Finanzgericht München Urteil, 27. Feb. 2018 - 2 K 1725/16

bei uns veröffentlicht am27.02.2018

Gericht

Finanzgericht München

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, erwarb im Jahr 1978 ein Wohnhaus mit Bäckerei M (Vermietungsobjekt). Ihr Grundbesitz war laut der Abteilung III des Grundbuchs mit verschiedenen Buchgrundschulden belastet (vgl. Notarvertrag vom 30. April 2013, Seite 2, Dauerunterlagen).

Am 30. April 2013 veräußerte die Klägerin ihr Vermietungsobjekt. Der Kaufpreis betrug 2.250.000 €. Laut dem Notarvertag sollte der Kaufpreis zur Zahlung fällig sein, wenn u.a. die Lastenfreistellungserklärungen zur bedingungslosen Verwendung oder versehen nur mit solchen Auflagen, die durch die Bezahlung des Kaufpreises oder eines Teils davon erfüllt werden können, in grundbuchmäßiger Form dem Notar vorliegen oder die Lastenfreistellung bereits grundbuchrechtlich vollzogen ist (vgl. Notarvertrag vom 30. April 2013, Seiten 3 und 4, Dauerunterlagen).

Aufgrund dieser Verpflichtung zur Lastenfreistellung tilgte die Klägerin in der Folgezeit vorzeitig zwei im Zusammenhang mit dem Vermietungsobjekt aufgenommene Darlehen:

Darlehen

Bank

Vorfälligkeitsentschädigung

Nr. …543

VR-Bank …

22.274,22 €

Nr. …380

Raiffeisenbank …

203,28 €

insgesamt: 22.477,50 €

Das Darlehen Nr. …380 wurde im Jahr 2005 mit einer Endfälligkeit im Februar 2016 aufgenommen; der Darlehensvertrag Nr. …543 wurde im Jahr 2011 mit einer Endfälligkeit im Oktober 2021 abgeschlossen.

Die Klägerin beabsichtigte mit dem erzielten Kaufpreis weder den Erwerb eines neuen Vermietungsobjekts noch erwarb sie zu einem späteren Zeitpunkt ein solches.

In dem mit Klage (Az. 2 K 1724/16) angefochtenem Bescheid vom 27. August 2014 über die gesonderte und einheitliche Feststellung für 2013 ließ der Beklagte die Vorfälligkeitsentschädigungen in Höhe von insgesamt 22.477,50 € als Werbungskosten im Rahmen der Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung unberücksichtigt.

Am 29. September 2014 stellte die Klägerin einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO unter Bezugnahme auf das BMF-Schreiben vom 15. Januar 2014 (IV C 1 - S 2211/11/10001:001 2014/0019176, BStBl I 2014, 108).

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 23. Oktober 2014 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitserwägungen ab. Den dagegen eingelegten Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2016 als unbegründet zurück.

Zur Begründung ihrer dagegen gerichteten Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor: Im Streitfall sei entscheidend, dass das BMF in seinem Schreiben vom 3. Mai 2006 (IV C 3 -S. 2211 - 11/06, BStBl I 2006, 363) festgestellt habe, dass der durch die tatsächliche Verwendung des Darlehens zur Finanzierung sofort abziehbarer Werbungskosten (Erhaltungsaufwendungen) geschaffene Zusammenhang mit der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung auch nach Aufgabe der Vermietungstätigkeit bestehen bleibe. Diese Ansicht gelte für vor dem 1. Januar 2014 rechtswirksam abgeschlossene obligatorische Veräußerungsgeschäfte weiterhin (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2014, 108). Sie -die Klägerinhabe darauf vertraut, dass bei Verwendung der Darlehen zur Finanzierung von sofort abziehbaren Werbungskosten die Darlehenszinsen für die gesamte Laufzeit der Darlehen Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung darstellten und dass dieses Vertrauen auch bei einer zur Zeit der Darlehensaufnahme nicht beabsichtigten Veräußerung nicht durchbrochen würde.

Es sei sachlich unbillig, aufgrund der geänderten Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 11. Februar 2014 (IX R 42/13, BStBl II 2015, 633, zu Anschaffungsdarlehen) Dispositionen des Steuerpflichtigen bei Darlehensaufnahme, die auch im nicht beabsichtigten Veräußerungsfall gelten sollten, steuerlich unterschiedlich zu werten, weil in Anwendung der BMF-Schreiben (in BStBl I 2006, 363, und in BStBl I 2014, 108, sowie vom 27. Juli 2015 IV C 1 - S 2211/11/10001, Tz. 5 i.V.m. Tz. 2, BStBl I 2015, 581) Vorfälligkeitsentschädigungen bei anderen Steuerpflichtigen im Veranlagungszeitraum 2013 anerkannt würden.

Die geltend gemachten Vorfälligkeitsentschädigungen seien als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anzuerkennen, da aus Gründen des Vertrauensschutzes sachliche Unbilligkeit vorliege.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 23. Oktober 2014 und der Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2016 den Beklagten zu verpflichten, ihre Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in dem Bescheid für 2013 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 27. August 2014 aus Billigkeitsgründen abweichend unter Berücksichtigung der Vorfälligkeitsentschädigungen in Höhe von 22.477,50 € als nachträgliche Werbungskosten festzustellen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er Bezug auf seine Einspruchsentscheidung.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die gerichtliche Aufklärungsanordnung vom 9. Januar 2018 und das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.

II.

Die Klage ist unbegründet. Die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme lässt keine Ermessensfehler des Beklagten erkennen.

1. Nach § 163 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne die Steuer erhöhende Besteuerungsgrundlagen unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen unbillig wäre.

Die nach § 163 AO zu treffende Billigkeitsentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde i.S. des § 5 AO, die grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (§ 102 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Sie kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin geprüft werden, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde.

§ 163 AO ist u.a. auch dann anwendbar, wenn Besteuerungsgrundalgen gesondert festgestellt werden (vgl. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO, Gosch/Oellerich, AO und FGO, § 163 AO Rz. 10).

Die Feststellung von gesonderten Besteuerungsgrundlagen ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Feststellung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (vgl. BFH-Urteil vom 2. Dezember 2015 V R 15/14, BStBl II 2017, 553, m.w.N.).

Wenn sich die bisherige Rechtsprechung verschärft oder eine höchstrichterliche Entscheidung von einer bisher allgemein geübten Verwaltungsauffassung abweicht, kann die Finanzverwaltung gehalten sein, allgemeine Übergangsregelungen bzw. Anpassungsregelungen zu erlassen oder entsprechende Einzelmaßnahmen zu treffen, um den Steuerpflichtigen im Hinblick auf seine im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage getroffenen Dispositionen nicht zu enttäuschen. Ein schützenswertes Vertrauen des Steuerpflichtigen im vorstehend beschriebenen Sinne ist indessen nur dann gegeben, wenn als Vertrauensgrundlage eine gesicherte, für die Meinung des Steuerpflichtigen sprechende Rechtsauffassung bestanden hat und die Rechtslage nicht als zweifelhaft erschien (vgl. BFH-Beschluss vom 26. September 2007, V B 8/06, BStBl II 2008, 405; BFH-Urteil vom 23. August 2017, I R 52/14, juris).

2. Zutreffend hat der Beklagte ermessensfehlerfrei eine abweichende Festsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründe aufgrund einer angeblichen Rechtsprechungsänderung verneint, da hinsichtlich der steuerlichen Behandlung von Vorfälligkeitsentschädigungen keine Rechtsprechungsänderung vorliegt. Die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null sind nicht erfüllt.

a) Der Beklagte hat zu Recht, die Vorfälligkeitsentschädigungen im Feststellungsbescheid der Klägerin für 2013 bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung unberücksichtigt zugelassen. Zur Begründung wird insoweit auf das zeitgleich ergangene Urteil vom heutigen Tag im Klageverfahren der Klägerin 2 K 1724/16 verwiesen.

b) Entgegen der Auffassung der Kläger liegt auch keine Rechtsprechungsänderung vor, die der Beklagte in seine Ermessensentscheidung hätte miteinbeziehen müssen und die dann zu einer Ermessensreduzierung auf Null aufgrund einschlägiger Verwaltungsanweisungen hätte führen müssen.

Schützenswertes Vertrauen der Klägerin ist nicht gegeben, da eine gesicherte, für ihre Meinung sprechende Rechtsauffassung nicht bestanden hat und die Rechtslage nicht zweifelhaft erschienen ist. Im Streitfall liegt im Gegenteil eine gesicherte Rechtslage für die Rechtsauffassung des Beklagten vor.

aa) Die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH-Urteile vom 16. September 1999 IX R 42/97, BStBl II 2001, 528, und vom 12. Oktober 2005 IX R 28/04, BStBl II 2006, 407) und die dazu ergangenen Verwaltungsanweisungen (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2006, 363, und in BStBl I 2014, 108) sind im Streitfall nicht einschlägig. Nach dieser Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung sind Schuldzinsen nach Aufgabe der Vermietungstätigkeit als nachträgliche Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen, wenn sie aus Darlehen herrühren, die während der Vermietungstätigkeit für sofort abziehbare Werbungskosten aufgenommen worden sind.

Das hiesige Klageverfahren betrifft dagegen einen anderen Sachverhalt, nämlich die im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur lastenfreien Veräußerung des Vermietungsobjekts ausdrücklich zwischen der Klägerin und den Banken vereinbarte Vorfälligkeitsentschädigungen. Vorfälligkeitsentschädigungen infolge lastenfreier Grundstücksveräußerungen sind keine Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung. Dies hat der BFH bereits im Urteil vom 23. September 2003 (IX R 20/02, BStBl II 2004, 57) so entschieden und in seiner Entscheidung vom 11. Februar 2014 (IX R 42/13, BStBl II 2015, 633) lediglich unter Nennung weiterer Rechtsprechungsnachweise erneut bestätigt. Der Zusammenhang zwischen der Kreditkündigung mit der einkommensteuerrechtlich unerheblichen Vermögensumschichtung tritt an die Stelle der Veranlassung der Kreditaufnahme durch die frühere Einkunftsart (Vermietung und Verpachtung). Obschon die Vorfälligkeitsentschädigung Bestandteil der auf die (verkürzte) Gesamtlaufzeit des Kredits bezogenen Gegenleistung des Darlehensnehmers für die Inanspruchnahme des Fremdkapitals ist und -ebenso wie die Zinsenweiterhin auf dem Darlehensvertrag als Rechtsgrund beruht, ist sie das Ergebnis einer auf vorzeitige Kreditablösung gerichteten Änderung des Kreditvertrags. Erst mit dieser Modifizierung des Vertragsinhalts steht dem Darlehensgeber eine seine Interessen wahrende Vorfälligkeitsentschädigung zu. Diese vertragliche Vereinbarung ist auch steuerrechtlich das „auslösende Moment“ für die Zahlung. Sie hängt im Streitfall mit der nicht steuerbaren Veräußerung des Grundstücks zusammen; denn die Verpflichtung des Darlehensgebers, in eine vorzeitige Darlehensablösung gegen angemessene Vorfälligkeitsentschädigung einzuwilligen, besteht gerade dann, wenn -wie im Streitfallfür eine beabsichtigte Grundstücksveräußerung eine Ablösung des Kredits und der damit zusammenhängenden grundpfandrechtlichen Belastung erforderlich ist (vgl. BFH in BStBl II 2004, 57, und in BStBl II 2015, 633).

bb) Zu Recht hat der Beklagte das BMF-Schreiben vom 27. Juli 2015 (IV C 1 - S 2211/11/10001, Tz. 5 i.V.m. Tz. 2, BStBl I 2015, 581), das eine offenbar auf sachlichen Billigkeitserwägungen beruhende Übergangsregelung für die Anerkennung von Vorfälligkeitsentschädigungen als Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zum Gegenstand hat, nicht angewendet, weil die Voraussetzungen des in der früheren Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteile vom 14. Januar 2004 IX R 34/01, BFH/NV 2004, 1091; vom 23. April 1996 IX R 5/94, BStBl II 1996, 595) definierten Ausnahmefalls im Streitfall nicht erfüllt sind. Danach können Vorfälligkeitsentschädigungen ausnahmsweise als Finanzierungskosten für die Anschaffung eines neuen, dem Erzielen von Vermietungseinkünften dienenden Objekt zu beurteilen sein. Daran fehlt es im Streitfall. Die Klägerin beabsichtigte weder ein neues Vermietungsobjekt zu erwerben noch hat sie ein solches später erworben.

cc) Andere sachliche Billigkeitsgründe sind im Streitfall nicht ersichtlich.

Nach alledem durfte der Beklagte im streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid vom 23. Oktober 2014 die Voraussetzungen einer sachlichen Unbilligkeit zu Recht ermessensfehlerfrei mit der Folge verneinen, dass die auf lastenfreier Grundstücksveräußerung beruhenden Vorfälligkeitsentschädigungen nicht abzugsfähig sind.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO erkennbar nicht erfüllt sind.

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Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gründe I. Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, erwarb im Jahr 1978 ein Wohnhaus mit Bäckerei in M (

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Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, erwarb im Jahr 1978 ein Wohnhaus mit Bäckerei in M (Vermietungsobjekt). Ihr Grundbesitz war laut der Abteilung III des Grundbuchs mit verschiedenen Buchgrundschulden belastet.

Am 30. April 2013 veräußerte die Klägerin ihr Vermietungsobjekt. Der Kaufpreis betrug 2.250.000 €. Laut dem Notarvertag sollte der Kaufpreis zur Zahlung fällig sein, wenn u.a. die Lastenfreistellungserklärungen zur bedingungslosen Verwendung oder versehen nur mit solchen Auflagen, die durch die Bezahlung des Kaufpreises oder eines Teils davon erfüllt werden können, in grundbuchmäßiger Form dem Notar vorliegen oder die Lastenfreistellung bereits grundbuchrechtlich vollzogen ist.

Aufgrund dieser Verpflichtung zur Lastenfreistellung tilgte die Klägerin in der Folgezeit vorzeitig zwei im Zusammenhang mit dem Vermietungsobjekt aufgenommene Darlehen:

Darlehen

Bank

Vorfälligkeitsentschädigung

Nr. …543

VR-Bank …

22.274,22 €

Nr. …380

Raiffeisenbank …

203,28 €

insgesamt: 22.477,50 €

Das Darlehen Nr. …380 wurde im Jahr 2005 mit einer Endfälligkeit im Februar 2016 aufgenommen. Der Darlehensvertrag Nr. …543 wurde im Jahr 2011 mit einer Endfälligkeit im Oktober 2021 abgeschlossen.

