Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss, 20. Juli 2017 - 5 TaBV 18/17

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2017:0720.5TaBV18.17.00
bei uns veröffentlicht am20.07.2017

Tenor

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 2. März 2017, Az. 7 BV 67/16, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach § 100 ArbGG über die Einsetzung einer Einigungsstelle.

2

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2) stellt zur Unterstützung der gesetzlichen Krankenkasse Z. Schriften und Werbung her. Sie beschäftigt rund 78 Arbeitnehmer. Antragsteller (Beteiligter zu 1) ist der Betriebsrat.

3

Es besteht ein Haustarifvertrag vom 25.06.2009, den die Arbeitgeberin mit der Gewerkschaft ver.di abgeschlossen hat. Der Haustarifvertrag hat - auszugsweise - folgenden Wortlaut:

4

"§ 2 Tarifbindung

5

(1) Für alle Beschäftigten nach § 1 gelten die zum Zeitpunkt des Inkrafttreten dieses Tarifvertrages zwischen dem Arbeitgeberverband der Verlage und Buchhandlungen in Nordrhein-Westfalen e.V., Düsseldorf, und dem Verband der Zeitschriftenverlage in Nordrhein-Westfalen e.V., Köln, sowie der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Landesbezirk Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, abgeschlossenen, nachwirkenden sowie zukünftig geänderten, neu abgeschlossenen und ergänzenden Tarifverträge als vereinbart.

6

…"

7

Der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Buch- und Zeitschriftenverlage in NRW vom 03.11.2010, gültig ab 01.01.2011, enthält u.a. folgende Regelung:

8

㤠8 Sonderleistungen

9

1. Die Arbeitnehmer und Auszubildenden erhalten einmal pro Kalenderjahr eine Sonderleistung, die ganz oder in Teilen zum Urlaubsbeginn und/oder zu Weihnachten zu zahlen ist. Die Auszahlungsmodalitäten können durch Betriebsvereinbarung geregelt werden.

10

Die tarifliche Sonderleistung beträgt 140 Prozent des Tarifentgelts bzw. der tariflichen Ausbildungsvergütung. ...

11

2. …

12

3. …

13

14

Im Falle der Krankheit des Arbeitnehmers über einen Zeitraum von zehn Wochen (50 Arbeitstage bei Arbeitnehmern, die in 5-Tage-Woche arbeiten) hinaus kann für jeden Tag der krankheitsbedingten Abwesenheit die Sonderleistung um ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, gekürzt werden. Der Zeitraum von zehn Wochen muss kein ununterbrochener Zeitabschnitt sein, sondern kann sich auch aus einzelnen kürzeren Krankheitszeiten zusammensetzen, die im Kalenderjahr zusammengerechnet zehn Wochen überschreiten. Eine Kürzung wird nicht vorgenommen bei einem Betriebs- oder Wegeunfall.

15

Protokollnotiz: Für Teilzeitkräfte, die nicht in 5-Tage-Woche arbeiten, wird die Zahl der Arbeitstage nach den in zehn Wochen abzuleistenden Arbeitstagen bestimmt.

16

17

Die früheren Manteltarifverträge enthielten ebenfalls Kürzungsmöglichkeiten im Krankheitsfall, die bereits bei Abwesenheiten über einen Zeitraum von sechs Wochen hinaus bestanden. Zu der Kürzungsmöglichkeit bei Krankheit zu einem früheren Manteltarifvertrag hatten die Beteiligten am 04.07.2006 folgende Vereinbarung geschlossen:

18

"Zur Beilegung aktueller gerichtlicher Auseinandersetzungen einigen sich die Parteien zum Wohle aller MitarbeiterInnen auf folgende Punkte:

19

1. Tarifliche Sonderleistungen (bestehend aus Urlaubs- und Weihnachtsgeld) werden auch nach mehr als 6-wöchiger Erkrankung weiter gezahlt. Auf den Passus aus dem Manteltarifvertrag (der Arbeitgeber kann diese Sonderleistungen ggf. verweigern) wird im Hause Z-Verlag (A-Stadt-) verzichtet. Der Arbeitgeber verpflichtet sich stattdessen, diese Sonderleistungen auch weiterhin zu zahlen. Dies gilt für die Laufzeit des jetzigen Tarifs, d.h. mindestens bis zum 31.12.2007.

20

Bei Vereinbarung eines neuen Manteltarifvertrags, welcher wieder eine solche Kann-Option oder eine andere Schlechterstellung enthalten würde, wird sich die Geschäftsführung und der Betriebsrat erneut zusammensetzen und über eine Verlängerung dieser Vereinbarung beraten. …"

21

Nach Inkrafttreten des neuen Manteltarifvertrags kürzte die Arbeitgeberin bis zum Jahr 2014 in Krankheitsfällen über einen Zeitraum von zehn Wochen die Sonderleistung (erst) ab dem 51. Krankheitstag. Ab dem Jahr 2015 wendet sie die tarifliche Kürzungsregelung nunmehr so an, dass sie die Kürzung bereits ab dem ersten Krankheitstag vornimmt, wenn die Krankheitszeiten 50 Tage im Kalenderjahr überschreiten. Der Betriebsrat ist hiermit nicht einverstanden. Nach ergebnislosen Gesprächen forderte er die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 02.02.2016 zur Einrichtung einer Einigungsstelle auf, was diese mit Schreiben vom 12.02.2016 ablehnte. Der Betriebsrat ist der Ansicht, dass er bei der Frage, ob und wie die Arbeitgeberin von der tarifvertraglich geregelten Kürzungsmöglichkeit im Krankheitsfall Gebrauch mache, mitzubestimmen habe.

22

Der Betriebsrat hat erstinstanzlich beantragt,

23

1. zum Einigungsstellenvorsitzenden über die Verhandlungen über die einseitige Kürzung der Jahressonderleistungen im Krankheitsfall

24

beginnend mit dem Jahre 2015 gem. § 8 Abs. 3 des Manteltarifvertrags für Buch- und Zeitschriftenverlage in NRW iVm. der Vereinbarung vom 04.07.2006 durch die Arbeitgeberin ohne seine Beteiligung, Herrn RArbG B-Stadt Dr. F. zu bestellen,

25

hilfsweise,

26

zum Einigungsstellenvorsitzenden über die Verhandlungen über die Möglichkeiten der Kürzung der Jahressonderleistung im Krankheitsfall

27

beginnend mit dem Jahre 2015 gem. § 8 Abs. 3 des Manteltarifvertrags für Buch- und Zeitschriftenverlage in NRW iVm. der Vereinbarung vom 04.07.2006 durch die Arbeitgeberin ohne seine Beteiligung, Herrn RArbG B-Stadt Dr. F. zu bestellen,

28

äußerst hilfsweise,

29

zum Einigungsstellenvorsitzenden über die Verhandlungen über die einseitige Kürzung der Jahressonderleistung im Krankheitsfall für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vom ersten Krankheitstage an, soweit der Arbeitnehmer insgesamt mehr als 50 Arbeitstage (10 Wochen) krank gewesen ist

30

beginnend mit dem Jahre 2015 gem. § 8 Abs. 3 des Manteltarifvertrages für Buch- und Zeitschriftenverlage in NRW iVm. der Vereinbarung vom 04.07.2006 durch die Arbeitgeberin ohne seine Beteiligung, Herrn RArbG B-Stadt Dr. F. zu bestellen,

31

2. die Zahl der Beisitzer auf jeweils vier pro Seite festzusetzen.

