Bundessozialgericht Urteil, 17. Dez. 2015 - B 2 U 17/14 R

bei uns veröffentlicht am17.12.2015

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 8. September 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt eine Verletztenrente als Stützrente. Streitig ist dabei insbesondere, ob die Beklagte an eine von der Staatlichen Versicherung der DDR getroffene Feststellung eines Körperschadens iHv 10 vH gebunden ist.

2

Der Kläger erlitt am 7.9.1987 als Beschäftigter der Produktionsgenossenschaft des Handwerks B. in E. einen Unfall, bei dem er sich eine isolierte Innenknöchelfraktur zuzog. Auf Grundlage einer Begutachtung vom 12.12.1988 erließ die Staatliche Versicherung der DDR am 23.12.1988 einen "Bescheid über Ihren Leistungsanspruch zum Unfallschaden". Sie führte darin aus, dass das aufgrund des Unfalls vom 7.9.1987 eingeholte ärztliche Gutachten einen unfallbedingten Körperschaden von 10 vH bestätige und dieser dauernde Körperschaden anerkannt werde.

3

Die Beklagte erhielt durch Ermittlungen der Verwaltungs-BG zu einem weiteren Unfallereignis im Jahre 2004 (hierzu war beim LSG ein Verfahren unter dem Az L 2 U 168/10 anhängig) Kenntnis von dem Unfallereignis aus dem Jahr 1987 und nahm daraufhin ihrerseits Ermittlungen zu einem (Stütz-)Rententatbestand auf. Die Beklagte lehnte die Bewilligung einer Rente mit Bescheid vom 3.4.2007 ab. Der Widerspruch blieb erfolglos. In ihrem Widerspruchsbescheid vom 25.10.2007 führte sie aus, eine Bindung an die Feststellung der Staatlichen Versicherung der DDR bestehe nicht, weil diese als private Versicherung und nicht als Sozialversicherung tätig geworden sei. Eine Anerkennung des Ereignisses aus dem Jahre 1987 durch die Sozialversicherung habe nicht ermittelt werden können. Dies gehe zu Lasten des Klägers.

4

Die Klage hat das SG durch Gerichtsbescheid vom 9.9.2010 abgewiesen. Das SG hat eine Bindungswirkung des Bescheids der Staatlichen Versicherung der DDR verneint und die infolge des Unfalls vom 7.9.1987 verbliebene Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach medizinischen Ermittlungen mit unter 10 vH geschätzt. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Zur Begründung seines Urteils vom 8.9.2014 hat das LSG ausgeführt, es könne offenbleiben, ob die Staatliche Versicherung der DDR als privates Versicherungsunternehmen tätig geworden sei. Entscheidend sei, dass es hier an einer "vor dem 1.1.1992 festgestellten Rente" iS des § 1154 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Halbs 1 RVO fehle, denn dem Kläger sei gerade keine Rente zugesprochen worden. In Bestandskraft könne zudem nur der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts der DDR erwachsen, der eine Rente gewährt habe. Diese Auslegung werde durch die Regelungen des in der DDR geltenden Rechts gestützt. Damals habe es lediglich eine Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Rente gegeben, jedoch keine Rechtsgrundlage für die isolierte Feststellung eines geringeren Körperschadens ohne Gewährung einer Rente. Ein Verfügungssatz, der neben einer Rentenablehnung ausdrücklich eine niedrigere MdE als 20 vH feststelle, könne an der Bestandskraft des Bescheids nicht teilnehmen (Verweis auf BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 36/03 R ). Die nach dem Unfall aus dem Jahr 1987 tatsächlich verbliebene MdE sei durch das SG mit unter 10 vH zutreffend geschätzt worden.

5

In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hat die in dem Verfahren wegen des weiteren Unfalls aus dem Jahr 2004 (L 2 U 168/10) beklagte Verwaltungs-BG eine MdE in Höhe von 10 vH wegen der dort strittigen Lungenfunktionseinschränkung anerkannt. Der Kläger hat die Berufung in diesem Verfahren daraufhin zurückgenommen.

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des Art 19 Einigungsvertrag (vom 31.8.1990 - BGBl II 889 - EinigVtr) und der § 215 Abs 6 SGB VII iVm § 1154 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Halbs 1 RVO. Der Bescheid der Staatlichen Versicherung der DDR sei als Verwaltungsakt zu behandeln. Die Staatliche Versicherung der DDR sei keine private Versicherung, sondern Träger der Sozialversicherung gewesen. Diese habe die Höhe des Körperschadens verbindlich festgestellt und das Ereignis als Arbeitsunfall anerkannt. Der Wortlaut des Art 19 EinigVtr beziehe sich unmissverständlich auf den gesamten Bescheid. Eine Aufteilung eines Verwaltungsakts sei nicht möglich, sodass er im Hinblick auf den gesamten Inhalt des Bescheids Vertrauensschutz genieße, auch wenn ihm vor der Wiedervereinigung noch keine Rente gewährt worden sei. Deshalb sei auch § 215 Abs 6 SGB VII nicht einschlägig. Käme man allerdings zu einer Anwendbarkeit des § 1154 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Halbs 1 RVO, so müsse berücksichtigt werden, dass eine Minderung des festgestellten Grads der Erwerbsfähigkeit bzw des Körperschadens nur bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse seit der Erstfeststellung möglich sei. Dies könne den medizinischen Ermittlungen nicht entnommen werden.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 8. September 2014 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 9. September 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Oktober 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente ab dem 22. Januar 2005 zu gewähren.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie trägt vor, sie sei nicht an die Feststellungen der Staatlichen Versicherung der DDR gebunden.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

11

Die unterlassene notwendige Beiladung der Verwaltungs-BG gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG stellt einen im Revisionsverfahren von Amts wegen beachtlichen Verfahrensmangel dar(Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 13a mwN aus der Rspr des BSG). Das LSG hätte die Verwaltungs-BG zwar gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beiladen müssen. Denn Voraussetzung für eine sog Stützrente ist, dass die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert ist und die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen (§ 56 Abs 1 Satz 2 SGB VII). Bei einem Streit um eine Stützrente sind beide Renten derart verknüpft, dass eine Entscheidung über sie nur einheitlich ergehen kann und folglich ein für die andere Rente zuständiger Versicherungsträger gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen ist(zuletzt: BSG vom 20.3.2007 - B 2 U 21/06 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 11 RdNr 13 mwN). Das Unterlassen der notwendigen Beiladung steht aber einer Sachentscheidung des Revisionsgerichts nicht entgegen, weil eine Entscheidung aufgrund der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz möglich ist und diese die beizuladende Verwaltungs-BG weder materiell- noch verfahrensrechtlich benachteiligt (vgl BSG vom 31.7.1991 - 6 RKa 12/89 - BSGE 69, 138 ff = SozR 3-2500 § 106 Nr 6; BSG vom 24.10.2013 - B 13 R 35/12 R - SozR 4-2600 § 118 Nr 12 RdNr 18). Da der Kläger auch im Revisionsverfahren nicht obsiegt, ist eine Benachteiligung der Verwaltungs-BG nicht ersichtlich.

12

Die Revision des Klägers ist schon deshalb unbegründet, weil die beklagte BG bislang nicht über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Jahre 1987 entschieden hat und die Klage insofern unzulässig war (dazu 1.) Unabhängig davon sind auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer (Stütz-)Rente nicht erfüllt (dazu 2.).

13

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG), mit der unter Aufhebung entgegenstehender Verwaltungsakte die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Stützrente begehrt wird. Eine solche Anfechtungsklage ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). An dieser Klagebefugnis fehlt es, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt (BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 2/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG vom 14.11.2002 - B 13 RJ 19/01 R - BSGE 90, 127, 130 = SozR 3-5795 § 10d Nr 1 S 4), weil hinsichtlich des Klagebegehrens eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung nicht vorliegt (BSG vom 28.10.2008 - B 8 SO 33/07 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 13). Solange der zuständige Unfallversicherungsträger nicht über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls iS des § 8 Abs 1 SGB VII entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde, kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Verurteilung zur Leistung haben(§ 54 Abs 4 SGG). Die unechte Leistungsklage setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger das Vorliegen eines Versicherungsfalls nicht bindend abgelehnt oder bejaht hat und kommt daher vor dem Erlass einer Verwaltungsentscheidung über den Arbeitsunfall nicht in Betracht (vgl BSG vom 21.9.2010 - B 2 U 25/09 R - Juris RdNr 17). Eine (isolierte) Leistungsklage auf eine Rentengewährung ohne vorherige Feststellung eines Versicherungsfalls ist mithin nicht zulässig (BSG vom 13.12.2005 - B 2 U 29/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 16 RdNr 10; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 46/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 3 RdNr 11 f).

14

Die Auslegung der angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten vom 3.4.2007 und 25.10.2007 ergibt, dass die Beklagte jeweils nur eine "Entscheidung über die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung" treffen wollte. Weder den Verfügungssätzen noch der Begründung der Bescheide ist auch nur im Ansatz zu entnehmen, dass die Beklagte (auch) eine Entscheidung über das Vorliegen eines Versicherungsfalls vom 7.9.1987 treffen wollte. Hierzu wäre die Beklagte aber in jedem Fall verpflichtet gewesen, weil ihr der Unfall aus dem Jahre 1987 erst nach dem 31.12.1993 bekannt geworden ist und sie daher gemäß § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO zu prüfen gehabt hätte, ob der behauptete Versicherungsfall aus dem Jahre 1987 auch nach dem Recht der RVO zu entschädigen gewesen wäre(zum Prüfansatz vgl BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 5/12 R - SozR 4-2200 § 1150 Nr 2 RdNr 15 ff; zur Geltung des § 1150 RVO für den vorliegenden Fall vgl BSG vom 26.6.2001 - B 2 U 31/00 R - Juris). Den angefochtenen Bescheiden ist hingegen noch nicht einmal zu entnehmen, dass die Beklagte die Prüfung eines Versicherungsfalls iS des § 548 RVO deshalb unterlassen hat, weil sie sich insoweit an die Feststellung der Staatlichen Versicherung der DDR gebunden gefühlt hätte. Vielmehr ist Gegenstand des Verwaltungsverfahrens und der Bescheide lediglich gewesen, ob dem Kläger ein Recht auf (Stütz-)Rente zusteht, ohne dass das Vorliegen eines Versicherungsfalls überhaupt thematisiert wurde. Mithin ist die erhobene Klage bereits deshalb unzulässig gewesen, weil es an einem Verwaltungsverfahren (Vorverfahren) über das Vorliegen eines Versicherungsfalls fehlt. Eine solche Feststellung müsste die Beklagte zunächst treffen, bevor über Leistungsansprüche im Wege der unechten Leistungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG befunden werden könnte.

15

Die Klage ist auch nicht deshalb zulässig, weil die Staatliche Versicherung der DDR mit dem Bescheid vom 23.12.1988 einen unfallbedingten Körperschaden von 10 vH bestätigt hat und damit zugleich eine Regelung iS des § 31 SGB X über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls getroffen hätte. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die Staatliche Versicherung der DDR überhaupt als zum Erlass von Verwaltungsakten berechtigte Behörde iS des § 31 SGB X gehandelt hat und die Beklagte an deren Verwaltungsentscheidung gebunden sein könnte(vgl hierzu noch unter 2). Denn mit dem Bescheid vom 23.12.1988 ist lediglich über das Vorliegen eines dauernden Körperschadens entschieden worden. Die Staatliche Versicherung der DDR hat 1988 gerade keine Entscheidung über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls getroffen, vielmehr wird der Kläger in dem "Bescheid" ausdrücklich darauf verwiesen, dass hierzu noch ein gesonderter Antrag "bei der Sozialversicherung" zu stellen wäre.

16

2. Nur beiläufig weist der Senat daraufhin, dass dem Kläger der geltend gemachte Stütz-Rentenanspruch auch dann nicht zustehen kann, wenn die Beklagte in einem erneuten Verwaltungsverfahren zu dem Ergebnis käme, dass es sich bei dem Ereignis vom 7.9.1987 um einen Arbeitsunfall iS des § 548 RVO gehandelt hat (der hier gemäß § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO einschlägig wäre).

17

Rechtsgrundlage für den Rentenanspruch des Klägers wäre dann § 56 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB VII iVm § 215 Abs 6 Satz 1 SGB VII iVm § 1154 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente.

18

Unfallfolgen, die eine MdE im rentenberechtigenden Bereich begründen könnten, sind nach dem Unfall vom 7.9.1987 jedoch nicht verblieben. Die Feststellung des Grades der MdE ist eine reine Tatsachenfeststellung (§ 128 SGG; stRspr vgl nur BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3 RdNr 16 mwN). Die Folgen des Unfalls vom 7.9.1987 sind nach den bindenden, weil vom Kläger nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hingegen mit unter 10 vH zu bewerten.

19

Ein Anspruch auf eine (Stütz-)Rente könnte sich folglich nur aus einer Bindung der Beklagten an die Feststellung der Staatlichen Versicherung der DDR ergeben, dass ein Körperschaden von "10 %" vorliegt. Eine solche Bindung der Beklagten an die Feststellung der Staatlichen Versicherung der DDR über einen Körperschaden besteht jedoch nicht, wobei es auf die Frage, ob die Staatliche Versicherung der DDR einen Körperschaden in Höhe von "10 %" durch Verwaltungsakt festgestellt hat, nicht ankommt. Denn selbst wenn die Staatliche Versicherung der DDR am 23.12.1988 durch Verwaltungsakt den Körperschaden des Klägers festgestellt hätte, wogegen allerdings bereits spricht, dass es sich bei der Staatlichen Versicherung insoweit um keine "Behörde" iS des § 31 SGB X gehandelt haben dürfte(den Behördencharakter bezweifelt auch BSG vom 5.3.2002 - B 2 U 4/01 R - Juris), wäre die Beklagte jedenfalls aufgrund des Überleitungsrechts an einen solchen "Verwaltungsakt" nicht gebunden.

20

Zwar bestimmt Art 19 EinigVtr, dass vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland ergangene Verwaltungsakte der DDR wirksam bleiben und nur aufgehoben werden können, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen dieses Vertrags unvereinbar sind. Art 30 Abs 5 Satz 1 EinigVtr behielt die Einzelheiten der Überleitung des Unfallversicherungsrechts der Bundesrepublik Deutschland jedoch einem zu erlassenden besonderen Bundesgesetz vor. Diesem Gesetzgebungsauftrag kam der Gesetzgeber mit Art 8 des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz - RÜG - vom 25.7.1991, BGBl I 1606) nach. In die damals für die gesetzliche Unfallversicherung maßgebliche RVO wurden Sonder- und Überleitungsvorschriften für das Beitrittsgebiet eingefügt (§§ 1150 ff RVO), welche über § 215 SGB VII weiterhin gelten. Die Sonderregelungen der RVO verdrängen insofern, wie der Senat bereits entschieden hat, die Regelung in Art 19 EingVtr (BSG vom 5.3.2002 - B 2 U 4/01 R - Juris RdNr 43; BSG vom 26.6.2001 - B 2 U 31/00 R, Juris RdNr 25).

21

Nach § 215 Abs 6 SGB VII ist für die Feststellung und Zahlung von Renten bei Versicherungsfällen, die vor dem 1.1.1992 eingetreten sind, § 1154 RVO in der am Tag vor Inkrafttreten des SGB VII geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, dass an die Stelle der dort genannten Vorschriften der RVO die §§ 56 und 81 bis 91 SGB VII treten. Nach § 1154 Abs 1 Satz 2 RVO ist für Arbeitsunfälle, die vor dem 1.1.1992 eingetreten sind, für die Bemessung des Körperschadens § 581 RVO(seit dem 1.1.1997 § 56 SGB VII) anzuwenden, wenn entweder Renten nach dem 31.12.1991 erstmals festgestellt werden (Nr 1) oder wenn bei vor dem 1.1.1992 festgestellten Renten wegen der Bewertung des Körperschadens oder einer den Körperschaden betreffenden wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eine neue Feststellung beantragt wird oder von Amts wegen vorgenommen wird (Nr 2 Halbs 1).

22

Anzuwenden ist hier, wovon SG und LSG zutreffend ausgegangen sind, § 1154 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO, weil es an einer vor dem 1.1.1992 festgestellten Rente fehlt und der Kläger nunmehr die erstmalige Feststellung einer Rente begehrt. Für den Fall der erstmaligen Feststellung einer Rente nach dem 31.12.1991 ist der Vorschrift jedoch gerade nicht zu entnehmen, dass die Beklagte an etwaige frühere Feststellungen gebunden sein soll. Die Vorschrift des § 1154 Abs 1 RVO normiert Sonderregelungen für die Rentenfeststellung bei "alten" Versicherungsfällen und normiert einen Vertrauensschutz (nur) für bereits "festgestellte" Renten, denn § 1154 Abs 1 Satz 1 RVO setzt ausdrücklich voraus, dass (nur) bei einer im Beitrittsgebiet "festgestellten Rente" der zugrunde gelegte Grad des Körperschadens als Minderung der Erwerbsfähigkeit gilt.

23

Die Ablehnung einer Rente kann - entgegen dem Vorbringen der Revision - nicht als "besondere Form der Rentenfeststellung" betrachtet werden, wobei dem Bescheid der Staatlichen Versicherung der DDR vom 23.12.1988 allerdings noch nicht einmal eine solche (konkludente) Rentenablehnung entnommen werden kann. Wenn kein Rentenanspruch besteht und daher eine Rente abgelehnt wird, wird gerade kein Recht auf Rente festgestellt. Ebenso wenig kann die am 23.12.1988 erfolgte Anerkennung eines dauernden unfallbedingten Körperschadens in Höhe von 10 vH als Feststellung einer Rente iS des § 1154 Abs 1 Satz 1 RVO interpretiert werden. Das LSG hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass der Kläger damit eine Rechtsposition geltend macht, die ihm schon nach dem Recht der DDR nicht zukam. Erst im Geltungsbereich der RVO bzw des SGB VII und der dort normierten Möglichkeit einer Stützrente ist überhaupt denkbar, dem Bescheid der Staatlichen Versicherung der DDR eine Rechtsposition zu entnehmen. Denn im Recht der DDR gab es keinen Stützrententatbestand. Stattdessen kam es darauf an, ob aus mehreren Versicherungsfällen gemeinsam zu bewertende Unfallfolgen einen Körperschaden von mindestens 20 vH ergeben haben (vgl § 23 Abs 2 der Verordnung über die Gewährung von Renten der Sozialpflichtversicherung - Rentenverordnung - vom 23.11.1979, GBl DDR I S 401). Bei jedem weiteren Versicherungsfall musste eine Gesamtbetrachtung der Folgen stattfinden und dann erst ein Gesamtkörperschaden gebildet werden. Eine Addition von Körperschäden aus verschiedenen Versicherungsfällen war dem Recht der DDR fremd, sodass unter keinem Gesichtspunkt die Anerkennung eines Körperschadens in Höhe von 10 vH (konkludent) als "Feststellung einer Rente" durch die Behörden der DDR betrachtet werden kann.

