tanklastwagen auf die andere Seite des Kunduz-Flusses zu verbringen, blieben diese gegen 18:15 Uhr Ortszeit auf einer Sandbank etwa 7 km vom Feldlager der ISAF Truppen entfernt in der Mitte des Flusses manövrierunfähig im Schlamm stecken.
11Gegen 20:00 Uhr Ortszeit erfuhr die Task Force 47, Spezialkräfte mit eigener Operationszentrale im Feldlager Kunduz, von der Entführung der Tanklaster. Die Information erreichte gegen 20:30 Uhr den PRT-Kommandeur Oberst K. Zusammen mit dem Fliegerleitoffizier (Joint Terminal Attack Controller = JTAC) des PRT Kunduz, Hauptfeldwebel X, befand er sich in der Taktischen Operationszentrale der Task Force 47. Sie hatten bereits wegen eines anderen Einsatzes Luftunterstützung durch ein Aufklärungsflugzeug angefordert. Mit dessen Hilfe konnten die entführten Tanklastwagen gegen Mitternacht aufgespürt werden. Das Flugzeug verließ gegen 0:48 Uhr den Luftraum über der Sandbank, weil ihm der Treibstoff ausging.
12Gegen 1:00 Uhr Ortszeit forderte PRT-Kommandeur Oberst K Luftunterstützung durch Kampfflugzeuge beim Hauptquartier der ISAF in Kabul an. Kurze Zeit später erreichten zwei US-amerikanische Jagdflugzeuge vom Typ F 15 den Luftraum über der Sandbank und meldeten sich bei Hauptfeldwebel X an. Ab 1:17 Uhr wurden die Luftbilder in Echtzeit in die Fliegerleitzentrale übertragen. Die Flugzeuge hielten sich jedoch im Hintergrund. In den folgenden zwanzig Minuten hielten die Piloten Funkkontakt mit dem Fliegerleitoffizier X. Wegen der Einzelheiten der Kommunikation zwischen den Piloten, zwischen den Piloten und ihren Co-Piloten sowie der Kommunikation zwischen den Piloten und der Fliegerleitzentrale wird auf die Anlage B 7 Bezug genommen.
13Der PRT-Kommandeur K sah in den Tanklastwagen eine Gefahr. Er befürchtete, die Tanklastwagen hätten zum einen mit Hilfe der auf der Sandbank befindlichen Schleppfahrzeuge befreit und noch in der Nacht für einen Angriff gegen das Feldlager verwendet werden können. Zum anderen wäre zu befürchten gewesen, dass die in der Hand der Taliban befindlichen Tanklaster ohne vorheriges Wiederauffinden zu einem späteren Zeitpunkt für Anschläge genutzt werden könnten.
14Der PRT-Kommandeur ging davon aus, dass, wie bei Fahrzeugentführungen durch Taliban in der Vergangenheit, die Fahrer frühzeitig von den Fahrzeugen getrennt worden waren und sich nicht mehr vor Ort befänden. Um zu überprüfen, ob sich Zivilisten vor Ort aufhielten, ließ der PRT-Kommandeur bis zum späteren Bombenabwurf sieben Mal einen Informanten des Militärs anrufen, der sich in der Nähe befand, um nach Veränderungen der Lage vor Ort fragen. Der Informant meldete dabei stets, dass sich auf der Sandbank keine Zivilisten befänden. Hieraus folgerte der PRT-Kommandeur auch, dass sich auch die Fahrer nicht mehr in der Nähe befinden.
15Gegen 1:40 Uhr gab der PRT-Kommandeur Oberst K den Befehl zum Waffeneinsatz, woraufhin zwei 500-Pfund-Bomben auf die Tanklastwagen abgeworfen wurden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich sowohl eine Vielzahl von Menschen als auch verschiedene Fahrzeuge rund um die Tanklastwagen. Der Kommandeur des PRT Kunduz hatte sich gegen eine 2.000-Pfund-Bombe und für den Einsatz zweier 500-Pfund-Bomben entschieden, um die Wirkung auf die Tanklastwagen zu begrenzen. Zudem wurden Bomben mit Zündzeitverzögerung eingesetzt, um die Splitterwirkung zu reduzieren.
16Durch den Waffeneinsatz wurden die Lastwagen zerstört und eine Vielzahl von Menschen getötet, unter denen auch Zivilisten waren, deren genaue Anzahl zwischen den Parteien streitig ist.
17Der Kläger zu 1) ist ein Bauer aus Omar Khel in der Nähe von Kunduz, Afghanistan. Er behauptet, zwei seiner Söhne bei dem Luftangriff verloren zu haben und macht einen Schmerzensgeldanspruch i.H.v. 40.000,00 € geltend. Die Klägerin zu 2) ist Mutter von sechs Kindern und lebt ebenfalls in Omar Khel, Afghanistan. Sie behauptet, ihr Ehemann und Vater ihrer Kinder sei bei dem Luftangriff ums Leben gekommen. Sie macht einen Unterhaltsschaden i.H.v. 50.000,00 € geltend.
18Die Kläger behaupten, der Taliban-Führer B habe entschieden, nachdem die Tanklaster stecken geblieben waren, das Benzin an die Zivilbevölkerung zu verteilen. Seine Männer hätten daraufhin Verwandte, Bekannte und Gefolgsleute herbei telefoniert.
19Sie behaupten weiter, auf den von den Kampfjets in die Fliegerleitzentrale übertragenen Bildaufnahmen seien nur einzelne bewaffnete Taliban erkennbar gewesen. Insbesondere seien Kinder zu sehen, was auf eine Beteiligung von Familien aus den Dörfern schließen lasse. Erkennbar würden Kanister mit Benzin weggetragen. Es habe ein reges Kommen und Gehen geherrscht, was für einen Taliban-Angriff untypisch sei.
20Die Kläger behaupten zudem, die Furcht des PRT-Kommandeurs vor einem nächtlichen Angriff auf das etwa 7 km entfernte Feldlager sei bereits deshalb unberechtigt gewesen, da die Tanklaster zum Zeitpunkt des Bombenabwurfs bereits Stunden lang feststeckten.
21Die Kläger sind der Ansicht, der Bombenangriff vom 04.09.2009 verletzte humanitäres Völkerrecht und begründe einen amtshaftungsrechtlichen Schadensersatzanspruch. Denn ein sorgfältig handelnder Kommandeur habe aus den Bildaufnahmen den Schluss ziehen müssen, dass es sich bei dem unübersichtlichen Ensemble von Personen um Zivilisten handele, und sich nicht auf die Aussagen eines ihm unbekannten Informanten verlassen dürfen. Der Kommandeur hätte auf den Vorschlag der Kampfjetpiloten eingehen müssen, einen abschreckenden Tiefflug – eine sogenannte „show of force“ – zu unternehmen und erst nach der höchstwahrscheinlichen Flucht der Zivilbevölkerung die Tanklaster durch Bomben zu zerstören.
