I. Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter M für den Zeitraum August 2012 bis Januar 2013 geltend machen kann.
M, geboren am 17. November 1993, ist chinesische Staatsangehörige. Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 2. August 2012 wurde ihre Annahme als Kind des Klägers und seiner Ehefrau ausgesprochen. Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger, seine Ehefrau ist chinesische Staatsangehörige und lebt seit dem 21. August 1998 mit dem Kläger in G. M studierte seit September 2011 in China und bewohnte während des Semesters mit Kommilitonen ein möbliertes Mehrbettzimmer im dem der Universität angeschlossenen Studentenwohnheim (vgl. Immatrikulationsbescheinigung der Universität vom 28. September 2012). Während der vorlesungsfreien Zeit hielt sie sich in G auf. Bereits am 21. Januar 2010 erfolgte ihre Anmeldung bei der Meldebehörde der Gemeinde G. Laut Meldebestätigung des Einwohnermeldeamtes der Gemeinde vom 14. März 2012 war M außerdem am 14. Januar 2012 in die Wohnung des Klägers eingezogen und am 12. März 2012 ausgezogen sowie vom 26. Juli 2012 bis zum 1. September 2012 in G gemeldet. Für diesen Zeitraum hatte sie von der Universität eine Besuchsbescheinigung für den Aufenthalt in Deutschland erhalten. Am 13. Januar 2013 erfolgte eine erneute Anmeldung in G.
Der am 8. Oktober 2012 gestellte Antrag auf Kindergeld für M wurde mit Bescheid der Familienkasse vom 15. Oktober 2012 abgelehnt, da M nicht als Kind berücksichtigt werden könne. Sie habe weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland noch in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet.
Der dagegen gerichtete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2013 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der dagegen erhobenen Klage vertieft der Kläger sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren. Zu Unrecht habe die Familienkasse seinen Antrag auf Kindergeld abgelehnt. Seine Tochter verfüge im elterlichen Haus seit dem Erstbezug des Hauses im November 2004 über ihr eigenes Zimmer nebst eigenem Mobiliar und persönlichen Gegenständen, die auch während ihrer studienbedingten Abwesenheit dort verblieben. Sie besitze Haus- und Zimmerschlüssel und habe sich in G mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufgehalten, wie sich auch aus den Meldebestätigungen der Gemeinde ergebe. Dabei handle es sich um den Zeitraum vom 20. Januar bis 3. März 2010 (6 ½ Wochen), vom 14. Januar bis 12. März 2012 (8 Wochen), vom 26. Juli bis 1. September 2012 (5 ½ Wochen) und vom 13. Januar bis 4. März 2013 (7 Wochen). Im Übrigen habe sich M entschieden, ihre Ausbildung bzw. ihr Studium in Deutschland fortzusetzen und halte sich seit 27. August 2013 dauerhaft in G auf.
Die vorübergehende räumliche Trennung vom Familienwohnsitz stehe der Beibehaltung dieses Wohnsitzes nicht entgegen. Denn auch die mit einer Unterbringung in einer studentischen Wohngemeinschaft verbundene räumliche Trennung von den Eltern stelle keine Auflösung der familiären Bindungen dar und brächte keine Verlagerung des Schwerpunkts der Lebensverhältnisse an den Ort des Studiums mit sich. Auch wenn sich M formal nach dem Meldegesetz abgemeldet habe, könne die Familienkasse nicht den Schluss ziehen, dass sie die Wohnung tatsächlich und endgültig verlasse. Genauso wenig könne es von Bedeutung sein, wo M ihre Kindheit verbracht habe. Abzustellen sei vielmehr auf den 7. August 2012, also auf den Tag der Rechtswirksamkeit des Adoptionsbeschlusses in Verbindung mit der erstmaligen Begründung des inländischen Wohnsitzes ab 14. Januar 2012.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 15. Oktober 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kindergeld für seine Tochter M im Zeitraum August 2012 bis Januar 2013 festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung.
