Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 16. Aug. 2012 - 11 Sa 147/12

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2012:0816.11SA147.12.0A
bei uns veröffentlicht am16.08.2012

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Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 23.02.2012, Az. 2 Ca 589/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen personenbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

2

Die 1953 geborene, verwitwete Klägerin ist seit dem 09.11.1995 bei den amerikanischen Streitkräften beschäftigt. Zuletzt war sie bei der Dienststelle 786 CE SQ als Sekretärin/Übersetzerin tätig. Der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungskräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TVAL II) findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin Anwendung.

3

Die Klägerin war zuletzt in die Vergütungsgruppe C5/E eingruppiert und erhielt bei einer 19,25 Stunden-Woche monatlich 1.558,99 EUR brutto. Sie hat einen Grad der Behinderung von 70.

4

Die Klägerin hatte in der Vergangenheit folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten:

5

2008: 204 Kalendertage

2009: 291 Kalendertage

2010: bis 15.06.2010 55 Kalendertage,

6

im Anschluss hieran durchgehende Arbeitsunfähigkeit.

7

Bedingt durch die schwere Erkrankung ihres Ehemannes geriet die Klägerin über einen längeren Zeitraum hinweg zunehmend in eine Alkoholabhängigkeit, die ungefähr seit 2008 krankhaft war. Mit dem Tod des Ehemannes im November 2010 verschlechterte sich die physische und psychische Verfassung der Klägerin. Sie wurde vom Ordnungsamt in das U eingewiesen und dort vom 19. - 21.11.2010 wegen Alkoholismus behandelt. Nach einem Sturz auf das Kinn zu Hause unter Alkoholeinfluss wurde die Klägerin erneut stationär im U in der Zeit vom 23.12.2010 bis 25.12.2010 aufgenommen. Seit Dezember 2010 stand die Klägerin unter Betreuung. Vom 02.02.2011 bis 10.02.2011 war die Klägerin stationär zur Behandlung im Klinikum der Stadt U wegen eines Sturzes auf das Gesicht. Nachfolgend wurde sie zur Behandlung der Alkoholerkrankung in das U verlegt, wo sie sich vom 10.02.2011 bis 29.03.2011 befand. Im Anschluss daran war die Klägerin vom 29.03.2011 bis 12.04.2011 stationär in den Kliniken Y zu einer sog Motivationstherapie.

8

Mit Schreiben vom 29.03.2011 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Integrationsamt mit, dass die Klägerin derzeit nicht stark genug sei, um die empfohlene Langzeittherapie zu beginnen. Jede weitere therapeutische Maßnahme müsse davon abhängig gemacht werden, dass und wie sehr sich die psychische und physische Verfassung der Klägerin stabilisiere.

9

Mit Gutachten vom 11.03.2010, 02.09.2010 und 14.10.2010 führte der Berufsgenossenschaftliche Arbeitsmedizinische Dienst (BAD) aus, dass die Klägerin ihre Tätigkeit als Sekretärin dauerhaft nicht mehr verrichten könne und dass mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen sei. Unter Datum vom 14.10.2010 empfahl der BAD der Klägerin, Erwerbsunfähigkeitsrente zu beantragen. Mit Schreiben vom 27.10.2010 leitete die Dienststelle gegenüber der Betriebsvertretung das Mitwirkungsverfahren nach § 79 BPersVG ein. Die Hauptbetriebsvertretung stimmte der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 31.01.2011 zu. Das Integrationsamt stimmte der beabsichtigten Kündigung durch Bescheid vom 28.03.2011 zu.

10

Die amerikanischen Streitkräfte kündigten das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 31.03.2011 außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2011.

11

Hiergegen hat die Klägerin am 05.04.2011 Kündigungsschutzklage erhoben.

12

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, dass sich ihr Zustand nachhaltig gebessert habe. Im Anschluss an eine Unterbringung in der Pfalzklinik Z habe sie in der Zeit vom 29.03.2011 bis 11.04.2011 eine Reha-Maßnahme im Klinikum Y erfolgreich absolviert. Es sei davon auszugehen, dass sie die zur krankhaften Alkoholabhängigkeit führende Lebenskrise überwunden habe und dementsprechend in Zukunft nicht mehr mit diesbezüglichen Ausfällen zu rechnen sei.

13

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

14

festzustellen, dass das zwischen der Klägerin und den US-Stationierungsstreitkräften bestehende Arbeitsverhältnis durch die seitens der Beschäftigungsdienststelle mit Schreiben vom 31.03.2011 zum 30.09.2011 ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht beendet worden ist.