24

Dieses Ergebnis entspricht im Übrigen auch dem Zweck der Norm des § 1154 RVO. Nach der Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum RÜG (BT-Drucks 12/786 S III) sollte eine Neuberechnung von laufenden Renten vermieden und eine Besitzstandswahrung erreicht werden. Einen Besitzstand hatte der Kläger nach dem soeben Ausgeführten auch in der DDR aber gerade nicht erreicht.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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(2) Die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst gelten nicht für Versicherungsfälle in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind; für diese Versicherungsfälle ist § 1152 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, dass der zuletzt am 1. Juli 2001 angepasste Betrag aus § 1152 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung ab 1. Januar 2002 in Euro umgerechnet und auf volle Euro-Beträge aufgerundet wird.

(3) Für Versicherungsfälle im Zuständigkeitsbereich der Unfallversicherung Bund und Bahn nach § 125 Absatz 1, die nach dem 31. Dezember 1991 eingetreten sind, gilt § 85 Abs. 2 Satz 1 mit der Maßgabe, daß der Jahresarbeitsverdienst höchstens das Zweifache der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls geltenden Bezugsgröße (West) beträgt.

(4) Für Versicherte an Bord von Seeschiffen und für nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 versicherte Küstenschiffer und Küstenfischer ist § 1152 Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, daß an die Stelle der dort genannten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung § 92 dieses Buches tritt.

(5) Die Vorschriften über die Anpassung der vom Jahresarbeitsverdienst abhängigen Geldleistungen und über die Höhe und die Anpassung des Pflegegeldes gelten nicht für Versicherungsfälle in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet; für diese Versicherungsfälle sind § 1151 Abs. 1 und § 1153 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, daß an die Stelle der dort genannten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung § 44 Abs. 2 und 4 sowie § 95 dieses Buches treten. Abweichend von Satz 1 ist bei den Anpassungen ab dem 1. Juli 2001 der Vomhundertsatz maßgebend, um den sich die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet verändern. § 1151 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung gilt mit der Maßgabe, dass ab 1. Januar 2002 an die Stelle des Pflegegeldrahmens in Deutscher Mark der Pflegegeldrahmen in Euro tritt, indem die zuletzt am 1. Juli 2001 angepassten Beträge in Euro umgerechnet und auf volle Euro-Beträge aufgerundet werden.

(6) Für die Feststellung und Zahlung von Renten bei Versicherungsfällen, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind, ist § 1154 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, daß an die Stelle der dort genannten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung die §§ 56 und 81 bis 91 dieses Buches treten.

(7) Für die Feststellung und Zahlung von Leistungen im Todesfall ist § 1155 Abs. 1 Satz 2 und 3 sowie Abs. 2 und 3 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, daß an die Stelle der dort genannten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung § 65 Abs. 3 und § 66 dieses Buches treten. Bestand am 31. Dezember 1991 nach dem in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet geltenden Recht ein Anspruch auf Witwenrente, Witwerrente oder Waisenrente, wird der Zahlbetrag dieser Rente so lange unverändert weitergezahlt, wie er den Zahlbetrag der Rente, die sich aus den §§ 63 bis 71 und aus Satz 1 ergeben würde, übersteigt.

(8) Die Vorschrift des § 1156 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung ist weiter anzuwenden.

(9) (weggefallen)

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landesozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 2012 und des Sozialgerichts Köln vom 29. Juli 2010 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt 2/3, die Beigeladene zu 2. trägt 1/3 der Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Kläger trägt die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens.

Außergerichtliche Kosten sind den Beteiligten nicht zu erstatten.

Der Streitwert wird auf 862,16 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung eines Betrags, der ihm nach dem Tod eines Rentenberechtigten von dessen Konto überwiesen wurde.

2

Die im Jahre 1927 geborene und am 5.6.2006 verstorbene Versicherte bezog im Sterbemonat Altersrente. Am 6.6.2006 beantragte der verwitwete Ehegatte beim Renten Service der Deutschen Post AG für den Zeitraum vom 1.7. bis 30.9.2006 den Sterbequartalsvorschuss, der auf dem Konto des Witwers bei der Kreissparkasse K. (KSK) am 16.6.2006 einging (iHv 2266,34 Euro). Der Betrag setzte sich aus dem dreifachen Betrag der zuletzt an die Versicherte gezahlten Altersrente (3 x 734,52 Euro) zzgl Beitragserstattungen (iHv 62,78 Euro) zusammen.

3

Der Kläger, Inhaber eines Bestattungshauses, stellte dem Witwer die Kosten für die Beerdigung der Versicherten am 16.6.2006 in Rechnung (iHv 2862,16 Euro). Hiervon wurde ein Teilbetrag (iHv 2000 Euro) am 26.6.2006 beglichen. Am 11.7.2006 verstarb auch der verwitwete Ehegatte. Am 2.8.2006 überwies die bevollmächtigte Tochter vom Konto ihres verstorbenen Vaters den Restbetrag iHv 862,16 Euro an den Kläger. Am selben Tag wurden von diesem Konto 470 Euro zugunsten der Stadt M. (Beigeladene zu 1.) abgebucht. Am 3.8.2006 erfolgte eine weitere Abbuchung für die im August 2006 fällige Miete iHv 377,05 Euro zugunsten der E. Baugesellschaft mbH (Beigeladene zu 2.). Danach befand sich das Konto seit der Überweisung des Sterbequartalsvorschusses erstmals im Soll.

4

Am 2.8.2006 erfuhr die Beklagte vom Tod des Witwers. Sie berechnete den für den Zeitraum vom 1.8. bis 30.9.2006 überzahlten Rentenbetrag (iHv 1420,44 Euro = 1469,04 Euro abzüglich Beitragserstattungen iHv 48,60 Euro), den sie dem kontoführenden Geldinstitut am 15.8.2006 mitteilte. Nach Auskunft der KSK stand das Konto des Witwers am Tag des Rückforderungsersuchens der Beklagten (am 15.8.2006) im Soll (Minus von 376,03 Euro).

5

Nach Anhörung des Klägers forderte die Beklagte den Betrag iHv 862,16 Euro nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI vom Kläger zurück(Bescheid vom 13.12.2006; Widerspruchsbescheid vom 10.7.2007). Zur Begründung führte sie aus, dass nach Ablauf des Todesmonats des Witwers (Juli 2006) von dessen Konto eine Überweisung in der streitigen Höhe auf das Konto des Klägers erfolgt sei. Dieser sei als Empfänger der unter Vorbehalt erbrachten Rentenleistung zur Erstattung verpflichtet.

6

An die Beigeladenen ergingen ebenfalls Rückforderungsbescheide (vom 20.5.2008) wegen der am 2. und 3.8.2006 an sie erfolgten Abbuchungen vom Konto des verstorbenen Witwers. Die Widerspruchsverfahren sind bei der Beklagten noch anhängig.

7

Das Klage- und Berufungsverfahren war erfolgreich (Urteile SG Köln vom 29.7.2010; LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.5.2012). Das SG hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben, weil § 118 Abs 4 SGB VI nur von vornherein zu Unrecht erbrachte Rentenleistungen erfasse. Das LSG hat diese Entscheidung nach (notwendiger) Beiladung der Beigeladenen zu 1. und 2. bestätigt und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, es existiere keine Rechtsgrundlage, nach der die Beklagte den streitigen Betrag durch Verwaltungsakt vom Kläger zurückfordern durfte. § 118 Abs 4 S 1 SGB VI scheide als Rechtsgrundlage aus, weil der Sterbequartalsvorschuss keine laufende Geldleistung, sondern eine Einmalzahlung sei.Es handele sich um einen Vorschuss sui generis (Hinweis auf LSG für das Saarland vom 13.4.2000 - L 1 A 20/97; BSGE 57, 38 = SozR 1200 § 42 Nr 3; aA LSG Baden-Württemberg vom 30.3.1999 - L 13 RA 3463/98); dieser sei zudem rechtmäßig nach § 7 Abs 1 S 1 der Renten Service Verordnung(RentSV) geleistet worden. Die Rückforderung könne auch nicht auf - eine entsprechende Anwendung von - § 42 Abs 2 S 2 SGB I gestützt werden, weil der Kläger nicht Empfänger des Vorschusses gewesen sei. Dem Kläger sei auch kein "entsprechender Betrag" iS von § 118 Abs 3 und 4 SGB VI überwiesen worden, weil es an der notwendigen wirtschaftlichen Identität von Vorschuss und an den Kläger überwiesenen Betrag mangele(Hinweis auf BSG SozR 4-2600 § 118 Nr 2; BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 9).

8

Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten. Sie rügt eine Verletzung von § 118 Abs 3 und Abs 4 SGB VI. Nach diesen Vorschriften sei sie berechtigt, die Erstattung des streitigen Betrags vom Kläger zu verlangen. Das LSG habe den Begriff der Geldleistungen iS dieser Vorschriften unzutreffend ausgelegt. Bei dem Sterbequartalsvorschuss handele es sich um die für die ersten drei Monate nach dem Tod des Versicherten zustehende Witwen- oder Witwerrente, die vom Renten Service der Deutschen Post AG ausgezahlt werde. Die vorschussweise Auszahlung in einer Summe berühre nicht den Charakter einer laufenden Geldleistung. Sofern der Berechtigte vor Ablauf der drei Monate versterbe, entfalle der Rechtsanspruch auf die Witwen- bzw Witwerrente nach Ablauf des Todesmonats (§ 102 Abs 5 SGB VI).

9

Die Anwendung von § 118 Abs 3 und 4 SGB VI setze lediglich voraus, dass die Geldleistung "für die Zeit nach dem Tode des Berechtigten" erbracht worden sei(Hinweis auf LSG Baden-Württemberg vom 30.3.1999 - L 13 RA 3463/98). Auf die wirtschaftliche Identität des Teils des unrechtmäßig gezahlten Rentenbetrags komme es nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG nicht mehr an. Die bis dahin vertretene Rechtsansicht (vgl noch BSG SozR 4-2600 § 118 Nr 2 S 7; SozR 3-2600 § 118 Nr 9 S 63)habe der 5. Senat in den Urteilen vom 3.6.2009 (B 5 R 65/07 R und B 5 R 120/07 R - BSGE 103, 206 = SozR 4-2600 § 118 Nr 10) aufgegeben und sich insoweit dem Urteil des 9. Senats vom 9.12.1998 (BSGE 83, 176 = SozR 3-2600 § 118 Nr 4)angeschlossen.

10

Die Beklagte beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 2012 und des Sozialgerichts Köln vom 29. Juli 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

Der Kläger beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

12

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. In der vorliegenden Konstellation sei § 118 Abs 4 SGB VI nicht einschlägig. Vorrangig seien § 7 Abs 3 RentSV iVm § 42 Abs 2 SGB I anzuwenden. Da er aber keinen Vorschuss erhalten haben, seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

13

Die Beigeladene zu 1. stellt keinen Antrag und schließt sich den Ausführungen der Beigeladenen zu 2. an.

14

Die Beigeladene zu 2. beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

15

Sie weist darauf hin, dass dem Mietkonto der verstorbenen Eheleute für die Zeit ab 1.8.2006 keine Miete mehr gutgeschrieben worden sei. Die zunächst per Einzugsermächtigung abgebuchten Beträge für die Monate August und September 2006 seien rückbelastet worden.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.5.2012 und des SG Köln vom 29.7.2010 waren daher aufzuheben und die Klage war abzuweisen.

17

A. Der Senat ist nicht an einer Sachentscheidung gehindert, weil das LSG die Beigeladenen zu 1. und 2. notwendig beigeladen hat, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Denn sie sind nicht derart an dem Rechtsverhältnis beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 Halbs 1 SGG). Die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung ist stets dann gegeben und muss von Amts wegen ausgesprochen werden, wenn durch die Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingegriffen wird (stRspr; vgl BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 18). Notwendig ist die Identität des Streitgegenstandes im Verhältnis beider Hauptbeteiligter zu dem Dritten (vgl BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1, RdNr 5). Die Beklagte hat gegenüber den Beigeladenen zu 1. und zu 2. jeweils eigenständige Rückforderungsbescheide nach § 118 Abs 4 S 1 Alt 1 SGB VI erlassen. Die hier getroffene Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheids gegen den Kläger greift weder unmittelbar in die Rechtssphäre der Beigeladenen zu 1. oder 2. ein noch sind sie von der Rechtskraftwirkung der Entscheidung gegenüber dem Kläger unmittelbar betroffen. Für eine notwendige Beiladung reicht es nicht aus, wenn lediglich die tatsächlichen Verhältnisse eine einheitliche Entscheidung erfordern (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 Nr 10 mwN). Der Senat hat die Beigeladenen darauf hingewiesen, dass hier lediglich ein Fall der einfachen Beiladung gemäß § 75 Abs 1 SGG vorliegt. Für ein berechtigtes Interesse im Sinne dieser Vorschrift genügen bereits ideelle oder tatsächliche Interessen, sofern diese durch die Entscheidung beeinflusst werden können (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO § 75 RdNr 8). Davon ist vorliegend auszugehen.

18

Schließlich steht einer Sachentscheidung des Senats auch nicht entgegen, dass das LSG von der Beiladung des Geldinstituts abgesehen hat. Zwar wird die Notwendigkeit der Beiladung (§ 75 Abs 2 SGG)des Geldinstituts bei der Geltendmachung des Anspruchs nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI unterschiedlich beurteilt(bejahend: BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 45 S 99; offengelassen in BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 9 S 67; verneinend: BSGE 83, 176, 185 f = SozR 3-2600 § 118 Nr 4 S 40). Doch selbst im Fall einer unterbliebenen notwendigen Beiladung zieht dies keine Aufhebung des angefochtenen Urteils und keine Zurückverweisung nach sich, wenn sich im Revisionsverfahren ergibt, dass die zu treffende Entscheidung aus Sicht des Revisionsgerichts das Geldinstitut - wie hier - nicht benachteiligen kann (stRspr, vgl zuletzt Senatsurteil vom 31.10.2012 - SozR 4-1300 § 106 Nr 1 RdNr 41 mwN).

19

B. Die Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG), mit der der Kläger die Aufhebung des an ihn gerichteten Rückforderungsbescheids über den Betrag von 862,16 Euro begehrt (§ 123 SGG), ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Rückforderungsbescheid vom 13.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.7.2007 erweist sich als rechtmäßig.

20

Wird ein belastender Verwaltungsakt mit der Anfechtungsklage angegriffen, ist für die rechtliche Beurteilung grundsätzlich der Zeitpunkt seines Erlasses maßgeblich (stRspr, vgl Senatsurteil vom 10.7.2012 - SozR 4-2600 § 118 Nr 11 RdNr 17; BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 2 S 11; vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 54 RdNr 33). Bei der im Zeitpunkt der Erteilung des Widerspruchsbescheids maßgeblichen Sach- und Rechtslage war hier auf § 118 Abs 3 und Abs 4 SGB VI in der bis zum 31.12.2007 gültigen Fassung abzustellen (idF des Gesetzes vom 20.4.2007 , die sich von der mit Wirkung vom 9.4.2013 in Kraft getretenen aktuellen Fassung in hier nicht relevanter Weise § 118 abs 3 s 1 sgb vi: "geldinstitut im inland"> unterscheidet).

21

Nach § 118 Abs 4 S 1 Alt 1, S 2 SGB VI war die Beklagte berechtigt, die Erstattung des am 2.8.2006 vom Konto des verstorbenen Witwerrentenempfängers an den Kläger überwiesenen Betrags in Höhe von 862,16 Euro durch Verwaltungsakt zu verlangen.

22

Ein vorrangiger anderer Erstattungsanspruch gegen den Kläger kommt nicht in Betracht (1.) Bei dem Sterbequartalsvorschuss nach § 7 Abs 3 S 1 RentSV handelt es sich um unter Vorbehalt erbrachte Geldleistungen iS von § 118 Abs 3 und Abs 4 SGB VI (2.). Ein vorrangiger Anspruch der Beklagten gegen das Geldinstitut auf Rücküberweisung des Betrags besteht nicht (3.). Der Kläger ist als mittelbarer Empfänger der durch das Geldinstitut überwiesenen Geldleistungen der Beklagten zur Erstattung verpflichtet (4.). Die bindenden Feststellungen des LSG tragen dieses Ergebnis (5.). Dem Rückforderungsbescheid steht kein verfahrensrechtliches Hindernis entgegen (6.).

23

1. Wie das LSG im Ergebnis zu Recht annimmt, kann der Erstattungsanspruch weder unmittelbar noch in entsprechender Anwendung (über § 7 Abs 3 S 1 RentSV idF des Gesetzes vom 9.12.2004, BGBl I 3242) auf die Erstattungsregelung für überzahlte Vorschüsse nach § 42 Abs 2 S 2 SGB I gestützt werden. Denn der Kläger hat keinen Vorschuss erhalten. Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 42 Abs 1 S 1 SGB I setzt die Zahlung eines Vorschusses voraus, dass ein Anspruch auf Zahlung von Geldleistungen dem Grunde nach besteht. Einen solchen Anspruch hatte der Kläger im Verhältnis zum beklagten Rentenversicherungsträger aber nicht.

24

Für diese Konstellation sieht vielmehr § 118 Abs 4 S 1 SGB VI einen speziellen Erstattungsanspruch für zu Unrecht gezahlte Geldleistungen vor, die für den Zeitraum nach dem Tod des rentenberechtigten Kontoinhabers auf ein Konto bei einem Geldinstitut gezahlt worden sind. Diese Norm erfasst einen größeren Kreis von potentiell gleichrangigen Erstattungspflichtigen, die in keinem Sozialleistungsverhältnis zum Rentenversicherungsträger stehen, namentlich unmittelbare und mittelbare Empfänger von solchen Geldleistungen bzw Verfügende über solche Geldleistungen bzw die Erben (vgl dazu zuletzt Senatsurteil vom 10.7.2012 - SozR 4-2600 § 118 Nr 11 RdNr 26 ff mwN). Daher wird der Erstattungsanspruch nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI auch nicht durch § 7 Abs 3 S 1 RentSV iVm § 42 Abs 2 S 2 SGB I verdrängt.

25

2. Nach § 118 Abs 3 S 1 SGB VI gelten Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto bei einem Geldinstitut überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht. § 118 Abs 3 S 2 bis 4 SGB VI regeln die vorrangige Verpflichtung des Geldinstituts zur Rücküberweisung; sie besteht nur dann nicht, wenn über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde und die Rücküberweisung auch nicht aus einem Guthaben erfolgen kann (S 3); zur Befriedigung eigener Forderungen darf das Geldinstitut den überwiesenen Betrag nicht verwenden (S 4).