32

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

33

die Anträge zurückzuweisen.

34

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats mit Beschluss vom 02.03.2017 zurückgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die begehrte Einigungsstelle sei iSv. § 100 BetrVG offensichtlich unzuständig, denn dem Betriebsrat stehe bei der Frage, "ob" der Arbeitgeber die tarifliche Sonderleistung im Krankheitsfall kürze, offensichtlich kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu. Die Arbeitgeberin habe sich im Streitfall entschieden, die tarifvertragliche Kürzungsmöglichkeit in vollem Umfang anzuwenden, so dass kein Verteilungsspielraum verbleibe, bei dem ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats greifen könnte. Auch ergebe sich ein Mitbestimmungsrecht nicht unmittelbar aus dem Tarifvertrag. Dort sei nicht geregelt, dass von der Kürzungsmöglichkeit lediglich durch Betriebsvereinbarung oder sonst mit Zustimmung des Betriebsrats Gebrauch gemacht werden könne. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsbegründung des Arbeitsgerichts wird auf den begründeten Teil des Beschlusses Bezug genommen.

35

Gegen den Beschluss vom 02.03.2017, der ihm am 27.03.2017 zugestellt worden ist, hat der Betriebsrat am 08.04.2017 beim Landesarbeitsgericht Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

36

Er macht nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 07.04.2017, auf dessen Inhalt ergänzend Bezug genommen wird, geltend, ihm stehe ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu. Bei den hier in Rede stehenden Fragen gehe es um die Ausgestaltung der Verteilung einer arbeitgeberseitigen Leistung bzw. die Rückgängigmachung einer arbeitgeberseitigen Leistung, die zunächst einmal erbracht worden sei. Die Kürzung erfolge grundsätzlich im Nachhinein. Also gehe es hier um die Verteilung der den Arbeitnehmern zugesagten Leistungen, denn der Arbeitgeber schwinge sich auf, in das bestehende Gefüge einzugreifen. Es gehe nicht um die Frage, ob eine Leistung durch den Arbeitgeber überhaupt er-bracht werde, sondern darum, in welchem Umfang der Arbeitgeber die von ihm er-brachte Leistung, nämlich den Arbeitslohn, nachträglich auf der Basis des Tarifvertrags rückgängig machen könne. Es gehe hier um die Grundsätze für die Verteilung von zusätzlich durch Arbeitgeber und Tarifvertrag gewährten Leistungen, insbesondere gehe es auch um die Frage, inwieweit der Arbeitgeber die von ihm in der Vergangenheit gewährten Leistungen einseitig auf der Basis des Tarifvertrags korrigieren können. Der Tarifvertrag sehe für den Arbeitgeber die Möglichkeit vor, unter bestimmten Umständen die Sonderleistung bei krankheitsbedingten Abwesenheiten kürzen zu könne. Allein das Wort "kann" eröffne ihm die Möglichkeit, sein Mitbestimmungsrecht zu reklamieren. Selbstverständlich gehe es darum, wie und gegenüber welchen Arbeitnehmern eine Kürzung erfolgen könne und solle. Auch gehe es um die Frage, inwieweit der Arbeitgeber durch die tarifliche Regelung ein derart weites Verteilungsspektrum erziele, um letztlich ohne Kontrolle durch den Betriebsrat nach "freiem Belieben" handeln zu können. Nach dem Verständnis des Tarifvertrags bedeute das Wort "kann" die Möglichkeit des Arbeitgebers, darüber nachzudenken, wie er eine Kürzung bei krankheitsbedingten Zeiten vornehme. Dies bedeute jedoch nicht, dass er bei dieser Entscheidung, die letztlich die zusätzliche Leistung reduziere, frei sei. Der Arbeitgeber greife durch sein Verhalten in die Grundsätze der Verteilung ein. Nicht umsonst sei zwischen den Beteiligten im Jahr 2006 eine Betriebsvereinbarung geschlossen worden, wie mit der tariflichen Sonderleistung im Krankheitsfall umzugehen sei. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG greife nicht ein. Der Tarifvertrag regle die hier in Rede stehende Frage nicht abschließend. Das Wort "kann" sei eindeutig bezogen auf die Ausübung einer Möglichkeit, nicht jedoch eines Zwangs. Das Wort "kann" lasse die Frage der Grundsätze für die Verteilung der hier in Rede stehenden Lohngestaltung offen.

37

Der Betriebsrat beantragt zweitinstanzlich,

38

den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 02.03.2017, Az. 7 BV 67/16, abzuändern und nach den erstinstanzlichen Anträgen (Haupt- und Hilfsanträge) zu entscheiden.

39

Die Arbeitgeberin beantragt,

40

die Beschwerde zurückzuweisen.

41

Sie verteidigen den angegriffenen Beschluss nach Maßgabe ihrer Beschwerdeerwiderung vom 20.06.2017, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, als zutreffend.

42

Ergänzend wird auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

43

1. Die nach § 100 Abs. 2 S. 1 ArbGG statthafte Beschwerde des Betriebsrats ist gemäß §§ 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3, 87 Abs. 2 ArbGG form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

44

2. In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass eine Einigungsstelle mit dem vom Betriebsrat beantragten Regelungsgegenstand - sowohl bezüglich des Hauptantrags als auch der beiden Hilfsanträge - offensichtlich unzuständig ist.

45

a)  Im Verfahren nach § 100 ArbGG ist die gerichtliche Zuständigkeitsprüfung der Einigungsstelle weitgehend eingeschränkt. Von einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle iSd. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist nur dann auszugehen, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt. Dies erklärt sich aus den Besonderheiten des Bestellungsverfahrens, das darauf gerichtet ist, den Betriebspartnern, die keine ständige Einigungsstelle eingerichtet haben, im Bedarfsfall beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen. Diese Zielsetzung erfordert ein unkompliziertes Bestellungsverfahren ohne zeitraubende Prüfung schwieriger Rechtsfragen. Dem entspricht das vereinfachte gerichtliche Verfahren ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter unter Ausschluss der Rechtsbeschwerde. Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab korrespondiert damit, dass die Einigungsstelle die Vorfrage ihrer Zuständigkeit selbst prüft und sich, wenn sie diese nicht für gegeben hält, für unzuständig erklären kann (LAG Rheinland-Pfalz 09.11.2016 - 7 TaBV 22/16 - Rn. 46, 47 mwN; LAG Köln 16.01.2017 - 9 TaBV 77/16 - Rn. 30 mwN).