22Der Kläger zu 1) beantragt,
23die Beklagte zur Zahlung von 40.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit an ihn zu verurteilen.
24Die Klägerin zu 2) beantragt,
25die Beklagte zur Zahlung von 50.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit an sie zu verurteilen.
26Die beklagte Bundesrepublik Deutschland beantragt,
27die Klagen abzuweisen.
28Die Beklagte ist der Ansicht, dass der PRT-Kommandeur Oberst K bei Befehl des Bombenabwurfs nicht in Ausübung deutscher Hoheitsgewalt gehandelt habe, denn die unter dem ISAF-Mandat in Afghanistan handelnden Streitkräfte seien in die NATO-Strukturen eingegliedert. Die Klage sei deshalb bereits unzulässig, da die deutsche Gerichtsbarkeit nicht eröffnet sei. Jedenfalls aber fehle es an der Passivlegitimation der Beklagten, da die Abkommandierung des handelnden Oberst K zur NATO-geführten ISAF-Truppe in ihrem Wesen einer beamtenrechtlichen Abordnung gleiche, mit der Folge dass allenfalls die NATO hafte, nicht aber die Beklagte.
29Die Kammer hat Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme der von den Kampfjets in die Fliegerleitzentrale übertragenen Bildaufnahmen sowie durch Vernehmung des Sachverständigen S. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.10.2013 (Bl. ### ff. d. A.) Bezug genommen.
30Die Kläger haben mit dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 11.11.2013 beantragt, den Kommandeur des PRT Kunduz, den damailigen Oberst K, als Zeugen zu vernehmen. Wegen des weiteren Inhalts des nicht nachgelassenen Schriftsatzes wird auf Bl. ### ff. d.A. Bezug genommen.
31Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
32E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
33Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
34I. Die Klage ist zulässig.
35Insbesondere steht der Zulässigkeit nicht entgegen, dass der streitgegenständliche Befehl zur Bombardierung zweier Tanklastwagen durch einen deutschen Bundeswehrangehörigen im Rahmen des von der NATO geführten ISAF-Einsatzes internationaler Truppen in Afghanistan erfolgte. Die gegenteilige Rechtsansicht der Beklagten, die sich insbesondere auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen desselben Lufteinsatzes stützt (Urteil v. 09.02.2012, 26 K 5534/10 Rn. 65 – zitiert nach juris), teilt die Kammer nicht. Die Kläger machen einen Anspruch wegen amtspflichtwidrigen hoheitlichen Handelns gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend. Ein solcher Anspruch unterliegt nach dem Grundsatz der Staatensouveränität allein der deutschen Gerichtsbarkeit.
36II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
37Die geltend gemachten Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland stehen den Klägern nicht zu.
381. Ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die beklagte Bundesrepublik Deutschland ist bereits dem Grunde nach nicht gegeben.
39a) Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus dem Völkerrecht. Es gibt keine völkerrechtliche Norm, die den Klägern als Individuen für die Folgen des Bombardements der Tanklastwagen in der Nähe von Kunduz, Afghanistan, einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte einräumt.
40aa) Die traditionelle Konzeption des Völkerrechts als zwischenstaatliches Recht verstand den Einzelnen nicht als Völkerrechtssubjekt, sondern gewährte ihm nur mittelbaren internationalen Schutz. Bei völkerrechtlichen Delikten durch Handlungen gegenüber fremden Staatsbürgern stand ein Anspruch nicht dem Betroffenen selbst, sondern seinem Heimatstaat zu. Die Mediatisierung des Einzelnen durch den Staat im Völkerrecht hat allerdings im Zusammenhang mit der Fortentwicklung und Kodifizierung des internationalen Menschenrechtsschutzes nach dem Zweiten Weltkrieg Korrekturen erfahren. Die Menschenrechte werden als genuine Begünstigungen des Einzelnen begriffen. Diese Entwicklung gebietet es, das Individuum zumindest als partielles Völkerrechtssubjekt anzuerkennen (vgl. BGH, Urteil v. 02.11.2006, III ZR 190/05 Rn. 6 f. m.w.N. [Varvarin]; BVerfG, Beschluss v. 15.2.2006, 2 BvR 1476/03 Rn. 21 [Distomo] – zitiert nach juris).
41bb) Hieraus aber folgt nicht, dass jede vertraglich geschützte menschenrechtsbezogene Regelung Individualrechte zuweist. Manche Konventionen verstehen sich lediglich als Niederlegung staatlicher Schutzpflichten im Menschenrechtsbereich, ohne gleichzeitig Individualrechte zu gewähren. Insbesondere stehen nach wie vor – unabhängig von einem primärrechtlichen Anspruch der betroffenen Personen auf Einhaltung des Völkerrechts – sekundärrechtliche Schadensersatzansprüche wegen völkerrechtswidriger Handlungen eines Staates gegenüber fremden Staatsangehörigen grundsätzlich nur dem Heimatstaat zu (vgl. BVerfG, Beschluss v. 26.10.2004, 2 BvR 255/00, 2 BvR 12 BvR 1038/01 Rn. 114; BVerfG, Beschluss v. 15.02.2006, 2 BvR 1476/03 Rn. 21[Distomo] – zitiert nach juris). Es ist daher im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln, ob und in welchem Umfang eine völkervertragsrechtliche Regelung individuelle Rechte und gegebenenfalls entgegen der dargelegten Grundregel auch einen Anspruch auf Schadensersatz begründen soll (vgl. BGH, Urteil v. 02.11.2006, III ZR 190/05 Rn. 8 [Varvarin]; BGH, Urteil v. 26.06.2003, III ZR 245/98 Rn. 35 ff. [Distomo] – zitiert nach juris).
42cc) Ein völkerrechtlicher Individualanspruch folgt hierbei nicht aus Art. 3 des IV. Haager Abkommens von 1907. Diese Norm vermittelt keinen individuellen Entschädigungsanspruch, sondern positiviert nur den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz einer Haftungsverpflichtung zwischen den Vertragsparteien. Ein Entschädigungsanspruch besteht hiernach nur in dem Völkerrechtsverhältnis zwischen den betroffenen Staaten und unterscheidet sich von dem Primäranspruch der betroffenen Personen auf Einhaltung der Verbote des humanitären Völkerrechts (vgl. BVerfG, Beschluss v. 13.08.2013, 2 BvR 2660/06, 2 BvR 42 BvR 487/07 Rn. 46 [Varvarin]; BVerfG, Beschluss v. 15.02.2006, 2 BvR 1476/03 Rn. 20 ff. [Distomo] – zitiert nach juris).