Die Klägerin beabsichtigte mit dem erzielten Kaufpreis weder den Erwerb eines neuen Vermietungsobjekts noch erwarb sie zu einem späteren Zeitpunkt ein solches.

Die Klägerin erzielte bis zum Verkauf ihres Grundbesitzes Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, daneben erzielte sie Einkünfte aus Kapitalvermögen.

In der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung für 2013 machte die Klägerin Vorfälligkeitsentschädigungen in Höhe von insgesamt 22.477,50 € als Werbungskosten im Rahmen ihrer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung geltend.

Mit Bescheid vom 27. August 2014 stellte der Beklagte einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung der Klägerin in Höhe von 11.993 € fest. Dabei ließ er die Vorfälligkeitsentschädigungen unberücksichtigt, da diese im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Verkauf des Vermietungsobjekts und nicht mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gestanden hätten.

Den gegen den Feststellungsbescheid eingelegten Einspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2016 als unbegründet zurück.

Zur Begründung ihrer dagegen gerichteten Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor: Die jeweilige Darlehensvaluta sei für Erhaltungsaufwendungen der Immobilie verwendet worden. Der durch die tatsächliche Verwendung der Darlehen zur Finanzierung sofort abzugsfähiger Werbungskosten geschaffene Zusammenhang mit der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung bleibe auch nach Aufgabe der Vermietungstätigkeit bestehen (unter Hinweis auf BFH-Urteile vom 16. September 1999 IX R 42/97, BStBl II 2001, 528 vom 12. Oktober 2005 IX R 28/04, BStBl II 2006, 407, und auf BMF-Schreiben vom 3. Mai 2006, BStBl I 2006, 363, und vom 15. Januar 2014, BStBl I 2014, 108). Der Begriff der Schuldzinsen umfasse auch eine zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung (unter Hinweis auf BFH-Urteile vom 14. Januar 2004 IX R 34/01, BFH/NV 2004, 1091; vom 23. April 1996 IX R 5/94, BStBl II 1996, 595).

Ob das Klageverfahren 2 K 1725/16 wegen des vom Beklagten abgelehnten Billigkeitsantrags nach § 163 der Abgabenordnung (AO) gegenüber dem hiesigen Klageverfahren (Feststellungsverfahren) vorgreiflich sei, könne dahinstehen, da eine Pflicht des Gerichts zur Aussetzung des Verfahrens jedenfalls nicht bestehe.

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung für 2013 vom 27. August 2014 und der Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2016 den Verlust aus Vermietung und Verpachtung um 22.477 € zu erhöhen und entsprechend höher festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung trägt er ergänzend vor, dass unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Februar 2014 (IX R 42/13, BStBl II 2015, 633) eine Vorfälligkeitsentschädigung wirtschaftlich betrachtet das Ergebnis einer auf vorzeitige Ablösung gerichteten Änderung des Darlehensvertrages sei. Der ursprünglich durch die Darlehensaufnahme zur Finanzierung der Anschaffungs- und Herstellungskosten eines Mietobjekts begründete wirtschaftliche Zusammenhang mit der bisherigen Vermietungstätigkeit werde bei Leistung einer Vorfälligkeitsentschädigung im Zuge der Veräußerung überlagert bzw. einem neuen, durch die Veräußerung ausgelösten Veranlassungszusammenhang ersetzt. Dies gelte auch für Darlehen, die zur Finanzierung sofort abziehbarer Werbungskosten (Erhaltungsaufwendungen) aufgenommen worden seien.

Die Vorfälligkeitsentschädigungen könnten bei entsprechender Gestaltung unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 21. Juni 1994 (IX R 57/89, BFH/NV 1995, 106) ausnahmsweise als Finanzierungskosten für die Anschaffung eines neuen, dem Erzielen von Vermietungseinkünften dienenden Objekts zu beurteilen sein. Ein solch wirtschaftlicher Zusammenhang sei von der Klägerin nachweislich nicht dargelegt worden.

II.

Die Klage ist unbegründet.

Zu Recht hat der Beklagte die von der Klägerin gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen nicht als Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung abgezogen.

1. Im Streitfall sind die von der Klägerin zur vorzeitigen Ablösung der Darlehen gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen nicht als Werbungskosten im Sinne des § 9 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Streitjahres (EStG) bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen, weil sie nicht mit der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, sondern im Zusammenhang mit der Veräußerung des Grundstücks angefallen sind.

a) Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen. Zu den Werbungskosten zählen auch Schuldzinsen, soweit sie mit einer Einkunftsart in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG).

Werbungskosten sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung abzuziehen, wenn sie durch sie veranlasst sind. Maßgeblich ist insoweit, ob die Darlehensvaluta, auf die Schuldzinsen gezahlt werden, zur Erzielung von Vermietungseinkünften aufgenommen und tatsächlich verwendet worden ist; ein bloßer rechtlicher Zusammenhang reicht nicht aus (vgl. BFH-Urteil vom 24. Oktober 2012 IX R 35/11, BFH/NV 2013, 522, m.w.N.).

Der Begriff der Schuldzinsen umfasst zwar auch eine zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung. Denn Vorfälligkeitsentschädigungen sind ein Nutzungsentgelt für das auf die verkürzte Laufzeit in Anspruch genommene Fremdkapital (vgl. BFH-Urteile vom 25. Februar 1999 IV R 55/97, BStBl II 1999, 473; vom 6. Dezember 2005 VIII R 34/04, BStBl II 2006, 265). Sind Vorfälligkeitsentschädigungen jedoch durch eine Grundstücksveräußerung veranlasst, sind sie nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn die Vorfälligkeitsentschädigung nach der vom Steuerpflichtigen getroffenen Gestaltung ausnahmsweise als Finanzierungskosten für die Anschaffung eines neuen, dem Erzielen von Vermietungseinkünften dienenden Objekt zu beurteilen ist und soweit der nach der Darlehenstilgung verbleibende Restkaufpreis zur Finanzierung dieses Objekts tatsächlich verwendet worden ist (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2004, 1091; und in BStBl II 1996, 595, jeweils m.w.N.).

b) Im Streitfall sind die Vorfälligkeitsentschädigungen durch die Grundstücksveräußerung der Klägerin veranlasst worden. Die Klägerin ist laut dem Notarvertrag verpflichtet gewesen, ihre Immobilie lastenfrei zu übertragen.

Die von der Klägerin gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen sind jedoch nicht als Werbungskosten in die Ermittlung eines Veräußerungsgewinns einzustellen gewesen. Denn die Vorfälligkeitsentschädigungen haben nicht der Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen gedient, da der Veräußerungsvorgang nicht steuerbar gewesen ist.

Nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zählen zu den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften auch Einkünfte aus Veräußerungsgeschäften bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass hinsichtlich des streitigen Grundstücks kein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft i.S. der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG vorliegt. Denn die Klägerin hat die vermietete Immobilie im Jahr 1978 erworben und hat sie mit Vertrag vom 30. April 2013 außerhalb der zehnjährigen Spekulationsfrist veräußert.

c) Die Vorfälligkeitsentschädigungen sind auch dann -als Veräußerungskostendem Vorgang der Veräußerung und nicht (ersatzweise) den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zuzurechnen, wenn der hierbei erzielte Veräußerungsgewinn -wie im Streitfall nicht steuerbar ist (vgl. BFH in BStBl II 2006, 265; und in BStBl II 2015, 633; Urteil des Finanzgerichts Bremen vom 15. November 2017 1 K 105/17, juris).

d) Nichts anderes gilt, wenn die Entschädigung zur Ablösung von Darlehen hingegeben worden ist, mit denen Aufwendungen finanziert worden sind, die während der Vermietungstätigkeit als sofort abziehbare Werbungskosten -wie von der Klägerin ohne Nachweis vorgetragenzu beurteilen gewesen sind.

Zwar wird der durch die tatsächliche Verwendung der Kredite geschaffene wirtschaftliche Zusammenhang mit der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung -anders als bei einem Darlehen zur Finanzierung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten durch die Veräußerung des Wirtschaftsgutes nicht berührt, so dass die Klägerin als Darlehensnehmerin berechtigt ist, auch nach Aufgabe ihrer Vermietungstätigkeit gezahlte Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen. Die Klägerin ist aber auch nicht deswegen berechtigt, Vorfälligkeitsentschädigungen als Werbungskosten abzuziehen.

Löst der Steuerpflichtige seine Schuld vorzeitig ab, um ein lastenfreies Grundstück übereignen zu können, so ist die dafür an den Darlehensgeber zu entrichtende Entschädigung nicht mehr der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung, sondern der nicht einkommensteuerbaren Veräußerung zuzurechnen. Der Zusammenhang der Kreditkündigung mit der einkommensteuerrechtlich unerheblichen Vermögensumschichtung tritt an die Stelle der Veranlassung der Kreditaufnahme durch die frühere Einkunftsart.

Obschon die Vorfälligkeitsentschädigung Bestandteil der auf die (verkürzte) Gesamtlaufzeit des Kredits bezogene Gegenleistung des Darlehensnehmers für die Inanspruchnahme des Fremdkapitals ist und -ebenso wie die Zinsen weiterhin auf dem Darlehensvertrag als Rechtsgrund beruht, ist sie das Ergebnis einer auf vorzeitige Kreditablösung gerichteten Änderung des Kreditvertrags. Erst mit dieser Modifizierung des Vertragsinhalts steht dem Darlehensgeber eine seine Interessen wahrende Vorfälligkeitsentschädigung zu. Diese vertragliche Vereinbarung ist auch steuerrechtlich das „auslösende Moment“ für die Zahlung. Sie hängt mit der nicht steuerbaren Veräußerung des Grundstücks zusammen; denn die Verpflichtung des Darlehensgebers, in eine vorzeitige Darlehensablösung gegen angemessene Vorfälligkeitsentschädigung einzuwilligen, besteht gerade dann, wenn für eine beabsichtigte Grundstücksveräußerung eine Ablösung des Kredits und der damit zusammenhängenden grundpfandrechtlichen Belastung erforderlich ist (vgl. BFH-Urteile vom 23. September 2003 IX R 20/02, BStBl II 2004, 57, und in BStBl II 2015, 633, m.w.N.).

e) Die von der Klägerin gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen sind auch nicht deshalb als Werbungskosten im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abziehbar, weil sie ausnahmsweise nach der früheren (und nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2015, 581 auf den Streitfall noch anzuwendenden) Rechtsprechung des BFH als Finanzierungskosten für ein neu erworbenen Mietobjektes zu beurteilen gewesen sind und der nach der Darlehenstilgung verbleibende Restkaufpreis zur Finanzierung dieses Objekts tatsächlich verwendet worden ist (vgl. BFH in BStBl II 1996, 595 und in BFH/NV 2004, 1091).

Denn die Voraussetzungen eines derartigen Ausnahmefalls sind im Streitfall nicht erfüllt. Von der Klägerin ist weder vorgetragen worden noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin beabsichtigt hat, ein neues Vermietungsobjekt anzuschaffen, noch hat sie ein neues Vermietungsobjekt erworben. Insofern ist die Rechtsprechungsänderung des BFH (vgl. Urteil in BStBl II 2015, 633), in der er an der Abzugsfähigkeit von Vorfälligkeitsentschädigungen im Ausnahmefall nicht mehr festhält, nicht entscheidungserheblich.

2. Der Senat hält eine Aussetzung des hiesigen Klageverfahrens hinsichtlich des bei ihm ebenfalls anhängigen Billigkeitsverfahrens (2 K 1725/16) für nicht sachgerecht. Eine Aussetzung des Klageverfahrens liegt nicht im Interesse der Beteiligten und ist nicht prozessökonomisch.

Eine etwa getroffene Billigkeitsentscheidung regelt gesondert eine Besteuerungsgrundlage (Grundlagenbescheid) und ist bei der Steuerfestsetzung umzusetzen. Der Bescheid über die Steuerfestsetzung ist daher nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn nach seinem Erlass eine Entscheidung nach § 163 AO ergeht oder geändert wird. Billigkeitsentscheidung und Steuerfestsetzung können miteinander in einem Bescheid verbunden werden (vgl. Klein/Rüsken, AO, § 163 Rz. 2, m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (vgl. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO, Gosch/Oellerich, AO und Finanzgerichtsordnung -FGO-, § 163 AO Rz. 10).

Grundsätzlich ist das Feststellungsverfahren gemäß § 74 FGO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme auszusetzen, da diese Entscheidung vorgreiflich ist. Eine Pflicht zur Aussetzung des Feststellungsverfahrens besteht für das Gericht jedoch nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Februar 1996 V B 81/95, BFH/NV 1996, 571, m.w.N.; und Urteil des Finanzgerichts München vom 25. Juli 2000 7 K 2440/97, EFG 2000, 1191). Die Klägerin hat sich ausdrücklich gegen eine Aussetzung des hiesigen Klageverfahrens ausgesprochen und ihr Interesse an alsbaldiger Entscheidung des Gerichts bekundet. Der Beklagte hat eine Ermessensentscheidung getroffen, die mit Klage angefochten ist und die zeitgleich einer Entscheidung zugeführt worden ist. Der Senat hält es daher für ermessengerecht, das hiesige Klageverfahren abzuschließen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

(1) Steuern können niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden.

(2) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden, für die sie von Bedeutung ist.

(3) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 steht in den Fällen des Absatzes 2 stets unter Vorbehalt des Widerrufs, wenn sie

1.
von der Finanzbehörde nicht ausdrücklich als eigenständige Billigkeitsentscheidung ausgesprochen worden ist,
2.
mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 verbunden ist oder
3.
mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 verbunden ist und der Grund der Vorläufigkeit auch für die Entscheidung nach Absatz 1 von Bedeutung ist.
In den Fällen von Satz 1 Nummer 1 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung abläuft, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 2 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Aufhebung oder Entfallen des Vorbehalts der Nachprüfung der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 3 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Eintritt der Endgültigkeit der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist.

(4) Ist eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1, die nach Absatz 3 unter Vorbehalt des Widerrufs steht, rechtswidrig, ist sie mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. § 130 Absatz 3 Satz 1 gilt in diesem Fall nicht.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) veräußerte im Streitjahr (2010) ein von ihr im Jahre 1999 erworbenes und seitdem zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung genutztes Immobilienobjekt; nach den Bestimmungen des notariell beurkundeten Veräußerungsvertrages war die Klägerin zur lastenfreien Übertragung des Grundstückes verpflichtet. Im Zuge der Ablösung einer Restschuld aus zwei Darlehen in Höhe von 48.773 €, die die Klägerin zur Finanzierung der Anschaffungskosten des Immobilienobjekts aufgenommen hatte, zahlte sie an die Darlehensgläubigerin Vorfälligkeitsentschädigungen im Gesamtbetrag von 3.479,07 €, die sie in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend machte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die geltend gemachten Vorfälligkeitsentschädigungen im Ergebnis nicht.

