Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Juli 2012 geändert.

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vom 16. März 2009 bis 31. August 2009 Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung von Einkommen zu zahlen.

Im Übrigen wird die Revision des Beklagten zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozial-gesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom 16.3.2009 bis 31.8.2009 ohne Berücksichtigung einer im Januar 2009 zugeflossenen einmaligen Einnahme als Einkommen.

2

Der 1964 geborene, allein lebende Kläger bezieht seit 2006 Arbeitslosengeld II (Alg II). Mit einer geringfügigen Beschäftigung erzielte er im März und Juni 2009 einen monatlichen Verdienst von 68 Euro und in den Monaten Juli und August 2009 von jeweils 80 Euro. Das beklagte Jobcenter bewilligte ihm für die Zeit vom 1.1.2009 bis 30.6.2009 monatliche Leistungen in Höhe von 707,40 Euro. Nach Zufluss eines Betrags in Höhe von 6477,47 Euro aus einer Erbschaft hob es die Bewilligung ab 1.2.2009 vollständig auf und kündigte sinngemäß an, dass die als einmalige Einnahme zu berücksichtigende Erbschaft über einen Zeitraum von sieben Monaten auf den Leistungsanspruch des Klägers angerechnet werde (Bescheid vom 4.2.2009 und Widerspruchsbescheid vom 12.5.2009). Am 16.3.2009 beantragte der Kläger erneut Alg II und gab unter Vorlage von Belegen über Ausgaben von etwa 4900 Euro an, er habe die Erbschaft bereits vollständig verbraucht und sei nunmehr wieder hilfebedürftig; ua habe er das Erbe für die Anschaffung einer Digitalkamera, den Ersatz von verschlissenen Möbeln, für Kleidungsstücke, den Ersatz eines defekten Fernsehers, die Anschaffung eines Laptops sowie eine preiswerte Pauschalreise in die Türkei eingesetzt. Diesen Antrag lehnte der Beklagte ab, weil ungeachtet des fraglichen Verbleibs eines Restbetrags aus der Erbschaft ein Anspruch auch dann nicht bestehe, wenn die Mittel hieraus vollständig verbraucht seien (Bescheid vom 16.4.2009 und Widerspruchsbescheid vom 12.5.2009).

3

Während das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Klage hiergegen abgewiesen hat (Urteil vom 28.5.2010), hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG geändert und den Beklagten entsprechend dem zuletzt im Berufungsverfahren verfolgten Begehren des Klägers unter Aufhebung des Bescheids vom 16.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.5.2009 verurteilt, ihm für die Zeit vom 16.3.2009 bis 31.8.2009 Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung von Einkommen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu "bewilligen" (Urteil vom 19.7.2012). Ungeachtet der ihm zugeflossenen Erbschaft habe der hilfebedürftige Kläger Anspruch auf Leistungen auch für den im Streit stehenden Zeitraum. Zu seiner - des LSG - Überzeugung sei die Erbschaft im Zeitpunkt der Antragstellung am 16.3.2009 vollständig verbraucht gewesen. Abgesehen von nicht zurechenbaren Zuwendungen Dritter hätten deshalb ab diesem Zeitpunkt keine bereiten Mittel zum Lebensunterhalt mehr zur Verfügung gestanden. Auf eine fiktive Anrechnung der einmaligen Einnahme müsse sich der Kläger nicht verweisen lassen. Da auch seine Einkünfte aus der geringfügigen Beschäftigung während des streitigen Zeitraums nicht über 100 Euro gelegen hätten, seien ihm Leistungen ohne Anrechnung von Einkommen zu gewähren.

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von § 2 Abs 4 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung( idF der Ersten Verordnung zur Änderung der Alg II-V vom 18.12.2008, BGBl I 2780) und von § 2 Abs 2 Satz 1 SGB II. Hiernach seien einmalige Einnahmen selbst bei vorzeitigem Verbrauch über den vorgegebenen Verteilzeitraum anzurechnen.

5

Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Juli 2012 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28. Mai 2010 zurückzuweisen.

6

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das LSG entschieden, dass dem Kläger in der Zeit vom 16.3.2009 bis 31.8.2009 dem Grunde nach Alg II ohne Berücksichtigung der ihm im Januar 2009 zugeflossenen Erbschaft zusteht, nur der Tenor war zu berichtigen.

8

1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 16.4.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.5.2009, mit dem der Beklagte den Antrag auf erneute Bewilligung von Alg II für die Zeit ab 16.3.2009 abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 Sozialgerichtsgesetz), nach seinem Klageziel begrenzt auf den Zeitraum bis zum 31.8.2009 und gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 SGG). Von dessen Zulässigkeit ist das LSG zu Recht ausgegangen, nachdem es für den Senat bindend (§ 163 SGG)festgestellt hat, dass der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II (Alter, Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt) in dem streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt und weiteres Einkommen und Vermögen nicht zu berücksichtigen ist, mithin also ein Anspruch auf Alg II besteht(vgl zur Zulässigkeit und den Voraussetzungen aus der Rechtsprechung der für das SGB II zuständigen Senate des Bundessozialgerichts : BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 16; BSG Urteil vom 16.5.2007 - B 11b AS 37/06 R - BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr 4, RdNr 15 ff; BSG Urteil vom 27.1.2009 - B 14/7b AS 8/07 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 4 RdNr 11; BSG Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 35/12 R - BSGE 111, 234 = SozR 4-1500 § 54 Nr 28, RdNr 19; BSG Urteil vom 23.8.2012 - B 4 AS 167/11 R - RdNr 12). Insoweit ist das LSG auch trotz seines Tenors, Leistungen ohne Anrechnung von Erwerbseinkommen "zu bewilligen", nicht unzulässig hinter dem Leistungsantrag des Klägers zurückgeblieben, weil es den Beklagten ausweislich der Entscheidungsgründe nicht nur zum Erlass eines entsprechenden Verwaltungsaktes, sondern auch zur Leistung verurteilt hat. Lediglich klarstellend war im Tenor zum Ausdruck zu bringen, dass dem Kläger Alg II ohne Anrechnung (überhaupt) von Einkommen zu zahlen ist.

9

2. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass der Kläger in dem im Streit stehenden Zeitraum als erwerbsfähiger Hilfebedürftiger (vgl § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II) dem Grunde nach Anspruch auf Alg II hat (vgl § 19 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung), weil ihm, von dem jeweils unter 100 Euro monatlich liegenden und daher nicht zu berücksichtigenden Verdienst aus seiner geringfügigen Beschäftigung (§ 11 Abs 2 Satz 3 SGB II idF des Freibetragsneuregelungsgesetzes vom 14.8.2005, BGBl I 2407) abgesehen, kein zu berücksichtigendes Einkommen zur Sicherung seines Lebensunterhalts zur Verfügung stand.

10

a) Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II(idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954) sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. Dabei sind Einnahmen iS des § 11 Abs 1 SGB II nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazuerhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte(vgl nur BSG Urteil vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 18). Zutreffend hat das LSG ausgeführt, dass sich die einmalige Einnahme damit im Zeitpunkt des Zuflusses als Einkommen darstellte. Diesen Charakter als Einkommen verliert eine einmalige Einnahme auch nach erneuter Antragstellung im nachfolgenden Bewilligungszeitraum nicht. Die rechtliche Wirkung des "Zuflussprinzips" endet nicht mit dem Monat des Zuflusses, sondern erstreckt sich über den gesamten Zeitraum, auf den das Einkommen (vorliegend nach § 2 Abs 4 Alg II-V idF vom 18.12.2008; vgl jetzt § 11 Abs 3 Satz 3 SGB II idF des Art 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453 - neue Fassung ) aufgeteilt wird, den sog "Verteilzeitraum" (vgl nur BSG Urteile vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 21 und - B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 28 sowie BSG Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 64/08 R - juris RdNr 25); davon geht der Beklagte zutreffend aus.

11

b) Nicht unbeachtlich ist entgegen der Auffassung des Beklagten aber, ob die einmalige Einnahme im Bedarfszeitraum nicht mehr zur Verfügung stand; dem ist das LSG zu Recht nicht gefolgt. Wie der Senat bereits entschieden hat, kommt es bei Berücksichtigung einer Einnahme als Einkommen in einem abschließenden Prüfungsschritt darauf an, ob zugeflossenes Einkommen als "bereites Mittel" geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken. Dies gilt auch bei Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme über einen Verteilzeitraum hinweg ohne Einschränkungen (BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - BSGE 112, 229 = SozR 4-4200 § 11 Nr 57, RdNr 13 ff mwN). Hiernach muss zwar der Hilfebedürftige sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich verwenden, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (BSG Urteil vom 19.9.2008 - B 14/7b AS 10/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 18 RdNr 25). Dementsprechend ist er bei Zufluss einer einmaligen Einnahme gehalten, das Geld nicht zur Schuldendeckung zu verwenden, sondern über den Verteilzeitraum hinweg zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen. Wenn die einmalige Einnahme, deren Berücksichtigung als Einkommen in Rede steht, tatsächlich aber nicht (mehr) uneingeschränkt zur Verfügung steht, ist ein Leistungsanspruch nicht ausgeschlossen. Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen aufgrund einer unwiderleglichen Annahme, dass die Hilfebedürftigkeit bei bestimmtem wirtschaftlichen Verhalten - hier dem Verbrauch der einmaligen Einnahme in bestimmten monatlichen Teilbeträgen - (teilweise) abzuwenden gewesen wäre, ist mit Art 1 Grundgesetz (GG) iVm Art 20 GG nicht vereinbar (vgl nur Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 = Breith 2005, 803 = juris RdNr 28). Diesem Gedanken folgt das gesetzgeberische Grundprinzip, dass Einkommen nicht "fiktiv" berücksichtigt werden darf, sondern tatsächlich geeignet sein muss, Hilfebedürftigkeit zu beseitigen (BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - BSGE 112, 229 = SozR 4-4200 § 11 Nr 57, RdNr 14 mwN).

12

c) Hieran ist festzuhalten, wie der Senat bereits mit Urteil vom 17.10.2013 (B 14 AS 38/12 R) bekräftigt hat. Schon vor der Entscheidung des erkennenden Senats vom 29.11.2012 hatte der 4. Senat am Beispiel der Berücksichtigung schwankender Einnahmen ebenso darauf hingewiesen, dass es auf den tatsächlichen Zufluss "bereiter Mittel" ankommt (vgl BSG Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 29 mwN). Nunmehr hat er sich mit Urteil vom 10.9.2013 dem Ausspruch vom 29.11.2012 für die vorliegende Fallgestaltung ausdrücklich angeschlossen (B 4 AS 89/12 R, Terminbericht Nr 44/13 zu 2 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 11 Nr 62 vorgesehen). Dem ist anders als vom Beklagten geltend gemacht auch nicht entgegenzuhalten, dass der vorzeitige Verbrauch laufender Einnahmen einen nachträglich höheren Leistungsanspruch im Zuflussmonat ebenfalls nicht zu begründen vermöge und in diesem Fall neben der Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen (§ 23 Abs 2 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung , § 24 Abs 2 SGB II nF) nur eine darlehensweise Leistungsgewährung in Betracht komme. Dabei kann offenbleiben, ob das überhaupt zutrifft. Vorliegend ist nämlich nicht zu entscheiden, inwieweit der Verbrauch laufender Einnahmen vor Ablauf des Monats, in dem sie zugeflossen sind, als wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch anzusehen ist und mithin nachträglich Leistungsansprüche entstehen würden. Denn hier stand die Erbschaft nach Feststellung des LSG schon zu Beginn des im Streit stehenden Bewilligungszeitraums nicht mehr zur Sicherung des Lebensunterhalts zur Verfügung. In solcher Lage ist für eine darlehensweise Leistungsgewährung schon im Ansatz kein Raum, wie der Senat in seiner Entscheidung vom 29.11.2012 im Einzelnen dargelegt hat: Weder ist ein nur einmaliger Bedarf iS von § 23 Abs 1 SGB II aF zu decken(nunmehr § 24 Abs 1 SGB II nF)noch kommt die darlehensweise Gewährung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei zu erwartendem Zufluss von Einkommen in Betracht (BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - BSGE 112, 229 = SozR 4-4200 § 11 Nr 57, RdNr 19 mwN).

13

3. In Betracht zu ziehen ist allerdings, dass ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II entstanden sein könnte; das hat der Senat bereits mit der Entscheidung vom 29.11.2012 ausgesprochen und mit Urteil vom 16.4.2013 nochmals bekräftigt (B 14 AS 55/12 R - SozR 4-4200 § 34 Nr 2 RdNr 22). Insbesondere wenn dem Leistungsberechtigten aus vorangegangenen Bezugszeiträumen oder nach entsprechender Aufklärung durch den Träger der Grundsicherung, die insbesondere bei sog Aufstockern mit laufendem und einmaligen Erwerbseinkommen angezeigt erscheint, bekannt ist oder bekannt sein müsste, in welcher Weise der Einsatz einer einmaligen Einnahme von ihm erwartet wird, kann bei entgegenstehendem Verhalten ein solcher Anspruch entstehen (zu den Voraussetzungen des § 34 SGB II im Einzelnen BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 = SozR 4-4200 § 34 Nr 1, RdNr 16 ff).

14

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die1.das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,2.erwerbsfähig sind,3.hilfebedürftig sind und4.ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschla

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(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dies

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 163


Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 19 Bürgergeld und Leistungen für Bildung und Teilhabe


(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Bürgergeld. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Bürgergeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach

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(1) Kann im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 23 Besonderheiten beim Bürgergeld für nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte


Beim Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 2 gelten ergänzend folgende Maßgaben:1.Als Regelbedarf wird bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 6, vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahre

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 130


(1) Wird gemäß § 54 Abs. 4 oder 5 eine Leistung in Geld begehrt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann auch zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden. Hierbei kann im Urteil eine einmalige oder laufende vorläufige Leistung angeordnet w

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(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen müssen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person mu

Bürgergeld-Verordnung - AlgIIV 2008 | § 2 Berechnung des Einkommens aus nichtselbständiger Arbeit


(1) Bei der Berechnung des Einkommens aus nichtselbständiger Arbeit (§ 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch) ist von den Bruttoeinnahmen auszugehen. (2) (weggefallen) (3) (weggefallen) (4) (weggefallen) (5) Bei der Berechnung des Ei

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(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grun

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Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 19. März 2015 insgesamt aufgehoben. Das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 3. Mai 2011 und

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(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen müssen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person muss aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung in Arbeit mitwirken, insbesondere einen Kooperationsplan abschließen. Im Rahmen der vorrangigen Selbsthilfe und Eigenverantwortung sollen erwerbsfähige leistungsberechtigte Personen eigene Potenziale nutzen und Leistungen anderer Träger in Anspruch nehmen.

(2) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen haben in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte müssen ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen einsetzen.

