Finanzgericht Hamburg EuGH-Vorlage, 19. Juli 2017 - 4 K 161/15

bei uns veröffentlicht am19.07.2017

Tatbestand

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I.
Die Beteiligten streiten um die Einreihung von Instantnudelgerichten.

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Die Klägerin importiert Instantnudelgerichte. Eine ihr im Jahr 2010 erteilte verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) reihte "XXX, ... Instant Noodles, ..., 60g" als Warenzusammenstellung, nicht getrocknet, in die Position 1902 3090 KN ein. In der vZTA heißt es: "Charakterbestimmend sind die Nudeln. Diese sind vorgegart und frittiert. Ein Trocknen im herkömmlichen Sinn hat nicht stattgefunden. Eine Zubereitung zum Herstellen von Suppen im Sinne der Pos 2104 liegt nicht vor." Auf dieser Grundlage überführte die Klägerin über lange Zeit Instantnudelgerichte beanstandungslos in den zollrechtlich freien Verkehr.

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Nachdem dem Beklagten im Jahr 2012 aufgefallen war, dass das Finanzgericht Hamburg mit Gerichtsbescheid vom 05.11.2007 (4 K 108/06) vergleichbare Instantnudelgerichte als Suppen in die Unterposition 2104 1000 KN eingereiht hatte, fertigte der Beklagte Instantnudelgerichte nur noch unter dieser Unterposition ab. Dementsprechend akzeptierte der Beklagte auch bei der hier in Rede stehenden ergänzenden Zollanmeldung AT/F/...-1 vom 04.02.2013 zum Abrechnungszeitraum 01.01.-31.01.2013 die angemeldete Warentarifnummer 1902 3090 KN nicht, sondern setzte für die Positionen 429, 430, 480, 492, 498-506 dieser Zollanmeldung mit Einfuhrabgabenbescheid AT/F/...-1 vom 06.02.2013 einen Zoll auf der Grundlage der Unterposition 2104 1000 KN fest. Dieser Zollanmeldung lagen Instantnudelgerichte in 60 Gramm-Plastikpackungen zugrunde, die jeweils aus einem Block frittierten Instantnudeln sowie einem oder mehreren Plastikbeuteln, die Gewürze, Pasten, Öle oder getrocknete Zutaten enthalten, bestehen. Die geringelten und vorgegarten (gedämpften) Nudeln haben nach dem Frittieren einen Fettgehalt von ca. 20%. Nach dem auf der Verpackung angegebenen "Zubereitungsbeispiel" werden dem in eine Schüssel gegebenen Inhalt der Packung etwa 320 ml kochendes Wasser zugegeben. Die mit der genannten ergänzenden Zollanmeldung eingeführten Instantnudelgerichte der Geschmacksrichtungen Kim Chi (Position 429, 503), Curry (Position 430, 505), Huhn (Position 480, 499), Ente (Position 492, 498), Shrimps (Position 500, 506), Rind (Position 501), vegetarisch (Position 502) und Thai Suki (Position 504) unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der beigefügten Gewürze, Pasten und Öle. Die Instantnudeln sind jeweils identisch. Auch wenn die Nudeln nach der Verpackungsangabe mit heißem Wasser übergossen zu einer Suppe zubereitet werden sollen, können sie auch ohne weitere Zubereitung, gleichsam wie Kartoffelchips, verzehrt werden.

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Gegen den Einfuhrabgabenbescheid vom 06.02.2013 legte die Klägerin Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens erließ die Kommission am 11.07.2014 die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 767/2014, mit der vergleichbare Instantnudelgerichte nicht als Suppen oder Brühe (Position 2104 KN) sondern als Teigwaren in die Position 1902 KN eintarifiert wurden. Innerhalb dieser Position reihte die Verordnung die frittierten Nudeln als "getrocknet" (1902 3010 KN) ein. Im Zuge der sich anschließenden Diskussion zwischen der deutschen Zollverwaltung und der Kommission veröffentlichte die Kommission am 04.03.2015 eine neue Erläuterung zur Unterposition 1902 3010 KN, nach der als "getrocknet" im Sinne dieser Unterposition auch das Rösten und Frittieren zu verstehen sei.

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Nach Veröffentlichung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 767/2014 und der Erläuterung zur Unterposition 1902 3010 KN erließ der Beklagte den Einfuhrabgabenbescheid AT/S/...-2 vom 27.08.2015. Hiermit erhob er im Hinblick auf die Einfuhren von Instantnudelgerichten aus den oben genannten 13 Positionen der ergänzenden Zollanmeldung AT/11/...-3 gemäß Art. 220 ZK auf Grundlage der Unterposition 1902 3010 KN - unter gleichzeitiger Erstattung der aufgrund der Einreihung in die Position 2104 KN mit Einfuhrabgabenbescheid AT/F/...-1 vom 06.02.2013 festgesetzten Zölle - 4.084,70 € Zoll nach.

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Den hiergegen eingelegten Einspruch (RL ...) begründete die Klägerin wie folgt: Da es in der KN keine Definition des Begriffs "getrocknet" gebe, müsse auf den allgemeinen Sprachgebrauch zurückgegriffen werden. Hier seien beispielsweise die "Leitsätze für Teigwaren" der deutschen Lebensmittel-Kommission heranzuziehen. Danach seien Instantteigwaren zwar als Teigwaren zu bezeichnen; dies gelte jedoch ausdrücklich nicht für frittierte Waren.

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Mit Einspruchsentscheidung vom 13.11.2015 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Aus der Einreihungsverordnung (EU) Nr. 767/2014 gehe ausdrücklich hervor, dass der Charakter der Ware - anders als das Finanzgericht Hamburg entschieden habe - durch die im Einfuhrzeitpunkt gewichtsmäßig vorherrschenden Nudeln bestimmt werde. Daher handele es sich nicht um eine Zubereitung zur Herstellung einer Suppe (Position 2104 KN), sondern die Position 1902 KN sei einschlägig. Da die Einreihungsverordnung keine Änderung des Zolltarifs bewirken könne, sondern nur der Klarstellung diene, sei sie auch bei der Einreihung von Waren, die vor ihrem Erlass eingeführt worden seien, zu berücksichtigen. Außerdem müsse die nach den hier in Rede stehenden Einfuhren erlassene Erläuterung zur Kombinierten Nomenklatur ebenfalls sinngemäß berücksichtigt werden. Auf Vertrauensschutz gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) ZK könne sich die Klägerin schon deshalb nicht berufen, weil sie die ursprüngliche Abgabenerhebung vom 06.02.2013 von vornherein für fehlerhaft gehalten habe und hiergegen Einspruch eingelegt habe.

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Mit der am 27.11.2015 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie meint, dass die frittierten Teigwaren, die den Instantnudelgerichten ihren wesentlichen Charakter verliehen, nicht getrocknet seien im Sinne der Unterposition 1902 3010 KN, sondern dass es sich um andere Teigwaren im Sinne der Unterposition 1902 3090 KN handele. Das Gericht sei an die gegenteilige Rechtsansicht der Erläuterung zur Unterposition 1902 3010 KN nicht gebunden. Von der Unterposition 1902 3010 KN seien nur Waren erfasst, die einen Trocknungsprozess durchlaufen hätten. Hierbei müsse der Feuchtigkeitsentzug der Hauptzweck der Behandlung sein. Trocknen und Frittieren seien physikalisch unterschiedliche Prozesse. Das Frittieren sei eine Garmethode, um das Lebensmittel in einen verzehrfähigen Zustand zu überführen. Die Waren erhielten durch das Frittieren ihren würzig-aromatischen Geschmack, so dass sie ohne weitere Zubereitung gegessen werden können. Das Trocknen diene dagegen in erster Linie der Haltbarmachung; getrocknete Nudeln müssten vor dem Verzehr noch weiter gegart werden. Beim Trocknen werde durch thermische Umwandlung der Flüssigkeit in ihren gasförmigen Zustand der Feuchtigkeitsgehalt der Ware verringert. Der Austausch von Stoffen sei nicht vorgesehen. Beim Frittieren sei der Feuchtigkeitsentzug dagegen nur ein notwendiger Zwischenschritt, um einen Stoffaustausch zu ermöglichen. Beim Frittieren führe die Maillard-Reaktion - eine Reaktion von Zuckern mit Aminosäuren - dazu, dass das Eiweiß denaturiere, die Stärke verkleistere und sich Aromen bildeten. Hierbei könnten auch potentiell gefährliche Stoffe wie Acrylamid entstehen. Gleichzeitig nehme das Lebensmittel das Frittierfett auf. Die Instantnudeln hätten einen Fettgehalt von 17-20 %, getrocknete Nudeln dagegen von ca. 2 %.Diese physikalischen Unterschiede zwischen getrockneten und frittierten Waren würden auch in der Kombinierten Nomenklatur nachvollzogen. An keiner anderen Stelle würden nämlich frittierte Produkte unter "getrocknete" Produkte subsumiert. Sie würden vielmehr immer als zubereitete Waren angesehen. So würden etwa frittierte Bananen und Erbsen nicht als getrocknete Bananen oder getrocknete Hülsenfrüchte (Unterpositionen 0803 3909 und 0713 1090 KN) eingereiht. Frittierte Bananenchips seien vielmehr in die Unterposition 2008 9967 KN als in anderer Weise zubereitete oder haltbar gemachte Früchte einzutarifieren. Frittierte Erbsen seien als anderes Gemüse, anders als mit Essig zubereitet oder haltbar gemacht (Unterposition 2005 4000 KN), einzureihen.