26

Entgegen der Ansicht des LSG handelt es sich beim Sterbequartalsvorschuss um unter Vorbehalt erbrachte "Geldleistungen" nach § 118 Abs 3 SGB VI(so auch Ruland in GK-SGB VI, Stand Sept 2013, § 118 RdNr 29; KomGRV, Stand März 2010, § 118 SGB VI RdNr 6.2; Kühn in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl 2013, § 118 RdNr 26; im Ergebnis auch LSG Baden-Württemberg vom 30.3.1999 - L 13 RA 3463/98; unklar LSG Berlin-Brandenburg vom 14.3.2013 - L 22 R 1071/11 - Juris RdNr 59 ff; aA LSG für das Saarland vom 13.4.2000 - L 1 A 20/97 - vor Inkrafttreten von § 118 Abs 4 SGB VI; offen gelassen von Körner in Kasseler Komm, Stand Dez 2012, § 118 SGB VI RdNr 20). Dem steht nicht Rechtsprechung des BSG entgegen, die die Rückerstattung von auf Hinterbliebenenrente gezahlten Vorschüssen auf § 42 Abs 2 S 2 SGB I gestützt hat(vgl BSGE 57, 38 = SozR 1200 § 42 Nr 3). Im dort entschiedenen Fall ging es um die Frage der Rückforderung von anrechnungsfähigen Vorschüssen, die an den überlebenden Vorschussempfänger (Witwe) gezahlt worden waren.

27

Dass der Sterbequartalsvorschuss eine Geldleistung iS von § 118 Abs 3 und Abs 4 SGB VI ist, folgt aus seinem Sinn und Zweck unter Berücksichtigung des Zusammenspiels der nachstehend aufgezeigten Normen(vgl unten a und b). Der Sterbequartalsvorschuss ist nichts anderes als die im Voraus für die ersten drei Monate nach dem Sterbemonat gezahlte Witwen- bzw Witwerrente (§ 46 SGB VI) in Höhe der zuletzt gezahlten Versichertenrente. Die vorschussweise Zahlung ermöglicht den nahtlosen Übergang von der Versicherten- zur Witwen- bzw Witwerrente und stellt den Unterhalt des Hinterbliebenen auch im Fall erhöhter Aufwendungen infolge des Todesfalls sicher. Wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, ändert die zusammenfassende vorschussweise Auszahlung der an sich monatlich zu zahlenden Witwen- bzw Witwerrente in einer Summe nicht den Charakter der Hinterbliebenenrente als solche (vgl allgemein BSG SozR 4-1200 § 56 Nr 3 RdNr 23 unter Hinweis auf BT-Drucks 7/868 S 31; vgl auch Ruland in GK-SGB VI, Stand März 2012, § 119 RdNr 15). Dann aber besteht kein plausibler Grund, den überzahlten Sterbequartalsvorschuss anders zu behandeln als die überzahlte Witwen- bzw Witwerrente, die nach § 102 Abs 5 SGB VI nur bis zum Ende des Monats geleistet wird, in dem der Berechtigte verstorben ist.

28

a) Bereits in den Vorläufervorschriften des SGB VI (vgl § 1268 Abs 5 RVO, § 45 Abs 5 AVG, § 69 Abs 5 RKG) war eine - ursprünglich dem Beamtenrecht entlehnte - Regelung über die Höhe der Witwen- und Witwerrente für die ersten drei Monate enthalten. Damit sollten dem hinterbliebenen Ehegatten die mit der letzten Krankheit des Verstorbenen und dem Todesfall verbundenen Aufwendungen teilweise abgenommen und die Umstellung auf die neuen Lebensverhältnisse finanziell erleichtert werden (vgl BVerfGE 32, 365, 369 = SozR Nr 92 zu Art 3 GG; BSG SozR Nr 4 zu § 1268 RVO Bl Aa 4; BSGE 66, 134, 138 = SozR 3-4100 § 138 Nr 1 S 5). Die im Sterbevierteljahr gezahlte Rente war keine Rente eigener Art (vgl dazu BSG SozR Nr 1 zu § 69 RKG Bl Aa 2).

29

Unter Geltung des SGB VI finden sich die entsprechenden Regelungen in der Vorschrift über den Rentenartfaktor (§ 67 Nr 5 und 6 SGB VI); dieser beträgt 1,0 bei Witwen- und Witwerrenten bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats, in dem der Ehegatte verstorben ist. Zudem regelt § 115 Abs 2 SGB VI, dass Anträge von Witwen oder Witwern auf Zahlung eines Vorschusses auf der Grundlage der für den Sterbemonat an den verstorbenen Ehegatten geleisteten Rente als Anträge auf Leistung einer Witwen- oder Witwerrente gelten. Um den Zweck der wirtschaftlichen Sicherung des Hinterbliebenen eines Versicherten (vgl § 4 Abs 2 S 2 SGB I)sicherzustellen, war es notwendig, Abweichendes von der allgemeinen Regelung über die Fälligkeit von laufenden Renten (§ 118 Abs 1 SGB VI bzw § 272a SGB VI für Renten mit Beginn vor dem 1.1.2004) zu bestimmen.

30

b) Regelungen über die Zahlungsmodalitäten der Witwen- bzw Witwerrente im Sterbevierteljahr finden sich nicht unmittelbar im SGB VI, sondern in der RentSV (zuletzt geändert durch die Erste Verordnung zur Änderung der RentSV vom 14.10.2103, BGBl I 3866 - vormals Postrentendienstverordnung vom 28.7.1994, BGBl I 1867). Nach der Verordnungsermächtigung in § 120 Nr 1 iVm § 119 Abs 1 SGB VI darf der Inhalt der durch die Deutsche Post AG wahrzunehmenden Aufgaben der Träger der Rentenversicherung durch Rechtsverordnung geregelt werden. Die Träger der allgemeinen Rentenversicherung zahlen laufende Geldleistungen mit Ausnahme des Übergangsgeldes durch die Deutsche Post AG aus (§ 119 Abs 1 S 1 SGB VI). Die Auszahlung anderer als laufender Geldleistungen durch die Deutsche Post AG ist in das Ermessen der Rentenversicherungsträger gestellt (§ 119 Abs 1 S 2 SGB VI; vgl dazu Ruland in GK-SGB VI, Stand März 2012, § 119 RdNr 15, 16).

31

Die auf dieser Grundlage erlassene RentSV bezeichnet den "Sterbequartalsvorschuß" auch als solchen (§ 7 Abs 1 S 1 Halbs 1 RentSV)und regelt das Verfahren seiner Auszahlung. Der Renten Service der Deutschen Post AG soll an Witwen oder Witwer (seit 2009 auch an überlebende Lebenspartner) verstorbener Berechtigter einer Rente wegen Alters (oder Erwerbsminderung) im Inland auch ohne Auftrag des Rentenversicherungsträgers einen Vorschuss für die ersten drei Kalendermonate nach dem Tod des Berechtigten zahlen, wenn der Vorschuss innerhalb eines Monats nach dem Tod des Berechtigten schriftlich unter Vorlage eines Sterbenachweises beantragt wird (§ 7 Abs 1 S 1 RentSV).Der Vorschuss wird auf der Grundlage des Dreifachen der dem verstorbenen Berechtigten im Sterbemonat zu zahlenden Rente errechnet (§ 7 Abs 2 RentSV).

32

c) Entgegen der Ansicht des LSG steht diesem Ergebnis auch nicht der Wortlaut von § 118 Abs 3 S 1 bzw Abs 4 S 1 SGB VI entgegen; dieser setzt keine "laufenden Geldleistungen", sondern lediglich "Geldleistungen" voraus. Bei der vorschussweise gezahlten Witwen- bzw Witwerrente (§ 46 SGB VI) handelt es sich ohne Zweifel um Geldleistungen. Der Senat kann daher dahingestellt lassen, ob es sich beim dem Sterbequartalsvorschuss auch um "laufende Geldleistungen" iS des § 118 Abs 1 SGB VI handelt. Die Verordnungsermächtigung von § 120 Nr 1 iVm § 119 Abs 1 SGB VI(vgl dazu oben b) bezieht sich jedenfalls auch auf andere als laufende Geldleistungen.

33

d) Zudem spricht der Regelungszusammenhang von § 118 Abs 3 und Abs 4 SGB VI gegen die Ansicht des LSG. Wie das BSG bereits entschieden hat, ist im Kontext von § 118 Abs 3 und Abs 4 SGB VI für den Begriff der Geldleistungen nicht auf die Definition iS von § 11 S 1 SGB I abzustellen. Im dortigen Zusammenhang ist mit Geldleistung der "Gegenstand" eines sozialen Rechts, dh die gerade zur Erfüllung eines sozialen Rechts erbrachte Geldleistung gemeint (§ 2 Abs 2 S 1 SGB I; vgl BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 9 S 63; SozR 3-2600 § 118 Nr 11 S 77).

34

§ 118 Abs 3 und Abs 4 SGB VI stellen mit dem Begriff "Geldleistungen" allein auf den Wert des Betrags ab, der gerade deshalb zugeflossen ist, weil der Erfüllungszweck der Rentenüberweisung wegen des Todes des Empfängers nicht mehr erreicht werden kann(vgl BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 9 S 64). Mit der Gutschrift auf dem Konto des Rentenberechtigten verliert die Rentenzahlung ihren ursprünglichen Charakter als Sozialleistung (vgl BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 11 S 78; BSGE 83, 176, 180 = SozR 3-2600 § 118 Nr 4 S 34). Deshalb nimmt § 118 Abs 4 S 1 Alt 1 SGB VI zum Schutz der Beitragszahler vor einer Belastung durch rechtsgrundlos erbrachte Leistungen auch einen Personenkreis in Anspruch, der weder am Sozialrechtsverhältnis des Versicherten noch an seiner bankvertraglichen Beziehung zum kontoführenden Geldinstitut Anteil hat, noch zu erkennen vermag, dass der ihm zugewandte Geldwert ganz oder teilweise gerade dem Betrag der Geldleistung entspricht(vgl BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 10 S 70).

35

e) Im Ergebnis greift damit entgegen der Ansicht des LSG der in § 118 Abs 3 S 1 SGB VI normierte Vorbehalt. Denn wie das BSG bereits entschieden hat (vgl BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 45 S 97), kommt es auch nicht darauf an, ob die Geldleistung noch zu Lebzeiten oder erst nach dem Tod des Rentenberechtigten auf dessen Konto überwiesen worden ist. Schon der eindeutige Wortlaut von § 118 Abs 3 S 1 SGB VI stellt lediglich darauf ab, dass die Geldleistungen "für die Zeit nach dem Tode des Berechtigten" auf ein Konto bei einem Geldinstitut überwiesen wurden; diese gelten als unter Vorbehalt erbracht. Mit dem Tod des Berechtigten entfällt somit auch rückwirkend der Rechtsgrund für das Behaltendürfen bereits erbrachter Leistungen (vgl BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 45 S 97). Die Zahlung des Sterbequartalsvorschusses ist daher für die Monate August und September 2006 zu Unrecht erfolgt. Nach § 102 Abs 5 SGB VI besteht ein Anspruch auf Zahlung der Witwerrente nur bis zum Ende des Kalendermonats, in dem der Berechtigte verstorben ist (hier bis einschließlich Juli 2006).

36

3. Wenn ein Rentenbetrag im unbaren Zahlungsverkehr auf ein Konto des Rentenberechtigten bei einem Geldinstitut überwiesen worden ist, kommt ein eigenständiger Erstattungsanspruch des Rentenversicherungsträgers gegen den Empfänger der Geldleistungen nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI aber nur dann in Betracht, soweit kein Rücküberweisungsanspruch gegen das Geldinstitut nach § 118 Abs 3 S 2 SGB VI besteht. Eine solche gegen das Geldinstitut gerichtete - vorrangige - Rücküberweisungspflicht an die Beklagte bestand nach § 118 Abs 3 S 3 SGB VI nicht.

37

a) Der Rentenversicherungsträger durfte gegen Dritte nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI(nach den vom 1.1.1996 bis 28.6.2002 gültigen Gesetzesfassungen) erst und nur dann vorgehen, wenn "die Geldleistung" - berechtigt - "nicht nach Absatz 3 von dem Geldinstitut zurücküberwiesen wird" (vgl hierzu die stRspr, BSGE 82, 239, 243 = SozR 3-2600 § 118 Nr 3 S 19; BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 9 S 61 f; Nr 10 S 69; Senatsurteile vom 14.11.2002 - B 13 RJ 7/02 R - Juris RdNr 19; vom 7.10.2004 - B 13 RJ 2/04 R - Juris RdNr 22). Ein prozessuales und materielles Vorrangverhältnis des Rücküberweisungsanspruchs gegen das Geldinstitut besteht ungeachtet der Neufassung des § 118 Abs 4 S 1 SGB VI(mit Gesetz vom 21.6.2002, BGBl I 2167 mWv 29.6.2002) gegenüber dem in dieser Vorschrift genannten Personenkreis von Empfängern und Verfügenden weiterhin. In den Gesetzesmaterialien finden sich keine Anhaltspunkte, dass die vorrangige Einstandspflicht des Geldinstituts geändert werden sollte (vgl BT-Drucks 14/9007, S 36; ferner Ruland in GK-SGB VI, Stand Sept 2013, § 118 RdNr 7).

38

b) Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob nach der rechtsgrundlos überwiesenen Rentenleistung noch sonstige Gutschriften Dritter auf dem Konto des Rentenberechtigten bei der KSK eingegangen sind und ob das Geldinstitut über diese bis zum Eingang der Rückforderung durch den Rentenversicherungsträger anderweitig verfügt hat.

39

Soweit der Senat bisher zu § 118 Abs 3 S 3 Halbs 1 SGB VI und der dortigen Wendung "über den entsprechenden Betrag bei Rückforderung anderweitig verfügt" die Ansicht vertreten hat, dass das Guthaben bei Eingang der ohne Rechtsgrund überwiesenen Rentengutschrift und die Beträge der weiteren danach auf dem Konto eingegangenen Gutschriften von den ausgeführten anderweitigen Verfügungen abzusetzen seien, weil die rechtsgrundlose Rentengutschrift bzw der "entsprechende Betrag" zur Ausführung der "anderweitigen Verfügung" gar nicht benötigt würden, wenn die das Überweisungskonto belastende Verfügung mit dem Wert aus anderen Quellen stammender Gelder ausgeführt werden könnte mit der Folge, dass der Wert der fehlüberwiesenen Rentenleistung im Vermögen des Geldinstituts geblieben wäre(so noch Senatsurteile vom 13.11.2008 - SozR 4-2600 § 118 Nr 9 RdNr 44; ähnlich vom 29.11.2007 - B 13 RJ 40/05 R - Juris RdNr 17), gibt der Senat diese Rechtsprechung entsprechend seiner Ankündigung im Termin vom 17.4.2012 (zum unstreitig erledigten Rechtsstreit B 13 R 53/10 R - vgl Terminbericht Nr 20/2012) auf.

40

Der Senat schließt sich insofern der Rechtsprechung des 5. und 9. Senats aus den dort genannten Gründen an (BSGE 103, 206 = SozR 4-2600 § 118 Nr 10, RdNr 41 ff; BSG vom 3.6.2009 - B 5 R 65/07 R - Juris RdNr 35 ff; BSG vom 9.12.1998 - BSGE 83, 176, 184 = SozR 3-2600 § 118 Nr 4 S 38 f). Danach steht der Umstand, dass neben belastenden Verfügungen iS des § 118 Abs 3 S 3 SGB VI und dem Eingang der Rückforderung noch Gutschriften Dritter auf dem Konto des Geldinstituts eingegangen sind, einer Befreiung des Geldinstituts von der Rückzahlungspflicht nicht entgegen, solange die Gutschriften nicht bis zum Zeitpunkt der Rückforderung zu einem Habensaldo geführt haben. Soweit dies nicht der Fall ist, kann die Bank iS des § 118 Abs 3 S 3 SGB VI stets geltend machen, dass "sämtliche" Verfügungen die eingegangene Gutschrift der Sozialleistung wieder aufgezehrt haben. Dies bedeutet, dass soweit der Auszahlungseinwand des § 118 Abs 3 S 3 Halbs 1 SGB VI greift, weil kein Guthaben vorhanden ist(Halbs 2) und das Geldinstitut keine eigenen Forderungen befriedigt hat (§ 118 Abs 3 S 4 SGB VI), die Rückabwicklung der rechtswidrigen Rentenzahlung scheitert und der Rentenversicherungsträger nach § 118 Abs 4 SGB VI vorgehen muss. Im Interesse einer einfachen und raschen Rückabwicklung der fehlerhaften Rentenzahlung bedeutet dies, dass die zeitliche Reihenfolge von Gutschriften im Verhältnis zur rechtsgrundlosen Rentenüberweisung oder zu anderweitigen Verfügungen keine Rolle spielt.

41

4. Nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI sind - soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind - sowohl die Personen, die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger) - Alt 1 - , als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende) - Alt 2 -, dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrags verpflichtet.

42

Vorliegend greift der Erstattungsanspruch gegen den Geldleistungsempfänger. Danach sind Empfänger von Geldleistungen zum einen die Personen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben (§ 118 Abs 4 S 1 Halbs 1 Alt 1 SGB VI). Eine solche Konstellation scheidet hier von vornherein aus.

43

Daneben zählen zu den Geldleistungsempfängern (§ 118 Abs 4 S 1 Halbs 1 Alt 2 SGB VI)auch Personen, die das Geld mittelbar in Empfang genommen haben, zB jene, auf deren Konto der entsprechende Betrag durch ein bankübliches Zahlungsgeschäft weitergeleitet wurde. Sie haben die "fehlgeschlagenen" Geldleistungen durch eine das Geldinstitut nach § 118 Abs 3 SGB VI wirksam entreichernde Verfügung erlangt(vgl BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 10 S 70). Die Beklagte ist auch gegenüber diesem Personenkreis befugt, den Erstattungsanspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen (§ 118 Abs 4 S 2 SGB VI).

44

Die Erstattungspflicht gegenüber einem Geldleistungsempfänger nach § 118 Abs 4 S 1 SGB VI setzt schließlich voraus, dass gerade infolge des ihn begünstigenden Überweisungsvorgangs der Rücküberweisungsanspruch des Versicherungsträgers gegen das Geldinstitut ausgeschlossen ist(vgl BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 9 S 62; BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 10 S 70 f; BSG SozR 3-2600 § 118 Nr 11 S 77).

