Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 14. März 2017 - 8 Sa 402/16
Gericht
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 13.07.2016 - Az: 1 Ca 417/16 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich) vom 31.08.1971 über den 31.12. 2015 hinaus.
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Die 1957 geborene Klägerin war von November 1984 bis zum 30.09. 2013 bei den US-Stationierungsstreitkräften zuletzt in der Abteilung „Zollermittlung" in H. beschäftigt. Die monatliche Grundvergütung betrug zuletzt 4.219,56 EUR brutto. Auf das Arbeitsverhältnis fanden der TVAL II und der TV SozSich Anwendung. Die US-Stationierungsstreitkräfte kündigten das Arbeitsverhältnis aus militärischen Gründen iSd. § 2 TV SozSich betriebsbedingt zum 30.09. 2013. Unmittelbar im Anschluss war die Klägerin vom 01.10.2013 bis 31.12.2013 in einer Transfergesellschaft beschäftigt.
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Seit Januar 2014 ist die Klägerin entsprechend ihrem Arbeitsvertrag mit der Firma Bäcker G. GmbH vom 16.11.2014 (Bl. 8 - 13 dA) als Verkäuferin für Back- und Konditorenwaren mit 22 Stunden pro Woche zu einem Stundenlohn in Höhe von 10,30 EUR brutto beschäftigt. Die Klägerin hatte sich dabei nicht um eine bei der Firma Bäcker G. GmbH grundsätzlich mögliche Vollzeitbeschäftigung bemüht, sondern sich für eine Teilzeitbeschäftigung entschieden, weil sie sich nach ihrer eigenen Einschätzung gesundheitlich nicht in der Lage sah, die körperlichen Belastungen als Verkäuferin in einer Bäckerei vollschichtig zu tragen und sie zudem ihre 90-jährige Schwiegermutter betreuen wollte.
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Die Beklagte leistete vom 01.01.2014 bis 31.12.2015 Überbrückungsbeihilfe nach § 4 TV SozSich.
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Die hier maßgeblichen Bestimmungen des TV SozSich lauten auszugsweise:
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„§ 2 Anspruchsvoraussetzungen
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Anspruch auf Leistungen nach diesem Tarifvertrag haben Arbeitnehmer, die
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1. wegen Personaleinschränkung
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a) infolge einer Verringerung der Truppenstärke
b) … aus militärischen Gründen … entlassen werden, wenn sie
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2. im Zeitpunkt der Entlassung
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a) seit mindestens einem Jahr vollbeschäftigt sind,
b) mindestens fünf Beschäftigungsjahre … nachweisen können und das 40. Lebensjahr vollendet haben,
c) …
d) die Voraussetzungen zum Bezug des Altersruhegeldes oder des vorgezogenen Altersruhegeldes aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfüllen, und ihnen
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3. keine anderweitige zumutbare Verwendung im Geltungsbereich des TV AL II angeboten worden ist. …
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§ 4 Überbrückungsbeihilfe
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1. Überbrückungsbeihilfe wird gezahlt:
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a) zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte,
b) zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlass von Arbeitslosigkeit …
c) zum Krankengeld … oder zum Verletztengeld …
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…
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4. Die Überbrückungsbeihilfe beträgt:
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Im
1. Jahr nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
100 v.H.
vom
2. Jahr an
90 v.H.
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des Unterschiedsbetrages zwischen der Bemessungsgrundlage (Ziff. 3a oder b) und den Leistungen gemäß vorstehenden Ziff. 1 und 2. …
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5a. Arbeitnehmer, die am Tage ihrer Entlassung …
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25 Beschäftigungsjahre (…) und das 50. Lebensjahr vollendet haben, erhalten Überbrückungsbeihilfe nach Maßgabe der Ziff. 1 bis 4 ohne zeitliche Begrenzung. …
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Protokollnotiz zu Ziffer 1a
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Eine "anderweitige Beschäftigung" liegt nur vor, wenn die arbeitsvertragliche wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit mehr als 21 Stunden beträgt."
