Europäischer Gerichtshof Urteil, 01. Okt. 2015 - C-32/14

ECLI: ECLI:EU:C:2015:637
published on 01/10/2015 00:00
Europäischer Gerichtshof Urteil, 01. Okt. 2015 - C-32/14
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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

1. Oktober 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Richtlinie 93/13/EWG — Missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern — Hypothekendarlehensvertrag — Art. 7 Abs. 1 — Unterlassung der Verwendung missbräuchlicher Klauseln — Angemessene und wirksame Mittel — Schuldanerkenntnis — Notarielle Beurkundung — Erteilung einer Vollstreckungsklausel durch einen Notar — Vollstreckungstitel — Pflichten des Notars — Prüfung missbräuchlicher Klauseln von Amts wegen — Gerichtliche Kontrolle — Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität“

In der Rechtssache C‑32/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Budapest, Ungarn) mit Entscheidung vom 13. Dezember 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Januar 2014, in dem Verfahren

ERSTE Bank Hungary Zrt.

gegen

Attila Sugár

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der ERSTE Bank Hungary Zrt., vertreten durch L. Wallacher, ügyvéd,

der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und G. Szima als Bevollmächtigte,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und D. Kuon als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Talabér-Ritz und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juni 2015

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der ERSTE Bank Hungary Zrt. (im Folgenden: ERSTE Bank) und Herrn Sugár wegen dessen Klage auf Löschung der Vollstreckungsklausel, die ein Notar auf dem Schuldanerkenntnis angebracht hat, das Herr Sugár auf der Grundlage eines zwischen den Parteien geschlossenen Hypothekendarlehensvertrags unterzeichnet hatte.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.“

4

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

5

Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.

(2)   Die in Absatz 1 genannten Mittel müssen auch Rechtsvorschriften einschließen, wonach Personen oder Organisationen, die nach dem innerstaatlichen Recht ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen können, damit diese darüber entscheiden, ob Vertragsklauseln, die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden, missbräuchlich sind, und angemessene und wirksame Mittel anwenden, um der Verwendung solcher Klauseln ein Ende zu setzen.“

Ungarisches Recht

Bürgerliches Gesetzbuch

6

§ 200 des Gesetzes Nr. IV von 1959 über das Bürgerliche Gesetzbuch (A Polgári Törvénykönyvről szóló 1959. évi IV. törvény, im Folgenden: Bürgerliches Gesetzbuch) in seiner am Tag des Abschlusses des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags geltenden Fassung sieht vor:

„(1)   Die Parteien können den Inhalt des Vertrags frei bestimmen. Von den auf Verträge bezogenen Bestimmungen können sie mit übereinstimmendem Willen abweichen, wenn nicht eine Rechtsvorschrift die Abweichung verbietet.

(2)   Ein Vertrag, der gegen eine Rechtsnorm verstößt oder unter deren Umgehung abgeschlossen wurde, ist nichtig, es sei denn, dass die Rechtsvorschrift daran eine andere Rechtsfolge knüpft. Der Vertrag ist auch nichtig, wenn er offensichtlich gegen die guten Sitten verstößt.“

7

§ 209 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs lautet:

„Allgemeine Vertragsbedingungen und nicht im Einzelnen ausgehandelte Klauseln eines Verbrauchervertrags sind missbräuchlich, wenn sie unter Verletzung des Gebots von Treu und Glauben die sich aus dem Vertrag ergebenden Rechte und Pflichten der Parteien einseitig und unbegründet zum Nachteil der Vertragspartei festlegen, die die Vertragsbedingungen nicht aufgestellt hat.“

8

§ 209/A Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sieht vor, dass missbräuchliche Klauseln von der geschädigten Partei angefochten werden können.

9

Nach Abs. 2 dieses Paragrafen sind missbräuchliche Klauseln eines Verbrauchervertrags, die als allgemeine Vertragsbedingungen Vertragsbestandteil werden oder von der Partei, die mit dem Verbraucher einen Vertrag abgeschlossen hat, einseitig und ohne Aushandlung im Einzelnen im Voraus festgelegt werden, nichtig. Die Nichtigkeit kann nur im Interesse des Verbrauchers geltend gemacht werden.

Zivilprozessordnung

10

Nach § 163 des Gesetzes Nr. III von 1952 über die Zivilprozessordnung (A polgári perrendtartásról szóló 1952. évi III. törveny, im Folgenden: Zivilprozessordnung) kann das Gericht die Tatsachen festlegen, die es als allgemein bekannt ansieht. Dasselbe gilt für die Tatsachen, die dem Gericht von Amts wegen bekannt sind. Das Gericht kann Tatsachen auch dann berücksichtigen, wenn sie nicht von den Parteien eingebracht worden sind, wobei es jedoch verpflichtet ist, die Parteien in der mündlichen Verhandlung über die entsprechenden Tatsachen zu unterrichten.