46

b) Auch gemessen an diesem großzügigen Maßstab ist die Einigungsstelle im Streitfall (sowohl für den Haupt-, als auch für die Hilfsanträge) offensichtlich unzuständig. Dem Betriebsrat steht bei der Entscheidung der Arbeitgeberin, die Kürzungsmöglichkeit vollständig umzusetzen, die ihr der Manteltarifvertrag für Buch- und Zeitschriftenverlage in NRW vom 03.11.2010 für die tarifliche Sonderleistung im Krankheitsfall in § 8 Abs. 3 eröffnet, offensichtlich kein Mitbestimmungsrecht zu. Der Umstand, dass die Arbeitgeberin von dieser Kürzungsmöglichkeit unter den tariflich geregelten Voraussetzungen im tariflich geregelten Umfang Gebrauch machen "kann", eröffnet dem Betriebsrat kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht. Auch aus der Vereinbarung der Beteiligten vom 04.07.2006 folgt nichts anders.

47

aa) Die Arbeitgeberin ist tarifgebunden. In § 8 Abs. 3 des Manteltarifvertrags vom 03.11.2010 ist geregelt, dass sie im Fall der Krankheit eines Arbeitnehmers über einen Zeitraum von zehn Wochen (50 Arbeitstage bei Arbeitnehmern, die in der Fünf-Tage-Woche arbeiten) hinaus für jeden Tag der krankheitsbedingten Abwesenheit die Sonderleistung um ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, kürzen kann. Der Zeitraum von zehn Wochen muss kein ununterbrochener Zeitabschnitt sein, sondern kann sich auch aus einzelnen kürzeren Krankheitszeiten zusammensetzen, die im Kalenderjahr zusammengerechnet zehn Wochen überschreiten. Eine Kürzung wird nicht vorgenommen bei einem Betriebs- oder Wegeunfall.

48

Die Arbeitgeberin setzt das ihr von den Tarifvertragsparteien eingeräumte Kürzungsrecht in den im Tarifvertrag erlaubten Fällen seit dem Jahr 2015 vollständig um. Sie kürzt seither die Sonderleistung für jeden Tag der krankheitsbedingten Abwesenheit um ein Viertel, wenn die Krankheitszeiten eines Arbeitnehmers im Kalenderjahr zehn Wochen überschreiten. Soweit die Arbeitgeberin in der Vergangenheit von diesem Kürzungsrecht, das nach dem Tarifvertrag durch Verwendung des Verbs "kann" in ihrem Ermessen steht, jahrelang keinen oder nur eingeschränkten Gebrauch gemacht hat, kann der Betriebsrat aus diesem Verhalten kein Mitbestimmungsrecht herleiten.

49

Der Betriebsrat kann von einem - wie hier - tarifgebundenen Arbeitgeber nicht über § 87 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 BetrVG die Gewährung bestimmter über- oder außertariflicher Entgeltleistungen erzwingen. Hierauf läuft sein Begehren letztlich hinaus. Die Arbeitgeberin ist nach dem Tarifvertrag - durch die Verwendung des Modalverbs "kann" - frei in ihrer Entscheidung, ob sie die Sonderleistung in den geregelten Fällen kürzt oder nicht. So wie der Arbeitgeber allein darüber entscheidet, ob er übertarifliche Leistungen überhaupt erbringt, kann er mitbestimmungsfrei darüber entscheiden, ob und wann er sie vollständig wieder einstellt (BAG 23.06.2009 - 1 AZR 214/08 - Rn. 16; 15.04.2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 31; 23.01.2008 - 1 ABR 82/06 - Rn. 24, 25 mwN). Es verbleibt kein Finanzvolumen bei dessen Verteilung der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hat. Ob und in welcher Höhe der Arbeitgeber eine Sonderleistung im Krankheitsfall zu erbringen hat, ist bereits tariflich festgelegt; ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, mit dem dieser eine andere (günstigere) Regelung für erkrankte Arbeitnehmer erreichen könnte, scheidet wegen § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG aus.

50

bb) Für das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts kommt es nicht darauf an, ob die Arbeitnehmer - etwa auf Grund betrieblicher Übung - individualrechtlich einen Anspruch auf eine volle Sonderleistung erworben haben (BAG 26.10.2004 - 1 ABR 31/03 (A) - Rn. 42). Hinsichtlich der Einstellung ursprünglich freiwilliger Leistungen ist zwischen der betriebsverfassungsrechtlichen und der individualrechtlichen Seite zu unterscheiden. Betriebsverfassungsrechtlich ist der Arbeitgeber in seiner Entscheidung frei, soweit er sich nicht dem Betriebsrat gegenüber gebunden hat (Wiese GK-BetrVG 10. Aufl. § 87 Rn. 841, 873).

51

Vorliegend haben die Beteiligten zwar am 04.07.2006 eine Vereinbarung getroffen, wonach die Arbeitgeberin auf ihre Befugnis, die Sonderleistung im Krankheitsfall kürzen zu können, verzichtet. Es kann dahinstehen, welche Rechtsqualität diese Vereinbarung hat, denn sie war nach ihrem eindeutigen Wortlaut für die Laufzeit des früheren Manteltarifvertrags, der bereits nach einer sechswöchigen Erkrankung ein Kürzungsrecht vorsah, zeitlich befristet. Die Vereinbarung ist daher seit dem Inkrafttreten des neuen Manteltarifvertrags vom 03.11.2010 am 01.01.2011 für die Arbeitgeberin nicht mehr bindend. Die Beteiligten haben lediglich geregelt, dass sie sich erneut "zusammensetzen" und über eine neue Vereinbarung "beraten" werden, wenn ein neuer Manteltarifvertrag wieder eine Kürzungsmöglichkeit ("Kann-Option") enthalten sollte. Diese Beratungen haben stattgefunden, jedoch zu keinem Ergebnis geführt. Der Abschluss einer erneuten "freiwilligen" Vereinbarung kann über einen Spruch der Einigungsstelle nicht erzwungen werden.

III.

52

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 100 Abs. 2 S. 4 ArbGG.

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(1) In den Fällen des § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Betriebsverfassungsgesetzes entscheidet der Vorsitzende allein. Wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle können die Anträge nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Für das Verfahren gelten die §§ 80 bis 84 entsprechend. Die Einlassungs- und Ladungsfristen betragen 48 Stunden. Ein Richter darf nur dann zum Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt werden, wenn aufgrund der Geschäftsverteilung ausgeschlossen ist, dass er mit der Überprüfung, der Auslegung oder der Anwendung des Spruchs der Einigungsstelle befasst wird. Der Beschluss des Vorsitzenden soll den Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags zugestellt werden; er ist den Beteiligten spätestens innerhalb von vier Wochen nach diesem Zeitpunkt zuzustellen.