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Außerhalb des Zollrechts unterscheide die Verordnung (EU) Nr. 1129/2011 im Anhang II Teil I Nr. 04.2.6 Gruppe I zwischen "getrockneten Kartoffelprodukten" einerseits und "vorfrittierten gefrorenen oder tiefgefrorenen Kartoffeln" andererseits. Die Verordnung (EG) 1333/2008 differenziere im Anhang II Teil D "Lebensmittelkategorien" zwischen "trockene[n] Teigwaren" (Nr. 06.4.2) und "Noodles (Nudeln asiatischer Art)" (Nr. 06.5). Unerheblich sei die Erläuterung zur Unterposition 1902 3010 KN. Sie widerspreche nämlich dem Wortlaut dieser Unterposition. Daher ändere sie die Rechtslage. Außerdem sei sie zeitlich nicht anwendbar auf Einfuhren vor dem 04.03.2015. Der EuGH habe in den Verfahren C-106/75, C-393/93 und C-165/07 festgestellt, dass Erläuterungen nicht auf Einfuhren anzuwenden seien, die vor ihrem Erlass stattgefunden hätten. Wenn Erläuterungen erst ab ihrem Erlass gälten, müsse eine andere rechtliche Bewertung für den davorliegenden Zeitraum möglich sein.

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Die Klägerin beantragt,
den Einfuhrabgabenbescheid AT/S/...-2 vom 27.08.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.11.2015 dahingehend abzuändern, dass die Abgabenerhebung auf der Grundlage der Unterposition 1902 3090 KN erfolgt.

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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Klärungsbedürftig sei zwischen den Beteiligten nur, ob es sich bei Instantnudelgerichten, deren wesentliche Bestandteile unstreitig frittierte Nudeln seien, um getrocknete Teigwaren (Unterposition 1902 3010 KN) oder andere als getrocknete Teigwaren (Unterposition 1902 3090 KN) handele. Die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur seien für die Zollbehörde bindende Dienstanweisungen. Daher seien sie auch auf den hier in Rede stehenden Sachverhalt anwendbar. Die Erläuterungen könnten nie zu einer Änderung der Rechtslage führen, nur das Verständnis einer bestehenden Rechtslage ändern. Nach Veröffentlichung der Erläuterung habe die deutsche Zollverwaltung ihre Auffassung geändert. Sie gehe nunmehr davon aus, dass auch das Frittieren ein Trocknen im Sinne der Unterposition 1902 3010 KN darstelle. Auch ohne die Erläuterung sei das Frittieren ein Trocknen im genannten Sinne. Die Unterposition 1902 3010 KN stelle allein darauf ab, dass die Teigwaren "getrocknet" seien, also durch eine Behandlung einen trockenen Zustand erreichten. Welche anderen Eigenschaften sie darüber hinaus hätten, sei für die Einreihung nicht relevant. Es sei unerheblich, ob die Trocknung der Hauptzweck der Behandlung sei. Auch im Codex Alimentarius der UN werde das Frittieren ("frying") als Trocknung ("dehydration") bezeichnet.

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Ergänzend wird auf die Sachakte des Beklagten sowie das Protokoll des Erörterungstermins vom 27.06.2017 verwiesen.

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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung über das Vorlageersuchen ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

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II.
Der Senat setzt das Verfahren in analoger Anwendung des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 S. 1 Buchst. b) des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die im Tenor genannte Frage zur Vorabentscheidung vor, weil die rechtliche Würdigung des Falles unionsrechtlich zweifelhaft ist.

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1. Rechtlicher Rahmen

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Den rechtlichen Rahmen für die Entscheidung bildet die im maßgeblichen Zeitpunkt der Einfuhr (dazu 1.1) gültige Unterposition 1902 30 KN ("andere Teigwaren") mit ihren TARIC-Untergliederungen sowie die Anmerkung Nr. 2 zum Abschnitt I KN (dazu 1.2). In den Blick zu nehmen sind weiter die Verordnung (EG) Nr. 635/2005 (dazu 1.3), die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 767/2014 (dazu 1.4) sowie die Erläuterung zur Unterposition 1902 3010 KN (dazu 1.5). Schließlich sind die Erläuterungen zur Position 1902 HS zu beachten (dazu 1.6). Im Einzelnen:

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1.1 Die Klägerin hat eine Abänderungsklage (§ 100 Abs. 2 FGO) erhoben. Das vorlegende Gericht würde den angefochtenen Einfuhrabgabenbescheid abändern, wenn die Einfuhrabgaben auf der Grundlage der Unterposition 1902 3090 KN festgesetzt werden müssten. Hierfür ist nach mitgliedstaatlichem Verfahrensrecht unter Berücksichtigung des materiellen Rechts auf den Zeitpunkt der Einfuhr abzustellen. Dies ist hier Januar 2013.

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1.2 Damit gilt Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif vom 23.07.1987 (ABl. EG L 256/1; im Folgenden: Kombinierte Nomenklatur [KN]) in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 927/2012 vom 09.10.2012 (ABl. EU L 304/1), sowie die hierauf aufbauenden Unterpositionen des Integrierten Tarifs der Europäischen Gemeinschaften (TARIC) gemäß Art. 2 Verordnung (EWG) Nr. 2658/87.

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Die Position 1902 KN lautet wie folgt:

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Teigwaren, auch gekocht oder gefüllt (mit Fleisch oder anderen Stoffen) oder in anderer Weise zubereitet, z. B. Spaghetti, Makkaroni, Nudeln, Lasagne, Gnocchi, Ravioli, Cannelloni; Couscous, auch zubereitet[.]

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Während die Unterpositionen 1902 11 und 1902 19 KN nicht zubereitete Teigwaren und die Unterposition 1902 20 KN gefüllte Teigwaren erfassen, befasst sich die hier relevante Unterposition 1902 30 KN mit "anderen Teigwaren". Diese Unterposition lautet:

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KN-Code

Warenbezeichnung

vertragsmäßiger Zollsatz (%)

1902 30

- - andere Teigwaren:

        

1902 3010    

- - getrocknet

6,4 + 24,6 €/     100 kg/net

1902 3090

- - andere:

6,4 + 9,7 €/       100 kg/net

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Die Unterposition 1902 30 10 KN wird im TARIC wie folgt weiter untergliedert:

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1902 3010 10 0

durchsichtige Nudeln, in Stücke geschnitten, hergestellt aus Bohnen der Art Vigna radiata (L.) Wilczek, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf

1902 3010 91

andere

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Die Unterposition 1902 3090 KN wird im TARIC nicht weiter untergliedert.

27

Die Anmerkung Nr. 2 zum Abschnitt I KN lautet:

28

Soweit nichts anderes bestimmt ist, gilt in der Nomenklatur jede Bezugnahme auf getrocknete Waren auch für entwässerte, eingedampfte oder gefriergetrocknete Waren.

29

1.3 Die Verordnung (EG) Nr. 635/2005 der Kommission vom 26.04.2005 zur Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. L 106/10) reihte eine Warenzusammenstellung von ca. 80 g Instantnudeln mit Gewürzen, die nach Packungsangaben mit 200 ml Wasser übergossen werden sollen, in die Unterposition 1902 3010 ein. Warenbezeichnung und Begründung für die Einreihung lauten gemäß Nr. 1 des Anhangs der Verordnung wie folgt:

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Warenbezeichnung

Begründung

Erzeugnis, bestehend aus vorgekochten, getrockneten Teigwaren aus Weizenmehl (ungefähr 80 g) Gewürzen (ungefähr 11 g).
Das Erzeugnis ist aufgemacht für den Einzelhandel in einer 250 ml fassenden Schale aus geschäumtem Polystyrol, in der sich neben den Teigwaren ein kleiner Beutel mit den Gewürzen befindet.
Gemäß den Angaben auf der Verpackung sind die Gewürze und kochendes Wasser (max. 200 ml) den Teigwaren in der Schale hinzuzufügen; nach drei Minuten sind die Teigwaren zum Verzehr bereit.
[...]

Die Einreihung erfolgt gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1, 3 b und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur sowie dem Wortlaut der KN-Positionen 1902, 1902 30 und 1902 30 10.
Das Erzeugnis stellt eine für den Einzelhandel aufgemachte Warenzusammenstellung dar. Der hohe Anteil an Teigwaren verleiht der Ware ihren wesentlichen Charakter.
Das Erzeugnis kann nicht in Position 2104 eingereiht werden, weil die in die Schale hinzugefügte Menge an Wasser nicht ausreichend ist, um eine Suppe oder Brühe herzustellen, sondern ihm den Charakter eines Nudelgerichts verleiht.