11

§ 366 der Zivilprozessordnung bestimmt, dass dann, wenn laut § 41 oder § 56 des Gesetzes Nr. LIII von 1994 über die Zwangsvollstreckung (A bírósági végrehajtásról szóló 1994. évi LIII. törveny, im Folgenden: Gesetz über die Zwangsvollstreckung) im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens keine Möglichkeit zur Einstellung bzw. Beschränkung der Vollstreckung besteht, der Schuldner, der die Vollstreckung für rechtswidrig hält, gegen den Vollstreckungsgläubiger ein Verfahren zur Einstellung bzw. Beschränkung der Vollstreckung anstrengen kann.

12

In § 369 der Zivilprozessordnung heißt es:

„Ein Verfahren zur Einstellung bzw. Beschränkung der Vollstreckung, die auf dem Wege einer mit einer Vollstreckungsklausel versehenen öffentlichen Urkunde oder einer dieser gleichgestellten vollstreckbaren Urkunde angeordnet wurde, kann angestrengt werden, wenn

a)

die zur Vollstreckung bestimmte Forderung nicht wirksam entstanden ist,

…“

13

Nach § 370 der Zivilprozessordnung kann das im Verfahren zur Einstellung bzw. Beschränkung der Vollstreckung angerufene Gericht in der Sache die Vollstreckung aussetzen.

Gesetz über die Zwangsvollstreckung

14

§ 13 Abs. 1 des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung hat folgenden Wortlaut:

„(1)   Der Vollstreckungstitel kann ausgestellt werden, wenn die zu vollstreckende Entscheidung

a)

eine Forderung (einen Geldbetrag) beinhaltet,

b)

rechtskräftig ist oder vorläufig vollstreckt werden kann und

c)

die Erfüllungsfrist abgelaufen ist. …“

15

§ 23/C des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung regelt das Verfahren zur Anbringung der Vollstreckungsklausel durch einen Notar auf einer von ihm selbst aufgesetzten notariellen Urkunde. Nach Abs. 1 dieses Artikels versieht der die Urkunde aufsetzende Notar die notarielle Urkunde mit einer Vollstreckungsklausel, wenn sie Folgendes enthält:

eine Verpflichtung zu einer Leistung und einer Gegenleistung oder eine einseitige Verpflichtung,

den Namen des Gläubigers und den des Schuldners,

den Gegenstand, die Menge (den Betrag) und den Rechtstitel der Verpflichtung sowie

die Art der Erfüllung und die Frist hierfür.

16

Die Abs. 2 und 5 des § 23/C des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung sehen vor:

„(2)   Wenn die Verpflichtung vom Eintritt einer Bedingung oder eines Zeitpunkts abhängt, ist es zur Vollstreckbarkeit auch erforderlich, dass der Eintritt der Bedingung oder des Zeitpunkts durch eine öffentliche Urkunde bestätigt wird.

(5)   Die Vollstreckung kann vorgenommen werden, wenn die notariell beurkundete Forderung der Zwangsvollstreckung unterliegt und die Frist für die Erfüllung der Forderung abgelaufen ist. …“

17

§ 31/E Abs. 2 des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung bestimmt, dass das notarielle Verfahren – als ziviles nichtstreitiges Verfahren – entsprechende Wirkungen wie das gerichtliche Verfahren hat und dass die vom Notar getroffene Entscheidung entsprechende Wirkungen wie die Entscheidung eines örtlichen Gerichts hat.

18

§ 56 Abs. 1 des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung sieht vor, dass das Gericht, das die Zwangsvollstreckung anordnet, diese mit Beschluss einstellt oder gegebenenfalls beschränkt, wenn es auf der Grundlage öffentlicher Urkunden festgestellt hat, dass eine rechtskräftige Entscheidung von der zu vollstreckenden Entscheidung abweicht oder sie abändert, oder wenn in einer rechtskräftigen Entscheidung festgestellt wird, dass die durch eine mit einer Vollstreckungsklausel versehene Urkunde begründete Forderung, deren Zwangsvollstreckung beantragt wird, nicht wirksam entstanden ist.

19

Gemäß § 211 Abs. 2 des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung ist die Vollstreckungsklausel zu löschen, wenn das Gericht einen Titel entgegen den gesetzlichen Vorschriften mit einer Vollstreckungsklausel versehen hat.

20

§ 212 des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung bestimmt:

„(1)   Das die Vollstreckung anordnende Gericht kann die Löschung der Vollstreckungsklausel auf Antrag einer Partei, aufgrund des Berichts des Gerichtsvollziehers oder aus eigener Initiative jederzeit per Beschluss anordnen.

(2)   Der Beschluss ist den Parteien zuzustellen, die dagegen Beschwerde einlegen können.“

21

§ 224/A des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung sieht vor:

„Fällt die Anordnung der Zwangsvollstreckung in die Zuständigkeit des Notars, sind die Bestimmungen dieses Teils mit den folgenden Abweichungen anzuwenden:

a)

Unter ‚die Vollstreckung anordnendes Gericht‘ ist der Notar zu verstehen; unter ‚von dem die Vollstreckung anordnenden Gericht getroffene Entscheidung‘ ist die von dem Notar getroffene Entscheidung zu verstehen;

…“

Gesetz über die Notare

22

Das Gesetz Nr. XLI von 1991 über die Notare (A közjegyzőkről szóló 1991. évi XLI. törvény, im Folgenden: Gesetz über die Notare) definiert in § 1 Abs. 1, 2 und 4 die Befugnisse der Notare wie folgt:

„(1)   Das Gesetz verleiht den Notaren die Eigenschaft einer öffentlichen Urkundsperson, damit sie den Parteien zum Zwecke der Streitvermeidung unparteiische Rechtsdienstleistungen erbringen können.