43dd) Ebenso folgt kein unmittelbarer Individualanspruch aus Art. 91 des Ersten Zusatzprotokolls vom 08.06.1977 zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte. Unabhängig von der Frage, ob die in den Zusatzprotokollen zu den Genfer Konventionen zum Schutz der Zivilbevölkerung niedergelegten Bestimmungen subjektive Rechte der betroffenen Personen im Sinne eines Anspruchs auf Einhaltung der Verbote des humanitären Völkerrechts begründen, ergibt sich nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und der bisherigen Handhabung der Vorschrift in der völkerrechtlichen Praxis ein individueller sekundärer Schadensersatzanspruch für den Fall der Verletzung dieses Verbots nicht. (vgl. jüngst BVerfG, Beschluss v. 13.08.2013, 2 BvR 2660/06, 2 BvR 42 BvR 487/07 Rn. 47 [Varvarin] – zitiert nach juris).
44ee) Eine Aktivlegitimation der Kläger für einen völkerrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen Verletzung humanitären Völkerrechts lässt sich auch nicht aus Art. 25 S. 2 HS 2 GG herleiten, wonach die allgemeinen Regeln des Völkerrechts für die Bewohner des Bundesgebiets unmittelbar Rechte und Pflichten erzeugen, da sich die Norm jedenfalls nicht auf Ausländer im Ausland (vgl. BVerfG, Beschluss v. 13.08.2013, 2 BvR 2660/06, 2 BvR 42 BvR 487/07 Rn. 44 [Varvarin] – zitiert nach juris) wie die afghanischen Kläger bezieht.
45ff) Es existiert ferner – jedenfalls derzeit – auch keine allgemeine völkergewohnheitsrechtliche Regel, nach der Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht ein Anspruch auf Schadensersatz oder auf Entschädigung gegen den verantwortlichen Staat zusteht (vgl. jüngst BVerfG, Beschluss v. 13.8.2013, 2 BvR 2660/06, 2 BvR 42 BvR 487/07 Rn. 43 m.w.N. [Varvarin] – zitiert nach juris; von Woedtke Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen [2010] S. 290 ff.).
46b) Ein Individualanspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz besteht ferner auch nicht auf der Grundlage des deutschen Rechts. Den Klägern steht insbesondere kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG zu. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist eine schuldhafte Amtspflichtverletzung eines deutschen Amtsträgers nicht festzustellen.
47aa) Die Anwendbarkeit deutschen Amtshaftungsrechts auf ein völkerrechtsrelevantes Delikt ist nicht bereits deshalb in Zweifel zu ziehen, weil Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB bestimmt, dass sich im Falle unerlaubter Handlungen Ansprüche nach dem Recht des Staates richten, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat. Dies gilt nicht für Amtshaftungsansprüche. Denn ausgehend vom Gedanken der Staatensouveränität ist es ausgeschlossen, dass das Recht eines Staates für die Bewertung hoheitlichen Handelns eines anderen Staates maßgeblich ist (vgl. Palandt/Thorn, 73. Aufl. 2014, Art. 40 EGBGB Rn.11). Bei Art. 40 EGBGB handelt es sich um eine Kollisionsnorm, doch ist im Staatshaftungsrecht eine Kollision zweier Rechtsordnungen nicht denkbar, denn der Grundsatz der Staatensouveränität schließt eine Verurteilung der beklagten Bundesrepublik nach Amtshaftungsgesichtspunkten nach dem Recht des Tatortes aus (vgl. Dutta AöR 133 [2008], 191 [207]).
48bb) Individuelle zivilrechtliche Schadensersatzansprüche Einzelner nach deutschem Recht sind auch nicht durch etwaige völkerrechtliche Ansprüche ihres Heimatstaates ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil v. 26.06.2003, III ZR 345/98 Rn. 41 [Distomo] – zitiert nach juris).
49cc) Die Kammer geht zudem davon aus, dass das deutsche Amtshaftungsrechts auf Handlungen deutscher Soldaten im Rahmen militärischer Einsätze im Ausland Anwendung findet und Individualansprüche denkbar sind. Die Frage kann jedoch im Rahmen dieser Entscheidung offen bleiben, denn auf Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme ist eine schuldhafte Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht durch den befehlshabenden Kommandeur des PRT Kunduz, dem damaligen Oberst K, oder durch einen anderen Amtsträger nicht festzustellen.
50dd) Hierbei geht die Kammer davon aus, dass sich aus den Regeln des humanitären Völkerrechts für Amtsträger der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar drittschützende Amtspflichten ergeben, bei deren schuldhafter Verletzung ein Schadensersatzanspruch nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG grundsätzlich besteht. Der Befehl zum Bombenabwurf vom 04.09.2009 stellt jedoch keinen derartigen Verstoß gegen drittschützende Amtspflichten dar. Der streitgegenständliche Waffeneinsatz verstößt weder gegen Art. 13 des Zweiten Zusatzprotokolls vom 08.06.1977 zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (im Folgenden: ZP II) noch gegen Art. 51 oder Art. 57 des Ersten Zusatzprotokolls vom 08.06.1977 zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (im Folgenden: ZP I).
51(1) Die Regelungen des humanitären Völkerrechts sind auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar und suspendieren das deutsche Deliktsrecht. Denn der streitgegenständliche Befehl zum Bombenabwurf erging im Rahmen eines nicht internationalen bewaffneten Konflikts. Ein bewaffneter Konflikt setzt den einer der Konfliktparteien zurechenbaren Einsatz von Waffengewalt voraus (vgl. Ambos in MüKo-StGB Vorb. §§ 8 ff. VStGB Rn. 22; ders. NJW 2010, 1725 [1726]). Konfliktparteien sind entweder – bei einem internationalen Konflikt – zwei oder mehrere Nationalstaaten oder – bei einem nicht internationalen Konflikt – die Regierungsstreitkräfte und sich ihr entgegenstellende staatliche oder nichtstaatliche bewaffnete Gruppen (vgl. Ambos in MüKo-StGB Vorb. §§ 8 ff. VStGB Rn. 23; Werle VölkerstrafR, 3. Aufl. 2012 Rn. 1071). Die afghanischen Sicherheitskräfte und die sie unterstützenden internationalen ISAF-Truppen gehen auf afghanischem Hoheitsgebiet mit Waffengewalt gegen die Taliban vor, ebenso wie die Taliban gegen die afghanischen Sicherheitskräfte und die ISAF-Truppen vorgehen.