Aufgrund des Beschlusses vom 30. Januar 2015 wurde M in der mündlichen Verhandlung als Zeugin vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 2015 Bezug genommen, wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten der Familienkasse, auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
II. Die Klage ist begründet, der Kläger kann für den Zeitraum August 2012 bis Januar 2013 (Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung) einen Kindergeldanspruch für M geltend machen.
Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) hat derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, einen Kindergeldanspruch nur für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben. China zählt nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten.
Die Frage, ob eine natürliche Person im Inland einen Wohnsitz hat, beurteilt sich nach § 8 der Abgabenordnung (AO). Nach dieser Vorschrift hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Damit knüpft der Wohnsitzbegriff des § 8 AO ausschließlich an die tatsächliche Gestaltung und nicht an subjektive Vorstellungen an (Urteil des Bundesfinanzhofs- BFH - vom 25. September 2014 III R 10/14, BFH/NV 2015, 266 m.w.N.).
Ein Wohnsitz nach § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumen das Innehaben der Wohnung in dem Sinn voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit -wenn auch in größeren Zeitabständen- aufsucht (BFH-Urteil vom 23. November 2001 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294, unter II.2.a). Der Wohnsitzbegriff setzt zwar weder voraus, dass die Wohnung im Inland den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildet noch einen Aufenthalt während einer Mindestzeit. Erforderlich ist aber eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und das Aufsuchen der Wohnung zu Verwaltungszwecken hinausgeht (BFH-Urteil vom 10. April 2013 I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909, unter II.2.c aa, m.w.N.).
Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinn besteht nicht nur darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit zur Verfügung steht, sondern auch darin, dass diese von ihm subjektiv zu einem entsprechenden Aufenthalt mit Wohncharakter bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH-Urteil vom 25. September 2014 in BFH/NV 2015, 266 m.w.N.). Bei Kindern, die zum Zwecke der Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildung auswärtig untergebracht sind, reicht es für einen Inlandswohnsitz daher nicht aus, wenn die elterliche Wohnung dem Kind weiterhin zur Verfügung steht. Einen allgemeinen Grundsatz, dass die Aufnahme im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils grundsätzlich für die Dauer der Ausbildung fortbesteht, gibt es nicht (Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 8 AO, Rz 40; vgl. BFH-Urteil vom 7. April 2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351). Vielmehr muss, um insoweit einen inländischen Wohnsitz annehmen zu können, eine Beziehung zur elterlichen Wohnung vorhanden sein, die über die allein durch das Familienverhältnis begründete Beziehung hinausgeht und erkennen lässt, dass der Steuerpflichtige die elterliche Wohnung nach wie vor auch als seine eigene betrachtet (BFH-Urteil vom 17. März 1961 VI 185/60 U, BStBl III 1961, 298).
Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat auf Grund zahlreicher Entscheidungen konkrete objektive Anhaltspunkte dargelegt, die Rückschlüsse auf die Beibehaltung oder die Aufgabe eines inländischen Wohnsitzes zulassen können. Neben der voraussichtlichen Dauer der auswärtigen Unterbringung, der Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite, dem Zweck des Auslandsaufenthalts, den persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits (BFH-Beschluss vom 22. November 2011 III B 154/11, BFH/NV 2012, 375, unter II.), kommt der Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung zu (BFH-Urteil vom 25. September 2014 in BFH/NV 2015, 266 m.w.N.). Danach reicht bei einem auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalt ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Urlaubszwecken, Besuchszwecken oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen, nicht aus, um "zwischenzeitliches Wohnen" und damit einen inländischen Wohnsitz anzunehmen.