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Das zunächst befristete Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Firma Bäcker G. GmbH wurde ab dem 01.01.2016 zu in übrigen unveränderten Bedingungen unbefristet fortgeführt. Nachdem die Klägerin dies der Beklagten mitgeteilt hatte, stellte die Beklagte die bis dahin an die Klägerin gezahlte Überbrückungsbeihilfe zum 01.01.2016 ein.
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Die Klägerin verfolgt daher mit der vorliegenden Klage ihre Ansprüche auf Überbrückungsbeihilfe in Höhe von rechnerisch jeweils zutreffend 2.629,78 EUR netto für Januar 2016 und 2.645,40 EUR netto für den Monat Februar 2017 sowie für die Zukunft weiter.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen,
sie habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass sowohl ihr fortgeschrittenes Lebensalter wie auch die während des langjährigen Arbeitsverhältnisses bei den US-Stationierungsstreitkräften erworbenen sehr speziellen, auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht nachgefragten Kenntnisse und Erfahrungen einen Wechsel in eine tatsächlich gleichwertige Arbeitsstelle unmöglich machten.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.629,78 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. hieraus seit dem 01. März 2016 zu zahlen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.645,40 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. hieraus seit 01. April 2016 zu zahlen;
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3. festzustellen, dass der Klägerin auf Grundlage ihres mit der Firma Bäcker G. GmbH, L., bestehenden Arbeitsverhältnisses sowie auf Grundlage eines diesbezüglichen Bruttoarbeitsverdienstes der Klägerin in Höhe von monatlich mindestens 980,00 EUR - hilfsweise: auf Grundlage eines diesbezüglichen Bruttoarbeitsverdienstes des Klägerin in Höhe von monatlich mindestens 1.740,70 EUR - für die Zeit ab 01. März 2016 ein Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TASS) in Höhe des sich nach § 4 TASS jeweils monatlich zu errechnenden Betrages zusteht.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat geltend gemacht,
auch wenn im Arbeitsvertrag der Klägerin aufgeführt sei, dass sie 22 Stunden arbeiten würde, werde mit Nichtwissen bestritten, dass die Klägerin tatsächlich 22 Wochenstunden arbeite. Die Überbrückungsbeihilfe diene im Übrigen auch nicht dazu, Teilzeitwünsche auf Kosten der Steuerzahler zu befriedigen. Es genüge nicht, dass ein Arbeitnehmer lediglich die Mindestanforderungen des Tarifvertrages erfülle. Das Verhalten der Klägerin begründe den Einwand des Rechtsmissbrauchs.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 13.07.2016 stattgegeben. Zur Begründung hat es zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin die tariflichen Voraussetzungen nach dem TV SozSich für die Gewährung der Überbrückungsbeihilfe erfülle. Der Rechtsmissbrauchseinwand der Beklagten greife nicht durch, da es der Klägerin nach einer langjährigen Beschäftigung bei den US-Streitkräften, die im fortgeschrittenen Alter nur noch schwer auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen konnte, nicht angelastet werden könne, dass sie ihr Arbeitsverhältnis bei der Firma Bäckerei G. GmbH an den Vorgaben des TV SozSich ausgerichtet und lediglich eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 22 Wochenstunden aufgenommen habe, obwohl auch eine Vollzeitbeschäftigung möglich gewesen wäre.