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1.4 Mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 767/2014 der Kommission vom 11.07.2014 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. EU L 209/12) wurde eine für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellung zur Zubereitung eines Nudelgerichts ebenfalls in die Unterposition 1902 3010 KN eingereiht. Warenbezeichnung und Begründung der Einreihung lauten wie folgt:

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Warenbezeichnung

Begründung

Ware, bestehend aus einem Block aus getrockneten vorgekochten Nudeln (etwa 65 g), einem Beutel mit Würzmitteln (etwa 3,4 g), einem Beutel mit Speiseöl (etwa 2 g) und einem Beutel mit getrocknetem Gemüse (etwa 0,8 g).
Bei der Ware handelt es sich um eine für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellung (zusammen verpackt) zur Zubereitung eines Nudelgerichts.
Gemäß den Angaben auf der Verpackung muss vor dem Verzehr kochendes Wasser hinzugegeben werden.

Einreihung gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1, 3 b und 6 für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur sowie nach dem Wortlaut der KN- Codes 1902, 1902 30 und 1902 30 10.
Bei der Ware handelt es sich um eine für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellung im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 3 b. Ihr wesentlicher Charakter wird der Ware durch die Nudeln verliehen, da diese den größten Teil der Ware ausmachen. Eine Einreihung der Ware in die Position 2104 als Suppen oder Brühen oder Zubereitungen zum Herstellen von Suppen oder Brühen ist somit ausgeschlossen.
Die Ware ist als Teigwaren, auch gekocht oder gefüllt oder in anderer Weise zubereitet, in die Position 1902 einzureihen.

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Darüber hinaus wurde mit der Durchführungsverordnung (EU) 2015/183 der Kommission vom 02.02.2015 (ABl. EU L 31/5) die Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 635/2005 gestrichen. Im 3. Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung (EU) 2015/183 wird zur Begründung dieser Streichung ausgeführt:

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Zwar sind beide Waren [d.h. die der Verordnung (EG) Nr. 635/2005 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 767/2014] in dieselbe Position eingereiht, doch die Einreihung der Waren in Position 2104 der Kombinierten Nomenklatur wird mit unterschiedlichen Begründungen ausgeschlossen. Bei der erstgenannten Ware [der Verordnung (EG) Nr. 635/2005] stellt die Begründung der Einreihung auf die Menge des hinzugefügten Wassers ab, bei der letztgenannten Ware [der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 767/2014] hingegen auf die Menge der enthaltenen Nudeln. Die Heranziehung der hinzugefügten Menge Wasser als Kriterium für die Einreihung solcher Waren kann jedoch zu Abweichungen bei der Einreihung führen, die angesichts der Tatsache, dass beide Waren die gleichen Merkmale und Eigenschaften aufweisen, nicht gerechtfertigt wären. Das einzige anwendbare Kriterium sollte daher die Menge der in der Ware enthaltenen Nudeln sein.

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1.5 Nach Auffassung der deutschen Zollverwaltung war auch nach Erlass der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 767/2014 noch nicht abschließend geklärt, welche Nudeln als "getrocknet" im Sinne der Unterposition 1902 3010 KN gelten. Zur Klärung dieser Frage hat die Kommission eine Erläuterung zur Unterposition 1902 3010 KN erlassen, die erstmals in der konsolidierten Fassung der Erläuterungen der Europäischen Kommission zur Kombinierten Nomenklatur der Europäischen Union (im Folgenden: Erläuterungen zur KN), die am 04.03.2015 veröffentlicht wurde (ABl. EU C 76/1), enthalten ist. Diese neue Erläuterung lautet:

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Der Ausdruck "getrocknet" im Sinne dieser Unterposition bezieht sich auf Waren in trockenem und brüchigem Zustand mit einem geringen Feuchtigkeitsgehalt (bis etwa 12%), die entweder direkt in der Sonne getrocknet oder einem industriellen Trocknungsverfahren (z. B. Tunneltrocknung, Rösten oder Frittieren) unterzogen wurden.

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1.6 Die Erläuterungen zur Position 1902 HS lauten in der deutschen Übersetzung (Europäischer Zolltarif [EZT] Nr. 04.0):

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Die Waren werden im allgemeinen vor dem Verkauf getrocknet, um ihren Transport und ihre Lagerung zu erleichtern und ihre Haltbarkeit zu verlängern. In diesem Zustand sind sie zerbrechlich. Zu dieser Position gehören auch nichtgetrocknete (d. h. feuchte oder frische) und gefrorene Waren, z. B. frische Gnocchi und gefrorene Ravioli.

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2. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage

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2.1 "Getrocknet" im Sinne der Unterposition 1902 3010 KN

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Die Klägerin begehrt die Änderung eines Einfuhrabgabenbescheids, mit dem für die Einfuhr von Instantnudeln im Januar 2013 Zoll gemäß Art. 220 ZK nacherhoben wurde. Die Klägerin hatte diese Nudeln als "andere" als "getrocknet[e] andere Teigwaren" unter der Unterposition 1902 3090 KN (vertragsmäßiger Zollsatz: 6,4 % + 9,7 €/100 kg/net) zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet. Der Beklagte akzeptierte diese Einreihung nicht, sondern nahm die Zollanmeldung unter der Unterposition 2104 1000 KN (vertragsmäßiger Zollsatz: 11,5 %) an. Nachdem der Beklagte aufgrund des Erlasses der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 767/2014 seine Einreihungsauffassung geändert hatte, reihte er im Nacherhebungsbescheid vom 27.08.2015, der mit der Klage angegriffen wird, die Instantnudelgerichte nunmehr als "andere Teigwaren", "getrocknet" in die Unterposition 1902 3010 KN ein. Für diese Unterposition ist ein vertragsmäßiger Zollsatz in Höhe von 6,4 % + 24,6 €/100 kg/net vorgesehen. Die auf Abänderung des Nacherhebungsbescheids gerichtete Klage hätte Erfolg, wenn die Instantnudeln - innerhalb der einzig in Betracht kommenden Unterposition 1902 30 KN für "andere Teigwaren" - nicht in die Unterposition 1902 3010 KN, sondern in die Unterposition 1902 3090 KN einzureihen wären. Hierfür kommt es darauf an, ob die hier in Rede stehenden Instantnudeln, die frittiert sind, als getrocknete Teigwaren (Unterposition 1902 3010 KN) oder als andere, d. h. nicht getrocknete, Teigwaren (Unterposition1902 3090 KN) anzusehen sind. Konziser formuliert kommt es darauf an, ob frittiert getrocknet ist.

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Eine Einreihung in die Unterposition 2104 1000 KN zieht das vorlegende Gericht in Übereinstimmung mit den Verfahrensbeteiligten nicht mehr in Betracht. Die im Gerichtsbescheid vom 05.11.2007 (4 K 108/06) vertretene Rechtsauffassung basierte auf einer Auslegung der Begründung von Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 635/2005 der Kommission vom 26.04.2005. Wie die Begründung der Aufhebung von Nr. 1 dieser Verordnung durch die Durchführungsverordnung (EU) 2015/183 zeigt (siehe oben 1.4), hält die Kommission an dieser Rechtsauffassung nicht mehr fest.

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2.2 Verordnung (EG) Nr. 635/2005

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Das vorlegende Gericht fragt nicht nach der Gültigkeit der Verordnung (EG) Nr. 635/2005, soweit es um die Einreihung der in Nr. 1 des Anhangs genannten Ware geht, weil es hierauf für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht ankommt. Zwar sind Einreihungsverordnungen als gegenüber der KN speziellere Regelung mit Normcharakter (EuGH, Urt. v. 13.07.2006, C-14/05, ECLI:EU:C:2006:465, Rn. 29 - Anagram; Urt. v. 15.12.1971, Rs. 77/71, ECLI:EU:C:1971:129, Rn. 8 - Gervais-Danone), durch die die Einreihung der von ihr erfassten Produkte verbindlich geregelt wird, im Rahmen ihres Anwendungsbereichs vorrangig heranzuziehen. Da die Verordnung (EG) Nr. 635/2005 erst durch die Durchführungsverordnung (EU) 2015/183 mit Wirkung vom 27.02.2015 aufgehoben wurde, war sie im hier maßgeblichen Zeitpunkt - Januar 2013 - auch zeitlich anwendbar.

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Die Verordnung (EG) Nr. 635/2005 ist im Hinblick auf die in Nr. 1 des Anhangs geregelte Ware jedoch sachlich nicht auf die hier in Rede stehenden Instantnudelgerichte anwendbar. Da Letztere nicht identisch mit dem in der Verordnung (EG) Nr. 635/2005 tarifierten Instantnudelgericht sind, käme allenfalls eine entsprechende Anwendung dieser Verordnung in Betracht. Hierzu müssten die einzureihenden und die in der Einreihungsverordnung bezeichneten Waren einander hinreichend ähnlich sein (EuGH, Urt. v. 22.03.2017, C-435/15 und C-666/15, ECLI:EU:C:2017:232, Rn. 38 m. w. N. - Grofa). Für die Beantwortung der Frage, ob Waren einander hinreichend ähnlich sind, ist auch die Begründung der Einreihungsverordnung zu berücksichtigen (a. a. O.). In der Entscheidung Grofa hatte der EuGH die entsprechende Anwendung einer Einreihungsverordnung trotz gewisser Produktähnlichkeiten abgelehnt, weil gerade das tatsächliche Merkmal, das nach der Einreihungsverordnung für die Tarifierung ausschlaggebend war, bei dem einzureihenden Produkt fehlte (Rn. 39).

