Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 29. Mai 2015 - 18 Sa 1663/14
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 24.10.2014 – 3 Ca 1013/14 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung. Die Beklagte will die streitbefangene Kündigung darauf stützen, dass der Kläger im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens, das zwischen den Parteien anhängig war, eine unrichtige eidesstattliche Versicherung abgegeben habe.
3Der 1955 geborene Kläger ist seit dem 01.10.1984 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin gemäß den Regelungen des Dienstvertrages vom 27.01.1985 sowie der Ergänzung zum Dienstvertrag vom 21.09.1989 als leitende Pflegekraft bzw. Pflegedienstleiter mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt in Höhe von 5.516,64 € beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft vertraglicher Inbezugnahme die Richtlinien für Arbeitsverträge in Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anwendung.
4Der Kläger übte seine Tätigkeit als Pflegedienstleiter zunächst im W-Hospital aus. Im Jahr 2010 erfolgte eine organisatorische Zusammenführung der Krankenhäuser W, K, B und T. Übergeordneter Pflegedirektor in Personalunion mit der Pflegedienstleitung für die Häuser B und T wurde Herr P. Zum 01.01.2013 fusionierten die vorgenannten vier Krankenhäuser. Damit einhergehend strukturierte die Beklagte die Pflegedienstleitung dergestalt um, dass die Funktion eines Pflegedienstleiters für alle vier Krankenhäuser gemeinsam eingerichtet wurde. Da der Mitarbeiter P zum 30.09.2012 kündigte, war die Stelle des Pflegedienstleiters für alle vier Häuser vakant. Ab dem 01.10.2012 übertrug die Beklagte dem Kläger diese Funktion probeweise für ein Jahr. Für diese Zeit sollte der Kläger eine Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der Entgeltgruppe 11 a und 12 der Anlage 31 zu den AVR erhalten. Die Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 02.08.2012 darüber, dass sie nach einem Dreivierteljahr endgültig entscheiden werde, ob dem Kläger diese Stelle auf Dauer übertragen werde. Mit Schreiben vom 11.09.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die probeweise Übertragung der Funktion des Pflegedienstleiters für die vier Krankenhäuser um ein halbes Jahr bis zum 31.03.2014 verlängert werde. Aus der Funktionsbeschreibung der Pflegedienstleitung im Krankenhaus ergibt sich, dass die Pflegedienstleitung für die Organisation des Personaleinsatzes zuständig ist.
5Im Bereich der Pflege beschäftigt die Beklagte neben eigenen Mitarbeitern auch Servicekräfte eines Unternehmens der E-Gruppe. Diese Servicekräfte werden für einfache Tätigkeiten im Pflegebereich, wie beispielsweise Essenstransport, eingesetzt. Nach dem Vorbringen der Beklagten handelt es sich bei dem Einsatz dieser Servicekräfte um Arbeitnehmerüberlassung auf der Grundlage einer Rahmenvereinbarung, die mit dem Drittunternehmen abgeschlossen und durch quartalsweise getroffene Kontingentvereinbarungen ausgefüllt wurde, wobei der Kläger zu entscheiden hatte, ob der Personalbedarf durch eigene Mitarbeiter (unter Ausschöpfung von Zeitkonten oder Einstellung neuer Arbeitnehmer) oder durch Servicekräfte des Drittunternehmens abgedeckt wurde. Der Kläger erhielt, so hat die Beklagte weiter vorgetragen, die Vorgabe, dass er ein Kontingent in Höhe von insgesamt 400 Pflegekräften (bestehend aus eigenen Mitarbeitern und Servicekräften des Drittunternehmens) nicht zu überschreiten habe.
6In einem am 25.02.2014 geführten Gespräch teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine dauerhafte Übertragung der Aufgaben als Pflegedienstleitung für alle vier Krankenhäuser nicht erfolgen werde. Mit Schreiben vom 31.03.2014 teilte die Beklagte dem Kläger sodann schriftlich mit, dass die befristet übertragene Führungsposition mit Ablauf des 31.03.2014 und damit auch die dem Kläger nach § 18 Abs. 3 Anlage 31 AVR gewährte Zulage entfalle. Zugleich erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger die Kündigung des Dienstverhältnisses aus sonstigen wichtigen Gründen zum Zwecke der Herabgruppierung um eine Entgeltgruppe zum Ablauf des 30.09.2014, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin. Sie bot dem Kläger zugleich die Fortsetzung des Dienstverhältnisses zu geänderten Vertragsbedingungen ab dem 01.10.2014 als Krankenpfleger in der mobilen Pflege der Caritas Pflegestation im Bereich Süd mit der Vergütungsgruppe KR 10 an. Mit Schreiben vom 01.04.2014 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er der Weisung der Beklagten, als Krankenpfleger in der mobilen Pflege tätig zu werden, nur unter Vorbehalt Folge leiste. Zugleich nahm der Kläger das mit der Änderungskündigung unterbreitete Angebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an. Gegen die Änderungskündigung erhob der Verfügungskläger Änderungsschutzklage beim Arbeitsgericht Paderborn (Aktenzeichen: 1 Ca 545/14).
7Zudem forderte der Kläger in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Paderborn (Aktenzeichen: 2 Ga 4/14) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, weiterhin als Pflegedienstleiter beschäftigt zu werden. In diesem Verfahren hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger habe sich auf der ihm übertragenen Stelle als Pflegedienstleitung für sämtliche Einrichtungen nicht bewährt und die Aufgaben eines Gesamtpflegeleiters nicht ordnungsgemäß wahrgenommen. Dabei hat die Beklagte u.a. moniert, der Kläger habe im Jahr 2013 den Einsatz von 423,39 Vollkräften veranlasst und damit die Höchstvorgabe von 400 Kräften deutlich überschritten. Mit Urteil vom 10.04.2014 hat die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Paderborn den Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Das Arbeitsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Soweit der Kläger begehre, als Pflegedienstleiter für alle vier Krankenhäuser vorläufig weiterbeschäftigt zu werden, fehle es an dem erforderlichen Verfügungsgrund; der Kläger habe nicht offensichtlich einen Anspruch auf diese Art der Beschäftigung, da die Übertragung der Pflegedienstleitung für alle vier Krankenhäuser an ihn nur probeweise erfolgt sei und zum 31.03.2014 habe enden sollen. Soweit der Kläger begehre, vorläufig mit der Aufgabe als leitende Pflegekraft im Pflegedienstleistungsteam beschäftigt zu werden, könne der Antrag keinen Erfolg haben, da nicht feststehe, dass es eine derartige Funktion bei der Beklagten überhaupt gebe. Soweit der Kläger schließlich beantragt habe, der Beklagten aufzugeben, es zu unterlassen, ihn als Krankenpfleger in der mobilen Pflege zu beschäftigen, fehle es an einem Verfügungsanspruch; es sei für den Kläger auch im Falle der Rechtswidrigkeit dieser Weisung zumutbar, die Arbeit zunächst aufzunehmen und die Rechtmäßigkeit der Weisung im Hauptsacheverfahren überprüfen zu lassen, zumal auch die Beklagte davon ausgehe, dass der Kläger diese Tätigkeit vor dem 30.09.2014 nicht schulde.
8Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung (Aktenzeichen: 10 SaGa 16/14, LAG Hamm) eingelegt. Mit der Berufung hat der Kläger seinen Beschäftigungsantrag weiter verfolgt. Der Kläger hat das arbeitsgerichtliche Urteil, mit dem sein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen wurde, im Wesentlichen mit dem Argument angegriffen, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts handele es sich bei der Wahrnehmung der Aufgabe als Pflegedienstleitung für die Betriebsstätten in ihrer Gesamtheit nicht um die probeweise Übertragung einer höher zu bewertenden Tätigkeit; vielmehr entspreche diese Tätigkeit dem Inhalt des Arbeitsvertrages. Hilfsweise hat der Kläger Ausführungen zum Vorbringen der Beklagten, er habe sich nicht bewährt, gemacht und in diesem Zusammenhang u. a. darauf hingewiesen, dass die Servicekräfte der Drittfirma nicht in den organisatorischen Arbeitsablauf der Pflege eingegliedert seien, da sie keine pflegerische Leistung gegenüber Patienten erbrächten, es handele sich um „Erfüllungsgehilfen im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags mit einer Fremdfirma“.
9Mit der Berufungsbegründung hat der Kläger eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt. Die letzten beiden Absätze dieser eidesstattlichen Versicherung lauten wie folgt:
10„In der Personalbedarfsrechnung der Verfügungsbeklagten sind Arbeitnehmer der Firma E aufgeführt. Es handelt sich um Servicekräfte als Hilfen im Transportdienst und der Ausgabe des Essens, die nicht in den organisatorischen Arbeitsablauf der Pflege eingegliedert sind, da sie keine pflegerische Leistung gegenüber Patienten erbringen. Es handelt sich um Erfüllungsgehilfen im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags mit einer Fremdfirma. Sie entlasten die Pflegekräfte von außerhalb der Pflege zu erledigenden Routineaufgaben. Da die Mitarbeiter der Fremdfirmen ihre Vergütung von ihrem Arbeitgeber erhalten, handelt es sich nicht um Personalkosten, sondern um Sachkosten. Für den Abschluss der Vereinbarungen und den Inhalt der Rechtsbeziehungen mit Fremdfirmen ist die Verwaltungsleitung zuständig.
11Ich habe weder tatsächlich noch rechtlich einen Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer Fremdfirma. Die Pflegedienstleitung ist zuständig für die Arbeitnehmer in der Pflege (Medizinische Fachangestellte im Stationsdienst, Assistenten in der Pflege, Krankenpflegehelfer, Gesundheits- und Krankenpfleger, Fachkrankenpfleger). Es muss sich um Arbeitnehmer handeln, die eine pflegerische Leistung gegenüber den Patienten erbringen.“
12Mit zwei Schreiben vom 13.06.2014 hörte die Beklagte die gemeinsame Mitarbeitervertretung der Krankenhäuser, der Zentralverwaltung und des MVZ Strahlentherapie und Onkologie sowie vorsorglich die gemeinsame Mitarbeitervertretung der Seniorenhäuser und der Caritaspflegestationen zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an. Die Beklagte teilte mit, die Kündigung erfolge vor dem Hintergrund, dass der Kläger in der eidesstattlichen Versicherung der Wahrheit zuwider behauptete, er habe keinen Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer des Drittunternehmens.
13Mit Schreiben vom 23.06.2014, dem Kläger am 23.06.2014 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos.
14Der Kläger hat sich mit der beim Arbeitsgericht Paderborn am 03.07.2014 eingegangenen Klage gegen die ausgesprochene fristlose Kündigung gewandt, die er für rechtsunwirksam hält. Klageerweiternd hat er einen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend gemacht. Der Kläger hat - zusammengefasst - vorgetragen, dass die von ihm abgegebene eidesstattliche Versicherung vom 03.06.2014 nicht unrichtig sei. Er habe lediglich den Personaleinsatz der ihm fachlich und organisatorisch unterstellten Pflegekräfte, die einen Arbeitsvertrag mit dem Rechtsträger der Einrichtung haben, geplant. Nicht richtig sei, dass er in alleiniger Verantwortung festgelegt habe, ob Servicemitarbeiter der Fremdfirma E in der Pflege im Rahmen der Ausschöpfung von Zeitkonten und Mehrarbeit aus eigenem Pool oder von einer Drittfirma eingesetzt werden. Er habe auch nicht regelmäßig aufgrund eigener koordinativer Planung entschieden, ob eigene Mitarbeiter oder Mitarbeiter der Fremdfirma eingesetzt würden. Im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens habe er mit seiner eidesstattlichen Versicherung erklärt, dass für den Abschluss der Vereinbarung und den Inhalt der Rechtsbeziehungen mit der Fremdfirma die Verwaltungsleitung zuständig sei. Nach dem objektiven Empfängerhorizont habe sich der Inhalt seiner Äußerung auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer nach den Regelungen der Vereinbarungen bezogen. Selbst wenn die eidesstattliche Versicherung ambivalent sein sollte und missverständlich interpretiert werden könnte, habe er lediglich fahrlässig gehandelt. Keinesfalls habe er vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben.
15Der Kläger hat beantragt,
16- 17
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 23.06.2014 – zugegangen am 23.06.2014 – nicht aufgelöst worden ist;
- 19
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsschutzverfahrens entsprechend den Bedingungen aus der Änderungskündigung vom 31. März 2014 weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Sie hat die Auffassung vertreten, dass der Kläger vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben habe; dies stelle einen fristlosen Kündigungsgrund dar. Die Beklagte hat - zusammengefasst - vorgetragen, der Kläger als Pflegedienstleitung habe den Personalbedarf geplant. Ihm habe dabei ein Mitarbeiterkontingent von 400 Vollzeitpflege- und Pflegehilfskräften aus einem eigenen Mitarbeiterbestand und Mitarbeitern der Unternehmensgruppe E zur Verfügung gestanden. Mit seiner eidesstattlichen Versicherung habe der Kläger glaubhaft machen wollen, dass er keineswegs im Rahmen einer Erprobung gescheitert sei und tatsächlich hinsichtlich des Einsatzes der Servicekräfte der Fremdfirma keinen Einfluss genommen habe, was falsch sei. Tatsächlich sei der Kläger aber für den koordinativen Einsatz und die Anzahl der beschäftigten Pflegekräfte und somit für die Ermittlung des Bedarfs verantwortlich gewesen. Der Kläger als Pflegedienstleitung habe die Einsätze und damit die Anzahl der Assistenten in der Pflege geplant. Wenn er sich für die Einstellung eines Assistenten in der Pflege entschieden habe, so sei der Beschäftigungsbedarf für eine Servicekraft der Leiharbeitsfirma entfallen und umgekehrt. Insoweit habe der Kläger Einfluss auf die Anzahl der Mitarbeiter der Fremdfirma gehabt. Die Ausschöpfung des Kontingents von Servicekräften sei davon abhängig gewesen, welchen Bedarf der Kläger als Pflegedienstleitung gemeldet habe. Hinsichtlich des Pflegebereiches sei das so geschehen, dass der Kläger dem Mitarbeiter L den Bedarf übermittelt habe und dieser - wenn der Kläger nicht selbst Kontakt mit der Fremdfirma aufgenommen habe - den Bedarf an Leiharbeitskräften der Fremdfirma gemeldet habe, die sodann einen geänderten Kontingentvertrag vorgelegt habe. Mit seiner Erklärung habe der Kläger jegliche Einflussnahme in Abrede gestellt. Von einer bloß fahrlässigen Unrichtigkeit könne nicht ausgegangen werden, zumal ein Hinweis auf die Strafbarkeit in der Erklärung enthalten gewesen sei. Aufgrund seiner Vertrauensstellung und des erheblichen Missbrauchs dieser Vertrauensstellung sei die Interessenabwägung zu Lasten des Klägers zu treffen.
23Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die eidesstattliche Versicherung enthalte schon keine objektiv unzutreffenden Tatsachenangaben. Die Angaben des Klägers seien so zu verstehen, dass er weder tatsächlich noch rechtlich einen Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer Fremdfirma bezogen auf den Abschluss der Vereinbarungen habe. Selbst wenn aber eine falsche eidesstattliche Versicherung objektiv vorgelegen habe, sei dem Kläger vorsätzliches Handeln nicht vorzuwerfen. Aufgrund der Umstände des Einzelfalles, insbesondere der 30-jährigen Beschäftigung des Klägers und der nicht unerheblichen Herabstufung des Klägers im Rahmen der Änderungskündigung, hätte die Beklagte eine Abmahnung aussprechen müssen. – Im Übrigen wird, auch zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes, auf das arbeitsgerichtliche Urteil Bezug genommen.
24Das Urteil des ersten Rechtszuges ist der Beklagten am 11.11.2014 zugestellt worden. Sie hat mit einem Schriftsatz, der am 25.11.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt und die Berufung mit einem am 09.02.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 09.02.2015 verlängert worden war.
25Die Beklagte hält das arbeitsgerichtliche Urteil für unrichtig. Der Kläger habe in der eidesstattlichen Versicherung positiv erklärt, weder rechtlich noch tatsächlich Einfluss auf die Anzahl der eingesetzten Arbeitnehmer zu haben. Diese Erklärung sei falsch. Die Beklagte behauptet, im Rahmen der Kontingentvereinbarungen mit dem Drittunternehmen sei festgestellter Personalbedarf abgerufen worden. Die Schichtkapazität habe der Kläger bestimmt. Er habe im Dezember 2012 sogar eigenständig Personal des Drittunternehmens angefordert. Gewöhnlicherweise habe er den Verwaltungsleiter, Herrn L, aufgefordert, die Bestellung des Personals zu veranlassen. Alleinentscheidender sei der Kläger gewesen. Herr L habe sich mit dem Personalbestand der Pflege nicht befasst. Dem Kläger sei auch bewusst gewesen, dass er die Personalverantwortung für die Anzahl der Pflegekräfte trage. Ihm seien die Mitarbeiterbestände regelmäßig in Gesprächen erläutert worden; bei diesen Gesprächen habe der Kläger Mitarbeiterlisten über die Anzahl der beschäftigten Servicekräfte des Drittunternehmens und die hierdurch entstehenden Kosten erhalten.
26Die Beklagte beantragt,
27das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 24.10.2014 – 3 Ca 1013/14 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
28Der Kläger beantragt,
29die Berufung zurückzuweisen.
30Der Kläger äußert Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung. Die Berufungsbegründung nehme nicht Bezug auf die Feststellungen und Rechtsausführungen des Arbeitsgerichts hinsichtlich der Notwendigkeit einer vorherigen Abmahnung. Nach Auffassung des Klägers liegt eine falsche eidesstattliche Versicherung nicht vor. Er habe lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass für den Abschluss der Vereinbarungen und den Inhalt der Rechtsbeziehungen mit der Fremdfirma die Verwaltungsleitung und nicht die Pflegedienstleitung zuständig sei. Der Kläger behauptet, er habe nicht allein bestimmt, zu welchen Schichten eigene oder Fremdmitarbeiter eingesetzt wurden. Das Kontingent an Drittkräften sei im Rahmen des Dienstleistungsvertrages festgelegt worden; für die konkrete Auswahl der Servicekräfte des Drittunternehmens sei deren Vorarbeiterin zuständig gewesen. Die Disposition über den konkreten Einsatz der Mitarbeiter des Drittunternehmens habe in der Kompetenz des Verwaltungsleiters gelegen.
31Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
32Entscheidungsgründe
33I.
34Die Berufung der Beklagten ist zulässig.
351. Die Beklagte hat die Berufung form- und fristgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
362. Entgegen der Auffassung des Klägers genügt die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO. Die Beklagte setzt sich in der Berufungsbegründung mit den tragenden Ausführungen des Arbeitsgerichts auseinander.
37Sie greift die Ausführungen des Arbeitsgerichts an, soweit das Arbeitsgericht darauf abgestellt hat, eine objektiv falsche eidesstattliche Versicherung liege nicht vor. Dieser Punkt war aus Sicht des Arbeitsgerichts auch maßgeblich im Rahmen der Erwägungen zur Erforderlichkeit einer Abmahnung (vgl. I. 1 b cc der erstinstanzlichen Urteilsgründe).
38Mit dem Angriff auf die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag setzt sich die Beklagte zugleich auch hinreichend mit der Entscheidung über den Weiterbeschäftigungsantrag auseinander. Denn die Weiterbeschäftigung setzt eine stattgebende Entscheidung über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses voraus.
393. Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, die Beklagte habe beantragt, das erstinstanzliche Urteil „aufzuheben“ (und nicht: „abzuändern“), daher liege kein Berufungs- sondern lediglich ein Revisionsantrag vor, ist dem entgegenzuhalten, dass der Antrag offensichtlich als Berufungsantrag gemeint ist. Die Beklagte hat mit dem Schriftsatz vom 25.11.2014 Berufung gegen das Urteil eingelegt hat und im Begründungsschriftsatz vom 09.02.2015 (dort Seite 2, Bl. 229 d. A.) ausgeführt, die „Berufung“ wende sich gegen die Auslegung der eidesstattlichen Versicherung des Klägers durch das Arbeitsgericht.
40II.
41Die Berufung der Beklagten hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
421. Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23.06.2014 nicht aufgelöst wurde.
43a) Die Kündigung gilt nicht bereits nach § 7 i. V. m. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG als von Anfang an rechtswirksam, da der Kläger die Kündigung rechtzeitig innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist gemäß § 4 Satz 1 KSchG angegriffen hat.
44b) Die Kündigung ist als fristlose Kündigung rechtsunwirksam, da es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB fehlt.
45aa) Das Arbeitsgericht ist richtig davon ausgegangen, dass die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung durch den Arbeitnehmer auch eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertige vermag (BAG, Urteil vom 31.07.2014 - 2 AZR 434/13 m. w. N.). Denn ein solches Verhalten stellt - unabhängig von seiner Strafbarkeit - eine erhebliche Verletzung der Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie in zumutbarem Umfang zu wahren. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer in einem Gerichtsverfahren mit dem Arbeitgeber leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellt, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt (BAG, Urteil vom 31.07.2014 - 2 AZR 434/13 m. w. N.).
46bb) Im Streitfall hat der Kläger keine vorsätzlich falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben.
47(1) Falsch ist eine Behauptung, wenn sie im Hinblick auf ihren Gegenstand der Wahrheit nicht entspricht, also die Wirklichkeit unzutreffend wiedergibt. Das ist der Fall, wenn der Inhalt der Aussage mit der objektiven Sachlage nicht übereinstimmt (BAG, Urteil vom 31.07.2014 - 2 AZR 434/13). Vorsatz besteht im Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Bedingter Vorsatz reicht aus. Der an Eides Statt Erklärende muss die Unrichtigkeit seiner Behauptungen erkennen und deren Unwahrheit in seinem Erklärungswillen aufnehmen; er muss die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen (BAG, Urteil vom 31.07.2014 - 2 AZR 434/13, Urteil vom 11.07.2013 - 2 AZR 994/12).
48(2) Die Beklagte meint, der Kläger habe in der eidesstattlichen Versicherung vom 03.06.2014 unrichtigerweise behauptet, keinen Einfluss auf die Zahl der Servicekräfte des Drittunternehmens der E-Gruppe genommen zu haben, die im Pflegebereich der Beklagten eingesetzt werden. Das Berufungsgericht nimmt zugunsten der Beklagten an, dass eine solche Erklärung falsch gewesen wäre, da der Kläger den Bedarf an Servicekräften des Drittunternehmens selbst ermittelt und dann an den Verwaltungsleiter zwecks Anforderung der benötigten Kräfte weitergegeben hat. Dieser Erklärungsgehalt lässt sich der eidesstattlichen Versicherung des Klägers jedoch nicht beimessen.
49Der Kläger hat in der von der Beklagten beanstandeten Formulierung der eidesstattlichen Versicherung erklärt: „Ich habe weder tatsächlich noch rechtlich einen Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer Fremdfirma“. Durch die Verwendung des unbestimmten Artikels „einer“ wird deutlich, dass diese Aussage nicht konkret auf die Servicekräfte der Unternehmensgruppe E bezogen, sondern allgemein gemeint ist. Sie ist im Zusammenhang zu sehen mit den vorhergehenden Ausführungen des Klägers zu den Servicekräften: „Es handelte sich um Erfüllungsgehilfen im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags mit einer Fremdfirma“. Der Kläger will insoweit erkennbar die Rechtsansicht vertreten, die Servicekräfte seien keine Leiharbeitnehmer, sondern Mitarbeiter eines selbständig tätigen Dienstleistungsunternehmens. Auf derartige Arbeitskräfte, die der Beklagten nicht als Leiharbeitnehmer überlassen werden, hätte der Kläger in der Tat keinen Einfluss, insbesondere nicht auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer „Fremdfirma“. Die Rechtsauffassung, bei den Servicekräften handele es sich nicht um Leiharbeitnehmer, hat der Kläger konsequenterweise auch im vorliegenden Verfahren vertreten, indem er bereits erstinstanzlich (Schriftsatz vom 17.10.2014, dort S. 3, Bl. 165 d. A.) ausführen ließ, die Servicekräfte seien „nicht in den organisatorischen Ablauf der Einrichtung integriert, da es Erfüllungsgehilfen einer Fremdfirma im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrags gewesen sind“.
50Zu berücksichtigen ist auch der Stellenwert, den die hier in Rede stehende Äußerung in der eidesstattlichen Versicherung aus Sicht des Erklärenden für den Ausgang des einstweiligen Verfügungsverfahrens hatte (vgl. BAG, Urteil vom 31.07.2014 - 2 AZR 434/13). Es liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, der Kläger habe gemeint, die Äußerung zum fehlenden Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer Fremdfirma sei erforderlich gewesen, um das angestrebte Verfahrensziel der Weiterbeschäftigung zu erreichen. Der Kläger hat das Weiterbeschäftigungsbegehren in der Berufungsbegründung im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens hauptsächlich auf andere Argumente gestützt. Er hat vorrangig vorgetragen, es liege keine probeweise Übertragung einer höher zu bewertenden Tätigkeit vor, vielmehr entspreche die Tätigkeit als Pflegedienstleitung für die Betriebsstätten in der Gesamtheit dem Inhalt seines Arbeitsvertrags. Im Übrigen hat er die Weisung, als Krankenpfleger in der mobilen Pflegestation tätig zu werden, mit dem Argument angegriffen, dass die Zuweisung einer solchen Tätigkeit eine Änderungskündigung erfordere und die Tätigkeit bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist zugewiesen worden sei. Nur hilfsweise hat der Kläger die beanstandete Äußerung im Rahmen seines Vorbringens zur fehlenden Bewährung gemacht. Dass der Kläger annahm, durch die Erklärung im Rahmen des Hilfsvorbringens (das sich überwiegend auch mit anderen Gesichtspunkten auseinandersetzt und insbesondere die vom Kläger vorgenommenen organisatorischen Maßnahmen der Personaleinsatzplanung aufführt) werfe auf die Rechtssache ein ganz falsches Licht, ist nicht ernsthaft anzunehmen.
51cc) Der Vorwurf, der Kläger habe die eidesstattliche Erklärung im Hinblick auf die in Rede stehende Passage nicht vorsichtig genug formuliert und habe insoweit leichtfertig zumindest missverständliche Angaben gemacht, vermag eine fristlose Kündigung nicht zu rechtfertigen.
52Insoweit erweist sich die Kündigung als unverhältnismäßig. Als Mittel zur Herbeiführung künftiger Vertragstreue hätte eine Abmahnung ausgereicht.
53Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits von vornherein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 31.07.2014 - 2 AZR 434/13, Urteil vom 11.07.2013 - 2 AZR 994/12, Urteil vom 25.10.2012 - 2 AZR 495/11).
54Im Streitfall wiegt das Verhalten des Klägers nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Zwar mag der Kläger einer Fehlvorstellung Vorschub geleistet haben, soweit er ausführt, keinen Einfluss auf den Einsatz von Arbeitnehmern einer Fremdfirma gehabt zu haben. Es ist nicht ganz fernliegend, dass bei flüchtigem Lesen der Eindruck entstehen könnte, der Kläger wolle damit seine Verantwortung für die Zahl der konkret eingesetzten Servicekräfte des Drittunternehmens in Abrede stellen. Dem Kläger kann aber mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, er habe durch eine verzerrende Darstellung in diesem Punkt, dem nach der Argumentation des Klägers im einstweiligen Verfügungsverfahren nur nebensächliche Bedeutung zukommt, letztlich den Ausgang des Verfahrens entscheidend zu seinen Gunsten beeinflussen wollen. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass der Kläger emotional stark belastet war, weil ihm die Beklagte die Tätigkeit eines Krankenpflegers zuwies, die im Vergleich zu seinen vorherigen Tätigkeiten im Rahmen der Pflegedienstleistung deutlich geringwertiger ist. Zieht man ferner in Betracht, dass das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigung nahezu 30 Jahre (jedenfalls formal) unbeanstandet durchgeführt wurde, so bestand für die Beklagte kein Anlass zu der Annahme, eine Abmahnung sei nicht ausreichend, um künftiges gleichartiges Fehlverhalten zu unterbinden.
55c) Die Kündigung vom 23.06.2014 ist auch nicht als ordentliche Kündigung wirksam.
56Die fristlose Kündigung kann nicht gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden. Auch eine ordentliche Kündigung wäre rechtsunwirksam. Denn der Kläger war gemäß § 14 Abs. 5 AVR Caritas bei Zugang der Kündigung ordentlich nicht mehr kündbar; er hatte nämlich eine Dienstzeit von mehr als 15 Jahren zurückgelegt und das 40. Lebensjahr bereits vollendet. Außerdem hörte die Beklagte die Mitarbeitervertretung nur zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, nicht jedoch zu einer ordentlichen Kündigung des Klägers an.
572. Da die Kündigung unwirksam ist, hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung unter Berücksichtigung der Änderungen aus der Änderungskündigung vom 31.03.2014.
58Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend entschieden. Auf die entsprechenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil, die die Beklagte im Berufungsrechtszug nicht angegriffen hat, wird Bezug genommen.
59Zwar hat der Kläger seinen Beschäftigungsanspruch auf den Zeitpunkt bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsschutzverfahrens begrenzt. Die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung ist gleichwohl im zweiten Rechtszug aufrechtzuerhalten; § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO steht dem nicht entgegen. Zwar hat das Berufungsgericht die Revision im Urteil nicht zugelassen. Indessen ist (im Sinne des klägerseitigen Antrags) nicht von einem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens auszugehen, solange zumindest nicht die Fristen für eine Nichtzulassungsbeschwerde abgelaufen sind oder diese zurückgewiesen wurde.
60III.
61Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten der erfolglos eingelegten Berufung zu tragen.
62Es bestand keine Veranlassung, die Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere wirft der Rechtsstreit keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 29. Mai 2015 - 18 Sa 1663/14
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 29. Mai 2015 - 18 Sa 1663/14
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenLandesarbeitsgericht Hamm Urteil, 29. Mai 2015 - 18 Sa 1663/14 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
Tenor
- 1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung vom 23. Juni 2014 beendet wurde.
- 2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsschutzverfahrens entsprechend den Bedingungen aus der Änderungskündigung vom 31. März 2014 weiter zu beschäftigen.
- 3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- 4. Der Streitwert wird auf 22.066,56 € festgesetzt.
1
T a t b e s t a n d:
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.
3Der 1955 geborene Kläger ist seit dem 01.10.1984 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als leitende Pflegekraft/Pflegedienstleiter gemäß den Regelungen des Dienstvertrages vom 27.01.1985 (vgl. Bl. 4 ff. d. A.) sowie der Ergänzung zum Dienstvertrag vom 21.09.1989 (vgl. Bl. 8 f. d. A.) mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt in Höhe von 5.516,64 € beschäftigt.
4Der Kläger übte seine Tätigkeit als Pflegedienstleiter zunächst im St. W-Hospital in C aus. Im Jahr 2010 erfolgte eine organisatorische Zusammenführung der Krankenhäuser St. W in C, St. K in E, St. B in I und St. S in T. Übergeordneter Pflegedirektor in Personalunion mit der Pflegedienstleitung für die Häuser St. B und St. S wurde Herr P. Zum 01.01.2013 fusionierten die vorgenannten vier Krankenhäuser. Damit einhergehend strukturierte die Beklagte die Pflegedienstleitung dergestalt um, dass die Funktion eines Pflegedienstleiters für alle vier Krankenhäuser gemeinsam eingerichtet wurde. Da der Mitarbeiter P zum 30.09.2012 kündigte, war die Stelle des Pflegedienstleiters für alle vier Häuser vakant. Ab dem 01.10.2012 wurde dem Kläger diese Funktion gemäß § 18 der Anlage 31 zu den AVR probeweise für ein Jahr übertragen. Für diese Zeit sollte der Kläger eine Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der Entgeltgruppe 11 a und 12 der Anlage 31 zu den AVR erhalten. Die Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 02.08.2012 darüber, dass sie nach einem Dreivierteljahr endgültig entscheiden werde, ob dem Kläger diese Stelle auf Dauer übertragen werde. Mit Schreiben vom 11.09.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die probeweise Übertragung der Funktion des Pflegedienstleiters für die vier Krankenhäuser um ein halbes Jahr bis zum 31.03.2014 verlängert werde. Die vom Kläger in dieser Funktion auszuübenden Tätigkeiten und Aufgaben ergeben sich aus der Funktionsbeschreibung der Pflegedienstleitung im Krankenhaus (vgl. Bl. 41 f. bzw. Bl. 43 d. A.). In einem am 25.02.2014 geführten Gespräch teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine dauerhafte Übertragung der Aufgaben als Pflegedienstleitung für alle vier Krankenhäuser nicht erfolgen werde. Mit Schreiben vom 31.03.2014 teilte die Beklagte dem Kläger sodann schriftlich mit, dass die befristet übertragene Führungsposition mit Ablauf des 31.03.2014 entfalle und damit auch die dem Kläger nach § 18 Abs. 3 Anlage 31 AVR gewährte Zulage. Zugleich erklärte die Beklagte gegenüber dem ordentlich unkündbaren Kläger die Kündigung des Dienstverhältnisses aus sonstigen wichtigen Gründen zum Zwecke der Herabgruppierung um eine Entgeltgruppe zum Ablauf des 30.09.2014, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin und bot dem Kläger zugleich die Fortsetzung des Dienstverhältnisses zu geänderten Vertragsbedingungen ab dem 01.10.2014 als Krankenpfleger in der mobilen Pflege der Caritas Pflegestation im Bereich Süd mit der Vergütungsgruppe KR 10 an (vgl. Bl. 99 ff. d. A.). Mit Schreiben vom 01.04.2014 (vgl. Bl. 102 d. A.) teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er der Weisung der Beklagten, als Krankenpfleger in der mobilen Pflege tätig zu werden, nur unter Vorbehalt Folge leiste. Zugleich nahm der Kläger das mit der Änderungskündigung unterbreitete Angebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an. Gegen die Änderungskündigung erhob der Verfügungskläger Änderungsschutzklage beim Arbeitsgericht Paderborn (Aktenzeichen: 1 Ca 545/14). Zudem machte der Kläger in einem einstweiligen Verfügungsverfahren (Aktenzeichen: 2 Ga 4/14) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend, weiterhin als Pflegedienstleiter für alle vier Häuser beschäftigt zu werden. Mit Urteil vom 10.04.2014 wies die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Paderborn den Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Mit der Berufung verfolgte der Kläger seinen Antrag weiter (Aktenzeichen: 10 Sa Ga 16/14, LAG Hamm). Im Rahmen der Berufungsbegründung legte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung vor (vgl. Bl. 86 ff. d. A.). Die letzten beiden Absätze dieser eidesstattlichen Versicherung lauten wie folgt:
5„In der Personalbedarfsrechnung der Verfügungsbeklagten sind Arbeitnehmer der Firma E1 aufgeführt. Es handelt sich um Servicekräfte als Hilfen im Transportdienst und der Ausgabe des Essens, die nicht in den organisatorischen Arbeitsablauf der Pflege eingegliedert sind, da sie keine pflegerische Leistung gegenüber Patienten erbringen. Es handelt sich um Erfüllungsgehilfen im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags mit einer Fremdfirma. Sie entlasten die Pflegekräfte von außerhalb der Pflege zu erledigenden Routineaufgaben. Da die Mitarbeiter der Fremdfirmen ihre Vergütung von ihrem Arbeitgeber erhalten, handelt es sich nicht um Personalkosten, sondern um Sachkosten. Für den Abschluss der Vereinbarungen und den Inhalt der Rechtsbeziehungen mit Fremdfirmen ist die Verwaltungsleitung zuständig.
6Ich habe weder tatsächlich noch rechtlich einen Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer Fremdfirma. Die Pflegedienstleitung ist zuständig für die Arbeitnehmer in der Pflege (Medizinische Fachangestellte im Stationsdienst, Assistenten in der Pflege, Krankenpflegehelfer, Gesundheits- und Krankenpfleger, Fachkrankenpfleger). Es muss sich um Arbeitnehmer handeln, die eine pflegerische Leistung gegenüber den Patienten erbringen.“
7Mit zwei Schreiben vom 13.06.2014 hörte die Beklagte die gemeinsame Mitarbeitervertretung der Krankenhäuser, der Zentralverwaltung und des MVZ Strahlentherapie und Onkologie (vgl. Bl. 48 ff. d. A.) sowie vorsorglich die gemeinsame Mitarbeitervertretung der Seniorenhäuser und der Caritaspflegestationen (vgl. Bl. 44 ff. d. A.) an.