45

5. Nach den Feststellungen des LSG hat das Geldinstitut den streitigen Betrag von 862,16 Euro nach dem Tod des Berechtigten, aber vor Eingang der Rückforderung vom Konto des verstorbenen Rentenberechtigten am 2.8.2006 abgebucht und auf das Konto des Klägers zur Begleichung der teilweise noch offenen Rechnung für die Bestattung der Versicherten überwiesen. Aus den vom LSG in Bezug genommenen Verwaltungs- und Gerichtsakten ergibt sich, dass die Beklagte zunächst das Geldinstitut auf Rückzahlung der Rentenüberzahlung in Anspruch genommen hatte und im Zuge dessen Auskünfte erhielt, wonach sich das Konto des Rentenberechtigten bei Eingang des Rücküberweisungsverlangens am 15.8.2006 im Soll befand, und dass ferner das Geldinstitut weitere Auskünfte über die Kontobewegungen seit Eingang des Sterbequartalsvorschusses erteilt hat. Damit stand infolge der Überweisung des streitigen Betrags an den Kläger kein Guthaben mehr auf dem Konto im Zeitpunkt der Rückforderung der Beklagten zur Verfügung. Nach den bindenden Feststellungen des LSG ist auch nicht ersichtlich, dass das Geldinstitut den überwiesenen Betrag zur Befriedigung eigener Forderungen verwendet hätte. Der Kläger war daher als Empfänger des entsprechenden Minderungsbetrags verpflichtet, ihn an die Beklagte zu erstatten, weil infolge dieser Verfügung das Guthaben für die Rücküberweisung des Rentenbetrags nicht mehr ausreichte.

46

6. Dem Erstattungsanspruch gegen den Kläger steht auch kein verfahrensrechtliches Hindernis entgegen. Auch wenn der an den Kläger gerichtete Rückforderungsbescheid und der Widerspruchsbescheid lediglich an das "Bestattungshaus H. S." gerichtet waren, ohne deutlich zwischen der Person des Inhabers (dem Kläger) und seiner Firma zu unterscheiden, ist der Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) gleichwohl wirksam ergangen. Denn ein Fehler in der Bekanntgabe des Verwaltungsakts (§ 37 Abs 1 SGB X) hätte nur dann Relevanz, wenn er die Wirksamkeit des Verwaltungsakts (§ 39 Abs 1 SGB X) betreffen würde; wenn die fehlerhafte Bekanntgabe an den "falschen Adressaten" überhaupt keine Bekanntgabe im Verhältnis zum richtigen Adressaten wäre (so Krasney in Kasseler Komm, Stand Mai 2013, § 37 SGB X RdNr 9) und die Nichtwirksamkeit eines Verwaltungsakts der Nichtigkeit gleichstünde (vgl Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 37 RdNr 21). Das ist vorliegend nicht der Fall.

47

Zwar ist die Firma eines Einzelkaufmanns im Zivilrecht an sich nicht parteifähig (vgl Vollkommer in Zöller, ZPO, 29. Aufl 2012, § 50 RdNr 26). Nichts anderes gilt auch für das Verwaltungsverfahren (§ 10 Nr 1, § 11 Abs 1 Nr 1 SGB X). Gleichwohl kann der Kaufmann in Angelegenheiten seines Handelsgeschäfts unter seiner Firma klagen und verklagt werden (§ 17 HGB). Wenn kein Zweifel besteht, wer mit der Firmenbezeichnung gemeint ist, so wird stets der Inhaber eines Geschäfts Partei im Rechtsverkehr (vgl Emmerich in Heymann, HGB, 2. Aufl 1995, § 17 RdNr 13 mwN; vgl auch BSG vom 22.3.2001 - B 12 RA 11/00 B - Juris RdNr 6 f). Bei verständiger Auslegung des streitigen Rückforderungsbescheids war hier der Kläger als Firmeninhaber Adressat des Bescheids.

48

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 und 2 SGG iVm § 154 Abs 1 und 3, § 159 VwGO. Danach waren der Beigeladenen zu 2. Kosten aufzuerlegen, weil sie im Revisionsverfahren einen eigenen Antrag gestellt hat. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3 GKG.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von zur gesetzlichen Unfallversicherung für die Jahre 1996 bis 2001 entrichteten Beiträgen streitig.

2

Die Klägerin betreibt seit 1983 einen Bade- und Saunabetrieb. Sie wurde von der Beklagten wegen der Unternehmensart "Masseure, Med. Bademeister, Kurbäder" mit dem Strukturschlüssel 5000 ab 1.1.1996 zur Gefahrtarifstelle 8 und Gefahrklasse 7,5, ab 1.1.2001 zur Gefahrklasse 6,8 veranlagt (Bescheide vom 28.6.1996 und 3.7.2001).

3

Mit Schreiben vom 16.1.2007 machte die Klägerin unter Hinweis auf den von ihr geführten Saunabetrieb eine Überprüfung ihrer Veranlagung sowie eine Beitragserstattung geltend. Die Beklagte veranlagte sie daraufhin ab 1.1.2007 nach dem Strukturschlüssel 5000 ("Masseure, medizinische Bademeister") zur Gefahrtarifstelle 8 und Gefahrklasse 6,5 sowie ab 1.2.2007 nach dem Strukturschlüssel 6000 ("Saunabetriebe") zur Gefahrtarifstelle 7 und Gefahrklasse 3,5 (Bescheide vom 5.2.2007).

4

Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 1.3.2007 Widerspruch gegen die Veranlagung für Januar 2007. Zudem beantragte sie, die Beitragsbescheide für die Jahre 1983 bis 2005 aufzuheben, die Beiträge nach der Gefahrtarifstelle 7 neu festzusetzen und überzahlte Beiträge zu erstatten. Die Beklagte half dem Widerspruch mit Bescheid vom 30.5.2007 ab. Darüber hinaus teilte sie mit, dass dem Antrag auf Änderung der Veranlagung rückwirkend für die Vergangenheit stattgegeben werde und die "Beitragsbescheide … innerhalb des Verjährungszeitraums des § 27 Abs 2 SGB IV zu berichtigen" seien. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 11.9.2007 darauf hingewiesen hatte, dass der Widerspruch auf "die Beitragserstattung der Jahre 1996 bis 2001 beschränkt" werde, wies die Beklagte den "Widerspruch vom 01.03.2007 (eingegangen am 03.03.2007) gegen den Veranlagungsbescheid vom 05.02.2007" zurück, "soweit ihm nicht bereits durch rückwirkende Beitragskorrektur ab dem Umlagejahr 2002 abgeholfen wurde". Die Erstattungsansprüche in Bezug auf die Umlagejahre 1996 bis 2001 seien verjährt (Widerspruchsbescheid vom 20.2.2008).

5

Das SG Berlin hat den Bescheid der Beklagten vom 5.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2008 insoweit aufgehoben, als die Erstattung rechtsgrundlos geleisteter Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 abgelehnt wurde und die Beklagte verurteilt, die Klägerin hinsichtlich dieses Erstattungsbegehrens neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 22.8.2011). Das LSG Berlin-Brandenburg hat das Urteil des SG geändert, die Beklagte unter Änderung ihres Bescheids vom 30.5.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2008 verpflichtet, die Veranlagungs- und Beitragsbescheide für die Jahre 1996 bis 2001 aufzuheben, die Klägerin für diesen Zeitraum zur Gefahrtarifstelle 7 (Saunabetriebe) zu veranlagen sowie Beiträge nach der jeweiligen Gefahrklasse der Gefahrtarifstelle 7 neu festzusetzen. Außerdem hat es die Beklagte verurteilt, die Klägerin hinsichtlich der Erstattung rechtsgrundlos geleisteter Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der schriftsätzlich gestellte Berufungsantrag sei im Sinne des Klagevorbringens auszulegen. Dem Beitragserstattungsanspruch habe eine Aufhebung der Veranlagungs- und Beitragsbescheide logisch voranzugehen. Mit der unzutreffenden Veranlagung gehe die Neufestsetzung der Beiträge einher. Gegen den daraus resultierenden Erstattungsanspruch stehe der Beklagten aber die Verjährungseinrede zu. Der Beginn der Verjährung sei nicht von der vorherigen Entstehung des Erstattungsanspruchs abhängig. Dafür spreche ungeachtet der nicht einheitlichen Rechtsprechung des BSG der eindeutige Wortlaut des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV. Gründe, welche die Erhebung der Verjährungseinrede als treuwidrig erscheinen ließen, seien nicht zu erkennen. Die Klägerin hätte die unrichtige Veranlagung ohne Weiteres erkennen können. Eine den Verzicht auf die Verjährungseinrede begründende Ermessensreduzierung auf Null liege nicht vor. Allerdings sei eine Ermessensausübung zugunsten der Klägerin in einem späteren Rückabwicklungsverfahren nicht ausgeschlossen (Urteil vom 23.1.2014).

6

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 SGB IV. Der Anspruch auf Beitragserstattung setze denklogisch die vorherige Aufhebung der zugrundeliegenden Veranlagungs- und Beitragsbescheide voraus. Damit könne die Verjährung erst mit der Entstehung des Erstattungsanspruchs in Lauf gesetzt werden. Im Falle der Verjährung eines rückwirkend entstehenden Erstattungsanspruchs würde der mit ihr verfolgte Zweck vereitelt. § 27 Abs 2 SGB IV gehe vom Regelfall aus, dass Beiträge ohne zugrundeliegenden Verwaltungsakt rechtsgrundlos geleistet würden. Erst mit der Aufhebung des Beitragsbescheids seien Beiträge "zu Unrecht" im Sinne dieser Vorschrift geleistet. Für diese Rechtsansicht spreche nicht nur die Rechtsprechung des BSG zur Arbeitslosenversicherung, sondern auch der systematische Zusammenhang mit § 160 Abs 2 Nr 2 SGB VII. Da die Überzahlung der Beiträge auf einer fehlerhaften Veranlagung der Beklagten beruhe, stelle die Erhebung der Verjährungseinrede im Übrigen eine unzulässige Rechtsausübung dar.

7

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Januar 2014 und des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr überzahlte Beiträge in Höhe von 31 045,71 Euro zu erstatten.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Die auf Beitragserstattung gerichtete Klage sei unzulässig, weil es insoweit an einem durchgeführten Vorverfahren fehle. Im Übrigen stelle § 27 SGB IV für den Verjährungsbeginn auf den Zeitpunkt ab, in dem die Beiträge entrichtet worden seien. Die Verjährung könnte niemals eintreten, wenn sie erst mit der Aufhebung der Beitragsbescheide beginnen würde.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision, mit der nur noch die Erstattung überzahlter Beiträge begehrt wird, ist zulässig aber unbegründet.

11

Allerdings ist die Klage zulässig erhoben worden. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG), mit der unter Aufhebung entgegenstehender Verwaltungsakte die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung überzahlter Beiträge geltend gemacht wird. Eine solche Anfechtungsklage ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). An dieser Klagebefugnis fehlt es zwar, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt (BSG vom 14.11.2002 - B 13 RJ 19/01 R - BSGE 90, 127, 130 = SozR 3-5795 § 10d Nr 1 S 4), weil hinsichtlich des Klagebegehrens eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung nicht vorliegt (BSG vom 28.10.2008 - B 8 SO 33/07 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 13). Solange der zuständige Unfallversicherungsträger nicht über einen Leistungsanspruch entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde (§ 88 SGG), kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben. Entsprechendes gilt für die mit der Anfechtungsklage kombinierte (unechte) Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Auch sie setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger die begehrte Leistung versagt hat und kommt daher vor dem Erlass einer ablehnenden Verwaltungsentscheidung nicht in Betracht (BSG vom 21.9.2010 - B 2 U 25/09 R - Juris RdNr 17).

12

Der Bescheid der Beklagten vom 30.5.2007 enthält bei verständiger Auslegung (§ 133 BGB) eine die Beitragserstattung versagende Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X. Den Inhalt eines Verwaltungsakts hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der Auslegung der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Ausschlaggebend ist der objektive Sinngehalt der Erklärung, das objektivierte Empfängerverständnis. Zur Bestimmung des objektiven Regelungsgehalts eines Verwaltungsakts kommt es darauf an, wie Adressaten und Drittbetroffene ihn nach Treu und Glauben verstehen mussten oder durften. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr 6, RdNr 15 mwN). Gemessen daran durfte die Klägerin aufgrund der Formulierung in dem Bescheid vom 30.5.2007, die "Beitragsbescheide sind innerhalb des Verjährungszeitraumes nach § 27 Abs. 2 SGB IV zu berichtigen" davon ausgehen, dass hiermit über ihren mit Schreiben vom 16.1.2007 gestellten und mit weiterem Schreiben vom 1.3.2007 wiederholten Antrag auf Erstattung überzahlter Beiträge für die Zeit von 1996 bis 2001 entschieden werden sollte. Aus der verlautbarten Erklärung wird deutlich, dass die Beklagte eine die Klägerin begünstigende Korrektur der Beitragsfestsetzung und damit eine Beitragserstattung ablehnt, weil und soweit ihr die Verjährung entgegensteht.

13

Über den Anspruch auf Beitragserstattung für die Jahre 1996 bis 2001 ist auch im Widerspruchsbescheid vom 20.2.2008 entschieden worden, sodass die Zulässigkeit der Klage ferner nicht an einem fehlenden Vorverfahren gemäß § 78 Abs 1 SGG scheitert. Durchgeführt ist ein Vorverfahren erst dann, wenn im Anschluss an eine Nachprüfung der mit dem Widerspruch angefochtenen Verwaltungsentscheidung ein auf diese bezogener Widerspruchsbescheid ergangen ist. Ob das der Fall ist, bestimmt sich ebenfalls durch Feststellung des objektiven Erklärungsinhalts des Widerspruchsbescheids im Wege der Auslegung (§ 133 BGB), zu der das Revisionsgericht befugt ist. Hierbei sind sowohl die Entscheidungsformel als auch die Begründung des Widerspruchsbescheids zu berücksichtigen (BSG vom 25.4.2007 - B 12 AL 2/06 R - Juris RdNr 15 ff). Danach enthält der Widerspruchsbescheid der Beklagten auch eine Entscheidung zum geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der von 1996 bis 2001 zu Unrecht entrichteten Beiträge, auch wenn nach der Entscheidungsformel lediglich der "Widerspruch vom 01.03.2007 (eingegangen am 03.03.2007) gegen den Veranlagungsbescheid vom 05.02.2007" zurückgewiesen wird. Für eine solche Auslegung spricht schon, dass der Widerspruch zurückgewiesen wird, "soweit ihm nicht bereits durch rückwirkende Beitragskorrektur ab dem Umlagejahr 2002 abgeholfen wurde" und damit ausdrücklich eine Beziehung zur Beitragserstattung hergestellt wird. Zudem weist die Beklagte in der Begründung ausdrücklich darauf hin, dass der Antrag auf Erstattung der Beiträge "für die Jahre 1996 bis 2001" strittig geblieben sei und infolge "Verjährung der Rückerstattungsansprüche" eine Beitragskorrektur ausscheide. Diese Auseinandersetzung mit dem Erstattungsanspruch und seine Ablehnung aufgrund eingetretener Verjährung konnte die Klägerin als Erklärungsempfängerin nur so verstehen, dass die Beklagte auf ihren Widerspruch hin über die Beitragserstattung für die Jahre 1996 bis 2001 entschieden hat.

14

Die Klage hat indes in der Sache keinen Erfolg. Die Ablehnung der Beitragserstattung in dem Bescheid der Beklagten vom 30.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen durchsetzbaren Anspruch auf Erstattung der in den Jahren 1996 bis 2001 zu Unrecht geleisteten Beiträge. Der Erstattungsanspruch (dazu 1.) ist hinsichtlich der Beitragszahlungen für die Jahre 1996 bis 2001 verjährt (dazu 2.). Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung rechtsfehlerfrei erhoben (dazu 3.).

15

1. Nach § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB IV in der hier maßgebenden Fassung der Bekanntmachung vom 23.1.2006 (BGBl I 86) sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, der Versicherungsträger hat bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen. Die Voraussetzungen dieser auch in der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich anwendbaren Erstattungsnorm (BSG vom 2.2.1999 - B 2 U 3/98 R - BSGE 83, 270, 276 = SozR 3-2400 § 26 Nr 11 S 56) sind hier erfüllt. Die Klägerin hat für die Jahre 1996 bis 2001 Beiträge nach der Gefahrtarifstelle 8 ohne Rechtsgrund (vgl hierzu BSG vom 31.3.2015 - B 12 AL 4/13 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 6 RdNr 13 mwN)gezahlt. Für diese Beitragsentrichtung war weder eine materiell- noch formal-rechtliche Grundlage gegeben. Die Beiträge wurden fälschlicherweise nach der Gefahrtarifstelle 8 anstelle der Gefahrtarifstelle 7 bemessen. Die Beklagte ist zudem aufgrund des lediglich von der Klägerin angegriffenen Urteils des LSG nach § 44 Abs 1 SGB X verpflichtet, die Verwaltungsakte über die Beitragsfestsetzungen für die Jahre 1996 bis 2001 aufzuheben. Dem Erstattungsanspruch steht auch nicht die so genannte Verfallklausel des § 26 Abs 2 Halbs 1 Teils 2 SGB IV entgegen. Diese ist von vornherein ausgeschlossen, wenn es - wie hier - an jeglichem Zusammenhang zwischen den zu erstattenden Beiträgen und erbrachten oder zu erbringenden Leistungen fehlt, weil die Rechtswidrigkeit der Beitragserhebung auf einer unrichtigen Veranlagung zum Gefahrtarif beruht (BSG vom 26.1.1988 - 2 RU 5/87 - BSGE 63, 18, 24 f = SozR 1300 § 44 Nr 31 S 86).

16

2. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ist jedoch verjährt. Nach § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV verjährt der Erstattungsanspruch des § 26 Abs 2 SGB IV in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Die Verjährung hinsichtlich der für die Jahre 1996 bis 2001 im jeweiligen Nachfolgejahr entrichteten Beiträge trat daher mit Ablauf des 31.12.2006 ein. Der erst im Januar 2007 gestellte Antrag auf Erstattung überzahlter Beiträge konnte daher die Verjährung nicht hemmen iS des § 27 Abs 3 Satz 2 SGB IV.

17

Dass die Beklagte erst durch das hier angegriffene Urteil verpflichtet wurde, die der Beitragsbemessung zugrundeliegenden Verwaltungsakte über die Veranlagung und Beitragserhebung aufzuheben, führt zu keinem anderen Ergebnis. Entgegen der Auffassung der Revision beginnt die Verjährung nicht erst mit der Kassation der die Beitragsschuld begründenden Verwaltungsentscheidung. Der erkennende Senat schließt sich in Fortsetzung seiner eigenen Rechtsprechung (Urteil vom 26.1.1988 - 2 RU 5/87 - BSGE 63, 18 = SozR 1300 § 44 Nr 31)nach nochmaliger Überprüfung dem 12. Senat des BSG an. Dieser hat zuletzt unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung mit Urteil vom 31.3.2015 (B 12 AL 4/13 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 6)entschieden, dass die in § 27 Abs 2 SGB IV für den Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge normierte Verjährungsfrist auch dann mit Ablauf des Kalenderjahres der Beitragsentrichtung beginnt, wenn der Erstattungsanspruch später oder sogar erst nach Ablauf der Verjährungsfrist entstehen sollte. Dabei hat er sich auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, den mit ihr verfolgten Zweck sowie das Regelungskonzept der §§ 25 ff SGB IV gestützt. Zudem hat er zur Begründung ausgeführt, dass der an den Zeitpunkt der Beitragsentrichtung anknüpfende Verjährungsbeginn den Anforderungen an eine verfassungskonforme Inhaltsbestimmung des Eigentums iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG genüge. Zwar ist einzuräumen, dass Gegenstand der Verjährung nur ein entstandener Anspruch sein kann. Daraus folgt aber nicht denknotwendig, dass die Verjährung jeweils erst mit dem Entstehen des Anspruchs beginnen kann oder darf. Der Gesetzgeber ist vielmehr nicht gehindert, für den Beginn der Verjährung an unterschiedliche Ereignisse anzuknüpfen (vgl §§ 199 ff BGB)und im Falle eines überhaupt entstandenen Anspruchs auf einen früheren Zeitpunkt als den seiner Entstehung abzustellen. Infolgedessen kann offenbleiben, ob im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts über die Beitragsfestsetzung der Erstattungsanspruch mit Wirkung ex nunc ab dem Zeitpunkt dieser Aufhebung oder mit Wirkung ex tunc bereits ab dem Zeitpunkt der fehlerhaften Beitragsentrichtung entsteht.