(2) Gegen die Entscheidungen des Vorsitzenden findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht statt. Die Beschwerde ist innerhalb einer Frist von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Für das Verfahren gelten § 87 Abs. 2 und 3 und die §§ 88 bis 90 Abs. 1 und 2 sowie § 91 Abs. 1 und 2 entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Kammer des Landesarbeitsgericht der Vorsitzende tritt. Gegen dessen Entscheidungen findet kein Rechtsmittel statt.

(1) Der Arbeitgeber kann, wenn dies aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist, die personelle Maßnahme im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 1 vorläufig durchführen, bevor der Betriebsrat sich geäußert oder wenn er die Zustimmung verweigert hat. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über die Sach- und Rechtslage aufzuklären.

(2) Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat unverzüglich von der vorläufigen personellen Maßnahme zu unterrichten. Bestreitet der Betriebsrat, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist, so hat er dies dem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen. In diesem Fall darf der Arbeitgeber die vorläufige personelle Maßnahme nur aufrechterhalten, wenn er innerhalb von drei Tagen beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats und die Feststellung beantragt, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war.

(3) Lehnt das Gericht durch rechtskräftige Entscheidung die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats ab oder stellt es rechtskräftig fest, dass offensichtlich die Maßnahme aus sachlichen Gründen nicht dringend erforderlich war, so endet die vorläufige personelle Maßnahme mit Ablauf von zwei Wochen nach Rechtskraft der Entscheidung. Von diesem Zeitpunkt an darf die personelle Maßnahme nicht aufrechterhalten werden.

(1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:

1.
Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb;
2.
Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage;
3.
vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit;
4.
Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte;
5.
Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie die Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einzelne Arbeitnehmer, wenn zwischen dem Arbeitgeber und den beteiligten Arbeitnehmern kein Einverständnis erzielt wird;
6.
Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen;
7.
Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften;
8.
Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt ist;
9.
Zuweisung und Kündigung von Wohnräumen, die den Arbeitnehmern mit Rücksicht auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vermietet werden, sowie die allgemeine Festlegung der Nutzungsbedingungen;
10.
Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung;
11.
Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte, einschließlich der Geldfaktoren;
12.
Grundsätze über das betriebliche Vorschlagswesen;
13.
Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit; Gruppenarbeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn im Rahmen des betrieblichen Arbeitsablaufs eine Gruppe von Arbeitnehmern eine ihr übertragene Gesamtaufgabe im Wesentlichen eigenverantwortlich erledigt;
14.
Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird.

(2) Kommt eine Einigung über eine Angelegenheit nach Absatz 1 nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.

(1) Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, auch soweit sie auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen, führt der Arbeitgeber durch, es sei denn, dass im Einzelfall etwas anderes vereinbart ist. Der Betriebsrat darf nicht durch einseitige Handlungen in die Leitung des Betriebs eingreifen.

(2) Betriebsvereinbarungen sind von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen. Sie sind von beiden Seiten zu unterzeichnen; dies gilt nicht, soweit Betriebsvereinbarungen auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen. Werden Betriebsvereinbarungen in elektronischer Form geschlossen, haben Arbeitgeber und Betriebsrat abweichend von § 126a Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs dasselbe Dokument elektronisch zu signieren. Der Arbeitgeber hat die Betriebsvereinbarungen an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen.

(3) Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.

(4) Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar und zwingend. Werden Arbeitnehmern durch die Betriebsvereinbarung Rechte eingeräumt, so ist ein Verzicht auf sie nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig. Die Verwirkung dieser Rechte ist ausgeschlossen. Ausschlussfristen für ihre Geltendmachung sind nur insoweit zulässig, als sie in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung vereinbart werden; dasselbe gilt für die Abkürzung der Verjährungsfristen.

(5) Betriebsvereinbarungen können, soweit nichts anderes vereinbart ist, mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.

(6) Nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung gelten ihre Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

(1) In den Fällen des § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Betriebsverfassungsgesetzes entscheidet der Vorsitzende allein. Wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle können die Anträge nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Für das Verfahren gelten die §§ 80 bis 84 entsprechend. Die Einlassungs- und Ladungsfristen betragen 48 Stunden. Ein Richter darf nur dann zum Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt werden, wenn aufgrund der Geschäftsverteilung ausgeschlossen ist, dass er mit der Überprüfung, der Auslegung oder der Anwendung des Spruchs der Einigungsstelle befasst wird. Der Beschluss des Vorsitzenden soll den Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags zugestellt werden; er ist den Beteiligten spätestens innerhalb von vier Wochen nach diesem Zeitpunkt zuzustellen.

(2) Gegen die Entscheidungen des Vorsitzenden findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht statt. Die Beschwerde ist innerhalb einer Frist von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Für das Verfahren gelten § 87 Abs. 2 und 3 und die §§ 88 bis 90 Abs. 1 und 2 sowie § 91 Abs. 1 und 2 entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Kammer des Landesarbeitsgericht der Vorsitzende tritt. Gegen dessen Entscheidungen findet kein Rechtsmittel statt.

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 11. August 2016, Az. 5 BV 22/16, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach § 100 ArbGG über die Einsetzung einer Einigungsstelle.

2

Die Beteiligte zu 2) ist im Bereich der Fensterproduktion aus unterschiedlichen Materialien tätig und beschäftigt am Standort A-Stadt circa 390 Beschäftigte. Der Beteiligte zu 1) ist der im Betrieb gebildete Betriebsrat.

3

Nachdem die Abteilung "Isolierglas" zunächst vorübergehend geschlossen war, teilte die Beteiligte zu 2) dem Beteiligten zu 1) unter dem 17. Mai 2016 mit, dass sich die testweise Schließung dieser Abteilung als sinnvoll erwiesen habe und die Abteilung nicht wiedereröffnet werde. Die in diesem Bereich beschäftigten Arbeitnehmer wurden in andere Bereiche "versetzt", der Mitarbeiter M. (Leiter der Abteilung Isolierglasfertigung) verließ das Unternehmen zwischenzeitlich auf eigenen Wunsch.

4

Die Beteiligte zu 2) lehnte Verhandlungen gemäß § 111 BetrVG ab, der Beteiligte zu 1) stellte mit Beschluss vom 8. Juli 2016 das Scheitern der Verhandlungen fest.

5

Mit am 2. August 2016 beim Arbeitsgericht eingegangener Antragsschrift begehrte der Beteiligte zu 1) die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Schließung Isolierglasabteilung/Interessenausgleich und Sozialplan".