(1) Wird gemäß § 54 Abs. 4 oder 5 eine Leistung in Geld begehrt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann auch zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden. Hierbei kann im Urteil eine einmalige oder laufende vorläufige Leistung angeordnet werden. Die Anordnung der vorläufigen Leistung ist nicht anfechtbar.

(2) Das Gericht kann durch Zwischenurteil über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfrage vorab entscheiden, wenn dies sachdienlich ist.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. Juni 2011 und des Sozialgerichts Nordhausen vom 9. März 2009 aufgehoben. Die Klage gegen die Bescheide des Beklagten vom 9. Januar 2008 und vom 17. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2008 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für September 2007 in Höhe von 20 Cent, die sich nach ihrem Vorbringen allein aus Rundungsdifferenzen ergeben.

2

Der Beklagte bewilligte der Klägerin zuletzt mit Bescheid vom 9.1.2008 ua für September 2007 Leistungen in Höhe von 624,80 Euro (Regelleistung und Mehrbedarf für werdende Mütter in Höhe von 376,50 Euro sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 248,30 Euro). Mit ihrem Widerspruch machte sie (anwaltlich vertreten) die mangelnde Begründung des Bescheides und die unzutreffende Anwendung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (im Folgenden: alte Fassung) geltend. Im Hinblick auf die zuvor der Höhe nach unzutreffend abgesetzte Warmwasserpauschale bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 17.9.2008 für September 2007 insgesamt 625,74 Euro (Regelleistung und Mehrbedarf wie bisher, daneben Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 249,24 Euro). Die Nachzahlung von 94 Cent werde auf das Konto der Klägerin überwiesen. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.9.2008 zurück. Eine Auf- und Abrundung hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung finde nicht statt. Insoweit seien gemäß § 22 Abs 1 SGB II die tatsächlichen Aufwendungen zu erbringen, soweit sie angemessen seien.

3

Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Nordhausen erhoben und dabei beantragt, ihr unter Änderung der genannten Bescheide "höhere Leistungen (Rundungsregelung)" zu bewilligen. Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 9.3.2009). Aus der Anwendung der Rundungsregelung ergebe sich ein weiterer Leistungsanspruch in Höhe von 20 Cent. Das Thüringer Landessozialgericht (LSG) hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten die Berufung zugelassen und diese sodann mit Urteil vom 23.6.2011 zurückgewiesen. Die Klage sei zulässig. Allein ein geringer Streitwert lasse das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 24.3.2011 - 1 BvR 1737/10 - NJW 2011, 2039). Im Übrigen habe der Beklagte keine derartigen Bedenken hinsichtlich des Berufungsverfahrens, ohne dass ein Differenzierungsgrund ersichtlich sei. Die Klage sei auch begründet, denn der Klägerin stünden für den Monat September 2007 nach § 41 Abs 2 SGB II aF um 26 Cent höhere Leistungen zu. Ihr Gesamtanspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 625,74 Euro sei nach § 41 Abs 2 SGB II aF auf einen vollen Euro Betrag um 0,26 Euro auf 626 Euro aufzurunden. § 41 Abs 2 SGB II aF enthalte ein subjektiv-öffentliches Recht des Betroffenen auf Aufrundung und stelle keine Vorschrift dar, deren Beachtung im Belieben der Verwaltung stehe, was das LSG im Einzelnen ausgeführt hat. Der Beklagte habe auch die außergerichtlichen Kosten zu tragen. Eine abweichende Entscheidung aus Billigkeitsgesichtspunkten zu seinen Gunsten sei nicht geboten, da bereits seit mehreren Jahren in den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (, Hinweis auf BSG Urteil vom 25.6.2008 - B 11b AS 45/06 R - juris RdNr 52; Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35; Urteil vom 1.6.2010 - B 4 AS 67/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 28 RdNr 15) ausdrücklich auf die Vornahme der Rundung hingewiesen worden sei.

4

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten. Er ist der Ansicht, für die Klage auf einen Bagatellbetrag bestehe kein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis. Der möglicherweise bestehende Anspruch stehe in keinem Verhältnis zu den Kosten für die Bereithaltung der Justiz. Zudem würde ein vernünftig und rational handelnder Beteiligter keinen Rechtsanwalt beauftragen und so zusätzlich ein Kostenrisiko eingehen. Die Urteile der Vorinstanzen verletzten zudem materielles Recht. § 41 Abs 2 SGB II aF vermittele kein subjektives öffentliches Recht, denn er diene nicht dem Schutz der Individualinteressen.

5

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. Juni 2011 und des Sozialgerichts Nordhausen vom 9. März 2009 aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide des Beklagten vom 9. Januar 2008 und vom 17. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2008 abzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Die Verurteilung zur Zahlung weiterer 20 Cent durch die Vorinstanzen verletzt den Beklagten in seinen Rechten, denn die Klage ist schon nicht zulässig.

9

1. Streitgegenstand der Revision ist - wie im Berufungsverfahren - lediglich noch die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von weiteren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 20 Cent für September 2007, die der Beklagte zuvor mit Bescheiden vom 9.1.2008 und vom 17.9.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.9.2008 abgelehnt hat. Die Klägerin hat sich nicht gegen das Urteil des SG gewandt, wonach sich lediglich ein Anspruch in dieser Höhe ergab. Der Beklagte ist nicht allein dadurch beschwert, dass das LSG in den Gründen davon ausgeht, es hätte sich bei zutreffender Berechnung über die Verurteilung durch das SG hinaus ein Anspruch von (weiteren) 6 Cent ergeben. Das LSG hat die Berufung des Beklagten (lediglich) zurückgewiesen und unter dem Gesichtspunkt der reformatio in peius nicht zur Zahlung von weiteren Leistungen verurteilt.

10

2. Die Revision des Beklagten ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt. Es fehlt - wie bereits bei Führung der Berufung - nicht am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis für die Revision unabhängig davon, ob für die Klageerhebung durch die Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis bestand. Das Rechtsschutzbedürfnis ist keine besondere Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels, sondern ergibt sich im Allgemeinen ohne Weiteres aus der formellen Beschwer des Rechtsmittelklägers, der mit seinem Begehren in der vorangegangenen Instanz unterlegen ist. Mit dem Erfordernis der Beschwer ist in aller Regel gewährleistet, dass das Rechtsmittel nicht eingelegt wird, ohne dass ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelklägers hieran besteht (vgl Bundesgerichtshof BGHZ 57, 224, 225 = NJW 1972, 112; im Ausgangspunkt ebenso BSG Urteil vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 13). Ein sachliches Bedürfnis in diesem Sinne liegt auch vor, wenn die eigentliche Beschwer vorwiegend von der den Rechtsmittelkläger belastenden Kostenentscheidung ausgeht (vgl BGH aaO; ähnlich BVerfG 17.11.2009 - 1 BvR 1964/09 - NJW 2010, 1349 RdNr 9), selbst wenn das Rechtsmittel seinerseits nicht ausdrücklich auf die Kostenentscheidung beschränkt sein darf (vgl § 144 Abs 4, § 165 SGG).

11

Zwar gilt auch für Rechtsmittel der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte grundlos oder für unlautere Zwecke in Anspruch nehmen darf (hierzu etwa BSG Urteil vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 13). Ein solcher Fall ist vorliegend aber nicht erkennbar. Der Beklagte hat trotz der geänderten Rechtslage in § 41 Abs 2 SGB II ein Interesse an der abschließenden Klärung, ob die Inanspruchnahme der Gerichte allein wegen Beträgen, die sich aus der Anwendung der Rundungsregelungen ergeben, zulässig ist. Hierzu hat er bereits im Verfahren wegen der Zulassung der Revision vorgetragen, dass noch eine erhebliche Anzahl von Klagen anhängig sei, die nur wegen der Anwendbarkeit der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II aF geführt würden. Zum anderen ist auch im Hinblick auf § 41 Abs 2 SGB II in der seit dem 1.4.2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453; neue Fassung ) in der Literatur nicht unumstritten, ob die Dezimalstellenberechnung nach § 41 Abs 2 SGB II nF auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung grundsätzlich Anwendung findet(bejahend Burkiczak in jurisPK-SGB II, § 41 RdNr 33; ablehnend Kapp in BeckOK-Sozialrecht, § 41 SGB II RdNr 9, Stand 1.9.2012) und wie insbesondere bei der Aufteilung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen der Bedarfsgemeinschaft zu verfahren ist (dazu Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 41 RdNr 105). Der Wortlaut stellt schließlich nach in der Literatur vertretenen Auffassungen nicht abschließend klar, ob eine Berechnung iS des § 41 Abs 2 SGB II nF jeden Berechnungsschritt erfasst(vgl Hengelhaupt aaO, RdNr 106; Burkiczak aaO). Von daher kann nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass sich künftig Rechtsstreitigkeiten allein gestützt auf die Anwendung der Berechnungsregelungen nicht mehr ergeben werden.

12

3. Die allein unter Hinweis auf die (behauptete fehlerhafte) Anwendung der Rundungsregelungen erhobene Klage ist unzulässig. Der Klägerin steht zwar eine Klagebefugnis zu, denn sie behauptet, durch die teilweise Ablehnung einer höheren Leistung in eigenen Rechten verletzt zu sein (vgl § 54 Abs 1 Satz 2 SGG; dazu unter a). Es besteht gleichwohl kein (allgemeines) Rechtsschutzbedürfnis für einen Leistungsberechtigten, der mit seiner Klage ausschließlich die Verletzung der Rundungsregelung nach § 41 Abs 2 SGB II aF geltend macht(dazu unter b).

13

a) Weder die Klagebefugnis als Sachurteilsvoraussetzung, die die Prozessordnung an die schlüssige Behauptung der Klägerin knüpft, in eigenen Rechten verletzt zu sein, noch die Verletzung der Klägerin in ihren Rechten als Voraussetzung für den (möglichen) Erfolg der Klage in der Sache, lassen sich im Hinblick auf die nach § 41 Abs 2 SGB II aF zur Anwendung kommenden Rundungsregelungen von vornherein verneinen. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich auch bei dem Teil des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II, der auf der Anwendung von Rundungsregelungen beruht, um ein subjektives Recht der Klägerin.

14

Eine Rechtsvorschrift verlautbart dann ein subjektiv-öffentliches Recht, wenn sie nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse eines aus der Norm abgrenzbaren Kreises Privater zu dienen bestimmt ist, und wenn sie diesen Begünstigten die Rechtsmacht verleiht, die Befolgung der öffentlich-rechtlichen Pflicht von dem Hoheitsträger rechtlich verlangen zu können. Begünstigungen, die diesen Kriterien nicht genügen, sind dagegen bloße Rechtsreflexe (vgl etwa BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 4 R 71/06 R - BSGE 97, 63 = SozR 4-2500 § 255 Nr 1, RdNr 32 mwN).

15

Die sich aus der Anwendung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II aF ergebenden Vor- bzw Nachteile seitens des Leistungsberechtigten betreffen unmittelbar dessen durch das SGB II begründete Rechtsposition. Die Folgen der Rundung für den Einzelnen sind nicht bloßer (wirtschaftlicher) Reflex der Regelung. Der Fall der Abrundung macht deutlich, dass es sich um einen (wenn auch wirtschaftlich kaum fassbaren) Eingriff in eine Rechtsposition handelt. Mit seinem Vorbringen verkennt der Beklagte, dass die Frage, ob für eine Eingriffsnorm (hier die Abrundung) ein rechtfertigender Grund denkbar ist, nicht damit beantwortet werden kann, dieser Norm (wegen der Geringfügigkeit des Eingriffs) einen subjektiven Charakter abzusprechen und allein auf das gesetzgeberische Ziel der Verwaltungsvereinfachung abzustellen. Zu prüfen ist gerade, ob der geringfügige Eingriff auch in existenzsichernde Leistungen sich durch das ihm gegenüberstehende gesetzgeberische Ziel rechtfertigen lässt, die Auszahlung von Bagatellbeträgen zu vermeiden. Dies hat das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits bejaht, worauf das LSG zutreffend hinweist (vgl etwa BSG Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35).

16

b) Die Klage ist aber unzulässig, weil es am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Ein Klagebegehren, das aus Sicht der Klägerin denkbar allein auf die Verletzung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II aF gestützt werden kann und mit dem folglich nur die in dieser Rundungsregelung zum Ausdruck kommende Beschwer (allenfalls 50 Cent pro Monat der Bewilligung von Leistungen) geltend gemacht wird, rechtfertigt für sich genommen die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtschutzes nicht.

17

Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl BVerfG vom 2.5.1984 - 2 BvR 1413/83 - BVerfGE 67, 43 <58>). Gleichwohl kann der Zugang zu den Gerichten von bestimmten Zulässigkeitsvoraussetzungen, namentlich von einem bestehenden Rechtsschutzbedürfnis, abhängig gemacht werden (vgl nur BVerfG vom 5.12.2001 - 2 BvR 1337/00 - BVerfGE 104, 220, 232 mwN). Diese allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung wird abgeleitet aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns. Sie verlangt vom Kläger, dass er ein Mindestmaß an berechtigtem Rechtsverfolgungsinteresse geltend machen kann, das dem öffentlichen Interesse an einer effizienten Rechtspflege gegenüber gestellt werden kann. Letztlich geht es um das Verbot des institutionellen Missbrauchs prozessualer Rechte zu Lasten der Funktionsfähigkeit des staatlichen Rechtspflegeapparats (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, Vor § 51 RdNr 16a, 19; Ehlers in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 22. Aufl 2011, Vorb § 40, RdNr 74 ff; dazu auch Schmieder, Zeitschrift für Zivilprozess Band 120 <2007>, 199, 212; Kapsa, Die Regel "Minima non curat praetor" im Lichte des Verfassungsrechts, in: Der verfaßte Rechtsstaat, Festgabe für Karin Großhof/Heidelberg 1998).

18

Die Höhe der geltend gemachten Forderung führt allerdings nicht schlechterdings und für sich allein betrachtet zum Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses. Über die Frage, ob eine Forderung rechtlich anerkannt wird, hat grundsätzlich das materielle Recht, nicht das Prozessrecht zu entscheiden. Dessen Aufgabe ist es, die Verwirklichung aller materiellen Ansprüche in einem staatlichen Verfahren sicherzustellen, auch wenn sie geringfügig sind. Daraus, dass der Kläger auf Leistung an sich klagt und somit jedenfalls niemand anderes als der - vermeintliche - Inhaber des eingeklagten materiellen Anspruchs um Rechtsschutz nachsucht, ergibt sich auch das "objektive" Interesse der Rechtsordnung an der Inanspruchnahme des Gerichts. Das Rechtsschutzinteresse an einer vom vermeintlichen Inhaber des behaupteten Anspruchs erhobenen Leistungsklage fehlt deshalb nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen, die das subjektive oder objektive Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits entfallen lassen (vgl etwa Bundesverwaltungsgericht BVerwGE 81, 164, 165 f).