18

Das Revisionsvorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Einwand der Klägerin, der Wortlaut des § 27 Abs 2 SGB IV gelte lediglich für den Regelfall einer Beitragsentrichtung ohne dass dieser ein Verwaltungsakt zugrunde liege, geht fehl. Der Gesetzestext knüpft an das Kalenderjahr an, "in dem die Beiträge entrichtet worden sind", ohne nach der rechtlichen Grundlage für die Beitragsforderung zu differenzieren. Eine Begrenzung der Verjährungsvorschrift auf nur eine bestimmte Gruppe von Beitragszahlungen betreffende Erstattungsansprüche ist auch der Gesetzeshistorie nicht zu entnehmen. Durch § 27 Abs 2 SGB IV sollte vielmehr die Regelung des § 45 SGB I über die Verjährung von Sozialleistungen auf Erstattungsansprüche erstreckt werden(BT-Drucks 7/4122 S 34 zu § 26). Hinweise darauf, dass die Verjährungsregelung nicht für Beitragszahlungen, die erst aufgrund eines entsprechenden Verwaltungsakts entstehen, gelten soll, lassen sich den Gesetzesmaterialien hingegen nicht entnehmen.

19

Eine Auslegung des § 27 Abs 2 SGB IV im Sinne der Revision ist auch nicht durch den mit dem Rechtsinstitut der Verjährung verbundenen allgemeinen Zweck geboten. Verjährungsregelungen dienen zwar einem angemessenen Ausgleich der Interessen von Schuldner und Gläubiger. Der Gläubiger muss eine faire Chance haben, seine Ansprüche zu verfolgen (BGH vom 17.6.2005 - V ZR 202/04 - NJW-RR 2005, 1683, 1686). Er muss daher auch in die Lage versetzt werden, sich gegen oder für die Geltendmachung eines Anspruchs entscheiden zu können. Gerade daran aber ist der Erstattungsberechtigte, der aufgrund eines ihm bekannt gegebenen Verwaltungsakts Beiträge entrichtet, nicht gehindert. Gegen den die Beitragsbelastung feststellenden Verwaltungsakt kann Widerspruch und anschließend Klage erhoben werden. Ist die Rechtsmittelfrist abgelaufen, besteht darüber hinaus grundsätzlich die Möglichkeit der Überprüfung bestandskräftig festgestellter Beitragsforderungen im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Abs 1 SGB X. Zwar führt der auf den Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung festgelegte Beginn der Verjährung gemäß § 27 Abs 2 SGB IV gegebenenfalls dazu, dass einem Erstattungsanspruch, der erst durch die Aufhebung des die Beitragspflicht feststellenden Verwaltungsakts begründet wird, von vornherein die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden kann, wenn die Beitragsentrichtung entsprechend lange zurückliegt. Dieses Ergebnis ist aber dem vermeidbaren Umstand geschuldet, dass der Gläubiger von einer rechtlichen Kontrolle der festgesetzten Beitragslast und der Geltendmachung überzahlter Beiträge über einen Zeitraum von mindestens vier Jahren aus eigenem Entschluss abgesehen hat. Auch bei dem hier angenommen Verjährungsbeginn mit Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung wird dem Zweck der Verjährung, eine Übergangsfrist in Bezug auf die Prüfung und Geltendmachung von Ansprüchen einzuräumen, mithin hinreichend Rechnung getragen.

20

Auch die Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung bedingen keine andere Einschätzung. Nach § 1 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IV gelten die Vorschriften des SGB IV für die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte, die soziale Pflegeversicherung sowie mit Ausnahme des Ersten und Zweiten Teils des Vierten Abschnitts und des Fünften Abschnitts auch für die Arbeitsförderung. Vom Geltungsbereich des SGB IV ist daher auch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst. Ausgenommen sind lediglich Vorschriften der jeweiligen Sozialleistungsbereiche, soweit sie von den Bestimmungen des SGB IV abweichen, sie bleiben unberührt (§ 1 Abs 3 SGB IV). Das SGB VII enthält keine § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV ausdrücklich verdrängende Regelung. Anders als § 351 Abs 1 Satz 2 SGB III, der § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV für die Beitragserstattung der Arbeitsförderung ausdrücklich ausschließt, ordnet das SGB VII an keiner Stelle die Unanwendbarkeit des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV an.

21

Auch das unfallversicherungsrechtliche Regelungskonzept der §§ 160 und 168 SGB VII steht einem Verjährungsbeginn mit Ablauf des Kalenderjahres der Beitragsentrichtung nicht entgegen. § 160 SGB VII normiert die Aufhebung des nach § 159 SGB VII erlassenen Veranlagungsbescheids und bestimmt den Zeitpunkt für das Wirksamwerden der Aufhebung. § 160 SGB VII ordnet einerseits die Aufhebung der ursprünglich rechtmäßigen Veranlagung bei Unternehmensänderungen für die Zukunft an(Abs 1) und normiert andererseits die Voraussetzungen, unter denen die Veranlagung mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wird (Abs 2). In allen übrigen Fällen wird die Veranlagung mit Beginn des Monats, der der Bekanntgabe des Änderungsbescheids folgt, aufgehoben (Abs 3). Diese Regelungen verdrängen als lex specialis die §§ 44 ff SGB X oder werden durch diese Vorschriften ergänzt(BT-Drucks 13/2204 S 112 zu § 160; BSG vom 9.12.2003 - B 2 U 54/02 R - BSGE 91, 287 = SozR 4-2700 § 160 Nr 1, RdNr 25 ff). Sie beeinflussen aber nicht die für sämtliche Sozialversicherungszweige geltende gemeinsame Verjährungsregelung des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV. Weder dem Wortlaut des § 160 SGB VII noch seinem Regelungsinhalt und auch nicht den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung, die lediglich auf die Vorgängerregelung des § 734 Abs 2 RVO verweisen(BT-Drucks 13/2204 S 112 zu § 160), lassen sich Vorgaben oder ansatzweise Hinweise zu den beitragsrechtlichen Konsequenzen einer im Nachhinein veränderten Veranlagung entnehmen. § 160 SGB VII bestimmt ausschließlich, unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zeitpunkt eine Veranlagung iS des § 159 SGB VII zu korrigieren ist. Die Norm enthält aber gerade keine Regelung über die Durchsetzbarkeit einer mit der geänderten Veranlagung einhergehenden Beitragsrückforderung.

22

Auch zwischen § 168 SGB VII und § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV lässt sich kein systematischer Zusammenhang herleiten, nach dem die Regelung des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV im SGB VII keine Anwendung finden soll. § 168 SGB VII regelt die Schriftform des Beitragsbescheids(Abs 1), zählt die Fälle auf, in denen ein Beitragsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zuungunsten des Unternehmers aufzuheben ist (Abs 2), sieht eine Satzungsermächtigung für die Selbstberechnung des Beitrags durch die Unternehmer vor (Abs 3) und bestimmt eine Ausnahme für die Feststellung des Beitrags bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten (Abs 4). Beitragskorrekturen zugunsten des Unternehmers sind indes gerade nicht Gegenstand der Vorschrift, sie richten sich nach § 44 SGB X. Dass § 44 Abs 4 SGB X lediglich den Sozialleistungsanspruch auf längstens vier Jahre vor der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts begrenzt, ist aber gerade durch die für die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge maßgebenden besonderen Bestimmungen der §§ 26 und 27 SGB IV bedingt(vgl BT-Drucks 8/2034 S 34 zu § 42).

23

3. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung rechtsfehlerfrei erhoben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt und ihre Ermessensbetätigung in dem angefochtenen Verwaltungsakt hinreichend begründet hat. Die in dem Urteil des LSG ausgesprochene Verurteilung der Beklagten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, ist von der Beklagten nicht mit der Revision angegriffen worden und damit in Rechtskraft erwachsen. Für die Ermessensbetätigung relevante Gesichtspunkte, die eine sog Ermessensreduktion auf Null naheliegend erscheinen lassen und ausnahmsweise hätten Anlass geben können, von der Verjährungseinrede abzusehen, sind nicht erkennbar. Der Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte steht auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (vgl hierzu BSG vom 12.12.2007 - B 12 AL 1/06 R - BSGE 99, 271 = SozR 4-2400 § 27 Nr 3, RdNr 13). Zwar geht die rechtswidrige Beitragserhebung auf ein Fehlverhalten der Beklagten zurück. Das fehlerhafte Verwaltungshandeln schließt aber jedenfalls dann nicht die Erhebung der Verjährungseinrede aus, wenn - wie hier - der Gläubiger des Erstattungsanspruchs die unrichtige Beitragsentrichtung aufgrund einer rechtswidrigen Veranlagung ohne Weiteres hätte erkennen können. Das war nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG der Fall. Diese den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 163 SGG) sind nicht mit zulässig erhobenen Verfahrensrügen angegriffen worden.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
2a.
das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. August 2009 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Verletztenrente für die Zeit vom 29.1.2004 bis zum 26.7.2005 streitig.

2

Die Klägerin ist die Witwe des am 9.3.2006 verstorbenen J. N. (im Folgenden: Versicherter), mit dem sie zum Zeitpunkt des Todes in einem gemeinsamen Haushalt lebte. Der Versicherte bezog ab Juni 1997 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung und nahm im August 2001 eine geringfügige Beschäftigung auf. Mit dem Arbeitgeber vereinbarte er unter dem 28.1.2004, die Beschäftigung "zu unterbrechen". Ab diesem Tag war der Versicherte wegen einer Asbeststaublungenerkrankung arbeitsunfähig. Am 2.2.2004 begab er sich in stationäre Behandlung.

3

Die Steinbruchs-Berufsgenossenschaft (BG), Rechtsvorgängerin der Beklagten, stellte bei dem Versicherten eine Asbeststaublungenerkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Nummer 4105 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung fest (Bescheid vom 5.8.2004). Mit Schreiben vom 15.10.2004 teilte sie ihm mit, dass wegen der BK ein Anspruch auf Verletztengeld und für die Dauer von sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit ein Lohnfortzahlungsanspruch bestehe. Der hiergegen auf Zahlung von Verletztenrente gerichtete Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 22.3.2005). Ab 2.2.2004 bestehe für 78 Wochen ein Anspruch auf Verletztengeld. Erst danach beginne ein Anspruch auf Rente.

4

Das Sozialgericht Münster (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28.5.2008). Während des Berufungsverfahrens stellte die BG wegen der Folgen der BK eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 vH ab dem 1.8.2005 fest (Bescheid vom 7.9.2005). Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die auf Zahlung von Verletztenrente "anstelle von Verletztengeld" ab 29.1.2004 gerichtete Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 28.8.2009). Die geringfügige Beschäftigung eines Beziehers einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sei eine vom Schutzzweck des § 45 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) umfasste Tätigkeit und schließe den Anspruch auf Verletztengeld nicht aus. Der Anspruch auf Verletztenrente beginne erst an dem Tag, der auf den Tag folge, an dem der Anspruch auf Verletztengeld ende.

5

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 45 Abs 1 und § 46 Abs 3 Satz 2 Nr 2 SGB VII. Das Verletztengeld sei nur für Versicherte vorgesehen, die zum Kreis der Erwerbstätigen gehörten und ihren Lebensunterhalt vor Eintritt der durch den Versicherungsfall bedingten Arbeitsunfähigkeit aus einer Erwerbstätigkeit oder einer daran anknüpfenden Sozialleistung bestritten hätten. Mit den Einkünften aus der geringfügigen Beschäftigung habe der Versicherte seinen Lebensunterhalt nicht sicherstellen können. Da bereits bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit habe gerechnet werden können, habe der Anspruch auf Verletztengeld bereits mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit geendet.

6

Während des Revisionsverfahrens hat die Beklagte Verletztengeld für die Zeit vom 10.3.2004 bis zum 26.7.2005 und Verletztenrente ab 27.7.2005 bewilligt (Bescheid vom 19.1.2010).

7

           

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. August 2009 und des Sozialgerichts Münster vom 28. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Verwaltungsaktes vom 15. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2005 zu verurteilen, ihr anstatt des Verletztengeldes die Verletztenrente des Versicherten nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 vH vom 29. Januar 2004 bis zum 26. Juli 2005 zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie trägt vor, mit dem Verletztengeld seien die Einkünfte aus der geringfügigen Beschäftigung ausgeglichen worden. § 46 Abs 3 Satz 2 Nr 2 SGB VII sei nicht anwendbar.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des SG im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 Sozialgerichtsgesetz), mit der unter Aufhebung des den Anspruch auf Verletztengeld feststellenden Verwaltungsaktes vom 15.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2005 die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Verletztenrente für die Zeit vom 29.1.2004 bis zum 26.7.2005 geltend gemacht wird. Diese Klagen sind unzulässig.

12

Nach § 54 Abs 1 SGG kann mit der Anfechtungsklage die Aufhebung eines Verwaltungsaktes oder seine Abänderung begehrt werden(Satz 1). Sie ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (Satz 2). Insoweit reicht es zwar schon aus, dass eine Verletzung in eigenen Rechten möglich ist und der Kläger die Beseitigung einer in seine Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme anstrebt, von der er behauptet, sie sei nicht rechtmäßig (BSG vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 5 RdNr 18). An der Klagebefugnis fehlt es aber, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt (BSG vom 14.11.2002 - B 13 RJ 19/01 R - BSGE 90, 127, 130 = SozR 3-5795 § 10d Nr 1 S 4), weil hinsichtlich des Klagebegehrens eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung nicht vorliegt (BSG vom 28.10.2008 - B 8 SO 33/07 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 13). Solange der zuständige Unfallversicherungsträger nicht über einen Leistungsanspruch entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde (vgl § 88 SGG), kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben. Das ist hier der Fall.

13

Durch den Verwaltungsakt vom 15.10.2004 ist allein ein Anspruch auf Verletztengeld festgestellt worden. Er enthält keine Regelung iS des § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), mit dem die BG einen Anspruch auf Verletztenrente abgelehnt hätte. Bei dem Verletztengeld (§§ 45 ff SGB VII)und der Verletztenrente (§§ 56 ff SGB VII) handelt es sich um unterschiedliche Sozialleistungen, die im SGB VII systematisch voneinander getrennt normiert sind. Sie bilden jeweils einen eigenständigen Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens (vgl § 8 SGB X), über den der zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zu entscheiden hat.

14

Über den Anspruch auf Verletztenrente ist auch nicht im Widerspruchsbescheid vom 22.3.2005 entschieden worden. Abgesehen davon, dass die Widerspruchsstelle funktional und sachlich nicht zuständig ist, an Stelle der Ausgangsbehörde des Trägers über ein erstmals im Widerspruchsverfahren geltend gemachtes Recht zu befinden (BSG vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R), setzt sich auch der Widerspruchsbescheid allein mit dem Anspruch auf Verletztengeld auseinander. Den Inhalt eines Verwaltungsaktes hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der Auslegung der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (BSG vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, jeweils RdNr 11 mwN). Gemessen daran ist die Formulierung im Widerspruchsbescheid "erst wenn der Anspruch auf Verletztengeld endet, beginnt ein Anspruch auf Rente (§§ 46 Abs. 3 SGB VII, 72 Abs. 1 SGB VII)" nur ein Hinweis auf die bestehende Gesetzeslage. Mit ihr hat die BG keine Regelung über ein Recht des Versicherten auf Verletztenrente getroffen.

15

Der Unzulässigkeit der Anfechtungsklage stehen die Bescheide vom 7.9.2005 und 19.1.2010 nicht entgegen. Der Verwaltungsakt im Bescheid vom 7.9.2005, mit dem ein Anspruch auf Verletztenrente für die Zeit ab 1.8.2005 - und nicht ein früherer Zeitpunkt - festgestellt wurde, ist vom Versicherten nicht angefochten worden und damit für die Beteiligten bindend (§ 77 SGG). Er ist nicht nach § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, denn er hat den allein das Verletztengeld betreffenden Verwaltungsakt vom 15.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.3.2005 weder abgeändert noch ersetzt. Seine Einbeziehung kann auch nicht auf eine weite oder analoge Anwendung des § 96 SGG gestützt werden, weil dadurch der Streitstoff erweitert würde und Erwägungen der Prozessökonomie ein solches Ergebnis nicht rechtfertigen(vgl BSG vom 9.12.2003 - B 2 U 54/02 R - BSGE 91, 287 = SozR 4-2700 § 160 Nr 1, jeweils RdNr 5).

16

Auch der Verwaltungsakt im Bescheid der Beklagten vom 19.1.2010 über die Zahlung der Verletztenrente schon ab 27.7.2005 hat daher den hier angefochtenen Verwaltungsakt nicht abgeändert oder ersetzt. Unabhängig davon gilt ein Verwaltungsakt, der während des Revisionsverfahrens den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt, als mit der Klage beim SG angefochten (§ 171 Abs 2 SGG).

17

Die Unzulässigkeit der Anfechtungsklage zieht die Unzulässigkeit der mit ihr kombinierten (unechten) Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) nach sich. Auch diese Leistungsklage setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger die begehrte Leistung abgelehnt hat und kommt daher vor dem Erlass einer entsprechenden Verwaltungsentscheidung nicht in Betracht.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 1. Dezember 2011 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 26. September 2007 zurückgewiesen.

Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob ein Unfall, den der Kläger während der Teilnahme an einem Lager der Gesellschaft für Sport und Technik der DDR (GST) erlitt, als Arbeitsunfall festzustellen ist.

2

Der Kläger war Lehrling für den Beruf des Werkzeugmachers bei dem VEB Armaturenkombinat Karl-Marx in M. Er nahm im Juni 1987 an einem Lager der GST in P. (Mecklenburg-Vorpommern) teil. Am 2.6.1987 erlitt er dort einen Unfall, als er auf der Sturmbahn von einem Balken sprang und sich beim Aufkommen auf dem Boden den Innenmeniskus des rechten Knies verletzte. Der Kläger wurde wegen des Unfalls in der medizinischen Einrichtung des Lagers in P. behandelt. In seinem Sozialversicherungsausweis wurde durch die zentrale Betriebsgewerkschaftsleitung des VEB Armaturenkombinats ein Arbeitsunfall mit der Kennzeichnung "GT" (für "Gesellschaftliche Tätigkeit") eingetragen. Die Staatliche Versicherung der DDR erkannte mit Schreiben vom 25.5.1988 einen "Schadenersatzanspruch" des Klägers wegen der ärztlichen Behandlung im Lager der GST dem Grunde nach an.