6

Der Beteiligte zu 1) hat vorgetragen,
die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig. Das ergebe sich schon aus einer quantitativen Betrachtung. Neben den in der Abteilung bis zu deren Schließung beschäftigten 23 Arbeitnehmern J. P., Be. D., U. Sch., Ed. Fr., Pa. Pl., Rm. Sr., To. Bn., Ta. Gs., Ha. Or., Mo. Hr., Al. Gz., Ba. Sz., St. Pt., Ga. Ab., Al. Sm., Gr. Re., We. Kn., Ue. Gn., Vi. Ko., Br. Bo., Mu. Ro., Er. Bc. und De. Wn. seien weiter die Arbeitnehmer F. M. (Abteilungsleiter), Hl. Hf. (langzeiterkrankt) und Hn. Y. (Elternzeit) zu berücksichtigen. Auch betreffe die Betriebsänderung nicht nur die Abteilung "Isolierglas", sondern auch weite Teile der Produktion sowie produktionsnahe Bereiche (Einkauf, Lager, Materialwirtschaft), die ganz oder zum Teil neu organisiert würden. Allein die Einarbeitung der "versetzten" Kollegen ziehe eine Mehrbelastung und Leistungsverdichtung nach sich.

7

Der Beteiligte zu 1) hat erstinstanzlich beantragt,

8

1. den Richter am ArbG O. a. D. Q. Z. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Schließung Isolierglasabteilung/Interessenausgleich und Sozialplan" zu bestellen,

9

2. die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf drei festzusetzen.

10

Die Beteiligte zu 1) hat beantragt,

11

die Anträge zurückzuweisen.

12

Sie hat vorgetragen,
die Maßnahme sei nicht interessenausgleichspflichtig, zumindest nicht mehr nach vollständiger Umsetzung der Maßnahme. Sämtliche betroffene Mitarbeiter seien seit nunmehr über 3 Monaten nicht mehr in der Isolierglasfertigung beschäftigt und an den neuen Arbeitsplätzen vollständig eingearbeitet.

13

Eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation sei nicht gegeben. Es seien lediglich 23 Arbeitnehmer, entsprechend circa 5,9 % der Belegschaft im Betrieb betroffen. Es könne nicht praktisch jeder Mitarbeiter hinzugerechnet werden, der in den "aufnehmenden anderen Abteilungen" beschäftigt werde. Dies gebiete das Interesse des Arbeitgebers an Rechtssicherheit.

14

Die Einigungsstelle sei auch offensichtlich unzuständig, wenn ein Interessenausgleich nicht mehr möglich sei, weil die Betriebsänderung schon abgeschlossen sei. Die Verhandlungen über einen Interessenausgleich hätten keinen Sinn mehr, wenn sowohl "Ob" als auch "Wie" der Betriebsänderung bereits feststünden oder die Betriebsänderung bereits durchgeführt worden sei.

15

Es liege auch keine sozialplanpflichtige Maßnahme vor. Wirtschaftliche Nachteile existierten nicht.

16

Das Arbeitsgericht Trier hat durch Beschluss vom 11. August 2016 den RArbG O. a. D. Q. Z. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Schließung Isolierglasabteilung/Interessenausgleich und Sozialplan" bestellt. Die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer hat es auf zwei festgelegt.

17

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt,
ein Rechtsschutzinteresse für den zulässigen und hinreichend bestimmten Antrag bestehe. Der Antrag habe auch in der Sache Erfolg. Zwar seien Bedenken an der Zuständigkeit einer Einigungsstelle, jedenfalls bezüglich der Verhandlungen über einen Interessenausgleich, zu verzeichnen. Eine Offensichtlichkeit der Unzuständigkeit einer Einigungsstelle habe indes nicht vorgelegen.

18

Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Gründe II. des Beschlusses des Arbeitsgerichts Trier (Bl. 58 ff. d. A.) Bezug genommen.

19

Der genannte Beschluss ist der Beteiligten zu 2) am 16. August 2016 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 30. August 2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

20

Zur Begründung der Beschwerde macht die Beteiligte zu 2) nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 7. November 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 65 ff., 125 ff. d. A.), zusammengefasst geltend,
eine Betriebsänderung im Sinn des § 111 BetrVG liege nicht vor. Die Quote nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG sei nicht erreicht. Aus den Zahlen ergebe sich nur eine Betroffenheit von potenziell 24 Arbeitnehmern und damit von etwa 6 % der Belegschaft im Betrieb. Die tatsächliche Betroffenheit dürfte eher bei 21 Mitarbeitern liegen, da die Mitarbeiter Y. aufgrund Elternzeit und die Beschäftigten P. und Hf. als langzeitkranke Arbeitnehmer (Herr Hf. sei seit dem 10. Dezember 2015 aus der Entgeltfortzahlung) nicht regelmäßig beschäftigt worden seien. Insbesondere gehe sie bei Herrn P. aufgrund der Rentennähe (Eintritt voraussichtlich zum 1. November 2016) nicht davon aus, dass er wieder in den Betrieb zurückkehren werde.

21

Der Mitarbeiter Or. habe bereits zuvor keine eigentliche Tätigkeit der Produktion ausgeführt. Er sei vielmehr an der Schnittstelle zwischen Produktion und Weiterverarbeitung tätig. Das heißt, er prüfe erzeugtes Glas und bestimme die Art und Weise der Verwendung in der weiteren Produktion. Die Verantwortung liege darin, die richtigen Teile zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort bereitzustellen. Diese Aufgabe falle unverändert an. Der Unterschied bestehe lediglich darin, dass nunmehr zugekauftes Glas in dieser Art und Weise behandelt werde. Dieses müsse ebenso angenommen, geprüft, einsortiert und intern an die verschiedenen Produktionsabteilungen kommissioniert werden. Dementsprechend sei gegenüber diesem Mitarbeiter auch keine Versetzung ausgesprochen worden.

22

Auch die Mitarbeiterin U. Sch. sei nicht Teil der Produktion gewesen. Sie sei als Disponentin verantwortlich für die Zusammenstellung der Optimierungsläufe in der Isolierglasherstellung (Reduzierung von Verschnitt etc.). Hierbei handele es sich um Arbeit, die der Produktion vorausgehe. Auch diese Tätigkeit bestehe unverändert. Die Mitarbeiterin nehme entsprechende Berechnungen weiter vor, wobei nunmehr nicht die eigene Produktion, sondern das externe Unternehmen nach den entsprechenden Anweisungen produziere. Sie habe keine neue Arbeit erlernen müssen, sondern habe allenfalls andere Empfänger ihrer Arbeitsergebnisse.

23

Dass alle Mitarbeiter des Betriebsteils nunmehr einen neuen Vorgesetzten hätten, sei der Tatsache geschuldet, dass Herr M. das Unternehmen verlassen habe.