15

Die Beklagte hat beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass aufgrund der Gutachten des BAD davon auszugehen sei, dass die Klägerin künftig nicht mehr in der Lage sei, ihre arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Die Anordnung der Betreuung spreche ebenfalls hierfür.

18

Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Urteil vom 23.02.2012, Aktenzeichen 2 Ca 589/11, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ausnahmsweise die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber gemäß § 626 BGB unzumutbar sei. Das Arbeitsverhältnis sei aufgrund der Leistungsunfähigkeit der Klägerin auf nicht absehbare Dauer erheblich gestört. Aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens vom 18.09.2011 bzw. der Ergänzung vom 09.12.2011 stehe fest, dass in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer günstigeren Prognose zu rechnen sei.

19

Das Urteil wurde der Klägerin am 01.03.2012 zugestellt. Sie hat hiergegen am 26.03.2012 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 30.04.2012, zugegangen per Telefax am 30.04.2012, begründet.

20

Die Klägerin ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe nicht geprüft, ob die besonders engen und strengen Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung überhaupt gegeben seien. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Alkoholabhängigkeit dauerhaft sei. Eine erhebliche Wahrscheinlichkeit spreche vielmehr dafür, dass die Alkoholabhängigkeit nur zeitlich vorübergehend sei. Sie habe 2011 keinen Rückfall gehabt, wie der Gutachter annehme. Seit Ende 2010 sei sie trocken. Die US-Streitkräfte hätten das Ende der Reha-Maßnahme abwarten müssen, die nur zwei Wochen gedauert habe. Inzwischen führe sie eine ambulante Psychotherapie im US-Krankenhaus X durch. Die zu ihrer Unterstützung tätige Sozialarbeiterin habe sie seit Dezember 2010 nie alkoholisiert angetroffen.

21

Die Klägerin beantragt,

22

in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 23.02.2012, Aktenzeichen 2 Ca 589/11, festzustellen, dass das zwischen der Klägerin und den US-Stationierungsstreitkräften bestehende Arbeitsverhältnis durch die seitens der Beschäftigungsdienststelle mit Schreiben vom 31.03.2011 zum 30.09.2011 ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht beendet worden ist.

23

Die Beklagte beantragt,

24

die Berufung zurückzuweisen.

25

Die Beklagte trägt vor, die Behauptung der Klägerin, sie sei seit Ende 2010 trocken, sei falsch. Aus den im Gutachten festgestellten Gamma-GT-Werten ergebe sich, dass eine Trockenperiode bei der Klägerin nur im Juli 2011 bestanden habe, während sie bei der Untersuchung anlässlich der Erstellung des Gutachtens am 24.08.2011 wieder Werte weit über dem Normwert vorgewiesen habe. Bei der Alkoholsucht handele es sich nicht um eine zeitlich vorübergehende Erkrankung. Aus dem Entlassungsbericht des W vom 23.11.2010 gehe hervor, dass bei der Klägerin eine langjährige Alkoholabhängigkeit bekannt sei. Dieser Alkoholabusus sei auch nicht durch den Tod des Ehemannes verursacht, da er bereits zuvor bestanden habe. Wie sich der Gesundheitszustand der Klägerin nach Ausspruch der Kündigung entwickelt habe, sei unbeachtlich.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Feststellungen in den Sitzungsprotokollen verwiesen.

Entscheidungsgründe

27

Die nach § 64 Abs. 2c ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.

B.

28

In der Sache ist die Berufung jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung vom 31.03.2011 mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2011 wirksam beendet worden.

I.

29

Im Hinblick auf das im Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung gegebene Lebensalter der Klägerin von 57 Jahren sowie der Dauer des Arbeitsverhältnisses von 15 Jahren konnte das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß § 8 Ziff. 1 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrags über Rationalisierungs-, Kündigungs- und Einkommensschutz vom 02.07.1997 (Schutz-TV) nicht mehr ordentlich gekündigt werden. Es erfolgte daher eine außerordentliche Kündigung unter Gewährung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist.

II.

30

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB, § 45 Abs. 2 TVAL II kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 07.07.2011 – 2 AZR 355/10 – zitiert nach juris, Rn. 12 m.w.N.).

III.