3

Der Kläger zeigte der Beigeladenen mit dem am 18.1.2006 eingegangenen Schreiben den Unfall vom 2.6.1987 an und beantragte, diesen als Arbeitsunfall festzustellen. Die Beigeladene leitete den Fall an die Beklagte weiter, da es sich um einen Fall nach § 1 Abs 1 der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller und sportlicher Tätigkeiten vom 11.4.1973 (GBl I 199; im Folgenden ErwVO) handele, für den die Beklagte der zuständige Träger sei. Die Beklagte übernahm das Verwaltungsverfahren. Auf ihre Anfrage machte der Kläger geltend, er sei durch Lehrvertrag zur Teilnahme an dem Lager der GST verpflichtet gewesen. Er legte den Lehrvertrag vom 5.12.1985 vor, der im Abschnitt "Grundlegende Rechte und Pflichten des Betriebs und des Lehrlings" folgenden Absatz enthält: "Der Lehrling ist verpflichtet, während des Lehrverhältnisses an der vormilitärischen Ausbildung teilzunehmen, sich militärpolitische und militärfachliche Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen bzw. an den Maßnahmen der Zivilverteidigung mitzuwirken."

4

Die Beklagte lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab (Bescheid vom 25.10.2006). Die Voraussetzungen für eine Entschädigung des Unfalls aus der gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht erfüllt. Einer Anerkennung stehe § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO entgegen. Auch bestehe kein direkter Zusammenhang zwischen dem Lehrberuf und der Ausbildung bei der GST. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 15.1.2007).

5

Das SG Stendal hat die Klage mit Urteil vom 26.9.2007 abgewiesen. Zwar sei der Unfall, wie es sich aus dem Sozialversicherungsausweis ergebe, als solcher im Sinne der ErwVO anerkannt worden. Der Unfall sei einem bundesrechtlich zuständigen Träger der Unfallversicherung aber erst nach dem 31.12.1993 bekannt geworden. Ein Anspruch auf Feststellung als Arbeitsunfall bestehe nicht, weil es sich nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne des Dritten Buches der RVO handele.

6

Das LSG hat auf die Berufung des Klägers mit Urteil vom 1.12.2011 das Urteil des SG aufgehoben und festgestellt, dass das Ereignis vom 2.6.1987 ein Arbeitsunfall im Sinne des Dritten Buchs der RVO sei, für den die Beklagte zuständig sei. Zwar sei der Unfall einem bundesdeutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erst nach dem 31.12.1993 bekannt geworden. Der Kläger habe aber den Unfall bei einer Tätigkeit aufgrund seines Lehrverhältnisses erlitten (§ 539 Abs 1 Nr 1 iVm § 548 Abs 1 Satz 1 RVO). Zwischen dem Verhalten zum Unfallzeitpunkt und dem Beschäftigungsverhältnis habe ein sachlicher Zusammenhang bestanden, weil die Pflicht zum Erwerb militärischer Erkenntnisse zum Gegenstand des Lehrverhältnisses zwischen dem Betrieb und dem Kläger gemacht worden sei. Zwar diene die Teilnahme an einem Lager der GST der vormilitärischen Ausbildung, dies ändere aber nichts daran, dass der Kläger Pflichten aus dem Lehrvertrag erfüllt habe.

7

Die Beklagte rügt mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision eine Verletzung des § 215 Abs 1 Satz 1 SGB VII iVm § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO. Der Unfall sei nach dem Recht der RVO nicht anzuerkennen, denn die Anerkennung in der DDR beruhe auf § 1 Abs 1 ErwVO. Danach sei der Unfall "wie ein Arbeitsunfall" zu behandeln. Bei der Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung habe es sich folglich - auch nach dem Recht der DDR - nicht um eine Tätigkeit iS des § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gehandelt. Der Kläger sei nicht wie ein Lehrling tätig geworden. Vielmehr begründe die Kennzeichnung "GT" die gegenteilige Vermutung. Das Überwinden einer Hindernisbahn sei nicht als Ausübung der Beschäftigung im Ausbildungsverhältnis anzusehen. Es bestehe kein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Verhalten zum Unfallzeitpunkt und dem Ausbildungsverhältnis. Die vormilitärische Ausbildung in dem Lager in P. stelle keine für die betriebliche Ausbildung wesentliche Handlung dar. Auch wenn der Betrieb Lehrlinge für die Ausbildung bei der GST freistelle, sei Ziel der Betätigung bei der GST nicht das Bestehen der Ausbildungsprüfung, sondern die Erhöhung der Wehrbereitschaft und -fähigkeit gewesen. Die RVO schütze aber nach § 539 Abs 1 Nr 1 nur Tätigkeiten des Versicherten im Rahmen seiner Berufsausbildung. Dazu gehöre nicht der Erwerb von militärischen Kenntnissen.

8

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 1. Dezember 2011 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 26. September 2007 zurückzuweisen, hilfsweise festzustellen, dass die Beigeladene für den Arbeitsunfall der zuständige Versicherungsträger ist.

9

Der Kläger beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Das LSG habe zu Recht entschieden, dass er aufgrund seiner Beschäftigung als Lehrling einen Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 Satz 1 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO erlitten habe. Dass zwischen der Betätigung für die GST und dem Ausbildungsverhältnis kein Zusammenhang bestehe sei "völlig abwegig" und stehe in Widerspruch zu den damals herrschenden Verhältnissen einschließlich des Ausbildungsverhältnisses des Klägers.

11

Die Beigeladene beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 1. Dezember 2011 aufzuheben, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 26. September 2007 zurückzuweisen, hilfsweise, den Hilfsantrag der Beklagten zurückzuweisen.

12

Die Ausnahmeregelung des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO greife nicht durch, weil der Unfall nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen sei. Als Teilnehmer einer vormilitärischen Ausbildung im Rahmen eines Lagers der GST wäre der Kläger nach dem Recht des Dritten Buchs der RVO nicht unfallversichert gewesen. Ein innerer Zusammenhang zur betrieblichen Tätigkeit als Lehrling bestehe nicht.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des in der ehemaligen DDR am 2.6.1987 erlittenen Unfalls als Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 Satz 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO. Es handelt sich nicht um einen von der Beklagten, der Beigeladenen oder einem anderen Unfallversicherungsträger zu entschädigenden Arbeitsunfall. Die angefochtenen Bescheide sind daher rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

14

Nach § 215 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind für die Übernahme der vor dem 1.1.1992 eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung § 1150 Abs 2 und 3 RVO in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden. Der Anspruch des Klägers richtet sich daher nach § 1150 Abs 2 RVO in der am 31.12.1996 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25.7.1991 (BGBl I 1606, 1688), denn der geltend gemachte Unfall ist vor dem 1.1.1992 im Beitrittsgebiet eingetreten. § 215 Abs 1 Sätze 2 und 3 SGB VII in der Fassung des UVMG vom 30.10.2008 (BGBl I 2130) schließen die Anwendung des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO in diesem Fall nicht aus, weil der Kläger zum Unfallzeitpunkt nicht bei der NVA der DDR im Wehrdienst stand.

15

Nach § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO sind die vor dem 1.1.1992 in der ehemaligen DDR eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches der RVO anzuerkennen, wenn diese Unfälle oder Krankheiten vor dem 1.1.1992 eingetreten sind und nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren. Dies gilt nach § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO nicht für Unfälle und Krankheiten, die einem ab 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31.12.1993 bekannt geworden sind und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären (vgl Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung, BT-Drucks 12/405 S 116 Buchst b sowie S 154 zu § 1150 RVO; BSG vom 19.12.2000 - B 2 U 8/00 R - SozR 3-2200 § 1150 Nr 4; BSG vom 4.12.2001 - B 2 U 35/00 R - SozR 3-8440 Nr 50 Nr 1 S 2 f; BSG vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1).

16

Der Unfall des Klägers ist vor dem 1.1.1992 eingetreten. Unerheblich ist hier zunächst, dass der Arbeitsunfall gemäß § 1 Abs 1 ErwVO einem Unfall nach dem Recht der ehemaligen DDR(§ 220 Abs 1 und 3 Arbeitsgesetzbuch der DDR) gleichgestellt war (hierzu BSG vom 30.6.2009 - B 2 U 19/08 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 13 RdNr 31). Denn der Unfall ist einem ab 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger erst im Juni 2006 und damit nach dem 31.12.1993 bekannt geworden. Wie die Beklagte und die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, gilt die Fiktion des § 1150 Abs 2 Satz 1 RVO gemäß dessen Abs 2 Satz 2 Nr 1 daher nur, wenn der Unfall nach dem Dritten Buch der RVO als Arbeitsunfall anzuerkennen wäre(zu den Voraussetzungen sogleich unter 1.), was aber hier nicht der Fall ist (vgl unter 2.).

17

1. Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 Satz 1 RVO war ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erlitt. Nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO waren in der Unfallversicherung Personen gegen Arbeitsunfälle versichert gewesen, die aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses beschäftigt waren. Wesentliches Merkmal eines Lehrverhältnisses iS des § 539 Abs 1 Nr 1 RVO ist die Betätigung zum Erwerb von beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten in persönlicher Abhängigkeit gegenüber einem Ausbildungsbetrieb, die sich vornehmlich in der Eingliederung in einen Betrieb äußert, womit in aller Regel ein Direktionsrecht des für die Ausbildung Verantwortlichen verbunden ist. Hierfür ist kennzeichnend, dass der Lehrling seine Tätigkeit im Wesentlichen nicht frei gestalten kann, sondern allgemein einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Lehre umfassenden Weisungsrecht unterliegt (vgl zur Beschäftigung BSG vom 17.10.1990 - 2 RU 3/90 - HVBG-INFO 1991, 423 mwN).

18

Weiter erfordert das Vorliegen eines Arbeitsunfalls, dass das konkrete Verhalten (die Verrichtung), bei dem sich der Unfall ereignete, der versicherten Tätigkeit (rechtlich wertend) zuzurechnen ist (vgl zum Recht der RVO: BSG vom 28.6.1988 - 2 RU 60/87 - BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr 92). Zwischen der Verrichtung zum Zeitpunkt des Unfalls und der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit, hier Ausbildung in einem Lehrverhältnis, muss ein sachlicher Zusammenhang bestehen. Dieser sog innere oder sachliche Zusammenhang rechtfertigt es, das fragliche Verhalten zum Unfallzeitpunkt der kraft Gesetzes versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere oder sachliche Zusammenhang ist - auch für Unfälle nach dem Recht der RVO - wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (noch zum Recht der RVO: BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 24/84 - BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70; BSG vom 20.1.1987 - 2 RU 27/86 - BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84; bereits zu § 1150 RVO: BSG vom 20.2.2001 - B 2 U 11/00 R - HVBG-INFO 2001, 1086; Juris RdNr 17). Wenn der erkennende Senat neuerdings den Aspekt in den Vordergrund rückt, dass die konkrete Betätigung nach dem Schutzbereich des Versicherungstatbestands zu den versicherten Tätigkeiten gehören muss (BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 27/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 45, Juris RdNr 20; dazu auch BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 16/11 R - BSGE 111, 52 = SozR 4-2700 § 2 Nr 21), so ist hiermit keine inhaltliche Änderung gegenüber den soeben aufgezeigten früheren Formulierungen verbunden.

19

2. Der Unfall des Klägers, der in einem Lehrverhältnis mit dem VEB Armaturenkombinat Karl-Marx in M. stand und daher grundsätzlich nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versichert war, ereignete sich nach den bindenden Feststellungen des LSG am 2.6.1987 in einem Lager der GST in P. Dort betätigte sich der Kläger bei der vormilitärischen Ausbildung auf einer Kampfbahn und verletzte sich beim Aufkommen nach einem Sprung am rechten Knie.

20

Die konkret durchgeführte Verrichtung des Klägers auf der Kampfbahn im Lager der GST stand nicht in einem sachlichen oder inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Lehrling beim VEB Armaturenkombinat in M. Mit der Teilnahme am Lager der GST erfüllte er keine Aufgaben oder Pflichten aufgrund seines Lehrverhältnisses in oder für diesen Betrieb (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 28).

21

Das Überwinden einer Kampfbahn stellt keine Handlung dar, die einen Bezug zu einer Lehre oder Berufsausbildung hat. Die unmittelbar zum Unfallzeitpunkt verrichtete Tätigkeit diente vielmehr der vormilitärischen Ausbildung, die in der damaligen DDR von der GST organisiert wurde. Ausweislich der Präambel der Verordnung der DDR über die GST vom 10.9.1968 (GBl II 779) sowie des Statuts der GST vom 11.4.1964 (GBl II 553) war die GST eine sozialistische Massenorganisation, deren Hauptaufgabe im System der sozialistischen Wehrerziehung darin bestand, die Jugendlichen im vorwehrpflichtigen Alter auf den Wehrdienst in den bewaffneten Kräften der DDR vorzubereiten und wehrsportliche Aktivitäten anzubieten. Diese Organisation war nach den so beschriebenen Aufgaben nicht in die Vermittlung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten für den Lehrberuf einbezogen. Es handelte sich vielmehr um eine Organisation, die vormilitärische Ausbildungs- und wehrsportliche Ertüchtigung für Jugendliche durchführte. Die Jugendlichen sollten im Rahmen einer Grund- und sich anschließenden Spezialausbildung den Umgang mit Waffen und Militärgeräten erlernen und militärisch relevantes Wissen erwerben sowie technischen Sportarten nachgehen (vgl Berger, Frust und Freude - Die zwei Seiten der Gesellschaft für Sport und Technik, 2002; Henkel, Im Dienste der Staatspartei, 1. Aufl 1994, S 347, 356, 358 ff; Rogg, Armee des Volkes? Militär und Gesellschaft in der DDR, 2008, S 86 ff). Die GST sollte vor allem der gemeinschaftlichen Freizeitgestaltung technisch und sportlich interessierter Jugendlicher dienen, die dazu erforderlichen technischen Mittel (Motorräder, Flugzeuge, Funkgeräte) zur Verfügung stellen und technische Sportarten und dazugehörige Sportförderung und Wettkämpfe, wie Motor- und Schießsportarten pflegen bzw. veranstalten. Ab 1974 wurde für Jugendliche in der DDR die Teilnahme an den Angeboten der GST praktisch zur Pflicht gemacht. Ohne die Teilnahme konnte die berufliche Bildung kaum aufgenommen oder abgeschlossen werden. Das Ziel war es, Jugendliche und Erwachsene wehrsportlich auszubilden und ihnen technische Kenntnisse zu vermitteln, die beim Militär gebraucht wurden. Die GST galt als "Schule des Soldaten von morgen" und trug zur Militarisierung der Gesellschaft bei (Hartwig/Wimmel; http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Deutsche_Demokratische_Republik.html #Massenorganisationen).

22

Die Betätigung des Klägers auf der Kampfbahn in P. ist keine Verrichtung, während der er nach Zeit, Dauer, Ort oder Art der Betätigung in persönlicher Abhängigkeit oder im Rahmen des Direktionsrechts des Ausbildungsbetriebs (VEB Armaturenwerk in M.) tätig geworden ist. Die konkret durchgeführte Verrichtung bei der GST diente nicht dem Erwerb von Kenntnissen oder Fähigkeiten für den Lehrberuf. Der Kläger war während seiner Zeit im Lager der GST auch nicht in die betriebliche Organisation des VEB eingegliedert. Vielmehr unterstützte der Betrieb nur durch Freistellung des Klägers von den Pflichten des Lehrverhältnisses dessen Betätigung im Rahmen der vormilitärischen Ausbildung, ohne dass diese dem VEB Armaturenwerk oder dem Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten für den Lehrberuf zu dienen bestimmt war (vgl schon BSG vom 17.10.1990 - 2 RU 3/90 - HVBG-INFO 1991, 423; Juris RdNr 19 ff). Dies gilt auch dann, wenn der Betrieb die Lehrlingsvergütung weitergezahlt haben sollte. Durch den Besuch des Trainingslagers erfüllte der Kläger - ebenso wie alle anderen Jugendlichen der DDR in dem entsprechenden Alter - seine allgemeine Pflicht, an der vormilitärischen Ausbildung teilzunehmen.

23

Der fehlende innere Zusammenhang zwischen der konkret verrichteten und der im Versicherungstatbestand angeführten Tätigkeit wird auch nicht dadurch hergestellt, dass der Kläger durch einen Passus im Ausbildungsvertrag verpflichtet wurde, an der vormilitärischen Ausbildung teilzunehmen. Zwar sind Personen, die eine Verrichtung vornehmen, mit der sie eine objektiv bestehende Haupt- und Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis - hier Lehrverhältnis - erfüllen (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 28), Beschäftigte iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII bzw § 539 Abs 1 Nr 1 RVO. Die Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung in der DDR war aber gesellschaftlich üblich, nach anderen Angaben sogar verpflichtend. Bei Nichtteilnahme drohten einem Jugendlichen, unabhängig davon, ob er in einem Lehrverhältnis stand oder die Erweiterte Oberschule absolvierte, Sanktionen. Mangels Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung konnte es zur vorzeitigen Beendigung von Lehre oder Schulausbildung kommen. Eine solche Maßnahme gilt nach Bundesrecht als "politische Verfolgung" im Sinne des Gesetzes über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (BerRehaG vom 1.7.1997, BGBl I 1625; dazu BVerwG vom 27.8.2012 - 3 PKH 5/12, 3 PKH 5/12 < 3 B 18/12 >).

24

Der Inhalt des Lehrvertrags stellt sich deshalb nicht als Vereinbarung über eine vertraglich erst zu begründende Rechtspflicht des Lehrlings dar, sondern als bloß deklaratorische Wiederholung der allgemein bestehenden Pflicht oder zumindest der gesellschaftlichen Notwendigkeit zur Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung. Die bloß deklaratorische Wiederholung einer gesetzlichen Pflicht oder gesellschaftlichen Notwendigkeit in einem Lehrvertrag ist aber nicht geeignet, den Schutzzweck des Versicherungstatbestands des § 539 Abs 1 Nr 1 RVO dahingehend zu erweitern, dass auch die Betätigung im Rahmen einer allgemein bestehenden Dienstpflicht oder gesellschaftlichen Verpflichtung dem Schutz des Versicherungstatbestandes des § 539 Abs 1 Nr 1 RVO unterfällt(so im Ergebnis auch BSG vom 17.10.1990 - 2 RU 3/90 - HVBG-INFO 1991, 423; Bayerisches LSG vom 1.12.1993 - L 1 U 142/89; ähnlich LSG Berlin-Brandenburg vom 9.6.2011 - L 3 U 109/09).