8Mit Schreiben vom 23.06.2014, dem Kläger am 23.06.2014 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos (vgl. Bl. 13 d. A.).
9Mit der beim Arbeitsgericht Paderborn am 03.07.2014 eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die ausgesprochene fristlose Kündigung, die er für rechtsunwirksam hält. Mit Klageerweiterung vom 26.08.2014 macht er zudem einen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend. Er trägt vor, dass die von ihm abgegebene eidesstattliche Versicherung vom 03.06.2014 nicht unrichtig sei. Er habe lediglich den Personaleinsatz der ihm fachlich und organisatorisch unterstellten Pflegekräfte, die einen Arbeitsvertrag mit dem Rechtsträger der Einrichtung haben, geplant. Nicht richtig sei, dass er in alleiniger Verantwortung festgelegt habe, ob Servicemitarbeiter der Fremdfirma E1 in der Pflege im Rahmen der Ausschöpfung von Zeitkonten und Mehrarbeit aus eigenem Pool oder von einer Drittfirma eingesetzt werden. Er habe auch nicht regelmäßig aufgrund eigener koordinativer Planung entschieden, ob eigene Mitarbeiter oder Mitarbeiter der Fremdfirma eingesetzt würden. Im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens habe er mit seiner eidesstattlichen Versicherung erklärt, dass für den Abschluss der Vereinbarung und den Inhalt der Rechtsbeziehungen mit der Fremdfirma die Verwaltungsleitung zuständig sei. Nach dem objektiven Empfängerhorizont habe sich der Inhalt seiner Äußerung auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer nach den Regelungen der Vereinbarungen bezogen. Er habe lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die Entscheidung über die Festlegung der Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer Fremdfirma im Rahmen der Gestaltung der Rechtsbeziehungen bei der Verwaltungsleitung gelegen habe. Der untrennbare sachliche Zusammenhang der Sätze ergäbe sich aus der Verwendung „tatsächlich noch rechtlich“, die den Hinweis auf den Abschluss und den Inhalt der Rechtsbeziehungen mit der Fremdfirma verdeutlichten. Dass er als Pflegedienstleiter nicht für den Abschluss und den Inhalt der Gestaltung der Rechtsbeziehungen mit der Fremdfirma sachlich und instanziell zuständig gewesen sei, entspreche der Typizität der Organisation in einem Krankenhaus. Die Mitarbeiter der Fremdfirma seien als Erfüllungsgehilfen im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages durch die Fremdfirma in eigener Verantwortung der Fremdfirma eingesetzt worden. Allein daraus ergebe sich, dass die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer durch den Inhalt der Vereinbarung des Rechtsträgers der Einrichtung mit der Fremdfirma bestimmt worden sei. Er als Pflegedienstleiter sei bei Abschluss und Festlegung des Inhalts der Vereinbarung mit der Fremdfirma nicht beteiligt gewesen. Die durch die Fremdfirma eingesetzten Personen seien organisatorisch der Objektleitung der Fremdfirma unterstellt. Einstellung, Diensteinteilung, Dienstplangestaltung, Urlaubsplanung erfolge durch die Objektleitung der Fremdfirma. Er habe als Pflegedienstleiter lediglich die Entscheidung zu treffen gehabt, ob und wie die ihm fachlich und organisatorisch unterstellten Pflegekräfte auf der Station bei Abwesenheit der Servicekräfte (z. B. bei Arbeitsunfähigkeit oder Urlaub) und fehlender Kompensation durch die Fremdfirma in Form einer Ersatzkraft deren Aufgaben übernehmen. Selbst wenn die eidesstattliche Versicherung ambivalent sein sollte und missverständlich interpretiert werden könnte, habe er lediglich fahrlässig gehandelt. Keinesfalls habe er vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben. Ein fristloser Kündigungsgrund läge jedenfalls nicht vor. Insbesondere fehle es an einer negativen Prognose. Auch sei die Interessenabwägung zugunsten des Klägers zu treffen und eine vorherige Abmahnung sei erforderlich gewesen. Schließlich sei die Anhörung der Mitarbeitervertretung nicht ordnungsgemäß erfolgt. Insbesondere sei der Mitarbeitervertretung der Inhalt der eidesstattlichen Versicherung nicht vollständig mitgeteilt worden. Auf die Nachfragen der Mitarbeitervertretung vom 20.06.2014 habe die Beklagte nicht vor Ausspruch der Kündigung reagiert. Ohne ergänzende Unterrichtung der Mitarbeitervertretung sei die am 23.06.2014 erklärte Kündigung unwirksam.
10Der Kläger beantragt,
11- 1.12
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 23.06.2014 – zugegangen am 23.06.2014 – nicht aufgelöst worden ist;
- 2.14
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsschutzverfahrens entsprechend den Bedingungen aus der Änderungskündigung vom 31. März 2014 weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie ist der Auffassung, dass der Beklagte vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben habe, was einen fristlosen Kündigungsgrund darstelle. Der Kläger als Pflegedienstleitung habe den Personalbedarf geplant. Ihm hätte dabei ein Mitarbeiterkontingent von 400 Vollzeitpflege- und Pflegehilfskräften aus einem eigenen Mitarbeiterbestand und Mitarbeitern der Unternehmensgruppe E1 zur Verfügung gestanden. Aus seiner Personaleinsatzplanung habe sich die Notwendigkeit ergeben, Mitarbeiter einer Fremdfirma einzusetzen. Der Kläger habe in alleiniger Verantwortung festgelegt, ob Servicemitarbeiter in der Pflege im Rahmen der Ausschöpfung von Zeitkonten und Mehrarbeit aus eigenem Pool oder von einer Drittfirma eingesetzt würden. Regelmäßig habe er ohne Vorgabe aufgrund eigener koordinativer Planung entschieden, ob eigene Mitarbeiter oder Mitarbeiter der Fremdfirma eingesetzt würden. Rechtlich ergäbe sich sein Einfluss aus der Funktionsbeschreibung der Pflegedienstleitung (vgl. Bl. 41 ff., 43 d. A.). Mit seiner eidesstattlichen Versicherung habe der Kläger glaubhaft machen wollen, dass er keineswegs im Rahmen einer Erprobung gescheitert sei und tatsächlich hinsichtlich des Einsatzes der Servicekräfte der Fremdfirma keinen Einfluss genommen habe, was falsch sei. Mit seiner Erklärung habe der Kläger insbesondere nicht lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die Entscheidung über die Festlegung der Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer Fremdfirma im Rahmen der Gestaltung der Rechtsbeziehungen bei der Verwaltung gelegen habe. Kern der Erklärung des Klägers sei, dass dieser nicht nur keine Verträge mit der Leiharbeitsfirma verhandelt habe, sondern auch keinen Einfluss auf die Zahl der von der Fremdfirma eingesetzten Arbeitnehmer gehabt habe. Tatsächlich sei der Kläger aber für den koordinativen Einsatz und die Anzahl der beschäftigten Pflegekräfte und somit für die Ermittlung des Bedarfs aber verantwortlich gewesen. Der Kläger als Pflegedienstleitung habe die Einsätze und damit die Anzahl der Assistenten in der Pflege geplant. Wenn er sich für die Einstellung eines Assistenten in der Pflege entschieden habe, so sei der Beschäftigungsbedarf für eine Servicekraft der Leiharbeitsfirma entfallen und umgekehrt. Insoweit habe der Kläger Einfluss auf die Anzahl der Mitarbeiter der Fremdfirma gehabt. Die Arbeitnehmerüberlassung erfolge bei der Beklagten auf Grundlage einer Rahmenvereinbarung. Diese Rahmenvereinbarung sei ausgefüllt durch Kontingentvereinbarungen, die quartalsweise abgeschlossen würden. Die Ausschöpfung des Kontingents hänge davon ab, welcher Bedarf vom Kläger als Pflegedienstleitung gemeldet worden sei. Hinsichtlich des Pflegebereiches sei das so geschehen, dass der Kläger dem Mitarbeiter L den Bedarf übermittelt habe und dieser – wenn der Kläger nicht selbst Kontakt mit der Fremdfirma aufgenommen habe – den Bedarf an Leiharbeitskräften der Fremdfirma gemeldet habe, die sodann einen geänderten Kontingentvertrag vorgelegt habe. Die Entscheidung, ob Servicemitarbeiter in der Pflege im Rahmen der Ausschöpfung von Zeitkonten und Mehrarbeit aus dem Mitarbeiterpool der Beklagten oder Leiharbeitnehmer eingesetzt werden, habe mithin dem Kläger oblegen. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger in seiner Funktion als Pflegedienstleitung mit der Planung des Personalbedarfs befasst gewesen sei und dabei entschieden habe, welche eigenen Arbeitnehmer zum Einsatz kommen sollten und – als notwendige Folge – welche Tätigkeiten mit Leiharbeitnehmern zu erledigen wären. Unrichtig sei, dass die Servicekräfte durch die Objektleitung der Firma E1 organisiert seien und lediglich im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages als Erfüllungsgehilfen eingesetzt würden. Die Servicekräfte der Fremdfirma seien der Pflegedienstleitung unterstellt gewesen, was sich insbesondere auch aus der Funktionsbeschreibung (vgl. Bl. 41 ff. d. A.) ergebe. Gemäß dieser Funktionsbeschreibung habe der Pflegedienstleiter sowohl den Pflege- als auch den Funktionsdienst der Krankenhäuser fachlich zu leiten und den Personaleinsatz zu organisieren. Die Erklärung des Klägers sei objektiv unrichtig gewesen und nicht lediglich ambivalent. Mit seiner Erklärung habe der Kläger jegliche Einflussnahme in Abrede gestellt. Von einer bloß fahrlässigen Unrichtigkeit könne nicht ausgegangen werden, zumal ein Hinweis auf die Strafbarkeit in der Erklärung enthalten gewesen sei. Aufgrund seiner Vertrauensstellung und des erheblichen Missbrauchs dieser Vertrauensstellung sei die Interessenabwägung zu Lasten des Klägers zu treffen. Das Vertrauen hätte nicht durch Ausspruch einer Abmahnung wieder hergestellt werden können. Die Zweiwochenfrist sei eingehalten worden. Der Beklagten sei am 10.06.2014 eine Abschrift der Berufungsbegründung im Verfahren 10 Sa Ga 16/14 zugegangen, der die eidesstattliche Versicherung des Klägers beigelegen habe. Die Kündigung sei innerhalb der Zweiwochenfrist am 23.06.2014 ausgesprochen worden. Zuvor sei die Mitarbeitervertretung ordnungsgemäß mit Schreiben vom 13.06.2014 angehört worden. Dem Anhörungsschreiben sei die komplette eidesstattliche Versicherung des Klägers beigefügt gewesen. Dass die Mitarbeitervertretung am 20.06.2014 noch Fragen zur beabsichtigten Kündigung gestellt habe, führe nicht zur Fehlerhaftigkeit der ordnungsgemäß erfolgten Anhörung. Die von der Mitarbeitervertretung erfragten ergänzenden Informationen seien für die Beurteilung der Kündigung nicht erforderlich gewesen. Die Beklagte sei daher nicht gehalten gewesen, die Informationen in ihrem Anhörungsschreiben gegenüber der Mitarbeitervertretung zu ergänzen.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
20Die zulässige Klage ist begründet.
21I.
22Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 23.06.2014 zum 23.06.2014 beendet worden, da diese Kündigung rechtsunwirksam ist.
231.
24Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.06.2014 ist unwirksam, da der Beklagten ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Seite stand.
25a)
26Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann. Hiernach ist bei allen Kündigungsgründen eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und eine Abwägung der jeweiligen Interessen beider Vertragsteile erforderlich. Dieses Erfordernis schließt es aus, bestimmte Tatsachen ohne Rücksicht auf die Besonderheit des Einzelfalles stets als wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung anzuerkennen; es gibt im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB keine absoluten Kündigungsgründe (vgl. BAG, Urteil vom 15.11.1984, 2 AZR 613/83, zitiert nach juris). Bei der Überprüfung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (vgl. Erfurter Kommentar, 12. Auflage, § 626 BGB, Rdnr. 15, 40ff., m. w. N.).
27In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist anerkannt, dass grobe Vertrauensverstöße eines Arbeitnehmers, insbesondere im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen, grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen können (vgl. BAG, Beschluss vom 10.02.1999, 2 ABR 31/98; LAG Berlin, Urteil vom 05.03.2007, 10 Sa 2109/06; LAG München, Urteil vom 21.11.2012, 8 Sa 627/12, zitiert nach juris). Insbesondere kann die vorsätzliche Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Mithin ist die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, die eine unwahre Sachverhaltsdarstellung enthält, im Prozess gegen die Arbeitgeber grundsätzlich geeignet, einen (verhaltensbedingten) Kündigungsgrund darzustellen (vgl. BAG, Urteil vom 20.11.1987, 2 AZR 266/87; LAG Berlin, Urteil vom 05.03.2007 a. a. O., LAG München, Urteil vom 21.11.2012, a. a. O.).
28Ob und wieweit sich der Arbeitnehmer mit seinem Fehlverhalten strafbar gemacht hat, ist dabei für die Beurteilung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB oder für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG nicht entscheidend (vgl. BAG, Urteil vom 24.11.2005, 2 AZR 39/05). Maßgeblich ist der mit der Pflichtverletzung ggf. verbundene schwere Vertrauensbruch.
29b)
30Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechungsgrundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.06.2014 mangels eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB als unwirksam. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB steht der Beklagten nicht zur Seite, da die eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 03.06.2014 schon keine objektiv unzutreffenden Tatsachenangaben enthält, die dazu führen, dass eine falsche eidesstattliche Versicherung vorliegt.
31aa)
32Bei der Beurteilung / Bewertung der beiden letzten Absätze der eidesstattlichen Versicherung vom 03.06.2014 gelangt die Kammer zu der Auffassung, dass der Kläger keine bewusst objektiv falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben hat. Die letzten beiden Absätze lauten:
33„In der Personalbedarfsberechnung der Verfügungsbeklagten sind Arbeitnehmer der Firma E1 aufgeführt. Es handelt sich um Servicekräfte als Hilfen im Transportdienst und der Ausgabe des Essens, die nicht in den organisatorischen Arbeitsablauf der Pflege eingegliedert sind, da sie keine pflegerische Leistung gegenüber Patienten erbringen. Es handelt sich um Erfüllungsgehilfen im Rahmen eines Dienstleistungsvertrages mit einer Fremdfirma. Sie entlasten die Pflegekräfte von außerhalb der Pflege zu erledigenden Routineaufgaben. Da die Mitarbeiter der Fremdfirmen ihre Vergütung von ihrem Arbeitgeber erhalten, handelt es sich nicht um Personalkosten, sondern um Sachkosten.
34Für den Abschluss der Vereinbarungen und den Inhalt der Rechtsbeziehungen mit Fremdfirmen ist die Verwaltungsleitung zuständig. Ich habe weder tatsächlich noch rechtlich einen Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer Fremdfirma. Die Pflegedienstleitung ist zuständig für die Arbeitnehmer in der Pflege (medizinische Fachangestellte im Stationsdienst, Assistenten in der Pflege, Krankenpflegehelfer, Gesundheits- und Krankenpfleger, Fachkrankenpfleger). Es muss sich um Arbeitnehmer handeln, die eine pflegerische Leistung gegenüber den Patienten erbringen.“
35Der von der Beklagten für die Behauptung der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung herangezogene Satz „Ich habe weder tatsächlich noch rechtlich einen Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer Fremdfirma“ muss nach Auffassung der Kammer im Zusammenhang mit dem vorhergehenden Satz und insbesondere im Gesamtzusammenhang der letzten beiden Absätze gesehen werden. In diesen letzten beiden Absätzen hat der Kläger, nachdem er zuvor über mehrere Seiten seine Tätigkeiten für die Beklagte geschildert hat, die von ihm zu erbringende Personalplanung hinsichtlich der beschäftigten Pflegefachkräfte dargestellt. Auch hat er bekundet, dass bei der Beklagten Arbeitnehmer von Fremdfirmen als Servicekräfte eingesetzt werden, die keine pflegerische Leistung gegenüber den Patienten erbringen, sondern lediglich Serviceaufgaben wie Ausgabe des Essens oder Hilfen im Transportdienst.
36bb)
37Die streitgegenständliche Erklärung des Klägers versteht die Kammer so, dass der Kläger zum Ausdruck bringen wollte, dass für den Abschluss der Vereinbarungen und den Inhalt der Rechtsbeziehungen mit der Fremdfirma nicht er zuständig sei, sondern die Verwaltungsleitung. Er habe weder tatsächlich noch rechtlich einen Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer einer Fremdfirma bezogen auf den Abschluss der Vereinbarungen. Der Kläger trägt schriftsätzlich ebenfalls vor, dass seine Äußerung nur in diesem Sinne gemeint und objektiv zu verstehen sei. Dem schließt sich die Kammer insoweit an, als zumindest nicht in der erforderlichen Klarheit festgestellt werden kann, dass der Kläger bewusst eine objektiv wahrheitswidrige eidesstattliche Versicherung abgegeben hat. Die Erklärung des Klägers kann durchaus so verstanden werden, dass der Kläger „nur“ zum Ausdruck bringen wollte, dass die Entscheidung über die Festlegung der Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer der Fremdfirma im Rahmen der Gestaltung der Rechtsbeziehungen bei der Verwaltungsleitung und nicht bei ihm gelegen hat. Der untrennbare sachliche Zusammenhang der beiden unmittelbar aufeinander folgenden Sätze ergibt sich aus der Formulierung „tatsächlich noch rechtlich“, die den Hinweis auf den Abschluss und den Inhalt der Rechtsbeziehungen mit der Fremdfirma verdeutlicht. Dass der Kläger als Pflegedienstleiter nicht für den Abschluss und den Inhalt der Gestaltung der Rechtsbeziehungen mit der Fremdfirma oder den Fremdfirmen sachlich und instanziell zuständig gewesen ist, entspricht der Typizität der Organisation in einem Krankenhaus und ist von der Beklagten auch nicht behauptet worden.