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Gegen dieses Urteil, das der Beklagten am 12.08.2016 zugestellt worden ist, hat die Beklagte mit am 12.09.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 26.10.2016 mit am 26.10.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
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Sie macht nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 26.10.2016, auf den ergänzend Bezug genommen wird, zusammengefasst geltend,
es lasse sich entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts aus der Protokollnotiz zu § 4 TV SozSich nicht ableiten, dass man als ehemaliger Beschäftigter der Stationierungsstreitkräfte nur mehr als 21 Stunden arbeiten müsse, um einen Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe zu haben. Bei der Überbrückungsbeihilfe handele es sich um eine besondere staatliche Sozialleistung, die von ihr nur dann zu zahlen sei, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage sei, selbst eine dem früheren Gehalt vergleichbare Beschäftigung zu finden. Dagegen sei es nicht Sinn und Zweck der Überbrückungsbeihilfe, dass die Steuerzahler es entlassenen Arbeitnehmern der Stationierungsstreitkräfte ermöglichen würden, ohne wesentliche finanzielle Einbußen sich mit einem Arbeitsverhältnis als Anknüpfleistung auf "Minimalbasis" zufrieden zu geben. Im Übrigen könne die Klägerin bereits dem Grunde nach keine Überbrückungsbeihilfe beanspruchen, weil sie sich rechtsmissbräuchlich verhalten habe. Sie habe statt des ihr auch möglichen Vollzeitarbeitsverhältnisses als Verkäuferin lediglich eine Teilzeitarbeit, die zudem dem TV SozSich erforderliche Stundenzahl "gerade so" überschritten habe, aufgenommen. Mit diesem Verhalten habe die Klägerin ihre privaten Interessen rücksichtslos über die Interessen des Sozialstaates gestellt. Es bestehe eine Obliegenheit, seine Arbeitskraft bestmöglich auszunutzen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 13.07.2016 - Az: 1 Ca 417/16 - wird abgeändert und die Klage abgewiesen.
- 39
Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
- 41
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie erfülle auch ab Januar 2016 die tariflichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Überbrückungsbeihilfe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
- 43
Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO), aber unbegründet.
II.
- 44
Die Berufung der Beklagten hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, da das Arbeitsgericht der zulässigen Klage zu Recht stattgegeben hat. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin auch für die Zeit ab Januar 2016 weiter Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Ziffer 1 a TV SozSich zu gewähren.
- 45
1. Nach § 4 Ziff. 1 a TV SozSich wird Überbrückungsbeihilfe zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte gezahlt, wenn die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 2 TV SozSich - wie vorliegend unstreitig – erfüllt sind. Eine "anderweitige Beschäftigung" liegt nach der Protokollnotiz zu Ziff. 1 a nur vor, wenn die arbeitsvertragliche wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit mehr als 21 Stunden beträgt. Auch diese Anknüpfungsvoraussetzung ist vorliegend aufgrund der jedenfalls zuletzt unstreitig auf Grundlage des Arbeitsvertrages gegebenen regelmäßigen Arbeitszeit von 22 Stunden wöchentlich gegeben.
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Entgegen der Ansicht der Beklagten bestehen schon nach dem Wortlaut des § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich und der Protokollnotiz keine weiteren Anspruchsvoraussetzungen als eine "anderweitige Beschäftigung" mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von mehr als 21 Wochenstunden (so ausdrücklich zuletzt BAG 26.01.2017 - 6 AZN 835/16 im Anschluss an LAG Rheinland-Pfalz 11.04.2016 - 3 Sa 310/15 sowie LAG Rheinland-Pfalz 07.06.2016 - 6 Sa 328/15; 13.06.2016 - 3 Sa 71/16; 18.08.2016 - 2 Sa 91/16 und 15.12.2016 - 5 Sa 249/16; sämtlich veröffentlicht in juris). Eine ergänzende Tarifvertragsauslegung kommt gleichfalls nicht in Betracht, es fehlt an der planwidrigen Regelungslücke.
