Bundesverfassungsgericht Beschluss, 12. Juli 2017 - 2 BvL 1/17

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2017:lk20170712.2bvl000117
bei uns veröffentlicht am12.07.2017

Tenor

Die Vorlage ist unzulässig.

Gründe

A.

1

Das Vorlageverfahren betrifft die Verwaltung von Geldern von Sicherungsverwahrten durch die Vollzugsbehörde nach dem Niedersächsischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz (Nds. SVVollzG) vom 12. Dezember 2012 (Nds. GVBl S. 566).

I.

2

1. a) Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Nds. SVVollzG werden die Ansprüche des Sicherungsverwahrten gegen das Land auf Vergütung (§ 42 Nds. SVVollzG), Ausbildungsbeihilfe (§ 43 Nds. SVVollzG), Taschengeld (§ 45 Nds. SVVollzG) und Zuschuss zur Selbstverpflegung (§ 25 Nds. SVVollzG) sowie die der Vollzugsbehörde nach § 39 Abs. 3 Nds. SVVollzG überwiesenen Ansprüche des Sicherungsverwahrten gegen Dritte aus einem freien Beschäftigungsverhältnis oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach Maßgabe der §§ 48 ff. Nds. SVVollzG verwaltet. Gleiches gilt ausweislich § 47 Abs. 1 Satz 2 Nds. SVVollzG für die Ansprüche des Sicherungsverwahrten gegen das Land auf Auszahlung des von ihm in den Vollzug eingebrachten Bargeldes sowie für sonstige der Vollzugsbehörde zur Gutschrift für den Sicherungsverwahrten überwiesenen oder eingezahlten Gelder. Die Gelder werden zu diesem Zweck auf gesonderten Konten als Haus-, Überbrückungs- oder Eigengeld gutgeschrieben und bestehen als Geldforderungen gegen das Land fort, § 47 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nds. SVVollzG. § 47 Abs. 1 Nds. SVVollzG hat folgenden Wortlaut:

"Die Ansprüche der oder des Sicherungsverwahrten gegen das Land auf Vergütung (§ 42), Ausbildungsbeihilfe (§ 43), Taschengeld (§ 45) und Zuschuss zur Selbstverpflegung (§ 25) sowie die der Vollzugsbehörde nach § 39 Abs. 3 überwiesenen Ansprüche der oder des Sicherungsverwahrten gegen Dritte aus einem freien Beschäftigungsverhältnis oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit werden nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verwaltet, zu diesem Zweck auf gesonderten Konten als Hausgeld, Überbrückungsgeld oder Eigengeld gutgeschrieben und bestehen als Geldforderungen gegen das Land fort. Gleiches gilt für die Ansprüche der oder des Sicherungsverwahrten gegen das Land auf Auszahlung des von ihr oder ihm in den Vollzug eingebrachten Bargeldes sowie für sonstige der Vollzugsbehörde zur Gutschrift für die oder den Sicherungsverwahrten überwiesenen oder eingezahlten Gelder. Die Ansprüche der oder des Sicherungsverwahrten gegen das Land auf Auszahlung des im Vollzug der Freiheitsstrafe gutgeschriebenen Hausgeldes, Überbrückungsgeldes und Eigengeldes werden bei Antritt des Vollzuges der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf den jeweils entsprechenden Konten gutgeschrieben."

3

b) Als Hausgeld werden ausweislich § 48 Abs. 1 Nds. SVVollzG Ansprüche auf Arbeitsentgelt oder Ausbildungsbeihilfe zu drei Siebteln, auf Taschengeld und den Zuschuss zur Selbstverpflegung in voller Höhe sowie aus einem freien Beschäftigungsverhältnis oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit oder aus anderen regelmäßigen Einkünften jeweils zu einem angemessenen Teil gutgeschrieben. Der Sicherungsverwahrte kann das Hausgeld für den Einkauf oder anderweitig verwenden, § 48 Abs. 2 Nds. SVVollzG.

4

c) Neben dem Hausgeld- wird in der Regel bei der Vollzugsbehörde ein Überbrückungsgeldkonto geführt (zu den Ausnahmen vgl. Gittermann in BeckOK Strafvollzug Nds, 9. Auflage 1. Februar 2017, Nds. SVVollzG § 49 Rn. 6). Das Überbrückungsgeld soll den notwendigen Lebensunterhalt des Sicherungsverwahrten und gegebenenfalls seiner Unterhaltsberechtigten in den ersten vier Wochen nach der Entlassung sichern und wird dem Sicherungsverwahrten bei der Entlassung ausgezahlt, § 49 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nds. SVVollzG. Die jeweilige Höhe des Überbrückungsgeldes wird von der Vollzugsbehörde festgesetzt, § 49 Abs. 2 Satz 2 Nds. SVVollzG. Als Überbrückungsgeld werden Ansprüche auf Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe, aus einem freien Beschäftigungsverhältnis, einer selbständigen Erwerbstätigkeit oder aus anderen regelmäßigen Einkünften jeweils zu einem angemessenen Teil gutgeschrieben. Die Ansparung als Überbrückungsgeld kommt nur in Betracht, soweit die Ansprüche nicht als Hausgeld gutgeschrieben werden und solange die von der Vollzugsbehörde festgesetzte Höhe noch nicht erreicht ist, § 49 Abs. 1 Nds. SVVollzG. Gemäß § 49 Abs. 4 Nds. SVVollzG kann dem Sicherungsverwahrten allerdings gestattet werden, das Guthaben auf dem Überbrückungsgeldkonto für Ausgaben zu verwenden, die seiner Eingliederung dienen.

5

d) Soweit Ansprüche nach § 47 Abs. 1 Nds. SVVollzG nicht als Hausgeld oder Überbrückungsgeld verbucht werden, werden sie als Eigengeld gutgeschrieben, § 50 Abs. 1 Nds. SVVollzG. Der Sicherungsverwahrte kann das Eigengeld für den Einkauf oder anderweitig verwenden. Solange das Überbrückungsgeld noch nicht die von der Vollzugsbehörde festgesetzte Höhe erreicht hat, ist eine Verfügung über das Guthaben auf dem Eigengeldkonto in Höhe des Unterschiedsbetrages grundsätzlich ausgeschlossen. Allerdings kann dem Sicherungsverwahrten gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 4 Nds. SVVollzG gestattet werden, das Guthaben auf dem Eigengeldkonto für Ausgaben zu verwenden, die seiner Eingliederung dienen.

6

e) Gemäß § 52 Abs. 2 Nds. SVVollzG ist der Anspruch auf Auszahlung des Überbrückungsgeldes unpfändbar. Erreicht es nicht die in § 49 Abs. 2 Satz 2 Nds. SVVollzG festgesetzte Höhe, so ist in Höhe des Unterschiedsbetrages auch der Anspruch auf Auszahlung des Eigengeldes nach § 50 Abs. 1 Nds. SVVollzG unpfändbar. Abweichungen gelten gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 Nds. SVVollzG bei einer Pfändung wegen der in § 850d Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnungbezeichneten Unterhaltsansprüche (zur Frage der Gesetzgebungskompetenz vgl. nur Gittermann in BeckOK Strafvollzug Nds, 9. Auflage 1. Februar 2017, Nds. SVVollzG § 52 Rn. 2).

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2. Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens ist in der Sicherungsverwahrung in Niedersachsen untergebracht. Er befand sich zunächst in der Justizvollzugsanstalt Sehnde und wurde am 8. Dezember 2015 der Justizvollzugsanstalt Rosdorf zugeführt. Er erhält eine monatliche Rente, welche laut Rentenbescheid der Deutschen Rentenversicherung seit dem 1. Juli 2015 354,45 Euro beträgt.

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a) Mit Datum vom 13. November 2009 erwirkte das Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zur Vollstreckung einer Forderung in Höhe von 13.792,66 Euro gegen den Antragsteller; darüber hinaus bestehen weitere offene Haftkostenforderungen in Höhe von 1.196,56 Euro. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2015 erfragte die zentrale Vollstreckungsstelle der Oberfinanzdirektion Niedersachsen bei der Justizvollzugsanstalt Sehnde unter anderem die Höhe der Rente des Antragstellers und das für deren Empfang zuständige Kreditinstitut. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2015 teilte die Anstalt daraufhin mit, dass der Antragsteller nicht bereit sei, Angaben zu der Höhe seiner Rente zu machen, und dass Rentenzahlungen nicht auf das anstaltseigene Zahlstellenkonto eingingen.

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b) Im fachgerichtlichen Verfahren trug der Antragsteller mit Schreiben vom 4. Februar 2016 vor, seine Rente werde auf ein Konto seines Rechtsanwalts überwiesen; dieser überweise wiederum der Verlobten des Antragstellers monatlich einen Betrag von 200 Euro.

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c) In der ersten Januarwoche des Jahres 2016 zahlte die Verlobte des Antragstellers einen Betrag in Höhe von 100 Euro auf das Anstaltskonto ein. Diesen Betrag schrieb die Justizvollzugsanstalt Rosdorf dem Eigengeldkonto des Antragstellers gut, auf dem sich nunmehr ein Guthaben in Höhe von 101 Euro befand. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Antragsteller ein Überbrückungsgeld in Höhe von 1.476,99 Euro angespart. Der Differenzbetrag zur festgesetzten Höhe des Überbrückungsgeldes belief sich auf 169,01 Euro.

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d) Ausweislich eines Aktenvermerks vom 12. Januar 2016 teilte die Justizvollzugsanstalt dem Antragsteller mündlich mit, dass er über den eingezahlten Betrag als Eigengeld nicht verfügen könne, da das Überbrückungsgeld die festgesetzte Höhe noch nicht erreicht habe. Es bestehe aber die Möglichkeit, dass er seine Rente nicht auf ein Konto seines Rechtsanwalts, sondern auf das Anstaltskonto einzahlen lasse. Er könne dann über einen Betrag in Höhe des Taschengeldanspruchs gemäß § 45 Nds. SVVollzG verfügen, der Restbetrag werde zur Tilgung seiner Schulden genutzt. Alternativ könne er während einer Ausführung von seinem externen Konto Geld abheben. Der Antragsteller lehnte beide Vorschläge ab. Eine Abhebung komme nicht in Betracht, da er nicht ohne weiteres an das Geld herankomme: Es sei auf einem Unterkonto angelegt, überdies habe er keine Bankkarte. Wer Inhaber des Unterkontos ist, teilte der Antragsteller nicht mit.

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3. Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 4. Februar 2016 beantragte der Antragsteller beim Landgericht, die Justizvollzugsanstalt zu verpflichten, für ihn "eingehende Geldbeträge in Höhe bis zum für Sicherungsverwahrte geltenden Taschengeldsatz [...] auszuzahlen" und nur überschießende Beträge der Pfändung zuzuführen. Er könne über seine Rente "nicht frei verfügen" und sei "buchstäblich mittellos". Er benötige das Geld jedoch für "die monatliche vollzugsöffnende Maßnahme i.V.m. Wiedereingliederung".