2

Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, dass der ursprünglich --durch die Aufnahme eines Darlehens zur Finanzierung der Anschaffungskosten eines Vermietungsobjektes-- bestehende Zusammenhang mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung durch die Veräußerung des Objekts unterbrochen werde, wenn die vorzeitige Rückführung des Kredits auf die Verpflichtung des Veräußerers zur lastenfreien Übereignung des Grundstücks zurückzuführen sei; eine in Bezug auf das Darlehen gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung sei dann nicht den bis zur Veräußerung erzielten laufenden Einkünften, sondern dem Veräußerungsvorgang zuzurechnen. Da die Klägerin nach dem notariellen Kaufvertrag verpflichtet gewesen sei, das Grundstück --mit Ausnahme einer Grunddienstbarkeit-- lastenfrei auf den Erwerber zu übertragen, bestehe ein Zusammenhang zwischen der Verpflichtung zur Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigungen und der Veräußerung, nicht aber mit den früheren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.

3

Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren nach Berücksichtigung der geleisteten Vorfälligkeitsentschädigungen als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung weiter. Mit Blick auf die Senatsentscheidung vom 20. Juni 2012 IX R 67/10 (BFHE 237, 368, BStBl II 2013, 275) könne --auch im Fall der nicht steuerbaren Veräußerung eines Immobilienobjektes nach Ablauf der Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)-- nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Veranlassungszusammenhang von Schuldzinsen mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung durch die Veräußerung gelöst werde. Wenn aber für nachträgliche Schuldzinsen, die nach vollständiger Verwendung des Verkaufserlöses zur Tilgung der Darlehensvaluta verblieben, der Werbungskostenabzug erhalten bleibe, müsse dies auch für solche Schuldzinsen (im Streitfall: die gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen) gelten, die durch die Tilgung der Verbindlichkeiten aufgrund ihrer vorzeitigen Ablösung erst ausgelöst würden. Denn es bestehe kein wirtschaftlicher Grund dafür, den an den Darlehensgläubiger zu zahlenden Zinsausgleich für den vorzeitig getilgten Anteil der Schuld steuerlich anders zu behandeln als die Schuldzinsen auf die nicht getilgte Schuld.

4

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG vom 11. September 2013 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Januar 2013 dahin zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 23.303 € herabgesetzt wird.

5

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG ist im Streitfall zu Recht davon ausgegangen, dass die von der Klägerin bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung als Werbungskosten geltend gemachten Vorfälligkeitsentschädigungen nicht zu berücksichtigen sind.

7

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen; sie sind nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung abzuziehen, wenn sie durch sie veranlasst sind. Zu den Werbungskosten zählen auch Schuldzinsen, soweit sie mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG). Maßgeblich ist insoweit, ob die Darlehensvaluta, auf die Schuldzinsen gezahlt werden, zur Erzielung von Vermietungseinkünften aufgenommen und tatsächlich verwendet worden ist; ein bloßer rechtlicher Zusammenhang reicht nicht aus (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. Oktober 2012 IX R 35/11, BFH/NV 2013, 522, m.w.N.).

8

Der Begriff der Schuldzinsen umfasst auch eine zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung (BFH-Urteile vom 14. Januar 2004 IX R 34/01, BFH/NV 2004, 1091; vom 23. April 1996 IX R 5/94, BFHE 180, 374, BStBl II 1996, 595, jeweils m.w.N.). Denn Vorfälligkeitsentschädigungen sind ein Nutzungsentgelt für das auf die verkürzte Laufzeit in Anspruch genommene Fremdkapital (vgl. BFH-Urteile vom 25. Februar 1999 IV R 55/97, BFHE 188, 406, BStBl II 1999, 473; vom 6. Dezember 2005 VIII R 34/04, BFHE 212, 122, BStBl II 2006, 265).

9

2. Nach diesen Maßstäben hat das FG zutreffend den begehrten Abzug der Vorfälligkeitsentschädigungen als Werbungskosten wegen des fehlenden wirtschaftlichen Zusammenhangs mit der Vermietungstätigkeit der Klägerin versagt.

10

a) Nach den oben genannten Grundsätzen ist die Vorfälligkeitsentschädigung zwar Bestandteil der auf die (verkürzte) Gesamtlaufzeit des Kredits bezogenen Gegenleistung des Darlehensnehmers für die Inanspruchnahme des Fremdkapitals; sie beruht mithin --ebenso wie die vertraglich vereinbarten Darlehenszinsen-- auf dem Darlehensvertrag als Rechtsgrund. Allerdings ist die Vorfälligkeitsentschädigung wirtschaftlich gesehen das Ergebnis einer auf vorzeitige Kreditablösung gerichteten Änderung des Darlehensvertrages. Erst mit dieser Modifizierung des Vertragsinhalts steht dem Darlehensgeber eine seine Interessen wahrende Vorfälligkeitsentschädigung zu.

11

Diese vertragliche Änderungsvereinbarung ist steuerrechtlich das "auslösende Moment" (vgl. hierzu Beschluss des Großen Senats des BFH vom 4. Juli 1990 GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817) für die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung. Besteht die Verpflichtung des Darlehensgebers, in eine vertragliche Änderungsvereinbarung und, damit einhergehend, in eine vorzeitige Darlehensablösung gegen angemessene Vorfälligkeitsentschädigung einzuwilligen, gerade deshalb, weil für eine beabsichtigte Grundstücksveräußerung eine Ablösung des Kredits und der damit zusammenhängenden grundpfandrechtlichen Belastung erforderlich ist, liegt ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit der Veräußerung des Grundstücks vor (so schon BFH-Urteil vom 23. September 2003 IX R 20/02, BFHE 203, 352, BStBl II 2004, 57; BFH-Beschlüsse vom 9. August 2012 IX B 57/12, BFH/NV 2012, 2014; vom 15. Januar 2008 IX B 166/07, BFH/NV 2008, 567; vom 2. März 2005 IX B 184/03, BFH/NV 2005, 1067).

12

b) Bei der Leistung einer Vorfälligkeitsentschädigung im Zuge der Veräußerung von Immobilien wird daher der ggf. bestehende --durch die Aufnahme eines Darlehens zur Finanzierung der Anschaffungskosten einer der Vermietung dienenden Immobilie begründete-- wirtschaftliche Zusammenhang mit einer bisherigen Vermietungstätigkeit überlagert bzw. ersetzt von einem neuen, durch die Veräußerung ausgelösten Veranlassungszusammenhang (Spindler in Spiegelberger/Spindler/Wälzholz, Die Immobilie im Zivil- und Steuerrecht, Kap. 12 Rz 42 f.; Blümich/Heuermann, § 21 EStG Rz 279). Ist dieser Veräußerungsvorgang --etwa nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG-- steuerbar, ist die Vorfälligkeitsentschädigung als Veräußerungskosten in die Ermittlung des Veräußerungsgewinnes oder -verlustes einzustellen. Ist der Veräußerungsvorgang nicht steuerbar, kann die Vorfälligkeitsentschädigung nicht "ersatzweise" als Werbungskosten im Zusammenhang mit der bisherigen steuerbaren Tätigkeit (im Streitfall der Vermietung) geltend gemacht werden. Soweit der Senat Vorfälligkeitsentschädigungen in Veräußerungsfällen unter bestimmten weiteren Voraussetzungen zu den Werbungskosten gezählt hat (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2004, 1091, und in BFHE 180, 374, BStBl II 1996, 595, zu Vorfälligkeitsentschädigungen als Finanzierungskosten eines neu erworbenen Mietobjektes), hält er an dieser Rechtsprechung mit Blick auf die überzeugende Rechtsprechung des VIII. Senats zum Abzug von Vorfälligkeitsentschädigungen als Werbungskosten bei den Kapitaleinkünften (BFH-Urteil in BFHE 212, 122, BStBl II 2006, 265) nicht länger fest.

13

3. Nach den den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen im angefochtenen Urteil des FG ist die von der Klägerin geltend gemachte Vorfälligkeitsentschädigung durch die Grundstücksveräußerung veranlasst. Denn die Klägerin hat ihre Darlehensschuld vorzeitig abgelöst, um das veräußerte Grundstück lastenfrei übereignen zu können; in diesem Fall tritt der durch die Änderung des Darlehensvertrages begründete wirtschaftliche Zusammenhang mit der einkommensteuerrechtlich unerheblichen Vermögensumschichtung an die Stelle der Veranlassung der Darlehensaufnahme durch die frühere Einkunftsart (BFH-Urteil in BFHE 203, 352, BStBl II 2004, 57; BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 2014; Blümich/Heuermann, a.a.O.).

14

Aus dem BFH-Urteil in BFHE 237, 368, BStBl II 2013, 275 ergibt sich nichts anderes. Zwar hat der Senat in der genannten Entscheidung den Abzug von durch die Einkünfteerzielung veranlassten Schuldzinsen auch nach einer (steuerbaren) Veräußerung der Immobilie als nachträgliche Werbungskosten zugelassen, weil die Darlehensverbindlichkeiten durch den Veräußerungserlös nicht getilgt werden konnten. Die der Entscheidung zu Grunde liegende Surrogationsbetrachtung, welche besagt, dass sich der wirtschaftliche Zusammenhang eines --zur Finanzierung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines zur Vermietung bestimmten Grundstücks aufgenommenen-- Darlehens mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung unter bestimmten Voraussetzungen am Veräußerungserlös oder --ggf. darüber hinaus-- an dem Vermögensgegenstand fortsetzt, der mit dem Veräußerungserlös erworben wird, wenn dieser wiederum steuerrechtlich bedeutsam genutzt wird, greift im Streitfall jedoch nicht. Denn im Streitfall hat die Klägerin keine anderweitige, steuerrechtlich bedeutsame Erwerbsgrundlage angeschafft; überdies konnte sie die im Veräußerungszeitpunkt noch bestehenden Darlehensverbindlichkeiten vollständig durch den Veräußerungserlös tilgen. In einem solchen Fall endet indes der Zusammenhang mit der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung, und zwar unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige das Darlehen tatsächlich ablöst oder ob er den Veräußerungserlös anderweitig privat verwendet und das Darlehen bestehen lässt (Schallmoser, Deutsches Steuerrecht 2013, 501, 505; ders., Steuerrecht kurzgefasst 2013, 115, 117).

(1) Steuern können niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden.

(2) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden, für die sie von Bedeutung ist.

(3) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 steht in den Fällen des Absatzes 2 stets unter Vorbehalt des Widerrufs, wenn sie

1.
von der Finanzbehörde nicht ausdrücklich als eigenständige Billigkeitsentscheidung ausgesprochen worden ist,
2.
mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 verbunden ist oder
3.
mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 verbunden ist und der Grund der Vorläufigkeit auch für die Entscheidung nach Absatz 1 von Bedeutung ist.
In den Fällen von Satz 1 Nummer 1 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung abläuft, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 2 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Aufhebung oder Entfallen des Vorbehalts der Nachprüfung der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 3 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Eintritt der Endgültigkeit der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist.

(4) Ist eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1, die nach Absatz 3 unter Vorbehalt des Widerrufs steht, rechtswidrig, ist sie mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. § 130 Absatz 3 Satz 1 gilt in diesem Fall nicht.

Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Finanzbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen.

(1) Steuern können niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden.

(2) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden, für die sie von Bedeutung ist.

(3) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 steht in den Fällen des Absatzes 2 stets unter Vorbehalt des Widerrufs, wenn sie

1.
von der Finanzbehörde nicht ausdrücklich als eigenständige Billigkeitsentscheidung ausgesprochen worden ist,
2.
mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 verbunden ist oder
3.
mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 verbunden ist und der Grund der Vorläufigkeit auch für die Entscheidung nach Absatz 1 von Bedeutung ist.
In den Fällen von Satz 1 Nummer 1 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung abläuft, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 2 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Aufhebung oder Entfallen des Vorbehalts der Nachprüfung der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 3 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Eintritt der Endgültigkeit der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist.

(4) Ist eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1, die nach Absatz 3 unter Vorbehalt des Widerrufs steht, rechtswidrig, ist sie mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. § 130 Absatz 3 Satz 1 gilt in diesem Fall nicht.

(1) Für die gesonderte Feststellung gelten die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß. Steuererklärung im Sinne des § 170 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 ist die Erklärung zur gesonderten Feststellung. Wird eine Erklärung zur gesonderten Feststellung nach § 180 Absatz 2 ohne Aufforderung durch die Finanzbehörde abgegeben, gilt § 170 Absatz 3 sinngemäß. In den Fällen des § 180 Absatz 1a ist keine Erklärung zur gesonderten Feststellung abzugeben; als Steuererklärung nach § 170 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 gilt in diesem Fall die Steuererklärung, für deren Besteuerungszeitraum der Teilabschlussbescheid unmittelbar Bindungswirkung entfaltet.

(2) Eine Erklärung zur gesonderten Feststellung hat derjenige abzugeben, dem der Gegenstand der Feststellung ganz oder teilweise zuzurechnen ist. Erklärungspflichtig sind insbesondere

1.
in den Fällen des § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a jeder Feststellungsbeteiligte, dem ein Anteil an den einkommensteuerpflichtigen oder körperschaftsteuerpflichtigen Einkünften zuzurechnen ist;
2.
in den Fällen des § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe b der Unternehmer;
3.
in den Fällen des § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 jeder Feststellungsbeteiligte, dem ein Anteil an den Wirtschaftsgütern, Schulden oder sonstigen Abzügen zuzurechnen ist;
4.
in den Fällen des § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a und Nummer 3 auch die in § 34 bezeichneten Personen.
Hat ein Erklärungspflichtiger eine Erklärung zur gesonderten Feststellung abgegeben, sind andere Beteiligte insoweit von der Erklärungspflicht befreit.

(2a) Die Erklärung zur gesonderten Feststellung nach § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 ist nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übermitteln. Auf Antrag kann die Finanzbehörde zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine elektronische Übermittlung verzichten; in diesem Fall ist die Erklärung zur gesonderten Feststellung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben und vom Erklärungspflichtigen eigenhändig zu unterschreiben.