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Bei Anwendung dieser Grundsätze sind die hier in Rede stehenden Instantnudelgerichte und das in Nr. 1 des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 635/2005 tarifierte Instantnudelgericht nicht hinreichend ähnlich. Zwar bestehen beide Warenzusammenstellungen aus frittierten Nudeln (die Beschreibung "getrocknet" in der Warenbeschreibung der Verordnung [EG] Nr. 635/2005 enthält bereits eine rechtliche Wertung) und Gewürzen. Auch muss nach den jeweiligen Verpackungsangaben kochendes Wasser hinzugefügt werden. Aus dem letzten Absatz der Begründung in Nr. 1 des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 635/2005 wird jedoch deutlich, dass es für die Einreihung des durch sie erfassten Instantnudelgerichts im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen den Positionen 2104 KN und 1902 KN entscheidend darauf ankommt, wie groß die den Nudeln hinzugefügte Menge an Wasser ist. Auf Grundlage dieser rechtlichen Prämisse konnte die Einreihung in eine Unterposition der Position 1902 KN nur deshalb erfolgen, weil bei einem Verhältnis von 80 g Nudeln zu 200 ml hinzugefügtem Wasser (Verhältnis von 2:5) der Nudelanteil überwiegt und damit dem Gericht insgesamt den Charakter eines Nudelgerichts verleiht.

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Dieselbe Schlussfolgerung lässt sich für die hier in Rede stehenden Instantnudelgerichte gerade nicht ziehen. Sie bestehen nämlich lediglich aus 60 g Nudeln, denen nach der Verpackungsangabe etwa 320 ml kochendes Wasser zugefügt werden können. Bei einem solchen Nudel-Wasser-Verhältnis von ca. 1:5 lässt sich nicht mehr davon sprechen, dass die Nudeln charakterbestimmend seien (In diesem Sinne auch die Einreihungsgutachten der Zollverwaltung vom 07.11.2012 für die Instantnudeln mit den Geschmacksrichtungen Rind, Ente, Huhn und Shrimp, Teil I Bl. 1-4 der Sachakte).

48

Da die hier in Rede stehenden Instantnudelgerichte bezüglich des - aus Sicht der Verordnung (EG) Nr. 635/2005 - entscheidenden Tarifierungsmerkmals des Wasser-Nudel-Verhältnisses einen erheblichen Unterschied aufweisen, der eine Einreihung in verschiedene KN-Positionen erfordert, sind sie dem durch diese Verordnung eingereihten Instantnudelgericht nicht hinreichend ähnlich, so dass eine entsprechende Anwendung der Verordnung auf sie ausscheidet.

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2.3 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 767/2014

50

Das vorlegende Gericht fragt nicht nach der Gültigkeit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 767/2014, weil es hierauf für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits ebenfalls nicht ankommt. Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 767/2014 dürfte zwar in sachlicher Hinsicht auf die hier in Rede stehenden Instantnudeln anwendbar sein. Sie ist jedoch in zeitlicher Hinsicht nicht auf den Streitfall anwendbar, weil Einreihungsverordnungen nicht rückwirkend angewandt werden dürfen (EuGH, Urt. v. 17.07.2014, Rs. C-472/12, ECLI:EU:C:2014:2082, Rn. 58 - Panasonic/Scerni Logistics; Urt. v. 24.11.1971, Rs. 30/71, ECLI:EU:C:1971:111, Rn. 8 - Siemers; Urt. v. 15.12.1971, Rs. 77/71, ECLI:EU:C:1971:129, Rn. 8 - Gervais-Danone; Urt. v. 28.03.1979, Rs. 158/78, ECLI:EU:C:1979:87, Rn. 11 - Biegi; BFH, Urt. v. 21.02.2017, VII R 2/15, juris Rn. 14). Die dem angefochtenen Einfuhrabgabenbescheid zu Grunde liegenden Einfuhren fanden im Januar 2013 statt, also bevor die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 767/2014 im August 2014 in Kraft getreten ist. Dies bedeutet, dass diese Verordnung bei der hier in Rede stehenden Einreihungsfrage - unabhängig davon, ob sie ihrerseits gültig ist - unberücksichtigt gelassen werden muss. Mit anderen Worten: Das vorlegende Gericht wäre, sollte der EuGH die Vorlagefrage verneinen, nicht gehindert, die im Januar 2013 eingeführten Instantnudeln in die Unterposition 1902 3090 KN einzureihen, obwohl die Durchführungsverordnung vergleichbare Waren in die Unterposition 1902 3010 KN einreiht.

51

2.4 Erläuterung zur Unterposition 1902 3010 KN

52

Das vorlegende Gericht fragt auch nicht nach der Auslegung oder Gültigkeit der Erläuterung zur Unterposition 1902 3010 KN, weil es hierauf für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht ankommt.

53

Die Erläuterungen zur KN sind ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der Tragweite der einzelnen Tarifpositionen (EuGH, Urt. v. 15.12.2016, C-700/15, ECLI:EU:C:2016:95, Rn. 41 - LEK; Urt. v. 17.2.2016, C-124/15, EU:C:2016:87, Rn. 31 - Salutas Pharma; Urt. v. 20.11.2014, Rs. C-666/13, ECLI:EU:C:2014:2388, Rn. 25 - Rohm Semiconductor; Urt. v. 15.04.2014, C-297/13, ECLI:EU:C:2014:331, Rn. 31 - Data I/O; Urt. v. 17.07.2014, Rs. C-480/13, ECLI:EU:C:2014:2097, Rn. 30 m. w. N. - Sysmex Europe). Ihre Anwendung würde im vorliegenden Fall dazu führen, dass die Vorlagefrage eindeutig bejaht werden müsste, weil sie insbesondere das Frittieren als Beispiel für ein industrielles Trocknungsverfahren nennt.

54

Gleichwohl muss das vorlegende Gericht nicht nach der Auslegung oder Gültigkeit der Erläuterung zur Unterposition 1902 3010 KN fragen. Sie ist nämlich in zeitlicher Hinsicht nicht auf den Streitfall anwendbar. Auch Erläuterungen zur KN sind nur zu berücksichtigen, wenn sie im maßgeblichen Zeitpunkt - hier der Einfuhr der Instantnudelgerichte im Januar 2013 - schon in Kraft getreten sind (vgl. EuGH, Urt. v. 08.04.1976, Rs.106/75, ECLI:EU:C:1976:59, Rn. 4 - Merkur-Außenhandel; Urt. v. 09.08.1994, C-393/93, ECLI:EU:C:1994:258, Rn. 19 - Stanner; Urt. v. 22.05.2008, C-165/07, ECLI:EU:C:2008:302, Rn. 40 - Ecco; BFH, Urt. v. 30.08.1988, VII R 178/85, juris Rn. 12). Dies ist nicht der Fall, da die Erläuterung erst im Jahr 2015 veröffentlicht wurde.

55

Sofern zeitlich nicht anwendbare Erläuterungen zur KN zur Bestätigung eines bereits gefundenen Einreihungsergebnisses herangezogen (so EuGH, Urt. v. 08.04.1976, Rs.106/75, ECLI:EU:C:1976:59, Rn. 4 - Merkur-Außenhandel; Urt. v. 09.08.1994, C-393/93, ECLI:EU:C:1994:258, Rn. 19 - Stanner; Urt. v. 22.05.2008, C-165/07, ECLI:EU:C:2008:302, Rn. 40 - Ecco) oder bei "unveränderter Tariflage" zur Klärung "noch bestehende[r] Einreihungszweifel" angewendet wurden (so BFH, Urt. v. 01.03.2001, VII R 90/99, juris Rn. 22), ergibt sich hieraus im Ausgangsrechtsstreit keine Entscheidungserheblichkeit der Erläuterung zur Unterposition 1902 3010 KN. Eine solche "bestätigende" Anwendung von Erläuterungen außerhalb ihres zeitlichen Anwendungsbereichs hat nämlich zur Prämisse, dass sie ihrerseits mit der KN im Einklang stehen und deren Bedeutung nicht verändern (zu diesem Erfordernis: EuGH, Urt. v. 15.09.2005, C-495/03, ECLI:EU:C:2005:754:552 Rn. 48 - Intermodal Transports, Urt. v. 08.12.2005, C-445/04, ECLI:EU:C:2005:754, Rn. 20 - Possehl Erzkontor, Urt. v. 16.02.2006, C-500/04, ECLI:EU:C:2006:111, Rn. 22 - Proxxon; Urt. v. 05.06.2008, Rs. C-312/07, ECLI:EU:C:2008:324, Rn. 34 - JVC France). Diese Frage muss notwendigerweise allein durch Auslegung der Unterposition 1902 3010 KN geklärt werden.