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4. In ihrer Stellungnahme vom 29. Februar 2016 nahm die Justizvollzugsanstalt auf die gegen den Antragsteller bestehenden Forderungen Bezug. Für die durch den Antragsteller begehrte Umbuchung des eingezahlten Betrages auf das Hausgeldkonto komme allein § 48 Abs. 1 Nr. 4 Nds. SVVollzG in Betracht, dessen Voraussetzungen indes nicht erfüllt seien. Erforderlich sei danach, dass der Zahlungsverkehr aus den dort genannten "anderen regelmäßigen Einkünften" über das Anstaltskonto abgewickelt werde. Die Verwaltung der Gelder durch die Vollzugsbehörde erfolge nach dem Willen des Gesetzgebers im Wesentlichen aus Gründen der Sicherheit. Einen Überblick über die bei dem Sicherungsverwahrten ein- und ausgehenden Geldbeträge zu erhalten, könne erforderlich sein, um feststellen zu können, ob eine Gefangenenbefreiung oder eine andere erhebliche Straftat drohten. Zudem sei ein Überblick über die Vermögensverhältnisse des Sicherungsverwahrten zur Prüfung der Bedürftigkeit, etwa als Voraussetzung für die Gewährung von Taschengeld gemäß § 45 Satz 1 Nds. SVVollzG, sowie zur Erfüllung der aus einer etwaigen Drittschuldnerstellung der Anstalt resultierenden "gesetzlichen Pflichten" erforderlich. Auch nach dem Vortrag des Antragstellers herrsche über den tatsächlichen Verbleib des Anteils an der Rente, der über den an die Verlobte überwiesenen Betrag von 200 Euro hinausgehe, Unklarheit. Der Antragsteller weigere sich vehement, seine finanziellen Verhältnisse offenzulegen.

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5. In einem gerichtlichen Hinweis vom 14. März 2016 teilte das Landgericht mit, dass die Kammer beabsichtige, den Antrag als unbegründet zurückzuweisen.Angesichts der Höhe der Verbindlichkeiten des Antragstellers und der Auskunftsverweigerung bezüglich der Höhe seiner Rente bestehe kein Anspruch auf Umbuchung der von seiner Verlobten eingezahlten 100 Euro auf sein Hausgeldkonto. Ein solcher würde voraussetzen, dass der Antragsteller seine Vermögensverhältnisse vollständig offenlege oder jedenfalls der Zahlungsverkehr über das Anstaltskonto abgewickelt werde. Letzteres diene nach dem gesetzgeberischen Willen der Sicherheit. Das Gericht fügte einen Auszug aus dem schriftlichen Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Vollzuges der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Niedersachsen (LTDrucks 16/5519, S. 31) bei:

"Die Verwaltung der Gelder durch die Vollzugsbehörde solle im Wesentlichen aus Sicherheitsgründen erfolgen. So sei es erforderlich, einen Überblick über die bei der oder dem Sicherungsverwahrten ein- und ausgehenden Geldbeträge zu erhalten, um feststellen zu können, ob eine Gefangenenbefreiung (§ 120 StGB) oder eine erhebliche Straftat drohten. Ferner sei ein Überblick über die Vermögensverhältnisse der oder des Sicherungsverwahrten erforderlich, um ihre oder seine Bedürftigkeit feststellen zu können [...]. Die erforderlichen Informationen seien aber nicht ohne weiteres zu erhalten, wenn den Sicherungsverwahrten ermöglicht werde, selbständig ein Bankkonto zu führen, weil die Banken die erforderlichen Daten nicht ohne Weiteres übermitteln würden."

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6. Am 27. Mai 2016 gab der Rechtsanwalt des Antragstellers erstmals eine Stellungnahme ab. Die vom Antragsteller beanspruchte Umbuchung des eingezahlten Betrags von 100 Euro auf das Hausgeldkonto werde zu Unrecht verweigert. Die Fallkonstellation betreffe "den Grundsatzstreit" darüber, wie weitgehend ein Sicherungsverwahrter seine finanzielle Lage der Justizvollzugsanstalt gegenüber offenlegen müsse. So sei in dem vom Gericht zitierten schriftlichen Bericht auch auf die verfassungsrechtlichen Bedenken des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes beim Niedersächsischen Landtag im Hinblick auf die Fremdverwaltung der Gelder der Sicherungsverwahrten hingewiesen worden. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung (vgl. BVerfGE 128, 326 ff.) habe der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst beim Niedersächsischen Landtag angemerkt, dass Beschränkungen der Freiheit des Sicherungsverwahrten, über sein Vermögen zu verfügen, grundsätzlich nur gerechtfertigt seien, soweit dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Anstalt oder zur Erreichung des Vollzugszieles erforderlich sei. Die Anstalt beanspruche letztlich aus "Sicherheitsgründen" eine "vollständige Verwaltung der Gelder" des Antragstellers und berufe sich dabei auf den Gesetzgeber. Sicherheitserwägungen kämen vorliegend nicht zum Tragen. Auch soweit sich die Justizvollzugsanstalt darauf berufe, dass ein Überblick über die Vermögensverhältnisse erforderlich sei, um die Bedürftigkeit des Untergebrachten feststellen zu können, erscheine dies schon nicht als legitimer Zweck einer "Zwangsgeldverwaltung", die Begründung greife "im vorliegenden Fall letztlich aber auch nicht durch". Gleiches gelte für das Vorbringen, eine selbständige Kontenführung sei mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden. Dieser Aspekt legitimiere "erst recht keine Zwangsgeldverwaltung". Abgesehen davon hätte der Antragsteller hinreichend dargelegt, dass es solche praktischen Schwierigkeiten für ihn nicht gebe. Soweit schließlich geltend gemacht werde, dass die Verwaltung der Gelder auch dem Schutz des Sicherungsverwahrten diene, so werde dieses "paternalistische Ansinnen (aufgedrängter Fürsorge) im vorliegenden Fall in puncto Pfändungsschutz geradezu in sein Gegenteil verkehrt". Es müsse ausreichen, wenn der Antragsteller im Hinblick auf die Verwendung seiner Rentenzahlung angebe, dass sein Rechtsanwalt damit laufende Kosten begleichen würde. Abschließend äußerte der Rechtsanwalt verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf § 47 Abs. 1 Satz 2 Nds. SVVollzG.

16

7. Mit Verfügung vom 21. Juli 2016 übersandte das Landgericht den anwaltlichen Schriftsatz zur Stellungnahme an die Anstalt. Nach Ansicht der Kammer fordere das Abstandsgebot eine unterschiedliche Behandlung der Verwaltung der Gelder "normaler Strafgefangener und Sicherungsverwahrter". Das Gericht bat um Stellungnahme dahingehend, inwieweit dem Abstandsgebot Rechnung getragen werde.

17

8. Unter dem 22. August 2016 teilte die Justizvollzugsanstalt mit, dass der eingezahlte Betrag mittlerweile an die Verlobte zurücküberwiesen worden sei, da der mit der Überweisung angestrebte Zweck nicht habe verfolgt werden können. Eine unterschiedliche Ausgestaltung der Verwaltung von Geldern der Gefangenen und Sicherungsverwahrten sei auch unter Berücksichtigung des Abstandsgebots nicht zwingend geboten. Der Stellungnahme des Antragstellers zu dieser Frage sei jedenfalls kein substantiierter Vortrag zu entnehmen. Soweit die Verfassungsmäßigkeit von § 47 Abs. 1 Satz 2 Nds. SVVollzG bezweifelt werde, sei anzumerken, dass die von der Antragsgegnerin vertretene Position dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers entspreche. Eine entgegenstehende Auslegung würde diesem ausdrücklichen Willen und im Übrigen auch dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung widersprechen. Das Abstandsgebot werde im vorliegenden Fall eingehalten. Dem Antragsteller stehe es frei, sein externes Konto auch weiterhin zu führen. Entgegen der Praxis im Vollzug der Strafhaft sei es den Sicherungsverwahrten durchaus möglich, ein externes Konto zu haben. Eine "Zwangsgeldverwaltung" liege daher nicht vor. Es könne der Antragsgegnerin jedenfalls nicht zugemutet werden, das Gebaren des Antragstellers, das offensichtlich auf eine Umgehung seiner Zahlungspflichten gerichtet sei, auch noch zu unterstützen. Soweit der Antragsteller schließlich geltend mache, dass es ausreichend sei, wenn er im Hinblick auf den Verbleib seiner Rente angebe, dass "sein Anwalt laufende Kosten damit begleichen würde", so erscheine dies "vor dem Hintergrund des verschleiernden und Zahlungspflichten umgehenden Verhaltens des Antragstellers wenig zielführend".

18

9. Mit Verfügung vom 21. September 2016 regte das Gericht "zur Vermeidung von Kosten und weil der gegenständliche Betrag inzwischen an die Verlobte zurücküberwiesen wurde" die Antragsrücknahme an. Dem trat der Antragsteller mit anwaltlichem Schriftsatz vom 18. Oktober 2016 entgegen und erwiderte, dass trotz der Rückzahlung des Geldes der "Grundsatzstreit" darüber, wie weitgehend ein Sicherungsverwahrter seine Vermögensverhältnisse gegenüber der Vollzugsbehörde offenlegen müsse, "klärungsbedürftig" bleibe.

II.

19

Das Landgericht hat das Verfahren daraufhin mit Beschluss vom 21. Dezember 2016 ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG die Rechtsfrage vorgelegt, ob § 47 Abs. 1 Satz 2 Nds. SVVollzG verfassungskonform ist. Die Kammer sei zu der Überzeugung gelangt, dass die Vorschrift "zum Teil in nicht erforderlicher, jedenfalls aber in unverhältnismäßiger Weise in das Selbstbestimmungsrecht des Sicherungsverwahrten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und in dessen allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 2 [sic!] GG" eingreife. Insbesondere sei angesichts des eindeutigen Wortlauts nicht ersichtlich, wie die Kollision mit den grundrechtlichen Belangen des Sicherungsverwahrten durch eine verfassungskonforme Auslegung der streitentscheidenden Norm gelöst werden könne.

20

1. Eine zwangsweise Verwaltung aller Vermögensposten des Sicherungsverwahrten werde zwar mit § 47 Abs. 1 Satz 2 Nds. SVVollzG nicht erreicht, denn dem Betroffenen bleibe es unbenommen, weitere Konten außerhalb der Anstalt zu führen. Eine unverhältnismäßige Grundrechtsbeeinträchtigung folge jedoch aus der Tatsache, dass der Antragsteller, soweit er eine Auszahlung von Beträgen, die Dritte für ihn eingezahlt hätten, erreichen wolle, faktisch verpflichtet sei, seine Rente unter Inkaufnahme der niedrigeren Pfändungsfreigrenzen über die Anstalt verwalten zu lassen. Da § 47 Abs. 1 Satz 2 Nds. SVVollzG Einzahlungen für den Antragsteller als Eigengeld einordne, das bis zum Erreichen des festgesetzten Überbrückungsgeldes nicht zur Verfügung des Sicherungsverwahrten stehe und anders als das Hausgeld nicht vor Pfändung geschützt sei, habe der Betroffene keine andere Möglichkeit, als seine Rente auf das Anstaltskonto zahlen zu lassen, damit von ihr ein angemessener Teil gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 4 Nds. SVVollzG als Hausgeld verbucht werden könne. Eine solche Pflicht zur Abwicklung des gesamten Zahlungsverkehrs über die Anstalt sehe das Gesetz jedoch nicht vor. Diese Situation werde dadurch verschärft, dass der Antragsteller nicht bedürftig sei, da er als Rentner Versorgungsleistungen der Deutschen Rentenversicherung beziehe, so dass er im Ergebnis mit einem Anspruch auf Taschengeld mangels Bedürftigkeit ebenfalls nicht durchdringen würde. Im Ergebnis stünden dem Antragsteller damit keine auszahlungsfähigen Ansprüche gegen die Anstalt zu.