24

Sie habe nicht die Verarbeitung von Isolierglas, sondern ausschließlich die Eigenproduktion eines Vorproduktes eingestellt. Die Isolierglasproduktion sei auch in qualitativer Hinsicht für sie kein besonders wichtiger Geschäftsbereich. Die Umstellung auf Zukauf sei problemlos verlaufen. Die Kostenstelle „Isolierglasfertigung“ sei im Rahmen der Schließung dieser Abteilung aufgelöst worden. Hierzu sei der Beteiligte zu 1) auch zu Versetzungen angehört worden, die keine Versetzungen im Sinn des § 95 Abs. 3 BetrVG sein dürften.

25

Betriebsbedingte Kündigungen seien nicht beabsichtigt. Einen besonderen Ausbildungsbedarf für die versetzten Mitarbeiter sehe sie nicht. Am 15. August 2016 habe sie nochmals mit den betroffenen Mitarbeitern (soweit nicht erkrankt oder im Erholungsurlaub) besprochen, ob diese einen Fortbildungsbedarf sähen. Dabei hätten lediglich zwei Arbeitnehmer überhaupt einen Bedarf geäußert. Entsprechende Maßnahmen würden erfolgen. Für den 31. August 2016 sei geplant gewesen, mit weiteren Beschäftigten diese Thematik zu besprechen. Die Mitarbeiter, die bis dahin weiter erkrankt seien, würden ein entsprechendes Angebot schriftlich erhalten.

26

Sie ist der Ansicht, die Auffassung, die Zahlenwerte des § 17 KSchG seien nur eine grobe "Richtschnur", wobei es genüge, wenn diese annähernd erreicht würden, sei nicht überzeugend. Sie führe für Arbeitgeber dazu, dass die Interessenausgleichspflicht nicht ermittelbar sei.

27

Die Einigungsstelle sei auch offensichtlich unzuständig, weil die Maßnahme umgesetzt sei. Es gebe keinen Anspruch darauf, eine bereits erfolgte Schließung einer Produktion durch Wiederaufbau rückgängig zu machen.

28

Dass der Betriebsrat Versetzungen gerichtlich angreife, könne nicht dazu führen, dass eine Schließung nicht abgeschlossen sei. Dann hätte es der Betriebsrat in der Hand, selbst für Jahre zurückliegende Vorgänge noch eine Einigungsstelle zu erzwingen, um unabwendbare Kosten zu verursachen.

29

Soweit der Beteiligte zu 1) einen Sozialplan zum Gegenstand der Einigungsstelle machen wolle, sei jedenfalls hierfür eine Einigungsstelle offensichtlich unzuständig. Wirtschaftliche Nachteile entstünden den Arbeitnehmern nicht.

30

Die Beteiligte zu 2) beantragt,

31

den Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 11. August 2016 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.

32

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

33

die Beschwerde zurückzuweisen.

34

Der Beteiligte zu 1) verteidigt den angefochtenen Beschluss nach Maßgabe des Beschwerdeerwiderungsschriftsatzes vom 22. September 2016, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 102 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend. Die vom Arbeitsgericht eingesetzte Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig.

35

Entgegen der Darstellung der Beklagten zu 2) seien 26 Beschäftigte in der Abteilung Isolierglas tätig gewesen. Auch die Beschäftigten U. Sch. und Ha. Or. seien dieser Abteilung und der dazu gehörigen Kostenstelle zugeordnet gewesen. Dass diese beiden Mitarbeiter keine unmittelbar der Produktion zuzuordnenden Tätigkeiten, sondern sogenannte produktionsnahe Tätigkeiten für die Abteilung Isolierglasfertigung ausgeübt hätten, ändere hieran nichts.

36

Für die Arbeitnehmerin Sch. ergebe sich das schon aus den Anhörungsbögen vom 8. Juni 2016 und 20. Juli 2016. Sie sei „von der Abteilung Isolierglasfertigung“ zunächst in die „Disposition“ und dann in den „Einkauf“ versetzt worden.

37

Herr Or. sei ebenfalls der Abteilung „Isolierglasfertigung“ und der entsprechenden Kostenstelle 41000 zugeordnet und für diese Abteilung im Bereich der Qualitätssicherung tätig gewesen. Sein Vorgesetzter sei der Leiter der Abteilung Isolierglasfertigung F. M. gewesen. Er sei zudem gegenüber vier Beschäftigten der Fertigung, den so genannten Glassortierern, weisungsbefugt gewesen. Alle hätten in der Fertigungshalle eng mit den übrigen Beschäftigten der Isolierglasabteilung zusammengearbeitet. Die vier Glassortierer seien aus Anlass der Abteilungsschließung in die Abteilung „Produktionslogistik“ versetzt worden. Dort sortierten sie jetzt das zugekaufte Glas. Neuer Vorgesetzter für Herrn Or. sei Pe. Fn..

38

Er, der Beteiligte zu 1), sei ursprünglich mit der vorübergehenden Schließung der Isolierglasabteilung einverstanden gewesen vor dem Hintergrund, dass es sonst – so die Beteiligte zu 2) seinerzeit – zu kostenträchtigen Lieferverzögerungen käme, die man unproblematisch mit den Beschäftigten der Isolierglasabteilung vermeiden könne. Von einer „Make or buy“-Entscheidung und einer darauf beruhenden Schließung habe er tatsächlich erstmals im Mai 2016 erfahren.

39

Hinsichtlich der Versetzungen der Beschäftigten Ko., Re., Hr., Bo., Pl., Gn., Kn., Wn., Gs. und Sch. habe zwischenzeitlich erneut wegen nicht ordnungsgemäßer Unterrichtung die Zustimmung verweigert werden müssen. Eine Anhörung über die Zustimmung zu vorläufigen Versetzungen sei seitens der Beteiligten zu 2) nicht eingeleitet worden, so dass erneut die Aufhebung der rechtswidrig durchgeführten Maßnahmen gerichtlich veranlasst werden müsse.

40

Er ist der Ansicht, es könne sich bei der streitigen Maßnahme zudem um eine Betriebsänderung gemäß § 111 S. 3 Nrn. 4 und 5 BetrVG handeln. Des Weiteren sei von der Beteiligten zu 2) parallel zur Schließung mit dem Aufbau einer „zentralen Materialwirtschaft und eines Zentrallagers“ begonnen worden. Ob dies auf einer einheitlichen Maßnahme beruhe, müsse die Zuständigkeitsprüfung vor der Einigungsstelle ergeben.

41

Der Beteiligte zu 1) bestreitet, dass es keine maßnahmenbedingten Nachteile gibt. Es sei etwa der maßnahmenbedingte Nachteil „Zuweisung und Einarbeitung in völlig neue Tätigkeit“ sowie das damit verbundene Risiko gegeben, aufgrund fehlender oder nicht hinreichender Einarbeitung/Qualifizierung und dadurch drohender Schlechtleistung den Arbeitsplatz zu verlieren.