52(2) Die Beklagte ist an das humanitäre Völkerrecht, das die zulässigen Mittel der Kampfführung und den Schutz der Zivilbevölkerung im Rahmen bewaffneter Konflikte regelt (vgl. Ambos NJW 2010, 1725 [1726]; Herdegen VölkerR, 11. Aufl. 2011 § 56 Rn. 1; Werle VölkerstrafR 3. Aufl. 2012 Rn. 1040), gebunden. Zentrale Vorschriften sind die vier Genfer Abkommen von 1949, die von fast allen Mitgliedern der Staatengemeinschaft – so auch von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1954 und Afghanistan im Jahr 1956 – ratifiziert worden sind. Zudem hat der Inhalt dieser Abkommen – insbesondere der gemeinsame Artikel 3, der die Mindestanforderungen an den Schutz der Opfer nicht internationaler Konflikte regelt – völkergewohnheitsrechtliche Geltung erlangt (vgl. Gasser/Melzer Humanitäres Völkerrecht, 2. Aufl. 2012 S. 68). Die Zusatzprotokolle von 1977 zu den Genfer Abkommen erweitern den Schutz der Zivilbevölkerung durch eine ausdifferenzierte Regelung der humanitären Belange. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland ratifizierte die Zusatzprotokolle am 14.02.1991, Afghanistan am 10.11.2009, also erst nach dem hier streitgegenständlichen Waffeneinsatz. Nach Überzeugung der Kammer kann jedoch offen bleiben, inwieweit sich auch aus den Regelungen der Zusatzprotokolle eine völkervertragliche oder völkergewohnheitsrechtliche Bindung der Beklagten bei Einsätzen auf dem Gebiet von Staaten ergibt, welche die Zusatzprotokolle noch nicht ratifiziert haben. Die Bindung der Beklagten an die Zusatzprotokolle folgt jedenfalls aus dem Umstand, dass die deutschen Streitkräfte im Rahmen des NATO-geführten ISAF-Einsatzes vor Ort waren. Denn es gehört zum Selbstverständnis der Vereinten Nationen, dass die vom Sicherheitsrat beschlossenen bewaffneten Einsätze von staatlichen Truppenkontigenten – wie der dem Streitgegenstand zugrunde liegende ISAF-Einsatz in Afghanistan – dem humanitären Völkerrecht unterworfen sind (vgl. die Stellungnahme des Generalsekretärs der UNO vom 06.08.1999: Observance by United Nations Forces of International Humanitarian Law, United Nations Secretary-General´s Bulletin, UNO Dok. ST/SGB/1999/13).
53(3) Auf den vorliegenden Sachverhalt ist das Zweite Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vorrangig anzuwenden, denn bei der Auseinandersetzung zwischen den Sicherheitskräften Afghanistans und den unterstützenden ISAF-Truppen auf der einen Seite und den aufständischen Taliban auf der anderen Seite handelt es sich um einen nicht internationalen bewaffneten Konflikt i.S.d. Art. 1 Abs. 2 ZP II.
54(a) Gemäß Art. 1 Abs. 2 ZP II ist ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt dann gegeben, wenn der bewaffnete Konflikt im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfindet, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchzuführen vermögen. Wie bereits ausgeführt befinden sich die afghanischen Streitkräfte und die sie unterstützenden ISAF-Truppen in einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den Taliban. Die Auseinandersetzung ist auch als nicht internationaler Konflikt einzuordnen, da den Taliban die internationale Anerkennung als Völkerrechtssubjekt fehlt.
55(b) Bei den Taliban handelt es sich auch um eine organisierte bewaffnete Gruppe im Sinne von Art. 1 Abs. 2 ZP II. Hierzu bedarf es keiner den Streitkräften ähnlichen hierarchischen Organisationsstruktur. Es genügt vielmehr, dass die Organisation in der Lage ist, anhaltende und konzentrierte militärische Operationen zu planen und durchzuführen (vgl. Safferling/Kirsch JA 2010, 81 [82]). Auf das Erfordernis territorialer Kontrolle gemäß Art. 1 Abs. 2 ZP II kommt es hingegen entgegen des Wortlauts nicht an, da in sogenannten asymmetrischen Konflikten die territoriale Besetzung eines bestimmten Gebiets angesichts moderner beweglicher Kampftechniken und Waffensysteme keine notwendige Bedingung für die Fähigkeit zur Durchführung anhaltender, koordinierter Kampfhandlungen darstellt (vgl. Ambos in MüKo Vorb. §§ 8 ff. VStGB Rn. 23; ders. NJW 2010, 1725 [1726]; Werle VölkerstrafR 3. Aufl. 2012 Rn. 1075). Die aufständischen Taliban haben anhaltend Anschläge – in den Monaten vor dem streitgegenständlichen Geschehen insbesondere mittels Autobomben – gegen die afghanischen Truppen und die sie unterstützenden ISAF-Verbände verübt.
56(4) Die Kammer geht zudem von der Anwendbarkeit der die Zivilbevölkerung schützenden Normen des Ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen auch auf nicht internationale bewaffnete Konflikte aus. Nach seinem Wortlaut findet das Protokoll zwar lediglich auf internationale bewaffnete Konflikte, also auf Konflikte zwischen mehreren Staaten, Anwendung. Doch ist die Regelungsdichte der Schutznormen etwa in Artikel 51 und 57 des Ersten Zusatzprotokolls deutlich höher als in Art. 13 des Zweiten Zusatzprotokolls. Der Schutz der Zivilbevölkerung in nicht internationalen bewaffneten Konflikten darf jedoch nicht kürzer greifen als derjenige in internationalen bewaffneten Konflikten (vgl. Werle VölkerStrafR, 3. Aufl. 2012 Rn. 1061).
57(5) Die aus den kodifizierten Regelungen des Art. 13 ZP II sowie der Art. 51 ZP I und Art. 57 ZP I zum Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte abzuleitenden Amtspflichten deutscher Soldaten sind auch drittschützend i.S.d. § 839 Abs. 1 BGB.
58(a) Ob eine dem Amtswalter obliegende Pflicht Drittschutz entfaltet, bestimmt sich der ständigen Rechtsprechung zufolge nach dem Schutzzweck, den die Amtspflicht verfolgt. Hat die Amtspflicht – zumindest auch – den Zweck, die Interessen des Einzelnen zu wahren, ist sie drittschützend.
59(b) Die Regelungen der Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte sind nicht lediglich an die Vertragsparteien gerichtete Verpflichtungen zur Beschränkung der Methoden der Kriegsführung. Zweck – und nicht lediglich Reflex – des humanitären Völkerrechts und insbesondere der Zusatzprotokolle ist es, die von bewaffneten Konflikten betroffenen Individuen zu schützen (vgl. Dutta AöR 133 [2008], 191 [222]; a.A. von Woedtke Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen [2010] S. 342).