19

Dem entspricht auch die prozessuale Behandlung von Ansprüchen nach dem SGB II. Insbesondere die differenzierten Regelungen zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen (§§ 9, 11, 12 SGB II) gerade in Bedarfsgemeinschaften (vgl § 7 Abs 3, § 9 Abs 2 SGB II) machen es für den Leistungsberechtigten schwierig, schon bei Klageerhebung zu erkennen, welche Auswirkungen sich im Falle seines Obsiegens im Einzelnen auf seinen Leistungsanspruch ergeben. Von daher haben die für das Recht der Grundsicherung zuständigen Senate das Begehren gerichtet auf höhere Leistungen dem Grunde nach als zulässig angesehen (vgl allgemein zur Zulässigkeit eines Grundurteils BSG SozR 3-1500 § 141 Nr 8 S 11; zum Grundurteil im Streit um höhere Leistungen nach dem SGB II nur Urteil des 7b. Senats vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 16). Voraussetzung für dessen Zulässigkeit ist allein, dass sich aus dem vom Kläger formulierten Klagebegehren, ein höherer (wenngleich nicht bezifferter) Anspruch auf Leistungen ergibt, ohne dass ein bestimmter Wert im Sinne einer allgemeinen "Erheblichkeitsschwelle" zu fordern wäre.

20

Die Funktionsfähigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes darf allerdings nicht durch Verfahren in Frage gestellt werden, in denen es bei Erhebung einer Anfechtungs- und Leistungsklage gerichtet auf höhere Leistungen dem Grunde nach dem Leistungsberechtigten nach dem SGB II isoliert um die Anwendung der Rundungsregelungen geht. Wie bereits dargelegt wird zwar (auch) insoweit die individuelle Rechtsposition des Leistungsberechtigten unmittelbar geregelt. Es verbleibt aber selbst im Bereich existenzsichernder Leistungen ein "Bagatellbereich" dort, wo der Gesetzgeber nicht aus Gründen der Existenzsicherung des Einzelnen, sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe (und damit letztlich zur Beschleunigung der Auszahlung existenzsichernder Leistungen) bei der Berechnung der Leistung entsprechende Regelungen erlässt. Das mit Klageerhebung hierauf beschränkte Begehren auf Leistungen im Centbereich lässt die Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtschutz objektiv nicht gerechtfertigt erscheinen, denn es geht der Klägerin erkennbar nicht um einen eigenen wirtschaftlich sinnvollen Vorteil. Dass der Gesetzgeber insoweit seinen Spielraum überschritten hätte, indem er mit 49 Cent (für den Fall der Abrundung) einen zu hohen Betrag als der Rundung zugänglich ansieht, ist nicht im Ansatz ersichtlich und ist auch von der Klägerin (die sich nicht gegen eine Abrundung wehrt) nicht behauptet worden. Das Gericht braucht auf eine solche, von vornherein unzulässige Klage hin nicht zu überprüfen, ob sich andere Sachverhalte und Regelungen finden lassen, die einen höheren Anspruch des Leistungsberechtigten stützen.

21

Demgegenüber tritt der Gedanke zurück, der Beklagte könne sich systematisch zur Kostenersparnis auf eine rechtswidrige Rundungspraxis zurückziehen. Der Beklagte unterliegt als Träger der Grundsicherung dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art 20 Abs 3 GG). Im Privatrechtsverhältnis ist nicht von der Hand zu weisen, dass die fehlende Durchsetzbarkeit von Kleinstbeträgen vor Gericht den Schuldner veranlassen könnte, bewusst kleine Abzüge zu machen und damit einen "Rabatt von Amts wegen" zu erhalten. Dieser Gesichtspunkt prägt die Diskussion um die Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Erheblichkeit als Zulässigkeitsschranke aus dem Rechtsgedanken "de minimis non curat praetor" im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren (befürwortend zuletzt Schmieder, Zeitschrift für Zivilprozess Band 120 <2007>, 199; dagegen die ganz herrschende Meinung, vgl etwa Greger in Zöller, ZPO, 29. Aufl 2012, Vor § 253 RdNr 18d mwN). Demgegenüber macht die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsstreit einen entscheidenden Unterschied aus. Es ist von Verfassungs wegen auszuschließen, dass der Beklagte sich um der daraus folgenden Einsparung willen bewusst gesetzeswidrig verhält. Andernfalls wäre - auch insoweit zur Aufrechterhaltung der Effizienz der Gerichtsbarkeit - ein Eingreifen der zuständigen Rechts- und Fachaufsicht geboten.

22

Es mag zweifelhaft sein, ob in der Zeit von Inkrafttreten des SGB II zum 1.1.2005 bis zur Änderung der Berechnungsvorschriften zum 1.4.2011 die bei Anwendung der Rundungsregelung offenkundig gewordenen Umsetzungsprobleme von Gesetzgebung und Verwaltung ausreichend berücksichtigt worden sind (zur Notwendigkeit der Änderung des § 41 Abs 2 aus Sicht des Gesetzgebers vgl BT-Drucks 17/3404 S 115). Zutreffend weist das LSG darauf hin, dass offenbar in erster Linie die softwarebedingten Vorgaben zu einer Vielzahl von fehlerhaften Rundungen - auch zu Lasten der Träger - geführt haben (dazu auch Schnitzler ZFSH/SGB 2011, 335; zur Problematik solcher softwarebedingten Vorgaben, die zur Begrenzung von sachlichen Entscheidungsspielräumen führen, bereits BVerfGE 119, 331 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 180). Vor diesem Hintergrund ist § 41 Abs 2 SGB II in seiner neuen Fassung mit übergangsweise geltenden, abweichenden Maßgaben in Kraft getreten, die ausreichend Zeit für die technische Anpassung gewährleisten sollen(vgl § 77 Abs 14 SGB II und dazu BT-Drucks 17/3404 S 119). Dem Gesetzgeber war also offenbar nicht nur die unklare Gesetzeslage, sondern auch die Problematik der technischen Umsetzung entsprechender Berechnungsregelungen bekannt.

23

Dem einzelnen Leistungsberechtigten kommt aber nicht allein deshalb ein Rechtsschutzinteresse zu, weil strukturelle Fehler im Vollzug des Gesetzes erkennbar werden. Das macht der Ausschluss der Popularklage im SGG ebenso wie den anderen Verfahrensordnungen deutlich. Ein Einzelner kann eine Klage nicht nur führen, um sich zum Sachwalter der Interessen der Allgemeinheit am korrekten Vollzug der Gesetze zu machen. Im Einzelfall muss ein darüber hinausgehendes allgemeines Rechtschutzinteresse hinzukommen um zu verhindern, dass gerade im hoch belasteten Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nur aus Rechthaberei Prozesse geführt werden.

24

Schließlich bedeutet das vorliegende Ergebnis nicht, dass die entsprechenden Rechtsfragen durch Gerichte schlechterdings nicht geklärt werden könnten. In Rechtsstreitigkeiten, die zulässigerweise auf eine höhere Leistung gerichtet sind, ist auch der Anspruch auf Rundung zu beachten und hierüber zu entscheiden. Dementsprechend sind im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits eine Reihe von Entscheidungen des BSG ua auch zur Anwendung der Rundungsregelung ergangen (etwa BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 RdNr 37; BSG Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35; BSG Urteil vom 19.3.2008 - B 11b AS 23/06 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 3 RdNr 25; im Einzelnen zur Rechtsprechung Padé, SozSich 2009, 111).

25

Mit diesem Ergebnis sieht sich der Senat nicht in Widerspruch zu der vom LSG zitierten Rechtsprechung des BVerfG zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe ( zur Bewilligung von PKH in Angelegenheiten des SGB II insbesondere Beschlüsse vom 24.3.2011 - 1 BvR 1737/10 - NJW 2011, 2039 und - 1 BvR 2493/10 - ZFSH/SGB 2011, 475 = NZS 2011, 775). Die dortigen Beschwerdeverfahren sind zur Klärung des Umfangs der in Art 3 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit ergangen und lassen keine Aussage dazu erkennen, ob und in welchen Fällen ein Rechtsschutzbedürfnis wegen eines Bagatellstreitwertes entfallen könnte. Im Übrigen liegt der mögliche Streitwert wegen der Anwendung von Rundungsregelungen erheblich unter den Werten, die in den dortigen Verfahren von den Landessozialgerichten als Bagatellwert angesehen worden sind (42 Euro). Dies gilt erst recht für denkbare Klagen gestützt auf die fehlerhafte Anwendung von § 41 Abs 2 SGB II nF.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. August 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit von Mai 2007 bis März 2008.

2

Die 1971 geborene Klägerin ist erwerbsfähig, ledig und hat zwei Kinder. An der Pflege und Erziehung der 1991 geborenen Tochter J und des 2003 geborenen Sohnes F sind deren Väter nicht in nennenswertem Umfang beteiligt. Die Klägerin wohnte im streitigen Zeitraum mit ihrer Mutter (geb 1947), ihrem Vater (geb 1943), ihrer Schwester (geb 1969) und den beiden Kindern in einem in ihrem Eigentum stehenden Einfamilienhaus. Im Erdgeschoss finden sich drei - im streitigen Zeitraum von den Eltern genutzte - Räume (Wohnzimmer, Schlafzimmer, Badezimmer) sowie eine von allen Bewohnern genutzte Küche. Die Klägerin, ihre beiden Kinder und die Schwester bewohnten im Obergeschoss jeweils einen Wohnraum. Außerdem gab es dort ein gemeinschaftlich genutztes weiteres Bad.

3

Die Klägerin, ihre Kinder sowie die Eltern und die Schwester bezogen ab Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Beklagte nahm weder eine Bedarfs- noch eine Haushaltsgemeinschaft an und berücksichtigte bei der Klägerin einen Mehrbedarf für Alleinerziehende. Für den streitigen Zeitraum vom 1.5.2007 bis 31.3.2008 bewilligte er SGB II-Leistungen in Höhe von monatlich 353,61 Euro (Regelleistung in Höhe von 318,23 Euro; Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 35,38 Euro) ohne Mehrbedarf für Alleinerziehende (Bescheid vom 20.4.2007 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 25.9.2007 sowie des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007).

4

Nach Anhörung der Klägerin sowie ihrer Eltern zum Umfang der Pflege und Erziehung der Kinder hat das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 20.4.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007 verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 1.5.2007 bis 31.5.2008 den Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von monatlich 124,20 Euro für die Monate Mai und Juni 2007 sowie in Höhe von monatlich 124,92 Euro für die Monate Juli 2007 bis März 2008, insgesamt 1372,68 Euro, zu gewähren (Urteil vom 17.6.2010).

5

Das LSG hat die Berufung des Beklagten nach erneuter Vernehmung der Eltern der Klägerin sowie ihrer Schwester als Zeugen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des SG-Urteils dahin geändert wird, dass der Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 25.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007 dem Grunde nach verurteilt wird, der Klägerin für die Zeit vom 1.5.2007 bis zum 31.3.2008 höhere, in die Trägerschaft der Bundesagentur für Arbeit fallende Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs gemäß § 21 Abs 3 Nr 1 SGB II zu gewähren(Urteil vom 11.8.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin habe im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen für die Bewilligung von SGB II-Leistungen nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II erfüllt. Sie sei erwerbsfähig und hilfebedürftig; über anderweitiges anrechenbares Einkommen oder zu berücksichtigende Vermögenswerte verfüge die Klägerin nicht. Sie habe mit ihren Eltern und ihrer Schwester nicht in einer Haushaltsgemeinschaft iS von § 9 Abs 5 SGB II gelebt. Ein "Wirtschaften aus einem Topf" habe nicht stattgefunden. Neben dem Regelleistungsbedarf sei ein Mehrbedarf für Alleinerziehende zu berücksichtigen, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum zumindest mit einem Kind unter sieben Jahren zusammengelebt und allein für dessen Pflege und Erziehung gesorgt habe. Sie habe ihren Sohn (wie im Übrigen auch J) ohne wesentliche, dem typischen Pflege- und Erziehungsbeitrag ihrer Väter entsprechende Beteiligung Dritter versorgt und erzogen. Der Auffassung des Beklagten, dass (bereits) bei einem Ausgleich von Erschwernissen durch Dritte, die Alleinerziehende träfen, die Voraussetzungen eines Mehrbedarfs nicht erfüllt seien, könne nicht gefolgt werden. Orientiere man sich allein an dem Zweck der Mehrbedarfsregelung (weniger Zeit zum preisbewussten Einkauf, höhere Aufwendungen für Kontaktpflege zur Unterrichtung in Erziehungsfragen) wäre der Bedarf im konkreten Fall zwar nicht zu erhöhen, weil es eine gelegentliche, zeitlich begrenzte Fürsorge für die Kinder durch die Großeltern und die Tante gegeben habe und allein durch deren Anwesenheit Freiräume eröffnet gewesen seien, die es der Klägerin erlaubt hätten, den beschriebenen Bedarfslagen ohne zusätzlichen finanziellen Aufwand gerecht zu werden. Jedoch sei eine allein auf Sinn und Zweck des Mehrbedarfs gestützte Auslegung nicht tragfähig, weil die zum Vierten BSHG-Änderungsgesetz dargelegten, vom BSG aufgegriffenen Bedarfslagen regelhaft nicht bestünden. Es ließen sich aber nur in geringem Umfang Fallgruppen bezeichnen, in denen die vom historischen Gesetzgeber genannten Bedarfslagen aufträten; in der überwiegenden Zahl der Fälle bzw den von § 21 Abs 3 SGB II erfassten Familien- und Alterskonstellationen sei dies nicht bzw nicht mehr der Fall. Preisvergleiche seien im Computerzeitalter sekundenschnell per Mausklick möglich, Lebensmitteldiscounter heutzutage von fast jedem Haushalt gut erreichbar und auch die "Befriedigung von Informations- und Kontaktbedürfnissen" bei der inzwischen nahezu flächendeckenden Verbreitung von Flatrates für Telefon und Internetzugang regelmäßig nicht mehr mit Mehrkosten verbunden. Aus Kostengesichtspunkten mache die Zuerkennung eines allgemeinen Mehrbedarfs für Alleinerziehende unter Berücksichtigung gegenwärtiger Lebensverhältnisse nur insofern Sinn, als der alleinerziehende Elternteil eines Kleinkindes oder mehrerer Kleinkinder gelegentlich auf Babysitterdienste angewiesen sei.