21

2. Einen weiteren Anhaltspunkt für die Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Vorschrift biete der schriftliche Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Vollzuges der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Niedersachsen (LTDrucks 16/5519, S. 31 f.), wonach die Fremdverwaltung der Gelder von Sicherungsverwahrten als "verfassungsrechtlich problematisch" erachtet worden sei. Diese Bedenken griffen nach Ansicht der Strafvollstreckungskammer durch. Soweit eine Beschränkung der Verfügungsbefugnis über das Eigengeldkonto bis zum Erreichen des festgesetzten Überbrückungsgeldes in § 50 Abs. 3 Nds. SVVollzG vorgesehen sei, könne dies zwar als zur Erreichung des Vollzugszieles erforderlich angesehen werden, um dem Sicherungsverwahrten nach der Entlassung einen ohne finanzielle Probleme gestalteten Übergang zu ermöglichen und damit seine wirtschaftliche Existenzgrundlage zu gewährleisten. Hiervon seien ebenfalls Einzahlungen Dritter gemäß § 50 Abs. 1 in Verbindung mit § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nds. SVVollzG erfasst. Darüber hinaus - also nach Ansparung der festgesetzten Höhe des Überbrückungsgeldes - müssten Einzahlungen auf das Anstaltskonto von dritter Seite aus verfassungsrechtlicher Perspektive jedoch ausgenommen werden.

22

3. § 47 Abs. 1 Satz 2 Nds. SVVollzG sei entscheidungserheblich. Soweit der Antragsteller beantrage, die Antragsgegnerin zu verpflichten, sämtliche dem für Sicherungsverwahrte festgesetzten Taschengeldsatz entsprechenden Beträge an ihn auszuzahlen und ausschließlich die über diesen Taschengeldsatz hinausgehenden Beträge der Pfändung zuzuführen, stehe diesem Vorbringen der klare Gesetzeswortlaut des § 47 Abs. 1 Satz 2 Nds. SVVollzG entgegen. Denn hiernach finde die zwingende Verwaltung der Gelder durch die Anstalt nach Satz 1 auch auf private Einzahlungen zugunsten des Sicherungsverwahrten und auch auf von diesem eingebrachtes Bargeld Anwendung, so dass der Antrag des Antragstellers als unbegründet zurückzuweisen wäre. Wäre die Norm hingegen verfassungswidrig, würde sie als Rechtsgrundlage zur obligatorischen Zuweisung von privaten Einzahlungen zugunsten des Sicherungsverwahrten entfallen. Im Ergebnis würde es dann an einer Rechtsgrundlage für das Handeln der Antragsgegnerin fehlen und dem Antrag wäre als begründet stattzugeben.

B.

23

Die Vorlage ist unzulässig. Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Die Unzulässigkeit der Vorlage kann die Kammer durch einstimmigen Beschluss feststellen (§ 81a Satz 1 BVerfGG).

I.

24

Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 BVerfGG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, aus welchen Gründen es von der Verfassungswidrigkeit überzeugt ist und dass und weshalb es im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem ande- ren Ergebnis käme als im Fall ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 136, 127 <141 f. Rn. 43 ff.>; 138, 1 <13 f. Rn. 37>; 141, 1 <10 f. Rn. 22>; stRspr). Es muss zuvor also sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft haben (vgl. BVerfGE 127, 335 <355>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2016 - 1 BvL 7/15 -, juris, Rn. 14). Das vorlegende Gericht muss deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist und aus welchen Gründen es zu dieser Auffassung gelangt ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2016 - 1 BvL 7/15 -, juris, Rn. 14). Insoweit bedarf es eingehender, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehender Darlegungen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 89, 329 <337>; 136, 127 <142 Rn. 45; 145 ff. Rn. 53 ff.>; 138, 1 <13 f. Rn. 37>; 141, 1 <10 f. Rn. 22>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2016 - 1 BvL 7/15 -, juris, Rn. 14). Die Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit der Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar und umfassend darlegen (vgl. BVerfGE 88, 70 <74>; 138, 1 <13 f. Rn. 37>; 141, 1 <11 Rn. 23>; BVerfGK 14, 429 <432>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2016 - 1 BvL 7/15 -, juris, Rn. 14). Zudem muss das vorlegende Gericht die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung erörtern (vgl. BVerfGE 85, 329 <333 f.>; 124, 251 <262>) und vertretbar begründen, dass es diese nicht für möglich hält (vgl. BVerfGE 121, 108 <117> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2016 - 1 BvL 7/15 -, juris, Rn. 14).

25

Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich, sofern sie nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 133, 1 <10 f. Rn. 35>; 138, 1 <15 Rn. 41>; 141, 1 <11 Rn. 22>). Sie muss zudem nachvollziehbar begründet sein (vgl. BVerfGE 126, 77 <97>; 127, 224 <244>; 131, 1 <15>; 133, 1 <10 f. Rn. 35>; 138, 1 <15 Rn. 41>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2016 - 1 BvL 7/15 -, juris, Rn. 15). Dazu gehört es, sich eingehend mit der einfach-rechtlichen Rechtslage anhand der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen auseinanderzusetzen und zu unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten Stellung zu nehmen, soweit diese für die Entscheidungserheblichkeit maßgeblich sein können (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>; 105, 61 <67>; 121, 233 <238>; 124, 251 <260>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Juli 2014 - 2 BvL 25/09, 2 BvL 32 BvL 3/11 -, juris, Rn. 28 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2015 - 1 BvL 4/11 -, juris, Rn. 14; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2016 - 1 BvL 7/15 -, juris, Rn. 15). Allerdings ist das vorlegende Gericht nicht verpflichtet, auf jede denkbare Rechtsauffassung einzugehen (vgl. BVerfGE 141, 1 <11 Rn. 22>). Desgleichen muss das vorlegende Gericht unter Ausschöpfung der ihm verfügbaren prozessualen Mittel auch alle tatsächlichen Umstände aufklären, die für die Vorlage Bedeutung erlangen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2016 - 1 BvL 7/15 -, juris, Rn. 15). Die ungeprüfte Übernahme von Parteivorbringen reicht dafür grundsätzlich nicht aus (vgl. BVerfGE 87, 341 <346>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2016 - 1 BvL 7/15 -, juris, Rn. 15). Es bedarf vielmehr hinreichender Feststellungen, die die fach- und verfassungsrechtliche Beurteilung tragen können (vgl. BVerfGE 37, 328 <333 f.>; 48, 396 <400>; 86, 52 <57>; 86, 71 <78>; 88, 198 <201>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2016 - 1 BvL 7/15 -, juris, Rn. 15). Das Bundesverfassungsgericht kann die fehlende Begründung der Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Entscheidungserheblichkeit der Vorlage nicht durch eigene Erwägungen ersetzen, denn diese Prüfung muss Aufgabe des sie verantwortenden Fachgerichts bleiben (vgl. BVerfGE 97, 49 <62>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2016 - 1 BvL 7/15 -, juris, Rn. 15).

II.

26

Diesen Anforderungen wird die Vorlage nicht gerecht.

27

1. Das vorlegende Gericht hat die tatsächlichen Umstände, die für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Norm und damit für die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht bedeutsam wären, nicht hinreichend aufgeklärt. Der Antragsteller verfügt über eine Rente, die auf ein externes Konto überwiesen wird, das offenbar von seinem Rechtsanwalt verwaltet wird. Nicht hinreichend aufgeklärt sind allerdings die Umstände, aufgrund derer es dem Antragsteller nicht möglich oder zumutbar sein soll, etwa im Rahmen einer Ausführung (vgl. § 16 Abs. 4 Satz 1 Nds. SVVollzG) Geld von diesem externen Konto abzuheben und zu verbrauchen. Der Vortrag des Antragstellers im fachgerichtlichen Verfahren und gegenüber der Justizvollzugsanstalt, er könne "nicht frei [über seine Rente] verfügen", habe "nicht ohne Weiteres" Zugriff auf das Konto und verfüge nicht über eine Bankkarte, bleibt vage und belässt einigen Raum für Fragen, deren Klärung zur Schaffung einer hinreichenden Tatsachengrundlage erforderlich gewesen wäre. Gleiches gilt für den Vortrag des Antragstellers, er benötige das Geld für "die monatliche vollzugsöffnende Maßnahme i.V.m. Wiedereingliederung".

28

2. Es erscheint in Anbetracht der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung bereits nicht ohne weiteres möglich, den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zu ermitteln. Eine umfassende Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Maßgaben - insbesondere dem Abstandsgebot -, denen die vorgelegte Norm nach Ansicht des Gerichts nicht genügt, enthält die Vorlage ebenfalls nicht.

29

3. Darüber hinaus hat sich das Landgericht in seinem Vorlagebeschluss nicht mit den einfach-rechtlich vorgesehenen Möglichkeiten einer Gestattung nach (§ 50 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit) § 49 Abs. 4 Nds. SVVollzG und der Pfändbarkeit der freigegebenen Gelder auseinandergesetzt. Diese Vorschriften ermöglichen eine Abweichung von der gesetzlich vorgegebenen strikten Zuordnung der Gelder im Einzelfall und hätten daher in die Erwägungen zur Begründung der Verfassungswidrigkeit des § 47 Abs. 1 Satz 2 Nds. SVVollzG einbezogen werden müssen. Grundsätzlich ist die Verfügungsbefugnis des Sicherungsverwahrten über das Guthaben auf dem Eigengeldkonto in Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 Nds. SVVollzG ausgeschlossen, soweit das Überbrückungsgeld - wie in der hier vorliegenden Konstellation - noch nicht die nach § 49 Abs. 2 Satz 2 Nds. SVVollzG von der Vollzugsbehörde festgesetzte Höhe erreicht hat. Von diesem Grundsatz kann allerdings aufgrund von § 50 Abs. 3 Satz 2 Nds. SVVollzG in Verbindung mit § 49 Abs. 4 Nds. SVVollzG abgewichen und eine Verfügungsbefugnis über einen bestimmten Betrag im Ausnahmefall bewilligt werden. Dem Sicherungsverwahrten kann nach diesen Vorschriften gestattet werden, das Guthaben auf dem Eigengeldkonto für Ausgaben zu verwenden, die seiner Eingliederung dienen. Ein Sicherungsverwahrter kann überdies einen Antrag nach § 49 Abs. 2 Satz 2 Nds. SVVollzG stellen und damit im Ausnahmefall die Freigabe eines Teilbetrags des angesparten Überbrückungsgeldes begehren.