60ee) Der Kommandeur des PRT Kunduz hat durch den streitgegenständlichen Bombenabwurf vom 04.09.2009 die aus Art. 13 Abs. 2 S. 1 ZP II folgende Amtspflicht, weder die Zivilbevölkerung als solche noch einzelne Zivilpersonen zum Ziel militärischer Angriffe zu machen, nicht schuldhaft verletzt. Ein Verstoß gegen Art. 13 Abs. 2 S. 1 ZP II setzt dabei nach dem klaren Wortlaut voraus, dass dem entscheidenden Kommandeur bewusst ist, dass es sich bei dem Ziel seines Angriffs um Zivilpersonen handelt. Nur wer positive Kenntnis von der Anwesenheit von Zivilpersonen hat, kann diese im Sinne von Art. 13 Abs. 2 S. 1 ZP II zum Ziel eines militärischen Angriffs machen. Der Waffeneinsatz galt jedoch auch nach dem Klägervortrag den aufständischen Taliban und den von ihnen entführten Tanklastwagen. Einen bewussten Angriff auf Zivilpersonen, also einen Angriff mit dem Ziel, Zivilpersonen zu treffen, behaupten auch die Kläger nicht. Die Taliban selbst nehmen aber als Mitglieder einer organisierten bewaffneten Gruppe nicht am Schutz der Zivilbevölkerung durch die Genfer Abkommen und deren Zusatzprotokolle teil (vgl. Ambos in MüKo Vorb. §§ 8 ff. VStGB Rn. 42).
61ff) Eine Verletzung der sich aus dem Ersten Zusatzprotokoll für deutsche Amtsträger ergebenden Amtspflichten zur Schonung der Zivilbevölkerung in Vorbereitung des Einsatzes von Waffengewalt in bewaffneten Konflikten gemäß Art. 57 ZP I sowie zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gemäß Art. 51 ZP I hat die Kammer ebenfalls nicht feststellen können. Diese Amtspflichten sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch den Befehl zum Bombenabwurf zumindest nicht schuldhaft verletzt worden.
62(1) Der Kommandeur des PRT Kunduz hat die sich aus Art. 57 Abs. 1, Abs. 2 a) i) ZP I ergebenden Amtspflichten zur Aufklärung und hinreichenden Identifizierung des Angriffsziels als militärisches Angriffsziel nicht verletzt. Gemäß Art. 57 Abs. 1 ZP I ist bei Kriegshandlungen stets darauf zu achten, dass die Zivilbevölkerung, Zivilpersonen und zivile Objekte verschont bleiben. Gemäß Art. 57 Abs. 2 a) i) ZP I ist bei Planung oder Beschluss eines Angriffs alles praktisch Mögliche zu tun, um sicherzugehen, dass die Angriffsziele weder Zivilpersonen noch zivile Objekte sind und nicht unter besonderem Schutz stehen, sondern militärische Ziele im Sinne des Art. 52 Abs. 2 ZP I sind. Daraus folgt nach der Überzeugung der Kammer für deutsche Soldaten, die einen Angriff planen oder beschließen, eine drittschützende Amtspflicht zur Aufklärung der Lage vor Ort, insbesondere zur Frage der Anwesenheit von Zivilisten vor Ort sowie zur hinreichenden Identifikation des Ziels als militärisches Ziel. Gemessen hieran hat die Kammer eine schuldhafte Verletzung der Amtspflicht zur Aufklärung und Identifikation des Angriffsziels nicht feststellen können.
63(a) Das Angriffsziel ist zutreffend als militärisches Angriffsziel i.S.d. Art. 52 Abs. 2 ZP I identifiziert worden, denn der Angriff galt den auch nach dem Klägervortrag vor Ort anwesenden aufständischen Taliban als Mitgliedern einer organisierten bewaffneten Gruppe und den vor Ort vorhandenen Tanklastern. Als militärische Ziele im Sinne von Art. 52 Abs. 2 ZP I gelten solche Objekte, die auf Grund ihrer Beschaffenheit, ihres Standorts, ihrer Zweckbestimmung oder ihrer Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beitragen und deren gänzliche oder teilweise Zerstörung, deren Inbesitznahme oder Neutralisierung unter den in dem betreffenden Zeitpunkt gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt. Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei den von Taliban entführten Tanklastwagen um ein militärisches Objekt, denn sie dienen entweder als Nachschub von Treibstoff zur logistischen Unterstützung der Taliban oder stellen sogar selbst ein Mittel der Kriegsführung dar, wenn sie für einen Anschlag verwendet werden (vgl. hierzu auch Safferling/Kirsch JA 2010, 81 [84]). Um ein militärisches Ziel handelte es sich daher unabhängig davon, wie wahrscheinlich es zum Zeitpunkt des Bombenabwurfes war, dass die Tanklastwagen zeitnah als Angriffsmittel für einen Anschlag auf das nahe gelegene Feldlager der NATO genutzt werden sollten.
64(b) Auch hat der PRT-Kommandeur die in Art. 57 Abs. 2 a) i) ZP I zum Ausdruck kommende Aufklärungspflicht nicht durch zu geringe Aufklärungsmaßnahmen verletzt. Bevor der Befehl zum Angriff gegeben wurde, ist die Situation auf der Sandbank ohne Unterbrechung mindestens 20 Minuten lang durch die eingesetzten beiden Kampfflugzeuge beobachtet worden. Die von den Bordkameras gefertigten Infrarotaufnahmen sind in Echtzeit in die Fliegerleitzentrale übertragen worden. Der PRT-Kommandeur hat sich mittels der aus den Kampfjets übertragenen Infrarot-Bilder einen Eindruck von der Lage am Kunduz-Fluss verschafft. Bei der Auswertung derselben stand ihm der Fliegerleitoffizier zur Seite. Darüber hinaus hat sich der entscheidende Kommandeur sieben Mal durch telefonische Rückfrage bei einem Informanten des Militärs, der vor Ort war, rückversichert, dass es sich bei den auf den Infrarotaufnahmen sichtbaren Personen um Aufständische und nicht um Zivilisten handelt. Dieser Vortrag der Beklagtenseite ist von der Klägerseite nicht bestritten worden, so dass er als unstreitig zu behandeln ist. Aus den ihm zugetragenen Informationen schloss der PRT-Kommandeur auch, dass sich die zivilen Fahrer der Tanklastwagen nicht mehr in der Nähe befanden.