31

Auch Krankheit kann eine außerordentliche Kündigung ausnahmsweise rechtfertigen, wenn die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist. Krankheit ist als wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB nicht grundsätzlich ungeeignet. An eine Kündigung wegen Erkrankung eines Arbeitnehmers ist zwar schon bei einer ordentlichen Kündigung ein strenger Maßstab anzulegen. Dies schließt es jedoch nicht aus, dass in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber auch unzumutbar im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB sein kann. Da die Einhaltung der Kündigungsfrist dem Arbeitgeber regelmäßig zumutbar sein dürfte, wird eine Kündigung aus wichtigem Grund aber nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommen, wobei grundsätzlich die der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten ist (BAG 27.11.2003 – 2 AZR 601/02 – zitiert nach juris, Rn. 50).

32

Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem kranken Arbeitnehmer kann nur in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen für den Arbeitgeber iSd. § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar sein. Wie bei der ordentlichen Kündigung hat die Prüfung in drei Stufen (negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes; erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen; Interessenabwägung) zu erfolgen. Bei einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung ist der schon bei einer ordentlichen Kündigung zu beachtende strenge Prüfungsmaßstab auf allen drei Prüfungsstufen erheblich verschärft. Er muss den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (BAG 18.01.2001 – 2 AZR 616/99 - zitiert nach juris, Rn. 79).

IV.

33

Die hier ausgesprochene Kündigung genügt dem oben dargestellten besonders strengen Prüfungsmaßstab. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 31.03.2011 bereits durchgehend seit 9,5 Monaten arbeitsunfähig erkrankt. Es lag eine lang anhaltende Erkrankung vor, die einer Dauererkrankung gleichgestellt werden kann. Denn in den nächsten 24 Monaten war nicht mit einer Prognose zu rechnen, die auf eine Arbeitsfähigkeit schließen lässt.

34

Die Berufungskammer macht sich die sachverständige Einschätzung des vom Arbeitsgericht beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. V zu Eigen. Dieser hat in seinem Gutachten vom 18.09.2011 und dem Nachtragsgutachten vom 09.12.2011 schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass aus arbeitsmedizinischer Sicht bezogen auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs am 31.03.2011 eine negative Beschäftigungsprognose des Inhalts zu stellen war, dass mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin in den nächsten 24 Monaten nicht zu rechnen war. Die Ausführungen des Sachverständigen sind in sich widerspruchsfrei und schlüssig. Sie decken sich im Wesentlichen mit den Gutachten des BAD. Demgegenüber hat die Klägerin weder vermocht, die im Gutachten des Sachverständigen zugrunde gelegten medizinischen Tatsachenfeststellungen zu erschüttern, noch die hieraus gezogenen Schlussfolgerungen des Sachverständigen in Frage zu stellen.

35

Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass die krankhafte Alkoholabhängigkeit bei ihr in einer schwerwiegenden Lebenskrise aufgetreten sei und dass deshalb nicht von einer dauerhaften Erkrankung ausgegangen werden könne, kann ihr in dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Der Sachverständige führt in seinem Gutachten vom 18.09.2011 auf Seite 45 aus, dass bereits im Jahr 2006 anlässlich eines stationären Aufenthaltes in der neurologischen Klinik des Klinikums U eine unklare Gamma-GT Erhöhung diagnostiziert worden ist. Diese Leberwerterhöhung war nach seiner Einschätzung mit großer Wahrscheinlichkeit bereits durch einen langjährig bestehenden Alkoholabusus bedingt. Seine Einschätzung wird bestätigt durch die Ausführungen im Entlassungsbericht des W vom 23.11.2010, wonach bei der Klägerin bereits eine langjährige Alkoholabhängigkeit bekannt ist. Damit ist ausgeschlossen, dass die Alkoholabhängigkeit erst durch den Tod des Ehemannes im November 2010 ausgelöst worden ist.

36

Soweit die Klägerin angibt, sie sei seit Ende 2010 trocken, wird diese Behauptung bereits durch die Entlassungsberichte der Krankenhausaufenthalte vom 19. bis 21.11.2010, vom 23. bis 25.12.2010 und vom 10.02.2011 bis 29.03.2011 widerlegt.

37

aa) Im Entlassungsbericht vom 23.11.2010 wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin zur notfallmäßigen stationären Aufnahme stark alkoholisiert mit einem Atemalkohol von ca. 4 Promille gekommen war. Ihre Eigenmotivation war mangelhaft.

38

bb) Die Aufnahme ins Krankenhaus am 23.12.2010 erfolgte wegen eines Sturzes unter Alkoholeinfluss. Bei der Aufnahme gab die Klägerin an, mehrfach täglich Cognac und Bier zu trinken. Sie zeigte sich an einer weiterführenden suchtspezifischen Therapie nicht interessiert.