56

3. Rechtliche Erwägungen des Senats

57

Im vorliegenden Rechtsstreit geht es einzig um die Frage, ob frittierte Nudeln "getrocknet" im Sinne der Unterposition 1902 3010 KN sind. Im Ausgangspunkt ist festzustellen, dass der Begriff "getrocknet" vielfach in der KN verwendet, jedoch an keiner Stelle definiert wird. Das Wort "frittiert" findet sich in der KN nicht. In einer solchen Situation kann für die Ermittlung des tarifrechtlichen Bedeutungsgehalts eines Begriffs auch auf die Verkehrsauffassung und das allgemeine Sprachverständnis zurückgegriffen werden (vgl. Lux, in: Dorsch, Zollrecht, 80. EL März 2001, VO KN Einführung Rn. 194; Alexander, in: Witte, Zollkodex, 5. Auflage 2013, Art. 20 Rn. 48).

58

Vorab ist für die Auslegung des Begriffs "getrocknet" zunächst zu klären, ob es tarifrechtlich überhaupt zulässig wäre, für die Einreihung auf die Art der Herstellung - hier: die Anwendung eines Trocknungsverfahrens - abzustellen. Es ist in der Rechtsprechung nämlich hinlänglich geklärt, dass grundsätzlich für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein nur auf die objektiven Merkmale und Eigenschaften abzustellen ist, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (siehe nur EuGH, Urt. v. 15.12.2016, C-700/15, ECLI:EU:C:2016:95, Rn. 39 - LEK m. w. N.). Auf die Art und Weise der Herstellung eines Erzeugnisses kann es nur dann ankommen, wenn die betreffende Tarifposition dies ausdrücklich vorschreibt (EuGH, Urt. v. 25.05.1989, Rs. 40/88, ECLI:EU:C:1989:214, Rn. 15 - Weber; Urt. v. 08.12.1987, Rs 42/86, ECLI:EU:C:1987:526, Rn. 13 - Artimport; Urt. v. 28.07.2011, C-215/10, ECLI:EU:C:2011:528, Rn. 40 - Pacific World/FDD International). Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ist dies vorliegend der Fall. Wie noch darzulegen sein wird (dazu 3.1), deutet die Verwendung des Partizips Perfekt "getrocknet" darauf hin, dass die Ware ein Verfahren durchlaufen haben muss, bei dem es Feuchtigkeit verloren hat, mithin getrocknet wurde. Wenn allein auf die Beschaffenheit abgestellt werden sollte, hätte das Adjektiv "trocken" (wie bspw. in der Unterposition 1302 2010 KN [Pektinstoffe, Pektinate und Pektate, trocken]; Zusätzliche Anmerkung Nr. 3 zu Kapitel 19 KN [Unter die Unterposition 1905 90 20 fallen nur trockene und spröde Erzeugnisse]; Unterpositions-Anmerkung Nr. 1 zu Kapitel 27 KN [trockene, mineralstofffreie Substanz]) verwendet werden können.

59

Vor diesem Hintergrund soll zunächst die allgemeine Bedeutung des Wortes "getrocknet" beschrieben werden (dazu 3.1). Sodann ist auf die lebensmittelchemischen Unterschiede zwischen dem Trocknen und dem Frittieren einzugehen (dazu 3.2). Hiervon ausgehend soll dargelegt werden, welche Erkenntnisse sich über die Auslegung des Begriffs "getrocknet" aus der Systematik der KN ableiten lassen (dazu 3.3). Weiter sollen die Erläuterungen zur Position 1902 HS in den Blick genommen werden (dazu 3.4).

60

3.1 Allgemeines Wortverständnis

61

In seiner - hier einzig in Betracht kommenden - intransitiven Bedeutung heißt "trocknen" im allgemeinen Sprachgebrauch "vom nassen in den trockenen Zustand übergehen; Feuchtigkeit verlieren" (https://de.wiktionary.org/wiki/trocknen; ähnlich die Definition in www.duden.de). Zu beachten sein dürfte, dass in der KN nicht der Infinitiv, sondern das Adjektiv "getrocknet", das aus dem Partizip Perfekt von "trocknen" gebildet wird, Verwendung findet. Mit diesem Begriff wird demnach ein Gegenstand bezeichnet, der Feuchtigkeit verloren hat. Auch das englische Verb "dry" hat eine sehr allgemeine Bedeutung. So wird es definiert als "free or relatively free from a liquid and especially water" (www.merriam-webster.com/dictionary/dried). Nach diesem Wortverständnis sind alle Gegenstände getrocknet, die Flüssigkeit verloren haben. Dies trifft auch auf frittierte Teigwaren zu, da Lebensmittel beim Frittieren zwingend Wasser verlieren. Im Zusammenhang mit Lebensmitteln hat das Wort "getrocknet" jedoch auch im allgemeinen Sprachgebrauch eine engere Bedeutung. So sind getrocknete Bananen, Äpfel oder Mangos Früchte, die ein Trocknungsverfahren durchlaufen haben, um die Früchte haltbar zu machen. Das englische Adjektiv "dried" hat ebenfalls diese Bedeutung von "[to p]reserve by allowing or encouraging evaporation of moisture from." (Oxford Dictionary of English, 3. Auflage 2010, S. 539, Stichwort: "dried"). Das Adjektiv "getrocknet" im Sinne von "ein Trocknungsverfahren durchlaufen habend" ist abzugrenzen vom Adjektiv "trocken", das allgemeiner die Abwesenheit von Feuchtigkeit bezeichnet. Wenn getrocknete Lebensmittel solche Lebensmittel sind, die ein Trocknungsverfahren durchlaufen haben, stellt sich die Frage, ob nach dem allgemeinen Wortverständnis das Frittieren ein Trocknungsverfahren ist. Es könnte sich hierbei um jedes Verfahren handeln, das dazu führt, dass die Ware nach Anwendung des Verfahrens trocken ist. Nach diesem Wortverständnis kann auch das Frittieren ein Trocknungsverfahren sein, weil man - wie auch bei den hier in Rede stehenden Instantnudeln - eine Ware so lange frittieren kann, bis sie trocken ist. Dieses Verständnis des Begriffs "Trocknung" scheint einer Publikation der World Instant Noodles Association - einem Branchenverband - zugrunde zu liegen. Dort wird die Behandlung, die auch die hier in Rede stehenden Instantnudeln erfahren, als "rapidly drying noodles through flash-frying in oil" (Sachakte Teil 3, Bl. 15) bezeichnet. Danach stellt das Schnellfrittieren (flash-frying) eine Trocknungsmethode dar.

62

Das vorlegende Gericht neigt allerdings zu einem engeren Verständnis dessen, was ein Trocknungsverfahren ist. Das Trocknen von Lebensmitteln stellt nach der Verkehrsauffassung ein Verfahren zur Haltbarmachung dar. Es ist abzugrenzen von Garmethoden (z. B. kochen, grillen, braten), zu denen auch das Frittieren gehört (siehe die Übersicht bei https://de.wikipedia.org/wiki/Grundzu-bereitungsart). Das Garen wiederum ist eine Behandlung, die der Zubereitung von Lebensmitteln dient. Zubereiten bedeutet, die Lebensmittel in einen verzehrfähigen Zustand zu überführen. Zwar führen die meisten Garmethoden auch dazu, dass Lebensmittel haltbarer sind. Dies ist jedoch nicht der Hauptzweck des Garens. Versteht man "getrocknet" als Beschreibung einer Ware, die einen Trocknungsprozess durchlaufen hat, könnten frittierte (oder gegrillte oder gebratene) Teigwaren knusprig oder fettig oder - wenn sie lange genug frittiert werden - auch trocken sein. Sie könnten jedoch nie "getrocknet" sein, weil das Frittieren eine Garmethode, jedoch keine Trocknungsmethode ist. Diese Differenzierung findet sich auch im deutschen Recht der Lebensmittelkennzeichnung. So finden die "Leitsätze für Teigwaren" vom 02.12.1998 (BAnz. Nr. 66a vom 09.04.1999), die von der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission - einer vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eingesetzten Expertenkommission (§§ 15 f. LFGB) - herausgegeben werden, ausdrücklich auf frittierte Erzeugnisse keine Anwendung (Ziff. I.A.1. a. E.). Teigwaren im Sinne dieser Leitsätze sind damit alle Teigwaren, die ohne Anwendung eines Gärungs- oder Backverfahrens hergestellt werden.

63

Außerhalb des Zollrechts unterscheidet die Verordnung (EU) Nr. 1129/2011 (ABl. 2011 L 295/1), die sich mit Lebensmittelzusatzstoffen befasst, im Anhang II Teil I Nr. 04.2.6 Gruppe I zwischen "getrockneten Kartoffelprodukten" einerseits und "vorfrittierten gefrorenen oder tiefgefrorenen Kartoffeln" andererseits.