30

4. Die vorliegende Konstellation gibt - in Anbetracht der unzureichenden Begründung der Vorlage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht - keinen Anlass für eine Befassung mit den vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst beim Niedersächsischen Landtag gegen die gesetzliche Ausgestaltung der Verwaltung der Gelder von Sicherungsverwahrten geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf das Abstandsgebot. Im Übrigen scheint das vorlegende Gericht selbst die Erforderlichkeit einer Verfügungsbeschränkung über das Eigengeldkonto zu bejahen, solange das Überbrückungsgeld - wie hier - noch nicht vollständig angespart ist. Erst danach - so das Landgericht - müssten Einzahlungen auf das Anstaltskonto von dritter Seite aus verfassungsrechtlicher Perspektive ausgenommen werden. Ebenfalls keiner Klärung bedarf die Frage, ob es mit Verfassungsrecht vereinbar ist, wenn ein Sicherungsverwahrter, dem es freisteht, sein Vermögen auf einem anstaltsfremden, externen Konto zu verwahren, nur unter bestimmten Voraussetzungen Gutschriften auf sein Hausgeldkonto erhalten kann. Schließlich kann offen bleiben, ob die vom Gericht behauptete "Inkaufnahme der niedrigeren Pfändungsfreigrenzen" vor dem Hintergrund des § 52 Abs. 2 Satz 2 Nds. SVVollzG in dem hier vorliegenden Fall überhaupt verfängt. Nach dieser Vorschrift ist auch der Anspruch auf Auszahlung des Eigengeldes in Höhe des Unterschiedsbetrages solange unpfändbar, bis das Überbrückungsgeld die in § 49 Abs. 2 Satz 2 Nds. SVVollzG festgesetzte Höhe erreicht hat.

31

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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Gründe 1 Die Vorlage des Sozialgerichts betrifft die durch § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III verkürzte Antragsfrist für die freiwillige Weiterversicherung von Selbständigen i

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(1) Wer einen Gefangenen befreit, ihn zum Entweichen verleitet oder dabei fördert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ist der Täter als Amtsträger oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter gehalten, das Entweichen des Gefangenen zu verhindern, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Einem Gefangenen im Sinne der Absätze 1 und 2 steht gleich, wer sonst auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Sind die Voraussetzungen des Artikels 100 Abs. 1 des Grundgesetzes gegeben, so holen die Gerichte unmittelbar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein.

(2) Die Begründung muß angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Die Akten sind beizufügen.

(3) Der Antrag des Gerichts ist unabhängig von der Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch einen Prozeßbeteiligten.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Sind die Voraussetzungen des Artikels 100 Abs. 1 des Grundgesetzes gegeben, so holen die Gerichte unmittelbar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein.

(2) Die Begründung muß angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Die Akten sind beizufügen.

(3) Der Antrag des Gerichts ist unabhängig von der Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch einen Prozeßbeteiligten.

Die Kammer kann durch einstimmigen Beschluß die Unzulässigkeit eines Antrages nach § 80 feststellen. Die Entscheidung bleibt dem Senat vorbehalten, wenn der Antrag von einem Landesverfassungsgericht oder von einem obersten Gerichtshof des Bundes gestellt wird.

(1) Sind die Voraussetzungen des Artikels 100 Abs. 1 des Grundgesetzes gegeben, so holen die Gerichte unmittelbar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein.

(2) Die Begründung muß angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Die Akten sind beizufügen.

(3) Der Antrag des Gerichts ist unabhängig von der Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch einen Prozeßbeteiligten.

Tenor

Die Vorlage ist unzulässig.

Gründe

I.

1

Das Vorlageverfahren betrifft die Minderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) aufgrund von Pflichtverletzungen der leistungsberechtigten Person. Zum 1. April 2011 wurden die zugrunde liegenden Vorschriften neu geordnet (Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011, BGBl I S. 453) und zum 1. April 2012 geändert (Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011, BGBl I S. 2854). § 31 SGB II regelt die Tatbestände von Pflichtverletzungen; § 31a SGB II enthält die leistungsmindernden Rechtsfolgen und § 31b SGB II deren Beginn und Dauer.

2

Tatbestandlich setzt eine Leistungsabsenkung nach § 31a SGB II voraus, dass die leistungsberechtigte Person eine Pflicht aus dem gesetzlichen Katalog des § 31 SGB II oder nach § 32 SGB II verletzt, sie zuvor über die Rechtsfolgen dieser Pflichtverletzung entweder schriftlich belehrt wurde oder sie Kenntnis dieser Rechtsfolgen hat (§ 31 Abs. 1 Satz 1 und § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II), und die leistungsberechtigte Person für die Pflichtverletzung keinen wichtigen Grund geltend machen kann (§ 31 Abs. 1 Satz 2 und § 32 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Eine Pflichtverletzung liegt unter anderem in der Weigerung, in der Eingliederungsvereinbarung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), und in der Weigerung, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II oder ein nach § 16e SGB II gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch eigenes Verhalten zu verhindern (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Was zumutbar ist, regelt § 10 SGB II.

3

Rechtsfolge einer vorwerfbaren Pflichtverletzung ist eine prozentuale Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II, die sich bei mehreren Pflichtverstößen summiert. Der Auszahlungsanspruch mindert sich grundsätzlich mit Beginn des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der die Pflichtverletzung und den Umfang der Minderung der Leistung feststellt (§ 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II), und grundsätzlich für den Zeitraum von drei Monaten (§ 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II). Bei wiederholter Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres nach einem Minderungszeitraum werden die Leistungen bei Leistungsberechtigten ab Vollendung des 25. Lebensjahres um 60 % gemindert (§ 31a Abs. 1 SGB II), bei weiteren Pflichtverletzungen in diesem Zeitraum entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig (§ 31a Abs. 1 Sätze 2 bis 5 SGB II). Im Falle der Minderung um mehr als 30 % können in angemessenem Umfang Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbracht werden (§ 31a Abs. 3 SGB II).

4

1. Im Ausgangsverfahren wendet sich der 1982 geborene Kläger gegen zwei Bescheide über Leistungsminderungen. Für die Zeiträume vom 1. März 2014 bis 31. August 2014 sowie vom 1. September 2014 bis 28. Februar 2015 wurden ihm Grundsicherungsleistungen bewilligt.

5

Durch Bescheid vom 4. Juni 2014 minderte das Jobcenter als Beklagte für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis 30. September 2014 das Arbeitslosengeld II um 30 % des maßgebenden Regelbedarfes (117,30 € monatlich) und hob die Leistungsbewilligung für den Zeitraum 1. Juli 2014 bis 31. August 2014 teilweise auf. Es habe dem Kläger ein zumutbares Beschäftigungsverhältnis als Lager- und Transportarbeiter angeboten. Er habe verhindert, dass ein Beschäftigungsverhältnis zustande kam, obwohl er über die Rechtsfolgen einer solchen Pflichtverletzung schriftlich belehrt worden sei.

6

Dagegen erhob der Kläger des Ausgangsverfahrens Widerspruch, den das Jobcenter mit Bescheid vom 15. Oktober 2014 als unbegründet zurückwies. Anwendung finde § 31 Abs. 1 SGB II. Der Kläger habe sich geweigert, die angebotene Beschäftigung anzunehmen. Das Angebot als Lagermitarbeiter sei aufgrund der Ausbildung des Klägers im Bereich Lager/Logistik zumutbar gewesen. Vorrangiges Interesse an einem anderen Beschäftigungsverhältnis sei kein wichtiger Grund, eine Arbeitsaufnahme abzulehnen, denn ein solcher Grund müsse im Verhältnis zu den Interessen der Allgemeinheit besonderes Gewicht haben. Angesichts der Zumutbarkeitsregelungen des § 10 SGB II sei bei der Prüfung des wichtigen Grundes ein strenger Maßstab anzulegen. Der Kläger müsse alle Möglichkeiten ausschöpfen, um seine Hilfebedürftigkeit zu verringern und auch Tätigkeiten ausüben, die nicht seinen persönlichen Vorlieben entsprächen. Er sei mit Schreiben vom 25. Februar 2014 über die Folgen einer Pflichtverletzung belehrt worden.

7

Mit einem weiteren Bescheid vom 19. September 2014 minderte das Jobcenter wegen wiederholter Pflichtverletzung das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis 31. Dezember 2014 um monatlich 60 % des maßgeblichen Regelbedarfes und hob den Bewilligungsbescheid für diesen Zeitraum teilweise auf. Mit einer Eingliederungsvereinbarung sei durch Verwaltungsakt vom 21. Juli 2014 verfügt worden, dass der Kläger bei einem Arbeitgeber einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein einzulösen habe, um eine praktische Erprobung zu ermöglichen. Dem sei der Kläger trotz Belehrung über die Rechtsfolgen der Vereinbarung nicht nachgekommen. Wegen wiederholter Pflichtverletzung führe dies zu einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um monatlich 60 % des maßgeblichen Regelbedarfes. Der Bewilligungsbescheid für den Sanktionszeitraum wurde teilweise aufgehoben.

8

Der dagegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2014 wiederum als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger habe sich ohne Grund geweigert, die im Verwaltungsakt festgelegten Pflichten zu erfüllen. Der Kläger müsse alles tun, um seine Hilfebedürftigkeit zu verringern. Er habe den Gutschein nicht eingelöst und somit innerhalb eines Jahres wiederholt Pflichten verletzt. Daher mindere sich das Arbeitslosengeld II um 60 % des Regelbedarfs. Auf Antrag könnten in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbracht werden, was hier nicht genutzt wurde.

9

Mit Schriftsatz vom 13. November 2014 erhob der Kläger Anfechtungsklage gegen die Widerspruchsbescheide vom 15. Oktober 2014 und 23. Oktober 2014. § 31a SGB II sei verfassungswidrig. Der Rechtsstreit müsse ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes eingeholt werden.

10

2. Das Sozialgericht hat am 26. Mai 2015 aufgrund mündlicher Verhandlung beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht folgende Fragen zur Entscheidung vorzulegen:

"2.1. Ist § 31a i.V.m. § 31 und § 31b SGB II in der Fassung vom 13.05.2011, gültig ab 01.04.2011, Bundesgesetzblatt I vom 13. Mai 2011 insoweit mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, als sich das für die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums maßgebliche Arbeitslosengeld II auf Grund von Pflichtverletzungen um 30 bzw. 60% des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person maßgebenden Regelbedarfs mindert bzw. bei weiteren Pflichtverletzungen vollständig entfällt?

2.2. Ist § 31a i.V.m. § 31 und § 31b SGB II in der Fassung vom 13.05.2011, gültig ab 01.04.2011, Bundesgesetzblatt I vom 13. Mai 2011 insoweit mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vereinbar, als Sanktionen, wenn sie zu einer Lebensgefährdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit der Sanktionierten führen, gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verstoßen?

2.3. Ist § 31a i.V.m. § 31 und § 31b SGB II in der Fassung vom 13.05.2011, gültig ab 01.04.2011, Bundesgesetzblatt I vom 13. Mai 2011 insoweit mit Art. 12 GG vereinbar, als Sanktionen gegen die Berufsfreiheit verstoßen?"

11

Die Kammer sei überzeugt, dass § 31a in Verbindung mit § 31 und 31b SGB II verfassungswidrig seien, weil die Regelung gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art.12 Abs.1 sowie Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstoße.

