Bundessozialgericht Beschluss, 08. Apr. 2014 - B 8 SO 47/13 B

bei uns veröffentlicht am08.04.2014

Tenor

Auf die Beschwerden des Klägers werden die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2012 - L 4 SO 128/12, L 4 SO 177/12, L 4 SO 124/12, L 4 SO 179/12 und L 4 SO 130/12 - und vom 24. April 2013 - L 4 SO 304/12 und L 4 SO 333/12 - sowie die Beschlüsse vom 1. November 2012 - L 4 SO 98/12 und L 4 SO 100/12 -, vom 25. Februar 2013 - L 4 SO 208/12 -, vom 4. März 2013 - L 4 SO 204/12, L 4 SO 209/12 und L 4 SO 313/12 - und vom 22. April 2013 - L 4 SO 306/12 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) und die Übernahme von Kosten für verschiedene vom Beklagten abgelehnte weitere Hilfen (Kosten für eine Putz-/Haushaltshilfe, Bekleidungsbeihilfe, Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung, die Übernahme von Kosten des ADAC-Rechtsschutzes und der ADAC-Mitgliedsbeiträge, von Stromkosten, von Kosten für Essen auf Rädern und die Übernahme von Kosten für eine Medikamentenzuzahlung).

2

Der 1958 geborene, nicht unter Betreuung stehende Kläger, der an einer paranoiden Persön-lichkeitsstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung leidet, ist voll erwerbsgemindert und bezieht Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII. Seine Anträge auf höhere Grundsicherungsleistungen und verschiedene weitere Leistungen lehnte der Beklagte ab. Die hiergegen beim Sozialgericht Gießen erhobenen Klagen (insgesamt 14 Verfahren) blieben ohne Erfolg.

3

Das hiergegen jeweils angerufene Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es von einer partiellen Geschäftsunfähigkeit des Klägers ausgehe. Die Berufungen des Klägers hat es sodann als unzulässig verworfen (Urteile vom 26.9.2012 und vom 24.4.2013 sowie Beschlüsse vom 1.11.2012, vom 25.2.2013, vom 4.3.2013 und vom 22.4.2013). Die Berufungen seien wegen der partiellen Geschäftsunfähigkeit bereits unzulässig. Der Bestellung eines besonderen Vertreters für den Kläger bedürfe es nicht. Die Berufungen seien in der Sache offensichtlich haltlos.

4

Mit den Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in den bezeichneten Urteilen und Beschlüssen, die der Senat zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat, rügt der Kläger Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz). Das LSG habe zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 72 SGG abgesehen, weil auch in der Sache keine offensichtlich haltlose Rechtsverfolgung vorliege.

5

II. Die durch den vom Senat bestellten besonderen Vertreter des Klägers eingelegten Beschwerden wegen der Nichtzulassung der Revision sind zulässig; sie genügen hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensfehler den Bezeichnungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Da die gerügten Verfahrensmängel auch vorliegen, konnten die angefochtenen Urteile und Beschlüsse gemäß § 160a Abs 5 SGG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

6

Die angefochtenen Entscheidungen beruhen auf einem Verstoß gegen § 72 Abs 1 SGG, weil das LSG zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters für den bereits in den Klage- und Berufungsverfahren prozessunfähigen Kläger abgesehen hat. Der Kläger war dadurch im Verfahren nicht wirksam vertreten (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung); hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass die Urteile und Beschlüsse des LSG auf ihm beruhen.

7

Gemäß § 72 Abs 1 SGG kann der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 SGG), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen Prozessunfähigkeit führen, bei der die freie Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist. Soweit eine solche partielle Prozessunfähigkeit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 32 S 65).

8

Eine solche partielle Prozessunfähigkeit im Hinblick auf die Führung von sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten liegt nach den überzeugenden Feststellungen des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. U. in dem vom LSG beigezogenen psychiatrischen Gutachten vom 27.5.2012 zur Frage der Schuldfähigkeit wegen begangener Beleidigungen gegenüber Richtern und dem vom LSG selbst in Auftrag gegebenen psychiatrischen Gutachten vom 9.1.2010 vor, wie der Senat im Einzelnen in dem zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluss vom 8.4.2014 (B 8 SO 48/13 B) ausgeführt hat; hierauf wird im Einzelnen Bezug genommen.

9

In den Berufungsverfahren durfte nicht davon abgesehen werden, einen besonderen Vertreter für den partiell prozessunfähigen Kläger zu bestellen. Steht - wie vorliegend - die Prozessunfähigkeit für den Prozess fest, kann dieser grundsätzlich nur mit einem besonderen Vertreter fortgeführt werden, wenn eine sonstige gesetzliche Vertretung nicht gewährleistet ist und - wie hier - das Amtsgericht von der Bestellung eines Betreuers abgesehen hat (im Einzelnen zuletzt BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 9). Zwar sind Ausnahmen von der Vertreterbestellung dann für zulässig erachtet worden, wenn unter Anlegung eines strengen Maßstabs das Rechtsmittel eines Prozessunfähigen "offensichtlich haltlos" ist (BSGE 5, 176, 178 f), was insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen ist, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, der Kläger nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht von sich gibt oder wenn sein Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war (BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 10).