64

Der Codex Standard for Instant Noodles der Codex Alimentarius-Kommission der UN, auf den der Beklagte verwiesen hat, scheint diesem engen Trocknungsbegriff nur auf den ersten Blick entgegenzustehen. Nach diesem Codex Standard werden Instantnudeln einer Vor-Verkleisterung (pregelatinization) und einer Dehydration (dehydration) unterzogen, die durch Frittieren oder durch andere Methoden erfolgen können. Wenn also das Frittieren zu einem Wasserentzug führt, könnte man das Frittieren auch als Trocknung bezeichnen. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts beschreibt der Codex Standard jedoch lediglich die chemischen Vorgänge, die beim Frittieren (auch) stattfinden. Es kommt nämlich insbesondere zu einer Verkleisterung und zu einem Wasserentzug. Zur Frage, ob das Frittieren auch ein Trocknungsverfahren ist, verhält sich der Codex Standard dagegen wohl nicht.

65

3.2 Lebensmittelchemische Unterschiede

66

Für das engere Verständnis von "getrocknet", zu dem das vorlegende Gericht neigt, sprechen auch die fundamentalen lebensmittelchemischen Unterschiede zwischen dem Frittieren und dem Trocknen. Während das Frittieren ein Garverfahren ist, bei dem neben dem beiläufig erfolgenden Wasserentzug zahlreiche komplexe chemische Reaktionen ablaufen, ist das Trocknen ein Trennverfahren, das lediglich zum Feuchtigkeitsentzug führt. Im Einzelnen:

67

Das Frittieren ist ein Garen im heißen Fettbad bei Temperaturen zwischen 150 und 175 Grad Celsius (Ternes/Täufel/Tunger/Zobel [Hrsg.], Lebensmittellexikon, 4. Auflage 2005 [Lebensmittellexikon], S. 602; Kurzhals [Hrsg.], Lexikon Lebensmitteltechnik, 2003, [Lexikon Lebensmitteltechnik], S. 437, Stichwort: Frittieren). Durch die Zuführung thermischer Energie werden komplexe chemische Prozesse angestoßen. So führt das Frittieren
* zum Denaturieren der Proteine (Eiweißgerinnung),
* zum Zellaufschluss,
* zur Stärkeverkleisterung,
* zur Freisetzung von Aromen durch nichtenzymatische Bräunung (Maillard-Reaktion) und
* zum Abtöten von Mikroorganismen.

68

Das Trocknen ist dagegen kein Garverfahren, sondern ein thermisches oder mechanisches Trennverfahren (Lexikon Lebensmitteltechnik, S. 1115, Stichwort: Trocknen). Es dient der Konservierung und beruht auf der Unterbindung des Mikroorganismenwachstums und der Hemmung chemischer und enzymatischer Vorgänge durch Entfernung des hierfür notwendigen Wassers (Lebensmittellexikon, S. 1929, Stichwort: Trocknung). Anders als das Frittieren muss beim Trocknen nicht zwingend thermische Energie eingesetzt werden; sie kann auch mechanisch erfolgen.

69

Während beim Frittieren zahlreiche chemische Reaktionen angestoßen werden, beruht die Trocknung darauf, dass derartige Vorgänge unterbunden und Mikroorganismen abgetötet werden. Beim Trocknen kommt es weder zur Eiweißgerinnung oder zum Zellaufschluss noch zur Stärkeverkleisterung. Es werden auch keine neuen Aromen gebildet, die nicht schon in dem zu trocknenden Lebensmittel vorhanden sind. Mikroorganismen werden nicht durch Hitzeeinwirkung abgetötet. Durch den Wasserentzug wird Ihnen vielmehr lediglich die Lebensgrundlage entzogen.

70

3.3 Systematik der KN

71

Die KN definiert nicht, was genau unter dem Begriff "getrocknet" im Sinne der Unterposition 1902 3010 KN zu verstehen ist. Mithin muss dies durch Auslegung ermittelt werden. Hierbei ist nach Auffassung des vorlegenden Gerichts zu beachten, dass die KN an verschiedenen Stellen zwischen zubereiteten und haltbar gemachten Lebensmitteln unterscheidet. Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, dass ihr insgesamt eine Dichotomie von zubereiteten Lebensmitteln einerseits und haltbar gemachten Lebensmitteln andererseits zu Grunde liegt, und das Frittieren keine Behandlung zur Haltbarmachung, sondern zum Zubereiten ist (dazu 3.3.1). Für diese Lesart des Begriffs "getrocknet" spricht auch die Anmerkung 2 zum Abschnitt I KN (dazu 3.3.2). Die Einreihung anderer frittierter Lebensmittel deutet ebenfalls darauf hin, dass das Frittieren nicht als Trocknungsverfahren zu betrachten ist (dazu 3.3.3). Im Einzelnen:

72

3.3.1 Die KN unterscheidet an verschiedenen Stellen zwischen zubereiteten Lebensmitteln einerseits und haltbar gemachten Lebensmitteln andererseits (z. B. Anmerkung 1 Buchst. d) zu Kapitel 11 KN, Anmerkung 1 zu Kapitel 16, Anmerkung 1 Buchst. a) zu Kapitel. 20, Zusätzliche Anmerkung 2 zu Kap. 16).

73

Auch wenn das Wort "frittieren" in der KN nicht erwähnt wird, enthält die KN - dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend - Anhaltspunkte dafür, dass das Frittieren eine Zubereitungsart - und damit keine Form der Haltbarmachung - darstellt. So heißt es in den Unterpositionen der Position 0306 KN (Krebstiere) an verschiedenen Stellen (z. B. Unterposition 0306 1105 KN): "geräuchert, auch ohne Panzer, auch vor oder während des Räucherns gegart, jedoch nicht weiter zubereitet". Hierin kommt zum Ausdruck, dass das Garen von Lebensmitteln eine Art der Zubereitung ist. Da - wie oben bereits dargelegt - auch das Frittieren eine Garmethode ist, kann aus den Unterpositionen der Position 0306 KN abgeleitet werden, dass das Frittieren ebenfalls eine Zubereitungsart ist. Die verschiedenen Unterpositionen der Position 1902 KN sprechen dafür, dass die ansonsten in der KN verwendeten Begriffe des Zubereitens (Beispiel: Frittieren) und des Haltbarmachens (Beispiel: Trocknen) auch dort zur Anwendung kommen sollen. Dort werden nämlich die Begriffe "gekocht" (Unterposition 1902 2091 KN), "getrocknet" (Unterposition 1902 30 10 KN) sowie "nicht zubereitet" (Unterposition 1902 4010 KN) verwendet. Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, dass mit "gekocht" eine Zubereitungsmethode, mit "getrocknet" eine Methode der Haltbarmachung gemeint ist.

74

3.3.2 Die Anmerkung Nr. 2 zum Abschnitt I KN spricht gegen die vom Beklagten vertretene Auffassung, dass frittierte Nudeln getrocknete Teigwaren seien. In dieser Anmerkung, die nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut nicht nur für Waren des Abschnitts I KN, sondern für die gesamte Nomenklatur gilt, wird für bestimmte Behandlungen, nämlich das Entwässern, Eindampfen und Gefriertrocknen klargestellt, dass es sich auch hierbei - vorbehaltlich einer anderweitigen Bestimmung - um Trocknungsverfahren handelt. Entwässern bedeutet das Abtrennen von Flüssigkeit von einem Stoff (Lexikon Lebensmitteltechnik, S. 337, Stichwort: Entwässern [dewatering]). Eindampfen, das auch Eindicken genannt wird, ist der "Entzug von Wasser zum Zweck der Haltbarmachung und der Gewinnung von konzentrierten Lebensmitteln" (Lebensmittellexikon, S. 454; siehe auch Lexikon Lebensmitteltechnik, S. 264 f., Stichwort: Eindampfen [evaporating]). Durch das Eindicken werden lagerfähige, wirtschaftlich transportable und standardisierte Lebensmittel gewonnen. Als Beispiele werden Kondensmilch, Molkeerzeugnisse, Fruchtsaft- und Gemüsekonzentrate, Sirupe, Fleisch- und Malzextrakte, Würzen, Hefeextrakte und Pektinpräparate genannt (Lebensmittellexikon, S. 454). Die Gefriertrocknung ist ein schonendes Trocknungsverfahren, das auf der Sublimationstrocknung beruht und in Vakuumkammern durchgeführt wird. Dabei wird das gefrorene Wasser dem Trocknungsgut dergestalt entzogen, dass es direkt in den gasförmigen Zustand übergeht (Lebensmittellexikon, S. 657, Stichwort: Gefriertrocknung; https://de.wikipedia.org/wiki/Gefriertrocknung).

75

Den drei genannten Verfahren ist gemein, dass sie der Ware, die dem Verfahren unterliegt, ausschließlich Wasser entziehen. Anders als beim Frittieren werden der Ware keine Stoffe (Fett) hinzugefügt und es werden keine komplexen chemischen Prozesse angestoßen. Sie dienen auch in erster Linie der Haltbarmachung. Zwar führt das Eindampfen beispielsweise von Frischmilch zu Kondensmilch dazu, dass ein nach der Verkehrsauffassung neues Produkt entsteht, und man insoweit auch von einer Zubereitung sprechen könnte. Möglicherweise ist gerade aus diesem Grund das Eindampfen in die Anmerkung aufgenommen worden. Es bleibt jedoch dabei, dass beim Eindampfen von Frischmilch nichts weiter passiert, als das ihr Wasser entzogen wird. Auch das Gefriertrocknen dient in erster Linie der Haltbarmachung. Zwar führt die Gefriertrocknung bei manchen Produkten wie etwa Kaffee dazu, dass sie instantisiert, also ohne Kochen verzehrfähig werden. Dies trifft auch auf die hier in Rede stehenden Nudeln zu; auch sie werden durch das Frittieren instantisiert. Wie beim Eindampfen besteht jedoch der entscheidende Unterschied zwischen dem Gefriertrocknen und dem Frittieren darin, dass bei Ersterem dem Trockengut lediglich Wasser entzogen wird.