(3) Die Frist für die gesonderte Feststellung von Einheitswerten oder von Grundsteuerwerten (Feststellungsfrist) beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, auf dessen Beginn die Hauptfeststellung, die Fortschreibung, die Nachfeststellung oder die Aufhebung eines Einheitswerts oder eines Grundsteuerwerts vorzunehmen ist. Ist eine Erklärung zur gesonderten Feststellung des Einheitswerts oder des Grundsteuerwerts abzugeben, beginnt die Feststellungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, auf dessen Beginn die Einheitswertfeststellung oder die Grundsteuerwertfeststellung vorzunehmen oder aufzuheben ist. Wird der Beginn der Feststellungsfrist nach Satz 2 hinausgeschoben, wird der Beginn der Feststellungsfrist für die weiteren Feststellungszeitpunkte des Hauptfeststellungszeitraums jeweils um die gleiche Zeit hinausgeschoben.

(4) In den Fällen des Absatzes 3 beginnt die Feststellungsfrist nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, auf dessen Beginn der Einheitswert oder der Grundsteuerwert erstmals steuerlich anzuwenden ist.

(5) Eine gesonderte Feststellung kann auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist; hierbei bleibt § 171 Abs. 10 außer Betracht. Hierauf ist im Feststellungsbescheid hinzuweisen. § 169 Abs. 1 Satz 3 gilt sinngemäß.

(1) Steuern können niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden.

(2) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden, für die sie von Bedeutung ist.

(3) Eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1 steht in den Fällen des Absatzes 2 stets unter Vorbehalt des Widerrufs, wenn sie

1.
von der Finanzbehörde nicht ausdrücklich als eigenständige Billigkeitsentscheidung ausgesprochen worden ist,
2.
mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 verbunden ist oder
3.
mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 verbunden ist und der Grund der Vorläufigkeit auch für die Entscheidung nach Absatz 1 von Bedeutung ist.
In den Fällen von Satz 1 Nummer 1 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs, wenn die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung abläuft, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 2 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Aufhebung oder Entfallen des Vorbehalts der Nachprüfung der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist. In den Fällen von Satz 1 Nummer 3 entfällt der Vorbehalt des Widerrufs mit Eintritt der Endgültigkeit der Steuerfestsetzung, für die die Billigkeitsmaßnahme Grundlagenbescheid ist.

(4) Ist eine Billigkeitsmaßnahme nach Absatz 1, die nach Absatz 3 unter Vorbehalt des Widerrufs steht, rechtswidrig, ist sie mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. § 130 Absatz 3 Satz 1 gilt in diesem Fall nicht.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 12. Februar 2013  15 K 4005/11 U,AO wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, als Organgesellschaft nichtsteuerbare Leistungen an die A-GmbH & Co. KG (A-KG) als Organträger erbracht hat.

2

Gesellschafter der Klägerin waren in den Streitjahren D und ihre Tochter B mit einer Beteiligung von jeweils 50 %. D und B hatten eine Stimmbindungsvereinbarung geschlossen, in der sich beide verpflichteten, ihr Stimmrecht als Gesellschafter nur einheitlich auszuüben, wobei B ihr Stimmverhalten an der Stimmabgabe durch D auszurichten hatte. Alleinige Geschäftsführerin der Klägerin war B.

3

D war darüber hinaus alleinige Kommanditistin der A-KG und Alleingesellschafterin der V-GmbH, die Komplementärin der A-KG war. D war zudem bis zum 23. Oktober 2007 einzige Geschäftsführerin der V-GmbH. Seitdem ist B weitere einzelvertretungsbefugte Geschäftsführerin der V-GmbH. Die A-KG betrieb ein sog. Seniorenzentrum als Wohn- und Pflegeheim. Sie sah die von ihr erbrachten Pflegeleistungen gemäß § 4 Nr. 16 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) als steuerfrei an.

4

Die Klägerin erbrachte in den Streitjahren 2003 bis 2008 auf der Grundlage eines im Juni 1998 abgeschlossenen Vertrags entgeltliche Leistungen im Bereich der Speisenversorgung an die A-KG, die die KG in der von ihr betriebenen Altenhilfeeinrichtung verwendete. Nach dem Vertrag hatte die Klägerin "die komplette Verpflegung von zur Zeit 334 Bewohnern mit Speisen und Getränken nach Anweisung und in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Auftraggebers" zu übernehmen. Die KG teilte der Klägerin "die Anzahl der täglich zu liefernden Portionen und ggf. die vom behandelnden Arzt vorgegebenen Ernährungskriterien der einzelnen Bewohner mit". Die Verpflegung war in einem "Tablettsystem" zusammenzustellen und auf Transportwagen zu laden, die vom Hol- und Bringdienst der A-KG auf die Wohnbereiche des Seniorenzentrums gebracht und später wieder abgeholt wurden. Weitere Leistungen erbrachte die Klägerin aufgrund eines gleichfalls im Juni 1998 abgeschlossenen "Wäscherei-Full-Servicevertrags" und eines "Hausreinigungs-Full-Servicevertrags". Darüber hinaus war die Klägerin bei der Bewirtschaftung eines Kiosks, einer Cafeteria und in der Personalkantine für die A-KG gegen Entgelt tätig.

5

Die Klägerin ging in ihren Umsatzsteuerjahreserklärungen 2003 bis 2007 und in den Umsatzsteuervoranmeldungen 2008 davon aus, dass sie steuerpflichtige Leistungen erbracht habe, die dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.

6

Im Anschluss an eine Außenprüfung und an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung war der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) demgegenüber der Auffassung, dass der Regelsteuersatz anzuwenden sei und erließ am 6. Juli 2009 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderte Umsatzsteuerjahresbescheide 2003 bis 2007 sowie einen erstmaligen Umsatzsteuerjahresbescheid 2008. Einem Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gab das FA nicht statt.

7

Einspruch und Klage zum Finanzgericht (FG) hatten keinen Erfolg. Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 1344 veröffentlichten Urteil des FG liegt eine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, die die Klägerin erstmals nach der Sonderprüfung im Einspruchsverfahren geltend gemacht hatte, nicht vor. Auf die daher steuerpflichtigen Leistungen sei der Regelsteuersatz anzuwenden. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen.

8

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts geltend macht. Im Hinblick auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage der Organschaft und die hierfür zu berücksichtigende Bedeutung des Unionsrechts (Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern --Richtlinie 77/388/EWG-- und ab dem Streitjahr 2007 Art. 11 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28. November 2006 --MwStSystRL--) hat der Senat mit Beschluss vom 30. Juli 2014 das Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in der verbundenen Rechtssache Larentia + Minerva C-108/14 und Marenave Schifffahrt C-109/14 --EU:C:2015:496-- (Vorlagebeschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Dezember 2013 XI R 17/11, BFHE 244, 79, BStBl II 2014, 417, und vom 11. Dezember 2013 XI R 38/12, BFHE 244, 94, BStBl II 2014, 428) angeordnet.

9

Mit Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt vom 16. Juli 2015 (EU:C:2015:496) hat der EuGH in dieser verbundenen Rechtssache zur Auslegung der unionsrechtlichen Grundlagen der Organschaft wie folgt entschieden:

"2.

Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2006/69 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die in dieser Bestimmung vorgesehene Möglichkeit, eine Gruppe von Personen zu bilden, die als ein Mehrwertsteuerpflichtiger behandelt werden können, allein den Einheiten vorbehält, die juristische Personen sind und mit dem Organträger dieser Gruppe durch ein Unterordnungsverhältnis verbunden sind, es sei denn, dass diese beiden Anforderungen Maßnahmen darstellen, die für die Erreichung der Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und geeignet sind, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

3.

Bei Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2006/69 geänderten Fassung kann nicht davon ausgegangen werden, dass er unmittelbare Wirkung hat, so dass Steuerpflichtige dessen Inanspruchnahme gegenüber ihrem Mitgliedstaat geltend machen könnten, falls dessen Rechtsvorschriften nicht mit dieser Bestimmung vereinbar wären und nicht in mit ihr zu vereinbarender Weise ausgelegt werden könnten."

10

Die Klägerin macht hierzu geltend, dass unionsrechtliche Erfordernisse bei der Auslegung des nationalen Rechts trotz der fehlenden Berufbarkeit zu berücksichtigen seien. Die Gefahr eines Rechtsmissbrauchs oder die Möglichkeit einer Steuerhinterziehung sprächen nicht gegen eine Rückkehr zur früheren Rechtsprechung, nach der eine mittelbare finanzielle Eingliederung über gemeinsame Gesellschafter möglich war. Rechtsmissbrauch und Steuerhinterziehung seien zudem für die bisherige BFH-Rechtsprechung zur Organschaft ohne Bedeutung gewesen. Die finanzielle Eingliederung sei erst aufgrund einer geänderten Beurteilung durch die Rechtsprechung des BFH entfallen. Eine Beherrschung der Klägerin durch die A-KG ergebe sich aus der beiden Gesellschaften übergeordneten Struktur. Die A-KG habe der Klägerin Anweisungen für die tägliche Arbeit erteilt. Die Klägerin sei in den Räumlichkeiten der A-KG tätig geworden. Bei der Klägerin habe es sich um die Ausgliederung eines zuvor von der A-KG selbst wahrgenommenen Arbeitsbereichs gehandelt. Gleichwohl habe die A-KG bei der Klägerin durchregieren können. Die nach dem Unionsrecht enge Verbindung liege vor. Zu ihren Gunsten sei zumindest eine Übergangsregelung der Finanzverwaltung anzuwenden. Auch in Bezug auf die Frage des anwendbaren Steuersatzes sei ihr Vertrauensschutz zu gewähren.

11

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 2003 bis 2008 vom 6. Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2011 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer nach Maßgabe der im Einspruchsverfahren eingereichten geänderten Umsatzsteuererklärungen festgesetzt wird,
hilfsweise, das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 31. August 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2012 zu verpflichten, die Umsatzsteuerbescheide vom 6. Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2011 aus Billigkeitsgründen entsprechend der im Einspruchsverfahren eingereichten Umsatzsteuererklärungen festzusetzen.

12

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

13

Bei dem sich aus dem nationalen Recht ergebenden Erfordernis der Eingliederung handele es sich um eine geeignete und erforderliche Maßnahme zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und zur Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung. Das Erfordernis der Überordnung diene auch der Rechtssicherheit. Das nationale Recht verstoße daher nicht gegen das Unionsrecht. Zudem knüpfe das nationale Recht zur Organschaft nicht an den Unternehmerbegriff des § 2 Abs. 1 UStG, sondern an das Merkmal der Selbständigkeit an. Damit habe der nationale Gesetzgeber eine andere Regelungstechnik gewählt als der Richtliniengeber, der am Begriff des Steuerpflichtigen ansetze. Aufgrund des Verlustes der Selbständigkeit gingen die steuerlichen Verpflichtungen wie etwa die Abgabe von Steuererklärungen auf den Organträger über. Im Hinblick auf diesen Übergang komme dem Gebot der Rechtssicherheit große Bedeutung zu. Ohne Über- und Unterordnung entstünden Abgrenzungsschwierigkeiten, die zu einer Verschleierung der für den Organkreis verantwortlichen Person führen könnten. Es drohe die Gefahr der Steuerhinterziehung und -umgehung. Zudem fehle es auch an einer organisatorischen Eingliederung. Alleinige Geschäftsführerin der Klägerin sei B gewesen, während D bis zum Oktober 2007 alleinige Geschäftsführerin bei der Komplementär-GmbH der A-KG gewesen sei. Es seien keine Standardspeisen abgegeben worden.

14

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten und macht geltend, dass hinsichtlich der Beschränkung auf juristische Personen keine Möglichkeit bestehe, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen. Am Erfordernis des Unterordnungsverhältnisses sei festzuhalten. Das Erfordernis der Mehrheitsbeteiligung entspreche den unionsrechtlichen Vorgaben. Das Gebot der Rechtssicherheit sei zu beachten. Zu berücksichtigen sei auch die Entstehungsgeschichte von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.

Entscheidungsgründe

15

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Auch unter Berücksichtigung der zum Unionsrecht ergangenen EuGH-Rechtsprechung gehört die Klägerin mangels finanzieller und organisatorischer Eingliederung weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht einer mit der A-KG bestehenden Organschaft an, so dass das FG zu Recht entschieden hat, dass die Klägerin Leistungen erbracht hat, die dem Regelsteuersatz unterliegen. Es ist auch kein Billigkeitserlass zu gewähren.

16

1. Die Klägerin ist nicht finanziell in das Unternehmen der A-KG eingegliedert.

17

a) Die finanzielle Eingliederung setzt nach nationalem Recht eine eigene Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an einer juristischen Person voraus.

18

aa) Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Die Organschaft dient der   Verwaltungsvereinfachung   (vgl. BTDrucks V/48, § 2, BTDrucks IV/1590, S. 36, zum gesetzlichen Festhalten an der vorkonstitutionellen Organschaft des UStG 1934, RStBl 1934, 1549 ff.; zum Vereinfachungszweck vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz 784, und zum Unionsrecht EuGH-Urteil Larentia + Minerva, EU:C:2015:496, Rz 41) und führt zu einer Zusammenfassung zu einem Unternehmen beim Organträger. Der Organträger ist entsprechend dem Vereinfachungszweck Steuerschuldner auch für die aufgrund der Organschaft unselbständig tätige Person. Die Rechtsfolgen der Organschaft treten von Gesetzes wegen ein. Hinsichtlich der Voraussetzungen der Organschaft ist nicht danach zu differenzieren, ob ein Steuerschuldner --hier die Klägerin-- oder der Steuergläubiger Rechtsfolgen aus der Organschaft zu seinen Gunsten ableitet.

19

bb) Da sich die mit der Organschaft verbundene Verlagerung der Steuerschuld auf den Organträger finanziell belastend auswirken kann, müssen die Voraussetzungen der Organschaft rechtssicher bestimmbar sein (BFH-Urteil vom 22. April 2010 V R 9/09, BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597, unter II.3.b bb(1), m.w.N. zur Rechtsprechung von EuGH und BFH). Dementsprechend erfordert die finanzielle Eingliederung eine Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der juristischen Person (BFH-Urteile vom 22. November 2001 V R 50/00, BFHE 197, 319, BStBl II 2002, 167, unter II.1.a; vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter II.2.a dd; vom 30. April 2009 V R 3/08, BFHE 226, 144, BFHE II 2013, 873, unter II.2.b aa; vom 22. April 2010 V R 9/09, BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597, unter II.2.; vom 1. Dezember 2010 XI R 43/08, BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600, unter II.2., und vom 7. Juli 2011 V R 53/10, BFHE 234, 548, BStBl II 2013, 218, unter II.2.a).