65(c) Ferner hat der PRT-Kommandeur seine aus Art. 57 Abs. 1, Abs. 2 a) i) ZP I folgende Aufklärungspflicht auch nicht dadurch schuldhaft verletzt, dass er nicht erkannt hat, dass sich neben Talibankämpfern auch Zivilpersonen an der Bombenabwurfstelle befanden.
66Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, im Zuge derer die Infrarotbilder, die dem PRT-Kommandeur zur Verfügung standen, in Augenschein genommen wurden und der Sachverständige S gehört wurde, steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Infrarotaufnahmen auch unter Berücksichtigung von Spezialkenntnissen über die Strukturen und Handlungsweisen der aufständischen Taliban der Region keinen hinreichenden Anlass boten, die vorliegenden Informationen, dass nur Aufständische vor Ort seien, als falsch zu erkennen und von der Anwesenheit von Zivilisten vor Ort auszugehen.
67Die Beweisaufnahme hat den Vortrag der Kläger, dass auf den Bildern lediglich wenige bewaffnete Personen, statt dessen jedoch Kinder erkennbar seien, was für eine Beteiligung der Zivilbevölkerung spreche, nicht bestätigt. Die Infrarot-Aufnahmen bilden Wärmequellen ab, so dass einzelne Personen nur als Punkte ausgemacht werden können. Nicht erkennbar ist hingegen, wie die Inaugenscheinnahme der Aufnahmen ergeben hat, ob eine der als Punkte abgebildeten Personen eine Waffe trägt. Eine Aussage darüber, wie viele der auf der Sandbank befindlichen Personen bewaffnet waren, konnte daher auf Grundlage der Infrarotaufnahmen nicht getroffen werden, so dass eine geringe Anzahl von Waffen den PRT-Kommandeur auch nicht veranlassen konnte, die vorliegenden über einen Informanten des Militärs gewonnenen Erkenntnisse in Zweifel zu ziehen.
68Ebenso wenig ist auf der Grundlage der in Augenschein genommenen Infrarotaufnahmen erkennbar, ob die als Wärmepunkt abgebildete Person alt oder jung, groß oder klein ist. Die Behauptung der Klägerseite, auf den Bildern seien Kinder erkennbar gewesen, was für eine Beteiligung der Zivilbevölkerung spreche, sieht die Kammer daher als widerlegt an.
69Soweit die in Augenschein genommenen Aufnahmen auch nach Einschätzung der Kammer erkennen lassen, dass sich Personen und auch Fahrzeuge zu den Tanklastwagen hin und von diesen weg bewegen, ohne dass sie eine nachvollziehbare, auf militärische Schulung hindeutende Verteidigungsstellung einnehmen, lässt dies jedoch nicht den Schluss darauf zu, dass die dem PRT-Kommandeur zur Kenntnis gelangten Informationen falsch sind und es sich bei den als Wärmepunkte erkennbaren Personen um Zivilbevölkerung handeln müsse.
70Zwar spricht nicht bereits der Umstand, dass der Luftangriff zur Nachtzeit während des Ramadan stattfand, gegen die Annahme, dass es sich bei den auf der Sandbank befindlichen Personen um Zivilisten handelte. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen S ist es keinesfalls ungewöhnlich, dass gerade während dieser Zeit Zivilpersonen nachts wach und mithin auch unterwegs sind. Doch soweit die Klägerseite darauf abstellt, dass die Bewegungsmuster eines Kommens und Gehens auf ein unkoordiniertes Verhalten der Personen am Boden schließen lassen, was für die Anwesenheit von Zivilisten vor Ort spreche, widerspricht dies den Ausführungen des Sachverständigen S.
71Dieser hat als anerkannter Afghanistanexperte, der sich auch intensiv mit der Talibanbewegung befasst hat, nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei den Taliban um eine Art Guerillabewegung handelt, die sowohl horizontale als auch vertikale Strukturen aufweise. Teile der Taliban-Kämpfer erfahren zwar eine militärische Ausbildung, etwa in Pakistan. Bei vielen Taliban-Kämpfern aber handele es sich um „Feierabendkämpfer“, die keine militärische Ausbildung genossen haben und lediglich auf selbstgemachte Kampferfahrungen zurückgreifen. Diesen Ausführungen zufolge aber ist auch unter der Prämisse, dass es sich bei den am Boden befindlichen Personen um Taliban handelt, kein koordiniertes Verhalten – wie es etwa Streitkräften zugeordnet werden könnte – zwingend zu erwarten gewesen.
72Auch die große Anzahl der um die Tanklastwagen versammelten Personen hätte nach Überzeugung der Kammer den PRT-Kommandeur nicht veranlassen müssen, anzunehmen, dass die vorliegenden durch den Informanten gewonnenen Erkenntnisse falsch sind und sich tatsächlich Zivilpersonen vor Ort befinden. Ausweislich des Transkripts des Funkkontakts zwischen den Piloten der Kampfflugzeuge und der Fliegerleitzentrale zu Timecode #####1 gingen der PRT – Kommandeur und der Fliegerleitoffizier von etwa 50 bis 70 auf der Sandbank befindlichen Aufständischen aus. Eine größere Anzahl von Personen ergibt sich auch für die Kammer aus den in Augenschein genommenen, wegen wechselnder Bildausschnitte unübersichtlichen, Infrarotaufnahmen nicht.
73Eine solche große Anzahl von 50 bis 70 Personen war für ein Zusammentreffen von Taliban zwar ungewöhnlich. Wie der Sachverständige S nachvollziehbar dargelegt hat, hat es in der Vergangenheit nur wenige Aktionen der Taliban gegeben, bei denen 60 Kämpfer beteiligt gewesen sind. Doch hat der Sachverständige weiter ausgeführt, dass die Region Tschadara, in der sich der Ort des Geschehens befindet, als Taliban-Hochburg bekannt sei. Seinen Informationen zufolge seien bei dem Geschehen am Kunduz-Fluss vom 04.09.2009 drei Taliban-Kommandeure vor Ort gewesen. Dies sei mit Blick darauf, dass in unmittelbarer Nähe zum Ort des Geschehens drei Ortschaften gelegen seien, auch plausibel. Es könne durchaus sein, dass in diesem Gebiet jeder Ort einen Taliban-Kommandeur habe. Legt man die weitergehenden Ausführungen des Sachverständigen zugrunde, wonach die Taliban in Gruppen von bis zu 20 Mann operieren, lässt eine Anwesenheit von insgesamt etwa 50 - 70 Personen rund um die Tanklastwagen mithin nicht zwingend den Schluss zu, dass es sich dabei nicht um Taliban-Kämpfer handeln könne.