(2)   Der Notar beurkundet in öffentlicher Urkunde Rechtsgeschäfte und rechtlich bedeutsame Tatsachen, verwahrt Urkunden, verwahrt im Auftrag der Parteien Geld, Wertsachen und Wertpapiere, um sie dem Berechtigten auszuhändigen, und berät die Parteien im Rahmen der in seine Zuständigkeit fallenden Verfahren, um ihnen – unter Gewährleistung der Gleichbehandlung – Beistand bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und der Erfüllung ihrer Pflichten zu leisten.

(4)   Der Notar nimmt als Teil der staatlichen Justizdienstleistungen im Rahmen der ihm gesetzlich zugewiesenen Zuständigkeiten Aufgaben der Rechtspflege wahr.“

23

§ 3 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Notare bestimmt:

„(1)   Der Notar ist verpflichtet, seine Mitwirkung zu verweigern, wenn sie mit seinen Pflichten unvereinbar ist, insbesondere wenn seine Mitwirkung für die Zwecke eines Rechtsgeschäfts verlangt wird, das rechtswidrig ist oder das Recht umgeht oder dessen Ziel verboten oder missbräuchlich ist.

(2)   Wenn der Notar im Laufe des Verfahrens einen Umstand feststellt, der Anlass zu Zweifeln gibt, ohne dass er seine Mitwirkung verweigern müsste, ist er verpflichtet, die Parteien auf diesen Umstand hinzuweisen und dies schriftlich zu vermerken. Wenn eine Partei hiergegen einen Einwand erhebt, verweigert der Notar seine Mitwirkung.“

24

§ 112 Abs. 1 des Gesetzes über die Notare ist hinsichtlich der Merkmale, die eine notarielle Urkunde aufweisen muss, damit ihr die Vollstreckungsklausel erteilt wird, gleichlautend mit § 23/C des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung.

Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefragen

25

Am 18. Dezember 2007 schlossen ERSTE Bank und Herr Sugár einen notariell beurkundeten Darlehensvertrag über einen Betrag in Höhe von 30687 Schweizer Franken (CHF) zur Finanzierung des Kaufs einer Immobilie. Dieser Vertrag ist durch eine Hypothek auf die betreffende Immobilie gesichert.

26

Am 19. Dezember 2007 unterzeichnete Herr Sugár auf der Grundlage des Darlehensvertrags ein notariell beurkundetes Schuldanerkenntnis zugunsten von ERSTE Bank. Aus den Akten ergibt sich, dass diese Urkunde im Fall der Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen durch Herrn Sugár ERSTE Bank das Recht gewährt, den Darlehensvertrag zu kündigen und die sich aus diesem Vertrag ergebende Forderung auf der Grundlage einer von ihr selbst aufgestellten Abrechnung, die die Höhe der Forderung angibt, beizutreiben.

27

Als Herr Sugár seiner Zahlungspflicht nicht nachkam, kündigte ERSTE Bank den Darlehensvertrag und beantragte, dieses Schuldanerkenntnis mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen. Am 13. Dezember 2011 versah der Notar, der die betreffenden gesetzlichen Voraussetzungen als erfüllt ansah, diese Urkunde mit der Vollstreckungsklausel, was zur Folge hatte, dass sie vollstreckbar wurde und somit einen einer gerichtlichen Entscheidung entsprechenden Charakter erhielt.

28

Am 5. Juni 2013 beantragte Herr Sugár beim Notar die Löschung der Vollstreckungsklausel auf dem notariell beurkundeten Schuldanerkenntnis im Zusammenhang mit dem mit ERSTE Bank geschlossenen Darlehensvertrag und machte insbesondere geltend, dass dieser Vertrag missbräuchliche Klauseln enthalte. Zudem stellte Herr Sugár die Rechtmäßigkeit der Erklärung über die Kündigung des Vertrags in Frage und machte geltend, dass mit der Vollstreckungsklausel die Vollstreckung von Verpflichtungen angeordnet werde, die sich nicht aus dem beurkundeten Schuldanerkenntnis ergäben. Er wies auch darauf hin, dass er einen Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung und Nichtigerklärung gestellt habe.