25

Nach Maßstäben des Bundesrechts ist die Betätigung des Klägers am ehesten mit derjenigen eines früheren Wehrpflichtigen vergleichbar, der seine Ausbildung für die Ableistung von Wehrdienst oder Wehrübung unterbricht. Gesundheitsschäden, die Dienstleistende im Rahmen eines solchen Dienstes erleiden, werden im Bundesrecht ggf nach Maßgabe des SVG anerkannt und entschädigt. Sie sind aber nach Bundesrecht keine Unfälle, die im Rahmen des Versicherungsschutzes bei betrieblicher Berufsausbildung (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO; jetzt: § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII)versichert wären. Der Unfall war auch im Recht der DDR kein Arbeitsunfall iS des § 220 Abs 1 und 3 Arbeitsgesetzbuch der DDR, sondern einem solchen nach § 1 Abs 1 ErwVO lediglich gleichgestellt.

26

Auch wenn die für das Unfallgeschehen maßgeblichen Verhältnisse in der ehemaligen DDR zugrunde zu legen wären, die von denen im Geltungsbereich der RVO abweichen( BSG vom 17.10.1990 - 2 RU 3/90 - HVBG-INFO 1991, 423), wäre danach (nur) zu berücksichtigen, dass in dem staatlichen System der ehemaligen DDR eine enge Verzahnung zwischen Wehrerziehung und vormilitärischer Ausbildung/Wehrsport einerseits und Schul-/Berufsausbildung andererseits bestand (dazu auch Bayerisches LSG vom 1.12.1993 - L 1 U 142/89). Auf Sachverhalte, die dem Versicherungsschutz nach dem Dritten Buch der RVO wesensfremd sind, kann der Schutzbereich der Beschäftigtenversicherung nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO dennoch nicht erweitert werden(vgl für das Fremdrentenrecht BSG vom 17.10.1990 - 2 RU 3/90 - HVBG-INFO 1991, 423).

27

Auch die vom BSG zum versicherten Betriebssport entwickelten Grundsätze (grundlegend BSG vom 28.11.1961 - 2 RU 130/59 - BSGE 16, 1 ff = SozR Nr 49 zu § 542 RVO; BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 29/08 R - Juris RdNr 12) führen zu keinem anderen Ergebnis. Die vormilitärische Ausbildung diente nicht der Gesunderhaltung des Klägers oder der Wiederherstellung seiner Arbeitskraft, zumal die Betätigung im Rahmen der GST nicht auf Angehörige des Lehr- und Ausbildungsbetriebs beschränkt war. Für die Anerkennung eines unfallversicherten Betriebssports muss die sportliche Betätigung dem Ausgleich für die Belastung durch die versicherte Tätigkeit dienen. Die Teilnahme am allgemeinen vormilitärischen oder militärischen Dienst oder Wettkampf oder an Veranstaltungen zur Wehrertüchtigung entspricht dem nicht (BSG vom 17.10.1990 - 2 RU 3/90 - HVBG-INFO 1991, 423).

28

Nach allem war auf die Revision der Beklagten das Urteil des LSG aufzuheben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG war zurückzuweisen.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 SGG.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist § 1150 Abs. 2 und 3 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden. § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung gilt nicht für Versicherungsfälle aus dem Wehrdienst ehemaliger Wehrdienstpflichtiger der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik. Tritt bei diesen Personen nach dem 31. Dezember 1991 eine Berufskrankheit auf, die infolge des Wehrdienstes entstanden ist, gelten die Vorschriften dieses Buches.

(2) Die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst gelten nicht für Versicherungsfälle in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind; für diese Versicherungsfälle ist § 1152 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, dass der zuletzt am 1. Juli 2001 angepasste Betrag aus § 1152 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung ab 1. Januar 2002 in Euro umgerechnet und auf volle Euro-Beträge aufgerundet wird.

(3) Für Versicherungsfälle im Zuständigkeitsbereich der Unfallversicherung Bund und Bahn nach § 125 Absatz 1, die nach dem 31. Dezember 1991 eingetreten sind, gilt § 85 Abs. 2 Satz 1 mit der Maßgabe, daß der Jahresarbeitsverdienst höchstens das Zweifache der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls geltenden Bezugsgröße (West) beträgt.

(4) Für Versicherte an Bord von Seeschiffen und für nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 versicherte Küstenschiffer und Küstenfischer ist § 1152 Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, daß an die Stelle der dort genannten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung § 92 dieses Buches tritt.

(5) Die Vorschriften über die Anpassung der vom Jahresarbeitsverdienst abhängigen Geldleistungen und über die Höhe und die Anpassung des Pflegegeldes gelten nicht für Versicherungsfälle in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet; für diese Versicherungsfälle sind § 1151 Abs. 1 und § 1153 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, daß an die Stelle der dort genannten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung § 44 Abs. 2 und 4 sowie § 95 dieses Buches treten. Abweichend von Satz 1 ist bei den Anpassungen ab dem 1. Juli 2001 der Vomhundertsatz maßgebend, um den sich die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet verändern. § 1151 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung gilt mit der Maßgabe, dass ab 1. Januar 2002 an die Stelle des Pflegegeldrahmens in Deutscher Mark der Pflegegeldrahmen in Euro tritt, indem die zuletzt am 1. Juli 2001 angepassten Beträge in Euro umgerechnet und auf volle Euro-Beträge aufgerundet werden.

(6) Für die Feststellung und Zahlung von Renten bei Versicherungsfällen, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind, ist § 1154 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, daß an die Stelle der dort genannten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung die §§ 56 und 81 bis 91 dieses Buches treten.

(7) Für die Feststellung und Zahlung von Leistungen im Todesfall ist § 1155 Abs. 1 Satz 2 und 3 sowie Abs. 2 und 3 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, daß an die Stelle der dort genannten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung § 65 Abs. 3 und § 66 dieses Buches treten. Bestand am 31. Dezember 1991 nach dem in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet geltenden Recht ein Anspruch auf Witwenrente, Witwerrente oder Waisenrente, wird der Zahlbetrag dieser Rente so lange unverändert weitergezahlt, wie er den Zahlbetrag der Rente, die sich aus den §§ 63 bis 71 und aus Satz 1 ergeben würde, übersteigt.

(8) Die Vorschrift des § 1156 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung ist weiter anzuwenden.

(9) (weggefallen)

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Tenor

Das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 20. Mai 2009 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte zu verurteilen ist, der Klägerin Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 50 vH zu zahlen.

2

Die Klägerin befand sich am 15.5.2000 auf dem Weg von ihrer Arbeitsstätte, dem Amt für Landwirtschaft in G, zu ihrer Wohnung. Aufgrund eines Staus musste sie anhalten. Ein Ford Transit fuhr auf ihr stehendes Kraftfahrzeug (Kfz) auf und schob es auf das davor stehende Kfz. Die angeschnallte Klägerin wurde bei dem Unfall nach vorne und wieder zurück geschleudert. Sie konnte am Unfallort mit dem Unfallgegner und der Polizei die Formalitäten abwickeln und fuhr mit dem Pkw nach Hause. Wegen starker Schmerzen an der Wirbelsäule musste sie sich drei Stunden später in die ambulante Notfallbehandlung im Kreiskrankenhaus Meißen begeben. Die Erstdiagnose der dortigen Ärzte lautete: "HWS - Schleudertrauma, Schädelprellung". Vom 19. bis 27.5.2000 schloss sich eine stationäre Krankenhausbehandlung an. In der Folge weiteten sich die Beschwerden aus. Die Beklagte zahlte der Klägerin bis 4.4.2002 Verletztengeld.

3

Mit Schreiben vom 25.1.2001 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie beabsichtige die Einholung eines unfallchirurgischen Haupt- und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens. Sie schlug drei namentlich benannte Haupt- sowie einen namentlich benannten Zusatzgutachter, sonst solche der jeweiligen Einrichtung, vor und wies die Klägerin auf ihr Widerspruchsrecht hin. Die Klägerin widersprach den Vorschlägen der Beklagten und schlug vor, das Evangelische Stift St. M. in K. solle mit der Begutachtung beauftragt werden, da sie dort bereits behandelt wurde. Die Beklagte ernannte Prof. Dr. B. vom Evangelischen Stift St. M. zum Hauptgutachter. Auf dessen Veranlassung wurde bei Dr. S. (Dr S) das neurologische Gutachten vom 18.3.2001 eingeholt.

4

Mit Bescheid vom 4.3.2002 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an. In dem Bescheid regelte sie weiter: "Wegen der Folgen des Arbeitsunfalls besteht kein Anspruch auf Rente." Zur Begründung führte sie aus, Unfallfolgen lägen nach ausgeheilter "Zerrung der Halswirbelsäule (HWS) und der Halsweichteile“ nicht mehr vor. Unfallunabhängig bestehe eine Konversionsneurose mit dadurch bedingter Bewegungseinschränkung der HWS, der Schultergelenke sowie Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich. Der Widerspruch der Klägerin blieb im Widerspruchsbescheid vom 2.7.2002 ohne Erfolg.

5

Die Klägerin hat beim SG Dresden Klage erhoben. Sie hat Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH begehrt. Mit Schriftsatz vom 13.2.2004 hat die Beklagte dem SG die "Beratungsärztliche Stellungnahme" der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. (Dr H) vom 29.12.2003 vorgelegt, die das SG der klägerischen Seite übersandt hat. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.7.2006 abgewiesen. Ein Zusammenhang zwischen den umfangreichen Beschwerden und dem Unfall bestehe nicht. Der Unfall habe über den Zeitpunkt der Zahlung von Verletztengeld hinaus keine objektivierbaren Folgen hinterlassen.

6

Die Klägerin hat gegen das Urteil des SG beim Sächsischen LSG Berufung eingelegt. Sie hat ihr Begehren dahingehend erweitert, dass ihr Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH zu zahlen sei. Das LSG müsse ein Unfallrekonstruktions- und ein biomechanisches Gutachten einholen, um die Kräfte festzustellen, die auf ihre HWS eingewirkt hätten. Die Diagnose einer Konversionsneurose sei abzulehnen, da sie von einem Orthopäden gestellt worden sei.

7

Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 20.5.2009 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheitsstörungen und dem Unfall habe sich nicht wahrscheinlich machen lassen. Das Unfallgeschehen sei an sich in der Lage gewesen, ein whiplash-syndrome zu verursachen. Die Klägerin habe durch den Arbeitsunfall nicht näher bezeichnete Gesundheitserstschäden erlitten, denn sie sei bei der Kollision erheblichen Beschleunigungskräften ausgesetzt gewesen. Ein solches Trauma bewirke "in der Regel" eine Zerrung im Hirnstamm, was sich in messbaren Versagungszuständen äußern könne. Die Klägerin weise aber nur zum Teil eine spezifische Symptomatik auf. Daneben bestehe eine damit verwandte Symptomatik, welche keineswegs dem Unfallgeschehen zuzuordnen sei. Über die Ursachen des vorhandenen eher untypischen Beschwerdebilds könne nur spekuliert werden. In der Urteilsbegründung hat sich das LSG überwiegend auf eigene Recherchen gestützt und ist den Gerichtsgutachtern, zB Prof. St., ausdrücklich nicht gefolgt. Es sei wahrscheinlich, dass die bestehenden Beschwerden in den Zusammenhang mit den von Dr H dokumentierten gesundheitlichen Auffälligkeiten einzuordnen seien.

8

Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 8 Abs 1 Satz 1, Abs 2 iVm § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII. Der Wegeunfall habe zu Gesundheitsfolgeschäden geführt, die eine Verletztenrente nach einer MdE mit wenigstens 50 vH bedingten. Das LSG habe bei der Klägerin Gesundheitsschäden festgestellt. Dagegen habe es eine Konkurrenzursache, also einen Vorschaden, nicht bejaht. Ausdrücklich habe das LSG ein pseudoneurasthenisches Syndrom, eine Konversionsneurose, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und einen psychischen Konflikt verneint und den Unfall als Gelegenheitsursache ausgeschlossen. Damit seien die Voraussetzungen einer Rentengewährung zu bejahen.

9

Des Weiteren erhebt die Klägerin Verfahrensrügen. Das LSG habe die Berufung nicht aufgrund eigener Auswertung medizinischer Fachliteratur und aufgrund eigenen Erfahrungswissens zurückweisen dürfen. Dies sei aber geschehen, da das Gericht sich weder auf eines der eingeholten gerichtlichen Gutachten gestützt noch ein weiteres ärztliches Zusammenhangsgutachten auf aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand eingeholt habe. Wenn das LSG sich auf eigene Sachkunde und selbst ausgewertete Veröffentlichungen stützen wolle, müsse es die Klägerin auf seine Kenntnisse und Erfahrungen sowie die herangezogene Literatur hinweisen. Da dies nicht geschehen sei, verletze das Urteil das rechtliche Gehör der Klägerin. Das LSG habe ein Beweisverwertungsverbot nicht beachtet. Es habe sich auf die Stellungnahme der Dr H vom 29.12.2003 gestützt, die aber nicht verwertbar sei. Es könne dahin stehen, ob es sich um eine beratungsärztliche Stellungnahme oder ein Gutachten handele, denn auch als Stellungnahme nehme die Äußerung Bezug auf das Zusatzgutachten des Dr S vom 18.3.2001, das unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften eingeholt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Senats bestehe deshalb bezüglich des Gutachtens Dr S ein Beweisverwertungsverbot, das sich auf alle weiteren Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen erstrecke, die hierauf aufbauten.

10

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen LSG vom 20. Mai 2009, das Urteil des SG Dresden vom 19. Juli 2006 sowie den ablehnenden Verwaltungsakt im Bescheid der Beklagten vom 4. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 50 vH seit 5. April 2002 zu zahlen.

11

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Ausgehend von einer Vielzahl in Betracht kommender Erkrankungen fehle es an der Feststellung konkreter Gesundheitsstörungen auf der Grundlage eines üblichen Diagnosesystems und unter Verwendung der dortigen Begriffe und Bezeichnungen. Im Recht der Versicherungsfälle nach dem SGB VII gebe es keine Beweisregel, wonach bei fehlender Alternativursache die versicherte Ursache automatisch die wesentliche Ursache sei (unter Hinweis auf BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R). Die beratungsfachärztliche Stellungnahme der Dr H sei verwertbar, da die Klägerin von ihrem höchstpersönlichen Widerspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht habe. Die Stellungnahme sei beim SG in den Rechtsstreit eingeführt worden. Die Klägerin habe die Nichtverwertbarkeit der Stellungnahme bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht gerügt und dadurch ihr Rügerecht verloren.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist sowohl wegen Verletzung von materiellem Bundesrecht (dazu 1.) als auch wegen durchgreifender Verfahrensrügen (dazu 2.) im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der darin getroffenen Feststellungen und Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sächsische LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

14

1. Über die mit der Revision weiterverfolgten Anfechtungsklagen wegen der ablehnenden Verwaltungsakte in den Bescheiden der Beklagten und die Leistungsklage auf Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH kann der Senat nicht abschließend entscheiden, da die tatsächlichen Feststellungen des LSG keine abschließende Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erlauben.

15

a) Nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier eines Arbeitsunfalls - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden.

16

Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft(stRspr zB BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1).

17

Vorliegend würde die Einschätzung der MdE der Klägerin voraussetzen, dass der als Arbeitsunfall anerkannte Verkehrsunfall bei der Klägerin eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens hervorgerufen hat. Das Bestehen einer Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens muss ausgehend von konkreten Funktionseinbußen beurteilt werden. Soweit die MdE sich nicht ausnahmsweise unmittelbar aus den Unfallfolgen erschließt, bilden festgestellte und eindeutig nach gängigen Diagnosesystemen konkret zu bezeichnende Krankheiten (BSG 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22)die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens auf dem Gebiet des gesamten Erwerbslebens zu beurteilen ist (vgl BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 50/02 R - Juris RdNr 23; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22).

18

Nach diesen Maßstäben kann der Senat über das Bestehen eines Rentenanspruchs der Klägerin nicht entscheiden, da das LSG keine Feststellungen über die bei der Klägerin bestehende MdE getroffen hat. Es verneint zwar eine Reihe von Gesundheitsstörungen der Klägerin und diskutiert eine Reihe anderer als möglicherweise gegeben, stellt aber nicht positiv fest, welche Funktionseinschränkungen aufgrund welcher Gesundheitsstörungen aktuell vorliegen. Deshalb kann der Senat nicht entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit der Klägerin eingeschränkt ist.

19

b) Der Senat kann auch nicht dahingestellt lassen, ob und ggf welche Beeinträchtigungen des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens vorliegen. Auf die Feststellung dieser Tatsachen könnte nur verzichtet werden, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einer vorliegenden MdE sicher auszuschließen wäre. Auch hierzu hat das LSG die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen.

20

Voraussetzung eines Rentenanspruchs ist ua, dass der Versicherungsfall die Arbeitsmöglichkeiten von Versicherten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert, bei dem jeweiligen Versicherten also eine MdE verursacht (BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2; Burchardt in Becker ua, Gesetzliche Unfallversicherung - Kommentar, § 56 RdNr 11). Zur Feststellung des Ursachenzusammenhangs ist zunächst zu prüfen, ob die MdE durch einen nachgewiesenen Versicherungsfall im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne verursacht worden ist. Bejahendenfalls ist weiter zu fragen, ob auch andere - ebenfalls sicher feststehende - Faktoren, wie Vorerkrankung, Nacherkrankung, innere Ursache usw, im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne kausal für das Bestehen einer MdE geworden sind. Wird die MdE sowohl durch den Versicherungsfall als auch durch andere Faktoren verursacht, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilen, ob die MdE "wesentlich" durch den Versicherungsfall (mit)verursacht worden ist. Für diese Feststellung genügt bei der Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (stRspr BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38 S 105 f; BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 S 3 f). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 20).

21

Zwar hat das LSG vorliegend den Arbeitsunfall sowie andere Umstände als Ursachen diskutiert, es hat aber nicht festgestellt, dass entweder der Arbeitsunfall oder eine andere Ursache (zB Vorerkrankungen) oder beide Umstände für eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens eine Ursache gesetzt haben.

22

Mithin fehlt es für eine abschließende Entscheidung über den Anspruch auf Rente nach § 56 SGB VII neben der Feststellung einer MdE (oben a) auch daran, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen Versicherungsfall und einer möglichen MdE weder festgestellt noch auszuschließen ist (oben b). Daher kann der Senat nicht entscheiden, ob ein Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII besteht oder nicht besteht.

23

3. Das Urteil des LSG und die darin getroffenen Feststellungen sind auch wegen zulässig und begründet erhobener Verfahrensrügen aufzuheben.

24

a) Das LSG hat, wie von der Klägerin im Einzelnen dargelegt wurde, deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt.