39

cc) Bei ihrer Aufnahme am 10.02.2011 äußerte die Klägerin Suchtdruck. Eine Langzeittherapie war von ihr nicht gewünscht. Zum damaligen Zeitpunkt bestand keine Abstinenzmotivation.

40

Soweit die Klägerin angibt, sie habe seit Februar 2011 keinen Alkohol mehr konsumiert, ist diese Angabe nicht geeignet, die Feststellungen des Sachverständigen zu erschüttern. Denn es fehlt an Anhaltspunkten für eine plausible Erklärung, auf welche andere Ursache als den erneuten Konsum von Alkohol der nur geringgradige Abbau der Gamma-GT-Werte während des Aufenthalts der Klägerin im U und auch der erneute Anstieg dieser Laborwerte im Zeitpunkt der Untersuchung der Klägerin durch den Sachverständigen zurückgeführt werden könnte. Die Laborbefunde aus dem U zeigen, dass zum Aufnahmezeitpunkt 11.02.2011 die Gamma-GT-Werte mit 623 U/l extrem erhöht waren. Am 01.03.2011, in der Mitte der Behandlungsperiode, betrugen die Gamma-GT-Werte noch 544 U/l. Diese geringgradige Abnahme spricht laut dem Sachverständigen dafür, dass innerhalb dieses Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit nach wie vor Alkohol konsumiert wurde und keine Abstinenz vorgelegen hat. Nach zwischenzeitlichen Werten im Normbereich, die von den US-Streitkräften am 16.07.2011 festgestellt worden waren, betrugen die Gamma-GT-Werte zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen 124 U/l. Der Sachverständige führt zur Überzeugung der Berufungskammer aus, dass diese Laborbefunde mit den Angaben der Klägerin, sie trinke keinen Alkohol mehr und sei jetzt trocken, nicht in Übereinstimmung gebracht werden können. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann ihre krankhafte Alkoholabhängigkeit nicht als ein vorübergehendes Ereignis eingestuft werden. Der Sachverständige geht zum Zeitpunkt seiner Untersuchung am 23.09.2011 aufgrund der Laborwerte weiterhin von einem nicht unerheblichen Alkoholkonsum aus.

41

Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, die US-Stationierungsstreitkräfte hätten vor Ausspruch der Kündigung zumindest den Erfolg ihres zweiwöchigen Aufenthaltes in der Klinik Y abwarten müssen, kann ihr hierin nicht gefolgt werden. Die Behandlung dort war keine Behandlung der Alkoholkrankheit, sondern lediglich eine Motivationstherapie. Der Klägerprozessbevollmächtigte selbst hatte kurz zuvor mit Schreiben vom 09.03.2011 dem Integrationsamt mitgeteilt, dass die Klägerin derzeit weder in psychischer noch in physischer Hinsicht stark genug sei, um die empfohlene Langzeit-Therapie zu beginnen. Nach Erhalt dieses Schreibens konnten und mussten die amerikanischen Streitkräfte davon ausgehen, dass in nächster Zeit keine Entzugstherapie stattfinden würde, so dass sie auch nicht das Ergebnis der zeitlich noch nicht absehbaren Therapie abzuwarten brauchten.

42

Wie sich der Gesundheitszustand der Klägerin nach Ausspruch der Kündigung entwickelt hat, ist unbeachtlich. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung (BAG 29.04.1999 – 2 AZR 431/98 - zitiert nach juris, Rn. 37). Entscheidend ist allein, von welcher Prognose die US-Streitkräfte bei Ausspruch der Kündigung ausgehen mussten. Der Gutachter führt hierzu aus, dass zu diesem Zeitpunkt unklar war, wann eine Arbeitsfähigkeit wieder eintreten würde. Es war demzufolge völlig ungewiss, wann die Klägerin wieder arbeitsfähig sein würde. Auch in den nächsten 24 Monaten war nicht mit einer günstigeren Prognose zu rechnen.

43

Entgegen der Auffassung der Klägerin war hier die Feststellung von konkreten betrieblichen Beeinträchtigungen durch ihre krankheitsbedingten Fehlzeiten nicht erforderlich.