29

Mit Entscheidung vom 13. Juni 2013 wies der Notar den Antrag auf Löschung der Vollstreckungsklausel mit der Begründung zurück, dass diese mit keinem Fehler behaftet sei, da die fragliche öffentliche Urkunde ein Schuldanerkenntnis enthalte sowie den Namen des Gläubigers und den des Schuldners, den Rechtstitel und die Höhe der Verpflichtung sowie die Art der Erfüllung und die hierfür eingeräumte Frist. Zudem stellte er fest, dass aus der Urkunde die Abhängigkeit der Verpflichtung vom Eintritt einer Bedingung sowie der Zeitpunkt, zu dem diese eingetreten sei, hervorgingen. Da das notarielle Verfahren ein nichtstreitiges Verfahren sei, verfüge er im Übrigen in Bezug auf Beweise nur über einen eingeschränkten Beurteilungsspielraum und sei nicht befugt, über Streitigkeiten zwischen den Parteien über die Rechtmäßigkeit der Kündigung des Vertrags oder der in diesem enthaltenen Klauseln zu befinden, da dies in die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte falle.

30

Herr Sugár erhob Klage beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Budapest) und beantragte, die Entscheidung des Notars aufzuheben und die Vollstreckungsklausel, die seiner Ansicht nach entgegen den gesetzlichen Vorschriften erteilt wurde, zu löschen. Zur Stützung dieser Klage macht er insbesondere geltend, dass das fragliche Schuldanerkenntnis missbräuchliche Vertragsklauseln sowie unrichtige Daten enthalte, dass die Höhe der Schuld darin in Fremdwährung festgesetzt sei, obwohl das Darlehen in Forint gewährt worden sei, und ausschließlich auf der Grundlage interner Daten von ERSTE Bank bestimmt worden sei. Er meint, die Erteilung der Vollstreckungsklausel sei rechtsmissbräuchlich, da ihr eine einseitige Erklärung der Vollstreckungsgläubigerin zugrunde liege, deren inhaltliche Richtigkeit nur in einem streitigen Verfahren geprüft werden könne.

31

Das vorlegende Gericht führt aus, dass der Notar nach dem Gesetz über die Zwangsvollstreckung die Urkunde, aus der zu vollstrecken sei, mit einer Vollstreckungsklausel versehe und dass diese Urkunde damit zum Vollstreckungstitel werde. Im Laufe des Verfahrens zur Erteilung der Vollstreckungsklausel beschränke sich der Notar jedoch auf die Prüfung, dass die zu vollstreckende Urkunde den dafür geltenden formellen und materiellen Voraussetzungen genüge, ohne die mögliche Missbräuchlichkeit der Klauseln des Darlehensvertrags, der als Grundlage dieser Urkunde diene, prüfen zu können. Nur im Rahmen einer Klage auf Einstellung bzw. Beschränkung der Zwangsvollstreckung könne der Verbraucher die Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln geltend machen, was nach Ansicht des vorlegenden Gerichts den mit der Richtlinie 93/13 verfolgten Zielen zuwiderlaufen könnte.

32

Unter diesen Umständen hat der Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Budapest) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist ein Verfahren eines Mitgliedstaats, bei dem im Fall eines Verstoßes eines Verbrauchers gegen eine vertragliche Verpflichtung, die er in einer von einem Notar unter Wahrung der Formerfordernisse aufgesetzten Urkunde eingegangen ist, der Vertragspartner des Verbrauchers einen von ihm selbst bezifferten Betrag aufgrund der Erteilung einer sogenannten Vollstreckungsklausel geltend machen kann, ohne ein streitiges Verfahren bei einem Gericht anhängig machen zu müssen und ohne dass die Missbräuchlichkeit des Vertrags, auf dessen Grundlage die Klausel erteilt wird, geprüft wird, mit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vereinbar?

2.

Kann der Verbraucher in einem solchen Verfahren die Löschung der bereits erteilten Vollstreckungsklausel verlangen, indem er geltend macht, dass die Missbräuchlichkeit des Vertrags, auf dessen Grundlage sie erteilt wurde, nicht geprüft worden sei, wohingegen nach dem Urteil in der Rechtssache C‑472/11 in einem gerichtlichen Verfahren ein Gericht, das die Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln festgestellt hat, verpflichtet ist, den Verbraucher darüber zu informieren?

Zu den Vorlagefragen

33

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die es einem Notar, der unter Wahrung der Formerfordernisse eine einen Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher betreffende öffentliche Urkunde errichtet hat, erlauben, auf dieser Urkunde die Vollstreckungsklausel anzubringen oder ihre Löschung zu verweigern, obwohl weder in dem einen noch in dem anderen Stadium eine Kontrolle in Bezug auf die Missbräuchlichkeit der Klauseln dieses Vertrags durchgeführt worden ist.

34

Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass diese Fragen damit zusammenhängen, dass es im nationalen Recht ein Verfahren gibt, nach dem der Notar auf Antrag des Gläubigers die öffentliche Urkunde, in der die Verpflichtung des Schuldners niedergelegt ist, mit der Vollstreckungsklausel versehen kann, ohne die Gültigkeit dieser Urkunde prüfen zu können, sofern er eine abschließende Aufzählung der formellen Voraussetzungen in Bezug auf den Inhalt der Urkunde beachtet, wie sie in § 23/C des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung vorgesehen sind. In der Urkunde müssen somit gemäß diesem Paragrafen die Verpflichtung zu einer Leistung und einer Gegenleistung, der Name des Gläubigers und der des Schuldners, der Gegenstand der Verpflichtung sowie ihr Betrag und ihr Rechtstitel und schließlich die Art ihrer Erfüllung und die Frist hierfür enthalten sein.