38cc)
39Insoweit hat selbst die Beklagte vorgetragen, dass die Arbeitnehmerüberlassung hinsichtlich der Servicekräfte der Firma E1 auf Grundlage einer Rahmenvereinbarung erfolgt, die die Verwaltung mit der Firma E1 abgeschlossen hat. Die Rahmenvereinbarung werde ausgefüllt durch Kontingentvereinbarungen, die quartalsweise abgeschlossen würden, wobei die Ausschöpfung des Kontingents davon abhinge, welcher Bedarf von der Pflegedienstleitung mithin dem Kläger gemeldet würde. Dabei soll der Kläger als Pflegedienstleitung dem Mitarbeiter L den Bedarf an Servicekräften übermittelt haben und dieser den Bedarf an die Leiharbeitsfirma gemeldet haben, die sodann einen geänderten Kontingentvertrag vorgelegt habe. Indem der Kläger in seiner Funktion als Pflegedienstleiter mit der Planung des Personalbedarfs befasst gewesen sei und dabei auch entschieden habe, welche eigenen Arbeitnehmer zum Einsatz kommen und - als notwendige Folge - welche Tätigkeiten mit Leiharbeitnehmern zu erledigen seien, habe der Kläger sehr wohl einen Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer gehabt.
40Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass es bei einer solchen Betrachtung durchaus möglich erscheint, dass der Kläger zumindest mittelbar Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Servicekräfte der Firma E1 gehabt hat. Dass die vom Kläger abgegebene eidesstattliche Versicherung vom 03.06.2014 in der erforderlichen Klarheit aber tatsächlich wahrheitswidrig ist, ergibt sich daraus nach Auffassung der Kammer nicht. Insoweit ist es – wie bereits ausgeführt – durchaus auch möglich, die Erklärung des Klägers „Ich habe weder tatsächlich noch rechtlich einen Einfluss auf die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer“ so zu verstehen, dass sie lediglich eine subjektive Einschätzung des Klägers zum Ausdruck bringt, wobei er den Begriff „Einfluss“ so benutzt, dass nicht er, sondern die Verwaltungsleitung die Entscheidung über die Festlegung der Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer der Fremdfirma im Rahmen der Gestaltung der Rechtsbeziehungen getroffen hat. Die Kammer ist der Auffassung, dass der Begriff „Einfluss“ eine solche subjektive Interpretation durchaus zulässt. Es handelt sich bei der abgegebenen Erklärung des Klägers nicht um eine eindeutig falsche Kundgabe. Die Erklärung des Klägers lässt vielmehr einen Interpretationsspielraum zu. Dieser Interpretationsspielraum führt dazu, dass die Kammer nicht von einer objektiv wahrheitswidrigen falschen eidesstattlichen Versicherung ausgeht, die einen fristlosen Kündigungsgrund rechtfertigen kann.
41Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung des Klägers insgesamt um eine meinungsbezogene Tatsachenbehauptung hinsichtlich der Einflussnahme auf den Einsatz der Arbeitnehmer der Fa. E1, die aus Sicht des Klägers dahin geht, dass er einen solchen Einfluss auf Zahl der Arbeitnehmer nicht ausgeübt hat. Eine solche meinungsbezogene Tatsachenbehauptung ist typischerweise auslegungsfähig und kann als Kundgabe subjektiver Empfindungen entsprechend der vom Kläger vorgenommenen Auslegung verstanden werden.
42Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Kläger bei Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht bewusst einen Sachverhalt objektiv falsch schildern wollte, sondern vielmehr den Sachverhalt auch hinsichtlich dieses Punktes so geschildert hat, wie er ihn subjektiv wahrgenommen hat.
43b)
44Selbst wenn eine solche falsche eidesstattliche Versicherung objektiv vorgelegen haben sollte, ist die Kammer der Auffassung, dass der Kläger eine solche nicht vorsätzlich abgegeben hat. Im Übrigen aber lassen die besonderen Umstände des Einzelfalles aber auch sonst einen gegebenenfalls vorliegenden wichtigen Grund entfallen.
45aa)
46Nach Auffassung der Kammer ist die Kündigung auch deshalb unwirksam, weil der Kläger nicht zuvor einschlägig abgemahnt wurde.
47bb)
48Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt für eine verhaltensbedingte Kündigung, sowohl außerordentlich als auch ordentlich, das sogenannte Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht die Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung, sondern eine Vermeidung von weiteren Vertragspflichtverletzungen. Die eingetretene Pflichtverletzung muss sich auch zukünftig noch belastend auswirken. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der Prognose. Die Abmahnung ist zugleich auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete Mittel gibt, um eine zukünftige Vertragsstörung zu beseitigen und zu vermeiden. Diese Ansicht hat auch durch die gesetzliche Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung gefunden. Eine Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft – trotz Abmahnung – nicht erwartet werden kann oder es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen werden kann (vgl. BAG, Urteil vom 12.01.2006, 2 AZR 21/05) oder wenn die Vertrauensgrundlage der Rechtsbeziehung derart erschüttert ist, dass sie auch durch die Abmahnung nicht wieder hergestellt werden kann.
49cc)
50Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist die Kammer davon überzeugt, dass eine vorherige Abmahnung hier nicht entbehrlich gewesen ist. Für die Kammer ist schon nicht feststellbar, dass das Vertrauensverhältnis unwiderbringlich erheblich gestört ist. Der Kläger ist seit 30 Jahren bei der Beklagten als leitende Pflegekraft beschäftigt und die Probleme im Arbeitsverhältnis haben sich erst im Rahmen der Erprobung des Klägers auf der höherwertigen Stelle als Pflegedienstleitung ergeben. Unter Berücksichtigung der seitens der Beklagten ausgesprochenen Änderungskündigung und der nicht unerheblichen Herabstufung des Klägers im Rahmen dieser Änderungskündigung kam es zwischen den Parteien zu dem einstweiligen Verfügungsverfahren, in dem der Kläger die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat. Angesichts der nicht klar wahrheitswidrigen eidesstattlichen Versicherung und der Grenzwertigkeit zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit der abgegebenen Erklärung sowie dem Umstand, dass das Arbeitsverhältnis jahrzehntelang beanstandungsfrei geführt wurde, hält die Kammer eine Ausnahmesituation, die eine vorherige Abmahnung entbehrlich macht, nicht für gegeben.
51Auch mangels vorheriger Abmahnung ist nach Auffassung der Kammer die ausgesprochene Kündigung mithin unwirksam.
522.
53Ob die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß durchgeführt wurde oder nicht, kann mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes dahingestellt bleiben.
54II.
55Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung entsprechend den Änderungen aus der Änderungskündigung vom 31.03.2014.
56Ein solcher Weiterbeschäftigungsanspruch ergibt sich nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts. Da zum Zeitpunkt der Antragstellung die Kündigungsfrist hinsichtlich der ausgesprochenen Änderungskündigung vom 31.03.2014 zum 30.09.2014 bereits abgelaufen war, hat der Kläger seinen Weiterbeschäftigungsanspruch auf die im Rahmen der Änderungskündigung ausgesprochene geänderte Tätigkeit begrenzt. Zumindest insoweit ist der Kläger durch die Beklagte daher weiter zu beschäftigen.
57III.
58Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Als unterliegende Partei hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
59Den Streitwert hat das Gericht gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt. Er wurde für den Kündigungsschutzantrag mit drei Bruttomonatsgehältern gemäß § 42 Abs. 2 GKG berücksichtigt. Für den Weiterbeschäftigungsantrag hat das Gericht ein weiteres Bruttomonatsentgelt berücksichtigt.
(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.
(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.
(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.
(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.
(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge); - 2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; - 3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.
(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:
- 1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt; - 2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.
(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.
(1) Die Vorschriften über das Recht zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses werden durch das vorliegende Gesetz nicht berührt. Die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung kann jedoch nur nach Maßgabe des § 4 Satz 1 und der §§ 5 bis 7 geltend gemacht werden. Stellt das Gericht fest, dass die außerordentliche Kündigung unbegründet ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat auf seinen Antrag das Gericht das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzulegen, zu dem die außerordentliche Kündigung ausgesprochen wurde. Die Vorschriften der §§ 10 bis 12 gelten entsprechend.
(2) Verstößt eine Kündigung gegen die guten Sitten, so finden die Vorschriften des § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 und der §§ 10 bis 12 entsprechende Anwendung.
(3) Im Übrigen finden die Vorschriften dieses Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 auf eine Kündigung, die bereits aus anderen als den in § 1 Abs. 2 und 3 bezeichneten Gründen rechtsunwirksam ist, keine Anwendung.
Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Tenor
-
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. November 2012 - 8 Sa 627/12 - aufgehoben.
-
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 3. Juli 2012 - 31 Ca 13956/11 - wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen den Feststellungsausspruch richtet.
-
3. Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einen Auflösungsantrag der Beklagten.
- 2
-
Die Beklagte, ein US-amerikanisches Unternehmen, produziert und vertreibt medizinische Produkte. Sie hat in Deutschland eine Niederlassung mit ca. 130 Arbeitnehmern. Die 1968 geborene Klägerin trat im Januar 2005 in ihre Dienste. Seit November 2009 war die Klägerin als „Direct Marketing Supervisor“ tätig. In dieser Funktion leitete sie ein Team von acht Mitarbeitern. Ihre Arbeitsaufgaben ergaben sich aus einer „Stellen-/Positionsbeschreibung“ und aus jährlich getroffenen Zielvereinbarungen.
- 3
-
In der Zeit von Ende August bis Mitte Oktober 2011 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am 8. September 2011 beantragte sie beim Versorgungsamt ihre Anerkennung als schwerbehinderter Mensch. Kurz darauf unterrichtete sie davon die Beklagte. Am 17. Oktober 2011 - dem Tag der Wiederaufnahme ihrer Arbeit - wurde ihr in einem Personalgespräch eröffnet, sie sei bis auf Weiteres gegenüber den Mitarbeitern ihres Teams nicht mehr weisungsberechtigt. Außerdem wurde ihr - anders als zuvor - ein Einzelbüro zugewiesen. Am 19., 20. und am 25. Oktober 2011 arbeitete sie auf Weisung der Beklagten eine Kollegin in das „Reporting“ über „Direktmarketing(DM)-Aktivitäten“ ein.
- 4
-
Am 28. Oktober 2011 beantragte die Klägerin beim Arbeitsgericht, die Beklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, sie als „Direct Marketing Supervisor“ einzusetzen und tätig werden zu lassen. Hilfsweise begehrte sie die Zuweisung von Tätigkeiten, die in ihrer Wertigkeit dieser Position entsprächen. Dem Gesuch fügte sie - neben ihrem Arbeitsvertrag und der „Stellen-/Positionsbeschreibung“ - eine eidesstattliche Versicherung vom 27. Oktober 2011 bei. Darin heißt es:
-
„In Kenntnis und im Bewusstsein der Tatsache, dass die vorsätzliche und fahrlässige Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung strafbar ist und diese eidesstattliche Versicherung Behörden und Gerichten vorgelegt wird, versichere ich […]:
…
Am 17.10.2011 fand ein Gespräch zwischen der Geschäftsleitung, der Personalleitung und mir statt, in welchem mir durch den Managing Director / Country Manager Herrn Dr. […] mitgeteilt wurde, dass mir die Teamleitung entzogen und ich in ein Einzelbüro versetzt werde. Am Abend dieses Tages erhielt ich per E-Mail die Anordnung von Herrn Dr. […], dass ich mich ab sofort morgens und abends an der Rezeption an- und abzumelden habe. Bei [der Beklagten] gibt es kein Zeiterfassungssystem. …
Am 19., 20. und 25.10.2011 musste ich meine Mitarbeiterin […] in meine bisherigen Tätigkeiten einarbeiten. Am 21.10.2011 habe ich die offizielle Anordnung erhalten, ab sofort direkt an Herrn Dr. […] zu berichten. Gleichzeitig wurde mir mitgeteilt, dass das Direct-Marketing Team ab sofort bis auf weiteres von Frau […] geleitet wird. …
Faktisch werden mir seit dem 17.10.2011 keine Aufgaben mehr übertragen. Vielmehr wurden mir sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen. Ich sitze in einem „leeren Büro“ und darf keinen Kontakt zu meinen Mitarbeitern und Kollegen haben und ihnen keine Weisungen mehr erteilen.“
- 5
-
Am 4. November 2011 schlossen die Parteien zur Beendigung des Verfahrens einen gerichtlichen Vergleich. Die Beklagte verpflichtete sich, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß der Stellenbeschreibung mit der Einschränkung zu beschäftigen, dass es beim Entzug der Weisungsberechtigung verbleibe. Diese Abrede sollte längstens bis zum 15. Dezember 2011 gelten.
- 6
-
Mit Schreiben vom 30. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Januar 2012. Sie hielt der Klägerin vor, bei Gericht eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben. Dagegen erhob die Klägerin fristgerecht die vorliegende Klage.
- 7
-
Mit Bescheid vom 17. Juli 2012 stellte das Versorgungsamt bei der Klägerin eine Behinderung mit einem Grad von 30 fest. Am 26. Juli 2012 beantragte diese bei der Bundesagentur für Arbeit ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Mit Bescheid vom 18. September 2012 sicherte die Bundesagentur die Gleichstellung für den Fall zu, dass im Zuge ihrer Vermittlungsbemühungen oder eigener Bemühungen der Klägerin um einen Arbeitsplatz ein Arbeitgeber die Einstellung vom Vorliegen einer Schwerbehinderung abhängig machen sollte.
- 8
-
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte - unstreitig - eine Zustimmung des Integrationsamts nicht eingeholt habe. Jedenfalls sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Der Vorwurf, sie habe ihre Vertragspflichten durch ihre eidesstattliche Erklärung verletzt, sei unberechtigt. Sie habe den Sachverhalt aus ihrer damaligen Perspektive zutreffend dargestellt. Mit dem Ausdruck „leeres Büro“ habe sie - erkennbar - ein „menschen- und aufgabenleeres Büro“ gemeint. Die einer Kollegin übertragene Aufgabe des „Reporting“ über „DM-Aktivitäten“ habe neben der Personalführung den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ausgemacht. Die betreffenden Anordnungen habe sie deshalb als den Entzug sämtlicher Aufgaben empfunden. Konkrete Arbeitsanweisungen seien ihr in der fraglichen Zeit nicht erteilt worden. Der Auswertung von Patientendatenbanken habe sie sich nur gewidmet, um nicht mit dem Vorwurf einer Arbeitsverweigerung konfrontiert zu werden. Sie sei vom innerbetrieblichen E-Mail-Verkehr abgeschnitten gewesen. Auch sonstige Post habe sie nicht mehr erreicht. Sie sei nicht zu „DM-Konferenzen“ eingeladen worden, auch nicht zur Weihnachtsfeier oder anderen Treffen im Kollegenkreis. Mit ihr sei kaum mehr gesprochen worden. Sie habe davon ausgehen müssen, dies gehe auf die Beklagte zurück, nachdem diese sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt darum gebeten habe, mit einer Kollegin während schwebender Auseinandersetzungen keinen Umgang zu pflegen.
- 9
-
Die Klägerin hat beantragt
-
1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 30. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;
2.
die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als „Direct Marketing Supervisor“ weiter zu beschäftigen.
- 10
-
Die Beklagte hat zuletzt beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise,
-
das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, die 15.000,00 Euro brutto nicht überschreiten möge, zum 31. Januar 2012 aufzulösen.
- 11
-
Die Beklagte hat gemeint, die Kündigung sei durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt. Diese habe in dem vorausgegangenen Verfahren vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben. Das „Reporting“ und die Anleitung des nachgeordneten Bereichs hätten nur einen Teil ihrer Tätigkeiten ausgemacht. Alle sonstigen in der Stellenbeschreibung genannten Aufgaben aus dem Bereich „Daily business tasks DM Team“ seien der Klägerin - bis auf die Teilnahme an Messen und Kongressen - geblieben. Die Behauptungen, sie habe eine Kollegin in „ihre bisherigen Aufgaben einarbeiten [müssen]“ und ihr seien „sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen [worden]“, seien deshalb objektiv falsch. Ebenso falsch sei die mit dem Hinweis auf ein „leeres Büro“ verbundene Behauptung, untätig zu sein. Die Klägerin habe sich mit der Auswertung von Patientendatenbanken einer ihr originär übertragenen Arbeitsaufgabe gewidmet. Das ihr zugewiesene Büro sei voll ausgestattet gewesen. Die räumliche Veränderung sei ausschließlich durch den Wechsel von Mitarbeitern einer Schwesterfirma zu ihr - der Beklagten - bedingt gewesen. Es habe auch kein Verbot bestanden, mit Arbeitskollegen Kontakt zu pflegen. Soweit sich die Klägerin auf gegenteilige subjektive Einschätzungen berufe, handele es sich um Schutzbehauptungen. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe versucht, durch eine verzerrende Darstellung der betrieblichen Verhältnisse einen Prozesserfolg zu ihrem - der Beklagten - Nachteil zu erzielen.
- 12
-
Zumindest sei der Auflösungsantrag begründet. Eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit mit der Klägerin sei nicht mehr zu erwarten. Man führe mittlerweile mehrere Rechtsstreitigkeiten gegeneinander, in denen die Klägerin bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe. Ihr fehle zudem die Bereitschaft, ihre neue Vorgesetzte zu akzeptieren.
- 13
-
Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.
- 14
-
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben; ihren Auflösungsantrag hatte die Beklagte erstinstanzlich noch nicht gestellt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin auch mit Blick auf den Auflösungsantrag die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
- 15
-
Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und im Umfang des Feststellungsbegehrens zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen war die Sache mangels Entscheidungsreife an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
- 16
-
A. Die Revision ist zulässig. Dass sie vor Zustellung des Berufungsurteils eingelegt wurde, ist unerheblich. Es genügt, dass im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung - wie hier - die angefochtene Entscheidung bereits verkündet war (vgl. BAG 26. Juli 2012 - 6 AZR 52/11 - Rn. 18 mwN). Die Revisionsbegründungsfrist (§ 74 Abs. 1 Satz 1 bis 3 ArbGG) ist gewahrt.