42

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Sitzung vom 9. November 2016 (Bl. 132 ff. d. A.) und den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

II.

43

1. Die nach § 100 Abs. 2 S. 1 ArbGG statthafte Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist gemäß §§ 100 Abs. 2 S. 2 und 3, 87 Abs. 2 form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

44

2. In der Sache hatte die Beschwerde der Beteiligten zu 1) jedoch keinen Erfolg.

45

Eine Einigungsstelle mit dem vom Beteiligten zu 1) beantragten Regelungsgegenstand ist nicht offensichtlich unzuständig.

46

a) Im Verfahren nach § 100 ArbGG ist die gerichtliche Zuständigkeitsprüfung der Einigungsstelle weitgehend eingeschränkt. Von einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle im Sinn des § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG ist nur dann auszugehen, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt. Dies erklärt sich aus den Besonderheiten des Bestellungsverfahrens, das darauf gerichtet ist, den Betriebspartnern, die keine ständige Einigungsstelle eingerichtet haben, im Bedarfsfall beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen. Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab korrespondiert damit, dass die Einigungsstelle die Vorfrage ihrer Zuständigkeit selbst prüft und sich, wenn sie diese nicht für gegeben hält, für unzuständig erklären kann (vgl. BAG, Beschluss vom 30. Januar 1990 - 1 ABR 2/89 - NZA 1990, 571, 572 m. w. N.; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juli 2011 - 26 TaBV 1298/11 - juris Rz. 40). Die endgültige Klärung der Zuständigkeit der Einigungsstelle ist einem Beschlussverfahren vor der vollbesetzten Kammer vorbehalten. Die von der Einigungsstelle vertretene Rechtsauffassung unterliegt dann der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung.

47

Gibt es bei einer Rechtsfrage eine gefestigte und abschließende höchstrichterliche Rechtsprechung, der zu Folge dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht zustehet, so ist davon auszugehen, dass die dazu begehrte Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist (LAG Niedersachen, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 1 TaBV 112/12 - juris Rz. 37 m. w. N.). Offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle auch dann, was die zugrunde zu legenden Tatsachen anbelangt, wenn die zuständigkeitsbegründende Tatsachengrundlage zwar streitig ist, die Richtigkeit der für die Unzuständigkeit der Einigungsstelle sprechenden Tatsachen dem Gericht im Sinn von § 291 ZPO jedoch offenkundig ist oder offenkundig gemacht wird (LAG Hamburg, Beschluss vom 26. März 2014 - 5 TaBV 3/14 - juris Rz. 42 m. w. N.). Streitige Tatsachen sind im Verfahren nach § 100 ArbGG nur einer Schlüssigkeitsprüfung zu unterziehen. Raum für eine Beweisaufnahme besteht nicht (LAG Hessen, Beschluss vom 15. Juli 2008 - 4 TaBV 128/08 - juris Rz. 23).

48

b) Vorliegend kommt eine Zuständigkeit der Einigungsstelle aus § 111 S. 3 Nr. 1, 112 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 BetrVG in Betracht. Es könnte eine Einschränkung und Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteils, nämlich des Bereichs Isolierglas vorliegen.

49

Nach § 111 S. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat zu beraten. Die Unterrichtungs- und Beratungspflicht des Arbeitgebers besteht nach § 111 S. 1 BetrVG allerdings nur bei geplanten Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft haben können. Satz 3 des § 111 BetrVG enthält eine beispielhafte Aufstellung von Tatbeständen, die als Betriebsänderung im Sinn des Satzes 1 gelten. Liegt einer der Tatbestände des § 111 S. 3 BetrVG vor, ist nicht mehr zu prüfen, ob nachteilige Folgen für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zu erwarten sind. Diese werden in den dort genannten Fällen fingiert (BAG, Urteil vom 9. November 2010 - 1 AZR 708/09 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 69 Rz. 13 m. w. N.). Dass tatsächlich Nachteile für die Mitarbeiter entstanden sind oder entstehen, ist nicht erforderlich. Ob ausgleichs- oder milderungswürdige Nachteile entstehen, ist bei der Aufstellung des Sozialplans - gegebenenfalls von der Einigungsstelle - zu prüfen und zu entscheiden (BAG, Beschluss vom 25. Januar 2000 - 1 ABR 1/99 - NZA 2000, 1069, 1070 m. w. N.; vom 17. August 1982 - 1 ABR 40/80 - NJW 1983, 1870, 1871).

50

Nach § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG gilt als Betriebsänderung im Sinn des Satzes 1 die Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von Betriebsteilen. Unter einer Stilllegung eines Betriebs oder eines wesentlichen Betriebsteils ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Arbeitgeber die wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiterzuverfolgen. Dagegen liegt eine Betriebseinschränkung vor, wenn der Betriebszweck zwar weiterverfolgt wird, dies jedoch unter einer nicht nur vorübergehenden Herabsetzung der Betriebsleistung geschieht. Die Stilllegung oder Einschränkung eines Betriebsteils ist dann eine Betriebsänderung im Sinn der Nr. 1, wenn ein wesentlicher Betriebsteil betroffen ist. Insoweit ist auf die Zahlengrenzen des § 17 Abs. 1 KSchG zurückzugreifen. Wesentlich ist ein Betriebsteil danach jedenfalls dann, wenn in ihm ein erheblicher Teil der Gesamtbelegschaft beschäftigt wird (quantitative Betrachtung). Dies ist der Fall, wenn die Zahlenwerte des § 17 KSchG erfüllt und im Betriebsteil mindestens 5 % der Belegschaft tätig sind (BAG, Urteil vom 9. November 2010 - 1 AZR 708/09 - NZA 2011, 466; vom 7. August 1990 - 1 AZR 445/89 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 34). Die in § 112a Abs. 1 S. 1 BetrVG angegebenen höheren Zahlengrenzen sind für das Vorliegen einer Betriebsänderung irrelevant; sie sind nur maßgeblich für die Frage, ob beim bloßen Personalabbau ein Sozialplan über die Einigungsstelle erzwungen werden kann.

51

Der Bereich Isolierglas ist ein Betriebsteil im Sinn des § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG. Diesen hat die Beklagte zunächst vorübergehend geschlossen und sodann dem Beteiligten zu 1) unter dem 17. Mai 2016 mitgeteilt, dass die Abteilung nicht wiedereröffnet werde. Dieser Bereich könnte auch für den ganzen Betrieb "wesentlich" sein. Im Betrieb der Beteiligten zu 2), in dem insgesamt circa 390 Arbeitnehmer beschäftigt sind, ist ein Betriebsteil wesentlich, wenn von der Stilllegung des Bereichs 10 % der Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer betroffen sind.