20

cc) Der Organträger muss zudem über eine eigene Mehrheitsbeteiligung an der juristischen Person verfügen. Diese kann sich entweder aus einer unmittelbaren Beteiligung oder mittelbar aus einer über eine Tochtergesellschaft gehaltenen Beteiligung ergeben. Demgegenüber ist bei einer Beteiligung mehrerer Gesellschafter an zwei Schwestergesellschaften nicht rechtssicher bestimmbar, unter welchen Voraussetzungen der Beteiligungsbesitz der Gesellschafter zusammengerechnet werden kann, um eine finanzielle Eingliederung der einen in die andere Schwestergesellschaft zu begründen (BFH-Urteil in BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597, unter II.3.b bb (2)). Darüber hinaus ist die finanzielle Eingliederung einer GmbH in eine Personengesellschaft nach dem BFH-Urteil des XI. Senats in BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600, Leitsatz 1 auch dann zu verneinen, wenn nur ein Gesellschafter über die Stimmenmehrheit an den beiden Schwestergesellschaften verfügt.

21

dd) Der erkennende Senat hält an dieser Rechtsprechung zur rechtssicheren wie auch einfachen Bestimmung der Voraussetzungen der Organschaft fest:

22

(1) Das nationale Recht sieht weder einen Antrag noch ein besonderes Verfahren zur Feststellung der Voraussetzungen der Organschaft vor. Da es dementsprechend an einem Grundlagenbescheid fehlt, ist es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht möglich, für die Organschaft anstelle einer eigenen Mehrheitsbeteiligung auf das unbestimmte wie auch unpräzise Merkmal einer lediglich engen finanziellen Verbindung zwischen mehreren Personen abzustellen. Eine derartige Verbindung ermöglicht es nicht, die Person rechtssicher zu bestimmen, die die steuerrechtlichen Verpflichtungen für den Organkreis als Organträger und damit als einzige Steuerschuldnerin zu erfüllen hat. So könnte z.B. ohne Erfordernis einer eigenen Mehrheitsbeteiligung auch eine mittelbare finanzielle Eingliederung zwischen zwei Schwesterkapitalgesellschaften bestehen, bei der dann mangels eines besonderen Feststellungsverfahrens die Person des Organträgers und die der Organgesellschaft nicht bestimmt werden könnte.

23

Ebenso ist es im Grundsatz im Verhältnis einer Kapitalgesellschaft zu ihrer Schwesterpersonengesellschaft. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der erkennende Senat § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG aus Gründen der Rechtsformneutralität erweiternd auch auf einzelne eingegliederte Personengesellschaften anwendet. Zu den Voraussetzungen hierfür verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil vom 2. Dezember 2015 V R 25/13 (BFHE 251, 534, unter II.2.c).

24

(2) Bei der Auslegung der Eingliederungsvoraussetzungen ist auch der mit der Organschaft verfolgte   Vereinfachungszweck   zu berücksichtigen. Dieser erfordert, dass die Organschaft auch für den Organträger als Steuerschuldner für die organschaftlich zusammengefassten Unternehmen einfach anzuwenden ist. Ohne Antrags- und ohne Feststellungsverfahren muss es dem Organträger daher aufgrund der Eingliederung möglich sein, die --nach § 370 AO strafbewährte-- Verantwortung für die Umsatztätigkeit der mit ihm verbundenen juristischen Person zu übernehmen. Dies setzt in Form der Eingliederung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG Durchgriffsmöglichkeiten voraus, aufgrund derer der Organträger --ähnlich wie bei unselbständigen Betriebsabteilungen im Unternehmeneiner Person-- die für die Abgabe von Steueranmeldungen und Steuererklärungen notwendigen Informationsansprüche wie auch die zur Erfüllung von Steueransprüchen notwendigen Ausgleichsansprüche (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 8. August 2013 V R 18/13, BFHE 242, 433, unter II.3.a) gegen die Organgesellschaft durchsetzen kann (vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 2 Anm. 913).

25

b) Im Streitfall ist die Klägerin nach nationalem Recht nicht Organgesellschaft der A-KG. Die finanzielle Eingliederung der Klägerin in die A-KG scheitert bereits daran, dass die A-KG keine eigene Mehrheitsbeteiligung an der Klägerin in ihrem Gesamthandsvermögen hielt, sondern nur über ihre Gesellschafterin D mit der Klägerin verbunden war. Ohne eigene Mehrheitsbeteiligung ist die Person des Organträgers im Verhältnis zwischen der Klägerin, einer GmbH, und ihrer Schwester-KG nicht eindeutig bestimmbar. Es bestehen keine rechtsverbindlichen Regelungen zur Zusammenrechnung eines mehreren Gesellschaftern zustehenden Anteilsbesitzes. Dies gilt auch für den Fall einer familiären Verbundenheit mehrerer Gesellschafter. Der von D mit ihrer Tochter getroffenen Stimmbindungsvereinbarung kommt keine Bedeutung zu, da diese nicht in der Satzung der Klägerin vereinbart war. Der Senat verweist auch insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil vom 2. Dezember 2015 V R 25/13, unter II.1.c cc (1).

26

Mangels eigener Mehrheitsbeteiligung standen der A-KG somit keine eigenen Durchgriffsrechte zu. Ihr, wie auch der für sie organschaftlich handelnden Komplementär-GmbH, war es nicht möglich, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die A-KG Umsätze der Klägerin gegenüber Dritten ordnungsgemäß versteuert, oder dafür verantwortlich zu sein, dass derartige Umsätze nicht vorliegen.

27

c) Das Unionsrecht führt nicht zu einer gegenüber der bisherigen BFH-Rechtsprechung geänderten Beurteilung.

28

aa) Nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG steht es jedem Mitgliedstaat frei, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln. Diese Regelung dient der "Verwaltungsvereinfachung" und der "Verhinderung bestimmter Missbräuche (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schifffahrt, EU:C:2015:496, Rz 40).

29

bb) Der Steuerpflichtige kann sich gegenüber dem nationalen Recht nicht auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen.

30

(1) Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG erfüllt "nicht die Voraussetzungen, um unmittelbare Wirkung zu entfalten", sondern hat nur "bedingten Charakter". Dies beruht darauf, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene enge Verbindung in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht einer "Präzisierung auf nationaler Ebene" bedarf und die "Anwendung nationaler Rechtsvorschriften voraussetzt, die den konkreten Umfang dieser Verbindungen bestimmen" (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 50 f.).

31

(2) Entscheiden sich Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG dafür, Regelungen zur Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen zu schaffen, haben sie bei der Ausübung der ihnen zustehenden Präzisierungsbefugnis die hierfür unionsrechtlich bestehenden Anforderungen zu berücksichtigen.

32

(a) Die Mitgliedstaaten haben zu beachten, dass sie die nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG mögliche Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen nicht von weiteren als den in dieser Bestimmung genannten Bedingungen abhängig machen dürfen (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 38) und dass das Unionsrecht die Regelung zur Mehrwertsteuergruppe nicht allein den Einheiten vorbehält, die sich in einem Verhältnis der Unterordnung zum Organträger befinden (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 44). Auf eine Unterordnung darf nur ausnahmsweise abgestellt werden, etwa wenn diese Bedingung "in einem bestimmten nationalen Kontext" zur "Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen" erforderlich und geeignet ist (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 45). Hierüber hat das nationale Gericht zu entscheiden (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 46).

33

(b) Die auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG getroffenen Regelungen haben --wie stets-- den Grundsatz der Rechtssicherheit zu beachten. Danach müssen "die Vorschriften des Unionsrechts eindeutig sein" und ihre Anwendung muss für die Betroffenen vorhersehbar sein, "wobei dieses Gebot der Rechtssicherheit in besonderem Maß gilt, wenn es sich um Vorschriften handelt, die finanzielle Konsequenzen haben können, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen durch diese Vorschriften auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen". Zudem "müssen die Rechtsnormen der Mitgliedstaaten auf den vom Unionsrecht erfassten Gebieten eindeutig formuliert sein, so dass den betroffenen Personen die klare und genaue Kenntnis ihrer Rechte und Pflichten ermöglicht wird, und die innerstaatlichen Gerichte in die Lage versetzt werden, deren Einhaltung sicherzustellen" (EuGH-Urteil Tomoiaga vom 9. Juli 2015 C-144/14, EU:C:2015:452, Rz 35, m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung). Bei der Organschaft als Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen beim Organträger handelt es sich aufgrund der damit verbundenen Verlagerung der Steuerschuld von der Organgesellschaft auf den Organträger "um Vorschriften ..., die finanzielle Konsequenzen haben können".

34

cc) Für das sich aus dem nationalen Recht ergebende Erfordernis einer Eingliederung mit Durchgriffsrechten i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG besteht eine hinreichende Grundlage im Unionsrecht.

35

(1) Obwohl sich die Voraussetzung eines Antrags nicht aus Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG ergibt, der die Bedingungen für die Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen abschließend aufzählt (s. oben II.1.c bb(2)(a)), haben einzelne Mitgliedstaaten diese Zusammenfassung antragsabhängig ausgestaltet (vgl. z.B. zu dem in der Republik Irland für die Gruppenbesteuerung bestehenden Antragserfordernis EuGH-Urteil Kommission/Irland vom 9. April 2013 C-85/11, EU:C:2013:217, Rz 8), ohne dass der EuGH dies beanstandet (vgl. EuGH-Urteil Kommission/Irland, EU:C:2013:217; vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 2, Anm. 816).

36

Der erkennende Senat versteht dies dahingehend, dass das Erfordernis einer rechtssicheren Präzisierung von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG Sonderbedingungen wie ein von der Richtlinie nicht vorgesehenes Antragserfordernis rechtfertigt, bei dem es sich um ein bloßes Verfahrenserfordernis oder auch um ein materiell-rechtliches Wahlrecht handeln kann. Im   Kontext des nationalen Rechts,   in dem es an einem besonderen Verfahren und einem Grundlagenbescheid zur Feststellung der Organschaft und damit an einer für alle am Organkreis Beteiligten verbindlichen Festlegung, ob eine Organschaft besteht und wer Steuerschuldner für diese ist, fehlt, kann   nur   anhand des Merkmals der Eingliederung die Person bestimmt werden, die die Verantwortung dafür zu tragen hat, dass die Umsätze des im Organkreis zusammengefassten Unternehmens ordnungsgemäß versteuert werden (s. oben II.1.a bb). Daher können die Mitgliedstaaten das Erfordernis der Rechtssicherheit auch bei der ihnen obliegenden Präzisierung (s. oben II.1.c bb(1)) des "konkreten Umfangs" der erforderlichen Verbindungen berücksichtigen. Dies rechtfertigt ein Abstellen auf eine Eingliederung mit Durchgriffsrechten, da sich hieraus die Organschaft als Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen beim Organträger rechtssicher ergibt (s. oben II.1.a dd). Damit wird dem Vereinfachungszweck der Zusammenfassung Rechnung getragen, da Beurteilungsschwierigkeiten, die sich auf der Grundlage einer bloßen engen Verbindung, aus der sich aufgrund ihrer Präzisierungsbedürftigkeit keine verbindlichen Voraussetzungen ergeben, entfallen.

37

Der Senat berücksichtigt dabei auch, dass die Finanzverwaltung berechtigt ist, das Bestehen einer z.B. zunächst rechtsfehlerhaft unerkannt gebliebenen Organschaft mit Wirkung für die Vergangenheit geltend zu machen. Unterschiedliche Anforderungen an die Organschaft, die sich danach richten, ob der Steuerpflichtige --zur Vermeidung nicht abziehbarer Vorsteuerbeträge wie im Streitfall-- oder die Finanzverwaltung aus Insolvenz- oder Vollstreckungsgründen ein Interesse am Bestehen der Organschaft hat, sind weder mit dem nationalen Recht noch mit dem Unionsrecht zu vereinbaren.

38

(2) Dient die Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen trotz rechtlicher Selbständigkeit dazu, "Missbräuche zu verhindern wie z.B. die Aufspaltung eines Unternehmens zwischen mehreren Steuerpflichtigen, um in den Genuss einer Sonderregelung zu gelangen" (EuGH-Urteile Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 40, und Kommission/Irland, EU:C:2013:217, Rz 47), können die Mitgliedstaaten bei Ausübung der ihnen unionsrechtlich zur Missbrauchsbekämpfung zustehenden Regelungsbefugnis (s. oben II.1.c bb(2)(a)) berücksichtigen, dass die Zusammenfassung zu nichtsteuerbaren Leistungen zwischen den zusammengefassten Personen führt. Durch diese Nichtsteuerbarkeit von Innenleistungen könnte es bei einem fehlenden Recht zum Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers nach § 15 Abs. 2 UStG (Art. 17 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 77/388/EWG) zu einer Umgehung des insoweit bestehenden Abzugsverbots kommen (zu den sich aus einer Organschaft insoweit ergebenden "Gestaltungswirkungen" vgl. z.B. Grune/Mönckedieck, Umsatzsteuer-Rundschau 2012, 541; Heintzen, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1999, 1799; Leonard, DStR 2010, 721). Die Gestaltungswirkung, die auch von der Klägerin mit der Organschaft erstrebt wird, besteht darin, den --ohne Organschaft-- eintretenden Nachteil einer Steuerentstehung ohne Recht auf Vorsteuerabzug zu vermeiden. Diese Folge ist mit dem Vereinfachungszweck der Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen nicht zu vereinbaren und rechtfertigt eine Beschränkung der Organschaft auf die Fälle, in denen die organschaftlichen Unternehmensteile aufgrund einer Eingliederung ebenso eng wie Betriebsabteilungen eines Einheitsunternehmens miteinander verbunden sind. Die Eingliederung bewirkt somit, dass derartige Vorteile nur den Organschaften zugutekommen, deren Unternehmen ähnlich eng   wie bei einem rechtlichen Einheitsunternehmen   miteinander verbunden sind.

39

dd) Durch den Übergang von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG zu dem ab 2007 geltenden Art. 11 MwStSystRL ist es nicht zu inhaltlichen Änderungen des Unionsrechts gekommen (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, Rz 36 und 42).

40

ee) Die hiergegen gerichteten Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch. Der erkennende Senat hat bereits in der Vergangenheit maßgeblich auf das Erfordernis der Rechtssicherheit abgestellt (BFH-Urteil in BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597). Hiermit nicht vereinbar ist es, für die Organschaft auf die Entstehungsgeschichte der miteinander verbundenen Unternehmen abzustellen.