- 17
-
B. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Kündigung vom 30. November 2011 ist unwirksam (I.). Ob der damit zur Entscheidung angefallene Auflösungsantrag der Beklagten begründet ist, steht noch nicht fest (II.). Der insoweit gebotenen Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung (III.).
- 18
-
I. Die Kündigung ist unwirksam. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt und deshalb sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG).
- 19
-
1. Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 13; 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20 mwN).
- 20
-
2. Gibt der Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit dem Arbeitgeber vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung ab, kann dies die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - womöglich gar die außerordentliche - rechtfertigen (st. Rspr., BAG 24. November 2005 - 2 ABR 55/04 - Rn. 23; 20. November 1987 - 2 AZR 266/87 - zu II 2 a der Gründe mwN). Ein solches Verhalten stellt - unabhängig von seiner Strafbarkeit - eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie in zumutbarem Umfang zu wahren. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer in einem Gerichtsverfahren mit dem Arbeitgeber leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellt, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22).
- 21
-
3. Ein Arbeitnehmer kann sich für falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Unrichtige Angaben sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die ein Werturteil enthalten. Sie können zum einen - ebenso wie rechtliche Schlussfolgerungen oder die Wiedergabe subjektiver Einschätzungen - nicht tauglicher Gegenstand einer eidesstattlichen Versicherung sein (vgl. MünchKommStGB/Müller 2. Aufl. § 156 Rn. 60). Im Zivilprozess können lediglich tatsächliche Behauptungen durch Versicherung an Eides statt glaubhaft gemacht werden (§ 294 Abs. 1 ZPO). Werturteile fallen zum anderen in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21).
- 22
-
4. Eine Tatsachenbehauptung zeichnet sich dadurch aus, dass die Erklärung einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35; BGH 22. Februar 2011 - VI ZR 120/10 - Rn. 22; jeweils mwN). Falsch ist eine Behauptung, wenn sie im Hinblick auf ihren Gegenstand der Wahrheit nicht entspricht, also die Wirklichkeit unzutreffend wiedergibt. Das ist der Fall, wenn der Inhalt der Aussage mit der objektiven Sachlage nicht übereinstimmt. Auch das Verschweigen von Tatsachen macht eine Behauptung falsch, wenn die spezifische Unvollständigkeit nicht offenbart, sondern die Aussage als vollständige ausgegeben wird und dadurch ihr Gegenstand in einem falschen Licht erscheint (BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 a der Gründe mwN; Cramer Jura 1998, 337). Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass jede Äußerung in ihrem Kontext zu sehen ist und nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden darf (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40; BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 der Gründe). Das gilt auch im Rahmen der Beurteilung, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist (vgl. BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - aaO). Die jeweilige Einstufung durch das Berufungsgericht unterliegt der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle (vgl. BGH 16. November 2004 - VI ZR 298/03 - zu II 2 a aa der Gründe; zum Fehlen einer Bindung an die Feststellungen der Tatsachengerichte siehe auch BVerfG 19. April 1990 - 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 82, 43).
- 23
-
5. Danach war eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht gerechtfertigt.
- 24
-
a) Die Beklagte stützt ihre Kündigung auf die eidesstattliche Versicherung der Klägerin vom 27. Oktober 2011. Diese scheidet nicht deshalb als Kündigungsgrund aus, weil sich die Parteien in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf einen Vergleich verständigt haben. Dadurch hat die Beklagte nicht zum Ausdruck gebracht, sie werde aus dem vorausgegangenen Verhalten der Klägerin keine nachteiligen Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses mehr ableiten. Mit der Kündigung hat sich die Beklagte auch nicht in einen nach § 242 BGB beachtlichen Widerspruch zu den materiellen Regelungen des Vergleichs gesetzt. Die Verständigung über die Modalitäten einer Beschäftigung der Klägerin bezieht sich auf das ungekündigte Arbeitsverhältnis. Die Regelungen sollten überdies allenfalls bis zum 15. Dezember 2011 gelten und hatten dementsprechend nur vorläufigen Charakter. Jedenfalls an einer ordentlichen, für einen späteren Zeitpunkt erklärten Kündigung war die Beklagte aufgrund des Vergleichs nicht gehindert. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
- 25
-
b) Nicht frei von Rechtsfehlern ist seine Würdigung, die eidesstattliche Erklärung enthalte in allen beanstandeten Punkten falsche Tatsachenbehauptungen.
- 26
-
aa) Bei der Äußerung der Klägerin, sie habe eine Kollegin in „ihre bisherigen Tätigkeiten“ einarbeiten müssen, mag es sich zwar um eine Tatsachenbehauptung handeln. Diese ist aber nicht deshalb objektiv falsch, weil die Klägerin ihre Kollegin - unstreitig - lediglich in die „Patientenselektion der Datenbank“ und das monatliche Berichtswesen, demnach nur in einem Teil ihrer Arbeitsaufgaben einweisen musste. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Klägerin habe in ihrer Versicherung - fälschlich - zum Ausdruck gebracht, sie habe die Kollegin in sämtliche ihrer Tätigkeiten einarbeiten müssen, übersieht es, dass die beanstandete Aussage einen solchen Sinn schon dem Wortlaut nach nicht enthält.
- 27
-
bb) Ein solches Verständnis ist nicht deshalb geboten, weil die Klägerin im letzten Absatz ihrer Versicherung angegeben hat, ihr seien „sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen worden“. Die Äußerung schließt sich unmittelbar an die Behauptung an, ihr seien seit dem 17. Oktober 2011 „faktisch“ keine Aufgaben mehr übertragen worden. Das lässt zum einen die Interpretation zu, dass sie mit der beanstandeten Aussage - erneut - nur auf das Fehlen konkreter Arbeitsaufgaben hat hinweisen wollen. Der aufgezeigte Kontext spricht zum anderen - ausgehend vom verständigen Empfängerhorizont - dafür, dass die Klägerin mit ihrer Aussage einen wertenden, von ihrem subjektiven Dafürhalten und Meinen geprägten Schluss hat ziehen wollen, der auf dem Ausbleiben von Aufgabenzuweisungen beruhte. Darauf, ob diese Wertung objektiv vertretbar war, kommt es nicht an. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird dadurch die Äußerung nicht zu einer reinen Tatsachenbehauptung.
- 28
-
cc) Ob es sich bei den Ausführungen zum „faktischen“ Fehlen einer Aufgabenübertragung um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, kann dahinstehen. Die Beklagte hat für den erstgenannten Fall nicht dargetan, die Aussage sei erweislich falsch. Sie hat lediglich auf die Stellenbeschreibung und der Klägerin darin übertragene Arbeitsaufgaben verwiesen. Darauf kommt es ebenso wenig an wie auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob zu diesen der Klägerin allgemein übertragenen Tätigkeiten die Auswertung von Patientendatenbanken zählte. Die fragliche Äußerung in der eidesstattlichen Versicherung hebt erkennbar auf das - unstreitige - Ausbleiben einer Zuweisung spezifischer zu erledigender Arbeiten in der Zeit nach dem 17. Oktober 2011 ab.
- 29
-
dd) Soweit die Klägerin versichert hat, sie sitze in einem „leeren Büro“, sprechen schon die von ihr gesetzten Anführungszeichen deutlich dafür, dass es sich insoweit um eine Wertung und nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt. Umstände, die einem solchen Verständnis widersprechen, sind nicht ersichtlich. Die beanstandete Aussage kann nicht tauglicher Inhalt einer eidesstattlichen Versicherung sein. Das gilt unabhängig davon, ob die Äußerung sich auf die technische Ausstattung des Büros oder darauf bezog, dieses sei „leer“ an Aufgaben und anderen Menschen.
- 30
-
ee) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe mit der Äußerung, sie „dürfe“ keinen Kontakt zu Mitarbeitern und Kollegen haben, objektiv und wahrheitswidrig behauptet, die Beklagte habe ihr gegenüber ein entsprechendes Verbot ausgesprochen, liegt fern. Zwar schließt der Wortlaut der Erklärung eine solche Deutung nicht gänzlich aus. Sie kann aber ebenso gut als wertende Beschreibung eines tatsächlichen Zustands verstanden werden. Im Ergebnis liegt ein solches Verständnis näher. Zum einen schließt sich die Aussage unmittelbar an die Ausführungen zur „Leere“ des zugewiesenen Büros an. Zum anderen hat die Klägerin, wenn sie bestimmte konkrete Anordnungen und Weisungen seitens der Beklagten behauptet hat, dies jedes Mal - insbesondere durch zeitliche Eingrenzung - eigens deutlich gemacht.
- 31
-
c) Die Kündigung ist selbst dann nicht durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt, wenn zugunsten der Beklagten angenommen wird, jedenfalls die Äußerung der Klägerin, ihr seien „sämtliche Aufgaben […] entzogen [worden]“, stelle eine unzutreffende, die wahren Gegebenheiten verzerrende Tatsachenbehauptung dar. Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen tragen nicht das Ergebnis, die Klägerin habe insoweit vorsätzlich falsche Angaben gemacht.
- 32
-
aa) Vorsatz besteht im Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Bedingter Vorsatz reicht dafür aus (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 22; 28. April 2011 - 8 AZR 769/09 - Rn. 50; für den Anwendungsbereich von § 156 StGB vgl. Fischer StGB 61. Aufl. § 156 Rn. 17; MünchKommStGB/Müller § 156 Rn. 79). Der an Eides statt Erklärende muss demnach wissen, welche Tatsachen seine Erklärungspflicht begründen. Er muss zudem die Unrichtigkeit seiner Behauptungen erkennen und deren Unwahrheit in seinen Erklärungswillen aufnehmen. Er muss die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - aaO).
- 33
-
bb) Die Bewertung eines Fehlverhaltens als vorsätzlich oder fahrlässig liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Sie ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung iSv. § 286 ZPO. Das Revisionsgericht kann die Feststellung innerer Tatsachen nur daraufhin prüfen, ob das Tatsachengericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 24; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16).
- 34
-
cc) Die angefochtene Entscheidung hält auch dieser eingeschränkten Überprüfung nicht stand.
- 35
-
(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe die Unwahrheit ihrer Aussage erkannt und in ihren Willen aufgenommen. Die behaupteten Umstände seien Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen und es gebe keine Anhaltspunkte für die Annahme, sie habe bei der Abfassung der eidesstattlichen Erklärung nicht genügend Sorgfalt walten lassen.
- 36
-
(2) Diese Beurteilung lässt außer Acht, dass der Klägerin mit ihren Weisungsbefugnissen und dem Berichtswesen wesentliche, für ihre Leitungstätigkeit charakteristische Aufgaben entzogen worden waren. Unabhängig vom zeitlichen Umfang dieser Tätigkeiten ist es nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin in ihnen subjektiv den Kern ihrer Tätigkeit erblickt hat. Da ihr nach dem 17. Oktober 2011 bis auf die Einarbeitung einer Kollegin keine anderen konkrete Arbeitsanweisungen mehr erteilt worden waren, mag bei ihr durchaus der Eindruck entstanden sein, sie habe „nichts mehr zu tun“ und dies sei auch so gewollt. Dem steht die Aufgabe, Patientendaten auszuwerten, nicht zwingend entgegen. Die Klägerin rechnete diese Tätigkeit nicht zu ihrem originären Zuständigkeitsbereich. Selbst wenn sie insoweit geirrt haben sollte, bedeutet dies nicht, es könne sich bei ihrer Einlassung, sie habe den Sachverhalt aus ihrer damaligen subjektiven Sicht zutreffend geschildert, nur um eine Schutzbehauptung handeln.
- 37
-
(3) Unabhängig davon liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, die Klägerin habe gemeint, die ihr angelasteten Übertreibungen seien erforderlich gewesen, um das angestrebte Verfahrensziel - eine tatsächliche Beschäftigung als „Direct Marketing Supervisor“ - zu erreichen. Als wesentlichen Kern ihrer Leitungstätigkeit hat sie die ihr entzogenen Weisungsbefugnisse gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern und das monatliche Reporting über „DM-Aktivitäten“ angesehen. Ob dies ausgereicht hätte, den geltend gemachten Beschäftigungsanspruch vor Gericht durchzusetzen, kann dahinstehen. Jedenfalls muss die Klägerin nicht etwa notwendig davon ausgegangen sein, sie habe auf die Rechtssache durch die Behauptung, ihr seien „sämtliche“ Aufgaben entzogen worden, ein völlig falsches Licht geworfen.
- 38
-
d) Der Senat konnte über den Kündigungsschutzantrag selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Eine weitere Sachaufklärung wäre auch nach einer Zurückverweisung nicht zu erwarten. Gegen die Klägerin kann allenfalls der Vorwurf erhoben werden, sie habe die eidesstattliche Erklärung nicht vorsichtig genug formuliert und habe in Teilen leichtfertig falsche Angaben gemacht. Angesichts dessen ist die Kündigung unverhältnismäßig. Als Mittel zur Herbeiführung künftiger Vertragstreue hätte eine Abmahnung ausgereicht.
- 39
-
aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(vgl. BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 21; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).
- 40
-
bb) Im Streitfall wiegt das Verhalten der Klägerin nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Zwar mag die Klägerin einer Fehlvorstellung Vorschub geleistet haben, soweit sie behauptet und durch ihre eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht hat, ihr seien „sämtliche Aufgaben entzogen [worden]“. Auch mag das dieser Äußerung innewohnende überschießende Element für sie leicht erkennbar gewesen sein. Ihr kann aber mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, sie habe durch eine verzerrende Darstellung den Ausgang des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entscheidend zu ihren Gunsten beeinflussen wollen. Auch hatte sie ihrem Antrag eine Stellenbeschreibung beigefügt, aus der sich der Umfang der ihr obliegenden Arbeitsaufgaben ergab. Danach und angesichts ihrer Behauptung, ihr sei mit dem Entzug der Teamleitung gleichzeitig aufgegeben worden, zukünftig unmittelbar an den „Managing Director/Country Manager“ zu berichten - was einer gänzlichen Beschäftigungslosigkeit widersprach - musste ihre Behauptung, ihr seien „sämtliche Aufgaben […] entzogen [worden]“, wenn nicht als substanzlos, so doch als erläuterungsbedürftig erscheinen. Dies hat das Arbeitsgericht, das im Ursprungsverfahren Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt hatte, ersichtlich nicht anders bewertet. Überdies war die Klägerin durch den unvermittelten Entzug der Führungsverantwortung emotional stark belastet. Die Beklagte hatte die Maßnahme der Klägerin gegenüber nicht näher begründet. Auch im vorliegenden Rechtsstreit hat sie keine konkreten Vorfälle benannt, die ihr Anlass gegeben hätten, der Klägerin Führungsqualitäten und/oder teamorientiertes Arbeiten abzusprechen. Dies vermag deren hier zu beurteilendes Verhalten zwar nicht gänzlich zu entschuldigen. Es lässt ihr Vorgehen aber in einem milderen Licht erscheinen.
- 41
-
cc) Ob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das maßgeblich auf die Strafbarkeit des in Rede stehenden Verhaltens abgestellt hat, auch deshalb keinen Bestand haben kann, weil das Amtsgericht gegenüber der Klägerin den Erlass eines Strafbefehls wegen falscher eidesstattlicher Versicherung mittlerweile abgelehnt hat, bedarf keiner Erörterung (zur grundsätzlichen Verpflichtung der Gerichte für Arbeitssachen, den Sachverhalt selbst aufzuklären vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 25 mwN).
- 42
-
II. Wegen ihres Unterliegens im Kündigungsrechtsstreit fällt der Hilfsantrag der Beklagten zur Entscheidung an. Dazu war die Sache mangels Entscheidungsreife an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
- 43
-
1. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist aufgrund des Rechtsmittels der Klägerin in die Revision gelangt, auch wenn das Landesarbeitsgericht über ihn folgerichtig nicht entschieden hat. Einer Anschlussrevision der Beklagten bedurfte es nicht (vgl. BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu A I der Gründe; 20. August 1997 - 2 AZR 620/96 - zu II 4 der Gründe).
- 44
-
2. Die Voraussetzungen, unter denen der Arbeitgeber berechtigt ist, den Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu stellen, liegen im Streitfall vor. Die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 30. November 2011 beruht allein auf ihrer Sozialwidrigkeit (zu dieser Voraussetzung BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 19 mwN, BAGE 140, 47). Sie ist - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat - nicht nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB unwirksam. Einer Zustimmung des Integrationsamts bedurfte es nicht.
- 45
-
a) Die Klägerin ist nicht schwerbehindert iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX. Der Grad ihrer Behinderung beträgt gemäß dem Bescheid des Versorgungsamts vom 17. Juli 2012 lediglich 30.
- 46
-
b) Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung einem schwerbehinderten Menschen nicht gleichgestellt. Eine Gleichstellung ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 18. September 2012 ist ihr eine Gleichstellung lediglich für den Fall zugesichert worden, dass ein Arbeitgeber ihre Einstellung von einer solchen Gleichstellung abhängig mache. Selbst wenn ein solcher „Zusicherungsbescheid“ (zu den Voraussetzungen vgl. LSG Hessen 11. Juli 2007 - L 7 AL 61/06 -) kündigungsrechtlich wie eine Gleichstellung zu behandeln sein sollte, wirkte er frühestens auf den Tag der Antragstellung - den 26. Juli 2012 - zurück. Vor diesem Zeitpunkt kommt ein Sonderkündigungsschutz der Klägerin nicht in Betracht.
- 47
-
aa) Nach § 85 SGB IX iVm. § 68 Abs. 1 und 3, § 2 Abs. 3 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers, der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Gemäß § 68 Abs. 2 SGB IX erfolgt die Gleichstellung eines behinderten Menschen mit schwerbehinderten Menschen auf dessen Antrag durch eine Feststellung nach § 69 SGB IX seitens der Bundesagentur für Arbeit.