12

Die Entscheidung über die Anfechtungsklage hänge von der Verfassungsmäßigkeit von § 31a in Verbindung mit § 31 und § 31b SGB II ab. Die zulässige Anfechtungsklage wäre in der Sache unbegründet, wenn die vorgelegten Regelungen verfassungskonform wären. Die angefochtenen Sanktionsbescheide seien dann rechtmäßig. Auf die streitgegenständlichen Widerspruchsbescheide, die den Sachverhalt jeweils im Wesentlichen vollständig und richtig darstellten, werde Bezug genommen; der Sachverhalt und die rechtliche Bewertung durch den Beklagten seien vom Kläger insoweit nicht bestritten worden.

II.

13

Die Vorlage ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt.

14

1. Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 BVerfGG hat ein Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt. Es muss zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft haben (vgl. BVerfGE 127, 335 <355>). Das vorlegende Gericht muss deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist und aus welchen Gründen es zu dieser Auffassung gelangt ist. Insoweit bedarf es eingehender, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehender Darlegungen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 89, 329 <337>). Die Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit der Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nennen und die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar und umfassend darlegen (vgl. BVerfGE 88, 70 <74>; BVerfGK 14, 429 <432>). Zudem muss das vorlegende Gericht die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung erörtern (vgl. BVerfGE 85, 329 <333 f.>; 124, 251 <262>) und vertretbar begründen, dass sie diese nicht für möglich hält (BVerfGE 121, 108 <117> m.w.N.).

15

Das Gericht muss in der Begründung der Vorlage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG insbesondere hinreichend deutlich machen, dass und aus welchen Gründen es im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Normen zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 107, 59 <85>; stRspr). Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich, die jedoch zumindest nachvollziehbar sein muss (vgl. BVerfGE 126, 77 <97>; 127, 224 <244>; 131, 1 <15>; 133, 1 <10 f. Rn. 35>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, juris, Rn. 41). Dazu gehört es, sich eingehend mit der einfachrechtlichen Rechtslage anhand der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen auseinanderzusetzen und zu unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten Stellung zu nehmen, soweit sie für die Entscheidungserheblichkeit maßgeblich sein können (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>; 105, 61 <67>; 121, 233 <238>; 124, 251 <260>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Juli 2014 - 2 BvL 25/09, 2 BvL 32 BvL 3/11 -, juris, Rn. 28 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2015 - 1 BvL 4/11 - juris, Rn. 14). Desgleichen muss das vorlegende Gericht unter Ausschöpfung der ihm verfügbaren prozessualen Mittel auch alle tatsächlichen Umstände aufklären, die für die Vorlage Bedeutung erlangen können. Die ungeprüfte Übernahme von Parteivorbringen reicht dafür grundsätzlich nicht aus (vgl. BVerfGE 87, 341 <346>). Es bedarf vielmehr hinreichender Feststellungen, die seine fach- und verfassungsrechtliche Beurteilung tragen können (vgl. BVerfGE 37, 328 <333>; 48, 396 <400>; 86, 52 <57>; 86, 71 <78>; 88, 198 <201>). Das Bundesverfassungsgericht kann die fehlende Begründung der Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Entscheidungserheblichkeit der Vorlage nicht durch eigene Erwägungen ersetzen, denn diese Prüfung muss Aufgabe des sie verantwortenden Fachgerichts bleiben (vgl. BVerfGE 97, 49 <62>).

16

2. Diesen Anforderungen wird die Vorlage nur zum Teil gerecht. Zwar wirft der Vorlagebeschluss durchaus gewichtige verfassungsrechtliche Fragen auf (a). Das vorlegende Gericht hat jedoch nicht in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass diese hier auch entscheidungserheblich sind (b).

17

a) Zwar genügen die Darlegungen des Sozialgerichts zu seiner Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der §§ 31 ff. SGB II jedenfalls hinsichtlich Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG den Anforderungen. Das vorlegende Gericht hat sich mit dem Gewährleistungsgehalt des Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsicherung (vgl. BVerfGE 125, 175; 132, 134; 137, 34 sowie BVerfGK 5, 237; 17, 375) ausführlich auseinandergesetzt. Dagegen spricht auch nicht, dass das vorlegende Gericht seine eigene Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit dahingehend zuspitzt, die §§ 31 ff. SGB II seien bereits verfassungswidrig, weil der Minderung kein veränderter Bedarf zugrunde liege und das Grundgesetz keine Selbsthilfeobliegenheit kenne. Das Gericht befasst sich daneben auch mit weiteren verfassungsrechtlichen Zweifeln sowie den seiner Ansicht entgegenstehenden Interpretationen der bisherigen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Auch setzt es sich mit den in Literatur und sozialgerichtlicher Rechtsprechung vertretenen Ansichten zur verfassungskonformen Auslegung der zur Prüfung vorgelegten Regelungen auseinander und verwirft diese vertretbar.

18

b) Es fehlt jedoch an einer hinreichenden Begründung, warum die Verfassungswidrigkeit der §§ 31 ff. SGB II in diesem Verfahren entscheidungserheblich sein soll. Dem Vorlagebeschluss ist nicht hinreichend nachvollziehbar zu entnehmen, ob die Rechtsfolgenbelehrungen zu den hier in Rede stehenden Sanktionsbescheiden den gesetzlichen Anforderungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II genügen, obwohl Ausführungen hierzu geboten sind. Fehlte es bereits an dieser Tatbestandsvoraussetzung für eine Sanktion, wären die angegriffenen Bescheide rechtswidrig und es käme auf die Verfassungsgemäßheit der ihnen zugrunde liegenden Normen entscheidungserheblich nicht mehr an.

19

aa) Hinsichtlich des ersten Sanktionsbescheids vom 4. Juni 2014 trifft das vorlegende Gericht keine eigenen Feststellungen zu einer der sanktionierten Pflichtverletzung vorausgegangenen Rechtsfolgenbelehrung, ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit. Das vorlegende Gericht gibt in der Darlegung des Sachverhalts lediglich im Konjunktiv die schlichte Feststellung des Jobcenters aus dem Widerspruchsbescheid wieder, der Kläger des Ausgangsverfahrens sei über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung mit dem Vermittlungsvorschlag vom 25. Februar 2014 belehrt worden, ohne dass der Widerspruchsbescheid seinerseits nähere Feststellungen zur Belehrung enthält. Die Entscheidungsgründe des Vorlagebeschlusses gehen auf das Erfordernis einer Rechtsfolgenbelehrung und deren inhaltliche Anforderungen ebenfalls nicht ein, sondern verweisen in ganz allgemeiner Weise zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a in Verbindung mit § 31 SGB II auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Weder anhand der Vorlage selbst noch anhand des in Bezug genommenen Widerspruchbescheides lässt sich feststellen, welchen Inhalt die Rechtsfolgenbelehrung hatte und ob sie den einfachrechtlichen Anforderungen genügt.

20

Das Sozialgericht durfte auch nicht etwa auf eigene Ausführungen verzichten, weil die Beteiligten die Frage der ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung nicht thematisieren. Wenngleich für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich ist, muss diese zumindest nachvollziehbar sein. Dies setzt ein Mindestmaß an Begründung voraus, dem die Vorlage nicht gerecht wird. Das gilt hier insbesondere, weil die fachgerichtliche Rechtsprechung hohe Anforderungen an die Art und Weise der Rechtsfolgenbelehrung stellt. Die Belehrung muss - bezogen auf die Pflichtverletzung - konkret, richtig, vollständig und verständlich sein, und im Zusammenhang mit einem Arbeitsangebot zeitnah und zutreffend erläutern, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf den Leistungsanspruch eine unbegründete Arbeitsablehnung haben kann; nicht hinreichend konkret ist eine Belehrung, wenn sie nur den Gesetzestext wiedergibt oder ohne Bezug zu den konkreten Pflichten der Betroffenen eine Vielzahl von Sachverhaltsvarianten nennt (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 53/08 R -, BSGE 105, 297 <302 f. Rn. 20 f.> m.w.N.). Aus dem Vorlagebeschluss ist nicht zu entnehmen, ob das vorlegende Gericht diesen Anforderungen gefolgt ist oder etwa eigene Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Art und Weise der Rechtsfolgenbelehrung und ihr Inhalt für die verfassungsrechtliche Bewertung der Sanktionsvorschriften von Bedeutung sind, weil die Verhältnismäßigkeit einer Sanktion mit davon abhängen kann, in welchem Maße Betroffene darüber informiert sind, was aus ihrem Verhalten folgt.

21

bb) Dies gilt ebenso für den zweiten Sanktionsbescheid vom 19. September 2014. Es ist nicht erkennbar, ob dem damit sanktionierten Verstoß eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung vorausging. Insoweit hat das Sozialgericht zwar selbst ausdrücklich festgestellt, der Kläger sei über die "Rechtsfolgen der Vereinbarung" belehrt worden. Es geht jedoch nicht darauf ein, wann und in welcher Form mit welchem Inhalt dies geschehen sein soll. Dazu aber besteht Anlass. Richtigkeit und Verständlichkeit der laut Verwaltungsakte dem Eingliederungsverwaltungsakt beigefügten Belehrung können in Zweifel gezogen werden, da sie primär über die Minderung in Höhe von 30 % bei erstmaligem Verstoß informiert und auf die Folgen eines wiederholten Verstoßes nur "vorsorglich" hinweist. Daraus ergibt sich nicht, dass das Jobcenter zu diesem Zeitpunkt bereits von einem ersten sanktionierten Pflichtenverstoß ausging und nun ein Verstoß gegen die Pflichten im Eingliederungsverwaltungsakt (als wiederholte Pflichtverletzung) eine Absenkung der Leistungen in Höhe von 60 % des maßgebenden Regelbedarfs zur Folge hat. Darüber hinaus werden allgemein "mit Ihnen vereinbarte" Pflichten erwähnt, obwohl es sich um einseitig durch Verwaltungsakt auferlegte Pflichten handelt. Auch insoweit fehlen Ausführungen des Gerichts, die hinreichend nachvollziehbar erkennen lassen, dass die Rechtsfolgenbelehrung den gesetzlichen Anforderungen entspricht.

22

cc) Ausführungen zum Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung liegen auch nahe, weil die Fehleranfälligkeit von Rechtsfolgenbelehrungen der Fachöffentlichkeit bekannt ist. Darauf hat der Gesetzgeber im Jahr 2011 mit einer Ergänzung von § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II reagiert. Danach steht eine unzureichende oder fehlende Belehrung bei Kenntnis der Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung einer Sanktion nicht entgegen. Das vorlegende Gericht hat jedoch auch zu dieser Tatbestandsalternative keinerlei Ausführungen gemacht.

23

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe

1

Die Vorlage des Sozialgerichts betrifft die durch § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III verkürzte Antragsfrist für die freiwillige Weiterversicherung von Selbständigen in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung.

I.

2

1. Das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2848) hat Selbständigen seit dem 1. Februar 2006 erstmals die Möglichkeit zur freiwilligen Weiterversicherung in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung eröffnet. Wer eine selbständige Tätigkeit im Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnimmt oder ausübt, kann gemäß § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III (BGBl I S. 2848<2853 f.>) auf Antrag ein Versicherungspflichtverhältnis in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung begründen. § 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III (in der so bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung) verlangt dafür, dass der Antragsteller innerhalb der letzten beiden Jahre vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit mindestens zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt war oder eine Entgeltersatzleistung nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch bezogen hat. Gemäß § 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III (in der so bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung) muss er unmittelbar vor der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden oder eine Entgeltersatzleistung nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch bezogen haben. Nach § 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III (in der so bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) darf Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung nicht anderweitig bestehen. Die Begründung des Versicherungspflichtverhältnisses muss gemäß § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III (in der so bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung) spätestens innerhalb eines Monats nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit beantragt werden.