44

Steht fest, dass der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht mehr erbringen kann, so ist schon aus diesem Grund das Arbeitsverhältnis auf Dauer ganz erheblich gestört. Die auf das jeweilige Arbeitsverhältnis bezogene, betriebliche Beeinträchtigung besteht darin, dass der Arbeitgeber damit rechnen muss, der Arbeitnehmer sei auf Dauer außerstande, die von ihm geschuldete Leistung zu erbringen. In diesem Fall liegt die erhebliche betriebliche Beeinträchtigung darin, dass der Arbeitgeber auf unabsehbare Zeit gehindert wird, sein Direktionsrecht auszuüben. Er kann den Arbeitnehmer schon allein hinsichtlich der Bestimmung von Zeit und Reihenfolge der Arbeit nicht mehr frei einsetzen; eine irgendwie geartete Planung seines Einsatzes ist ebenso wenig möglich wie der von Vertretungskräften (BAG 28.02.1990 – 2 AZR 401/89 - zitiert nach juris, Rn. 26).

45

b) Dem - auf gesundheitlichen Gründen beruhenden - dauernden Unvermögen des Arbeitnehmers, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist die Ungewissheit, wann der Arbeitnehmer wieder hierzu in der Lage sein wird, gleichzustellen, wenn im Zeitpunkt der Kündigung die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit noch völlig ungewiss ist. Dann ist der Arbeitgeber in einer der feststehenden Leistungsunfähigkeit vergleichbaren Lage (BAG 21.05.1992 – 2 AZR 399/91 - zitiert nach juris, Rn. 34f).

46

3. Auch die Interessenabwägung führt hier nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.

47

Dem Arbeitgeber ist im Kündigungszeitpunkt eine weitere unabsehbare Zeit des krankheitsbedingten Ausfalls der Klägerin billigerweise nicht zumutbar gewesen. Das Austauschverhältnis Arbeit gegen Vergütung war massiv gestört; es war quasi sinnentleert. Auch in Anbetracht der langen Betriebszugehörigkeit der Klägerin, ihrer Schwerbehinderung und des Umstandes, dass sie auf dem Arbeitsmarkt aufgrund ihres Lebensalters nur schwer vermittelbar sein wird, führt hier nicht zu einem überwiegenden Interesse der Klägerin auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur bloß formalen Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses würde wegen der im konkreten Fall unbestimmten Dauer und der offenen Erfolgsaussichten einer Therapie die unternehmerische Gestaltungsfreiheit an der Wiederbesetzung oder Einsparung des konkreten Arbeitsplatzes unverhältnismäßig einschränken.

48

4. Andere Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich. Insbesondere lag die Zustimmung des Integrationsamtes sowie der Hauptbetriebsvertretung vor Ausspruch der Kündigung vor.

49

C. Nach alledem ist die Berufung der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

50

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 64 Grundsatz


(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

Zivilprozessordnung - ZPO | § 519 Berufungsschrift


(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


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Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

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(1) Der Personalrat bestimmt mit in sozialen Angelegenheiten bei 1. Gewährung von Unterstützungen, Vorschüssen, Darlehen und entsprechenden sozialen Zuwendungen,2. Zuweisung und Kündigung von Wohnungen, über die die Beschäftigungsdienststelle verfügt

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Bundesarbeitsgericht Urteil, 07. Juli 2011 - 2 AZR 355/10

bei uns veröffentlicht am 07.07.2011

Tenor Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 3. Dezember 2009 - 5 Sa 739/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Der Personalrat bestimmt mit in sozialen Angelegenheiten bei

1.
Gewährung von Unterstützungen, Vorschüssen, Darlehen und entsprechenden sozialen Zuwendungen,
2.
Zuweisung und Kündigung von Wohnungen, über die die Beschäftigungsdienststelle verfügt, Ausübung von Belegungs- oder Vorschlagsrechten der Beschäftigungsdienststelle sowie der allgemeinen Festsetzung der Nutzungsbedingungen,
3.
Zuweisung von Dienst- und Pachtland und Festsetzung der Nutzungsbedingungen,
4.
Errichtung, Verwaltung und Auflösung von Sozialeinrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform,
5.
Aufstellung von Sozialplänen einschließlich Plänen für Umschulungen zum Ausgleich oder zur Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen, die der oder dem Beschäftigten infolge von Rationalisierungsmaßnahmen entstehen.

(2) Hat eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter eine Leistung nach Absatz 1 Nummer 1 beantragt, wird der Personalrat nur auf ihren oder seinen Antrag beteiligt; auf Verlangen der Antragstellerin oder des Antragstellers bestimmt nur der Vorstand des Personalrats mit. Die Dienststelle hat dem Personalrat nach Abschluss jedes Kalendervierteljahres einen Überblick über die Unterstützungen und entsprechenden sozialen Zuwendungen zu geben. Dabei sind die Anträge und die Leistungen gegenüberzustellen. Auskunft über die von den Antragstellerinnen und Antragstellern angeführten Gründe wird hierbei nicht erteilt.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 3. Dezember 2009 - 5 Sa 739/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 1. Oktober 1979 als Rettungsassistent bei dem Beklagten beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 3.110,66 Euro. Er ist mit einem Grad von 70 schwerbehindert.