74Die Kammer hat die plausiblen Feststellungen des Sachverständigen bei der Urteilsfindung berücksichtigt. Die Kammer hat keinen Anlass, an den in sich stimmigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen S, die auf einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit den kulturellen und politischen Verhältnissen Afghanistans gründen, zu zweifeln. Der Sachverständige hat die Strukturen der Taliban nachvollziehbar erläutert und sachlich bewertet sowie zu den Fragen der Parteien ausführlich Stellung genommen. Die Sachkunde oder die Neutralität des Sachverständigen sind zudem von keiner der Parteien in Zweifel gezogen worden.
75Hinzu kommt nach Auffassung der Kammer, dass dem PRT-Kommandeur nach dem unbestrittenen Klägervortrag Informationen über einen bevorstehenden Anschlag der aufständischen Taliban auf das PRT-Feldlager Kunduz vorlagen. Auch vor diesem Hintergrund ist eine ungewöhnlich große Ansammlung von Aufständischen nicht per se unplausibel.
76Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem protokollierten und als Anlage B 7 zur Akte gereichten Funkkontakt zwischen dem in der Fliegerleitzentrale anwesenden Fliegerleitoffizier und den Piloten der Kampfjets, die schließlich den Befehl zum Bombenabwurf ausführten. Die Piloten schlugen zwar mehrmals eine „Show of Force“ vor, also einen Tiefflug über den Tanklastwagen, um dort anwesende Personen vor der Zerstörung der Tanklastwagen zur Flucht zu bewegen. Anhaltspunkte, die den PRT-Kommandeur hätten veranlassen müssen von der Anwesenheit von Zivilisten auszugehen, liefern die Piloten der Kampfjets jedoch nicht. Zu Timecode #####2 fragen die Piloten in der Fliegerleitzentrale nach, ob sie einen Tiefflug („show of force“) unternehmen oder weiter hoch oben bleiben sollen. Soweit zu Timecode #####3 und zu Timecode #####4 eine „show of force“ vorgeschlagen wird, erfolgt dies ausdrücklich, um dem Kommandeur Handlungsoptionen aufzuzeigen, nicht als Empfehlung. Zu Timecode #####5 fragen die Piloten nach, ob gesichert sei, dass es sich bei den Anwesenden vor Ort um Aufständische handelt. Als ihnen dies durch die Fliegerleitzentrale, die wie bereits ausgeführt über weitere Informationsquellen verfügte, bestätigt wird, ziehen sie dies nicht in Zweifel, obwohl sie über die gleichen Infrarotaufnahmen verfügten wie der PRT Kommandeur. Aus einem Gespräch zwischen den Piloten zu Timecode #####6 wird lediglich erkennbar, dass sie sich darum sorgten, ob die Fahrer der Tanklastwagen noch am Leben sind.
77Der PRT-Kommandeur hätte schließlich, entgegen der Ansicht der Klägerseite, den über den Informanten gewonnenen Erkenntnissen nicht deshalb keinen Glauben schenken dürfen, da ihm die Person des Informanten nicht persönlich bekannt war und er nur über einen Verbindungsoffizier Kontakt zu diesem hatte. Diese Auffassung der Klägerseite überspannt die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht eines militärischen Befehlshabers. Könnten militärische Befehlshaber bei der Planung von Angriffen nur solche Informationen berücksichtigen, die von Personen stammen, denen sie persönlich vertrauen, wäre eine militärische Operationsführung oberhalb einer lokal eng begrenzten Ebene praktisch unmöglich. Es muss daher genügen, wenn ein militärischer Befehlshaber wie hier die durch Informanten gewonnenen Erkenntnisse anhand vorliegender weiterer Informationen, etwa anhand der hier vorhandenen Infrarotluftaufnahmen, auf Plausibilität überprüft.
78(2) Der Kommandeur des PRT Kunduz hat ferner auch nicht schuldhaft gegen die sich aus Art. 57 Abs. 1, Abs. 2 a) ii) ZP I ergebende Amtspflicht verstoßen, zur Erreichung des militärischen Vorteils dasjenige Angriffsmittel zu wählen, das die Zivilbevölkerung möglichst weitgehend schont.
79(a) Gemäß Art. 57 Abs. 2 a) ii) ZP I sind bei der Wahl der Angriffsmittel und Angriffsmethoden alle praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen und die Beschädigung ziviler Objekte zu vermeiden und in jedem Fall auf ein Mindestmaß zu beschränken. Hieraus folgt im Zusammenspiel mit Art. 57 Abs. 1 ZP I die genannte Amtspflicht.
80(b) Der PRT-Kommandeur hat nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Angriffsentscheidung einen Lufteinsatz befohlen, bei dem auf der Grundlage ihm vorliegender Informationen nicht von einer Verletzung von Zivilpersonen auszugehen war. Wie dargelegt konnte der PRT Kommandeur nach den ihm vorliegenden Informationen davon ausgehen, dass es sich bei den um die Tanklastwagen versammelten Personen nicht um Zivilbevölkerung handelte. Es bestand daher kein Anlass, bei der Wahl des Angriffsmittels oder der Angriffsmethode eine die Zivilbevölkerung besonders schützende Wahl zu treffen. Zudem hat der PRT Kommandeur dennoch nach dem unbestrittenen Beklagtenvortrag den Einsatz einer 2.000-Pfund-Bombe abgelehnt und stattdessen den Einsatz von zwei 500-Pfund-Bomben befohlen, um den Wirkungskreis zu beschränken. Außerdem wurden Bomben mit einer Zündzeitverzögerung verwendet, um die Splitterwirkung zu begrenzen.
81(c) Ein Verstoß gegen die oben genannte Amtspflicht folgt auch nicht daraus, dass es tatsächlich in erheblichem Maß zur Verletzung und Tötung von Zivilpersonen gekommen ist, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, wenngleich auch die Anzahl der verletzten und getöteten Personen im Streit steht. Ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG setzt ein schuldhaftes, also fahrlässiges oder vorsätzliches, Handeln voraus. Die Frage der fahrlässigen Amtspflichtverletzung lässt sich jedoch nur aus der ex ante – Perspektive, also auf der Grundlage der zum Entscheidungszeitpunkt vorhandenen Informationen, beurteilen. Nach diesen Informationen musste nicht von der Anwesenheit von Zivilpersonen ausgegangen werden.
82(3) Eine Amtspflichtverletzung des PRT-Kommandeurs liegt ferner auch nicht in Form einer schuldhaften Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor, der sich aus Art. 57 Abs. 1, Abs. 2 a) iii) ZP I ergibt.