- 48
-
bb) Die Gleichstellung wird gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam. Die behördliche Entscheidung ist für die Rechtsposition des Betroffenen konstitutiv. Im Unterschied zu den kraft Gesetzes geschützten Personen, bei denen durch die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch der gesetzlich bestehende Rechtsschutz nur festgestellt wird, wird der Schutz des Behinderten durch die Gleichstellung erst begründet (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - Rn. 39; 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - zu B II 1 a der Gründe). Die Bundesagentur für Arbeit darf die Gleichstellung rückwirkend nicht über den Tag des Eingangs des Antrags hinaus aussprechen (Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 68 Rn. 24). Einer erst nach Zugang der Kündigung beantragten Gleichstellung kommt demzufolge für die Wirksamkeit der Kündigung - selbst bei einem positiven Bescheid - keine Bedeutung zu (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - aaO; 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - aaO).
- 49
-
cc) Die Klägerin hat ihren Antrag auf Gleichstellung erst am 26. Juli 2012 und damit nach Zugang der Kündigung gestellt. Im Verhältnis zur Beklagten ist es unerheblich, ob sie ihn, wäre ihr Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch schneller beschieden worden, schon früher gestellt hätte. Der Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch wiederum enthält - anders als die Klägerin meint - nicht zugleich einen Antrag auf Gleichstellung für den Fall, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 30 festgestellt werden sollte.
- 50
-
(1) Die Klägerin hat nicht behauptet, sie habe schon beim Versorgungsamt einen solchen (Hilfs-)Antrag ausdrücklich angebracht.
- 51
-
(2) Ohne entsprechende Erklärung wiederum kann in dem Anerkennungsantrag nicht zugleich ein (vorsorglicher) Antrag auf Gleichstellung erblickt werden. Dies folgt schon daraus, dass für die Anträge unterschiedliche Behörden zuständig sind. Die Entscheidung über die Anerkennung obliegt den zuständigen Versorgungsämtern oder den durch Landesrecht bestimmten Behörden (§ 69 Abs. 1 SGB IX)bzw. den in § 69 Abs. 2 SGB IX genannten Dienststellen. Die Entscheidung über die Gleichstellung fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Unabhängig davon sind die Feststellung einer Schwerbehinderung und die Gleichstellung an unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen gebunden, die zu unterschiedlichen Prüfungen der jeweils zuständigen Stellen führen. Im Übrigen kann nicht als selbstverständlich unterstellt werden, dass ein behinderter Mensch für den Fall der Erfolglosigkeit eines Anerkennungsantrags seine Gleichstellung beantragen will.
- 52
-
(3) Die Trennung der Verfahren erschwert es Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 nicht in unzumutbarer Weise, Sonderkündigungsschutz zu erlangen. Sie können vielmehr beide Verfahren von Beginn an parallel betreiben, insbesondere den Gleichstellungsantrag bei der Bundesanstalt vorsorglich für den Fall stellen, dass der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft wegen eines GdB unter 50 beim Versorgungsamt erfolglos bleiben sollte (Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 11). Auch wenn die Versorgungsämter gehalten sein sollten, auf die Möglichkeit einer vorsorglichen Antragstellung bei der Bundesanstalt hinzuweisen (vgl. dazu Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 10, 11; Lampe in Großmann GK-SGB IX § 90 Rn. 65, 103; Schorn in Müller-Wenner/Schorn SGB IX Teil 2 § 68 Rn. 34), folgte daraus selbst bei einer Verletzung der Hinweispflicht nicht, dass einer Gleichstellung Wirkung auf einen Zeitpunkt vor Eingang des Antrags bei der Bundesagentur für Arbeit zukommen könnte. Für die bloße Zusicherung einer erforderlich werdenden Gleichstellung gilt nichts anderes.
- 53
-
c) Die kündigungsrechtlich unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 und schwerbehinderten Arbeitnehmern iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX stellt keine Diskriminierung der weniger stark behinderten Arbeitnehmer nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16) dar. Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vor. Die weniger stark behinderten Arbeitnehmer erfahren nicht „wegen ihrer Behinderung“ eine ungünstigere Behandlung. Sie werden nicht weniger günstig als nicht behinderte Arbeitnehmer behandelt, sondern weniger günstig als stärker behinderte (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - Rn. 39).
- 54
-
3. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob der Auflösungsantrag im Übrigen begründet ist. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob Gründe vorliegen, die einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. Es hat sich mit den dafür behaupteten Tatsachen nicht befasst und insoweit keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachholen müssen.
- 55
-
III. Der Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Er ist darauf gerichtet, die Beklagte zu verurteilen, sie „bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens“ in der zuletzt ausgeübten Funktion weiter zu beschäftigen. Zum Kündigungsschutzverfahren zählt der Auflösungsantrag der Beklagten. Aus diesem Grund ist der von der Klägerin aufrechterhaltene Weiterbeschäftigungsantrag als unechter Hilfsantrag zu verstehen, über den nur unter der Voraussetzung zu entscheiden ist, dass sie mit ihrem Feststellungsantrag obsiegt und der Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen wird. Keine dieser Prämissen ist bislang erfüllt. Ob ein Antrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG, solange er nicht abschlägig beschieden worden ist, ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers zu begründen vermag(vgl. BAG 16. November 1995 - 8 AZR 864/93 - zu E der Gründe, BAGE 81, 265), bedarf deshalb keiner Entscheidung.
-
Kreft
Niemann
Berger
Bartz
Alex
(1) Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten.
(2) Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn
- 1.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, - 2.
der Schuldner die Leistung bis zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer im Vertrag bestimmten Frist nicht bewirkt, obwohl die termin- oder fristgerechte Leistung nach einer Mitteilung des Gläubigers an den Schuldner vor Vertragsschluss oder auf Grund anderer den Vertragsabschluss begleitenden Umstände für den Gläubiger wesentlich ist, oder - 3.
im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.
(3) Kommt nach der Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht, so tritt an deren Stelle eine Abmahnung.
(4) Der Gläubiger kann bereits vor dem Eintritt der Fälligkeit der Leistung zurücktreten, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden.
(5) Hat der Schuldner eine Teilleistung bewirkt, so kann der Gläubiger vom ganzen Vertrag nur zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat. Hat der Schuldner die Leistung nicht vertragsgemäß bewirkt, so kann der Gläubiger vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist.
(6) Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist oder wenn der vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist.
Tenor
-
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. November 2012 - 8 Sa 627/12 - aufgehoben.
-
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 3. Juli 2012 - 31 Ca 13956/11 - wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen den Feststellungsausspruch richtet.
-
3. Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einen Auflösungsantrag der Beklagten.
- 2
-
Die Beklagte, ein US-amerikanisches Unternehmen, produziert und vertreibt medizinische Produkte. Sie hat in Deutschland eine Niederlassung mit ca. 130 Arbeitnehmern. Die 1968 geborene Klägerin trat im Januar 2005 in ihre Dienste. Seit November 2009 war die Klägerin als „Direct Marketing Supervisor“ tätig. In dieser Funktion leitete sie ein Team von acht Mitarbeitern. Ihre Arbeitsaufgaben ergaben sich aus einer „Stellen-/Positionsbeschreibung“ und aus jährlich getroffenen Zielvereinbarungen.
- 3
-
In der Zeit von Ende August bis Mitte Oktober 2011 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am 8. September 2011 beantragte sie beim Versorgungsamt ihre Anerkennung als schwerbehinderter Mensch. Kurz darauf unterrichtete sie davon die Beklagte. Am 17. Oktober 2011 - dem Tag der Wiederaufnahme ihrer Arbeit - wurde ihr in einem Personalgespräch eröffnet, sie sei bis auf Weiteres gegenüber den Mitarbeitern ihres Teams nicht mehr weisungsberechtigt. Außerdem wurde ihr - anders als zuvor - ein Einzelbüro zugewiesen. Am 19., 20. und am 25. Oktober 2011 arbeitete sie auf Weisung der Beklagten eine Kollegin in das „Reporting“ über „Direktmarketing(DM)-Aktivitäten“ ein.
- 4
-
Am 28. Oktober 2011 beantragte die Klägerin beim Arbeitsgericht, die Beklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, sie als „Direct Marketing Supervisor“ einzusetzen und tätig werden zu lassen. Hilfsweise begehrte sie die Zuweisung von Tätigkeiten, die in ihrer Wertigkeit dieser Position entsprächen. Dem Gesuch fügte sie - neben ihrem Arbeitsvertrag und der „Stellen-/Positionsbeschreibung“ - eine eidesstattliche Versicherung vom 27. Oktober 2011 bei. Darin heißt es:
-
„In Kenntnis und im Bewusstsein der Tatsache, dass die vorsätzliche und fahrlässige Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung strafbar ist und diese eidesstattliche Versicherung Behörden und Gerichten vorgelegt wird, versichere ich […]:
…
Am 17.10.2011 fand ein Gespräch zwischen der Geschäftsleitung, der Personalleitung und mir statt, in welchem mir durch den Managing Director / Country Manager Herrn Dr. […] mitgeteilt wurde, dass mir die Teamleitung entzogen und ich in ein Einzelbüro versetzt werde. Am Abend dieses Tages erhielt ich per E-Mail die Anordnung von Herrn Dr. […], dass ich mich ab sofort morgens und abends an der Rezeption an- und abzumelden habe. Bei [der Beklagten] gibt es kein Zeiterfassungssystem. …
Am 19., 20. und 25.10.2011 musste ich meine Mitarbeiterin […] in meine bisherigen Tätigkeiten einarbeiten. Am 21.10.2011 habe ich die offizielle Anordnung erhalten, ab sofort direkt an Herrn Dr. […] zu berichten. Gleichzeitig wurde mir mitgeteilt, dass das Direct-Marketing Team ab sofort bis auf weiteres von Frau […] geleitet wird. …
Faktisch werden mir seit dem 17.10.2011 keine Aufgaben mehr übertragen. Vielmehr wurden mir sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen. Ich sitze in einem „leeren Büro“ und darf keinen Kontakt zu meinen Mitarbeitern und Kollegen haben und ihnen keine Weisungen mehr erteilen.“
- 5
-
Am 4. November 2011 schlossen die Parteien zur Beendigung des Verfahrens einen gerichtlichen Vergleich. Die Beklagte verpflichtete sich, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß der Stellenbeschreibung mit der Einschränkung zu beschäftigen, dass es beim Entzug der Weisungsberechtigung verbleibe. Diese Abrede sollte längstens bis zum 15. Dezember 2011 gelten.
- 6
-
Mit Schreiben vom 30. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Januar 2012. Sie hielt der Klägerin vor, bei Gericht eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben. Dagegen erhob die Klägerin fristgerecht die vorliegende Klage.
- 7
-
Mit Bescheid vom 17. Juli 2012 stellte das Versorgungsamt bei der Klägerin eine Behinderung mit einem Grad von 30 fest. Am 26. Juli 2012 beantragte diese bei der Bundesagentur für Arbeit ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Mit Bescheid vom 18. September 2012 sicherte die Bundesagentur die Gleichstellung für den Fall zu, dass im Zuge ihrer Vermittlungsbemühungen oder eigener Bemühungen der Klägerin um einen Arbeitsplatz ein Arbeitgeber die Einstellung vom Vorliegen einer Schwerbehinderung abhängig machen sollte.
- 8
-
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte - unstreitig - eine Zustimmung des Integrationsamts nicht eingeholt habe. Jedenfalls sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Der Vorwurf, sie habe ihre Vertragspflichten durch ihre eidesstattliche Erklärung verletzt, sei unberechtigt. Sie habe den Sachverhalt aus ihrer damaligen Perspektive zutreffend dargestellt. Mit dem Ausdruck „leeres Büro“ habe sie - erkennbar - ein „menschen- und aufgabenleeres Büro“ gemeint. Die einer Kollegin übertragene Aufgabe des „Reporting“ über „DM-Aktivitäten“ habe neben der Personalführung den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ausgemacht. Die betreffenden Anordnungen habe sie deshalb als den Entzug sämtlicher Aufgaben empfunden. Konkrete Arbeitsanweisungen seien ihr in der fraglichen Zeit nicht erteilt worden. Der Auswertung von Patientendatenbanken habe sie sich nur gewidmet, um nicht mit dem Vorwurf einer Arbeitsverweigerung konfrontiert zu werden. Sie sei vom innerbetrieblichen E-Mail-Verkehr abgeschnitten gewesen. Auch sonstige Post habe sie nicht mehr erreicht. Sie sei nicht zu „DM-Konferenzen“ eingeladen worden, auch nicht zur Weihnachtsfeier oder anderen Treffen im Kollegenkreis. Mit ihr sei kaum mehr gesprochen worden. Sie habe davon ausgehen müssen, dies gehe auf die Beklagte zurück, nachdem diese sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt darum gebeten habe, mit einer Kollegin während schwebender Auseinandersetzungen keinen Umgang zu pflegen.
- 9
-
Die Klägerin hat beantragt
-
1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 30. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;
2.
die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als „Direct Marketing Supervisor“ weiter zu beschäftigen.
- 10
-
Die Beklagte hat zuletzt beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise,
-
das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, die 15.000,00 Euro brutto nicht überschreiten möge, zum 31. Januar 2012 aufzulösen.
- 11
-
Die Beklagte hat gemeint, die Kündigung sei durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt. Diese habe in dem vorausgegangenen Verfahren vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben. Das „Reporting“ und die Anleitung des nachgeordneten Bereichs hätten nur einen Teil ihrer Tätigkeiten ausgemacht. Alle sonstigen in der Stellenbeschreibung genannten Aufgaben aus dem Bereich „Daily business tasks DM Team“ seien der Klägerin - bis auf die Teilnahme an Messen und Kongressen - geblieben. Die Behauptungen, sie habe eine Kollegin in „ihre bisherigen Aufgaben einarbeiten [müssen]“ und ihr seien „sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen [worden]“, seien deshalb objektiv falsch. Ebenso falsch sei die mit dem Hinweis auf ein „leeres Büro“ verbundene Behauptung, untätig zu sein. Die Klägerin habe sich mit der Auswertung von Patientendatenbanken einer ihr originär übertragenen Arbeitsaufgabe gewidmet. Das ihr zugewiesene Büro sei voll ausgestattet gewesen. Die räumliche Veränderung sei ausschließlich durch den Wechsel von Mitarbeitern einer Schwesterfirma zu ihr - der Beklagten - bedingt gewesen. Es habe auch kein Verbot bestanden, mit Arbeitskollegen Kontakt zu pflegen. Soweit sich die Klägerin auf gegenteilige subjektive Einschätzungen berufe, handele es sich um Schutzbehauptungen. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe versucht, durch eine verzerrende Darstellung der betrieblichen Verhältnisse einen Prozesserfolg zu ihrem - der Beklagten - Nachteil zu erzielen.
- 12
-
Zumindest sei der Auflösungsantrag begründet. Eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit mit der Klägerin sei nicht mehr zu erwarten. Man führe mittlerweile mehrere Rechtsstreitigkeiten gegeneinander, in denen die Klägerin bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe. Ihr fehle zudem die Bereitschaft, ihre neue Vorgesetzte zu akzeptieren.
- 13
-
Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.
- 14
-
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben; ihren Auflösungsantrag hatte die Beklagte erstinstanzlich noch nicht gestellt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin auch mit Blick auf den Auflösungsantrag die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
- 15
-
Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und im Umfang des Feststellungsbegehrens zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen war die Sache mangels Entscheidungsreife an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
- 16
-
A. Die Revision ist zulässig. Dass sie vor Zustellung des Berufungsurteils eingelegt wurde, ist unerheblich. Es genügt, dass im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung - wie hier - die angefochtene Entscheidung bereits verkündet war (vgl. BAG 26. Juli 2012 - 6 AZR 52/11 - Rn. 18 mwN). Die Revisionsbegründungsfrist (§ 74 Abs. 1 Satz 1 bis 3 ArbGG) ist gewahrt.
- 17
-
B. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Kündigung vom 30. November 2011 ist unwirksam (I.). Ob der damit zur Entscheidung angefallene Auflösungsantrag der Beklagten begründet ist, steht noch nicht fest (II.). Der insoweit gebotenen Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung (III.).
- 18
-
I. Die Kündigung ist unwirksam. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt und deshalb sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG).
- 19
-
1. Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 13; 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20 mwN).
- 20
-
2. Gibt der Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit dem Arbeitgeber vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung ab, kann dies die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - womöglich gar die außerordentliche - rechtfertigen (st. Rspr., BAG 24. November 2005 - 2 ABR 55/04 - Rn. 23; 20. November 1987 - 2 AZR 266/87 - zu II 2 a der Gründe mwN). Ein solches Verhalten stellt - unabhängig von seiner Strafbarkeit - eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie in zumutbarem Umfang zu wahren. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer in einem Gerichtsverfahren mit dem Arbeitgeber leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellt, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22).
- 21
-
3. Ein Arbeitnehmer kann sich für falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Unrichtige Angaben sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die ein Werturteil enthalten. Sie können zum einen - ebenso wie rechtliche Schlussfolgerungen oder die Wiedergabe subjektiver Einschätzungen - nicht tauglicher Gegenstand einer eidesstattlichen Versicherung sein (vgl. MünchKommStGB/Müller 2. Aufl. § 156 Rn. 60). Im Zivilprozess können lediglich tatsächliche Behauptungen durch Versicherung an Eides statt glaubhaft gemacht werden (§ 294 Abs. 1 ZPO). Werturteile fallen zum anderen in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21).
- 22
-
4. Eine Tatsachenbehauptung zeichnet sich dadurch aus, dass die Erklärung einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35; BGH 22. Februar 2011 - VI ZR 120/10 - Rn. 22; jeweils mwN). Falsch ist eine Behauptung, wenn sie im Hinblick auf ihren Gegenstand der Wahrheit nicht entspricht, also die Wirklichkeit unzutreffend wiedergibt. Das ist der Fall, wenn der Inhalt der Aussage mit der objektiven Sachlage nicht übereinstimmt. Auch das Verschweigen von Tatsachen macht eine Behauptung falsch, wenn die spezifische Unvollständigkeit nicht offenbart, sondern die Aussage als vollständige ausgegeben wird und dadurch ihr Gegenstand in einem falschen Licht erscheint (BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 a der Gründe mwN; Cramer Jura 1998, 337). Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass jede Äußerung in ihrem Kontext zu sehen ist und nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden darf (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40; BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 der Gründe). Das gilt auch im Rahmen der Beurteilung, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist (vgl. BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - aaO). Die jeweilige Einstufung durch das Berufungsgericht unterliegt der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle (vgl. BGH 16. November 2004 - VI ZR 298/03 - zu II 2 a aa der Gründe; zum Fehlen einer Bindung an die Feststellungen der Tatsachengerichte siehe auch BVerfG 19. April 1990 - 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 82, 43).