41

2. Bis zum Oktober 2007 fehlte es zudem an der erforderlichen organisatorischen Eingliederung.

42

a) Nach der Rechtsprechung des BFH setzt die organisatorische Eingliederung voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen muss. Hiervon ist z.B. dann auszugehen, wenn bei zwei GmbHs eine Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen besteht. Sind für die Organ-GmbH z.B. mehrere einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer bestellt, reicht es aus, dass zumindest einer von ihnen auch Geschäftsführer der Organträger-GmbH ist, der Organträger über ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der Organ-GmbH verfügt und zur Bestellung und Abberufung aller Geschäftsführer der Organ-GmbH berechtigt ist. Nicht ausreichend ist demgegenüber, dass eine vom Organträger abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft ausgeschlossen ist (BFH-Urteil in BFHE 242, 433, unter II.2.b und 3.).

43

Soweit der Senat hierfür in einem Einzelfall auf eine "institutionell abgesicherte unmittelbare Eingriffsmöglichkeit in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung" (BFH-Urteil vom 3. April 2008 V R 76/05, BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.4.) abgestellt hat, folgt hieraus nichts anderes, als dass im Regelfall eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der juristischen Person als Organgesellschaft bestehen muss. Nicht ausreichend sind Weisungsrechte, Berichtspflichten (BFH-Urteil in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.4.) oder ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten der Gesellschafterversammlung oder zugunsten des Mehrheitsgesellschafters (BFH-Urteil in BFHE 234, 548, BStBl II 2013, 218, unter II.3.a cc).

44

b) Gegen diese Anforderungen bestehen auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt (EU:C:2015, 496) keine Bedenken in unionsrechtlicher Hinsicht. Auch das Erfordernis einer in organisatorischer Hinsicht bestehenden Durchgriffsmöglichkeit dient insbesondere der rechtssicheren Bestimmung der Eingliederungsvoraussetzungen, der Verwaltungsvereinfachung und der Missbrauchsverhinderung (vgl. oben II.1.c cc).

45

c) Damit fehlt es bis zum Oktober 2007 auch an einer organisatorischen Eingliederung der Klägerin in die A-KG. Denn bis dahin bestand eine organisatorische Trennung zwischen der Klägerin, deren einzige Geschäftsführerin B war, und der A-KG, die organschaftlich durch ihre Komplementär-GmbH vertreten wurde, bei der D einzige Geschäftsführerin war. Zu der im Sinne des BFH-Urteils in BFHE 242, 433, unter II.2.b und 3. erforderlichen organisatorischen Verflechtung über das Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan der Klägerin kam es erst dadurch, dass die Geschäftsführerin der Klägerin auch zur Geschäftsführerin bei der Komplementär-GmbH der A-AG bestellt wurde.

46

3. Die mangels Organschaft steuerbaren Leistungen der Klägerin unterliegen nicht dem ermäßigten Steuersatz.

47

Das FG hat insoweit zutreffend entschieden, dass es für die Anwendung der Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG an der dort vorausgesetzten Lieferung von in der Anlage bezeichneten Gegenständen fehlt und sich hierfür zu Recht auf die BFH-Rechtsprechung bezogen, nach der die in einer Großküche eines Altenwohnheims und Pflegeheims zur Verpflegung der Bewohner zubereiteten Speisen keine "Standardspeisen" als Ergebnis einfacher und standardisierter Zubereitungsvorgänge nach Art eines Imbissstandes sind, so dass deren Abgabe zu festen Zeitpunkten in Warmhaltebehältern keine Lieferung, sondern eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung ist (BFH-Urteil vom 12. Oktober 2011 V R 66/09, BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250). Ebenso wie in diesem Fall hat auch die Klägerin entgeltliche Leistungen zur Versorgung der in einem Heim vollstationär untergebrachten Personen mit Speisen und Getränken erbracht, wobei Speiseplanvorgaben einzuhalten waren. Es ist auch im Streitfall davon auszugehen, dass sich die Tätigkeit bei der Speisenversorgung nicht auf die Abgabe von Standardspeisen als Ergebnis einfacher und standardisierter Zubereitungen nach Art eines z.B. Imbissstandes beschränkte.

48

4. Dem Erlass der Änderungsbescheide steht auch nicht § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO entgegen.

49

Nach dieser Vorschrift darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist.

50

a) Die Anwendung dieser Vorschrift scheitert bereits daran, dass die Klägerin das Bestehen einer Organschaft erstmals im Einspruchsverfahren und damit nach Erlass der hier streitigen Steuerbescheide geltend gemacht hat. Damit lag den Steuerbescheiden vor Erlass der angefochtenen Änderungsbescheide keine BFH-Rechtsprechung zur Organschaft zugrunde, so dass die Rechtsauffassung vor der Rechtsprechungsänderung durch das BFH-Urteil in BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597 ohne Bedeutung war.

51

b) In Bezug auf die Frage der Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen ergibt sich für die Klägerin ein Anspruch auf Vertrauensschutz auch nicht daraus, dass der erkennende Senat mit seinem Urteil in BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250 die Rechtsprechung "fortentwickelt" hat. Denn unabhängig hiervon hatte sich der BFH vor diesem Urteil zur Frage der Speisenversorgung in Altenwohnheimen und Pflegeheimen nicht unmittelbar geäußert.

52

5. Das FG hat den von der Klägerin geltend gemachten Erlass aus Billigkeitsgründen zutreffend abgelehnt.

53

a) Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne die Steuer erhöhende Besteuerungsgrundlagen unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen unbillig wäre.

54

Die nach § 163 AO zu treffende Billigkeitsentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde i.S. des § 5 AO, die grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (§ 102, § 121 FGO). Sie kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin geprüft werden, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603; BFH-Urteile vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297; vom 10. Oktober 2001 XI R 52/00, BFHE 196, 572, BStBl II 2002, 201; vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865; vom 6. September 2011 VIII R 55/10, BFH/NV 2012, 269).

55

b) Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft (vgl. BFH-Urteile vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259; vom 18. Dezember 2007 VI R 13/05, BFH/NV 2008, 794; in BFH/NV 2011, 865). Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (vgl. BFH-Beschluss vom 12. September 2007 X B 18/03, BFH/NV 2008, 102, m.w.N.).

56

c) Rechtsfehlerfrei hat das FG erkannt, dass das FA die Voraussetzungen einer sachlichen oder persönlichen Unbilligkeit zutreffend verneint hat. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass für einen über § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO hinausgehenden Vertrauensschutz im Fall einer Änderung der Rechtsprechung im Allgemeinen keine Notwendigkeit besteht, wenn sich der Steuerpflichtige die vom BFH aufgegebene Rechtsprechung erst in einem Einspruchsverfahren zu eigen macht. Zudem hat das FG zutreffend berücksichtigt, dass Verwaltungsanweisungen, zu denen auch dort getroffene Übergangsregelungen gehören, nicht wie Gesetze auslegungsfähig sind, sondern im Allgemeinen entsprechend dem Verständnis der Finanzverwaltung anzuwenden sind (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 13. Januar 2011 V R 43/09, BFHE 233, 58, BStBl II 2011, 610, zur "Vertretbarkeit" der von einer Finanzbehörde vorgenommenen Auslegung einer von der Finanzverwaltung getroffenen Übergangsregelung). Im Hinblick auf die Vermögenssituation der Klägerin konnte das FG auch persönliche Billigkeitsgründe verneinen.

57

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 22. Mai 2013  10 K 2866/12 K aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen, soweit das Finanzgericht Münster ihr nicht mit Urteil vom 14. September 2011  10 K 3755/08 K stattgegeben hat.

Die Kosten des Rechtsstreits bis zum 14. September 2011 haben die Klägerin zu 37 % und der Beklagte zu 63 % zu tragen. Die weiteren Kosten ab dem 15. September 2011 fallen allein der Klägerin zur Last.

Tatbestand

I.

1

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

2

Die Geschäftsanteile der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH, wurden ursprünglich zu 99 % von der T-S.A. gehalten. Diese veräußerte ihre Beteiligung im Oktober 2003 für 1 € an die M-S.A., bei der es sich nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil um die Muttergesellschaft der T-S.A. handelt.

3

Am 14. Dezember 2004 erwarben zwei Mitarbeiter der Klägerin sämtliche Geschäftsanteile für je 1 €.

4

Die Klägerin hatte in der Zeit bis 2004 (Streitjahr) erhebliche Verbindlichkeiten gegenüber den beiden S.A. Mit Aufsichtsratsbeschluss vom 19. Oktober 2004 erließ die T-S.A. der Klägerin Verbindlichkeiten in Höhe von 442.276 €. Die M-S.A., die der Klägerin im Streitjahr bis zur Anteilsveräußerung am 14. Dezember Liquiditätszuschüsse in Höhe von insgesamt 160.000 € jeweils mit dem Verwendungszweck "avance en compte courant" gezahlt hatte, verzichtete im Rahmen des Veräußerungsvertrags vom 14. Dezember 2004 auf alle ihr gegen die Klägerin zustehenden Forderungen. Am 23. Dezember 2004 leistete die M-S.A. eine weitere Zahlung von 95.000 € an die Klägerin mit dem Verwendungszweck "avance en compte courant". Mit Schreiben vom 15. April und 24. Juni 2005 erließ die M-S.A. der Klägerin ihre Forderungen aus den im Streitjahr gewährten Liquiditätszuschüssen von insgesamt 235.000 € sowie eine weitere Forderung von 20.000 €.

5

In ihrem der Steuererklärung für das Streitjahr zugrundeliegenden Jahresabschluss zum 31. Dezember 2004 erfasste die Klägerin die Forderungsverzichte in Höhe von 442.276 €, 235.000 € und 20.000 € (insgesamt 697.276 €) als außerordentliche Erträge. Die Klägerin beantragte beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) am 8. November 2005 unter Hinweis auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 27. März 2003 (sog. Sanierungserlass, BStBl I 2003, 240, später ergänzt durch BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009, BStBl I 2010, 18) den Erlass der auf den Verzichten beruhenden Körperschaftsteuer für das Streitjahr aus sachlichen Billigkeitsgründen (§ 227 der Abgabenordnung in der im Streitjahr geltenden Fassung --AO--).

6

Das FA setzte die Körperschaftsteuer mit bestandskräftig gewordenem Bescheid erklärungsgemäß fest. Den Antrag auf Steuererlass lehnte das FA ab, weil es an der nach dem sog. Sanierungserlass erforderlichen Sanierungsabsicht gefehlt habe. Die Verzichte seien in erster Linie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst gewesen.

7

Die dagegen erhobene Klage hatte im ersten Rechtsgang teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Münster hat den Ablehnungsbescheid des FA mit Urteil vom 14. September 2011  10 K 3755/08 K aufgehoben, soweit der Erlassantrag sich auf den Forderungsverzicht der T-S.A. über 442.276 € bezogen hatte; das FA wurde verpflichtet, den Erlassantrag insoweit unter Beachtung der Entscheidungsgründe des FG-Urteils neu zu bescheiden. Im Übrigen (Forderungsverzichte der M-S.A.) hatte das FG die Klage im ersten Rechtsgang abgewiesen, weil diese Verzichte erst mit den Schreiben vom 15. April und vom 24. Juni 2005 erklärt worden und deshalb nicht im Streitjahr, sondern erst im Folgejahr 2005 wirksam geworden seien.

8

Der erkennende Senat hat jenes FG-Urteil auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin mit Beschluss vom 17. Juli 2012 I B 155/11 aufgrund Verfahrensmangels im Umfang der Klageabweisung aufgehoben und die Sache insoweit an das FG zurückverwiesen.

9

Im zweiten Rechtsgang hat das FG der Klage auch im Hinblick auf die Forderungsverzichte der M-S.A. stattgegeben und das FA verpflichtet, den Erlassantrag unter Beachtung der Entscheidungsgründe des FG-Urteils neu zu bescheiden (Urteil des FG Münster vom 22. Mai 2013  10 K 2866/12 K, juris).

10

Gegen das FG-Urteil richtet sich die --vom Senat zugelassene-- Revision des FA. Das FA ist nach wie vor der Auffassung, die Forderungsverzichte erfüllten nicht die Voraussetzungen des sog. Sanierungserlasses, weil sie primär durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst seien. Im Übrigen müsse der erst nach Verkauf der Geschäftsanteile geleistete Liquiditätszuschuss der M-S.A. über 95.000 € vom 23. Dezember 2004 als echter Zuschuss angesehen werden, sodass ein Rückforderungsrecht, auf das die M-S.A. hätte verzichten können, nie bestanden habe. Ferner könne sich der im Anteilskaufvertrag vom 14. Dezember 2004 erklärte Forderungsverzicht der M-S.A. zeitlich nicht auf jenen --erst später ausgereichten-- Liquiditätszuschuss beziehen.

11

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

12

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

13

Mit Beschluss vom 13. Juli 2016 hat der erkennende Senat auf Antrag der Beteiligten gemäß § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) über den Vorlagebeschluss des X. Senats des BFH vom 25. März 2015 X R 23/13 (BFHE 249, 299, BStBl II 2015, 696) angeordnet. Der Große Senat des BFH hat mit Beschluss vom 28. November 2016 GrS 1/15 (BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393) entschieden, dass das BMF mit dem im sog. Sanierungserlass vorgesehenen Billigkeitserlass der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuer gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt.

Entscheidungsgründe

II.

14

Die Revision erweist sich als im Ergebnis begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage, soweit das FG dieser nicht bereits rechtskräftig (mit Urteil vom 14. September 2011  10 K 3755/08 K) stattgegeben hat. Der sog. Sanierungserlass, auf den die Klägerin ihren Antrag ausschließlich stützt, verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und ist keine geeignete Grundlage für einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen.

15

1. Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Unter denselben Voraussetzungen können gemäß § 227 AO Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen werden. Die Entscheidung über die abweichende Steuerfestsetzung oder den Erlass von Steuern ist eine Ermessensentscheidung. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um ein voraussetzungsloses Ermessen. Vielmehr setzen die abweichende Steuerfestsetzung gemäß § 163 AO und der Erlass von Steuern gemäß § 227 AO voraus, dass die Erhebung bzw. Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; der Begriff der Unbilligkeit bestimmt Inhalt und Grenzen des Ermessens. Die Voraussetzungen der Unbilligkeit, die sich aus persönlichen oder sachlichen Gründen ergeben können, sind im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der behördlichen Entscheidung uneingeschränkt zu prüfen (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393, Rz 98 ff., m.w.N.).