3

Um "zunächst Erfahrungen im Hinblick auf die Inanspruchnahme und die damit verbundenen Risiken für die Arbeitslosenversicherung" zu sammeln (vgl. BTDrucks 15/1515, S. 78), befristete § 28a Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 SGB III die freiwillige Weiterversicherung für Selbständige und Auslandsbeschäftigte bis zum 31. Dezember 2010. Diese zeitliche Begrenzung des Versicherungsverhältnisses ist durch Art. 1 Nr. 4 des Beschäftigungschancengesetzes vom 24. Oktober 2010 (BGBl I S. 1417 <1417 f.>) ersatzlos entfallen; der Gesetzgeber hat die Beendigungstatbestände nunmehr in § 28a Abs. 5 SGB III zusammengefasst, der eine vergleichbare Regelung nicht länger vorsieht.

4

Um die Versicherungspflicht auch Personen zu eröffnen, die schon vor Inkrafttreten des § 28a SGB III selbständig waren, wurde eine flankierende Übergangsregelung geschaffen (vgl. BTDrucks 15/1515, S. 78). § 434j Abs. 2 SGB III in der Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2848 <2885>) bestimmte, dass der Antrag auf freiwillige Weiterversicherung bis zum 31. Dezember 2006 gestellt werden kann. Die Vorschrift lautet:

"(2) § 28a Abs. 2 gilt mit der Maßgabe, dass ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung ungeachtet der Voraussetzungen des Satzes 2 bis zum 31. Dezember 2006 gestellt werden kann."

Infolgedessen konnten auch Selbständige, die ihre Tätigkeit schon seit Jahrzehnten ausüben, die Versicherungsmöglichkeit wahrnehmen.

5

2. Die für das Vorlageverfahren maßgebliche Änderung der Rechtslage erfolgte durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II-Fortentwicklungsgesetz ) vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1706 <1717>). Die bisherige Regelung des § 434j Abs. 2 SGB III wurde um einen Satz 2 ergänzt, der auf die Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 31. Mai 2006 zurückgeht (vgl. BTDrucks 16/1696, S. 12). § 434j Abs. 2 SGB III lautet danach wie folgt:

"(2) § 28a Abs. 2 gilt mit der Maßgabe, dass ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung ungeachtet der Voraussetzungen des Satzes 2 bis zum 31. Dezember 2006 gestellt werden kann. Stellt eine Person, deren Tätigkeit oder Beschäftigung gemäß § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, den Antrag nach dem 31. Mai 2006, gilt Satz 1 mit der Einschränkung, dass die Tätigkeit oder Beschäftigung nach dem 31. Dezember 2003 aufgenommen worden sein muss."

6

Die Gesetzesänderung hat zur Konsequenz, dass Selbständige, die ihre Tätigkeit vor dem 1. Januar 2004 begonnen haben, die freiwillige Versicherung nur noch bis zum 31. Mai 2006 (und nicht mehr bis zum 31. Dezember 2006) beantragen konnten. Dies soll den engen "Zusammenhang zur bisherigen Zugehörigkeit zur Versichertengemeinschaft" stärker betonen (vgl. BTDrucks 16/1696, S. 32).

7

§ 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III ist gemäß Art. 16 Abs. 3 GSiFoG (BGBl I S. 1706<1720>) schon vor seiner Verkündung am 25. Juli 2006 (vgl. BGBl I S. 1706) zum 1. Juni 2006 (dem Tag der dritten Lesung und des Gesetzesbeschlusses im Bundestag, vgl. BT-Plenarprotokoll 16/37, S. 3333 A ff.) in Kraft getreten. Der Gesetzgeber hat dies für erforderlich gehalten, "um bei der Behandlung von Anträgen auf freiwillige Weiterversicherung für solche Personen Rechtssicherheit zu schaffen, die ihren Antrag zwischen dem Tag der dritten Lesung dieses Gesetzes und dem Inkrafttreten der übrigen Vorschriften stellen" (vgl. BTDrucks 16/1696, S. 33). Durch Art. 2 Nr. 100 des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 (BGBl I S. 2854 <2916>) ist die Übergangsregelung § 434j SGB III mit Wirkung vom 1. April 2012 aufgehoben worden.

8

3. In dem Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht begehrt der dortige Kläger die Feststellung, dass er ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung gemäß § 28a SGB III begründet hat. Der 1958 geborene Kläger des Ausgangsverfahrens war von September 1991 bis einschließlich Juli 1997 arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt. Vom 1. August 1997 bis 30. Juni 1998 erhielt er Arbeitslosengeld. Seit dem 1. Juli 1998 ist er als selbständiger Industriedesigner mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 15 Stunden erwerbstätig und in der Künstlersozialkasse renten- und krankenversichert. Am 19. Dezember 2006 stellte er einen Antrag auf freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung; der Antrag ging am 22. Dezember 2006 bei der im Ausgangsverfahren beklagten Bundesagentur für Arbeit ein.

9

Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat zur Klagebegründung vorgetragen, ihm sei das Ende der "Antragsabgabefrist" nicht rechtzeitig bekannt gewesen. Die ihm vorliegenden Hinweisblätter hätten vielmehr alle ausdrücklich als "Abgabedatum" den 31. Dezember 2006 genannt. Ihm sei ausdrücklich und mehrfach eine solche "Abgabefrist" genannt worden. Dazu verweist er auf undatierte amtliche Hinweise der Künstlersozialkasse und der Bundesagentur für Arbeit für die ab dem 1. Februar 2006 geltende Rechtslage zur freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung. Von der Antragsmöglichkeit bis zum 31. Dezember 2006 habe er "damals über" die Künstlersozialkasse erfahren und sich bis zum 19. Dezember 2006 Zeit gelassen, da er in diesem Jahr insgesamt beruflich sehr stark belastet gewesen sei.

10

4. Das Sozialgericht hat das Verfahren durch Beschluss vom 10. Dezember 2010 ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III, eingefügt durch Art. 2 Nr. 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (GSiFoG) vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1706), in Kraft getreten mit Wirkung vom 1. Juni 2006 (Art. 16 Abs. 3 GSiFoG), gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, insoweit durch die vorgenannte Vorschrift die Antragsfrist für die freiwillige Weiterversicherung nach § 28a SGB III teilweise nachträglich geändert und unterschiedlich - abhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung und der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit in der Vergangenheit - geregelt wurde.

II.

11

Die Vorlage ist unzulässig. Sie genügt nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Das Sozialgericht hat die Entscheidungserheblichkeit der Antragsfriständerung durch § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III nicht hinreichend dargelegt.

12

1. Ein Gericht kann eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift, als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (vgl. BVerfGE 86, 71 <76>). Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht in den Gründen seines Beschlusses dazu ausführen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Das vorlegende Gericht muss die für seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar und erschöpfend darlegen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 86, 71 <77 f.>; 88, 70 <74>; 88, 198 <201>; 93, 121 <132>). Es muss deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist und aus welchen Gründen es zu dieser Auffassung gelangt ist.

13

Im Hinblick auf die Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung gestellten Norm muss dem Vorlagebeschluss mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie es dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 105, 61 <67>; 125, 175 <219 f.>; 131, 88 <117>; 133, 1 <10 f. Rn. 34>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, juris Rn. 92). Damit fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit, solange die Möglichkeit besteht, dass das Gericht den Rechtsstreit entscheiden kann, ohne die von ihm für verfassungswidrig gehaltene Norm anwenden zu müssen (vgl. BVerfGE 58, 153 <157 f.>; 64, 251 <254>; 105, 48 <56>; Dollinger, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 80 Rn. 61; Lenz/Hansel, BVerfGG, § 80 Rn. 70). Das Fachgericht muss das Verfahren zunächst so weit wie möglich bis zur Entscheidungsreife fördern, um dann zu beurteilen, ob es für die Entscheidung auf die Verfassungsmäßigkeit einer hierfür maßgeblichen Norm ankommt oder nicht. In der Regel bedarf es dafür einer mündlichen Verhandlung (vgl. BVerfGE 79, 256 <264 f.>). Insbesondere muss der Sachverhalt so weit aufgeklärt werden, dass die Entscheidungserheblichkeit der zu prüfenden Vorschrift feststeht, bevor ein Gericht dem Bundesverfassungsgericht die Rechtsfrage der Gültigkeit eines Gesetzes vorlegt (vgl. BVerfGE 64, 251 <254>; BVerfGK 18, 222 <232 f.>). Dazu müssen auch die erforderlichen Beweise erhoben werden (vgl. BVerfGK 15, 447 <452 f.>).

14

Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich. Allerdings muss die Auffassung des Fachgerichts zumindest nachvollziehbar sein (vgl. BVerfGE 126, 77 <97>; 127, 224 <244>; 131, 1 <15>; 133, 1 <10 f. Rn. 35>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, juris Rn. 41). Außerdem muss sich das Gericht eingehend mit der einfachrechtlichen Rechtslage anhand der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen auseinandergesetzt haben und zu unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten Stellung nehmen, soweit sie für die Entscheidungserheblichkeit maßgeblich sein können (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>; 105, 61 <67>; 121, 233 <238>; 124, 251 <260>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Juli 2014 - 2 BvL 25/09, 2 BvL 32 BvL 3/11 -, juris Rn. 28 ff.).

15

2. Diesen Anforderungen genügt der Vorlagebeschluss nicht. Ihm lässt sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift des § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit. Denn es hat nicht geprüft, ob hier im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine rechtzeitige Antragstellung zu bejahen sein könnte, so dass es auf die Gültigkeit der die Antragsfrist verkürzenden Norm nicht ankäme. Es hat sich insofern nicht mit der dafür zunächst heranzuziehenden einfachrechtlichen Rechtslage auseinandergesetzt (siehe a). Es ist für das Bundesverfassungsgericht auch nicht zu erkennen, ob das Sozialgericht den Rechtsstreit bis zur Entscheidungsreife gefördert und gegebenenfalls erforderliche Beweise erhoben hat (siehe b). Das Sozialgericht durfte auch nicht die fehlende Rechtserheblichkeit dieser Umstände unterstellen (siehe c).

16

a) Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat zur Klagebegründung und im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2010 vorgetragen, ihm sei das Ende der "Antragsabgabefrist" nicht rechtzeitig bekannt gewesen, da die ihm vorliegenden Auskünfte der Künstlersozialkasse und Hinweisblätter der Bundesagentur für Arbeit zur Antragstellung eine Frist bis zum 31. Dezember 2006 genannt hätten. Ihm sei ausdrücklich und mehrfach eine solche "Abgabefrist" mitgeteilt worden. Diese Umstände selber hat das Sozialgericht in seiner Vorlage nicht gewürdigt, obgleich es sich offenbar nicht um Behauptungen "ins Blaue hinein" gehandelt hat und wiewohl sie für die Entscheidungsfindung von Bedeutung und Grund für weitere Sachverhaltsermittlungen und rechtliche Überlegungen sein könnten.