- 23
-
5. Danach war eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht gerechtfertigt.
- 24
-
a) Die Beklagte stützt ihre Kündigung auf die eidesstattliche Versicherung der Klägerin vom 27. Oktober 2011. Diese scheidet nicht deshalb als Kündigungsgrund aus, weil sich die Parteien in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf einen Vergleich verständigt haben. Dadurch hat die Beklagte nicht zum Ausdruck gebracht, sie werde aus dem vorausgegangenen Verhalten der Klägerin keine nachteiligen Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses mehr ableiten. Mit der Kündigung hat sich die Beklagte auch nicht in einen nach § 242 BGB beachtlichen Widerspruch zu den materiellen Regelungen des Vergleichs gesetzt. Die Verständigung über die Modalitäten einer Beschäftigung der Klägerin bezieht sich auf das ungekündigte Arbeitsverhältnis. Die Regelungen sollten überdies allenfalls bis zum 15. Dezember 2011 gelten und hatten dementsprechend nur vorläufigen Charakter. Jedenfalls an einer ordentlichen, für einen späteren Zeitpunkt erklärten Kündigung war die Beklagte aufgrund des Vergleichs nicht gehindert. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
- 25
-
b) Nicht frei von Rechtsfehlern ist seine Würdigung, die eidesstattliche Erklärung enthalte in allen beanstandeten Punkten falsche Tatsachenbehauptungen.
- 26
-
aa) Bei der Äußerung der Klägerin, sie habe eine Kollegin in „ihre bisherigen Tätigkeiten“ einarbeiten müssen, mag es sich zwar um eine Tatsachenbehauptung handeln. Diese ist aber nicht deshalb objektiv falsch, weil die Klägerin ihre Kollegin - unstreitig - lediglich in die „Patientenselektion der Datenbank“ und das monatliche Berichtswesen, demnach nur in einem Teil ihrer Arbeitsaufgaben einweisen musste. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Klägerin habe in ihrer Versicherung - fälschlich - zum Ausdruck gebracht, sie habe die Kollegin in sämtliche ihrer Tätigkeiten einarbeiten müssen, übersieht es, dass die beanstandete Aussage einen solchen Sinn schon dem Wortlaut nach nicht enthält.
- 27
-
bb) Ein solches Verständnis ist nicht deshalb geboten, weil die Klägerin im letzten Absatz ihrer Versicherung angegeben hat, ihr seien „sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen worden“. Die Äußerung schließt sich unmittelbar an die Behauptung an, ihr seien seit dem 17. Oktober 2011 „faktisch“ keine Aufgaben mehr übertragen worden. Das lässt zum einen die Interpretation zu, dass sie mit der beanstandeten Aussage - erneut - nur auf das Fehlen konkreter Arbeitsaufgaben hat hinweisen wollen. Der aufgezeigte Kontext spricht zum anderen - ausgehend vom verständigen Empfängerhorizont - dafür, dass die Klägerin mit ihrer Aussage einen wertenden, von ihrem subjektiven Dafürhalten und Meinen geprägten Schluss hat ziehen wollen, der auf dem Ausbleiben von Aufgabenzuweisungen beruhte. Darauf, ob diese Wertung objektiv vertretbar war, kommt es nicht an. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird dadurch die Äußerung nicht zu einer reinen Tatsachenbehauptung.
- 28
-
cc) Ob es sich bei den Ausführungen zum „faktischen“ Fehlen einer Aufgabenübertragung um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, kann dahinstehen. Die Beklagte hat für den erstgenannten Fall nicht dargetan, die Aussage sei erweislich falsch. Sie hat lediglich auf die Stellenbeschreibung und der Klägerin darin übertragene Arbeitsaufgaben verwiesen. Darauf kommt es ebenso wenig an wie auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob zu diesen der Klägerin allgemein übertragenen Tätigkeiten die Auswertung von Patientendatenbanken zählte. Die fragliche Äußerung in der eidesstattlichen Versicherung hebt erkennbar auf das - unstreitige - Ausbleiben einer Zuweisung spezifischer zu erledigender Arbeiten in der Zeit nach dem 17. Oktober 2011 ab.
- 29
-
dd) Soweit die Klägerin versichert hat, sie sitze in einem „leeren Büro“, sprechen schon die von ihr gesetzten Anführungszeichen deutlich dafür, dass es sich insoweit um eine Wertung und nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt. Umstände, die einem solchen Verständnis widersprechen, sind nicht ersichtlich. Die beanstandete Aussage kann nicht tauglicher Inhalt einer eidesstattlichen Versicherung sein. Das gilt unabhängig davon, ob die Äußerung sich auf die technische Ausstattung des Büros oder darauf bezog, dieses sei „leer“ an Aufgaben und anderen Menschen.
- 30
-
ee) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe mit der Äußerung, sie „dürfe“ keinen Kontakt zu Mitarbeitern und Kollegen haben, objektiv und wahrheitswidrig behauptet, die Beklagte habe ihr gegenüber ein entsprechendes Verbot ausgesprochen, liegt fern. Zwar schließt der Wortlaut der Erklärung eine solche Deutung nicht gänzlich aus. Sie kann aber ebenso gut als wertende Beschreibung eines tatsächlichen Zustands verstanden werden. Im Ergebnis liegt ein solches Verständnis näher. Zum einen schließt sich die Aussage unmittelbar an die Ausführungen zur „Leere“ des zugewiesenen Büros an. Zum anderen hat die Klägerin, wenn sie bestimmte konkrete Anordnungen und Weisungen seitens der Beklagten behauptet hat, dies jedes Mal - insbesondere durch zeitliche Eingrenzung - eigens deutlich gemacht.
- 31
-
c) Die Kündigung ist selbst dann nicht durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt, wenn zugunsten der Beklagten angenommen wird, jedenfalls die Äußerung der Klägerin, ihr seien „sämtliche Aufgaben […] entzogen [worden]“, stelle eine unzutreffende, die wahren Gegebenheiten verzerrende Tatsachenbehauptung dar. Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen tragen nicht das Ergebnis, die Klägerin habe insoweit vorsätzlich falsche Angaben gemacht.
- 32
-
aa) Vorsatz besteht im Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Bedingter Vorsatz reicht dafür aus (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 22; 28. April 2011 - 8 AZR 769/09 - Rn. 50; für den Anwendungsbereich von § 156 StGB vgl. Fischer StGB 61. Aufl. § 156 Rn. 17; MünchKommStGB/Müller § 156 Rn. 79). Der an Eides statt Erklärende muss demnach wissen, welche Tatsachen seine Erklärungspflicht begründen. Er muss zudem die Unrichtigkeit seiner Behauptungen erkennen und deren Unwahrheit in seinen Erklärungswillen aufnehmen. Er muss die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - aaO).
- 33
-
bb) Die Bewertung eines Fehlverhaltens als vorsätzlich oder fahrlässig liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Sie ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung iSv. § 286 ZPO. Das Revisionsgericht kann die Feststellung innerer Tatsachen nur daraufhin prüfen, ob das Tatsachengericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 24; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16).
- 34
-
cc) Die angefochtene Entscheidung hält auch dieser eingeschränkten Überprüfung nicht stand.
- 35
-
(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe die Unwahrheit ihrer Aussage erkannt und in ihren Willen aufgenommen. Die behaupteten Umstände seien Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen und es gebe keine Anhaltspunkte für die Annahme, sie habe bei der Abfassung der eidesstattlichen Erklärung nicht genügend Sorgfalt walten lassen.
- 36
-
(2) Diese Beurteilung lässt außer Acht, dass der Klägerin mit ihren Weisungsbefugnissen und dem Berichtswesen wesentliche, für ihre Leitungstätigkeit charakteristische Aufgaben entzogen worden waren. Unabhängig vom zeitlichen Umfang dieser Tätigkeiten ist es nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin in ihnen subjektiv den Kern ihrer Tätigkeit erblickt hat. Da ihr nach dem 17. Oktober 2011 bis auf die Einarbeitung einer Kollegin keine anderen konkrete Arbeitsanweisungen mehr erteilt worden waren, mag bei ihr durchaus der Eindruck entstanden sein, sie habe „nichts mehr zu tun“ und dies sei auch so gewollt. Dem steht die Aufgabe, Patientendaten auszuwerten, nicht zwingend entgegen. Die Klägerin rechnete diese Tätigkeit nicht zu ihrem originären Zuständigkeitsbereich. Selbst wenn sie insoweit geirrt haben sollte, bedeutet dies nicht, es könne sich bei ihrer Einlassung, sie habe den Sachverhalt aus ihrer damaligen subjektiven Sicht zutreffend geschildert, nur um eine Schutzbehauptung handeln.
- 37
-
(3) Unabhängig davon liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, die Klägerin habe gemeint, die ihr angelasteten Übertreibungen seien erforderlich gewesen, um das angestrebte Verfahrensziel - eine tatsächliche Beschäftigung als „Direct Marketing Supervisor“ - zu erreichen. Als wesentlichen Kern ihrer Leitungstätigkeit hat sie die ihr entzogenen Weisungsbefugnisse gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern und das monatliche Reporting über „DM-Aktivitäten“ angesehen. Ob dies ausgereicht hätte, den geltend gemachten Beschäftigungsanspruch vor Gericht durchzusetzen, kann dahinstehen. Jedenfalls muss die Klägerin nicht etwa notwendig davon ausgegangen sein, sie habe auf die Rechtssache durch die Behauptung, ihr seien „sämtliche“ Aufgaben entzogen worden, ein völlig falsches Licht geworfen.
- 38
-
d) Der Senat konnte über den Kündigungsschutzantrag selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Eine weitere Sachaufklärung wäre auch nach einer Zurückverweisung nicht zu erwarten. Gegen die Klägerin kann allenfalls der Vorwurf erhoben werden, sie habe die eidesstattliche Erklärung nicht vorsichtig genug formuliert und habe in Teilen leichtfertig falsche Angaben gemacht. Angesichts dessen ist die Kündigung unverhältnismäßig. Als Mittel zur Herbeiführung künftiger Vertragstreue hätte eine Abmahnung ausgereicht.
- 39
-
aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(vgl. BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 21; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).
- 40
-
bb) Im Streitfall wiegt das Verhalten der Klägerin nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Zwar mag die Klägerin einer Fehlvorstellung Vorschub geleistet haben, soweit sie behauptet und durch ihre eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht hat, ihr seien „sämtliche Aufgaben entzogen [worden]“. Auch mag das dieser Äußerung innewohnende überschießende Element für sie leicht erkennbar gewesen sein. Ihr kann aber mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, sie habe durch eine verzerrende Darstellung den Ausgang des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entscheidend zu ihren Gunsten beeinflussen wollen. Auch hatte sie ihrem Antrag eine Stellenbeschreibung beigefügt, aus der sich der Umfang der ihr obliegenden Arbeitsaufgaben ergab. Danach und angesichts ihrer Behauptung, ihr sei mit dem Entzug der Teamleitung gleichzeitig aufgegeben worden, zukünftig unmittelbar an den „Managing Director/Country Manager“ zu berichten - was einer gänzlichen Beschäftigungslosigkeit widersprach - musste ihre Behauptung, ihr seien „sämtliche Aufgaben […] entzogen [worden]“, wenn nicht als substanzlos, so doch als erläuterungsbedürftig erscheinen. Dies hat das Arbeitsgericht, das im Ursprungsverfahren Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt hatte, ersichtlich nicht anders bewertet. Überdies war die Klägerin durch den unvermittelten Entzug der Führungsverantwortung emotional stark belastet. Die Beklagte hatte die Maßnahme der Klägerin gegenüber nicht näher begründet. Auch im vorliegenden Rechtsstreit hat sie keine konkreten Vorfälle benannt, die ihr Anlass gegeben hätten, der Klägerin Führungsqualitäten und/oder teamorientiertes Arbeiten abzusprechen. Dies vermag deren hier zu beurteilendes Verhalten zwar nicht gänzlich zu entschuldigen. Es lässt ihr Vorgehen aber in einem milderen Licht erscheinen.
- 41
-
cc) Ob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das maßgeblich auf die Strafbarkeit des in Rede stehenden Verhaltens abgestellt hat, auch deshalb keinen Bestand haben kann, weil das Amtsgericht gegenüber der Klägerin den Erlass eines Strafbefehls wegen falscher eidesstattlicher Versicherung mittlerweile abgelehnt hat, bedarf keiner Erörterung (zur grundsätzlichen Verpflichtung der Gerichte für Arbeitssachen, den Sachverhalt selbst aufzuklären vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 25 mwN).
- 42
-
II. Wegen ihres Unterliegens im Kündigungsrechtsstreit fällt der Hilfsantrag der Beklagten zur Entscheidung an. Dazu war die Sache mangels Entscheidungsreife an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
- 43
-
1. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist aufgrund des Rechtsmittels der Klägerin in die Revision gelangt, auch wenn das Landesarbeitsgericht über ihn folgerichtig nicht entschieden hat. Einer Anschlussrevision der Beklagten bedurfte es nicht (vgl. BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu A I der Gründe; 20. August 1997 - 2 AZR 620/96 - zu II 4 der Gründe).
- 44
-
2. Die Voraussetzungen, unter denen der Arbeitgeber berechtigt ist, den Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu stellen, liegen im Streitfall vor. Die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 30. November 2011 beruht allein auf ihrer Sozialwidrigkeit (zu dieser Voraussetzung BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 19 mwN, BAGE 140, 47). Sie ist - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat - nicht nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB unwirksam. Einer Zustimmung des Integrationsamts bedurfte es nicht.
- 45
-
a) Die Klägerin ist nicht schwerbehindert iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX. Der Grad ihrer Behinderung beträgt gemäß dem Bescheid des Versorgungsamts vom 17. Juli 2012 lediglich 30.
- 46
-
b) Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung einem schwerbehinderten Menschen nicht gleichgestellt. Eine Gleichstellung ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 18. September 2012 ist ihr eine Gleichstellung lediglich für den Fall zugesichert worden, dass ein Arbeitgeber ihre Einstellung von einer solchen Gleichstellung abhängig mache. Selbst wenn ein solcher „Zusicherungsbescheid“ (zu den Voraussetzungen vgl. LSG Hessen 11. Juli 2007 - L 7 AL 61/06 -) kündigungsrechtlich wie eine Gleichstellung zu behandeln sein sollte, wirkte er frühestens auf den Tag der Antragstellung - den 26. Juli 2012 - zurück. Vor diesem Zeitpunkt kommt ein Sonderkündigungsschutz der Klägerin nicht in Betracht.
- 47
-
aa) Nach § 85 SGB IX iVm. § 68 Abs. 1 und 3, § 2 Abs. 3 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers, der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Gemäß § 68 Abs. 2 SGB IX erfolgt die Gleichstellung eines behinderten Menschen mit schwerbehinderten Menschen auf dessen Antrag durch eine Feststellung nach § 69 SGB IX seitens der Bundesagentur für Arbeit.
- 48
-
bb) Die Gleichstellung wird gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam. Die behördliche Entscheidung ist für die Rechtsposition des Betroffenen konstitutiv. Im Unterschied zu den kraft Gesetzes geschützten Personen, bei denen durch die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch der gesetzlich bestehende Rechtsschutz nur festgestellt wird, wird der Schutz des Behinderten durch die Gleichstellung erst begründet (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - Rn. 39; 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - zu B II 1 a der Gründe). Die Bundesagentur für Arbeit darf die Gleichstellung rückwirkend nicht über den Tag des Eingangs des Antrags hinaus aussprechen (Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 68 Rn. 24). Einer erst nach Zugang der Kündigung beantragten Gleichstellung kommt demzufolge für die Wirksamkeit der Kündigung - selbst bei einem positiven Bescheid - keine Bedeutung zu (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - aaO; 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - aaO).
- 49
-
cc) Die Klägerin hat ihren Antrag auf Gleichstellung erst am 26. Juli 2012 und damit nach Zugang der Kündigung gestellt. Im Verhältnis zur Beklagten ist es unerheblich, ob sie ihn, wäre ihr Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch schneller beschieden worden, schon früher gestellt hätte. Der Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch wiederum enthält - anders als die Klägerin meint - nicht zugleich einen Antrag auf Gleichstellung für den Fall, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 30 festgestellt werden sollte.
- 50
-
(1) Die Klägerin hat nicht behauptet, sie habe schon beim Versorgungsamt einen solchen (Hilfs-)Antrag ausdrücklich angebracht.
- 51
-
(2) Ohne entsprechende Erklärung wiederum kann in dem Anerkennungsantrag nicht zugleich ein (vorsorglicher) Antrag auf Gleichstellung erblickt werden. Dies folgt schon daraus, dass für die Anträge unterschiedliche Behörden zuständig sind. Die Entscheidung über die Anerkennung obliegt den zuständigen Versorgungsämtern oder den durch Landesrecht bestimmten Behörden (§ 69 Abs. 1 SGB IX)bzw. den in § 69 Abs. 2 SGB IX genannten Dienststellen. Die Entscheidung über die Gleichstellung fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Unabhängig davon sind die Feststellung einer Schwerbehinderung und die Gleichstellung an unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen gebunden, die zu unterschiedlichen Prüfungen der jeweils zuständigen Stellen führen. Im Übrigen kann nicht als selbstverständlich unterstellt werden, dass ein behinderter Mensch für den Fall der Erfolglosigkeit eines Anerkennungsantrags seine Gleichstellung beantragen will.