6

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von § 21 Abs 3 Nr 1 SGB II aF. Die vom LSG bei der Auslegung des § 21 Abs 3 Nr 1 SGB II zugrunde gelegte Annahme einer wesentlichen Mitwirkung bzw Unterstützung in erheblichem Umfang bei der Erziehung bis hin zum gleichwertigen Erziehungsanteil anderer Personen könnten unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm nicht gefordert werden. Nur wenn die Familie derart zerrüttet sei, dass eine Inanspruchnahme der jeweils anderen Familienmitglieder schon aus psychischen und emotionalen Gründen ausscheide, sei die Bedarfssituation anders zu beurteilen. Entgegen der Wertung der Zeugenaussagen durch das SG und das LSG stehe nicht fest, dass die Großeltern der Klägerin und deren Schwester nicht an der Erziehung der Kinder in dem hier fraglichen Zeitraum mitgewirkt hätten. Die Bekundungen der Klägerin und ihrer Mutter seien nicht glaubhaft und wirkten verfahrensangepasst. Für ein enges Zusammenleben der Klägerin mit ihren Eltern und der Schwester sprächen bereits die Wohnverhältnisse. Es müsse im Ergebnis und unter Würdigung der Zeugenaussagen und der Wohn- und Lebensverhältnisse der Klägerin davon ausgegangen werden, dass sie sowohl von ihren Eltern als auch von ihrer Schwester bei der Pflege und Erziehung der Kinder mindestens in dem Umfang unterstützt werde, wie eine tagsüber anwesende und die Hauptlast bei der Pflege und Erziehung tragende Mutter durch den etwa aus Gründen der Berufstätigkeit tagsüber oder sogar wochenweise abwesenden (Ehe)Partner. Es liege eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art 3 Abs 1 GG vor, weil eine Ungleichbehandlung zwischen Alleinstehenden mit Kindern einerseits und (verheirateten) Partnern mit Kindern andererseits bestehe.

7

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. August 2011 und das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 17. Juni 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Der Beklagte kommentiere das Urteil ohne Beweisangebote dafür, dass ihre Aussagen und die ihrer Eltern nicht den Tatsachen entsprächen. Der Anspruch auf Mehrbedarf sei nachgewiesen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 25.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007 rechtswidrig ist, weil die Klägerin einen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende hat.

11

1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur (noch) der den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 20.4.2007 in vollem Umfang ersetzende Bescheid vom 25.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007 hinsichtlich der hier allein streitigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Diese können - insbesondere hinsichtlich des Mehrbedarfs - nicht in weitere unterschiedliche Streitgegenstände aufgespalten werden (vgl zB BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 14; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 10).

12

2. Gegen die bezeichneten Bescheide wendet sich die Klägerin zu Recht mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 iVm Abs 4, § 56 SGG). Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass ein Grundurteil zulässig ist. Mit ihrem Antrag im Berufungsverfahren hat die Klägerin keinen konkreten Leistungsantrag (mehr) gestellt, sondern nur dem Grunde nach höhere Leistungen beantragt (§ 130 SGG). Dass sie sich hierfür allein auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende bezieht, beinhaltet keinen konkret bezifferten Leistungsanspruch, sondern enthält nur ein Begründungselement für das Begehren auf höhere Leistungen. Gegenstand des Verfahrens ist daher, ob in dem hier streitigen Zeitraum insgesamt ein Anspruch auf höhere Leistungen bestand, wobei die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen ist (BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 11). Die weiteren Voraussetzungen für ein Grundurteil in einem Höhenstreit liegen vor, wenn eine so umfassende Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs zugrunde liegt, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen werden kann, weil die Beschränkung der Prüfung auf eine Rechtsfrage oder einzelne Rechtsfragen ansonsten einer unzulässigen Elementenfeststellung gleichkäme (BSGE 94, 109 = SozR 4-4220 § 3 Nr 1, RdNr 12; BSG SozR 4-4300 § 132 Nr 3 RdNr 17). Dies ist hier der Fall. Insofern hat das LSG für den Senat bindend festgestellt (§ 163 SGG), dass die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II (Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit) in dem streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt und - neben dem Kindergeld - weiteres Einkommen und Vermögen nicht zu berücksichtigen ist, sodass die Anerkennung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende mit höheren Leistungen verbunden ist.

13

3. Das LSG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum einen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende hatte. Für Personen, die mit einem oder mehreren Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist gemäß § 21 Abs 3 SGB II ein Mehrbedarf in Höhe von 36 vH der nach § 20 Abs 2 SGB II maßgebenden Regelleistung anzuerkennen, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter sechzehn Jahren zusammenleben(Nr 1), oder in Höhe von 12 vH der nach § 20 Abs 2 SGB II maßgebenden Regelleistung für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Vomhundertsatz als nach der Nr 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 vH der nach § 20 Abs 2 SGB II maßgebenden Regelleistung(Nr 2). Der Mehrbedarf für Alleinerziehende ist ein zusätzlich zur Regelleistung zu gewährender Bestandteil des Alg II.

14

Die Anspruchsvoraussetzung der "alleinigen Sorge für deren Pflege und Erziehung" iS des § 21 Abs 3 SGB II liegt nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG vor, wenn der hilfebedürftige Elternteil während der Betreuungszeit von dem anderen Elternteil, Partner oder einer anderen Person nicht in einem Umfang unterstützt wird, der es rechtfertigt, von einer nachhaltigen Entlastung auszugehen. Entscheidend ist, ob eine andere Person in erheblichem Umfang bei der Pflege und Erziehung mitwirkt. Dabei ist allein auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen (BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 19; BSG Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - RdNr 15). Der Senat hat bei dieser Auslegung des Begriffs der "alleinigen Sorge für deren Pflege und Erziehung" und die insofern zu stellenden Anforderungen auf die besondere Bedarfssituation der Alleinerziehenden Bezug genommen, die dadurch geprägt ist, dass bei diesem Personenkreis - in gleicher Weise wie bei den weiteren von § 21 SGB II erfassten Hilfebedürftigen (werdende Mütter, erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte) - besondere Lebensumstände vorliegen, bei denen typischerweise ein zusätzlicher Bedarf zu bejahen ist(BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 15). Solche besonderen Lebensumstände hat der Senat ausgehend von den Gesetzesmaterialien zur Einführung und zum Zweck der entsprechenden Regelung im BSHG (vgl den Gesetzentwurf des Bundesrates vom 26.3.1985 "vor allem") exemplarisch darin gesehen, dass Alleinerziehende wegen der Sorge für ihre Kinder typischerweise weniger Zeit hätten, preisbewusst einzukaufen sowie zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssten bzw externen Rat in Betreuungs-, Gesundheits- und Erziehungsfragen benötigten. Auch der Zweck des in § 21 Abs 3 SGB II geregelten Mehrbedarfs liege darin, den höheren Aufwand von Alleinerziehenden für die Versorgung und Pflege bzw Erziehung der Kinder etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlicher Aufwendungen für die Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter in pauschalierter Form auszugleichen(BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 1; Schleswig-Holsteinisches LSG Urteil vom 23.2.2011 - L 11 AS 40/09 - juris RdNr 26; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 13.5.2008 - L 9 AS 119/08 ER - juris RdNr 17; Lang/ Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 21 RdNr 26; kritisch Düring in Gagel, SGB II/SGB III, Stand 11/2010, § 21 RdNr 19 und Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 21 RdNr 31 ff, Stand Mai 2011).

15

4. Soweit der Beklagte mit seiner Revision diese am Wortlaut, aber auch der Entstehungsgeschichte orientierte Auslegung des Merkmals der "alleinigen Sorge für deren Pflege und Erziehung" rügt, sieht der Senat keine Veranlassung zur Korrektur seiner Rechtsprechung. Entgegen der Ansicht des LSG sind die vom BSG formulierten Anforderungen an eine alleinige Sorge für Pflege und Erziehung iS des § 21 Abs 3 SGB II auch nicht unter teleologischen Gesichtspunkten grundsätzlich in Frage zu stellen.

16

Die Beantwortung der komplexen Fragestellung, ob wegen eines Wandels der tatsächlichen Lebensumstände die vom Gesetzgeber bei Einfügung der Regelung in das BSHG typisierend und beispielhaft angenommenen Bedarfslagen bei Alleinerziehenden tatsächlich nicht (mehr) bzw nicht mehr in der pauschalierend angenommenen Höhe existieren, obliegt dem Gesetzgeber. Wollte dieser den Mehrbedarf für Alleinerziehende anders fassen, ist zu beachten, dass sich Pauschalen, die an die Stelle eines ganz oder teilweise zu berücksichtigenden konkreten Aufwandes treten, nicht an einem hier vorliegenden atypischen Fall orientieren dürfen und "realitätsgerecht" so bemessen sein müssen, dass die typisierenden Regelungen in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdecken (BVerfGE 112, 268, 281 zur Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten alleinstehender Erwerbstätiger; BVerfGE 120, 125 ff, 166). Eine hohe "Treffergenauigkeit" ist gefordert, wenn es - wie hier - um pauschalierte Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht. Diese Leistungen müssen auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen (zB auch durch Einholung des Rats von Experten - BVerfGE 113, 167 ff, 241) und vertretbaren Einschätzungen beruhen. Sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sind verfassungsrechtlich anzuerkennen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind (BVerfGE 113, 167 ff, 215). Dass sich der Gesetzgeber - in gleicher Weise wie bei weiteren von § 21 SGB II aF erfassten Bedarfslagen (werdende Mütter, erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte) - für eine pauschale Leistungserbringung des Mehrbedarfs für Alleinerziehende in einer gesetzlich festgelegten Höhe entschieden hat, ist eine solche gesetzgeberische Entscheidung. Soweit der Beklagte eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art 3 Abs 1 GG wegen Ungleichbehandlung von Alleinstehenden mit Kindern einerseits und (verheirateten) Partnern mit Kindern andererseits rügt, hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit dem Merkmal der bzw des Alleinerziehenden einen Sachgrund für die Leistungsdifferenzierung angeführt hat.

17

5. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann der Anspruch der Klägerin auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, diese hätte wegen der Wohnverhältnisse im Bedarfsfall auf die Unterstützung ihrer Eltern oder ihrer Schwester zugreifen können. Nach seinem Sinn und Zweck geht § 21 Abs 3 SGB II typisierend von einem regelmäßigen Mehrbedarf bei Alleinerziehenden aus, weshalb - nach den tatsächlichen Verhältnissen - nur eine regelmäßige und erhebliche Unterstützung bei der Pflege und Erziehung der Kinder durch weitere Personen einem Anspruch auf Mehrbedarf für Alleinerziehende entgegenstehen kann(so auch Lang/Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 21 RdNr 29). Allein die (potentielle) Möglichkeit des Rückgriffs auf andere Personen oder Einrichtungen führt nicht zum Anspruchsausschluss. Auch insofern liegt eine von SGB II-Trägern und der Rechtsprechung zugrunde zu legende gesetzgeberische Wertung vor, die Verneinung des Anspruchs auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende allein von der tatsächlichen und ergänzend kontinuierlichen Erziehung und Pflege durch weitere Personen abhängig zu machen. Diese Auslegung findet ihre Rechtfertigung in der Bedeutung der persönlichen Sorge der Eltern und deren Kompetenz zur Auswahl von Betreuungsalternativen für das Kindeswohl.

18

Soweit der Beklagte vorträgt, bezüglich des zeitlichen Umfangs dürften keine zu hohen Anforderungen an die Betreuungsleistungen aufgestellt werden, weil ansonsten auch der Besuch eines Kindergartens bzw anderer Betreuungseinrichtungen zur Verneinung eines Mehrbedarfs bzw die berufliche Abwesenheit eines vorhandenen Partners zu dessen Bejahung führe, ist der rechtliche Maßstab für die Annahme eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 3 SGB II betroffen. Dieser bestimmt sich danach, ob nach den tatsächlichen Umständen eine wesentliche Mitwirkung des anderen Elternteils, eines Partners oder einer anderen, regelmäßig im gleichen Haushalt lebenden Person in der verbleibenden Betreuungszeit vorliegt. Insofern geht das SGB II davon aus, dass mit der Betreuung eines über drei Jahre alten Kindes in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege die Ausübung einer Arbeit oder berufliche (Re-)Integrationsmaßnahmen zumutbar sind (§ 10 Abs 1 Nr 3 SGB II), sodass "zeitliche Freiräume" der oder des erziehenden SGB II-Leistungsempfängers nicht unterstellt werden können.

19

6. Ausgehend von den demnach hier anzuwendenden Grundsätzen der bisherigen BSG-Rechtsprechung liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf einen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach den Feststellungen des LSG, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), hier vor. Das Berufungsgericht hat festgestellt, die Eltern der Klägerin hätten im Wesentlichen übereinstimmend bekundet, dass diese seinerzeit nahezu allein insbesondere für die Ernährung, die Bekleidung, die Erziehung und das seelische Wohl ihrer Kinder zuständig gewesen und dabei von ihren Eltern oder ihrer Schwester nicht in erheblichem Maße unterstützt worden sei. Die Klägerin sei frühmorgens aufgestanden, um F für den Kindergarten fertig zu machen, sie habe die Mahlzeiten für F und J vorbereitet, F mittags vom Kindergarten abgeholt, sich ausschließlich um ihn gekümmert und ihn ggf zum Einkaufen sowie bei Arzt- und Behördengängen mitgenommen. Übereinstimmend sei weiter bekundet worden, dass weder die Großeltern noch die Schwester maßgeblich an der Erziehung der Kinder beteiligt gewesen seien und die Klägerin von ihnen auch keine diesbezüglichen Ratschläge eingeholt habe. Die Verhältnisse seien stimmig und anschaulich beschrieben worden.

20

Der Beklagte ist dieser Beweiswürdigung des LSG nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen entgegengetreten (§ 164 SGG). Eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) ist nicht formgerecht gerügt, wenn die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt (BSG SozR 1500 § 164 Nr 31; BSG SozR 3-2500 § 109 Nr 9 S 61). Soweit es der Beklagte für "nicht glaubhaft" hält, dass keine Mitwirkung der Großeltern bei Krankheit bestehe, nur sehr wenig über alltägliche Dinge gesprochen werde und der Vater der Klägerin sich auf handwerkliche Mithilfe beschränke, stellt er seine Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG und führt Umstände an, die selbst bei ihrem Vorliegen nicht automatisch zu einer Verneinung des Anspruchs auf Mehrbedarf führen würden. Dies gilt auch für die Heranziehung der Wohnverhältnisse der Klägerin. Das Zusammenleben mit weiteren Personen in einer Haushaltsgemeinschaft hat der Gesetzgeber des SGB II gerade nicht ausreichen lassen, um typisierend von dem Wegfall der besonderen Lebensumstände von Alleinerziehenden auszugehen. Tatsachen, die einen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze begründen könnten (vgl hierzu zB BSG Urteil vom 15.5.1985 - 7 RAr 40/84 - RdNr 18), sind nicht vorgetragen.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dieses Buches zu berücksichtigen sind. Dies gilt auch für Einnahmen in Geldeswert, die im Rahmen einer Erwerbstätigkeit, des Bundesfreiwilligendienstes oder eines Jugendfreiwilligendienstes zufließen. Als Einkommen zu berücksichtigen sind auch Zuflüsse aus darlehensweise gewährten Sozialleistungen, soweit sie dem Lebensunterhalt dienen. Der Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes ist als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Dies gilt auch für das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 28, benötigt wird.

