Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 16. Nov. 2016 - 2 BvR 323/16

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20161116.2bvr032316
bei uns veröffentlicht am16.11.2016

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt.

2

1. Der Beschluss des Landgerichts begegnet zwar verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

3

a) Das Landgericht stellt in dem angegriffenen Beschluss fest, dass ein schwerer irreparabler Nachteil weder dargetan noch ersichtlich sei. Die Begründung erschöpft sich dabei jedoch in der bloßen Feststellung, dass es dem Beschwerdeführer nach seinem Vortrag hauptsächlich darum gehe, eine 14-tägige Besuchsregelung für seine Angehörigen zu erreichen, obgleich ihm eine solche schon bewilligt werde. Diese Erwägungen des Landgerichts sind bereits deshalb unzureichend, weil sie auf der unzutreffenden Annahme beruhen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz Besuche im Abstand von 14 Tagen begehrt hat, obwohl sich daraus ergibt, dass er durch eine anstaltsinterne Verlegung auf die Entwicklungsstation wöchentliche Besuche erhalten will. Zudem verkennt das Landgericht, dass der Beschwerdeführer sowohl in seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 20. November 2015 als auch in dessen Ergänzung mit Schriftsatz vom 28. November 2015 insbesondere auf die Gefahr einer Entfremdung in der Beziehung zu seinen beiden minderjährigen Töchtern ausdrücklich hingewiesen hat. Damit hätte sich das Landgericht näher auseinandersetzen müssen, zumal das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach betont hat, dass dem Strafvollzug aufgrund der eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten stets die Gefahr einer tiefgreifenden Entfremdung zwischen dem Gefangenen und seinen Angehörigen innewohnt und es Aufgabe des Staates ist, solche nachteiligen Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sowie unter angemessener Beachtung der Belange der Allgemeinheit zu begrenzen (vgl. BVerfGE 42, 95 <101>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Februar 2006 - 2 BvR 173/06 -, juris, Rn. 4).

4

b) Im Übrigen erschöpft sich der angegriffene Beschluss in der bloßen Feststellung, dass dem Beschwerdeführer ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung zumutbar sei, eine offensichtliche Rechtswidrigkeit nicht vorliege und die Entscheidung der Antragsgegnerin nach einer summarischen Prüfung nicht zu beanstanden, sondern vielmehr ermessensfehlerfrei sei. Hierbei handelt es sich um lediglich formelhafte Wendungen, die eine dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz genügende Prüfung des Antrags des Beschwerdeführers nicht erkennen lassen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwieweit sich das Landgericht mit der vom Beschwerdeführer behaupteten Festschreibung seiner Unterbringung auf einer Entwicklungsstation im Vollzugsplan auseinandergesetzt hat (vgl. zur Bedeutung des Vollzugsplans etwa BVerfGK 8, 319 <323 f.>).

5

2. Die Verfassungsbeschwerde hat jedoch keine Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist. Der Beschwerdeführer hat wegen der behaupteten Gehörsverletzung keine Anhörungsrüge gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG in Verbindung mit § 33a StPO erhoben.

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Eine Anhörungsrüge wäre statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos gewesen (vgl. BVerfGE 33, 192 <194 f.>; 134, 106 <113 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Oktober 2004 - 2 BvR 1834/04 -, juris, Rn. 4). Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht dargelegt, dass er einen solchen Rechtsbehelf eingelegt hat. Zwar trägt er in seiner Verfassungsbeschwerde vor, dass er sich nach Ergehen der angegriffenen Entscheidung mit einem Schreiben erneut an das Landgericht gewandt habe. Ob es sich bei diesem Schreiben jedoch um eine Anhörungsrüge handelte oder das Landgericht es als solche auslegen musste, kann nicht beurteilt werden, da er dieses Schreiben weder vorgelegt noch inhaltlich in hinreichender Weise mitgeteilt hat (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfGK 16, 410 <415>).

7

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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Referenzen - Gesetze

Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 16. Nov. 2016 - 2 BvR 323/16 zitiert 6 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93d


(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung. (2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsb

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93a


(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung. (2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen, a) soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt,b) wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angez

Strafprozeßordnung - StPO | § 33a Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Nichtgewährung rechtlichen Gehörs


Hat das Gericht in einem Beschluss den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt und steht ihm gegen den Beschluss keine Beschwerde und kein anderer Rechtsbehelf zu, versetzt es, sofern der Beteiligte

Strafvollzugsgesetz - StVollzG | § 120 Entsprechende Anwendung anderer Vorschriften


(1) Kommt die Behörde in den Fällen des § 114 Absatz 2 Satz 2 sowie des § 115 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 der ihr in der einstweiligen Anordnung oder im Beschluss auferlegten Verpflichtung nicht nach, gilt § 172 der Verwaltungsgerichtsordnung entspr

Referenzen

(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung.

(2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,

a)
soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt,
b)
wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Kommt die Behörde in den Fällen des § 114 Absatz 2 Satz 2 sowie des § 115 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 der ihr in der einstweiligen Anordnung oder im Beschluss auferlegten Verpflichtung nicht nach, gilt § 172 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend. Im Übrigen sind die Vorschriften der Strafprozessordnung und die auf der Grundlage des § 32a Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 Nummer 6, des § 32b Absatz 5 und des § 32f Absatz 6 der Strafprozessordnung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend anzuwenden, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt.

(2) Auf die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe sind die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.

Hat das Gericht in einem Beschluss den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt und steht ihm gegen den Beschluss keine Beschwerde und kein anderer Rechtsbehelf zu, versetzt es, sofern der Beteiligte dadurch noch beschwert ist, von Amts wegen oder auf Antrag insoweit das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. § 47 gilt entsprechend.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.