35

Im Ausgangsverfahren besteht der Vollstreckungstitel in einem notariell beurkundeten Schuldanerkenntnis, das Herr Sugár nach dem Abschluss eines Hypothekendarlehensvertrags zwischen ihm und ERSTE Bank abgegeben hat.

36

Die Anbringung der Vollstreckungsklausel auf dieser Urkunde auf der Grundlage von ausschließlich vom Gläubiger gelieferten Unterlagen ermöglicht tatsächlich die Zwangsvollstreckung aus dem Vertrag außerhalb eines streitigen Verfahrens bei einem Gericht. Nach § 31/E Abs. 2 des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung hat eine mit einer Vollstreckungsklausel versehene notarielle Urkunde nämlich die gleiche Wirkung wie die Entscheidung eines örtlichen Gerichts.

37

Aus den Akten geht auch hervor, dass der Notar nach § 211 Abs. 2 und § 224/A des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung eine „entgegen den gesetzlichen Vorschriften“ erteilte Vollstreckungsklausel löschen kann. Wie die ungarische Regierung in ihren Erklärungen hervorgehoben hat, betrifft dieses Verfahren jedoch nicht die Gültigkeit der Vertragsklauseln, sondern nur die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Erteilung der Vollstreckungsklausel.

38

Folglich ist eine Kontrolle der Gültigkeit der Vertragsklauseln durch den Notar nach nationalem Recht weder im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung der Vollstreckungsklausel noch in dem Verfahren zu ihrer Löschung möglich.

39

Im Hinblick auf die Feststellung, ob eine solche Regelung mit den Anforderungen der Richtlinie 93/13 vereinbar ist, ist darauf hinzuweisen, dass das mit dieser Richtlinie geschaffene Schutzsystem auf der Vorstellung beruht, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können (vgl. u. a. Urteil Kušionová, C‑34/13, EU:C:2014:2189, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

In Anbetracht dieser schwächeren Position sieht Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vor, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind. Es handelt sich um eine zwingende Bestimmung, die darauf abzielt, die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so ihre Gleichheit wiederherzustellen (vgl. Urteil Sánchez Morcillo und Abril García, C‑169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof mehrfach entschieden, dass das nationale Gericht von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, prüfen und damit der Unausgewogenheit zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden abhelfen muss, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt (vgl. u. a. Urteile Aziz, C‑415/11, EU:C:2013:164, Rn. 46, Barclays Bank, C‑280/13, EU:C:2014:279, Rn. 34, sowie Sánchez Morcillo und Abril García, C‑169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 24).

42

Der Gerichtshof hat ebenfalls entschieden, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass das nationale Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen festgestellt hat, vorbehaltlich der Einhaltung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens alle Konsequenzen, die sich nach nationalem Recht aus dieser Feststellung ergeben, ziehen muss, ohne einen entsprechenden Antrag des Verbrauchers abzuwarten (vgl. in diesem Sinne Urteil Banif Plus Bank, C‑472/11, EU:C:2013:88, Rn. 36).

43

Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Richtlinie 93/13 einer mitgliedstaatlichen Regelung entgegensteht, wonach ein mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasstes Gericht, sofern der Verbraucher keinen Widerspruch erhebt, weder a limine noch in irgendeiner anderen Phase des Verfahrens von Amts wegen prüfen darf, ob eine Verzugszinsklausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher missbräuchlich ist, obwohl es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt (Urteil Banco Español de Crédito, C‑618/10, EU:C:2012:349, Rn. 57).

44

Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung ferner festgestellt, dass die Regelung eines Mitgliedstaats nicht mit der Richtlinie 93/13 im Einklang steht, wenn diese Regelung im Rahmen eines Hypothekenvollstreckungsverfahrens keine Einwendungen in Bezug auf die Missbräuchlichkeit einer dem vollstreckbaren Titel zugrunde liegenden Vertragsklausel zulässt, es dem für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer solchen Klausel zuständigen Gericht des Erkenntnisverfahrens aber auch nicht erlaubt, das entsprechende Vollstreckungsverfahren vorläufig auszusetzen (vgl. in diesem Sinne Urteile Aziz, C‑415/11, EU:C:2013:164, Rn. 64, und Barclays Bank, C‑280/13, EU:C:2014:279, Rn. 36).

45

Schließlich hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinie 93/13 einer nationalen Regelung entgegensteht, die es dem Vollstreckungsgericht im Rahmen eines Hypothekenvollstreckungsverfahrens nicht erlaubt, von Amts wegen oder auf Antrag des Verbrauchers die Missbräuchlichkeit einer Klausel des der Forderung und dem Vollstreckungstitel zugrunde liegenden Vertrags zu prüfen oder vorläufige Maßnahmen, insbesondere zur Aussetzung der Vollstreckung, zu treffen, wenn der Erlass dieser Maßnahmen erforderlich ist, um die volle Wirksamkeit der Endentscheidung des Gerichts des entsprechenden Erkenntnisverfahrens, das für die Prüfung der Missbräuchlichkeit dieser Klausel zuständig ist, zu gewährleisten (vgl. Beschluss Banco Popular Español und Banco de Valencia,C‑537/12 und C‑116/13, EU:C:2013:759, Rn. 60, und Urteil Sánchez Morcillo und Abril García, C‑169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 28).