83(a) In Art. 57 Abs. 1 ZP I ist umfassend ein Gebot der Schonung der Zivilbevölkerung normiert. Gemäß Art. 57 Abs. 2 a) iii) ZP I ist von jedem Angriff Abstand zu nehmen, bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen oder die Beschädigung ziviler Objekte verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen. Hieraus folgt als besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Amtspflicht, nur solche Angriffe durchzuführen, bei denen die Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung, wenn sie sich schon nicht entsprechend Art. 57 Abs. 2 a) ii) ZP I ganz vermeiden lässt, nicht außer Verhältnis zum militärischen Ziel steht.
84(b) Nach dem oben Ausgeführten ist der Kommandeur des PRT Kunduz unter Anwendung der erforderlichen Sorgfalt unter Auswertung der ihm vorliegenden Informationen davon ausgegangen, dass keine Zivilpersonen vor Ort sind, so dass mit Verlusten unter der Zivilbevölkerung nicht zu rechnen war. Einer Verhältnismäßigkeitsabwägung zwischen dem zu erwartenden militärischen Erfolg und Verlusten unter der Zivilbevölkerung bedurfte es somit nicht.
85(4) Der Kommandeur des PRT Kunduz hat auch nicht schuldhaft gegen die sich aus Art. 57 Abs. 2 c) ZP I ergebende Amtspflicht verstoßen, bei Angriffen durch welche die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werden kann, diese zu warnen.
86(a) Gemäß Art. 57 Abs. 2 c) ZP I muss Angriffen, durch welche die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werden kann, eine wirksame Warnung vorausgehen.
87(b) Hier musste der PRT-Kommandeur jedoch auch nach Durchführung der gebotenen Aufklärung nicht von der Anwesenheit von Zivilpersonen am Angriffsziel ausgehen, so dass er eine Warnung der Zivilbevölkerung jedenfalls nicht schuldhaft unterlassen hat.
88(c) Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die eingesetzten Piloten mehrmals einen möglichen Tiefflug der Kampfjets, eine sogenannte „show of force“, vorschlugen, die den am Boden befindlichen Personen zur Warnung gereicht hätte. Die benannte Amtspflicht zur Warnung der Zivilbevölkerung besteht nur, wenn mit einer Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung zu rechnen ist. Hierfür boten auch die Nachfragen der Piloten keine Grundlage.
89(5) Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen die sich aus Art. 51 Abs. 4, Abs. 5 ZP I ergebende Amtspflicht vor.
90(a) Nach Art. 51 Abs. 4 ZP I sind unterschiedslose Angriffe verboten. Gemäß Art. 51 Abs. 5 b) ZP I ist ein Angriff unter anderem dann als unterschiedslos anzusehen, bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.
91(b) Wie bereits im Rahmen der Erörterung der sich aus Art. 57 ZP I ergebenden Amtspflichten dargelegt worden ist, hat der der PRT Kommandeur aus der maßgeblichen ex ante – Sicht keinen derartigen Angriff befohlen, bei dem mit einer Verletzung von Zivilpersonen zu rechnen war. Er konnte vielmehr auch unter Berücksichtigung der bei der Angriffsplanung erforderlichen Sorgfalt auf der Grundlage der vorangegangenen Aufklärung davon ausgehen, dass es sich bei den auf den Luftbildern erkennbaren Menschen nicht um Zivilisten, sondern ausschließlich um Aufständische handelte.
92gg) Eine Amtspflichtverletzung liegt ferner auch nicht in Form eines Verstoßes gegen die sogenannten „Rules of Engagement“ vor. Klägerseits wird bereits nicht behauptet, dass sich aus den Einsatzregeln der NATO für den ISAF-Einsatz in Afghanistan weitergehende drittschützende Amtspflichten ableiten als sie sich aus den Zusatzprotokollen I und II zu den Genfer Abkommen ergeben. Dergleichen ist auch nicht ersichtlich. Die dargelegten Amtspflichten zur umfassenden Aufklärung, zur Identifikation des Angriffsziels, zur Auswahl des Angriffsmittels und zur Warnung der Zivilbevölkerung in Vorbereitung des Einsatzes von Waffengewalt sind im Verbund mit der Pflicht zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit umfassend und weitreichend.
93c) Vor dem Hintergrund des Fehlens einer schuldhaften Amtspflichtverletzung kann die Kammer die Frage offen lassen, ob es bei Amtspflichtverletzungen deutscher Soldaten in einem NATO-geführten Einsatz internationaler Truppen überhaupt zu einer Haftungsüberleitung nach Art. 34 S. 1 GG auf die Bundesrepublik Deutschland als Trägerin der Bundeswehr kommt. Nach den Grundsätzen des Amtshaftungsrechts trifft die Verantwortlichkeit diejenige Körperschaft, welche dem Amtsträger das Amt, bei dessen Ausübung es zu einer Pflichtverletzung gekommen sein soll, anvertraut hat. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um die Anstellungskörperschaft, mithin die Körperschaft, die den Amtsträger angestellt und ihm die Dienstausübung ermöglicht hat. Dabei ist es regelmäßig unbeachtlich, ob auch die konkrete Aufgabe, bei der es zu einer Amtspflichtverletzung gekommen sein soll, in den Aufgabenkreis der Anstellungskörperschaft fällt. Es kommt grundsätzlich nicht darauf an, wessen Hoheitsrecht der Amtsträger bei der konkreten Aufgabenerfüllung ausübt. Ob mit der Einbindung deutscher Soldaten in die Kommandostrukturen der NATO im Rahmen des ISAF-Einsatzes in Afghanistan ein abordnungsähnliches Verhältnis einhergeht, so dass es an der Passivlegitimation der Bundesrepublik Deutschland fehlt, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.
942. Mangels bestehender Hauptforderung steht den Klägern auch kein Anspruch auf Verzugszinsen gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 BGB zu.
953. Die klägerischen Ausführungen in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 11.11.2013 stehen den rechtlichen Erwägungen der Kammer nicht entgegen und gaben keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Insbesondere ist dem erstmals im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 11.11.2013 von Klägerseite gestellten Antrag, den befehlshabenden damaligen Oberst K als Zeugen zu vernehmen, nicht nachzugehen. Ungeachtet einer möglichen Verspätung dieses Beweisantritts fehlt es bereits an konkreten Tatsachenbehauptungen, für die der damalige Oberst K als Zeuge benannt werden soll. Allein der Hinweis der Klägerseite, die Weltöffentlichkeit werde es nicht verstehen, wenn der damalige Oberst K nicht als Zeuge gehört würde, genügt zum prozessordnungsgemäßen Beweisantritt nicht.
96III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.
97IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.
98Der Streitwert wird auf 90.000,00 EUR festgesetzt.
moreResultsText
Annotations
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.
(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.
(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.
(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.
(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.