Kinder, die sich zum Zwecke des Studiums für mehrere Jahre ins Ausland begeben, behalten ihren Wohnsitz bei den Eltern daher nur dann bei, wenn sie diese in ausbildungsfreien Zeiten nutzen. Da die ausbildungsfreien Zeiten von der Art bzw. der Gestaltung des Studiums (z.B. Trimester), von länderspezifisch unterschiedlich ausgestalteten Semesterferien und auch von Anwesenheitsobliegenheiten (Seminar-/Hausarbeiten in der unterrichtsfreien Zeit, Examens-/Prüfungsvorbereitungen) abhängen können, kann eine Mindestdauer der Inlandsaufenthalte nicht verlangt werden. Erforderlich ist jedoch im Regelfall, dass die ausbildungsfreien Zeiten zumindest überwiegend im Inland verbracht werden und es sich um Inlandsaufenthalte handelt, die Rückschlüsse auf ein zwischenzeitliches Wohnen zulassen.
Regelmäßig nicht ausreichend sind bei mehrjährigen Auslandsaufenthalten nur kurze, üblicherweise durch die Eltern-Kind-Beziehungen begründete Besuche. Dies ist bei lediglich kurzzeitigen Aufenthalten -zwei bis drei Wochen pro Jahr - nach der Lebenserfahrung der Fall.
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Rechtsgrundsätze hatte die Tochter des Klägers während des streitigen Zeitraums August 2012 bis Januar 2013 einen Wohnsitz im Inland inne. Ihr stand im Haus des Klägers bereits seit dem Jahr 2004 ein eigenes Zimmer zur Verfügung, das sie jederzeit nutzen konnte und auch tatsächlich genutzt hat. Wie sie in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert hat, war sie bereits in den Jahren 2004 und 2005 insgesamt 10 Wochen, im Jahr 2010 insgesamt sechseinhalb Wochen und im Jahr 2012 insgesamt dreizehneinhalb Wochen, d.h. nicht nur kurzfristig in Deutschland. Nach der Aufnahme ihres Studiums hat sie sich während der gesamten vorlesungsfreien Zeit im Inland aufgehalten. Sie hat dabei stets ihr Zimmer im Haus ihrer Eltern in G beibehalten und es mit einer gewissen Regelmäßigkeit – wenn auch in größeren Zeitabständen - jeweils genutzt und im Sinne der oben genannten höchstrichterliche Rechtsprechung auch tatsächlich „bewohnt“. Von kurzfristigen Urlaubsbesuchen kann nicht die Rede sein. Vielmehr dienten die Aufenthalte der Vertiefung der familiären Bindungen, wie sich auch aus dem Adoptionsbeschluss vom 23. August 2012 ergibt.
Aufgrund der glaubhaften Aussage von M steht zur Überzeugung des Senats fest, dass es bereits bei Beginn des Studiums im September 2011 feststand, dass sie - wie auch ab 27. August 2013 erfolgt – ihre weitere Ausbildung in Deutschland absolvieren wird. Das Studium in China war absehbar zeitlich befristet und nicht auf Dauer angelegt. Die vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort aufgrund ihres Studiums in China hat daher nicht zu einer Verlagerung des Schwerpunktes ihrer Lebensverhältnisse geführt.
Für die Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes spricht auch die Art der Unterbringung in G. Während M in China lediglich in einem Mehrbettzimmer des Studentenwohnheims untergebracht war, verfügte sie im Haus ihrer Eltern über ein eigenes Zimmer, das mit ihren eigenen Möbeln und persönlichen Gegenständen ausgestattet war, die auch während ihrer Abwesenheit dort verblieben. Die objektiven Wohnverhältnisse waren so gestaltet, dass die Möglichkeit eines längeren Wohnens bestand. M verfügte somit auch während ihres Studiums in China im Inland über eine Wohnung unter Umständen, die auf eine dauerhaft künftige Nutzung schließen lassen. Die Inlandsaufenthalte während der Semesterferien waren daher ausreichend, um von einem Wohnen und nicht nur von reinen Besuchsaufenthalten auszugehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und den Vollstreckungsschutz folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.