Bundesverfassungsgericht Beschluss, 26. Juni 2018 - 2 BvR 1624/16

ECLI: ECLI:DE:BVerfG:2018:rs20180626.2bvr162416
published on 26/06/2018 00:00
Bundesverfassungsgericht Beschluss, 26. Juni 2018 - 2 BvR 1624/16
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Gericht

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Tenor

Die Selbstablehnung des Richters Müller wegen Besorgnis der Befangenheit wird für begründet erklärt.

Gründe

A.

I.

1

1. Der Senat hat in diesem und in zehn weiteren Verfahren über Verfassungsbeschwerden zu entscheiden, die sich gegen § 217 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015 (BGBl I S. 2177) richten. Die Vorschrift lautet:

§ 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

2

2. In dem Verfahren 2 BvR 651/16 hat der Senat auf Antrag des dortigen Beschwerdeführers die Ablehnung des Richters Müller wegen Besorgnis der Befangenheit durch Beschluss vom 13. Februar 2018 (abzurufen über juris) für begründet erklärt.

3

a) In seinem vormaligen Amt als Ministerpräsident des Saarlandes hatte sich Richter Müller wiederholt öffentlich zum Grundsatz der "Nichtverfügbarkeit des Lebens" bekannt und gegen aktive Sterbehilfe ausgesprochen. Ferner war er im Jahr 2006 federführend in eine vom Saarland, von Hessen und Thüringen getragene Gesetzesinitiative des Bundesrates eingebunden, die auf die Einführung einer mit § 217 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015 (BGBl I S. 2177) weitgehend inhaltsgleichen Strafnorm gerichtet war (BRDrucks 230/06). Dabei positionierte sich Richter Müller als Initiator des damaligen Gesetzgebungsvorhabens auch mittels verfassungsrechtlicher Argumentation in einer klaren inhaltlichen Art und Weise gegen geschäftsmäßige Sterbehilfe, die eine besonders enge, nicht nur aus einem früheren politischen Amt, sondern auch aus seiner persönlichen Überzeugung abzuleitende Verbindung zu der zur Prüfung gestellten Vorschrift des § 217 StGB erkennen ließ. Schließlich nahm der Gesetzentwurf mehrerer Abgeordneter des Deutschen Bundestags, auf dem § 217 StGB in seiner aktuellen Fassung beruht (BTDrucks 18/5373), mehrfach auf die Begründung des damals von Richter Müller als Ministerpräsident des Saarlandes vorgelegten Gesetzentwurfs Bezug. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Senats vom 13. Februar 2018 - 2 BvR 651/16 - (a.a.O., Rn. 3-7) verwiesen.

4

b) Diese besonderen Umstände, die über die bloße Mitwirkung an einem Gesetzgebungsverfahren hinausgingen, begründeten in dem Verfahren 2 BvR 651/16 zwar nicht den Ausschluss von Richter Müller von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes (§ 18 BVerfGG). Weder die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren noch die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer Rechtsfrage, die für das Verfahren bedeutsam sein kann, stellen nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (§ 18 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 BVerfGG) eine den Ausschluss fordernde Tätigkeit "in derselben Sache" (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG) dar (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 13. Februar 2018 - 2 BvR 651/16 -, juris, Rn. 13-15). Das frühere politische Engagement des Richters Müller ließ aber die Besorgnis des dortigen Beschwerdeführers nachvollziehbar erscheinen, Richter Müller werde die zu entscheidenden, in hohem Maße wertungsabhängigen und von Vorverständnissen geprägten Rechtsfragen möglicherweise nicht mehr in jeder Hinsicht offen und unbefangen beurteilen können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den im Verfahren 2 BvR 651/16 ergangenen Beschluss des Senats vom 13. Februar 2018 (a.a.O., Rn. 16-26) Bezug genommen.

II.

5

1. Auf seine im Verfahren 2 BvR 651/16 für begründet erklärte Ablehnung hin hat Richter Müller sich im vorliegenden sowie den weiteren anhängigen Verfahren, in denen über die Vereinbarkeit des § 217 StGB mit dem Grundgesetz zu entscheiden und in denen er von den Verfahrensbeteiligten nicht abgelehnt worden ist, mit Schreiben vom 22. März 2018 gemäß § 19 Abs. 3 BVerfGG selbst für befangen erklärt. Dazu hat Richter Müller ausgeführt, dass nach seiner Auffassung in diesen Verfahren für eine gegenüber dem Verfahren 2 BvR 651/16 abweichende Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit seiner Person kein Raum sei.

6

2. Die Verfahrensbeteiligten haben von der Gelegenheit, zur Selbstablehnung des Richters Müller Stellung zu nehmen, keinen Gebrauch gemacht.

B.

I.