25

Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung des Gerichts überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190). Wenn ein Gericht - wie hier - eigene Sachkunde bei der Urteilsfindung berücksichtigen will, muss es den Beteiligten die Grundlagen für seine Sachkunde offenbaren. Das Gericht muss darlegen, worauf seine Sachkunde beruht und was diese beinhaltet, damit die Beteiligten dazu Stellung nehmen und ihre Prozessführung hierauf einrichten können (zur Gehörsverletzung bei Unterlassung dieses Hinweises: BSG vom 5.3.2002 - B 2 U 27/01 R - Juris RdNr 20 f mwN).

26

Das LSG hat eine Überraschungsentscheidung getroffen, da es nicht den eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten gefolgt ist, sondern seine Zusammenhangsbeurteilung allein auf eine von ihm selbst unter Auswertung der unfallmedizinischen Literatur entwickelte Beurteilung, also auf eigene Sachkunde, gestützt hat. Vor der Entscheidung hat es die Beteiligten nicht auf das Bestehen eigener medizinischer Sachkunde hingewiesen und ihnen nicht erläutert, was diese beinhaltet. Damit liegt der gerügte Verfahrensfehler vor. Die Entscheidung kann auf dem Verfahrensfehler beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass die Klägerin, hätte sie Kenntnis von der Sachkunde des LSG und deren Inhalten erhalten, die von ihr aufgezeigten Einwendungen vorgebracht und dadurch das LSG zu einer anderen Entscheidung gebracht hätte.

27

b) Das LSG hat die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) verletzt.

28

Der Senat hat wiederholt entschieden, dass die Frage, ob ein Ursachenzusammenhang - zB zwischen beruflichen Einwirkungen und einer Erkrankung - zu bejahen ist, vom Tatsachengericht unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt bestehenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten ist (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 21). Nichts anderes kann gelten, wenn es bei einem geltend gemachten Rentenanspruch um die Beurteilung geht, ob ein Ursachenzusammenhang zwischen einem Versicherungsfall und einer geltend gemachten MdE besteht.

29

Diesen Anforderungen an die Sachaufklärung ist das LSG nicht gerecht geworden. Zwar hat es medizinische Sachverständigengutachten eingeholt, ist diesen aber nicht gefolgt. Da das LSG nach seiner Rechtsauffassung kein Gutachten eingeholt hatte, das den Ursachenzusammenhang dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechend beurteilte, hätte es (weitere) medizinische Ermittlungen durchführen müssen, die diesen Anforderungen entsprechen. Zwar können die Gerichte zur Entscheidungsfindung auch einschlägige wissenschaftliche Publikationen heranziehen (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 21). Diese dienen aber regelmäßig nicht der Beurteilung eines Ursachenzusammenhangs durch das Gericht selbst, sondern der kritischen Überprüfung eingeholter Gutachten daraufhin, ob sie dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen.

30

c) Demgegenüber wird das LSG die Stellungnahme der Dr H bei seiner erneuten Beweiswürdigung verwerten dürfen. Denn die weitere von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge, diese Stellungnahme sei wegen eines Verstoßes gegen § 200 Abs 2 SGB VII nicht verwertbar, ist unbegründet.

31

Die Klägerin rügt, das LSG habe die Äußerung der Ärztin Dr H vom 29.12.2003 nicht verwerten dürfen, da diese einem Beweisverwertungsverbot unterliege. Auch wenn es sich bei dieser Äußerung um eine beratungsärztliche Stellungnahme handele, sei sie nicht verwertbar, da darin auf das Gutachten des Dr S abgestellt werde, das seinerseits unter Verletzung datenschutzrechtlicher Vorschriften eingeholt worden sei. Aufgrund der Fernwirkung des Beweisverwertungsgebots bezüglich des Gutachtens Dr S sei auch die beratungsärztliche Stellungnahme der Dr H unverwertbar, was sie rechtzeitig gerügt habe.

32

Das LSG durfte und darf die ärztliche Stellungnahme der Dr H verwerten, denn weder hat die Beklagte die Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht (§ 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII; dazu aa) noch hat sie das Auswahlrecht der Klägerin (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII; dazu bb) verletzt.

33

aa) Die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII iVm § 76 Abs 2 SGB X kann ein Beweisverwertungsverbot auslösen (BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1, RdNr 50 f). Zwar besteht kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig ist (vgl BVerfG vom 19.9.2006, 2 BvR 2115/01, BVerfGK 9, 174, 196). Ein Beweisverwertungsverbot ist aber bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen außer Acht gelassen worden sind (vgl BVerfG vom 12.4.2005, 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 61). Ein solches unmittelbar aus den Grundrechten abgeleitetes Beweisverwertungsverbot ist allerdings nur anzunehmen, wenn der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl BVerfG vom 3.3.2004, 1 BvR 2378/98, BVerfGE 109, 279, 320; BVerfG vom 9.11.2010, 2 BvR 2101/09).

34

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Recht, Widerspruch gegen die Weitergabe von Sozialdaten einlegen zu können, den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 GG; dazu zuletzt BVerfG vom 21.9.2010, 1 BvR 1865/10) berührt. Aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dürfte sich kein verfassungsrechtliches Gebot ableiten lassen, die Betroffenen ausdrücklich über ihr gesetzliches Widerspruchsrecht belehren zu müssen. Auch außerhalb des SGB VII können Betroffene der Weitergabe von Sozialdaten widersprechen, wenn diese besonders schutzwürdig sind (§ 76 Abs 2 SGB X). Eine Belehrungspflicht bei jeder Weitergabe von Sozialdaten ist außerhalb des SGB VII nicht geregelt. Verletzungen des Sozialdatenschutzes führen dort vielmehr in erster Linie zu den in §§ 81 f SGB X normierten Rechtsfolgen. Die Regelung des § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII dürfte daher eine spezifisch verfahrensrechtliche Belehrungspflicht im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung begründen. Eine Verletzung der Belehrungspflicht könnte danach als einfachrechtlicher Verfahrenfehler zu qualifizieren sein (vgl auch Köhler ZFSH/SGB 2009, 451, 455).

35

Vor diesem Hintergrund ist weiter fraglich, ob die Verletzung datenschutzrechtlicher Regelungen ggf nur zum Verbot der Verwertung des rechtswidrig erhobenen Beweismittels führt, oder ob dies Beweisverwertungsverbot - kraft Fernwirkung - sogar auf später erhobene Beweismittel durchschlägt, die auf das unter Verletzung von Datenschutz- oder Verfahrensrechten eingeholte Gutachten Bezug nehmen (so BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1, RdNr 62 f).

36

Die Annahme einer solchen Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots ist in der Literatur auf Kritik gestoßen (kritisch Bieresborn, Anm zu B 2 U 8/07 R, SGb 2009, 49, 51; Behrens/Froede, NZS 2009, 129, 134; zum Vergleich mit fehlender Belehrungspflicht im Strafrecht: Köhler in ZFSH/SGB 2009, 451, 460 f; "schwer erträglich" Kunze, VSSR 2009, 205, 216; "nicht überzeugend" C. Wagner in jurisPR-SozR 25/2008 Anm 6). Diese Kritik führt vor allem an, dass in der Rechtsprechung des BVerfG und der obersten Gerichtshöfe des Bundes eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten in aller Regel abgelehnt wird (vgl BVerfG vom 8.12.2005 - 2 BvR 1686/04 - BVerfGK 7, 61; BGH vom 28.4.1987 - 5 StR 666/86 - BGHSt 34, 362; BGH vom 24.8.1983 - 3 StR 136/83 - BGHSt 32, 68, 71; BGH vom 6.8.1987 - 4 StR 333/87 - BGHSt 35, 32). Diese Kritik sowie die ständige Rechtsprechung dieser Gerichte werden bei erneuter Prüfung der Problematik zu bedenken sein.

37

Vorliegend kommt es auf diese grundsätzlichen Erwägungen nicht an. Das LSG durfte die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr H vielmehr schon deshalb verwerten, weil eine Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht nicht vorliegt.

38

Eine Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht besteht nach dem Tatbestand des § 200 Abs 2 SGB VII nur für ärztliche "Gutachten". Auf ärztliche Stellungnahmen von Beteiligten ist die Regelung nicht anwendbar. Dr H hat aber für die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme abgegeben. Die Beklagte hat die Ärztin nicht zur Sachverständigen bestellt, sondern nur ihre fachliche Bewertung des Gutachtens eines bestellten Sachverständigen eingeholt. Dr H hat ihre Stellungnahme als beratungsärztliche Äußerung bezeichnet. Auch ihrem Inhalt nach hat sie die Klägerin nicht untersucht und kein Gutachten nach Aktenlage abgegeben. Jeder Beteiligte ist nach dem SGG vielmehr berechtigt, sein Vorbringen auch auf Äußerungen von Beratungsärzten, Hausärzten oder behandelnde Fachärzte zu stützen.

39

Die Stellungnahme der Dr H, in der auf das Gutachten des Dr S hingewiesen wird, ist auch schon deshalb nicht unverwertbar, weil dieses Gutachten seinerseits nicht unter Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht eingeholt wurde.

40

Der Senat hatte auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge zu prüfen, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler tatsächlich vorliegt und dabei festgestellt, dass die Klägerin vor Einholung des Gutachtens Dr S mit Schreiben vom 25.1.2001 nach § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden war. Die Beklagte schlug der Klägerin mit Schreiben vom 25.1.2001 Gutachter zur Auswahl vor und belehrte sie in demselben Schreiben über ihr Widerspruchsrecht. Diese Belehrung erfolgte zwar nicht in Bezug auf einen namentlich benannten Arzt, hier zB Dr S. Dies ist nach dem Wortlaut der Vorschrift aber auch nicht geboten, denn diese fordert eine im Zusammenhang mit dem Vorschlag von Gutachtern oder deren Beauftragung zu erteilende Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 76 Abs 2 SGB X. Diesen Anforderungen genügte die Beklagte, als sie die Klägerin allgemein, rechtzeitig und vollständig darüber belehrt hat, dass ihre Sozialdaten an die zu beauftragenden Gutachter weitergegeben werde und sie der Weitergabe der Daten widersprechen kann.

41

bb) Die Beklagte hat auch nicht das Auswahlrecht der Klägerin (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII) verletzt.

42

Der Senat ließ in der Entscheidung vom 5.2.2008 (B 2 U 8/07 R, BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1) offen, ob die Verletzung des Auswahlrechts (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII) ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht (BSG aaO, RdNr 57). Inzwischen hat er entschieden, dass die Verletzung des Auswahlrechts nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führt, wenn der Betroffene die Verletzung des Auswahlrechts nicht rechtzeitig rügt (Rügeobliegenheit). Durch die Rüge wird der Unfallversicherungsträger in die Lage versetzt, die eingetretene Rechtsverletzung zu beseitigen sowie zeitnah und nach Maßgabe der §§ 20, 67 ff SGB X, 200 f SGB VII neue Ermittlungen durchzuführen, um dem Beschleunigungsgebot aus § 9 Satz 2 SGB X entsprechend zügig über geltend gemachte Ansprüche zu entscheiden(§ 2 Abs 2 SGB I). Hier kann aber dahingestellt bleiben, ob die anwaltlich vertretene Klägerin rechtzeitig die Verletzung des Auswahlrechts bei Einholung des Gutachtens Dr S gerügt und der Begutachtung durch diesen Arzt widersprochen hätte (vgl auch BSG vom 20.7.2010 - B 2 U 17/09 R - Juris RdNr 33 f; zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen), denn die Beklagte hat schon das Auswahlrecht der Klägerin nicht verletzt.

43

Zwar dürfte das Auswahlrecht der Versicherten nach § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII auch bezüglich der Zusatzgutachter zu beachten sein(vgl Dahm in Lauterbach, UV , Stand August 2009, § 200 RdNr 17 mwN). Die Verletzung kommt in Betracht, denn die Beklagte hat der Klägerin nicht mehrere namentlich benannte Zusatzgutachter vorgeschlagen. Das Auswahlrecht der Klägerin ist dennoch nicht verletzt, denn der Vorschlag mehrerer Zusatzgutachter zur Auswahl war im vorliegenden Fall entbehrlich ("soll").

44

Der Verzicht der Beklagten auf Benennung von mehreren Zusatzgutachtern zur Auswahl war nicht rechtswidrig, denn es lag ein atypischer Fall vor. Die Beklagte teilte der Klägerin mit, dass die Einholung eines orthopädischen und eines Haupt- und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens beabsichtigt sei. Hierzu schlug sie der Klägerin drei Hauptgutachter und einen Zusatzgutachter zur Auswahl vor. Die Klägerin wandte sich gegen die Begutachtung durch einen der vorgeschlagenen Gutachter und teilte mit, sie wolle durch einen Arzt des Evangelischen Stifts St. M. in K. begutachtet werden. Die Beklagte folgte dem Vorschlag der Klägerin und beauftragte Chefarzt Prof. Dr. B. vom Evangelischen Stift St. M. mit dem Hauptgutachten. Sie bat ihn, bei einem namentlich nicht benannten Arzt ein neurologisch-psychiatrisches Zusatzgutachten einzuholen. Der Hauptgutachter wählte Dr S als Zusatzgutachter aus und beauftragte ihn.

45

Zur Erreichung der mit der Vorschlagspflicht verfolgten Zwecke war es vorliegend nicht geboten, der Klägerin mehrere Zusatzgutachter zur Auswahl zu benennen. § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII bezweckt die Gewährleistung eines transparenten Verfahrens, die Bereitstellung eines Pools von Gutachtern und die Sicherung des Datenschutzes(BT-Drucks 13/4853, S 22). Möglicherweise dient die Regelung, ohne dass dies allerdings Erwähnung in der Gesetzesbegründung gefunden hätte, auch der Verhinderung einer Übermacht des Unfallversicherungsträgers im Verfahren (so der Senat im Urteil vom 5.2.2008 aaO, RdNr 37 bis 39; kritisch dazu Kunze, VSSR 2009, 205, 209 f).

46

Die Versicherte schlug der Beklagten selbst vor, die Begutachtung solle in einer von ihr gewählten Einrichtung erfolgen. Die Beklagte folgte dem Vorschlag. Sie musste, da die Einrichtung weit außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs lag, dort keinen Pool von zur Begutachtung kompetenten Ärzten vorhalten. Die Beklagte nahm auch keinen Einfluss auf die Auswahl der Person des Zusatzgutachters, denn sie überließ die Auswahl dem von der Klägerin gewünschten Hauptgutachter und griff nicht in die Auswahl des Zusatzgutachters ein (vgl auch Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2011, § 200 SGB VII Anm 4.3; kritisch C. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII § 200 RdNr 39). Vorliegend kommt hinzu, dass Dr S kein Hauptgutachten erstattet hat, sondern als Zusatzgutachter für den Hauptgutachter tätig geworden ist. Die Beauftragung eines vom Versicherten gewünschten Arztes löst auch kein weiteres/neues Auswahlverfahren aus.

47

Nach allem ist die Verfahrensrüge der Klägerin unbegründet; das LSG durfte und darf die Stellungnahme der Dr H verwerten.

48

4. In dem wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG aktuelle medizinische Gutachten zu der Frage einzuholen haben, ob konkret zu bezeichnende Gesundheitsstörungen vorliegen, die zu bestimmten Funktionseinschränkungen führen, die bei der Klägerin eine MdE verursachen. Soweit dies zu bejahen ist, ist weiter gutachtlich zu klären, ob zwischen Versicherungsfall und der MdE ein Ursachenzusammenhang besteht und ob daneben andere Ursachen die MdE begründen. Falls mehrere Ursachen für die MdE festgestellt werden, wird zu beurteilen sein, ob der Arbeitsunfall für den Eintritt der MdE eine rechtlich wesentliche Ursache war. Dabei ist das LSG nicht gehindert, die von der Beklagten erhobenen Gutachten und die von ihr vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen zu verwerten.

49

5. Das LSG hat in der einheitlich zu treffenden Kostenentscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

(1) Für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist § 1150 Abs. 2 und 3 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden. § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung gilt nicht für Versicherungsfälle aus dem Wehrdienst ehemaliger Wehrdienstpflichtiger der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik. Tritt bei diesen Personen nach dem 31. Dezember 1991 eine Berufskrankheit auf, die infolge des Wehrdienstes entstanden ist, gelten die Vorschriften dieses Buches.

(2) Die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst gelten nicht für Versicherungsfälle in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind; für diese Versicherungsfälle ist § 1152 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, dass der zuletzt am 1. Juli 2001 angepasste Betrag aus § 1152 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung ab 1. Januar 2002 in Euro umgerechnet und auf volle Euro-Beträge aufgerundet wird.

(3) Für Versicherungsfälle im Zuständigkeitsbereich der Unfallversicherung Bund und Bahn nach § 125 Absatz 1, die nach dem 31. Dezember 1991 eingetreten sind, gilt § 85 Abs. 2 Satz 1 mit der Maßgabe, daß der Jahresarbeitsverdienst höchstens das Zweifache der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls geltenden Bezugsgröße (West) beträgt.

(4) Für Versicherte an Bord von Seeschiffen und für nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 versicherte Küstenschiffer und Küstenfischer ist § 1152 Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, daß an die Stelle der dort genannten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung § 92 dieses Buches tritt.

(5) Die Vorschriften über die Anpassung der vom Jahresarbeitsverdienst abhängigen Geldleistungen und über die Höhe und die Anpassung des Pflegegeldes gelten nicht für Versicherungsfälle in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet; für diese Versicherungsfälle sind § 1151 Abs. 1 und § 1153 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, daß an die Stelle der dort genannten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung § 44 Abs. 2 und 4 sowie § 95 dieses Buches treten. Abweichend von Satz 1 ist bei den Anpassungen ab dem 1. Juli 2001 der Vomhundertsatz maßgebend, um den sich die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet verändern. § 1151 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung gilt mit der Maßgabe, dass ab 1. Januar 2002 an die Stelle des Pflegegeldrahmens in Deutscher Mark der Pflegegeldrahmen in Euro tritt, indem die zuletzt am 1. Juli 2001 angepassten Beträge in Euro umgerechnet und auf volle Euro-Beträge aufgerundet werden.

(6) Für die Feststellung und Zahlung von Renten bei Versicherungsfällen, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind, ist § 1154 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, daß an die Stelle der dort genannten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung die §§ 56 und 81 bis 91 dieses Buches treten.

(7) Für die Feststellung und Zahlung von Leistungen im Todesfall ist § 1155 Abs. 1 Satz 2 und 3 sowie Abs. 2 und 3 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden mit der Maßgabe, daß an die Stelle der dort genannten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung § 65 Abs. 3 und § 66 dieses Buches treten. Bestand am 31. Dezember 1991 nach dem in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet geltenden Recht ein Anspruch auf Witwenrente, Witwerrente oder Waisenrente, wird der Zahlbetrag dieser Rente so lange unverändert weitergezahlt, wie er den Zahlbetrag der Rente, die sich aus den §§ 63 bis 71 und aus Satz 1 ergeben würde, übersteigt.

(8) Die Vorschrift des § 1156 der Reichsversicherungsordnung in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung ist weiter anzuwenden.

(9) (weggefallen)

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.