- 52
-
(3) Die Trennung der Verfahren erschwert es Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 nicht in unzumutbarer Weise, Sonderkündigungsschutz zu erlangen. Sie können vielmehr beide Verfahren von Beginn an parallel betreiben, insbesondere den Gleichstellungsantrag bei der Bundesanstalt vorsorglich für den Fall stellen, dass der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft wegen eines GdB unter 50 beim Versorgungsamt erfolglos bleiben sollte (Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 11). Auch wenn die Versorgungsämter gehalten sein sollten, auf die Möglichkeit einer vorsorglichen Antragstellung bei der Bundesanstalt hinzuweisen (vgl. dazu Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 10, 11; Lampe in Großmann GK-SGB IX § 90 Rn. 65, 103; Schorn in Müller-Wenner/Schorn SGB IX Teil 2 § 68 Rn. 34), folgte daraus selbst bei einer Verletzung der Hinweispflicht nicht, dass einer Gleichstellung Wirkung auf einen Zeitpunkt vor Eingang des Antrags bei der Bundesagentur für Arbeit zukommen könnte. Für die bloße Zusicherung einer erforderlich werdenden Gleichstellung gilt nichts anderes.
- 53
-
c) Die kündigungsrechtlich unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 und schwerbehinderten Arbeitnehmern iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX stellt keine Diskriminierung der weniger stark behinderten Arbeitnehmer nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16) dar. Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vor. Die weniger stark behinderten Arbeitnehmer erfahren nicht „wegen ihrer Behinderung“ eine ungünstigere Behandlung. Sie werden nicht weniger günstig als nicht behinderte Arbeitnehmer behandelt, sondern weniger günstig als stärker behinderte (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - Rn. 39).
- 54
-
3. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob der Auflösungsantrag im Übrigen begründet ist. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob Gründe vorliegen, die einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. Es hat sich mit den dafür behaupteten Tatsachen nicht befasst und insoweit keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachholen müssen.
- 55
-
III. Der Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Er ist darauf gerichtet, die Beklagte zu verurteilen, sie „bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens“ in der zuletzt ausgeübten Funktion weiter zu beschäftigen. Zum Kündigungsschutzverfahren zählt der Auflösungsantrag der Beklagten. Aus diesem Grund ist der von der Klägerin aufrechterhaltene Weiterbeschäftigungsantrag als unechter Hilfsantrag zu verstehen, über den nur unter der Voraussetzung zu entscheiden ist, dass sie mit ihrem Feststellungsantrag obsiegt und der Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen wird. Keine dieser Prämissen ist bislang erfüllt. Ob ein Antrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG, solange er nicht abschlägig beschieden worden ist, ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers zu begründen vermag(vgl. BAG 16. November 1995 - 8 AZR 864/93 - zu E der Gründe, BAGE 81, 265), bedarf deshalb keiner Entscheidung.
-
Kreft
Niemann
Berger
Bartz
Alex
Tenor
-
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Februar 2011 - 3 Sa 474/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier fristloser, hilfsweise fristgerechter Kündigungen.
- 2
-
Der Kläger war bei der Beklagten seit 2005 als Chefarzt der Abteilung Allgemein- und Viszeralchirurgie beschäftigt.
-
In § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags vom 18. April 2005 heißt es:
-
„Dem Arzt obliegt die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich …“
- 4
-
Gem. § 20 Abs. 3 des Vertrags kann dieser „nach Ablauf der Probezeit … fristlos gemäß § 626 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden“.
- 5
-
Wenn der Kläger Operationen durchführte, nahm er den schnurlosen Handapparat seines Diensttelefons und sein privates Mobiltelefon mit in den Operationssaal und legte dort beide Geräte auf den Ablagetisch. Das private Mobiltelefon war in der internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet und dort mit einer Kurzwahlnummer hinterlegt.
- 6
-
Mit Schreiben vom 26. September 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger „aus wichtigem Grunde fristlos, hilfsweise zum nächstzulässigen ordentlichen Kündigungstermin“. Sie warf dem Kläger vor, er habe im Operationssaal häufiger Telefonanrufe angenommen oder während laufender Operationen von einem Mitglied des Operationsteams annehmen lassen. Mit Schreiben vom 14. und vom 22. Oktober 2008 kündigte die Beklagte erneut fristlos, hilfsweise fristgemäß.
- 7
-
Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat behauptet, im Krankenhaus der Beklagten sei die Nutzung von privaten Mobiltelefonen auch im Operationssaal allgemein üblich gewesen. Fast alle Anrufe während einer Operation seien als hausinterne auf dem Diensttelefon eingegangen und die übrigen nur deshalb auf seinem privaten Mobiltelefon, weil dieses in der internen Telefonliste des Krankenhauses aufgeführt sei. Die während einer Operation geführten Telefonate hätten sich erst in den Monaten Juli bis September 2008 gehäuft, weil seine Sekretärin erkrankt gewesen sei und ihm nur zu sehr eingeschränkten Zeiten eine Ersatzkraft zur Verfügung gestanden habe. Er habe für niedergelassene Ärzte jederzeit erreichbar sein müssen. Diesen habe er neben der Telefonnummer seines Sekretariats auch die seines privaten Mobiltelefons überlassen. Zu keiner Zeit sei ein Patient von ihm unsteril berührt worden. Zu einer zeitlichen Verzögerung von Operationen sei es nicht gekommen. Bei laufender Operation habe ihm ein anderes Mitglied des Operationsteams das Telefon an das Ohr gehalten. Im Übrigen führe selbst eine Verlängerung der Operation um wenige Minuten nicht zu einer Erhöhung der Komplikationsrate.
-
Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Belang - beantragt
-
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 26. September, 14. Oktober und 22. Oktober 2008 weder fristlos noch zum jeweils nächst zulässigen Termin aufgelöst worden ist.
- 9
-
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, schon die Kündigung vom 26. September 2008 sei als fristlose wirksam. Sie hat behauptet, der Kläger habe in zahlreichen Fällen Operationen zum Führen privater Telefonate unterbrochen. Insbesondere in den Monaten Juli, August und September 2008 habe er täglich mindestens ein Telefonat von bis zu fünf Minuten Länge geführt. Teilweise habe er den Operationssaal für die Dauer von deutlich mehr als fünf Minuten verlassen und dabei den noch nicht operierten Patienten zurückgelassen. Jede Verlängerung der Narkose bedeute für den Patienten eine erhebliche Belastung, die mit schwerwiegenden gesundheitlichen Risiken einhergehe.
- 10
-
Die Kündigung vom 14. Oktober 2008 beruhe darauf, dass der Kläger die Patienten auch in seiner Sprechstunde wegen privater Telefonate habe warten lassen. Im Jahr 2008 hätten zudem ca. 20 bis 25 Operationsberichte gefehlt. Ferner habe der Kläger bei der Landesärztekammer eine Weiterbildungsermächtigung unter Angabe falscher Daten beantragt. Die Kündigung vom 22. Oktober 2008 habe sie ausgesprochen, weil der Kläger die vorhergehende mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückgewiesen habe.
-
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
- 12
-
Die Revision ist unbegründet.
- 13
-
A. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 26. September 2008 aufgelöst worden.
- 14
-
I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).
- 15
-
1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349).
- 16
-
2. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, NJW 2013, 104; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, aaO).
- 17
-
II. Danach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das dem Kläger vorgeworfene Verhalten rechtfertige keine außerordentliche Kündigung, im Ergebnis nicht zu beanstanden.
- 18
-
1. Der Kläger hat allerdings seine Vertragspflichten in erheblicher Weise verletzt, indem er sein privates Mobiltelefon im Operationssaal auch zu privat veranlassten Telefonaten genutzt hat. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass die Beklagte Telefonate im Operationssaal keineswegs gänzlich und kategorisch untersagt hatte.
- 19
-
a) Nach § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags obliegt dem Kläger die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich. Sowohl im Hinblick auf seine leitende Position als auch auf die gesteigerte Verantwortung für Leben und Gesundheit der Patienten während einer Operation trifft ihn danach die Verpflichtung, bei Ausführung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit Störungen, die die Konzentration aller Mitglieder des Operationsteams beeinträchtigen könnten und nicht durch Notfälle bedingt oder aus medizinischen Gründen erforderlich sind, zu vermeiden.
- 20
-
b) Diese Vertragspflicht hat der Kläger verletzt.
- 21
-
aa) Das Landesarbeitsgericht hat nach der Vernehmung von Zeugen für wahr erachtet, dass Mitglieder des Operationsteams auf Geheiß des Klägers während laufender Operationen Anrufe auch auf seinem privaten Mobiltelefon entgegengenommen und an ihn weitergeleitet haben. Der Kläger habe auf diesem etwa zwei bis drei Telefonate pro Vormittag für eine Dauer von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten geführt, teilweise bei offenem Operationsfeld. Insgesamt ein- oder zweimal sei seine Ehefrau am Apparat gewesen; den Umständen sei zu entnehmen gewesen, dass diese Telefonate rein privaten Charakter gehabt hätten.
- 22
-
bb) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts lässt keine Rechtsfehler erkennen. Sie hat den gesamten Inhalt der Verhandlung gewürdigt, ist in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze.
- 23
-
(1) Das Gericht hätte entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen haben müssen, weil diese über Wartezeiten vor und Telefonate während laufender Operationen berichtet haben, ohne zu erwähnen, dass dies auch bei anderen Operateuren vorgekommen sei. Die Zeugen wurden zum Verhalten des Klägers und nicht zu den Üblichkeiten im Krankenhaus befragt.
- 24
-
(2) Das Ergebnis der Beweiswürdigung widerspricht - anders als der Kläger meint - nicht deshalb der Lebenserfahrung, weil dieser gar nicht befugt gewesen sei, die Entgegennahme privater Telefonate durch Mitglieder des Operationsteams anzuordnen. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass ein Arbeitnehmer nur Aufgaben übernimmt, zu deren Übertragung der Anweisende berechtigt ist. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass sich Mitarbeiter eines Krankenhauses Anweisungen des Chefarztes aufgrund seiner hierarchischen Stellung weitgehend beugen.
- 25
-
(3) Das Landesarbeitsgericht hat keine wesentlichen Inhalte der Zeugenaussagen unberücksichtigt gelassen.
- 26
-
(a) Zwar hat die Beweisaufnahme ergeben, dass auch andere Operateure am Operationstisch telefonierten. Nach Aussage des betreffenden Zeugen erfolgte dies jedoch auf dem dienstlichen Handapparat. Das Landesarbeitsgericht musste hieraus nicht den Schluss ziehen, das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen sei üblich.
- 27
-
(b) Der Umstand, dass ein Zeuge nach eigener Aussage ebenfalls sein privates Mobiltelefon in den Operationssaal mitgenommen hat, vermag den Kläger nicht zu entlasten. Der Aussage sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Beklagte dieses Verhalten geduldet hat.
- 28
-
cc) Das Vorbringen des Klägers, er habe während der Zeit der Krankheit seiner Sekretärin dienstliche Telefonate vermehrt selbst annehmen müssen, ist ohne Belang. Das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen wird dadurch nicht gerechtfertigt.
- 29
-
dd) Soweit der Kläger geltend macht, die Nutzung von Mobiltelefonen bei Operationen sei gang und gäbe und habe sich im Sinne der Patientenversorgung sogar als vorteilhaft erwiesen, ist nicht ersichtlich, weshalb dies - die Richtigkeit des Vorliegens unterstellt - auch für private Telefonate gelten sollte.
- 30
-
2. Gleichwohl ist es der Beklagten zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen. Angesichts der Umstände des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht. Das vermag der Senat selbst zu entscheiden.
- 31
-
a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu. Eine eigene Beurteilung der Fallumstände und Abwägung der Interessen durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Ein solcher Fall liegt hier vor.
- 32
-
b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwar habe es einer Abmahnung des Klägers nicht bedurft, im Rahmen der abschließenden Interessenabwägung überwiege jedoch das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. Dem folgt der Senat nur im Ergebnis. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts ist rechtsfehlerhaft. Sie berücksichtigt nicht ausreichend die Umstände des Streitfalls. Angesichts ihrer ist eine Abmahnung als Reaktion der Beklagten ausreichend.
- 33
-
aa) Bei der Beklagten besteht nicht etwa ein generelles Verbot, während einer Operation zu telefonieren. Vielmehr ist zwischen den Parteien unstreitig, dass dienstliche Telefonate während laufender Operationen von der Beklagten zumindest geduldet wurden. Dementsprechend hat sie die Mitnahme des Diensttelefons in den Operationssaal und dessen Benutzung durch den Kläger nicht beanstandet. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, sie habe Vorgaben für das Telefonieren während einer Operation dahingehend gemacht, dass dies nur in Not- oder Ausnahmefällen gestattet sei. Sie hat damit jedenfalls für Fälle dienstlich veranlasster Telefonate billigend in Kauf genommen, dass die Konzentration der Mitglieder eines Operationsteams durch Telefonate beeinträchtigt würde, auch ohne dass ein Not- oder Ausnahmefall vorläge. Der Kläger durfte zwar nicht annehmen, die Beklagte dulde in gleicher Weise auch das Führen privater Telefonate während laufender Operationen. Sein vertragswidriges Verhalten erscheint unter diesen Umständen aber in einem deutlich milderen Licht. Mit privaten Telefonaten ist keine andere Beeinträchtigung der ärztlichen Konzentration und Gefahr für die Sterilität der Umgebung verbunden als mit dienstlich veranlassten. Sie erhöhen die fraglichen Risiken nur in quantitativer, nicht in qualitativer Hinsicht. Zahlenmäßig wiederum waren die privat veranlassten Gespräche eher unbedeutend. So hat das Landesarbeitsgericht zwar für wahr erachtet, dass pro Vormittag im Operationssaal zwei bis drei Anrufe in einer Länge von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten auf dem privaten Mobiltelefon des Klägers zusätzlich zu denen auf dem Arzttelefon eingingen. Es steht aber nicht einmal fest, dass es sich dabei ausnahmslos - und nicht nur in den wenigen ausdrücklich erwähnten Einzelfällen - um private Anrufe handelte. Da die Rufnummer des Mobiltelefons in der internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet war, kann dies auch nicht ohne Weiteres vermutet werden. Zudem ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts weder die seitens der Beklagten vorgetragene - längere - Dauer der Telefonate von bis zu fünf Minuten noch ihre Behauptung erwiesen, der Kläger habe Operationen wegen privat - und gerade nicht dienstlich - veranlasster Telefongespräche unterbrochen.
- 34
-
bb) Unter diesen Umständen war vor Ausspruch einer auf die erhobenen Vorwürfe gestützten Kündigung eine Abmahnung des Klägers nicht entbehrlich. Weder gibt es Anhaltspunkte für die Annahme, eine Abmahnung hätte eine Änderung im Verhalten des Klägers in der Zukunft nicht bewirken können, noch wiegt dessen Pflichtverletzung - nicht nur dienstlich veranlasste, sondern auch einige private Telefongespräche aus dem Operationssaal geführt zu haben - so schwer, dass selbst ihre einmalige Hinnahme der Beklagten objektiv unzumutbar wäre. Etwas anderes folgt - entgegen der Auffassung der Revision - auch nicht daraus, dass der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme am 29. Mai 2008 verspätet zur Operation erschienen ist. Dies blieb ein vereinzelter Vorfall.
- 35
-
cc) Der Umstand, dass das Landesarbeitsgericht auf die mit dem Beweisbeschluss vom 2. Februar 2010 vorgesehene Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Verhaltensanforderungen des medizinischen Personals bei Operationen, zum Einfluss des Bereithaltens von Mobiltelefonen auf medizinisch-technische Geräte und zu den Gefahren einer Insterilität des Telefons verzichtet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
- 36
-
(1) Das Landesarbeitsgericht war nicht deshalb zur Beweiserhebung verpflichtet, weil es den entsprechenden Beweisbeschluss erlassen hat. Ein förmlicher Beweisbeschluss ist eine bloß prozessleitende Anordnung. Er ist für das Gericht nicht bindend (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 359 Rn. 1; Musielak/Stadler ZPO 9. Aufl. § 360 Rn. 2). Es kann vielmehr ganz oder teilweise von der Erledigung des Beschlusses absehen. Dessen formeller Aufhebung bedarf es dazu nicht. Es genügt, dass dies - wie hier geschehen - im Urteil begründet wird (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 360 Rn. 1; Musielak/Stadler aaO).
- 37
-
(2) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe jedenfalls aus materiellrechtlichen Gründen nicht von einer Einholung des Gutachtens absehen dürfen, ist bereits unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO. Es fehlt an der Darlegung, welches Ergebnis das Gutachten voraussichtlich erbracht hätte und weshalb dieses Ergebnis zu einer anderen Entscheidung des Berufungsgerichts hätte führen können. Die Rüge ist überdies unbegründet. Auf die zunächst als erheblich angesehenen Beweisfragen kommt es für die Entscheidung nicht an. Die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung hängt nicht davon ab, ob und ggf. welche medizinisch relevanten Risiken mit der Benutzung von (Mobil-)Telefonen im Operationssaal und während laufender Operationen objektiv verbunden sind. Die Gerichte für Arbeitssachen haben im vorliegenden Zusammenhang nicht über die Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst und der Hygiene im Hause der Beklagten zu urteilen. Zu entscheiden ist darüber, ob es der Beklagten unzumutbar ist, mit dem Kläger weiterhin zusammenzuarbeiten, weil dieser nicht nur dienstlich veranlasste Telefonate aus dem Operationssaal mit Arzt- und Mobiltelefon führte - was sie wusste und duldete -, sondern auch einige Privatgespräche. Dafür sind die im ursprünglichen Beweisbeschluss formulierten Fragen ohne Bedeutung.
- 38
-
B. Die Kündigung vom 26. September 2008 hat auch als ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung im Streitfall nicht ohnehin vertraglich ausgeschlossen war. Die Kündigung ist nicht iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen und auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.
- 39
-
C. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist ebenso wenig durch die Kündigungen vom 14. und 22. Oktober 2008 beendet worden. Die Vorinstanzen haben angenommen, das ihrer Begründung dienende Vorbringen der Beklagten sei unsubstantiiert und stütze den Kündigungsvorwurf nicht. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Verfahrensrügen hat die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht erhoben.
-
D. Die Kosten ihres erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.
-
Kreft
Rachor
Rinck
F. Löllgen
Bartz
Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, so gilt das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.
(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn
- 1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.
(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.
(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.
(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.
(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.