10

Ein solches haltloses Begehren liegt aber nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass die (soweit ersichtlich erstmals) im Klagewege geltend gemachten Ansprüche des Klägers auf höhere bzw ergänzende Grundsicherungsleistungen ein haltloses Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz darstellen. Dass die geltend gemachten Ansprüche aus Sicht des LSG nicht bestehen, macht allein ein Vorbringen nicht haltlos. Es ist damit nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, dass zumindest nach Hinweisen des Vorsitzenden (§ 106 SGG) unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl nur: BSGE 74, 77 ff = SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 49 ff; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 92 RdNr 12 mwN) ein besonderer Vertreter oder ein von diesem bestellter Prozessbevollmächtigter in der Lage ist, im wohlverstandenen Interesse des Klägers sachdienliche Klageanträge mit hinreichendem Bezug zum materiellen Recht zu formulieren.

11

Das LSG wird ggf auch über die Kosten der Beschwerdeverfahren zu entscheiden haben.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160a


(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 202


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfa

Zivilprozessordnung - ZPO | § 547 Absolute Revisionsgründe


Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,1.wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;2.wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Ges

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 106


(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 104 Geschäftsunfähigkeit


Geschäftsunfähig ist:1.wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat,2.wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorüberge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 71


(1) Ein Beteiligter ist prozeßfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann. (2) Minderjährige sind in eigener Sache prozeßfähig, soweit sie durch Vorschriften des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts für den Gegenstand des Verfahrens a

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 72


(1) Für einen nicht prozeßfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter kann der Vorsitzende bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Za

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Tenor Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. April 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht z

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(1) Für einen nicht prozeßfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter kann der Vorsitzende bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen.

(2) Die Bestellung eines besonderen Vertreters ist mit Zustimmung des Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters auch zulässig, wenn der Aufenthaltsort eines Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters vom Sitz des Gerichts weit entfernt ist.

(3) bis (5) (weggefallen)

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Für einen nicht prozeßfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter kann der Vorsitzende bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen.

(2) Die Bestellung eines besonderen Vertreters ist mit Zustimmung des Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters auch zulässig, wenn der Aufenthaltsort eines Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters vom Sitz des Gerichts weit entfernt ist.

(3) bis (5) (weggefallen)

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Für einen nicht prozeßfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter kann der Vorsitzende bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen.

(2) Die Bestellung eines besonderen Vertreters ist mit Zustimmung des Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters auch zulässig, wenn der Aufenthaltsort eines Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters vom Sitz des Gerichts weit entfernt ist.

(3) bis (5) (weggefallen)

(1) Ein Beteiligter ist prozeßfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann.

(2) Minderjährige sind in eigener Sache prozeßfähig, soweit sie durch Vorschriften des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts für den Gegenstand des Verfahrens als geschäftsfähig anerkannt sind. Zur Zurücknahme eines Rechtsbehelfs bedürfen sie der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters.

(3) Für rechtsfähige und nichtrechtsfähige Personenvereinigungen sowie für Behörden handeln ihre gesetzlichen Vertreter und Vorstände.

(4) Für Entscheidungsgremien im Sinne von § 70 Nr. 4 handelt der Vorsitzende.

(5) In Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und des Schwerbehindertenrechts wird das Land durch das Landesversorgungsamt oder nach Maßgabe des Landesrechts durch die Stelle vertreten, der dessen Aufgaben übertragen worden sind oder die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes oder des Rechts der Teilhabe behinderter Menschen zuständig ist.

(6) Die §§ 53 bis 56 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend.

Geschäftsunfähig ist:

1.
wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat,
2.
wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 5. November 2012 - L 4 SO 99/12 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit ist die Niederschlagung einer Rückforderung des Beklagten sowie die Umwandlung darlehensweise gewährter Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in einen Zuschuss.

2

Der 1958 geborene, nicht unter Betreuung stehende Kläger, der an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung leidet, ist voll erwerbsgemindert und bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Am 22.12.2005 beantragte er (erneut) die Niederschlagung einer mit Bescheid des Beklagten vom 12.12.2003 verfügten Rückforderung von Leistungen nach dem BSHG in Höhe von 5324,63 Euro und (im Wege eines Überprüfungsantrags) die Umwandlung der in den Jahren 2002 und 2003 darlehensweise gewährten Hilfen zum Lebensunterhalt in einen Zuschuss. Der Beklagte lehnte diese Anträge ab (Bescheide vom 1.6.2007 und 4.6.2007; Widerspruchsbescheid vom 9.11.2007). Die hiergegen beim Sozialgericht Gießen erhobenen, miteinander verbundenen Klagen blieben ohne Erfolg (Urteil vom 23.3.2012).