46

Im Hinblick auf das im Ausgangsverfahren in Rede stehende vereinfachte notarielle Zwangsvollstreckungsverfahren hat die Europäische Kommission vorgetragen, dass die für einen Notar bestehende Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung aus einem Vertrag in Gang zu setzen, ohne im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung der Vollstreckungsklausel oder des Verfahrens zu ihrer Löschung die Missbräuchlichkeit verschiedener Klauseln geprüft zu haben, gegen die Richtlinie 93/13 in ihrer Auslegung durch die in den vorstehenden Randnummern angeführte Rechtsprechung und insbesondere durch die Urteile Banco Español de Crédito (C‑618/10, EU:C:2012:349) und Banif Plus Bank (C‑472/11, EU:C:2013:88) verstoße, wobei das letztgenannte Urteil auch von dem vorlegenden Gericht in seiner zweiten Frage genannt wird. Da das notarielle Verfahren, so die Kommission, entsprechende Wirkungen wie ein gerichtliches Verfahren habe, müsse der Notar demnach auch von Amts wegen beurteilen können, ob die Vertragsklauseln missbräuchlich seien, wenn er über sämtliche hierzu erforderlichen rechtlichen und sachlichen Grundlagen verfüge.

47

Wie der Generalanwalt insbesondere in den Nrn. 65 bis 67 und 72 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, ist jedoch festzustellen, dass diese Rechtsprechung den besonderen Rahmen der Ausübung der Rechtsprechungstätigkeit betrifft und wegen grundlegender Unterschiede zwischen dieser und der Tätigkeit eines Notars nicht auf Letztere übertragbar ist.

48

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 93/13 keine Bestimmung betreffend die Rolle enthält, die dem Notar im Bereich der Kontrolle missbräuchlicher Vertragsklauseln zufallen kann oder muss. So regelt diese Richtlinie nicht die Frage, ob in einer Situation, in der nationale Rechtsvorschriften dem Notar die Befugnis übertragen, auf einem notariell beurkundeten Vertrag die Vollstreckungsklausel anzubringen und sie später gegebenenfalls zu löschen, die Fähigkeit zur Ausübung von Befugnissen, die unmittelbar zur Rechtsprechungstätigkeit gehören, auf den Notar auszudehnen ist.

49

Daraus folgt, dass es mangels einer unionsrechtlichen Harmonisierung der nationalen Zwangsvollstreckungsverfahren und der den Notaren im Rahmen dieser Verfahren zugewiesenen Rolle nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats ist, entsprechende Regeln festzulegen, vorausgesetzt allerdings, dass diese nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. in diesem Sinne Urteile Aziz, C‑415/11, EU:C:2013:164, Rn. 50, Pohotovosť, C‑470/12, EU:C:2014:101, Rn. 46, und Kušionová, C‑34/13, EU:C:2014:2189, Rn. 50).

50

Hinsichtlich des Äquivalenzgrundsatzes ist festzustellen, dass der Gerichtshof über keinerlei Anhaltspunkte verfügt, die einen Zweifel an der Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung mit diesem Grundsatz hervorrufen könnten.

51

Was den Effektivitätsgrundsatz betrifft, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (vgl. u. a. Urteil Pohotovosť, C‑470/12, EU:C:2014:101, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52

Somit ist zu ermitteln, ob die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften es in ihrem Kontext und unter Berücksichtigung sämtlicher bestehender Rechtsbehelfe in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens gewährleisten, dass angemessene und wirksame Mittel bestehen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in den mit Verbrauchern geschlossenen Verträgen ein Ende gesetzt wird und dass solche Klauseln für Letztere unverbindlich sind, wie es in Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vorgesehen ist.

53

Dazu macht die ungarische Regierung im Wesentlichen geltend, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende vereinfachte Zwangsvollstreckungsverfahren nicht jede Kontrolle missbräuchlicher Klauseln, sei es durch die Notare selbst oder die nationalen Gerichte, ausschließe.

54

Unter Berücksichtigung des besonderen Vertrauens, das der Verbraucher im Allgemeinen dem Notar als unparteiischem Berater entgegenbringt und darin setzt, dass die von diesem errichteten Urkunden nicht rechtswidrig sind, ist festzustellen, dass eine nicht zu vernachlässigende Gefahr besteht, dass der Verbraucher bei der Errichtung dieser Urkunden weniger wachsam im Hinblick auf das Vorliegen missbräuchlicher Klauseln und die Konsequenzen eines vereinfachten notariellen Zwangsvollstreckungsverfahrens wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ist. Zudem kann es sein, dass der Verbraucher, wenn ein solches Verfahren von einem Gewerbetreibenden eingeleitet worden ist, ohne Tätigwerden eines Notars nicht über alle sachdienlichen Informationen verfügt, die ihn in die Lage versetzen, sich im Rahmen dieses Verfahrens vor den nationalen Gerichten zu verteidigen.