3

Aufgrund seiner Schwerbehinderung war der Kläger längere Zeit arbeitsunfähig. Seit September 2006 führten die Parteien Gespräche über die Möglichkeit, ihn in anderer Weise einzusetzen. Dabei kam es am 4. Januar 2008 zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Personalleiter. Dessen genauer Verlauf ist streitig. Etwa neun Monate später - am 1. Oktober 2008 - sandte der Kläger an den Beklagten zu Händen des Personalleiters ein Schreiben, in dem es hieß:

        

„ … Des weiteren möchte ich nun noch einmal auf unser oben genanntes Personalgespräch eingehen, insbesondere auf die von Ihnen getätigte Aussage: ‚Wir wollen nur gesunde und voll einsetzbare Mitarbeiter.’ Diese Aussage ist in meinen Augen vergleichbar mit Ansichten und Verfahrensweisen aus dem Dritten Reich und gehört eigentlich auf die Titelseiten der Tageszeitungen sowie in weiteren Medien!“

4

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 hörte der Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 beantragte er beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer solchen Kündigung. Am 28. Oktober 2008 stimmte das Integrationsamt einer außerordentlichen Kündigung des Klägers zu. Es teilte dies dem Beklagten mündlich noch am selben Tage sowie mit Schreiben vom selben Tage auch schriftlich mit.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2008, dem Kläger einen Tag später zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.

6

Der Kläger wies die Kündigung mit Schreiben vom 4. November 2008 mangels Vollmacht zurück. Zudem hat er rechtzeitig Klage erhoben und die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sei nicht gegeben. Im Übrigen sei der Unterzeichner des Kündigungsschreibens zum Ausspruch der Kündigung nicht berechtigt gewesen.

7

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - beantragt

        

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 nicht beendet worden ist.

8

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, das Schreiben des Klägers vom 1. Oktober 2008 stelle eine grobe Beleidigung dar. Die darin behauptete Äußerung des Personalleiters habe dieser außerdem nicht von sich gegeben.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Für die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB(I.). Die unwirksame außerordentliche Kündigung kann nicht nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden(II.). Keiner Entscheidung bedarf, ob die Kündigung zudem nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam ist.

11

I. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, für die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehle es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

12

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).

13

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Äußerungen des Klägers im Schreiben vom 1. Oktober 2008 seien „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

14

a) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar (§ 241 Abs. 2 BGB) und sind „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 117; Däubler in Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 8. Aufl. Art. 5 GG Rn. 10; APS/Dörner Kündigungsrecht 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 226; Preis in Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 10. Aufl. Rn. 648; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 416). Die Gleichsetzung noch so umstrittener betrieblicher Vorgänge mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem und ein Vergleich von Handlungen des Arbeitgebers oder der für ihn handelnden Menschen mit den vom Nationalsozialismus geförderten Verbrechen bzw. den Menschen, die diese Verbrechen begingen, kann eine grobe Beleidigung der damit angesprochenen Personen darstellen. Darin liegt zugleich eine Verharmlosung des in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Unrechts und eine Verhöhnung seiner Opfer (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I der Gründe, aaO; 9. August 1990 - 2 AZR 623/89 - RzK I 5i 63).

15

b) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 1 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13 ). Hierbei ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten(BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b der Gründe, aaO ). Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig. Vielmehr sind auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

16

c) Das Landesarbeitsgericht hat dem Schreiben vom 1. Oktober 2008 die Aussage entnommen, der Kläger vergleiche die - streitige - Bemerkung des damaligen Personalleiters mit Vorgehensweisen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. Es hat angenommen, diese Erklärung könne nicht mehr als eine lediglich überspitzte oder polemische Kritik gewertet werden. Sie sei daher nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.

17

aa) Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

18

bb) So liegt der Fall hier. Zwar hat der Kläger an einer - streitigen - Bemerkung des Personalleiters in einem konkreten Gespräch Kritik geübt. Aus dessen Sicht als des Empfängers des Schreibens konnte der Vergleich mit Ansichten und Verfahrensweisen im Dritten Reich aber nicht mehr einer sachlichen Auseinandersetzung, sondern nur einer persönlichen Herabwürdigung dienen. Der Kläger hatte das Schreiben erst Monate nach dem fraglichen Gespräch und zudem unter Hinweis auf eine mögliche Veröffentlichung der betreffenden Bemerkung an den Personalleiter geschickt.