(2) Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Dies gilt auch für Einnahmen, die an einzelnen Tagen eines Monats aufgrund von kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnissen erzielt werden.

(3) Würde der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung einer als Nachzahlung zufließenden Einnahme, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht wird, in diesem Monat entfallen, so ist diese Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich ab dem Monat des Zuflusses mit einem entsprechenden monatlichen Teilbetrag zu berücksichtigen.

(1) Bei der Berechnung des Einkommens aus nichtselbständiger Arbeit (§ 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch) ist von den Bruttoeinnahmen auszugehen.

(2) (weggefallen)

(3) (weggefallen)

(4) (weggefallen)

(5) Bei der Berechnung des Einkommens ist der Wert der vom Arbeitgeber bereitgestellten Vollverpflegung mit täglich 1 Prozent des nach § 20 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch maßgebenden monatlichen Regelbedarfs anzusetzen. Wird Teilverpflegung bereitgestellt, entfallen auf das Frühstück ein Anteil von 20 Prozent und auf das Mittag- und Abendessen Anteile von je 40 Prozent des sich nach Satz 1 ergebenden Betrages.

(6) Sonstige Einnahmen in Geldeswert sind mit ihrem Verkehrswert als Einkommen anzusetzen.

(7) Das Einkommen kann nach Anhörung geschätzt werden, wenn

1.
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einmalig oder für kurze Zeit zu erbringen sind oder Einkommen nur für kurze Zeit zu berücksichtigen ist oder
2.
die Entscheidung über die Erbringung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Einzelfall keinen Aufschub duldet.

(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dieses Buches zu berücksichtigen sind. Dies gilt auch für Einnahmen in Geldeswert, die im Rahmen einer Erwerbstätigkeit, des Bundesfreiwilligendienstes oder eines Jugendfreiwilligendienstes zufließen. Als Einkommen zu berücksichtigen sind auch Zuflüsse aus darlehensweise gewährten Sozialleistungen, soweit sie dem Lebensunterhalt dienen. Der Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes ist als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Dies gilt auch für das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 28, benötigt wird.

(2) Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Dies gilt auch für Einnahmen, die an einzelnen Tagen eines Monats aufgrund von kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnissen erzielt werden.

(3) Würde der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung einer als Nachzahlung zufließenden Einnahme, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht wird, in diesem Monat entfallen, so ist diese Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich ab dem Monat des Zuflusses mit einem entsprechenden monatlichen Teilbetrag zu berücksichtigen.

Tenor

Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Januar 2012 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von Oktober 2009 bis Februar 2010 unter Berücksichtigung einer im vorangegangenen Bewilligungszeitraum zugeflossenen einmaligen Einnahme als Einkommen.

2

Die miteinander verheirateten, 1965 und 1970 geborenen Kläger zu 1 und 2 sowie deren im März 1994, im Juli 2000 und im August 2008 geborenen Kinder, die Kläger zu 3 bis 5, leben gemeinsam in einem Eigenheim. Sie bezogen vom Beklagten seit März 2009 Leistungen nach dem SGB II. Am 21.4.2009 ging auf dem Konto des Klägers zu 1 eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 8875,20 Euro ein. Die Kläger nutzten den Betrag nach ihren Angaben noch im Monat April zur Rückzahlung eines Darlehens, das sie bei dem Schwager des Klägers zu 1 vor Leistungsbeginn zum Zwecke der Finanzierung ihres Eigenheims aufgenommen hatten.

3

Mit den Angaben im Antrag der Kläger vom 21.8.2009 für den Bewilligungszeitraum ab dem 1.9.2009 wurde dem Beklagten der Zufluss der Einkommensteuererstattung bekannt. Er bewilligte daraufhin für den Zeitraum vom 1.9.2009 bis 28.2.2010 Leistungen unter Berücksichtigung der Steuererstattung mit einem Betrag von monatlich 739,60 Euro als Einkommen des Klägers zu 1. Die Berücksichtigung des Einkommens erfolge ab Mai 2009; die Höhe des monatlich zu berücksichtigenden Betrages ergebe sich aus einer Verteilung des Gesamtbetrages auf 12 Monate (Bescheid vom 24.8.2009; Widerspruchsbescheid vom 5.11.2009). Mit Änderungsbescheid vom 20.1.2010 berücksichtigte der Beklagte für diesen Zeitraum weitergehend an die Kläger gezahltes Kindergeld.

4

Die Klagen zum Sozialgericht (SG) Duisburg gerichtet gegen den Bescheid vom 24.8.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20.1.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.11.2009 und die Berufungen zum Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen blieben ohne Erfolg (Urteil des SG vom 9.9.2010; Urteil des LSG vom 11.1.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dem monatlichen Gesamtbedarf der Kläger in Höhe von 1569,24 Euro habe von September 2009 bis Januar 2010 Einkommen aus Kindergeld in Höhe von insgesamt 498 Euro monatlich sowie monatlich ein Teilbetrag der im April 2009 zugeflossenen Einkommensteuerrückerstattung in Höhe von 739,60 Euro gegenübergestanden. Im Februar 2010 habe sich das Kindereinkommen auf 618 Euro und entsprechend das zu berücksichtigende Gesamteinkommen erhöht. Die Steuererstattung, die den Klägern im April 2009 zugeflossen sei, sei auch im folgenden Bewilligungsabschnitt als Einkommen iS von § 11 Abs 1 SGB II und nicht als Vermögen iS von § 12 SGB II zu berücksichtigen(Hinweis auf Bundessozialgericht Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 64/08 R - RdNr 14 ff). Die einmalige Einnahme sei auf einen Verteilzeitraum von 12 Monaten zu verteilen gewesen. Im Zeitpunkt der Auszahlung der Rückerstattung seien offene Schulden nicht vom Einkommen abzusetzen gewesen. Daraus, dass die Kläger den Erstattungsbetrag nach ihren Angaben unmittelbar nach dessen Erhalt zur Rückzahlung eines Darlehens verwendet hätten, folge nichts anderes. Der Leistungsberechtigte, der seine Selbsthilfeobliegenheit und die hieraus resultierende Verpflichtung, jegliches Einkommen zuvörderst zur Sicherung des Lebensunterhalts der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen, missachte und Einkommen entgegen dem Gebot, dieses zunächst für den Lebensunterhalt einzusetzen, für andere Belange verwende, könne nicht besser gestellt werden, als der Leistungsberechtigte, der vertraglichen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Dritten unterliege und diesen unter Beachtung seiner aus dem SGB II erwachsenden Obliegenheiten nicht nachkomme. Der bedarfsmindernden Berücksichtigung einer Einmalzahlung stehe nicht entgegen, dass der Leistungsberechtigte den Betrag zur Schuldentilgung verwendet habe (Hinweis auf BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 19).

5

Hiergegen richten sich die Revisionen der Kläger. Sie rügen die Verletzung von § 9 Abs 1 iVm § 11 Abs 1 SGB II. Die Einkommensteuererstattung sei zwar im Zeitpunkt des Zuflusses zu berücksichtigendes Einkommen. Stelle sich bei erneuter Antragstellung aber heraus, dass das Einkommen verbraucht sei, habe eine nur fiktive Anrechnung zu unterbleiben. Diese gesetzgeberische Konzeption folge auch daraus, dass ein existenzsichernder Anspruch auf Leistungen im Grundsatz auch dann bestehe, wenn die Notlage etwa bei Verweigerung zumutbarer Arbeit, bei unwirtschaftlichem Verhalten oder mutwilliger Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit selbst herbeigeführt worden sei. Eine fiktive Einkommensberücksichtigung verletze das Sozialstaatsprinzip.

6

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Januar 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 9. September 2010 aufzuheben, die Bescheide des Beklagten vom 24. August 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2009 abzuändern und den Klägern für den Zeitraum Oktober 2009 bis Februar 2010 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revisionen der Kläger sind im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurück-verweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht beurteilt werden, ob sie im noch streitigen Zeitraum vom 1.10.2009 bis zum 28.2.2010 Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Zutreffend rügen die Kläger, dass weitergehende Hilfebedürftigkeit iS des § 9 Abs 1 SGB II nicht schon deshalb verneint werden darf, weil ihnen im vorangegangenen Zeitraum eine einmalige Einnahme zugeflossen ist.

9

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind die Bescheide vom 24.8.2009 und vom 20.1.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.11.2009, gegen die sich die Kläger mit ihren kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) wenden. Nachdem sich die Beteiligten wegen der Höhe der Leistungen für September 2009, für den zusätzlich die Berücksichtigung einer Eigenheimzulage als Einkommen streitig war, in einem Vergleich geeinigt haben, sind nach entsprechender Beschränkung des Leistungsantrages durch die Kläger Streitgegenstand noch höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Zeitraum von Oktober 2009 bis Februar 2010. Die Kläger machen mit ihrem Vorbringen, es sei die im April 2009 zugeflossene Steuererstattung nicht als Einkommen zu berücksichtigen, sowohl höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung an die minderjährige Klägerin zu 5 als auch (höhere) Regelleistungen an sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft geltend. Eine Beschränkung des Streitgegenstandes auf Regelleistungen einerseits und Kosten der Unterkunft und Heizung andererseits haben sie damit nicht vorgenommen, wovon auch die Vorinstanzen ausgegangen sind.

10

2. Die Kläger zu 1, 2 und 3 als erwerbsfähige Hilfebedürftige (vgl § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II) und die Kläger zu 4 und 5, die als gemeinsame, nicht erwerbsfähige Kinder der Kläger zu 1 und 2 mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben (vgl § 7 Abs 2, 3 SGB II),haben dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (vgl §§ 19, 28 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung). Wegen der Höhe ihrer Ansprüche ist zunächst der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft aus dem Bedarf jeder einzelnen Person zu ermitteln und sodann das zu berücksichtigende Einkommen (vgl § 9 Abs 1 iVm § 11 SGB II) im Verhältnis der Einzelbedarfe zum Gesamtbedarf zu verteilen (§ 9 Abs 2 Satz 3 SGB II). Entgegen der Auffassung des LSG beträgt der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft vorliegend allerdings nicht 1569,24 Euro zusammengesetzt aus einem Bedarf der Eltern in Höhe von jeweils 323 Euro, der Klägerin zu 3 in Höhe von 287 Euro, des Klägers zu 4 in Höhe von 251 Euro und der Klägerin zu 5 in Höhe von 215 Euro sowie den tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 170,24 Euro. Das zugeflossene Kindergeld ist nämlich nach § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II vorliegend ausschließlich zur Bedarfsdeckung der Kinder heranzuziehen und also vorab von ihren Bedarfen abzusetzen(vgl BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 4 RdNr 24). Dies wird das LSG bei der erneuten Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach Zurückverweisung des Rechtsstreits zu beachten haben.

11

Bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs 1 SGB II hat das LSG die Höhe des (über das Kindergeld hinaus) nach § 11 SGB II zu berücksichtigenden Gesamteinkommens mit monatlich 739,60 Euro (1/12 der im April 2009 zugeflossenen Einkommensteuererstattung) angenommen. Es hat offen gelassen, ob der Vortrag der Kläger zutreffend ist, die Einkommensteuererstattung sei bereits vor Beginn des Bewilligungsabschnitts verbraucht gewesen, sondern die Auffassung vertreten, ein Zwölftel der zugeflossenen Gesamtsumme sei aus rechtlichen Gründen monatlich als Einkommen zu berücksichtigen. Diese Auffassung hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

12

3. Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. Dabei ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte(vgl nur BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 18). Zutreffend hat das LSG ausgeführt, dass sich die einmalige Einnahme damit im Zeitpunkt des Zuflusses als Einkommen darstellte. Diesen Charakter als Einkommen verliert eine einmalige Einnahme auch nach erneuter Antragstellung im nachfolgenden Bewilligungszeitraum nicht. Die rechtliche Wirkung des "Zuflussprinzips" endet nicht mit dem Monat des Zuflusses, sondern erstreckt sich über den gesamten Zeitraum, auf den das Einkommen (vorliegend nach § 2 Abs 4 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung idF vom 17.12.2007; vgl jetzt § 11 Abs 3 Satz 3 SGB II idF des Art 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453 - neue Fassung ) aufgeteilt wird, den sog "Verteilzeitraum" (vgl nur BSG Urteile vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 21 und - B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 28 sowie Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 64/08 R -, juris RdNr 25). Auch insoweit entsprechen die Ausführungen des LSG dieser Rechtsprechung uneingeschränkt.

13

Eine Festlegung, ob die Verteilung der einmaligen Einnahme nach § 2 Abs 4 Alg II-V vorliegend über 12 Monate zu erfolgen hatte oder ein kürzerer Zeitraum angezeigt war(vgl § 11 Abs 3 SGB II nF, der eine Verteilung über 6 Monate vorsieht; zur alten Rechtslage etwa BSG Urteil vom 27.9.2011 - B 4 AS 180/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 40 RdNr 32; Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 101/11 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 47 RdNr 30), braucht im derzeitigen Stand des Verfahrens nicht zu erfolgen. Die Feststellungen des LSG im Übrigen lassen schon nicht den Schluss zu, der Bedarf der Kläger sei im Zeitraum von Oktober 2009 bis Februar 2010 jeweils monatlich in der von dem Beklagten angenommenen Höhe gedeckt. Wenn die einmalige Einnahme, was die Kläger vortragen, tatsächlich im Bedarfszeitraum nicht mehr (oder nur noch teilweise) zur Verfügung stand, kommt - entgegen der Auffassung des LSG - schon von daher ein höherer Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Betracht. Es kommt nämlich bei Berücksichtigung einer Einnahme als Einkommen in einem abschließenden Prüfungsschritt darauf an, ob zugeflossenes Einkommen als "bereites Mittel" geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (vgl BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 14 AS 32/08 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 20; Urteil vom 10.5.2011 - B 4 KG 1/10 R - BSGE 108, 144 = SozR 4-5870 § 6a Nr 2, RdNr 21; Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 39 RdNr 29). Dies gilt auch bei Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme über einen Verteilzeitraum hinweg ohne Einschränkungen.