52

In der Abteilung Isolierglas waren unstreitig mindestens 21 Arbeitnehmer beschäftigt. Weiter sind auch die beiden Mitarbeiter, die längere Zeit erkrankt sind als auch der Mitarbeiter in Elternzeit von der Schließung dieses Bereichs betroffen. Hinsichtlich weiterer Arbeitnehmer, nämlich der Mitarbeiterin U. Sch. und dem Beschäftigten Or. ist zwischen den Parteien streitig, ob sie zum betroffenen Betriebsteil gehören. Es ist insoweit jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass auch diese von der Stilllegung betroffen und mitzuzählen sind.

53

Frau U. Sch. war sowohl dieser Kostenstelle zugeordnet als auch wurde sie laut den Anhörungsbögen betreffend ihre Versetzungen von der Abteilung „Isolierglasfertigung“ zunächst in die „Disposition“ und sodann in den „Einkauf“ versetzt. Ihr Arbeitsplatz verändert sich nach dem Vortrag der Beteiligten zu 2) durch die Schließung des Bereichs Isolierglas jedenfalls insoweit als sie nunmehr Berechnungen und Anweisungen für externe Unternehmen erstellt. Sie könnte damit von der Schließung der Abteilung betroffen sein.

54

Auch Herr Or. könnte zur Abteilung Isolierglas zu zählen sein. Er war ebenfalls dieser Kostenstelle zugeordnet. Deren Leiter F. M. war er unterstellt und selbst gegenüber vier Glassortierern der Abteilung (Wn., Kn., Ko. und Gz.) weisungsbefugt. Nach der Abteilungsschließung ergeben sich für ihn ebenfalls neue Berührungspunkte mit externen Zulieferern.

55

Die Beteiligte zu 2) hat die Mitarbeiterin U. Sch. und den Mitarbeiter Ha. Or. erstinstanzlich auch selbst bei der Berechnung der betroffenen Mitarbeiter der Abteilung mitgezählt.

56

Die Zahlenwerte des § 17 KSchG könnten damit erfüllt sein, ohne dass es darauf ankäme, ob die Werte des § 17 KSchG starr sind oder diese Zahlengrenzen nur annähernd erreicht werden müssten (so ErfK/Kania, 17. Aufl. 2017, § 111 BetrVG Rn. 11).

57

Weiter kann dahinstehen, ob neben den Mitarbeitern der Abteilung Isolierglas weitere Arbeitnehmer der Produktion sowie produktionsnaher Bereiche (Einkauf, Lager, Materialwirtschaft) von der Einstellung der Isolierglasproduktion mittelbar (beispielsweise durch die Einarbeitung von versetzten Kollegen) betroffen sind und daher bei der Ermittlung der Zahlenwerte des § 17 KSchG berücksichtigt werden müssen.

58

c) Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle ergibt sich auch nicht daraus, dass die Stilllegung des Bereichs Isolierglas bereits abgeschlossen wäre. Insoweit ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass der Entschluss der Beteiligten zu 2) dadurch umgesetzt wird, dass die vorübergehende bzw. testweise Schließung der Produktion, die zunächst für mehrere Wochen erfolgte, nicht wieder aufgehoben, sondern nicht lediglich vorübergehend, sondern dauerhaft belassen wird. Die Beteiligte zu 2) hat neben dem Zeitablauf keine Gesichtspunkte vorgetragen, die nunmehr eine - zunächst jedenfalls mögliche - Wiederaufnahme der Produktion ausschließen würden.

59

Zu bedenken ist weiter, dass die im Bereich beschäftigten Arbeitnehmer – mit Ausnahme des Abteilungsleiters – weiterhin im Betrieb arbeiten und die Produktion mit ihrer Hilfe wieder aufgenommen werden kann.

60

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass mangels wirksamer Beteiligung des Betriebsrats jedenfalls in zehn Fällen der Beteiligte zu 1) der Versetzung nicht zugestimmt hat und diese vom Arbeitsgericht noch nicht ersetzt ist.

61

d) Eine Einigungsstelle ist auch nicht für den Regelungsgegenstand „Sozialplan“ offensichtlich unzuständig. Beim Vorliegen des Tatbestands des § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG werden die nachteiligen Folgen für die Belegschaft oder wesentliche Teile der Belegschaft fingiert.

62

3. Über die Person des Einigungsstellenvorsitzenden haben die Beteiligten nicht gestritten. Über die Zahl der Beisitzer streiten sie im Beschwerdeverfahren nicht mehr.

III.

63

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 100 Abs. 2 S. 4 ArbGG.

(1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:

1.
Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb;
2.
Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage;
3.
vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit;
4.
Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte;
5.
Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie die Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einzelne Arbeitnehmer, wenn zwischen dem Arbeitgeber und den beteiligten Arbeitnehmern kein Einverständnis erzielt wird;
6.
Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen;
7.
Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften;
8.
Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt ist;
9.
Zuweisung und Kündigung von Wohnräumen, die den Arbeitnehmern mit Rücksicht auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vermietet werden, sowie die allgemeine Festlegung der Nutzungsbedingungen;
10.
Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung;
11.
Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte, einschließlich der Geldfaktoren;
12.
Grundsätze über das betriebliche Vorschlagswesen;
13.
Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit; Gruppenarbeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn im Rahmen des betrieblichen Arbeitsablaufs eine Gruppe von Arbeitnehmern eine ihr übertragene Gesamtaufgabe im Wesentlichen eigenverantwortlich erledigt;
14.
Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird.

(2) Kommt eine Einigung über eine Angelegenheit nach Absatz 1 nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.

(1) In den Fällen des § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Betriebsverfassungsgesetzes entscheidet der Vorsitzende allein. Wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle können die Anträge nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Für das Verfahren gelten die §§ 80 bis 84 entsprechend. Die Einlassungs- und Ladungsfristen betragen 48 Stunden. Ein Richter darf nur dann zum Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt werden, wenn aufgrund der Geschäftsverteilung ausgeschlossen ist, dass er mit der Überprüfung, der Auslegung oder der Anwendung des Spruchs der Einigungsstelle befasst wird. Der Beschluss des Vorsitzenden soll den Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags zugestellt werden; er ist den Beteiligten spätestens innerhalb von vier Wochen nach diesem Zeitpunkt zuzustellen.

(2) Gegen die Entscheidungen des Vorsitzenden findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht statt. Die Beschwerde ist innerhalb einer Frist von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Für das Verfahren gelten § 87 Abs. 2 und 3 und die §§ 88 bis 90 Abs. 1 und 2 sowie § 91 Abs. 1 und 2 entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Kammer des Landesarbeitsgericht der Vorsitzende tritt. Gegen dessen Entscheidungen findet kein Rechtsmittel statt.