7

Richter Müller ist aus den im Beschluss des Senats vom 13. Februar 2018 - 2 BvR 651/16 - dargelegten Gründen (a.a.O., Rn. 13-15) auch in diesem Verfahren nicht bereits gemäß § 18 BVerfGG kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen.

II.

8

Die Selbstablehnung des Richters Müller, über die der Senat von Amts wegen zu entscheiden hat (§ 19 Abs. 1 und 3 BVerfGG), ist hingegen begründet.

9

1. Für die Entscheidung über die Selbstablehnung eines Richters gelten die gleichen Maßstäbe wie im Fall seiner Ablehnung durch Verfahrensbeteiligte (vgl. Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 19 Rn. 11 [September 2017]). Entscheidend ist demnach, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 73, 330 <335>; 82, 30 <38 f.>; 98, 134 <137>; 102, 122 <125>; 108, 122 <126>; 135, 248 <257 Rn. 23>; 142, 18 <21 Rn. 11>).

10

2. Dies ist hier in Bezug auf die Person des Richters Müller der Fall.

11

Die besonderen Umstände, die im Verfahren 2 BvR 651/16 die Besorgnis der Befangenheit des Richters Müller begründet haben, lagen in dessen früherem, von persönlicher Überzeugung getragenen politischen Engagement für ein strafbewehrtes Verbot organisierter Suizidhilfe. Dieses begründet nicht nur verfahrensspezifisch, sondern allgemein die Besorgnis, Richter Müller werde die zu entscheidenden, in hohem Maße wertungsabhängigen und von Vorverständnissen geprägten Rechtsfragen, die sich in allen zu § 217 StGB geführten Verfahren gleichermaßen stellen, möglicherweise nicht mehr in jeder Hinsicht offen und unbefangen beurteilen können (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 13. Februar 2018 - 2 BvR 651/16 -, a.a.O., Rn. 21-26 m.w.N.). Die Besorgnis der Befangenheit ist damit nicht individuell mit der Person des Beschwerdeführers im Verfahren 2 BvR 651/16 verbunden, sondern auf die besondere Thematik zurückzuführen, wie sie allen anderen gegen § 217 StGB gerichteten Verfassungsbeschwerden ebenso zugrunde liegt. Dies erfordert eine einheitliche Beurteilung der möglichen Befangenheit des Richters.

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Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG

(1) Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er 1. an der Sache beteiligt oder mit einem Beteiligten verheiratet ist oder war, eine Lebenspartnerschaft führt oder führte, in gerader Linie

(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. (2) Die Ablehnung ist zu

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer blei
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published on 13/02/2018 00:00

Tenor Die Ablehnung des Richters Müller wegen Besorgnis der Befangenheit wird für begründet erklärt. Gründe A.
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Annotations

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

(1) Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er

1.
an der Sache beteiligt oder mit einem Beteiligten verheiratet ist oder war, eine Lebenspartnerschaft führt oder führte, in gerader Linie verwandt oder verschwägert oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist oder
2.
in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist.

(2) Beteiligt ist nicht, wer auf Grund seines Familienstandes, seines Berufs, seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist.

(3) Als Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gilt nicht

1.
die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren,
2.
die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer Rechtsfrage, die für das Verfahren bedeutsam sein kann.

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(2) Die Ablehnung ist zu begründen. Der Abgelehnte hat sich dazu zu äußern. Die Ablehnung ist unbeachtlich, wenn sie nicht spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung erklärt wird.

(3) Erklärt sich ein Richter, der nicht abgelehnt ist, selbst für befangen, so gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Hat das Bundesverfassungsgericht die Ablehnung oder Selbstablehnung eines Richters für begründet erklärt, wird durch Los ein Richter des anderen Senats als Vertreter bestimmt. Die Vorsitzenden der Senate können nicht als Vertreter bestimmt werden. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.

(1) Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er

1.
an der Sache beteiligt oder mit einem Beteiligten verheiratet ist oder war, eine Lebenspartnerschaft führt oder führte, in gerader Linie verwandt oder verschwägert oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist oder
2.
in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist.

(2) Beteiligt ist nicht, wer auf Grund seines Familienstandes, seines Berufs, seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist.

(3) Als Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gilt nicht

1.
die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren,
2.
die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer Rechtsfrage, die für das Verfahren bedeutsam sein kann.

(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(2) Die Ablehnung ist zu begründen. Der Abgelehnte hat sich dazu zu äußern. Die Ablehnung ist unbeachtlich, wenn sie nicht spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung erklärt wird.

(3) Erklärt sich ein Richter, der nicht abgelehnt ist, selbst für befangen, so gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Hat das Bundesverfassungsgericht die Ablehnung oder Selbstablehnung eines Richters für begründet erklärt, wird durch Los ein Richter des anderen Senats als Vertreter bestimmt. Die Vorsitzenden der Senate können nicht als Vertreter bestimmt werden. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.