14

Zwar muss der Hilfebedürftige sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich verwenden, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (BSG Urteil vom 19.9.2008 - B 14/7b AS 10/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 18 RdNr 25). Dementsprechend ist er bei Zufluss einer einmaligen Einnahme gehalten, das Geld nicht zur Schuldendeckung zu verwenden, sondern über den Verteilzeitraum hinweg zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen. Wenn die einmalige Einnahme, deren Berücksichtigung als Einkommen in Rede steht, tatsächlich aber nicht (mehr) uneingeschränkt zur Verfügung steht, ist ein Leistungsanspruch nicht ausgeschlossen. Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen aufgrund einer unwiderleglichen Annahme, dass die Hilfebedürftigkeit bei bestimmtem wirtschaftlichen Verhalten - hier dem Verbrauch der einmaligen Einnahme in bestimmten monatlichen Teilbeträgen - (teilweise) abzuwenden gewesen wäre, ist mit Art 1 Grundgesetz (GG) iVm Art 20 GG nicht vereinbar (vgl nur Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 = Breith 2005, 803 = juris RdNr 28). Diesem Gedanken folgt das gesetzgeberische Grundprinzip, dass Einkommen nicht "fiktiv" berücksichtigt werden darf, sondern tatsächlich geeignet sein muss, Hilfebedürftigkeit zu beseitigen. Hierauf hat der 4. Senat am Beispiel der Berücksichtigung schwankender Einnahmen bereits hingewiesen (vgl Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 39 RdNr 29). Damit ist auch bei der Berücksichtigung einmaliger Einnahmen über einen Verteilzeitraum hinweg auf entsprechenden Vortrag des Leistungsberechtigten hin zu überprüfen, ob die auf diesen Zeitraum bezogene Durchschnittsbetrachtung die tatsächliche Einnahmesituation im Bedarfszeitraum zutreffend wiederspiegelt. Diese Prüfung wird das LSG nach Zurückverweisung des Rechtsstreits nachzuholen haben.

15

Die vom LSG in Bezug genommene Aussage des 4. Senats (BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15) in einem (nach dem dort mitgeteilten Sachverhalt) vergleichbaren Fall, dass "einer bedarfsmindernden Berücksichtigung der Einkommensteuererstattung nicht (entgegenstehe), dass die Kläger die Steuererstattung zur Schuldentilgung verwendet haben" (aaO, RdNr 19), steht nicht im Widerspruch zur vorliegenden Entscheidung. Vorliegend ist nicht darüber zu entscheiden, welche Auswirkungen der Zufluss der einmaligen Einnahme im April 2009 bei Prüfung der Rechtmäßigkeit der Bewilligung für den laufenden Bewilligungszeitraum nach dem Maßstab des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) hatte. Allein hierauf bezieht sich aber die vom LSG in Bezug genommene Aussage des 4. Senats. Weil bei Anwendung des § 48 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit in solchen Fällen nicht eine aktuelle Bedarfslage ungedeckt bleibt, sondern nach Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung (nur) künftig eine Verbindlichkeit gegenüber dem Träger der Grundsicherung entsteht, widerspricht dieses Ergebnis nicht dem Prinzip der Berücksichtigung von Einkommen als "bereiten Mitteln".

16

Wegen der erstmaligen Bewilligung von Leistungen für Bewilligungszeiträume, die dem Zufluss einer einmaligen Leistung folgen und über die hier allein zu entscheiden ist, mangelte es im vom 4. Senat entschiedenen Fall an hinreichenden Feststellungen zur Einkommens- und Bedarfslage im Folgezeitraum (aaO, RdNr 27), sodass der Rechtsstreit zu entsprechenden Ermittlungen zurückverwiesen worden ist. Gerade die Ausführungen zum notwendigen Prüfungsumfang wegen des folgenden Bewilligungsabschnitts (aaO, RdNr 28 ff) zeigen, dass die tatsächliche Mittellosigkeit im folgenden Bewilligungsabschnitt für den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (auch) nach der dort vertretenen Auffassung nicht unerheblich war. Weitergehende Ermittlungen hätten sich sonst erübrigt. Dass die vorliegende Entscheidung des Senats mit der Auffassung des 4. Senats übereinstimmt, ergibt sich im Übrigen aus der oben zitierten Rechtsprechung aus den Folgejahren.

17

4. Verwenden Leistungsberechtigte einmalige Einnahmen nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts im Verteilzeitraum und führen sie so Hilfebedürftigkeit (ggf teilweise) herbei, kann solches Verhalten einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II auslösen. Insbesondere wenn dem Leistungsberechtigten aus vorangegangenen Bezugszeiträumen oder nach entsprechender Aufklärung durch den Träger der Grundsicherung, die insbesondere bei sog Aufstockern mit laufendem und einmaligen Erwerbseinkommen angezeigt erscheint, bekannt ist oder bekannt sein müsste, in welcher Weise der Einsatz einer einmaligen Einnahme von ihm erwartet wird, kann bei entgegenstehendem Verhalten ein solcher Anspruch entstehen (zu den Voraussetzungen des § 34 SGB II im Einzelnen BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zitiert nach der Pressemitteilung).

18

Der Anspruch nach § 34 SGB II(nunmehr in Verbindung mit den erleichterten Möglichkeiten seiner Realisierung, vgl § 43 Abs 1 SGB II nF) sichert das Bedürfnis der Allgemeinheit ausreichend, Steuermittel nicht dort aufzuwenden, wo die Abwendung von Hilfebedürftigkeit dem Hilfebedürftigen auch aus eigener Kraft möglich gewesen wäre und die Notlage also schuldhaft herbeigeführt wird. Zutreffend verweisen die Kläger darauf, dass auch insoweit das Gesetz mit Sanktionsmöglichkeiten einerseits und dem Ersatzanspruch nach § 34 SGB II andererseits (seit dem 1.4.2011 im Gesetz ausdrücklich als "Ersatzanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens" bezeichnet) abschließend aufzeigt, inwieweit Leistungen trotz Bedürftigkeit nicht oder nur eingeschränkt oder mit einem Gegenanspruch des Trägers belastet gewährt werden sollen.

19

Demgegenüber scheidet die Gewährung eines Darlehens nach § 23 Abs 1 SGB II(§ 24 Abs 1 SGB II nF) entgegen der Auffassung des LSG von vornherein aus, weil die Norm ausdrücklich die Deckung einmaliger, nicht aber laufender Bedarfe in Bezug nimmt. Auch eine Darlehensgewährung gestützt auf § 23 Abs 4 SGB II(§ 24 Abs 4 SGB II nF), der die darlehensweise Gewährung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei zu erwartendem Zufluss von Einkommen in Bezug nimmt, kommt nicht in Betracht, weil auch § 23 Abs 4 SGB II(bzw § 24 Abs 4 SGB II nF) im Zeitpunkt der Darlehensbewilligung Hilfebedürftigkeit voraussetzt. Hilfebedürftigkeit würde aber bei einer "fiktiven" Berücksichtigung der einmaligen Einnahme, wie sie das LSG vornehmen will, in Konsequenz seiner Entscheidung gerade nicht bestehen. Für den Fall einer durch "fehlerhaftes Ausgabeverhalten" (ggf schuldhaft) herbeigeführten Hilfebedürftigkeit seitens des Leistungsberechtigten sieht das SGB II keine nur darlehensweise Gewährung existenzsichernder Leistungen für die Regelbedarfe und Mehrbedarfe vor; die weitergehenden Voraussetzungen der § 23 Abs 1, 4 oder 5 SGB II müssen im Einzelfall erfüllt sein, damit ein Anspruch auf Zuschuss (ggf nach Ermessensentscheidung des Trägers) entfällt. Für Unterkunftsbedarfe sind solche Fälle in § 22 Abs 5 SGB II(§ 22 Abs 8 SGB II nF) abschließend geregelt. Ob die Auffassung des LSG zutrifft, bei zweckwidrigem Verbrauch gewährter existenzsichernder Leistung und Mittellosigkeit komme eine erneute Gewährung von Leistungen für Regelbedarfe als Zuschuss nicht in Betracht, ist für die vorliegende Fallgestaltung ohne Belang (für den Fall der zweckwidrigen Verwendung von gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung vgl BSG Urteil vom 17.6.2010 - B 14 AS 58/09 R - BSGE 106, 90 = SozR 4-4200 § 22 Nr 41, RdNr 18).

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Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von August 2009 bis Januar 2010 unter Berücksichtigung einer im vorangegangenen Bewilligungszeitraum zugeflossenen einmaligen Einnahme als Einkommen.

2

Den miteinander verheirateten, 1960 und 1967 geborenen Klägern zu 1 und 3 und ihren 1989, 1991 und 1993 geborenen Kindern - den Klägern zu 2, 4 und 5 - waren für Februar bis Juli 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bewilligt worden. Für den Zeitraum ab März 2009 rechnete das beklagte Jobcenter auf diese Leistungen aus einer erwarteten und am 3.3.2009 tatsächlich zugeflossenen Abfindung aus einem arbeitsrechtlichen Vergleich in Höhe von 13 049,42 Euro für den Kläger zu 1 monatliche Beträge von 1000 Euro als dessen Einkommen an, bereinigte dieses um Absetzbeträge und kündigte an, die Anrechnung über einen Zeitraum von elf Monaten zu verteilen (Bescheide vom 11.2.2009, 24.6.2009 und 27.10.2009). Entsprechend nahm der Beklagte auf den Fortzahlungsantrag der Kläger für den im Streit stehenden Zeitraum von August 2009 bis Januar 2010 eine Anrechnung in Höhe von monatlich jeweils 1000 Euro bis Dezember 2009 und von zunächst 418,99 Euro und schließlich 646,31 Euro für Januar 2010 vor und bereinigte dieses Einkommen um Absetzbeträge (als "Änderung" ausgewiesener Bescheid vom 28.7.2009; Änderungsbescheid vom 29.10.2009; Widerspruchsbescheid vom 30.10.2009, zugestellt am 3.11.2009; Änderungsbescheid vom 4.11.2009 für die Zeit vom 1.8.2009 bis 31.1.2010).

3

Die am 26.11.2009, 27.11.2009 und 3.12.2009 erhobenen Klagen zum Sozialgericht (SG) Dortmund, gerichtet gegen den Bescheid vom 28.7.2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 29.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2009 und des Änderungsbescheids vom 4.11.2009, und die Berufungen zum Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen blieben ohne Erfolg (Urteil des SG vom 23.6.2010; Urteil des LSG vom 1.2.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dem monatlichen Gesamtbedarf der Kläger aus den Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und den zwischen den Beteiligten unstreitigen Kosten für Unterkunft und Heizung hätten neben dem (bereinigten) Einkommen der Klägerinnen zu 3 und 4 und dem Kindergeld für die Kläger zu 2, 4 und 5 auch monatliche Beträge von 1000 Euro (August 2009 bis Dezember 2009) bzw 646,31 Euro (Januar 2010) aus der im März 2009 zugeflossenen Abfindungszahlung gegenübergestanden. Diese sei auch im folgenden Bewilligungsabschnitt als Einkommen iS von § 11 Abs 1 SGB II und nicht als Vermögen iS von § 12 SGB II zu berücksichtigen(Hinweis auf Bundessozialgericht Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 64/08 R - RdNr 14 ff). Die Dauer des Verteilzeitraums von elf Monaten sei angemessen. Daraus, dass die Kläger den Erstattungsbetrag nach ihren Angaben bis Juli 2009 für diverse Ausgaben (Fahrschule, Möbel, Zuwendungen an Verwandte, Urlaub) verwendet hätten, folge nichts anderes. Der Leistungsberechtigte, der seine Selbsthilfeobliegenheit und die hieraus resultierende Verpflichtung missachte, jegliches Einkommen zuvörderst zur Sicherung des Lebensunterhalts der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen, könne nicht unter Berufung hierauf besser gestellt werden als ein Leistungsberechtigter, der seinen Obliegenheiten nach dem SGB II nachkomme.

4

Mit ihren Revisionen hiergegen rügen die Kläger die Verletzung von § 9 Abs 1 iVm § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und § 11 Abs 1 SGB II. Zwar sei die Abfindung zu berücksichtigendes Einkommen. Seit August 2009 seien die Mittel aber tatsächlich nicht mehr vorhanden gewesen. Nach der Rechtsprechung des BSG bestehe Hilfebedarf immer dann, wenn ein Bedarf faktisch nicht gedeckt werden könne (Verweis auf Urteil vom 31.10.2007 - B 14/7b AS 42/06 R). Stelle sich bei erneuter Antragstellung heraus, dass das Einkommen verbraucht sei, habe eine nur fiktive Anrechnung zu unterbleiben. Ein existenzsichernder Anspruch auf Leistungen bestehe im Grundsatz auch, wenn die Notlage etwa bei Verweigerung zumutbarer Arbeit, bei unwirtschaftlichem Verhalten oder mutwilliger Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit selbst herbeigeführt worden sei. Eine fiktive Einkommensberücksichtigung verletze das Sozialstaatsprinzip.

5

Die Kläger beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Februar 2012 und des Sozialgerichts Dortmund vom 23. Juni 2010 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 29. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Oktober 2009 sowie des Änderungsbescheids vom 4. November 2009 zu ändern und ihnen vom 1. August 2009 bis zum 31. Januar 2010 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die Revisionen der Kläger sind im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht beurteilt werden, ob die Kläger im streitigen Zeitraum vom 1.8.2009 bis zum 31.1.2010 Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Zutreffend rügen sie, dass weitergehende Hilfebedürftigkeit iS des § 9 Abs 1 SGB II nicht schon deshalb verneint werden darf, weil ihnen im vorangegangenen Bewilligungszeitraum eine einmalige Einnahme zugeflossen ist.

8

1. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 28.7.2009 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 29.10.2009 sowie des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2009 und des Änderungsbescheids vom 4.11.2009, gegen die sich die Kläger mit ihren kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 und 4 SGG)wenden. Im Streit stehen damit höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Zeitraum von August 2009 bis Januar 2010. Die Kläger machen mit ihrem Vorbringen, es sei die im März 2009 zugeflossene Abfindung nicht als Einkommen zu berücksichtigen, sowohl höhere Regelleistungen als auch höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung an sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft geltend.

9

2. Die Kläger zu 1 und 3 als erwerbsfähige, verheiratete Hilfebedürftige (vgl § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II) und die Kläger zu 2, 4 und 5, die als deren gemeinsame Kinder mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben (vgl § 7 Abs 2, 3 SGB II), haben dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (vgl §§ 19, 28 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung ). Wegen der Höhe ihrer Ansprüche ist zunächst der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft aus dem Bedarf jeder einzelnen Person zu ermitteln und sodann das zu berücksichtigende Einkommen (vgl § 9 Abs 1 iVm § 11 SGB II) im Verhältnis der Einzelbedarfe zum Gesamtbedarf zu verteilen (§ 9 Abs 2 Satz 3 SGB II). Entgegen der Auffassung des LSG ist der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft vorliegend allerdings nicht zusammengesetzt aus einem Bedarf der Eltern in Höhe von jeweils 323 Euro, und der Kläger zu 2, 4 und 5 in Höhe von 287 Euro sowie den Kosten für Unterkunft und Heizung. Das zugeflossene Kindergeld ist nämlich nach § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II aF ausschließlich zur Bedarfsdeckung der Kinder heranzuziehen und also vorab von ihren Bedarfen abzusetzen(vgl BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 4 RdNr 24). Dies wird das LSG bei der erneuten Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach Zurückverweisung des Rechtsstreits zu beachten und dabei ebenso den Bedarf für Unterkunft und Heizung festzustellen haben.