55

Im Hinblick auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung ist darauf hinzuweisen, dass es den Notaren gemäß § 1 des Gesetzes über die Notare insbesondere obliegt, die Parteien zum Zwecke der Streitvermeidung im Rahmen der in ihre Zuständigkeit fallenden Verfahren zu beraten, um ihnen unter Gewährleistung der Gleichbehandlung Beistand bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und der Erfüllung ihrer Pflichten zu leisten.

56

Außerdem ist der Notar gemäß § 3 Abs. 1 und 2 dieses Gesetzes verpflichtet, die Gesetzeskonformität und die Missbräuchlichkeit eines Rechtsgeschäfts zu prüfen und die Parteien schriftlich zu informieren, wenn er einen Umstand feststellt, der Anlass zu Zweifeln gibt.

57

Hieraus folgt, dass der Notar im ungarischen Verfahrensrecht befugt zu sein scheint, insbesondere im Stadium der Errichtung einer öffentlichen Urkunde, die einen Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher betrifft, eine Rolle im Hinblick auf die Vermeidung der Missbräuchlichkeit von Klauseln dieses Vertrags zu spielen, und dass er im Übrigen durch seine Beratungen die Gleichbehandlung in allen in seine Zuständigkeit fallenden Verfahren, darunter das der Zwangsvollstreckung, ausdrücklich gewährleisten soll.

58

Nach alledem scheinen die allgemeinen Bestimmungen des Gesetzes über die Notare grundsätzlich – vorbehaltlich der von dem vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen – zur Beachtung der in Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 aufgestellten Anforderungen beizutragen.

59

Es ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 84 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die angemessenen und wirksamen Mittel, die der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen ein Ende setzen sollen, Rechtsvorschriften einschließen müssen, die den Verbrauchern einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleisten, indem sie es ihnen ermöglichen, den streitigen Vertrag – auch in der Phase, in der aus ihm vollstreckt wird – vor Gericht anzufechten, und dies unter angemessenen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen, so dass für die Ausübung ihrer Rechte keine Voraussetzungen, insbesondere hinsichtlich der Fristen oder der Kosten, gelten, die die Ausübung der durch die Richtlinie 93/13 gewährleisteten Rechte übermäßig erschweren oder praktisch unmöglich machen. Im Rahmen dieser Gerichtsverfahren ist die in den Rn. 41 bis 45 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs in vollem Umfang anzuwenden.

60

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass Herr Sugár zum einen gemäß § 209/A Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine Klage zur Anfechtung des Vertrags erheben und zum anderen ein Verfahren zur Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung nach § 369 der Zivilprozessordnung einleiten kann. Im Rahmen des letztgenannten Verfahrens kann der Verbraucher nach § 370 der Zivilprozessordnung die Aussetzung der Zwangsvollstreckung aus dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrag beantragen.

61

Darüber hinaus scheint aus den dem Gerichtshof insbesondere von der ungarischen Regierung vorgelegten Unterlagen hervorzugehen, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu prüfen, ob die nationalen Gerichte ungeachtet des Wortlauts der §§ 369 und 370 der Zivilprozessordnung im Rahmen dieser Verfahren die Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln prüfen und unter Beachtung von § 163 der Zivilprozessordnung und entsprechend der Rechtsprechung der Kúria (Oberster Gerichtshof) von Amts wegen die Fälle offensichtlicher Nichtigkeit aufgreifen können und müssen, die auf der Grundlage der verfügbaren Beweise festgestellt werden können.

62

Auch wenn die Richtlinie 93/13 in Rechtsstreitigkeiten, an denen ein Gewerbetreibender und ein Verbraucher beteiligt sind, ein positives, von den Vertragsparteien unabhängiges Eingreifen durch das mit solchen Rechtsstreitigkeiten befasste nationale Gericht vorschreibt (Urteile Asbeek Brusse und de Man Garabito, C‑488/11, EU:C:2013:341, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Pohotovosť, C‑470/12, EU:C:2014:101, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung), geht die Wahrung des Effektivitätsgrundsatzes aber nicht so weit, eine völlige Untätigkeit des betroffenen Verbrauchers auszugleichen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kušionová, C‑34/13, EU:C:2014:2189, Rn. 56).

63

Der Umstand, dass der Verbraucher den Schutz durch die Rechtsvorschriften über missbräuchliche Klauseln nur geltend machen kann, wenn er ein gerichtliches Verfahren anstrengt, kann folglich entgegen dem Vorbringen der Kommission für sich genommen nicht gegen den Grundsatz der Effektivität verstoßen. Ein durch die Richtlinie 93/13 gewährleisteter effektiver gerichtlicher Rechtsschutz beruht nämlich auf der Prämisse, dass die nationalen Gerichte zuvor von einer der Parteien dieses Vertrags angerufen werden.