3

Nachdem das hiergegen angerufene Hessische Landessozialgericht (LSG) die Beteiligten darauf hingewiesen hat, dass es von einer partiellen Geschäftsunfähigkeit des Klägers ausgehe, hat es die Berufung als unzulässig verworfen (Beschluss vom 5.11.2012). Die Berufung sei wegen der partiellen Geschäftsunfähigkeit des Klägers bereits unzulässig. Der Bestellung eines besonderen Vertreters für den Antragsteller bedürfe es im vorliegenden Verfahren nicht. Die Berufung sei in der Sache offensichtlich haltlos, weil sich der Kläger bereits einmal - auch gerichtlich - ohne Erfolg sowohl gegen die Rückforderungen als auch gegen die Ablehnung der Umwandlung der Darlehen in einen Zuschuss gewandt habe.

4

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Beschluss rügt der Kläger einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz). Das LSG habe zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 72 SGG abgesehen, weil in der Sache keine offensichtlich haltlose Rechtsverfolgung vorliege.

5

II. Die durch den vom Senat bestellten besonderen Vertreter des Klägers eingelegte Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision ist zulässig; sie genügt hinsichtlich des geltend gemachten Verfahrensfehlers den Bezeichnungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Da der gerügte Verfahrensmangel auch vorliegt, konnte der angefochtene Beschluss gemäß § 160a Abs 5 SGG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

6

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verstoß gegen § 72 Abs 1 SGG, weil das LSG zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters für den bereits im Klage- und Berufungsverfahren prozessunfähigen Kläger abgesehen hat. Der Kläger war dadurch im Verfahren nicht wirksam vertreten (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung); hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass der Beschluss des LSG auf ihm beruht.

7

Gemäß § 72 Abs 1 SGG kann der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 SGG), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen Prozessunfähigkeit führen, bei der die freie Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist. Soweit eine solche partielle Prozessunfähigkeit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 32 S 65).

8

Eine solche partielle Prozessunfähigkeit liegt nach den überzeugenden Feststellungen des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. U. in dem vom LSG beigezogenen psychiatrischen Gutachten vom 27.5.2012 zur Frage der Schuldfähigkeit wegen begangener Beleidigungen gegenüber Richtern und dem vom LSG selbst in Auftrag gegebenen psychiatrischen Gutachten vom 9.1.2010 vor. Der Kläger leidet neben einer rezidivierenden depressiven Störung seit Jahren an einer schwergradig ausgeprägten paranoiden Persönlichkeitsstörung im Sinne eines Querulantenwahns, die insbesondere durch Streitbarkeit und beharrliches, situationsunangemessenes Bestehen auf eigenen Rechten und unbegründete Gedanken an Verschwörungen als Erklärungen für Ereignisse in der näheren und weiteren Umgebung gekennzeichnet ist. Der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, die beim Kläger diagnostizierte Persönlichkeitsstörung führe zu einer durchgängigen Störung seines Selbstwertgefühls; er könne seine immer wieder eingelegten Klagen und Beschwerden nicht der Realität angemessen prüfen. Zwar könne er sein Leben, wenn auch auf sehr niedrigem Niveau, ausreichend selbst gestalten. In der Führung von sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten sei eine freie Willensbestimmung in der Folge der Persönlichkeitsstörung aber ausgeschlossen. Diese gutachterlichen Feststellungen werden durch die bisherige Prozessführung im Klage- und Berufungsverfahren bestätigt, die durch unsachliche Anschuldigungen gegen den Beklagten und die Gerichte geprägt ist.

9

Im Berufungsverfahren durfte nicht davon abgesehen werden, einen besonderen Vertreter für den partiell prozessunfähigen Kläger zu bestellen. Steht - wie vorliegend - die Prozessunfähigkeit für den Prozess fest, kann dieser grundsätzlich nur mit einem besonderen Vertreter fortgeführt werden, wenn eine sonstige gesetzliche Vertretung nicht gewährleistet ist und - wie hier - das Amtsgericht von der Bestellung eines Betreuers abgesehen hat (im Einzelnen zuletzt BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 9). Zwar sind Ausnahmen von der Vertreterbestellung dann für zulässig erachtet worden, wenn unter Anlegung eines strengen Maßstabs das Rechtsmittel eines Prozessunfähigen "offensichtlich haltlos" ist (BSGE 5, 176, 178 f), was insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen ist, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, der Kläger nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht von sich gibt oder wenn sein Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war (BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 10).

10

Ein solches haltloses Begehren liegt aber nicht vor. Die Haltlosigkeit lässt sich - anders als das LSG meint - insbesondere nicht allein damit begründen, dass die Begehren des Klägers bereits einmal Gegenstand von verwaltungsgerichtlichen Verfahren waren. Dies gilt hinsichtlich der Niederschlagung von Forderungen schon deshalb, weil ggf zu prüfen ist, ob mit weiterem Zeitablauf deren tatbestandliche Voraussetzungen mittlerweile eingetreten sind, und würde im Übrigen den Grundsätzen des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) widersprechen. Es ist damit nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, dass zumindest nach Hinweisen des Vorsitzenden (§ 106 SGG) unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl nur: BSGE 74, 77 ff = SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 49 ff; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 92 RdNr 12 mwN)ein besonderer Vertreter oder ein von diesem bestellter Prozessbevollmächtigter in der Lage ist, im wohlverstandenen Interesse des Klägers sachdienliche Klageanträge mit hinreichendem Bezug zum materiellen Recht zu formulieren.

11

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.