19

3. Das Landesarbeitsgericht ist ferner ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die fristlose Kündigung sei bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht gerechtfertigt.

20

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30).

21

b) Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Dies verstößt nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts (vgl. dazu EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 48, Slg. 2010, I-365; 5. Oktober 2004 - C-397/01 bis C-403/01 - [Pfeiffer ua.] Rn. 114, Slg. 2004, I-8835). Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt darin keine unzulässige Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG, ABl. L 303, S. 16; vgl. auch Art. 21 Abs. 1 EU-GRCharta). Dies kann der Senat selbst beurteilen. Einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Es stellen sich keine noch nicht geklärten Fragen der Auslegung von Unionsrecht.

22

aa) Werden die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt, handelt es sich bei ihnen um Entlassungsbedingungen iSv. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG.

23

bb) Diese knüpfen nicht iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG unmittelbar benachteiligend an das in Art. 1 RL 2000/78/EG genannte Merkmal „Alter“ an. Zwischen der Dauer der Betriebszugehörigkeit und dem Alter besteht kein zwingender Zusammenhang, ein jüngerer Arbeitnehmer kann länger beschäftigt sein als ein älterer (vgl. Kamanabrou RdA 2007, 199, 206; v. Medem Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 2008 S. 499).

24

cc) Es liegt auch keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG vor.

25

(1) Dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren stellen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG eine mittelbare Diskriminierung dar, wenn sie geeignet sind, Personen wegen eines in Art. 1 RL 2000/78/EG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise zu benachteiligen, es sei denn - so Unterabs. i der Regelung -, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

26

(2) Es kann dahinstehen, ob bei einer verhaltensbedingten Kündigung die Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB überhaupt geeignet ist, jüngere Arbeitnehmer gegenüber älteren in diesem Sinne in besonderer Weise zu benachteiligen. Selbst wenn eine solche mittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer vorläge, wäre sie durch ein legitimes Ziel und verhältnismäßige Mittel zu seiner Durchsetzung iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG gerechtfertigt. Eine mittelbare Diskriminierung ist damit schon tatbestandlich nicht gegeben (so im Ergebnis auch v. Medem aaO S. 595; Thüsing/Laux/Lembke/Jacobs/Wege KSchG 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 48; aA Schrader/Straube ArbR 2009, 7, 9). Auf mögliche Rechtfertigungsgründe nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG kommt es nicht an.

27

(a) Art. 2 Abs. 2 RL 2000/78/EG unterscheidet zwischen Diskriminierungen, die unmittelbar auf den in Art. 1 RL 2000/78/EG angeführten Merkmalen beruhen, und mittelbaren Diskriminierungen. Während eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung nur nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt werden kann, stellen diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen bewirken können, nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung dar, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 59, Slg. 2009, I-1569; vgl. auch BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - Rn. 31, BAGE 131, 342; Kamanabrou RdA 2007, 199, 206). Bewirken die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren wegen des Vorliegens eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung, bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG(EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 66, aaO). Das rechtmäßige Ziel, das eine mittelbare Diskriminierung ausschließt, muss demnach nicht zugleich ein legitimes Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung sein. Es schließt andere von der Rechtsordnung anerkannte Gründe für die Verwendung des neutralen Kriteriums ein ( BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - aaO). Die Richtlinie ist insofern klar verständlich und bedarf keiner weiteren Auslegung. Dem steht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. September 2000 (- C-322/98 - [Kachelmann], Slg. 2000, I-7505) nicht entgegen. Darin prüft der Gerichtshof zwar die objektive Rechtfertigung einer Frauen mittelbar benachteiligenden Maßnahme des nationalen Gesetzgebers durch ein legitimes sozialpolitisches Ziel. Dem ist aber nicht zu entnehmen, zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Rechtsnorm oder durch ihre Auslegung von Seiten der Gerichte komme auch unter Geltung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG nur die Berücksichtigung eines sozialpolitischen, nicht eines anderen rechtmäßigen Ziels in Betracht (aA wohl ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 9). Das Urteil betraf die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der am 14. August 2009 außer Kraft getretenen Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 (RL 76/207/EWG, ABl. L 39, S. 40). Diese enthielt keine Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG entsprechende Definition der mittelbaren Diskriminierung.