64

Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, das allein eine unmittelbare Kenntnis der Verfahrensmodalitäten für Rechtsbehelfe in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung besitzt und allein für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist, zu beurteilen, ob diese Modalitäten unter den Umständen des Ausgangsverfahrens dem Verbraucher einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleisten.

65

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegenstehen, die es einem Notar, der unter Wahrung der Formerfordernisse eine einen Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher betreffende notarielle Urkunde errichtet hat, erlauben, diese Urkunde mit der Vollstreckungsklausel zu versehen oder die Vornahme ihrer Löschung zu verweigern, obwohl weder in dem einen noch in dem anderen Stadium eine Kontrolle in Bezug auf die Missbräuchlichkeit der Klauseln dieses Vertrags durchgeführt wurde.

Kosten

66

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegenstehen, die es einem Notar, der unter Wahrung der Formerfordernisse eine einen Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher betreffende notarielle Urkunde errichtet hat, erlauben, diese Urkunde mit der Vollstreckungsklausel zu versehen oder die Vornahme ihrer Löschung zu verweigern, obwohl weder in dem einen noch in dem anderen Stadium eine Kontrolle in Bezug auf die Missbräuchlichkeit der Klauseln dieses Vertrags durchgeführt wurde.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.

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Der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, wird in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet.

(1) Das Protokoll ist von dem Vorsitzenden und von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben. Ist der Inhalt des Protokolls ganz oder teilweise mit einem Tonaufnahmegerät vorläufig aufgezeichnet worden, so hat der Urkundsbeamte der Ges

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Der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, wird in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet.

(1) Erhebt sich bei der Beweisaufnahme vor einem beauftragten oder ersuchten Richter ein Streit, von dessen Erledigung die Fortsetzung der Beweisaufnahme abhängig und zu dessen Entscheidung der Richter nicht berechtigt ist, so erfolgt die Erledigung durch das Prozessgericht.

(2) Der Termin zur mündlichen Verhandlung über den Zwischenstreit ist von Amts wegen zu bestimmen und den Parteien bekannt zu machen.

Entspricht die von einer ausländischen Behörde vorgenommene Beweisaufnahme den für das Prozessgericht geltenden Gesetzen, so kann daraus, dass sie nach den ausländischen Gesetzen mangelhaft ist, kein Einwand entnommen werden.

(1) Erfolgt die Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht, so ist der Termin, in dem die Beweisaufnahme stattfindet, zugleich zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt.

(2) In dem Beweisbeschluss, der anordnet, dass die Beweisaufnahme vor einem beauftragten oder ersuchten Richter erfolgen solle, kann zugleich der Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem Prozessgericht bestimmt werden. Ist dies nicht geschehen, so wird nach Beendigung der Beweisaufnahme dieser Termin von Amts wegen bestimmt und den Parteien bekannt gemacht.

Entspricht die von einer ausländischen Behörde vorgenommene Beweisaufnahme den für das Prozessgericht geltenden Gesetzen, so kann daraus, dass sie nach den ausländischen Gesetzen mangelhaft ist, kein Einwand entnommen werden.

(1) Erfolgt die Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht, so ist der Termin, in dem die Beweisaufnahme stattfindet, zugleich zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt.

(2) In dem Beweisbeschluss, der anordnet, dass die Beweisaufnahme vor einem beauftragten oder ersuchten Richter erfolgen solle, kann zugleich der Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem Prozessgericht bestimmt werden. Ist dies nicht geschehen, so wird nach Beendigung der Beweisaufnahme dieser Termin von Amts wegen bestimmt und den Parteien bekannt gemacht.

Entspricht die von einer ausländischen Behörde vorgenommene Beweisaufnahme den für das Prozessgericht geltenden Gesetzen, so kann daraus, dass sie nach den ausländischen Gesetzen mangelhaft ist, kein Einwand entnommen werden.

(1) Erfolgt die Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht, so ist der Termin, in dem die Beweisaufnahme stattfindet, zugleich zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt.

(2) In dem Beweisbeschluss, der anordnet, dass die Beweisaufnahme vor einem beauftragten oder ersuchten Richter erfolgen solle, kann zugleich der Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem Prozessgericht bestimmt werden. Ist dies nicht geschehen, so wird nach Beendigung der Beweisaufnahme dieser Termin von Amts wegen bestimmt und den Parteien bekannt gemacht.

(1) Das Protokoll ist von dem Vorsitzenden und von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben. Ist der Inhalt des Protokolls ganz oder teilweise mit einem Tonaufnahmegerät vorläufig aufgezeichnet worden, so hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Richtigkeit der Übertragung zu prüfen und durch seine Unterschrift zu bestätigen; dies gilt auch dann, wenn der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zur Sitzung nicht zugezogen war.

(2) Ist der Vorsitzende verhindert, so unterschreibt für ihn der älteste beisitzende Richter; war nur ein Richter tätig und ist dieser verhindert, so genügt die Unterschrift des zur Protokollführung zugezogenen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Ist dieser verhindert, so genügt die Unterschrift des Richters. Der Grund der Verhinderung soll im Protokoll vermerkt werden.