76

Bei den in der Anmerkung genannten Verfahren handelt es sich um Trocknungsverfahren, bei denen der Trocknungsvorgang durch den Einsatz zusätzlicher Energie beschleunigt wird. Angesichts der Tatsache, dass für diese drei Verfahren klargestellt wurde, dass Waren, die sie durchlaufen haben, "getrocknet" sind, würde man erwarten, dass der Verordnungsgeber ausdrücklich geregelt hätte, wenn er den Trocknungsbegriff auch auf Verfahren hätte ausdehnen wollen, die - wie das Frittieren - über die Haltbarmachung hinaus in erster Linie der Zubereitung von Lebensmitteln dienen und bei denen gänzlich andere chemische Prozesse ablaufen als beim Trocknen. Dass dies nicht geschehen ist, spricht dagegen, frittierte Waren als getrocknet im Sinne der KN zu betrachten.

77

3.3.3 Zu dem vom vorlegenden Gericht favorisierten Verständnis des Begriffs "getrocknet" passt, dass einige andere frittierte Lebensmittel nicht als getrocknete Waren eingereiht werden. So werden frittierte Erbsen nicht als "getrocknete ausgelöste Hülsenfrüchte" (Unterposition 0713 1090 KN), sondern als "anderes Gemüse, anders als mit Essig oder Essigsäure zubereitet oder haltbar gemacht" (Erbsen der Unterposition 2005 4000 KN) eingereiht, wobei das Frittieren eine andere Form der Zubereitung als mit (Essig-)Säure ist. Frittierte Bananen werden nicht als getrocknete Bananen (Unterpositionen 0803 1090 bzw. 0803 9090 KN), sondern als zubereitete andere Früchte in eine Position der Unterposition 2008 99 KN eingereiht.

78

3.3.4 Vor diesem Hintergrund spricht nach Auffassung des vorlegenden Gerichts viel dafür, den Begriff "getrocknet" im Sinne der Unterposition 1902 3010 KN so zu verstehen, dass diese Charakterisierung nur auf solche Teigwaren zutrifft, die das Konservierungsverfahren der Trocknung durchlaufen haben.

79

Für diese Auslegung streitet auch der allgemeine Rechtsgrundsatz der Kohärenz des Unionsrechts (vgl. Art. 7 AEUV), der der Zersplitterung einer Rechtsordnung entgegenwirken soll (Schorkopf, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim [Hrsg.], Das Recht der Europäischen Union, 51. EL Sept. 2013, Art. 7 AEUV Rn. 9). Dieser Grundsatz gebietet eine Auslegung des Unionsrechts, bei der Begriffe möglichst einheitlich ausgelegt werden (siehe das Urteil des EuGH vom 28.02.2013, C-334/12 - Jaramillo, in dem es um die einheitliche Auslegung des prozessrechtlichen Begriffs "angemessene Frist" ging), soweit sich aus dem anzuwendenden Recht nicht eine abweichende Begriffsbildung ableiten lässt. Da sich der KN kein teigwarenspezifischer Trocknungsbegriff entnehmen lässt, dürfte viel dafür sprechen, ihn im vorgeschlagenen Sinne zu verstehen.

80

3.4 Erläuterungen zur Position 1902 HS

81

Da es vorliegend um eine Einreihung innerhalb der autonom von der Europäischen Union festgesetzten Unterpositionen der Kombinierten Nomenklatur geht, können die Erläuterungen zum Harmonisierten System nur indirekte Hinweise für die Beantwortung der Einreihungsfrage geben. In den Erläuterungen zur Position 1902 HS heißt es in der deutschen Übersetzung:

82

Die Waren werden im allgemeinen vor dem Verkauf getrocknet, um ihren Transport und ihre Lagerung zu erleichtern und ihre Haltbarkeit zu verlängern. ... Zu dieser Position gehören auch nichtgetrocknete (d. h. feuchte oder frische) und gefrorene Waren, ....

83

Hieraus kann man zum einen schließen, dass das Trocknen keine Form der Zubereitung ist, sondern dazu dient, die Ware haltbarer und leichter umschlagbar zu machen. Ein Verfahren wie das Frittieren, das auch der Zubereitung einer Ware zum Verzehr dient, könnte nach dieser Lesart kein Trocknen sein. Gleichzeitig differenziert die Erläuterung zwischen getrockneten, nichtgetrockneten (feuchten oder frischen) und gefrorenen Produkten. Versteht man die Erläuterung so, dass es sich um eine abschließende Aufzählung handelt, und frittierte Waren weder frisch noch gefroren sind, könnte die Erläuterung dafür sprechen, dass das Frittieren unter den Begriff "getrocknet" fällt. Hiergegen wiederum spricht die Überschrift der Position 1902 HS/KN, nach der neben gekochten und gefüllten Teigwaren ausdrücklich auch auf andere Weise zubereitete Teigwaren erfasst sind. Vor diesem Hintergrund kann man die zitierte Erläuterung zum Harmonisierten System auch so verstehen, dass sie die Zustände beschreibt, in denen sich Teigwaren vor ihrer Zubereitung befinden können, nämlich getrocknet, nichtgetrocknet und gefroren. Nach dieser Lesart stünde die genannte Erläuterung zum Harmonisierten System einer Einordnung von frittierten Teigwaren als zubereitete Teigwaren nicht im Wege.

84

4. Angesichts dieser Zweifel an der Auslegung des einschlägigen Unionsrechts hat der Senat beschlossen, dem EuGH die im Tenor genannte Frage im Wege des Vorabentscheidungsersuchens vorzulegen.

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Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung zugrunde liegt, an die tatsächliche so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Finanzbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Satz 1 gilt nicht, soweit der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht nachgekommen ist und deshalb die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluss kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

Tenor

Auf die Revision des Hauptzollamts wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 04.12.2014  14 K 2827/11 aufgehoben, soweit das Hauptzollamt verpflichtet wurde, die Einfuhrabgabenbescheide unter Einreihung der Waren gemäß Nrn. 73 bis 75, 14 und 117 der Warenaufstellung in die Unterpos. 8541 40 10 der Kombinierten Nomenklatur zu ändern.

Die Sache wird insoweit an das Finanzgericht München zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) führte in den Jahren 2007 bis 2009 verschiedene Leuchtdiodenmodelle in das Zollgebiet der Union ein. Sie meldete die Waren bei der Abfertigung zum freien Verkehr überwiegend als "Leuchtdioden" mit der Codenr. 8541 40 10 00 0 der Kombinierten Nomenklatur (KN) an (Zollsatz frei).

2

Im Rahmen einer Außenprüfung kam der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) zu dem Ergebnis, die eingeführten Waren seien als "Beleuchtungskörper" in die Pos. 9405 KN einzureihen. Lediglich für Leuchtdioden als einzelne Bauelemente sei die Unterpos. 8541 40 10 KN zutreffend. Das HZA erhob Zoll und Einfuhrumsatzsteuer nach. Die Nacherhebung betraf u.a. die hier noch streitgegenständlichen Waren mit den Nrn. 14, 73 bis 75 und 117 aus der Warenaufstellung, die Grundlage des finanzgerichtlichen Verfahrens war.

3

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte (u.a.) hinsichtlich der im Revisionsverfahren noch streitgegenständlichen Waren Erfolg.

4

Das Finanzgericht (FG) stellte fest, das Modell mit der Nr. 73 verfüge über zwei Chips mit lichtemittierenden Dioden (LED), sog. LED-Chips, in jeweils einem Kunststoffgehäuse, montiert auf einer Metallkernplatine (gedruckte Schaltung). Die verschiedenen Bestandteile seien praktisch nicht voneinander trennbar. Das Modell der Nr. 73 sei vergleichbar mit den Modellen der Nrn. 74 und 75.

5

Die Modelle der Nrn. 14 und 117 verfügten über sieben Aluminiumringe, montiert auf einer Aluminiumplatte, in denen LED in Chipform enthalten seien. Es bestehe eine untrennbare Einheit mit der Aluminiumplatte. Die LED verfügten über Schutzdioden und Linsen.

6

Das FG urteilte, die Waren mit den Nrn. 14, 73 bis 75 und 117 der Warenaufstellung seien unter Berücksichtigung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1037/2014 (VO Nr. 1037/2014) der Kommission vom 25. September 2014 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 287/9) in die Unterpos. 8541 40 10 KN einzureihen.

