Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 09. Dez. 2010 - 3 B 50/10

bei uns veröffentlicht am09.12.2010

Gründe

1

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der zuvor getroffenen Feststellung, dass Leistungen nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) nicht nach § 4 BerRehaG ausgeschlossen sind. Der Beklagte stützte die Rücknahme darauf, dass der Kläger in der Zeit seiner Inhaftierung in einer Jugendstrafanstalt zwischen 1969 und 1972 als Informant für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tätig gewesen sei und in diesem Zeitraum Berichte über Mitinhaftierte geliefert habe. Widerspruch und Klage gegen diesen Bescheid blieben erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat die freiwillige Spitzeltätigkeit als erwiesen angesehen.

2

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (1.) noch ein Verfahrensmangel (2.) liegen vor.

3

1. Die vom Kläger als im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage:

"Hat ein minderjähriger Jugendlicher, der an das MfS lediglich unwahre, 'fantasierte' und erfundene 'Informationen' weitergibt, was dem MfS bei entsprechender Prüfung auch bekannt wird, im Sinne des § 4 BerRehaG eine erhebliche, gegen die Gemeinschaftsordnung verstoßende Handlung verwirklicht?"

geht schon daran vorbei, dass der Kläger bereits volljährig war, als er im fraglichen Zeitraum (ab November 1970) seine handschriftlich gefertigten Mitteilungen weitergab.

4

Davon abgesehen ist die Frage nur einer Beurteilung im Einzelfall zugänglich. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht die Frage bejaht, weil die - unzutreffend gesteigerten - Berichte des Klägers dem MfS Anlass zu weiteren Maßnahmen gegen die bespitzelten Personen gegeben hätten. Anders kann es sich verhalten, wenn Berichte wegen ihres unverwertbaren Inhalts objektiv ungeeignet sind, Dritte zu gefährden (Urteil vom 19. Januar 2006 - BVerwG 3 C 11.05 - Buchholz 428.7 § 16 StrRehaG Nr. 2). Das hat das Verwaltungsgericht hier aber nicht festgestellt.

5

2. Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sind nicht genügend bezeichnet.

6

a) Zu Unrecht rügt der Kläger eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO), weil das Verwaltungsgericht seinen Vortrag ignoriert habe, dass er den Leutnant des MfS, der in der Jugendstrafanstalt die Gespräche mit ihm geführt habe, nicht als Stasi-Mitarbeiter erkannt habe. Das Verwaltungsgericht ist auf diese Behauptung eingegangen und hat sie als nicht glaubhaft bewertet (UA S. 7). Im Übrigen hat es seine Bewertung maßgeblich darauf gestützt, dass der Kläger eine Spitzeltätigkeit unter Inkaufnahme einer Drittschädigung ausgeübt habe. Dies verstößt regelmäßig gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit, ohne dass es von Bedeutung ist, auf welche Weise genau der Informant zu seiner Tätigkeit bewegt worden ist, solange die IM-Tätigkeit nicht unfreiwillig erfolgte (vgl. Beschluss vom 14. April 2010 - BVerwG 3 PKH 16.09 - ZOV 2010, 151 und Urteil vom 8. März 2002 - BVerwG 3 C 23.01 - BVerwGE 116, 100 = Buchholz 428.8 § 4 BerRehaG Nr. 1). Für eine Unfreiwilligkeit ist nichts dargetan, denn hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Kläger meinte, seine Berichte für das MfS oder - weil der Kontakt über vermeintliche Erzieher hergestellt wurde - für die Anstaltsleitung zu erstellen.

7

b) Auch die auf die Sachverhalts- und Beweiswürdigung zielende Rüge dringt nicht durch.

8

Der Kläger sieht eine logisch widersprüchliche Argumentation darin, dass das Verwaltungsgericht einerseits nicht ausgeschlossen habe, dass es sich bei den von einem Leutnant des MfS angefertigten Protokollen um Fälschungen handele, es dies sodann aber ohne überzeugende Begründung verneine. Dass diese Argumentation allgemeingültige Beweiswürdigungsgrundsätze verletzt, deren Einhaltung vom Revisionsgericht überprüft werden kann (stRspr, vgl. Beschluss vom 23. November 2009 - BVerwG 3 B 32.09 - ZOV 2010, 35), zeigt die Beschwerde nicht auf. Denn das Verwaltungsgericht hat beide Annahmen geprüft, aber eine von ihnen - die Möglichkeit der Fälschung - im Ergebnis als widerlegt angesehen. Sollte dies in der Sache unzutreffend sein, läge darin ein nicht dem Verfahrensrecht, sondern ein dem sachlichen Recht zuzurechnender Mangel.

9

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 09. Dez. 2010 - 3 B 50/10

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 09. Dez. 2010 - 3 B 50/10

Referenzen - Gesetze

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 09. Dez. 2010 - 3 B 50/10 zitiert 8 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG | § 16 Soziale Ausgleichsleistungen


(1) Die Rehabilitierung begründet einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen für Nachteile, die dem Betroffenen durch eine Freiheitsentziehung entstanden sind. (2) Soziale Ausgleichsleistungen nach diesem Gesetz werden nicht gewährt, wenn der B

Berufliches Rehabilitierungsgesetz - BerRehaG | § 4 Ausschließungsgründe


Leistungen nach diesem Gesetz werden nicht gewährt, wenn der Verfolgte gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat

Referenzen

Leistungen nach diesem Gesetz werden nicht gewährt, wenn der Verfolgte gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

Leistungen nach diesem Gesetz werden nicht gewährt, wenn der Verfolgte gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat.

(1) Die Rehabilitierung begründet einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen für Nachteile, die dem Betroffenen durch eine Freiheitsentziehung entstanden sind.

(2) Soziale Ausgleichsleistungen nach diesem Gesetz werden nicht gewährt, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat.

(3) Die sozialen Ausgleichsleistungen nach Absatz 1 werden auf Antrag als Kapitalentschädigung, besondere Zuwendung für Haftopfer und Unterstützungsleistung nach Maßgabe der §§ 17 bis 19 sowie als Versorgung nach Maßgabe der §§ 21 bis 24 gewährt.

(4) Die Leistungen nach den §§ 17 bis 19 bleiben als Einkommen bei Sozialleistungen, deren Gewährung von anderen Einkommen abhängig ist, unberücksichtigt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Leistungen nach diesem Gesetz werden nicht gewährt, wenn der Verfolgte gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer mißbraucht hat.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.