10

Bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs 1 SGB II hat das LSG dem nach § 11 SGB II zu berücksichtigenden Gesamteinkommen Anteile in Höhe von 1000 Euro (August 2009 bis Dezember 2009) bzw 646,31 Euro (Januar 2010) aus der dem Kläger zu 1 im März 2009 zugeflossenen Abfindung hinzugerechnet. Dabei hat es letztlich offen gelassen, ob der Vortrag der Kläger zutreffend ist, die gezahlte Abfindung sei bereits vor Beginn des Bewilligungsabschnitts verbraucht gewesen. Vielmehr hat es die Auffassung vertreten, die Anteile aus der Abfindung seien aus rechtlichen Gründen monatlich als Einkommen zu berücksichtigen. Diese Auffassung hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

11

3. Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II aF sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. Dabei ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte(vgl nur BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 18). Zutreffend hat das LSG ausgeführt, dass sich die einmalige Einnahme damit im Zeitpunkt des Zuflusses als Einkommen darstellte. Diesen Charakter als Einkommen verliert eine einmalige Einnahme auch nach erneuter Antragstellung im nachfolgenden Bewilligungszeitraum nicht. Die rechtliche Wirkung des "Zuflussprinzips" endet nicht mit dem Monat des Zuflusses, sondern erstreckt sich über den gesamten Zeitraum, auf den das Einkommen (vorliegend nach § 2 Abs 4 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung idF vom 17.12.2007; vgl jetzt § 11 Abs 3 Satz 3 SGB II idF des Art 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453 - neue Fassung ) aufgeteilt wird, den sog "Verteilzeitraum" (vgl nur BSG Urteile vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 21 und - B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 28 sowie Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 64/08 R - juris RdNr 25). Auch insoweit entsprechen die Ausführungen des LSG dieser Rechtsprechung uneingeschränkt.

12

Eine Festlegung, ob die Verteilung der einmaligen Einnahme nach § 2 Abs 4 Alg II-V vorliegend über elf Monate zu erfolgen hatte oder ein kürzerer Zeitraum angezeigt war(vgl § 11 Abs 3 Satz 3 SGB II nF, der eine Verteilung über sechs Monate vorsieht; zur alten Rechtslage etwa BSG Urteil vom 27.9.2011 - B 4 AS 180/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 40 RdNr 32; Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 101/11 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 47 RdNr 30), braucht im derzeitigen Stand des Verfahrens nicht zu erfolgen. Die Feststellungen des LSG im Übrigen lassen schon nicht den Schluss zu, der Bedarf der Kläger sei im Zeitraum von August 2009 bis Januar 2010 jeweils monatlich in der von dem Beklagten angenommenen Höhe gedeckt. Wenn die einmalige Einnahme, was die Kläger vortragen, tatsächlich im neuen Bewilligungszeitraum nicht mehr zur Verfügung stand, kommt - entgegen der Auffassung des LSG - schon von daher ein höherer Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Betracht. Wie der Senat bereits entschieden hat, kommt es nämlich bei Berücksichtigung einer Einnahme als Einkommen in einem abschließenden Prüfungsschritt darauf an, ob zugeflossenes Einkommen als "bereites Mittel" geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken. Dies gilt auch bei Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme über einen Verteilzeitraum hinweg ohne Einschränkungen (BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - BSGE 112, 229 = SozR 4-4200 § 11 Nr 57, RdNr 13 ff mwN).

13

Hiernach muss zwar der Hilfebedürftige sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich verwenden, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (BSG Urteil vom 19.9.2008 - B 14/7b AS 10/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 18 RdNr 25). Dementsprechend ist er bei Zufluss einer einmaligen Einnahme gehalten, das Geld nicht zur Schuldentilgung zu verwenden, sondern über den Verteilzeitraum hinweg zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen. Wenn die einmalige Einnahme, deren Berücksichtigung als Einkommen in Rede steht, tatsächlich aber nicht (mehr) uneingeschränkt zur Verfügung steht, ist ein Leistungsanspruch nicht ausgeschlossen. Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen aufgrund einer unwiderleglichen Annahme, dass die Hilfebedürftigkeit bei bestimmtem wirtschaftlichen Verhalten - hier dem Verbrauch der einmaligen Einnahme in bestimmten monatlichen Teilbeträgen - (teilweise) abzuwenden gewesen wäre, ist mit Art 1 iVm Art 20 Grundgesetz nicht vereinbar (vgl nur Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 = Breith 2005, 803 = juris RdNr 28). Diesem Gedanken folgt das gesetzgeberische Grundprinzip, dass Einkommen nicht "fiktiv" berücksichtigt werden darf, sondern tatsächlich geeignet sein muss, Hilfebedürftigkeit zu beseitigen (BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - BSGE 112, 229 = SozR 4-4200 § 11 Nr 57, RdNr 14 mwN).

14

Hieran ist festzuhalten. Schon vor der Entscheidung des erkennenden Senats vom 29.11.2012 hatte der 4. Senat am Beispiel der Berücksichtigung schwankender Einnahmen ebenso darauf hingewiesen, dass es auf den tatsächlichen Zufluss "bereiter Mittel" ankommt (vgl Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 29 mwN). Nunmehr hat er sich dem Ausspruch vom 29.11.2012 für die vorliegende Fallgestaltung ausdrücklich angeschlossen (Urteil vom 10.9.2013 - B 4 AS 89/12 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 62 RdNr 31, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass der vorzeitige Verbrauch laufender Einnahmen einen nachträglich höheren Leistungsanspruch im Zuflussmonat ebenfalls nicht zu begründen vermöge und in diesem Fall neben der Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen (§ 23 Abs 2 SGB II aF, § 24 Abs 2 SGB II nF) nur eine darlehensweise Leistungsgewährung in Betracht komme. Dabei kann offen bleiben, ob das überhaupt zutrifft. Vorliegend ist nämlich nicht zu entscheiden, ob der Verbrauch laufender Einnahmen vor Ablauf des Monats, in dem sie zugeflossen sind, als wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch anzusehen ist und mithin nachträglich Leistungsansprüche entstehen würden. Denn hier stand die Abfindung nach dem Vortrag der Kläger schon zu Beginn des neuen Bewilligungszeitraums nicht mehr zur Sicherung des Lebensunterhalts zur Verfügung. In solcher Lage ist für eine darlehensweise Leistungsgewährung schon im Ansatz kein Raum, wie der Senat in seiner Entscheidung vom 29.11.2012 (aaO) im Einzelnen dargelegt hat: Weder ist ein nur einmaliger Bedarf iS von § 23 Abs 1 SGB II aF zu decken(nunmehr § 24 Abs 1 SGB II nF)noch kommt die darlehensweise Gewährung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei zu erwartendem Zufluss von Einkommen in Betracht (§ 23 Abs 4 SGB II aF; nunmehr § 24 Abs 4 SGB II nF; BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R, aaO, RdNr 19-20 mwN).

15

Damit ist auch bei der Berücksichtigung einmaliger Einnahmen über einen Verteilzeitraum hinweg auf entsprechenden Vortrag des Leistungsberechtigten hin zu überprüfen, ob die auf diesen Zeitraum bezogene Durchschnittsbetrachtung die tatsächliche Einnahmesituation im Bedarfszeitraum zutreffend widerspiegelt. Diese Prüfung wird das LSG nach Zurückverweisung des Rechtsstreits nachzuholen haben. Im Hinblick auf die Erhöhung des Anrechnungsbetrags für Januar 2010 von zunächst 418,99 Euro auf zuletzt 646,31 Euro durch den Änderungsbescheid vom 4.11.2009 wird dabei auch zu berücksichtigen sein, dass eine dem vorangehende Anhörung der Kläger nicht festgestellt worden ist und die höhere Anrechnung auf zuvor bewilligte Leistungen insoweit daher schon verfahrensrechtlich mangelbehaftet sein dürfte.

16

4. Kommt das LSG zu dem Ergebnis, dass entsprechend dem Vortrag der Kläger die im März 2009 zugeflossene Abfindung zur Sicherung des Lebensunterhalts im hier im Streit stehenden Verteilzeitraum nicht mehr zur Verfügung stand und mithin Hilfebedürftigkeit herbeigeführt worden ist, kann das einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II auslösen; das hat der Senat bereits mit der Entscheidung vom 29.11.2012 ausgesprochen und mit Urteil vom 16.4.2013 nochmals bekräftigt (B 14 AS 55/12 R - SozR 4-4200 § 34 Nr 2 RdNr 22). Insbesondere wenn dem Leistungsberechtigten aus vorangegangenen Bezugszeiträumen oder nach entsprechender Aufklärung durch den Träger der Grundsicherung, die insbesondere bei sog Aufstockern mit laufendem und einmaligen Erwerbseinkommen angezeigt erscheint, bekannt ist oder bekannt sein musste, in welcher Weise der Einsatz einer einmaligen Einnahme von ihm erwartet wird, kann bei entgegenstehendem Verhalten ein solcher Anspruch entstehen (zu den Voraussetzungen des § 34 SGB II im Einzelnen BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 = SozR 4-4200 § 34 Nr 1, RdNr 16 ff). Von Bedeutung kann deshalb hier sein, dass die Kläger schon mit Bescheid vom 11.2.2009 über die Absicht des Beklagten informiert worden sind, die schließlich im März 2009 tatsächlich zugeflossene Abfindung über einen Zeitraum von elf Monaten und damit auch noch in dem hier im Streit stehenden Bewilligungszeitraum auf die Grundsicherungsleistungen anzurechnen.

17

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Sprungrevision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 22. Dezember 2009 (S 40 AS 2407/08) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 1.10.2005 bis 31.12.2005 und die Erstattung der gewährten Leistungen in Höhe von 1454,28 Euro.

2

Der alleinstehende Kläger stellte erstmals am 31.3.2005 einen Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zu Einkünften aus selbstständiger oder anderer Tätigkeit machte er keine Angaben. Auf dem Zusatzblatt 2 findet sich mit grünem Stift - der Beraterin - die Einfügung: "Ich-AG 3.2.03 - 1 Jahr Förderung". Der Beklagte gewährte dem Kläger alsdann Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, zunächst für den Zeitraum vom 31.3. bis 30.9.2005 (Bescheid vom 19.4.2005). Einkommen des Klägers berücksichtigte er bei der Berechnung der Leistungshöhe nicht. In seinem Fortzahlungsantrag vom 28.7.2005 gab der Kläger keine Änderungen der Verhältnisse an, woraufhin der Beklagte Alg II in der selben Höhe wie zuvor (monatlich: 601,89 Euro; Regelleistung: 331 Euro; KdU: 270,89 Euro) auch für den Zeitraum vom 1.10.2005 bis 31.3.2006 bewilligte (Bescheid vom 16.8.2005 ).

3

Auf eine Einladung des Beklagten zu einem Gespräch über seine berufliche Situation und zur Vorlage seiner Bewerbungen legte der Kläger am 29.12.2005 eine Änderungsmitteilung vor und gab an, er werde vom 9.1.2006 bis 28.2.2006 selbstständig tätig sein (Abbruch, Entkernung, Maurerarbeiten). Zusammen mit dieser Änderungsmitteilung füllte der Kläger das Zusatzblatt 2.1. (Einkommenserklärung) aus und legte die Anlage GSE zu seiner Einkommensteuererklärung für 2004 vor. Er teilte zunächst voraussichtliche Betriebseinnahmen in Höhe von 750 Euro sowie -ausgaben in Höhe von 225 Euro mit. Der Gewinn habe sich gegenüber den Vorjahren verringert, weil sich die Auftragslage verschlechtert habe. Im Mai und August 2006 reichte der Kläger ferner Betriebswirtschaftliche Auswertungen (BWA) für die Jahre 2005 und für die bereits abgelaufenen Monate des Jahres 2006 ein und legte mit einem weiteren Fortzahlungsantrag im Januar 2007 eine am 3.1.2007 erstellte betriebswirtschaftliche Auswertung vor, aus der sich für das Jahr 2005 insgesamt ein vorläufiges positives betriebswirtschaftliches Ergebnis von 8581,40 Euro ergibt, darunter im letzten Quartal 2005 - dem hier streitgegenständlichen Zeitraum - in Höhe von 10 115,44 Euro. Am 16.7.2007 gab der Kläger den Einkommensteuerbescheid für 2005 zu den Akten, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer in Höhe von 10 405 Euro ausweist. In einem vom Kläger beigefügten Schreiben des Steuerberaters wird zur Erläuterung ausgeführt, dass der Gewinn nach § 4 Abs 3 EStG ermittelt worden sei und sich der in dem Steuerbescheid angesetzte Gewinn in Höhe von 10 405 Euro aus zwei Positionen zusammensetze - einem Gewinnanteil aus laufendem Geschäftsbetrieb in Höhe von 381 Euro und einem Gewinnanteil in Höhe von 10 024 Euro, der aus der Auflösung, Neubildung und Verzinsung von Sonderposten mit Rücklageanteil nach § 7g EStG (Ansparabschreibungen) entstanden sei. In dem Schreiben heißt es weiter: "Der hohe Gewinn des Jahres 2003 wurde im Rahmen der gesetzlichen Regelungen des § 7g EStG in die Folgejahre verschoben. Dieser Gewinnanteil ist im Jahr 2005 nicht zugeflossen und stand damit nicht zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung."

4

Daraufhin führte der Beklagte eine Neuberechnung der Leistungen für den Zeitraum vom 1.10.2005 bis 31.3.2006 durch und hob mit Bescheid vom 24.1.2008 den Bewilligungsbescheid vom 16.8.2005 sowie den Änderungsbescheid vom 8.8.2006 unter Hinweis auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X auf. Mit Änderungsbescheid vom 24.4.2008 wurde die Leistungsbewilligung für den noch streitigen Zeitraum vom 1.10.2005 bis 31.12.2005 - der Rechtsstreit hat sich für den Zeitraum ab 1.1.2006 durch angenommenes Teilanerkenntnis in der mündlichen Verhandlung vor dem SG Dresden erledigt - teilweise in Höhe von monatlich 587,59 Euro aufgehoben und die Erstattungsforderung für diesen Zeitraum auf monatlich 484,76 Euro, insgesamt 1454,28 Euro, reduziert. Den Widerspruch des Klägers vom 28.1.2008 wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 25.4.2008 zurück.