17

Es ist nicht auszuschließen, dass die näheren Umstände der Beratung und Antragstellung hier für die Entscheidungsfindung von rechtlicher Relevanz sein könnten. Das Sozialgericht hat die tatsächlichen Anknüpfungspunkte offenbar nicht zum Anlass genommen, um zu prüfen, ob hier eine "rechtzeitige" Antragstellung im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X, der grundsätzlich sowohl für Verfahrensfristen als auch für Fristen mit materiell-rechtlichem Charakter gilt, in Betracht kommen könnte und hat sich mit der dazu heranzuziehenden sozialverwaltungsrechtlichen Rechtslage nicht befasst. Ebenso wenig hat es die daneben anwendbaren (vgl. BSGE 96, 44 <48 Rn. 20 ff.>) Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, nach denen im Einzelfall einem Sozialversicherungsträger auch der Beratungsfehler eines anderen Sozialleistungsträgers zurechenbar sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 26. April 2005 - B 5 RJ 6/04 R -, juris Rn. 29), geprüft. Jedenfalls verhält sich die Vorlage zu den beiden Rechtsinstituten nicht.

18

b) So lässt sich für das Bundesverfassungsgericht auch nicht erkennen, ob das Sozialgericht den Rechtsstreit bis zur Entscheidungsreife gefördert hat. Das vorlegende Gericht hätte insbesondere feststellen und gegebenenfalls ermitteln müssen, wann und in welcher Form dem Kläger des Ausgangsverfahrens, wie er behauptet, "ausdrücklich und mehrfach" ein Fristlauf bis zum 31. Dezember 2006 genannt wurde; mit welcher Behörde eine konkrete Kontaktaufnahme erfolgte; ob eine sozialversicherungsrechtliche Beratung durch die Künstlersozialkasse erfolgte; was gegebenenfalls Ziel und Gegenstand der Beratung war und welches Beratungsbedürfnis dabei zu Tage trat; ob hierbei auch die tatsächlichen Voraussetzungen einer gesteigerten Hinweispflicht (vgl. BSGE 98, 108 <114 Rn. 21>) eingetreten sind und ob eine Einbeziehung der Bundesagentur für Arbeit und ihrer Formulare in die Beratung erfolgte. Ferner lässt sich nicht erkennen, ob der Kläger des Ausgangsverfahrens behördlich über die rückwirkende Änderung der Rechtslage informiert wurde oder hiervon in anderer Weise erfuhr und wenn ja, wann dies geschah. Außerdem fehlen Einlassungen dazu, inwieweit er auf die Beständigkeit des Fristlaufs vertraute und inwiefern ein solches subjektives Vertrauen objektiv schutzwürdig war. Das Sozialgericht geht schließlich nicht darauf ein, in welcher Art und Weise die versäumte Handlung nachgeholt und ob dabei konkludent ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt wurde oder zumindest Anlass für eine Wiedereinsetzungsprüfung von Amts wegen bestanden haben könnte. Die in einem kurzen Satz protokollierte Anhörung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung genügt hierfür nicht. Sie lässt nahezu alle relevanten Fragen offen, ohne dass der Sitzungsniederschrift entnommen werden könnte, dass dem Kläger nähere Angaben unmöglich waren oder von ihm verweigert worden wären.

19

c) Die fehlende Rechtserheblichkeit dieser Umstände durfte das Sozialgericht auch nicht ohne Weiteres unterstellen. Wenngleich für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit grundsätzlich seine Beurteilung maßgeblich ist, muss die Auffassung des Fachgerichts zumindest nachvollziehbar sein. Hierfür wäre sie auch insoweit zu begründen gewesen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Möglichkeit besteht, dass das Sozialgericht den Rechtsstreit entscheiden kann, ohne die von ihm für verfassungswidrig gehaltene Norm anwenden zu müssen.

20

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

Die Vorlage ist unzulässig.

Gründe

I.

1

Das Vorlageverfahren betrifft die Minderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) aufgrund von Pflichtverletzungen der leistungsberechtigten Person. Zum 1. April 2011 wurden die zugrunde liegenden Vorschriften neu geordnet (Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011, BGBl I S. 453) und zum 1. April 2012 geändert (Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011, BGBl I S. 2854). § 31 SGB II regelt die Tatbestände von Pflichtverletzungen; § 31a SGB II enthält die leistungsmindernden Rechtsfolgen und § 31b SGB II deren Beginn und Dauer.

2

Tatbestandlich setzt eine Leistungsabsenkung nach § 31a SGB II voraus, dass die leistungsberechtigte Person eine Pflicht aus dem gesetzlichen Katalog des § 31 SGB II oder nach § 32 SGB II verletzt, sie zuvor über die Rechtsfolgen dieser Pflichtverletzung entweder schriftlich belehrt wurde oder sie Kenntnis dieser Rechtsfolgen hat (§ 31 Abs. 1 Satz 1 und § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II), und die leistungsberechtigte Person für die Pflichtverletzung keinen wichtigen Grund geltend machen kann (§ 31 Abs. 1 Satz 2 und § 32 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Eine Pflichtverletzung liegt unter anderem in der Weigerung, in der Eingliederungsvereinbarung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), und in der Weigerung, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II oder ein nach § 16e SGB II gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch eigenes Verhalten zu verhindern (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Was zumutbar ist, regelt § 10 SGB II.

3

Rechtsfolge einer vorwerfbaren Pflichtverletzung ist eine prozentuale Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II, die sich bei mehreren Pflichtverstößen summiert. Der Auszahlungsanspruch mindert sich grundsätzlich mit Beginn des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der die Pflichtverletzung und den Umfang der Minderung der Leistung feststellt (§ 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II), und grundsätzlich für den Zeitraum von drei Monaten (§ 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II). Bei wiederholter Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres nach einem Minderungszeitraum werden die Leistungen bei Leistungsberechtigten ab Vollendung des 25. Lebensjahres um 60 % gemindert (§ 31a Abs. 1 SGB II), bei weiteren Pflichtverletzungen in diesem Zeitraum entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig (§ 31a Abs. 1 Sätze 2 bis 5 SGB II). Im Falle der Minderung um mehr als 30 % können in angemessenem Umfang Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbracht werden (§ 31a Abs. 3 SGB II).

4

1. Im Ausgangsverfahren wendet sich der 1982 geborene Kläger gegen zwei Bescheide über Leistungsminderungen. Für die Zeiträume vom 1. März 2014 bis 31. August 2014 sowie vom 1. September 2014 bis 28. Februar 2015 wurden ihm Grundsicherungsleistungen bewilligt.

5

Durch Bescheid vom 4. Juni 2014 minderte das Jobcenter als Beklagte für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis 30. September 2014 das Arbeitslosengeld II um 30 % des maßgebenden Regelbedarfes (117,30 € monatlich) und hob die Leistungsbewilligung für den Zeitraum 1. Juli 2014 bis 31. August 2014 teilweise auf. Es habe dem Kläger ein zumutbares Beschäftigungsverhältnis als Lager- und Transportarbeiter angeboten. Er habe verhindert, dass ein Beschäftigungsverhältnis zustande kam, obwohl er über die Rechtsfolgen einer solchen Pflichtverletzung schriftlich belehrt worden sei.

6

Dagegen erhob der Kläger des Ausgangsverfahrens Widerspruch, den das Jobcenter mit Bescheid vom 15. Oktober 2014 als unbegründet zurückwies. Anwendung finde § 31 Abs. 1 SGB II. Der Kläger habe sich geweigert, die angebotene Beschäftigung anzunehmen. Das Angebot als Lagermitarbeiter sei aufgrund der Ausbildung des Klägers im Bereich Lager/Logistik zumutbar gewesen. Vorrangiges Interesse an einem anderen Beschäftigungsverhältnis sei kein wichtiger Grund, eine Arbeitsaufnahme abzulehnen, denn ein solcher Grund müsse im Verhältnis zu den Interessen der Allgemeinheit besonderes Gewicht haben. Angesichts der Zumutbarkeitsregelungen des § 10 SGB II sei bei der Prüfung des wichtigen Grundes ein strenger Maßstab anzulegen. Der Kläger müsse alle Möglichkeiten ausschöpfen, um seine Hilfebedürftigkeit zu verringern und auch Tätigkeiten ausüben, die nicht seinen persönlichen Vorlieben entsprächen. Er sei mit Schreiben vom 25. Februar 2014 über die Folgen einer Pflichtverletzung belehrt worden.

7

Mit einem weiteren Bescheid vom 19. September 2014 minderte das Jobcenter wegen wiederholter Pflichtverletzung das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis 31. Dezember 2014 um monatlich 60 % des maßgeblichen Regelbedarfes und hob den Bewilligungsbescheid für diesen Zeitraum teilweise auf. Mit einer Eingliederungsvereinbarung sei durch Verwaltungsakt vom 21. Juli 2014 verfügt worden, dass der Kläger bei einem Arbeitgeber einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein einzulösen habe, um eine praktische Erprobung zu ermöglichen. Dem sei der Kläger trotz Belehrung über die Rechtsfolgen der Vereinbarung nicht nachgekommen. Wegen wiederholter Pflichtverletzung führe dies zu einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um monatlich 60 % des maßgeblichen Regelbedarfes. Der Bewilligungsbescheid für den Sanktionszeitraum wurde teilweise aufgehoben.

8

Der dagegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2014 wiederum als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger habe sich ohne Grund geweigert, die im Verwaltungsakt festgelegten Pflichten zu erfüllen. Der Kläger müsse alles tun, um seine Hilfebedürftigkeit zu verringern. Er habe den Gutschein nicht eingelöst und somit innerhalb eines Jahres wiederholt Pflichten verletzt. Daher mindere sich das Arbeitslosengeld II um 60 % des Regelbedarfs. Auf Antrag könnten in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbracht werden, was hier nicht genutzt wurde.

9

Mit Schriftsatz vom 13. November 2014 erhob der Kläger Anfechtungsklage gegen die Widerspruchsbescheide vom 15. Oktober 2014 und 23. Oktober 2014. § 31a SGB II sei verfassungswidrig. Der Rechtsstreit müsse ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes eingeholt werden.

10

2. Das Sozialgericht hat am 26. Mai 2015 aufgrund mündlicher Verhandlung beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht folgende Fragen zur Entscheidung vorzulegen:

"2.1. Ist § 31a i.V.m. § 31 und § 31b SGB II in der Fassung vom 13.05.2011, gültig ab 01.04.2011, Bundesgesetzblatt I vom 13. Mai 2011 insoweit mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, als sich das für die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums maßgebliche Arbeitslosengeld II auf Grund von Pflichtverletzungen um 30 bzw. 60% des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person maßgebenden Regelbedarfs mindert bzw. bei weiteren Pflichtverletzungen vollständig entfällt?

2.2. Ist § 31a i.V.m. § 31 und § 31b SGB II in der Fassung vom 13.05.2011, gültig ab 01.04.2011, Bundesgesetzblatt I vom 13. Mai 2011 insoweit mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vereinbar, als Sanktionen, wenn sie zu einer Lebensgefährdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit der Sanktionierten führen, gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verstoßen?