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Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Berufungskammer anschließt, ist die Überbrückungsbeihilfe eine steuerfinanzierte soziale Sonderleistung. Mit ihr sollen Nachteile, die sich aus einem geringeren Arbeitsverdienst in einem neuen Arbeitsverhältnis außerhalb der Stationierungsstreitkräfte oder aufgrund von Arbeitslosigkeit ergeben, überbrückt werden. Zugleich soll ein Anreiz dafür geschaffen werden, dass der Arbeitnehmer durch die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte im Arbeitsprozess verbleibt. Das Bundesarbeitsgericht hat weiter wiederholt und noch in jüngster Vergangenheit entschieden, dass sich die Anreizwirkung des § 4 TV SozSich vor allem durch die Protokollnotiz zu § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich entfaltet. Diese hält den Arbeitnehmer dazu an, im tariflich festgelegten Mindestbeschäftigungsumfang von mehr als 21 Stunden zu arbeiten. Das Bundesarbeitsgericht hat dabei klargestellt, dass sich die Tarifvertragsparteien bewusst für eine Begrenzung auf eine Mindestarbeitszeit, nicht aber für eine Mindesthöhe des anderweitigen Entgelts entschieden haben. Ihnen kam es offenkundig nicht darauf an, sicherzustellen, dass der Arbeitnehmer ein Mindestmaß an Einkommen erzielt, um so die Leistungen des Bundes zu mindern. Sie wollten lediglich erreichen, dass der Arbeitnehmer eine Erwerbstätigkeit in einem Umfang ausübte, mit dem er nicht mehr als arbeitslos galt, und sich so wieder in den Arbeitsmarkt eingliederte; zugleich wollten sie eine Abgrenzung von dem Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe als Aufstockung zu den Leistungen der Arbeitsverwaltung bei Arbeitslosigkeit gemäß § 4 Ziff. 1 Buchst. b TV SozSich vornehmen. Das Bundesarbeitsgericht hat außerdem ausdrücklich klargestellt, dass weitere Voraussetzungen für den Anspruch nach § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich nicht bestehen und die Tarifvertragsparteien zwar das Problem einer Begrenzung des Tarifanspruchs erkannt haben, sie gleichwohl aber die anspruchsauslösende anderweitige Beschäftigung nur an eine Mindestarbeitszeit, nicht aber an einen Mindestlohn geknüpft haben. Schließlich hat das Bundesarbeitsgericht deutlich gemacht, dass die Gerichte an diese von der Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien geschützte Entscheidung gebunden sind (vgl. zuletzt BAG 26.01.2017 - 6 AZN 835/16 - Rn. 7 mwN,; LAG Rheinland-Pfalz 09.02.2017 -5 Sa 417/16, veröffentlicht in juris).
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Zudem ist darüber hinaus durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ebenfalls geklärt, dass sich die Anreizwirkung des § 4 TV SozSich vor allem durch den Mindestbeschäftigungsumfang entfaltet, der sich aus der Protokollnotiz zu § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich ergibt. Die Beklagte mag diese Anreizwirkung für zu schwach ausgeprägt halten, sie übersieht jedoch bei ihren Ausführungen - auch im Streitfall -, dass der Tarifvertrag weitere Anreize unzweideutig nicht schafft. Die Gleichwertigkeit zwischen dem neuen Arbeitsplatz und dem bei den Stationierungsstreitkräften weggefallenen Arbeitsplatz steht entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung nicht im Vordergrund. Die Tarifvertragsparteien haben lediglich einen Mindestbeschäftigungsumfang festgelegt. Sie wollten nicht sicherstellen, dass der Arbeitnehmer ein Mindestmaß an Einkommen erzielt, um so die Leistungen des Bundes zu mindern (vgl. zuletzt BAG 26.01.2017 - 6 AZN 835/16 - Rn. 15 mwN).
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Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend macht (st. Rspr., vgl. zuletzt BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 35, juris; vgl. zur Überbrückungsbeihilfe BAG 22. Dezember 1994 - 6 AZR 337/94 - Rn. 24, NZA 1995, 1168). Schwierigkeiten, die sich aus fehlenden Kenntnismöglichkeiten ergeben, ist ggf. durch die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen (BAG 19. März 2014 - 7 AZR 527/12 –, Rn. 26, NZA 2014, 840). Die für den Einwand des Rechtsmissbrauchs darlegungsbelastete Beklagte vermochte keine Umstände vorzutragen, die ein rechtsmissbräuchliches Verhalten begründen könnten.