7

Der VO Nr. 1037/2014 komme eine Indizwirkung zu. Die Einreihungsverordnung weise Waren der Unterpos. 8541 40 10 KN zu, die über mehrere miteinander verschaltete LED-Chips verfügten oder bei denen die LED mit weiteren Bauelementen wie Zener-Dioden, Kühlkörpern oder Gehäusen verbunden seien. Sie stelle entscheidend auf die insbesondere aus wirtschaftlicher Sicht praktisch untrennbare Verbindung der verschiedenen Bauteile ab. Auch seien nach der Verordnung einzelne Bestandteile wie Schutzdioden und Kühlkörper in zolltariflicher Hinsicht nicht ausschlaggebend, wenn diese die Merkmale und Eigenschaften der jeweiligen Ware als Leuchtdiode der Pos. 8541 KN grundsätzlich nicht veränderten.

8

Die streitgegenständlichen Waren seien durch die praktisch untrennbare Verbindung der verschiedenen Bestandteile gekennzeichnet. Zudem veränderten bei den Waren mit den Nrn. 14 und 117 die vorhandenen Schutzdioden nicht die Merkmale und Eigenschaften der Leuchtdioden; sie stünden somit einer Einreihung in Pos. 8541 KN nicht entgegen.

9

Zur Begründung der Revision trägt das HZA vor, die streitgegenständlichen Waren unterschieden sich erheblich von den in der VO Nr. 1037/2014 beschriebenen Waren.

10

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, soweit diese das HZA verpflichtet, die Einfuhrabgabenbescheide unter Einreihung der Waren gemäß Nrn. 73 bis 75, 14 und 117 der Warenaufstellung in die Unterpos. 8541 40 10 KN zu ändern, und die Klage insoweit abzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Revision des HZA ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).

13

1. Die Einreihung der streitgegenständlichen Waren in die Unterpos. 8541 40 10 KN unter Heranziehung der in der VO Nr. 1037/2014 genannten Einreihungskriterien hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

14

Für die zolltarifliche Einreihung der Waren des Streitfalls ist die VO Nr. 1037/2014 ohne rechtliche Bedeutung, weil sie erst nach der Einfuhr der Waren des Streitfalls in Kraft getreten ist (vgl. Senatsurteil vom 12. April 2011 VII R 20/07, BFHE 233, 561, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2011, 177) und im Übrigen andere Waren betrifft. Anders als das FG meint, kommt der VO Nr. 1037/2014 auch keine Indizwirkung (vgl. insoweit Senatsurteil in BFHE 233, 561, ZfZ 2011, 177) für die Tarifentscheidung des Streitfalls zu, weil das ihr zu entnehmende Einreihungskriterium der Verbundenheit der Warenbestandteile "auf praktisch untrennbare Weise", welches das FG für die Tarifierung der streitgegenständlichen Waren übernommen hat, keine Stütze in den die Pos. 8541 KN betreffenden zolltariflichen Vorschriften findet und die Kommission mit diesem Einreihungskriterium in unzulässiger Weise in die Struktur des Harmonisierten Systems eingreift.

15

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), der sich der Senat angeschlossen hat, ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (EuGH-Urteile Kip Europe vom 11. Dezember 2008 C-362/07, EU:C:2008:710, ZfZ 2009, 46, 139, und Roeckl Sporthandschuhe vom 29. April 2010 C-123/09, EU:C:2010:237, ZfZ 2010, 190). Bei der Einreihung von Waren in die KN gelten zudem die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur (AV). Daneben gibt es nach dem Übereinkommen zum Harmonisierten System Erläuterungen (ErlHS) und Einreihungsavise (Tarifavise), die ebenso wie die Erläuterungen zur KN ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen sind (vgl. EuGH-Urteile TNT Freight Management vom 12. Juli 2012 C-291/11, EU:C:2012:459, Rz 30 ff., ZfZ 2012, 332, und Metherma vom 27. November 2008 C-403/07, EU:C:2008:657, ZfZ 2009, 15, 16, sowie Senatsurteile vom 5. Mai 2015 VII R 10/13, BFH/NV 2015, 1449; vom 30. März 2010 VII R 35/09, BFHE 229, 399, BStBl II 2011, 74, Rz 7, und vom 4. November 2003 VII R 58/02, BFHE 204, 375, 377, ZfZ 2004, 165, m.w.N.).

16

Nach den danach maßgebenden objektiven Beschaffenheitsmerkmalen, wie sie vom FG festgestellt worden sind, handelt es sich bei den streitgegenständlichen Waren nicht um Leuchtdioden, sondern um Waren, die neben anderen Bestandteilen auch Leuchtdioden enthalten. Es handelt sich also um aus mehr als einem Stoff bestehende Waren i.S. der AV 2 Buchst. b Satz 3, die nach den Grundsätzen der AV 3 einzureihen sind.

17

Eine Einreihung nach der genaueren Warenbezeichnung der Position gemäß der AV 3 Buchst. a Satz 1 kommt nicht in Betracht, weil nach AV 3 Buchst. a Satz 2 zwei oder mehr Positionen, von denen sich --wie im Streitfall-- jede nur auf einen in einer zusammengesetzten Ware enthaltenen Teil bezieht, im Hinblick auf diese Waren als gleich genau betrachtet werden (vgl. hierzu Lux in Dorsch, Zollrecht, A 4, VO KN, App. 1: Kombinierte Nomenklatur --Einf.-- Rz 52, 55).

18

Die Konkurrenz der hinsichtlich der verschiedenen Warenbestandteile in Betracht kommenden Positionen ist somit gemäß der AV 3 Buchst. b aufzulösen, der zufolge Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen, nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht werden, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann.

19

Es handelt sich hierbei um eine tatsächliche Würdigung auf der Grundlage der festgestellten objektiven Beschaffenheitsmerkmale der Ware (vgl. Senatsurteil vom 7. August 2013 VII R 32/12, BFH/NV 2013, 1954, ZfZ 2014, 72), die das FG ausgehend von seinem Maßstab der praktischen Untrennbarkeit der Warenbestandteile nicht vorgenommen hat und die im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein wird. Dabei wird als ein wichtiges Erkenntnismittel die ErlHS zu AV 3 Buchst. b Rz 19.1 zu berücksichtigen sein, der zufolge sich das charakterbestimmende Merkmal einer Ware aus der Art und Beschaffenheit der Bestandteile, aus ihrem Umfang, Menge, Gewicht, dem Wert oder der Bedeutung für die Verwendung der Ware sowie auch aus dem Erscheinungsbild der Ware ergeben kann (vgl. Senatsurteil vom 19. Dezember 2006 VII R 8/06, BFH/NV 2007, 1368, ZfZ 2007, 192).

20

3. Das EuGH-Urteil Lemnis Lighting vom 8. Dezember 2016 C-600/15 (EU:C:2016:937, ZfZ 2017, 13) steht nicht entgegen. Der EuGH hat darin zum einen bestätigt, dass Leuchtdioden, die mit weiteren elektronischen Komponenten zusammengefügt sind, nicht vom Wortlaut der Pos. 8541 KN erfasst werden (Rz 45 des EuGH-Urteils). Zum anderen schließt das EuGH-Urteil (das die AV unerwähnt lässt) nicht aus, dass mit weiteren elektronischen Komponenten zusammengefügte Leuchtdioden gleichwohl nach der AV 3 Buchst. b in die Pos. 8541 KN eingereiht werden können.

21

Soweit der EuGH im Urteil in EU:C:2016:937, ZfZ 2017, 13, a.a.O. ausführt, die dort streitigen LED-Lampen bestünden neben Leuchtdioden auch aus zahlreichen anderen Komponenten, die für ihre Funktion erforderlich sind, oder im Urteil vom 2. Oktober 2008 C-411/07 (EU:C:2008:533, ZfZ 2008, 302), die Einfügung einer Verstärkerschaltung sei unschädlich, wenn sie die Merkmale und Eigenschaften des Optokopplers nicht wesentlich ändere, besteht kein Anlass anzunehmen, der EuGH habe seine ständige Rechtsprechung ändern wollen, wonach auf den Wortlaut der Positionen und Unterpositionen der KN, die Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und, soweit in den Positionen und Anmerkungen nichts anderes bestimmt ist, die AV abzustellen ist. Gleiches gilt für das EuGH-Urteil Rohm Semiconductor vom 20. November 2014 C-666/13 (EU:C:2014:2388, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2015, 94).

22

4. Sollte die Würdigung der objektiven Beschaffenheitsmerkmale der streitigen Waren gemäß AV 3 Buchst. b ergeben, dass sie in die Pos. 8541 KN einzureihen sind, käme dieser Position nach Anm. 1 Buchst. f zu Kap. 94 KN Vorrang vor der Pos. 9405 KN zu.

23

5. Ließen sich die streitigen Waren nicht in die Pos. 8541 KN einreihen, wäre zu prüfen, ob sie eine eigene Funktion i.S. der Pos. 8543 KN haben (vgl. EuGH-Urteile in EU:C:2014:2388, HFR 2015, 94, und in EU:C:2016:937, ZfZ 2017, 13). Die Einreihung in diese Position schlösse nach Anm. 1 Buchst. f zu Kap. 94 KN ebenfalls die Pos. 9405 KN aus.

24

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.