2.3. Ist § 31a i.V.m. § 31 und § 31b SGB II in der Fassung vom 13.05.2011, gültig ab 01.04.2011, Bundesgesetzblatt I vom 13. Mai 2011 insoweit mit Art. 12 GG vereinbar, als Sanktionen gegen die Berufsfreiheit verstoßen?"

11

Die Kammer sei überzeugt, dass § 31a in Verbindung mit § 31 und 31b SGB II verfassungswidrig seien, weil die Regelung gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art.12 Abs.1 sowie Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstoße.

12

Die Entscheidung über die Anfechtungsklage hänge von der Verfassungsmäßigkeit von § 31a in Verbindung mit § 31 und § 31b SGB II ab. Die zulässige Anfechtungsklage wäre in der Sache unbegründet, wenn die vorgelegten Regelungen verfassungskonform wären. Die angefochtenen Sanktionsbescheide seien dann rechtmäßig. Auf die streitgegenständlichen Widerspruchsbescheide, die den Sachverhalt jeweils im Wesentlichen vollständig und richtig darstellten, werde Bezug genommen; der Sachverhalt und die rechtliche Bewertung durch den Beklagten seien vom Kläger insoweit nicht bestritten worden.

II.

13

Die Vorlage ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt.

14

1. Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 BVerfGG hat ein Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt. Es muss zuvor sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft haben (vgl. BVerfGE 127, 335 <355>). Das vorlegende Gericht muss deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist und aus welchen Gründen es zu dieser Auffassung gelangt ist. Insoweit bedarf es eingehender, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehender Darlegungen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 89, 329 <337>). Die Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit der Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nennen und die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar und umfassend darlegen (vgl. BVerfGE 88, 70 <74>; BVerfGK 14, 429 <432>). Zudem muss das vorlegende Gericht die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung erörtern (vgl. BVerfGE 85, 329 <333 f.>; 124, 251 <262>) und vertretbar begründen, dass sie diese nicht für möglich hält (BVerfGE 121, 108 <117> m.w.N.).

15

Das Gericht muss in der Begründung der Vorlage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG insbesondere hinreichend deutlich machen, dass und aus welchen Gründen es im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Normen zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 107, 59 <85>; stRspr). Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich, die jedoch zumindest nachvollziehbar sein muss (vgl. BVerfGE 126, 77 <97>; 127, 224 <244>; 131, 1 <15>; 133, 1 <10 f. Rn. 35>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, juris, Rn. 41). Dazu gehört es, sich eingehend mit der einfachrechtlichen Rechtslage anhand der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen auseinanderzusetzen und zu unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten Stellung zu nehmen, soweit sie für die Entscheidungserheblichkeit maßgeblich sein können (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>; 105, 61 <67>; 121, 233 <238>; 124, 251 <260>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Juli 2014 - 2 BvL 25/09, 2 BvL 32 BvL 3/11 -, juris, Rn. 28 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2015 - 1 BvL 4/11 - juris, Rn. 14). Desgleichen muss das vorlegende Gericht unter Ausschöpfung der ihm verfügbaren prozessualen Mittel auch alle tatsächlichen Umstände aufklären, die für die Vorlage Bedeutung erlangen können. Die ungeprüfte Übernahme von Parteivorbringen reicht dafür grundsätzlich nicht aus (vgl. BVerfGE 87, 341 <346>). Es bedarf vielmehr hinreichender Feststellungen, die seine fach- und verfassungsrechtliche Beurteilung tragen können (vgl. BVerfGE 37, 328 <333>; 48, 396 <400>; 86, 52 <57>; 86, 71 <78>; 88, 198 <201>). Das Bundesverfassungsgericht kann die fehlende Begründung der Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Entscheidungserheblichkeit der Vorlage nicht durch eigene Erwägungen ersetzen, denn diese Prüfung muss Aufgabe des sie verantwortenden Fachgerichts bleiben (vgl. BVerfGE 97, 49 <62>).

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2. Diesen Anforderungen wird die Vorlage nur zum Teil gerecht. Zwar wirft der Vorlagebeschluss durchaus gewichtige verfassungsrechtliche Fragen auf (a). Das vorlegende Gericht hat jedoch nicht in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass diese hier auch entscheidungserheblich sind (b).

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a) Zwar genügen die Darlegungen des Sozialgerichts zu seiner Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der §§ 31 ff. SGB II jedenfalls hinsichtlich Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG den Anforderungen. Das vorlegende Gericht hat sich mit dem Gewährleistungsgehalt des Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsicherung (vgl. BVerfGE 125, 175; 132, 134; 137, 34 sowie BVerfGK 5, 237; 17, 375) ausführlich auseinandergesetzt. Dagegen spricht auch nicht, dass das vorlegende Gericht seine eigene Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit dahingehend zuspitzt, die §§ 31 ff. SGB II seien bereits verfassungswidrig, weil der Minderung kein veränderter Bedarf zugrunde liege und das Grundgesetz keine Selbsthilfeobliegenheit kenne. Das Gericht befasst sich daneben auch mit weiteren verfassungsrechtlichen Zweifeln sowie den seiner Ansicht entgegenstehenden Interpretationen der bisherigen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Auch setzt es sich mit den in Literatur und sozialgerichtlicher Rechtsprechung vertretenen Ansichten zur verfassungskonformen Auslegung der zur Prüfung vorgelegten Regelungen auseinander und verwirft diese vertretbar.

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b) Es fehlt jedoch an einer hinreichenden Begründung, warum die Verfassungswidrigkeit der §§ 31 ff. SGB II in diesem Verfahren entscheidungserheblich sein soll. Dem Vorlagebeschluss ist nicht hinreichend nachvollziehbar zu entnehmen, ob die Rechtsfolgenbelehrungen zu den hier in Rede stehenden Sanktionsbescheiden den gesetzlichen Anforderungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II genügen, obwohl Ausführungen hierzu geboten sind. Fehlte es bereits an dieser Tatbestandsvoraussetzung für eine Sanktion, wären die angegriffenen Bescheide rechtswidrig und es käme auf die Verfassungsgemäßheit der ihnen zugrunde liegenden Normen entscheidungserheblich nicht mehr an.

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aa) Hinsichtlich des ersten Sanktionsbescheids vom 4. Juni 2014 trifft das vorlegende Gericht keine eigenen Feststellungen zu einer der sanktionierten Pflichtverletzung vorausgegangenen Rechtsfolgenbelehrung, ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit. Das vorlegende Gericht gibt in der Darlegung des Sachverhalts lediglich im Konjunktiv die schlichte Feststellung des Jobcenters aus dem Widerspruchsbescheid wieder, der Kläger des Ausgangsverfahrens sei über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung mit dem Vermittlungsvorschlag vom 25. Februar 2014 belehrt worden, ohne dass der Widerspruchsbescheid seinerseits nähere Feststellungen zur Belehrung enthält. Die Entscheidungsgründe des Vorlagebeschlusses gehen auf das Erfordernis einer Rechtsfolgenbelehrung und deren inhaltliche Anforderungen ebenfalls nicht ein, sondern verweisen in ganz allgemeiner Weise zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a in Verbindung mit § 31 SGB II auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Weder anhand der Vorlage selbst noch anhand des in Bezug genommenen Widerspruchbescheides lässt sich feststellen, welchen Inhalt die Rechtsfolgenbelehrung hatte und ob sie den einfachrechtlichen Anforderungen genügt.

20

Das Sozialgericht durfte auch nicht etwa auf eigene Ausführungen verzichten, weil die Beteiligten die Frage der ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung nicht thematisieren. Wenngleich für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich ist, muss diese zumindest nachvollziehbar sein. Dies setzt ein Mindestmaß an Begründung voraus, dem die Vorlage nicht gerecht wird. Das gilt hier insbesondere, weil die fachgerichtliche Rechtsprechung hohe Anforderungen an die Art und Weise der Rechtsfolgenbelehrung stellt. Die Belehrung muss - bezogen auf die Pflichtverletzung - konkret, richtig, vollständig und verständlich sein, und im Zusammenhang mit einem Arbeitsangebot zeitnah und zutreffend erläutern, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf den Leistungsanspruch eine unbegründete Arbeitsablehnung haben kann; nicht hinreichend konkret ist eine Belehrung, wenn sie nur den Gesetzestext wiedergibt oder ohne Bezug zu den konkreten Pflichten der Betroffenen eine Vielzahl von Sachverhaltsvarianten nennt (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 53/08 R -, BSGE 105, 297 <302 f. Rn. 20 f.> m.w.N.). Aus dem Vorlagebeschluss ist nicht zu entnehmen, ob das vorlegende Gericht diesen Anforderungen gefolgt ist oder etwa eigene Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Art und Weise der Rechtsfolgenbelehrung und ihr Inhalt für die verfassungsrechtliche Bewertung der Sanktionsvorschriften von Bedeutung sind, weil die Verhältnismäßigkeit einer Sanktion mit davon abhängen kann, in welchem Maße Betroffene darüber informiert sind, was aus ihrem Verhalten folgt.

21

bb) Dies gilt ebenso für den zweiten Sanktionsbescheid vom 19. September 2014. Es ist nicht erkennbar, ob dem damit sanktionierten Verstoß eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung vorausging. Insoweit hat das Sozialgericht zwar selbst ausdrücklich festgestellt, der Kläger sei über die "Rechtsfolgen der Vereinbarung" belehrt worden. Es geht jedoch nicht darauf ein, wann und in welcher Form mit welchem Inhalt dies geschehen sein soll. Dazu aber besteht Anlass. Richtigkeit und Verständlichkeit der laut Verwaltungsakte dem Eingliederungsverwaltungsakt beigefügten Belehrung können in Zweifel gezogen werden, da sie primär über die Minderung in Höhe von 30 % bei erstmaligem Verstoß informiert und auf die Folgen eines wiederholten Verstoßes nur "vorsorglich" hinweist. Daraus ergibt sich nicht, dass das Jobcenter zu diesem Zeitpunkt bereits von einem ersten sanktionierten Pflichtenverstoß ausging und nun ein Verstoß gegen die Pflichten im Eingliederungsverwaltungsakt (als wiederholte Pflichtverletzung) eine Absenkung der Leistungen in Höhe von 60 % des maßgebenden Regelbedarfs zur Folge hat. Darüber hinaus werden allgemein "mit Ihnen vereinbarte" Pflichten erwähnt, obwohl es sich um einseitig durch Verwaltungsakt auferlegte Pflichten handelt. Auch insoweit fehlen Ausführungen des Gerichts, die hinreichend nachvollziehbar erkennen lassen, dass die Rechtsfolgenbelehrung den gesetzlichen Anforderungen entspricht.

22

cc) Ausführungen zum Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung liegen auch nahe, weil die Fehleranfälligkeit von Rechtsfolgenbelehrungen der Fachöffentlichkeit bekannt ist. Darauf hat der Gesetzgeber im Jahr 2011 mit einer Ergänzung von § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II reagiert. Danach steht eine unzureichende oder fehlende Belehrung bei Kenntnis der Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung einer Sanktion nicht entgegen. Das vorlegende Gericht hat jedoch auch zu dieser Tatbestandsalternative keinerlei Ausführungen gemacht.

23

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.