28

(b) Die Kriterien der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs verfolgen im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ein iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG rechtmäßiges Ziel. Es besteht in der Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen dem jeweils nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers. Beide Gesichtspunkte sind für die erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter der Fragestellung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, von objektiver Bedeutung.

29

(c) Die Berücksichtigung der beiden Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ist als Mittel zur Erreichung des Ziels eines adäquaten, befriedigenden Grundrechte-Ausgleichs erforderlich und angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG.

30

(aa) Die Berücksichtigung einer längeren unbeanstandeten Beschäftigungsdauer ist erforderlich, um dem von § 626 Abs. 1 BGB vorgegebenen Prinzip der Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Ohne dieses Kriterium bliebe ein maßgeblicher Umstand für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung unberücksichtigt. Diese hängt auch bei erheblichen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ua. davon ab, ob es sich um einen erstmaligen Pflichtverstoß nach einer langjährigen beanstandungsfreien Beschäftigung handelt oder ob der Verstoß bereits nach kurzer Beschäftigungsdauer oder nach zwar längerwährender, aber nicht unbeanstandeter Betriebszugehörigkeit auftrat. Ob ggf. das beeinträchtigte Vertrauensverhältnis wiederhergestellt werden kann, hängt bei objektiver Betrachtung auch davon ab, ob sich das in den Arbeitnehmer gesetzte Vertrauen bereits eine längere Zeit bewährt hatte (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Ein Pflichtverstoß kann weniger schwer wiegen, wenn es sich um das erstmalige Versagen nach einer längeren Zeit beanstandungsfrei erwiesener Betriebstreue handelt.

31

(bb) Das Kriterium der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs ist auch angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG. Es ist nur eines von mehreren Abwägungskriterien im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung. Es wirkt damit nicht absolut, sondern nur relativ zugunsten des gekündigten Arbeitnehmers. Dadurch ist gewährleistet, dass es nur in dem für einen billigen Ausgleich der Interessen erforderlichen Maß das Ergebnis ihrer Abwägung beeinflusst. Selbst eine langjährige beanstandungsfreie Tätigkeit gibt nicht etwa notwendig den Ausschlag zu Gunsten des Arbeitnehmers. Die Pflichtverletzung kann so schwer wiegen, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens auch nach einer solchen Zeit ausgeschlossen erscheint (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 23; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Dementsprechend belastet eine Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und seines ungestörten Verlaufs jüngere Arbeitnehmer nicht unangemessen. Zu ihren Gunsten können andere Einzelfallumstände den Ausschlag bei der Interessenabwägung geben. Im Übrigen hat es jeder Arbeitnehmer, auch der mit erst kürzerer Betriebszugehörigkeit, in der Hand, sich keine Pflichtverstöße zuschulden kommen zu lassen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

32

c) Danach hält die Interessenabwägung durch das Landesarbeitsgericht einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

33

aa) Dieses hat zugunsten des Klägers darauf abgestellt, dass es sich bei seiner Pflichtverletzung um eine erstmalige Verfehlung dieser Art nach 29 Jahren Betriebszugehörigkeit gehandelt habe. Auch habe der Kläger den Beklagten und dessen Arbeitsmethoden nicht etwa generell mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus verglichen. Überdies sei eine Wiederholungsgefahr nicht feststellbar.

34

bb) Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar wiegt auch die Gleichsetzung einer einzelnen Äußerung eines Repräsentanten des Beklagten mit Vorgehensweisen während des Nationalsozialismus schwer. Das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit ist aber geringer, als wenn der gesamte Betrieb des Beklagten mit solchen Verfahrensweisen verglichen worden wäre. Dass das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses höher gewichtet hat als das Beendigungsinteresse des Beklagten, hält sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.

35

cc) Ob das Lebensalter des Klägers sowie weitere Umstände zu seinen Gunsten bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden dürfen, bedarf keiner Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat hierauf nicht ausschlaggebend abgestellt.

36

II. Eine Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zumindest aus formalen Gründen nicht möglich. Es fehlt an der auch für eine ordentliche Kündigung erforderlichen vorherigen Zustimmung des Integrationsamts nach § 85 SGB IX. Dieses hat lediglich der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Darin ist weder eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung konkludent enthalten, noch kann seine Entscheidung nach § 43 Abs. 1 SGB X in eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung umgedeutet werden(vgl. zu §§ 18, 19 und 21 SchwbG: BAG 16. Oktober 1991 - 2 AZR 197/91 - zu III 3 der Gründe, RzK I 6b 12).

37

III. Als unterlegene Partei hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Jan Eulen    

        

    Sieg    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.