16

2. Soweit das BMF mit dem sog. Sanierungserlass die Auffassung vertreten hat, unter den dort beschriebenen Voraussetzungen sei die Erhebung der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuer sachlich unbillig i.S. des § 163 Satz 1 und des § 227 AO, handelt es sich folglich um eine norminterpretierende --nämlich das Merkmal sachlicher Unbilligkeit konkretisierende-- Verwaltungsvorschrift, welche die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Rechts sichern soll. Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften haben nach ständiger BFH-Rechtsprechung keine Bindungswirkung im gerichtlichen Verfahren. Sie stehen unter dem Vorbehalt einer abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung, der allein es obliegt zu entscheiden, ob die Auslegung der Rechtsnorm durch die Finanzverwaltung im Einzelfall Bestand hat. Sonach lässt sich der Steuererlass in Fällen, in denen die Unbilligkeit der Besteuerung i.S. der §§ 163 und 227 AO nicht gegeben ist, auch nicht mit einer durch Verwaltungsvorschrift geschaffenen Selbstbindung der Finanzverwaltung und einem darauf gestützten Anspruch des Steuerpflichtigen auf Gleichbehandlung begründen (vgl. wiederum den Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393, Rz 107 f.).

17

3. Nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393 (Rz 109 ff.) beschreiben die im sog. Sanierungserlass aufgestellten Voraussetzungen für einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen keinen Fall sachlicher Unbilligkeit i.S. der §§ 163, 227 AO. Soweit der sog. Sanierungserlass gleichwohl den Erlass der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuer vorsieht, liegt darin ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Der erkennende Senat schließt sich dem an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des vorgenannten BFH-Beschlusses.

18

4. In Reaktion auf den am 8. Februar 2017 veröffentlichten Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393 hat das BMF mit Schreiben vom 27. April 2017 (BStBl I 2017, 741, Ziff. 1) "aus Gründen des Vertrauensschutzes" u.a. angeordnet, dass in den Fällen, in denen --wie im Streitfall-- der Forderungsverzicht der an der Sanierung beteiligten Gläubiger bis zum 8. Februar 2017 endgültig vollzogen worden ist, der sog. Sanierungserlass "weiterhin uneingeschränkt anzuwenden" sei. Auch auf dieses BMF-Schreiben lässt sich indessen die Gewährung eines Steuererlasses gemäß § 227 AO nicht stützen. Es verstößt ebenfalls gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

19

a) Wenn sich die bisherige Rechtsprechung verschärft oder eine höchstrichterliche Entscheidung von einer bisher allgemein geübten Verwaltungsauffassung abweicht, kann die Finanzverwaltung allerdings gehalten sein, allgemeine Übergangsregelungen bzw. Anpassungsregelungen zu erlassen oder entsprechende Einzelmaßnahmen zu treffen, um den Steuerpflichtigen im Hinblick auf seine im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage getroffenen Dispositionen nicht zu enttäuschen (vgl. Senatsurteil vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610; BFH-Urteil vom 12. Januar 1989 IV R 87/87, BFHE 155, 487, BStBl II 1990, 261; BFH-Beschluss vom 26. September 2007 V B 8/06, BFHE 219, 245, BStBl II 2008, 405; Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl., § 163 Rz 80 ff.; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 163 AO Rz 8; Oellerich in Beermann/Gosch, AO § 163 Rz 145, 149; Lüdicke in Lüdicke/ Mellinghoff/Rödder [Hrsg.], Nationale und internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, Festschrift für Dietmar Gosch, 2016, S. 261, 274).

20

b) Ein schützenswertes Vertrauen des Steuerpflichtigen im vorstehend beschriebenen Sinne ist indessen nur dann gegeben, wenn als Vertrauensgrundlage eine gesicherte, für die Meinung des Steuerpflichtigen sprechende Rechtsauffassung bestanden hat und die Rechtslage nicht als zweifelhaft erschien (BFH-Urteil vom 15. Januar 1986 II R 141/83, BFHE 145, 453, BStBl II 1986, 418; BFH-Beschluss in BFHE 219, 245, BStBl II 2008, 405). Im Fall des sog. Sanierungserlasses bestand eine solche zweifelfreie Rechtsauffassung nicht. Dessen Legalität ist vielmehr von Teilen des Schrifttums (vgl. z.B. Schmidt/ Heinicke, EStG, 36. Aufl., § 4 Rz 460 "Sanierungsgewinne"; Kanzler, Finanz-Rundschau 2003, 480; Bareis/Kaiser, Der Betrieb --DB-- 2004, 1841) und der finanzgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Urteil des FG München vom 12. Dezember 2007  1 K 4487/06, Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 515) schon frühzeitig infrage gestellt worden (vgl. auch Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393, Rz 67 ff., m.w.N. zur kontroversen Rezeption des sog. Sanierungserlasses in Rechtsprechung und Schrifttum).

21

Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin vertretenen Auffassung ist auch das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. März 2014 IX ZR 23/10 (DB 2014, 945) zur haftungsrechtlichen Inanspruchnahme eines Steuerberaters, der es unterlassen hat, seinen Mandanten auf die Möglichkeit der steuerlichen Sonderbehandlung nach dem sog. Sanierungserlass hinzuweisen, nicht geeignet, einen Vertrauenstatbestand im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des sog. Sanierungserlasses zu begründen. Vielmehr hat der BGH dort die Frage der Gesetzmäßigkeit des sog. Sanierungserlasses ausdrücklich offen gelassen, weil der Berater auch dann hafte, wenn sich der sog. Sanierungserlass nachträglich als gesetzeswidrig herausstelle (BGH-Urteil in DB 2014, 945, Rz 31).

22

c) In der vorliegenden Konstellation ist eine allgemeine verwaltungsseitige "Übergangsregelung" in Form der Anordnung der schlichten Fortgeltung des Sanierungserlasses für alle Altfälle ausgeschlossen, weil eine solche Maßnahme dem Gesetzgeber vorbehalten ist.

23

aa) Der Große Senat des BFH hat in dem Beschluss in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393 (Rz 112 f.) ausgeführt: "Eine sachliche Billigkeitsmaßnahme stellt immer auf den Einzelfall ab und ist atypischen Ausnahmefällen vorbehalten. Das bedeutet zwar nicht, dass sie allein für singulär auftretende Fälle vorgesehen ist; sie kann vielmehr auch in durch besondere Ausnahmevoraussetzungen gekennzeichneten Fallgruppen gewährt werden. Die Voraussetzungen einer Billigkeitsmaßnahme sind aber im Fall einer solchen Gruppenregelung dieselben wie bei einer Einzelfallentscheidung der Finanzbehörde: Die Erhebung oder Einziehung muss gemäß § 163 Satz 1 und § 227 AO ´nach Lage des einzelnen Falls´ unbillig sein. Eine Gruppe gleichgelagerter Einzelfälle kann daher mit dem Ziel einer einheitlichen Behandlung zusammenfassend beurteilt werden, doch müssen hinsichtlich all dieser Einzelfälle die Voraussetzungen der sachlichen Unbilligkeit vorliegen (BFH-Urteile vom 9. Juli 1970 IV R 34/69, BFHE 99, 448, BStBl II 1970, 696, und vom 25. November 1980 VII R 17/78, BFHE 132, 159, BStBl II 1981, 204). Typisierende Billigkeitsregelungen in Gestalt subsumierbarer Tatbestände kommen deshalb nicht in Betracht; sie können allein Bestandteil einer gesetzlichen Regelung sein (...)."

24

bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe handelt es sich bei der unterschiedslosen Anwendung des sog. Sanierungserlasses auf sämtliche noch offene "Altfälle" gemäß Ziffer 1 des BMF-Schreibens in BStBl I 2017, 741 um eine dem Gesetzgeber vorbehaltene typisierende Vertrauensschutzregelung, die nicht auf eine Unbilligkeit "nach Lage des Einzelfalls" abstellt. Denn es besteht kein Anhalt dafür, dass in jedem der Altfälle das Vertrauen auf die steuerliche Begünstigung des Sanierungsgewinns durch den sog. Sanierungserlass ursächlich für die jeweiligen Forderungsverzichte der Gläubiger gewesen ist und dass alle Gläubiger bei Kenntnis des Fehlens einer Steuerbegünstigung von ihren Forderungserlassen abgesehen und anderweitig disponiert hätten. So hat der Große Senat des BFH die Regelungen des sog. Sanierungserlasses u.a. auch deshalb nicht als vornehmlich auf die Beseitigung sachlicher Unbilligkeit ausgerichtet angesehen, weil er keine Einzelfallprüfung vorsieht, sondern typisierende Regelungen enthält, welche die sachliche Unbilligkeit unter den dort beschriebenen Voraussetzungen ohne Rücksicht auf die Höhe des Sanierungsgewinns und der darauf entfallenden Steuer sowie ungeachtet einer zu befürchtenden Gefährdung der Unternehmenssanierung als gegeben unterstellen. Gerade bei der vom sog. Sanierungserlass geforderten vorrangigen Verlustverrechnung kann der nach Verrechnung verbleibende Sanierungsgewinn so gering sein, dass seine Besteuerung eine Gefährdung der Unternehmenssanierung nicht befürchten lässt; gleichwohl gewährt der sog. Sanierungserlass in jedem Fall eines verbleibenden Sanierungsgewinns den Steuererlass (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393, Rz 120 f.).

25

cc) Der Verstoß der Ziffer 1 des BMF-Schreibens in BStBl I 2017, 741 gegen das Legalitätsprinzip ergibt sich des Weiteren daraus, dass das BMF-Schreiben parallel zu dem Gesetzgebungsverfahren ergangen ist, in dem die ertragsteuerliche Begünstigung von Sanierungsgewinnen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt worden ist.

26

aaa) Zeitgleich mit der Abfassung des BMF-Schreibens in BStBl I 2017, 741 am 27. April 2017 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen (vom 27. Juni 2017, BGBl I 2017, 2074, BStBl I 2017, 1202) beschlossen, durch dessen Art. 2 und 4 u.a. die Vorschriften des § 3a des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 7b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) geschaffen worden sind. Diese enthalten nunmehr antragsgebundene Steuerbefreiungstatbestände für Betriebsvermögensmehrungen oder Betriebseinnahmen aus einem Schuldenerlass zum Zwecke einer unternehmensbezogenen Sanierung. Die Steuerbefreiungen sind gemäß § 52 Abs. 4a EStG und § 36 Abs. 2c GewStG i.d.F. des vorgenannten Gesetzes erstmals in den Fällen anzuwenden, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8. Februar 2017 --dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beschlusses des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393-- erlassen wurden. Für "Altfälle", d.h. für jene Sanierungsgewinne, die auf einem Erlass von Schulden beruhen, der zeitlich bis zum 8. Februar 2017 vereinbart wurde, enthalten die Gesetze keine Übergangsregelungen.

27

Ursprünglich hatte der Bundesrat zwar noch vorgeschlagen, dass die Befreiung von der Einkommensteuer "in allen offenen Fällen" und die Befreiung von der Gewerbesteuer "auch für Erhebungszeiträume vor 2017" anzuwenden sein sollten (BTDrucks 18/11531, S. 9 und 11). Auf eine solche Rückwirkung ist aber in der endgültigen Gesetzesfassung auf Vorschlag des Finanzausschusses des Bundestags verzichtet worden. In der Begründung der Entwurfsfassung des Finanzausschusses heißt es dazu: "Für Steuerfälle, in denen der Schuldenerlass bis zum 8. Februar 2017 ausgesprochen wurde oder in denen bis zum Stichtag eine verbindliche Auskunft erteilt wurde, ist nach dem zur Veröffentlichung im Bundessteuerblatt Teil I vorgesehenen BMF-Schreiben vom 27. April 2017 ... der Sanierungserlass aus Vertrauensschutzgründen weiterhin anwendbar" (BTDrucks 18/12128, S. 33).

28

bbb) Führt der Gesetzgeber eine steuerliche Begünstigungsregelung ein, nachdem sich durch eine Gerichtsentscheidung herausgestellt hat, dass eine bislang im Billigkeitsweg durchgeführte Verwaltungspraxis gegen das Legalitätsprinzip verstößt, obliegt ihm auch die Entscheidung darüber, ob und auf welche Weise die gesetzliche Begünstigung auf Altfälle anzuwenden ist. Bezieht der Gesetzgeber die Altfälle nicht durch eine Übergangsregelung mit in die Neuregelung ein, steht es der Finanzverwaltung nicht zu, die bisherige Verwaltungspraxis unter Berufung auf Vertrauensschutzgesichtspunkte im Billigkeitsweg fortzusetzen. Verwaltungsanweisungen, mit denen zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse generelle Unzulänglichkeiten des Gesetzes --hier: das Fehlen einer Übergangsregelung für Altfälle-- korrigiert werden sollen, sind unzulässig (vgl. Lüdicke, a.a.O., S. 274; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 163 AO Rz 8, § 227 AO Rz 54a; Oellerich in Beermann/Gosch, AO § 163 Rz 7).

29

Dass der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags sich in der Begründung seines Regelungsvorschlags explizit auf das BMF-Schreiben in BStBl I 2017, 741 bezogen hat, führt vorliegend zu keiner anderen Beurteilung. Eine derartige Äußerung eines am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organs im Rahmen der Begründung eines Gesetzentwurfs ist kein geeigneter Ersatz für eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für das entsprechende Verwaltungshandeln (a.A. Uhländer, DB 2017, 1224: "abgestimmtes Vorgehen zwischen parlamentarischer Verantwortung einerseits und dem BMF bzw. den obersten Steuerbehörden in den Bundesländern andererseits"). Hierfür wäre vielmehr die Schaffung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (Verordnungsermächtigung gemäß Art. 80 des Grundgesetzes --GG--) erforderlich gewesen.

30

Ebenso wenig ändert es an dieser Erkenntnis etwas, dass sich die gesetzlichen Neuregelungen (Steuerbefreiungstatbestände) auf der Ebene der Steuerfestsetzung auswirken, während über die Begünstigungen nach dem sog. Sanierungserlass im Billigkeitsverfahren zu entscheiden war. Insbesondere hätte nichts dagegen gesprochen, auch jene Altfälle in eine gesetzliche Übergangsregelung einzubeziehen, in denen --wie im Streitfall-- die Billigkeitsverfahren noch offen, die Steuern (unter Einbeziehung der Sanierungsgewinne) aber bereits bestandskräftig festgesetzt worden sind.

31

5. Nach alldem muss der Revision des FA stattgegeben werden, ohne dass es für die Entscheidung auf die zwischen den Beteiligten streitigen Fragen zur Sanierungsabsicht und zum Umfang der verzichtsbedingten Vermögensmehrungen ankommt. Da die Klägerin ihren Antrag nicht mit persönlichen oder einzelfallbezogenen sachlichen Unbilligkeitsgründen begründet hat, ist die Klage in dem noch anhängigen Umfang abzuweisen.

32

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, erwarb im Jahr 1978 ein Wohnhaus mit Bäckerei in M (Vermietungsobjekt). Ihr Grundbesitz war laut der Abteilung III des Grundbuchs mit verschiedenen Buchgrundschulden belastet.