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Die Beklagte stützt ihren Rechtsmissbrauchseinwand auf den unstreitigen Umstand, dass sich die Klägerin nicht um eine Vollzeitstelle bei ihrem jetzigen Arbeitgeber bemühte, sondern sich für eine Teilzeitbeschäftigung bei diesem mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 22 Stunden wöchentlich entschied, weil sie sich unstreitig auch um ihre Schwiegermutter kümmern wollte und sich nach ihrer eigenen Einschätzung auch nicht körperlich in der Lage sah, Vollzeit als Bäckereiverkäuferin zu arbeiten.
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Der Klägerin kann jedoch insoweit vorliegend kein Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden. Allein der Umstand, dass beim selben Arbeitgeber auch eine Vollzeitstelle möglich erschien, reicht hierfür nicht aus. Denn die Klägerin hat lediglich die mit dem TV-SozSich eröffnete Gestaltungsmöglichkeit aus nicht weiter verwerflichen privaten Gründen wahrgenommen.
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Das Vorbringen der Beklagten läuft letztlich im vorliegenden Fall darauf hinaus, über den Einwand des Rechtsmissbrauchs allgemein anspruchsverschärfende Tatbestandsmerkmale für die Geltendmachung der tarifvertraglichen Überbrückungsbeihilfe aufzustellen, die die Tarifvertragsparteien nicht normiert haben. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch hierzu bereits ausgeführt, dass die Beklagte bei ihrer Argumentation zur Rechtsmissbräuchlichkeit übersieht, dass in der Ausnutzung rechtlich eröffneter Gestaltungsmöglichkeiten keine unzulässige Umgehung von Rechtsnormen liegt. Arbeitnehmer, die Arbeitsverträge mit einer Beschäftigungsdauer von mehr als 21 Stunden schließen, nutzen - anders als ein zuvor arbeitsloser Arbeitnehmer, der im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit seiner Rentenberechtigung ein Arbeitsverhältnis begründet, um sich weiterhin den Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe zu sichern - lediglich tariflich eröffnete Gestaltungsmöglichkeiten, die ihnen von den Tarifvertragsparteien eingeräumt worden sind. Ein Rechtsmissbrauch liegt darum entgegen der Ansicht der Berufung nicht bereits dann vor, wenn der Arbeitnehmer weniger Wochenstunden arbeitet als zuvor bei den Stationierungsstreitkräften oder der Arbeitnehmer unterhalb seines Qualifikationsniveaus bzw. seiner Berufserfahrung arbeitet. Insbesondere liegt eine Rechtsmissbräuchlichkeit nicht bereits dann vor, wenn der Arbeitnehmer „punktgenau“ die tarifliche Mindestbeschäftigungsdauer vereinbart (vgl. ausdrücklich BAG 26.01.2017 - 6 AZN 835/16 - Rn. 20 mwN).
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Die aus Sicht der Beklagten verfehlte Anreizwirkung kann sie daher nicht mit dem Einwand des Rechtsmissbrauchs oder mit dem Verweis auf eine Rücksichtnahmepflicht erfolgreich begegnen. Vielmehr kann sie ihr Ziel eines Tarifinhalts, der ihre wirtschaftlichen Interessen besser berücksichtigt nur durch Tarifvertragsverhandlungen erreichen (vgl. hierzu auch ausdrücklich BAG 26.01.2017 - 6 AZN 835/16 - Rn. 23).
III.
- 55
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Zulassung der Revision ist mangels Vorliegens gesetzlicher Gründe nicht veranlasst (§ 72 Abs. 2 ArbGG).
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Annotations
(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.
(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.
(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn
- 1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.
(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.
(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.
(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.
(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.