Am 30. April 2013 veräußerte die Klägerin ihr Vermietungsobjekt. Der Kaufpreis betrug 2.250.000 €. Laut dem Notarvertag sollte der Kaufpreis zur Zahlung fällig sein, wenn u.a. die Lastenfreistellungserklärungen zur bedingungslosen Verwendung oder versehen nur mit solchen Auflagen, die durch die Bezahlung des Kaufpreises oder eines Teils davon erfüllt werden können, in grundbuchmäßiger Form dem Notar vorliegen oder die Lastenfreistellung bereits grundbuchrechtlich vollzogen ist.

Aufgrund dieser Verpflichtung zur Lastenfreistellung tilgte die Klägerin in der Folgezeit vorzeitig zwei im Zusammenhang mit dem Vermietungsobjekt aufgenommene Darlehen:

Darlehen

Bank

Vorfälligkeitsentschädigung

Nr. …543

VR-Bank …

22.274,22 €

Nr. …380

Raiffeisenbank …

203,28 €

insgesamt: 22.477,50 €

Das Darlehen Nr. …380 wurde im Jahr 2005 mit einer Endfälligkeit im Februar 2016 aufgenommen. Der Darlehensvertrag Nr. …543 wurde im Jahr 2011 mit einer Endfälligkeit im Oktober 2021 abgeschlossen.

Die Klägerin beabsichtigte mit dem erzielten Kaufpreis weder den Erwerb eines neuen Vermietungsobjekts noch erwarb sie zu einem späteren Zeitpunkt ein solches.

Die Klägerin erzielte bis zum Verkauf ihres Grundbesitzes Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, daneben erzielte sie Einkünfte aus Kapitalvermögen.

In der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung für 2013 machte die Klägerin Vorfälligkeitsentschädigungen in Höhe von insgesamt 22.477,50 € als Werbungskosten im Rahmen ihrer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung geltend.

Mit Bescheid vom 27. August 2014 stellte der Beklagte einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung der Klägerin in Höhe von 11.993 € fest. Dabei ließ er die Vorfälligkeitsentschädigungen unberücksichtigt, da diese im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Verkauf des Vermietungsobjekts und nicht mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gestanden hätten.

Den gegen den Feststellungsbescheid eingelegten Einspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2016 als unbegründet zurück.

Zur Begründung ihrer dagegen gerichteten Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor: Die jeweilige Darlehensvaluta sei für Erhaltungsaufwendungen der Immobilie verwendet worden. Der durch die tatsächliche Verwendung der Darlehen zur Finanzierung sofort abzugsfähiger Werbungskosten geschaffene Zusammenhang mit der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung bleibe auch nach Aufgabe der Vermietungstätigkeit bestehen (unter Hinweis auf BFH-Urteile vom 16. September 1999 IX R 42/97, BStBl II 2001, 528 vom 12. Oktober 2005 IX R 28/04, BStBl II 2006, 407, und auf BMF-Schreiben vom 3. Mai 2006, BStBl I 2006, 363, und vom 15. Januar 2014, BStBl I 2014, 108). Der Begriff der Schuldzinsen umfasse auch eine zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung (unter Hinweis auf BFH-Urteile vom 14. Januar 2004 IX R 34/01, BFH/NV 2004, 1091; vom 23. April 1996 IX R 5/94, BStBl II 1996, 595).

Ob das Klageverfahren 2 K 1725/16 wegen des vom Beklagten abgelehnten Billigkeitsantrags nach § 163 der Abgabenordnung (AO) gegenüber dem hiesigen Klageverfahren (Feststellungsverfahren) vorgreiflich sei, könne dahinstehen, da eine Pflicht des Gerichts zur Aussetzung des Verfahrens jedenfalls nicht bestehe.

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung für 2013 vom 27. August 2014 und der Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2016 den Verlust aus Vermietung und Verpachtung um 22.477 € zu erhöhen und entsprechend höher festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung trägt er ergänzend vor, dass unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Februar 2014 (IX R 42/13, BStBl II 2015, 633) eine Vorfälligkeitsentschädigung wirtschaftlich betrachtet das Ergebnis einer auf vorzeitige Ablösung gerichteten Änderung des Darlehensvertrages sei. Der ursprünglich durch die Darlehensaufnahme zur Finanzierung der Anschaffungs- und Herstellungskosten eines Mietobjekts begründete wirtschaftliche Zusammenhang mit der bisherigen Vermietungstätigkeit werde bei Leistung einer Vorfälligkeitsentschädigung im Zuge der Veräußerung überlagert bzw. einem neuen, durch die Veräußerung ausgelösten Veranlassungszusammenhang ersetzt. Dies gelte auch für Darlehen, die zur Finanzierung sofort abziehbarer Werbungskosten (Erhaltungsaufwendungen) aufgenommen worden seien.

Die Vorfälligkeitsentschädigungen könnten bei entsprechender Gestaltung unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 21. Juni 1994 (IX R 57/89, BFH/NV 1995, 106) ausnahmsweise als Finanzierungskosten für die Anschaffung eines neuen, dem Erzielen von Vermietungseinkünften dienenden Objekts zu beurteilen sein. Ein solch wirtschaftlicher Zusammenhang sei von der Klägerin nachweislich nicht dargelegt worden.

II.

Die Klage ist unbegründet.

Zu Recht hat der Beklagte die von der Klägerin gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen nicht als Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung abgezogen.

1. Im Streitfall sind die von der Klägerin zur vorzeitigen Ablösung der Darlehen gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen nicht als Werbungskosten im Sinne des § 9 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Streitjahres (EStG) bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen, weil sie nicht mit der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, sondern im Zusammenhang mit der Veräußerung des Grundstücks angefallen sind.

a) Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen. Zu den Werbungskosten zählen auch Schuldzinsen, soweit sie mit einer Einkunftsart in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG).

Werbungskosten sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung abzuziehen, wenn sie durch sie veranlasst sind. Maßgeblich ist insoweit, ob die Darlehensvaluta, auf die Schuldzinsen gezahlt werden, zur Erzielung von Vermietungseinkünften aufgenommen und tatsächlich verwendet worden ist; ein bloßer rechtlicher Zusammenhang reicht nicht aus (vgl. BFH-Urteil vom 24. Oktober 2012 IX R 35/11, BFH/NV 2013, 522, m.w.N.).

Der Begriff der Schuldzinsen umfasst zwar auch eine zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung. Denn Vorfälligkeitsentschädigungen sind ein Nutzungsentgelt für das auf die verkürzte Laufzeit in Anspruch genommene Fremdkapital (vgl. BFH-Urteile vom 25. Februar 1999 IV R 55/97, BStBl II 1999, 473; vom 6. Dezember 2005 VIII R 34/04, BStBl II 2006, 265). Sind Vorfälligkeitsentschädigungen jedoch durch eine Grundstücksveräußerung veranlasst, sind sie nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn die Vorfälligkeitsentschädigung nach der vom Steuerpflichtigen getroffenen Gestaltung ausnahmsweise als Finanzierungskosten für die Anschaffung eines neuen, dem Erzielen von Vermietungseinkünften dienenden Objekt zu beurteilen ist und soweit der nach der Darlehenstilgung verbleibende Restkaufpreis zur Finanzierung dieses Objekts tatsächlich verwendet worden ist (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2004, 1091; und in BStBl II 1996, 595, jeweils m.w.N.).

b) Im Streitfall sind die Vorfälligkeitsentschädigungen durch die Grundstücksveräußerung der Klägerin veranlasst worden. Die Klägerin ist laut dem Notarvertrag verpflichtet gewesen, ihre Immobilie lastenfrei zu übertragen.

Die von der Klägerin gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen sind jedoch nicht als Werbungskosten in die Ermittlung eines Veräußerungsgewinns einzustellen gewesen. Denn die Vorfälligkeitsentschädigungen haben nicht der Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen gedient, da der Veräußerungsvorgang nicht steuerbar gewesen ist.

Nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zählen zu den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften auch Einkünfte aus Veräußerungsgeschäften bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass hinsichtlich des streitigen Grundstücks kein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft i.S. der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG vorliegt. Denn die Klägerin hat die vermietete Immobilie im Jahr 1978 erworben und hat sie mit Vertrag vom 30. April 2013 außerhalb der zehnjährigen Spekulationsfrist veräußert.

c) Die Vorfälligkeitsentschädigungen sind auch dann -als Veräußerungskostendem Vorgang der Veräußerung und nicht (ersatzweise) den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zuzurechnen, wenn der hierbei erzielte Veräußerungsgewinn -wie im Streitfall nicht steuerbar ist (vgl. BFH in BStBl II 2006, 265; und in BStBl II 2015, 633; Urteil des Finanzgerichts Bremen vom 15. November 2017 1 K 105/17, juris).

d) Nichts anderes gilt, wenn die Entschädigung zur Ablösung von Darlehen hingegeben worden ist, mit denen Aufwendungen finanziert worden sind, die während der Vermietungstätigkeit als sofort abziehbare Werbungskosten -wie von der Klägerin ohne Nachweis vorgetragenzu beurteilen gewesen sind.

Zwar wird der durch die tatsächliche Verwendung der Kredite geschaffene wirtschaftliche Zusammenhang mit der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung -anders als bei einem Darlehen zur Finanzierung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten durch die Veräußerung des Wirtschaftsgutes nicht berührt, so dass die Klägerin als Darlehensnehmerin berechtigt ist, auch nach Aufgabe ihrer Vermietungstätigkeit gezahlte Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen. Die Klägerin ist aber auch nicht deswegen berechtigt, Vorfälligkeitsentschädigungen als Werbungskosten abzuziehen.

Löst der Steuerpflichtige seine Schuld vorzeitig ab, um ein lastenfreies Grundstück übereignen zu können, so ist die dafür an den Darlehensgeber zu entrichtende Entschädigung nicht mehr der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung, sondern der nicht einkommensteuerbaren Veräußerung zuzurechnen. Der Zusammenhang der Kreditkündigung mit der einkommensteuerrechtlich unerheblichen Vermögensumschichtung tritt an die Stelle der Veranlassung der Kreditaufnahme durch die frühere Einkunftsart.

Obschon die Vorfälligkeitsentschädigung Bestandteil der auf die (verkürzte) Gesamtlaufzeit des Kredits bezogene Gegenleistung des Darlehensnehmers für die Inanspruchnahme des Fremdkapitals ist und -ebenso wie die Zinsen weiterhin auf dem Darlehensvertrag als Rechtsgrund beruht, ist sie das Ergebnis einer auf vorzeitige Kreditablösung gerichteten Änderung des Kreditvertrags. Erst mit dieser Modifizierung des Vertragsinhalts steht dem Darlehensgeber eine seine Interessen wahrende Vorfälligkeitsentschädigung zu. Diese vertragliche Vereinbarung ist auch steuerrechtlich das „auslösende Moment“ für die Zahlung. Sie hängt mit der nicht steuerbaren Veräußerung des Grundstücks zusammen; denn die Verpflichtung des Darlehensgebers, in eine vorzeitige Darlehensablösung gegen angemessene Vorfälligkeitsentschädigung einzuwilligen, besteht gerade dann, wenn für eine beabsichtigte Grundstücksveräußerung eine Ablösung des Kredits und der damit zusammenhängenden grundpfandrechtlichen Belastung erforderlich ist (vgl. BFH-Urteile vom 23. September 2003 IX R 20/02, BStBl II 2004, 57, und in BStBl II 2015, 633, m.w.N.).

e) Die von der Klägerin gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen sind auch nicht deshalb als Werbungskosten im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abziehbar, weil sie ausnahmsweise nach der früheren (und nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2015, 581 auf den Streitfall noch anzuwendenden) Rechtsprechung des BFH als Finanzierungskosten für ein neu erworbenen Mietobjektes zu beurteilen gewesen sind und der nach der Darlehenstilgung verbleibende Restkaufpreis zur Finanzierung dieses Objekts tatsächlich verwendet worden ist (vgl. BFH in BStBl II 1996, 595 und in BFH/NV 2004, 1091).

Denn die Voraussetzungen eines derartigen Ausnahmefalls sind im Streitfall nicht erfüllt. Von der Klägerin ist weder vorgetragen worden noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin beabsichtigt hat, ein neues Vermietungsobjekt anzuschaffen, noch hat sie ein neues Vermietungsobjekt erworben. Insofern ist die Rechtsprechungsänderung des BFH (vgl. Urteil in BStBl II 2015, 633), in der er an der Abzugsfähigkeit von Vorfälligkeitsentschädigungen im Ausnahmefall nicht mehr festhält, nicht entscheidungserheblich.

2. Der Senat hält eine Aussetzung des hiesigen Klageverfahrens hinsichtlich des bei ihm ebenfalls anhängigen Billigkeitsverfahrens (2 K 1725/16) für nicht sachgerecht. Eine Aussetzung des Klageverfahrens liegt nicht im Interesse der Beteiligten und ist nicht prozessökonomisch.

Eine etwa getroffene Billigkeitsentscheidung regelt gesondert eine Besteuerungsgrundlage (Grundlagenbescheid) und ist bei der Steuerfestsetzung umzusetzen. Der Bescheid über die Steuerfestsetzung ist daher nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn nach seinem Erlass eine Entscheidung nach § 163 AO ergeht oder geändert wird. Billigkeitsentscheidung und Steuerfestsetzung können miteinander in einem Bescheid verbunden werden (vgl. Klein/Rüsken, AO, § 163 Rz. 2, m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (vgl. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO, Gosch/Oellerich, AO und Finanzgerichtsordnung -FGO-, § 163 AO Rz. 10).

Grundsätzlich ist das Feststellungsverfahren gemäß § 74 FGO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme auszusetzen, da diese Entscheidung vorgreiflich ist. Eine Pflicht zur Aussetzung des Feststellungsverfahrens besteht für das Gericht jedoch nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Februar 1996 V B 81/95, BFH/NV 1996, 571, m.w.N.; und Urteil des Finanzgerichts München vom 25. Juli 2000 7 K 2440/97, EFG 2000, 1191). Die Klägerin hat sich ausdrücklich gegen eine Aussetzung des hiesigen Klageverfahrens ausgesprochen und ihr Interesse an alsbaldiger Entscheidung des Gerichts bekundet. Der Beklagte hat eine Ermessensentscheidung getroffen, die mit Klage angefochten ist und die zeitgleich einer Entscheidung zugeführt worden ist. Der Senat hält es daher für ermessengerecht, das hiesige Klageverfahren abzuschließen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.