5

Durch Urteil vom 22.12.2009 hat das SG die Klage hiergegen abgewiesen. Die streitbefangenen Bescheide seien - im Gegensatz zur Auffassung des Klägers - inhaltlich hinreichend bestimmt. Der Beklagte habe die rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 16.8.2005 zutreffend auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X gestützt. Der Bescheid vom 16.8.2005 sei bei seinem Erlass rechtmäßig gewesen und es sei eine wesentliche Änderung durch Zufluss von Einkommen eingetreten. Für den Beklagten habe aufgrund der Angaben des Klägers im Leistungsantrag weder Veranlassung bestanden, den Bewilligungsbescheid vom 16.8.2005 nur vorläufig zu erlassen, noch aufgrund der Angaben des Klägers in seinem Antrag auf Bewilligung von Alg II zu vermuten, dass sich im Leistungszeitraum Einkünfte - in wechselnder Höhe - aus selbstständiger Tätigkeit ergeben könnten. Die Kammer glaube dem Kläger, dass er beim Ausfüllen des Antrags weder Einkünfte gehabt, noch solche erwartet und deswegen die entsprechenden Felder des Antrags nicht angekreuzt habe. Zu Recht habe der Beklagte die Höhe des dann zugeflossenen Einkommens ausgehend vom steuerrechtlichen Gewinn ermittelt. Insofern komme dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 Tatbestandswirkung zu. Der auf die Auflösung der Ansparabschreibungen entfallende Gewinnanteil sei nicht abzuziehen. Die Auflösung der Rücklage fließe dem Steuerpflichtigen zu, weil Gelder, die ursprünglich für eine Investition vorgesehen und gebunden gewesen seien, nun wieder - auch zur Bestreitung des Lebensunterhalts - zur Verfügung gestanden hätten. Das SG hat die Sprungrevision zugelassen. Der Beklagte hat der Einlegung zugestimmt.

6

Der Kläger rügt mit der Revision (sinngemäß) eine Verletzung des § 11 Abs 1 SGB II und des § 2a Abs 1 Alg II-V iVm § 15 Abs 1 SGB IV. Zu Unrecht habe das SG die Feststellungen des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2005 zugrunde gelegt. Die Auflösung der im Jahr 2003 gebildeten Ansparabschreibung habe nicht berücksichtigt werden dürfen. Hierbei handele es sich um einen im Jahr 2003 und nicht im maßgeblichen Zeitraum 2005 zugeflossenen Gewinn. Allein durch die Ausweisung der aufgelösten Ansparabschreibung stünden ihm keine bereiten Mittel zur Verfügung. Das Geld sei bereits im vorangegangenen Geschäftsjahr zur Deckung der laufenden Betriebskosten verwendet worden.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 22. Dezember 2009 (S 40 AS 2407/08) sowie den Bescheid des Beklagten vom 24. Januar 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. April 2008 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er schließt sich den Ausführungen des SG an.

Entscheidungsgründe

10

Die Sprungrevision ist im Sinne der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG begründet.

11

Der Senat vermochte nicht abschließend zu beurteilen, ob der aufgehobene Bewilligungsbescheid vom 16.8.2005 von Anfang an rechtswidrig war (§ 45 SGB X) oder durch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nachträglich rechtswidrig geworden ist (§ 48 SGB X). Es ist vom SG nicht festgestellt worden, ob bei Bescheiderteilung nach den objektiven Verhältnissen Hilfebedürftigkeit vorlag oder die Hilfebedürftigkeit ggf im Verlaufe des streitigen Zeitraumes entfallen ist.

12

1. Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig(vgl Urteile des Senats vom 18.1.2011, ua B 4 AS 99/10 R). Nach § 76 Abs 3 Satz 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisherigen beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten. Dieser kraft Gesetzes eintretende Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II stellt keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung dar.

13

Der Senat hat ebenfalls bereits entschieden, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 44b SGB II bestehen, weil der Gesetzgeber sich bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung innerhalb des von Art 91e Abs 1 und 3 GG eröffneten Gestaltungsspielraums bewegt(BSG Urteile vom 18.1.2011, ua B 4 AS 99/10 R).

14

2. Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 24.1.2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24.4.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.4.2008, mit dem der Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II teilweise aufgehoben hat und eine Erstattungsforderung in Höhe von 1454,28 Euro für den noch streitigen Zeitraum vom 1.10.2005 bis 31.12.2005 geltend gemacht hat. Der Kläger hat ihn zutreffend mit der Anfechtungsklage angegriffen.

15

3. Ob der Beklagte die Aufhebungsentscheidung - die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung unterstellt (s hierzu unter b) - auf § 48 SGB X stützen konnte, wie das SG annimmt, oder ob ggf § 45 SGB X als Rechtsgrundlage in Betracht kommt, kann vom erkennenden Senat mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen durch das SG ebenso wenig entschieden werden, wie die Frage, ob der Bewilligungsbescheid materiell-rechtlich rechtswidrig war.

16

a) Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. § 45 SGB X regelt, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. § 45 SGB X findet also Anwendung, wenn der Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen geändert werden soll. Beide Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts, der aufgehoben werden soll, ab (vgl BSGE 96, 285 = SozR 4-4300 § 122 Nr 4 RdNr 13; BSGE 59, 206 = SozR 1300 § 45 Nr 20 S 68 und BSGE 65, 221 = SozR 1300 § 45 Nr 45 S 141; vgl auch Urteil des Senats vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R - und zuletzt BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 45/09 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig aufzuklären (BSG Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 113 ff = SozR 3-1300 § 32 Nr 2; BSGE 82, 183 = SozR 3-4100 § 71 Nr 2 mwN; BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1), um die objektiven Verhältnisse festzustellen. Insoweit kommt es entgegen der Auffassung des SG nicht darauf an, zu welchen Vermutungen die Verwaltung aufgrund der klägerischen Angaben Anlass gehabt hatte. Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später - nach weiteren Ermittlungen - heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben. Mangelnde Amtsermittlung kann auch niemals Grund für eine nur vorläufige Leistungsbewilligung sein. Der endgültige Bescheid ist umgekehrt kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen - nicht wegen fehlerhafter Ausübung der Amtsermittlungspflicht, sondern - objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung etwa der Einkommenssituation besteht. Eine endgültige Bewilligung unter Abschlag von der Leistungshöhe aufgrund einer prospektiven Schätzung von Einkommen ohne rechtliche Befugnis hierzu ist rechtswidrig (BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1). Entscheidet der Träger jedoch endgültig und bewilligt nicht nur vorläufige Leistungen, sind Maßstab der Überprüfung der Aufhebungsentscheidung § 45 oder § 48 SGB X.

17

Die objektiven Verhältnisse zum Zeitpunkt des Bewilligungsbescheides können den Feststellungen des SG jedoch nicht entnommen werden. Das SG hat ausgeführt, aufgrund der Angaben des Klägers in seinem Antrag auf Bewilligung von Alg II sei nicht zu vermuten gewesen, dass sich im Leistungszeitraum Einkünfte - in wechselnder Höhe - aus selbstständiger Tätigkeit ergeben könnten. Die Kammer glaube dem Kläger, dass er beim Ausfüllen des Antrags weder Einkünfte gehabt, noch solche erwartet und deswegen die entsprechenden Felder des Antrags nicht angekreuzt habe. Wenn das Gericht in seinen weiteren Ausführungen gleichwohl davon ausgeht, dass der Kläger Einkommen aus selbstständiger Beschäftigung hatte, brauchte es zwar von seinem Rechtsstandpunkt keine weitere Aufklärung der tatsächlichen Einkommens- und Vermögenssituation vorzunehmen. Insoweit verkennt es jedoch den rechtlichen Maßstab für die Beurteilung, ob eine zur Rechtswidrigkeit führende wesentlich Änderung der Verhältnisse oder eine anfängliche Rechtswidrigkeit gegeben waren.

18

b) Ob der Bewilligungsbescheid vom 16.8.2005 rechtmäßig war, beurteilt sich zuvörderst danach, ob der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistungsbewilligung nach dem SGB II erfüllt hatte, insbesondere ob er hilfebedürftig war. Nach § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 Abs 1 SGB II - jeweils in der Fassung des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl I 2954 - ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (Nr 1), aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen (Nr 2) sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

19

Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II - ebenfalls in der Fassung des Gesetzes vom 24.12.2003 - sind als Einkommen Einnahmen in Geld oder Geldeswert, mithin auch Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit zu berücksichtigen. Vom Einkommen sind ua die auf das Einkommen entrichteten Steuern abzuziehen (§ 11 Abs 2 Nr 1 SGB II). § 2a Alg II-V(idF der ersten Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung vom 22.8.2005, mit Wirkung vom 1.10.2005, BGBl I 2499) regelt die Einzelheiten der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit sowie Gewerbebetrieb. Nach § 2a Abs 1 Satz 1 und 2 Alg II-V ist dabei vom Arbeitseinkommen iS des § 15 SGB IV unter Verweis ua auf § 15 Abs 1 EStG auszugehen. Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind gemäß § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 EStG(idF des Art 1 Nr 4 Gesetz vom 22.12.2003, BGBl I 2840 mit Wirkung vom 1.1.2004) Einkünfte aus gewerblichen Unternehmen.

20

Grundsätzlich ist es - im Gegensatz zur Auffassung des Klägers - zwar nicht zu beanstanden, dass das SG von dem Gewinn aus der Auflösung der Ansparrücklage iS des § 7g EStG als Arbeitseinkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im hier streitigen Zeitraum ausgegangen ist(vgl auch LSG Berlin-Brandenburg 24.4.2007 - L 26 B 422/07 AS ER -; Klattenhoff in Hauck/Noftz, SGB IV, § 15 RdNr 8, Stand 43. EL XII/2005). Gemäß § 15 Abs 1 Satz 1 SGB IV(idF des Art 3 Nr 2 Gesetz zur Reform der Agrarsozialen Sicherung vom 29.7.1994, BGBl I 1890) ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. Nach der Gesetzesbegründung zu § 15 Abs 1 SGB IV(BT-Drucks 12/5700, S 96) soll das Arbeitseinkommen aus dem Steuerbescheid übernommen werden. Die allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts sind die §§ 4 - 7k EStG(vgl Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 15 SGB IV RdNr 10, Stand 44. EL August 2004). Auch die Regelung des § 7g EStG ist Teil der allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften und damit bei der Ermittlung des Arbeitseinkommens zu berücksichtigen(BSG Urteil vom 6.11.2008 - B 1 KR 28/07 R - SozR 4-2500 § 47 Nr 10; Fischer in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 15 RdNr 43).

21

Ansparrücklagen sollen dem Selbstständigen ermöglichen, eine Rücklage für künftige Investitionen zu bilden. Durch ihre Bildung wird verhindert, dass in bestimmter Höhe erzielte Gewinne besteuert werden (siehe zum Ganzen: BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 7a AL 38/05 R - SozR 4-4300 § 141 Nr 2). Nach § 7g Abs 3 EStG(in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.10.2002, BGBl I 4210) können Steuerpflichtige für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines Wirtschaftsguts iS des § 7g Abs 1 EStG eine den Gewinn mindernde Rücklage bilden (Ansparabschreibung). Sobald für das begünstigte Wirtschaftsgut Abschreibungen vorgenommen werden dürfen, ist die Rücklage gemäß § 7g Abs 4 Satz 1 EStG in Höhe von 40 vom Hundert der Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnerhöhend aufzulösen. Ist eine Rücklage am Ende des zweiten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie zu diesem Zeitpunkt gemäß § 7g Abs 4 Satz 2 EStG gewinnerhöhend aufzulösen(siehe hierzu Drenseck in Schmidt, EStG, 24. Aufl 2005, § 7g RdNr 24; Lambrecht in EStG-KompaktKommentar, 4. Aufl 2004, § 7g RdNr 48 f; Pinkos, DB 1993, 1688, 1690 ff). Für den Fall, dass der Steuerpflichtige den Gewinn nach § 4 Abs 3 EStG ermittelt, bestimmt § 7g Abs 6 EStG, dass § 7 Abs 3 bis 5 EStG mit Ausnahme von Abs 3 Nr 1(gemeint: Abs 3 Satz 3 Nr 1) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden ist, dass die Bildung der Rücklage als Betriebsausgabe (Abzug) und ihre Auflösung als Betriebseinnahme (Zuschlag) zu behandeln ist.

22

Die Rücklagenbildung hat zur Folge, dass sie im Jahr der Bildung zu einem buchmäßigen Aufwand führt, unabhängig davon, ob dabei ein Verlust entsteht oder ein bestehender Verlust sich erhöht (§ 7g Abs 3 Satz 4 EStG). Durch die Bildung einer Rücklage erhält der Steuerpflichtige mithin einen Steuervorteil unter der Bedingung, dass er spätestens zwei Jahre nach der (eigenkapitalschonenden) Rücklagenbildung investiert. Die Nichtbesteuerung der erzielten Gewinne in Höhe der Ansparrücklage führt dazu, dass beim Steuerpflichtigen im Jahr der Bildung der Ansparrücklage eine erhöhte Liquidität vorliegt; mit dem Ersparten kann und soll der Steuerpflichtige investieren (vgl BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 7a AL 38/05 R - SozR 4-4300 § 141 Nr 2).

23

Bei der Ansparrücklage handelt es sich im hier streitigen Zeitraum auch um Einkommen iS des SGB II. Die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen nimmt das SGB II selbst nicht vor. Wie der Senat im Urteil vom 30.9.2008 (B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15; vgl auch Urteil des Senats vom 13.5.2009 - B 4 AS 49/08 R; BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R - FEVS 60, 546) dargelegt hat, ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte(ebenso schon BSG Urteil vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 17). Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt.

24

Grundsätzlich gilt für die Ansparrücklage nach diesem Grundsatz - da sie in jedem Fall bereits vor der Antragstellung gebildet wurde und soweit sie im hier streitigen Zeitraum noch vorhanden war -, dass sie als Vermögen zu werten wäre (vgl Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tag im Parallelverfahren für den Zeitraum vor dem Inkrafttreten des § 2a Alg II-V, - B 4 AS 22/10 R). Der Senat knüpft bei dieser Wertung an seine bisherige Rechtsprechung an, wonach ein Sparguthaben eines Leistungsberechtigten, das vor der Antragstellung gebildet wurde, durchgehend Vermögen ist, auch wenn es nach der Antragstellung fällig wird und zufließt (BSG Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16). Dieses gilt insbesondere in Fällen, in denen mit bereits erlangten Einkünften angespart wurde, zB bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen. Denn anderenfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen. Dementsprechend bleibt ein auf längere Zeit angelegtes Sparguthaben auch bei seiner Auszahlung Vermögen (vgl BVerwG Urteile vom 18.2.1999 - 5 C 16/98 - NJW 1999, 3210 f = juris RdNr 16, und - 5 C 14/98 - NJW 1999, 3137 f = juris RdNr 15). Dieses gilt auch für die Ansparrücklage. Die Ansparrücklage entstammt Jahre zuvor - hier wohl 2003 - erwirtschaftetem Gewinn, war also zum damaligen Zeitpunkt Einkommen und fließt bei ihrer Auflösung in den Betrieb/das Unternehmen als Investition zurück (vgl Kratzsch in EStG, Praxiskommentar, Stand III/2008, § 7g RdNr 63c; s hierzu auch Urteil des erkennenden Senats vom selben Tag - B 4 AS 22/10 R). Tatsächlich handelt es sich mithin um die Freisetzung von angespartem Einkommen, also Vermögen.

25

Gleichwohl ist der Gewinn aus der aufgelösten Ansparrücklage im hier streitigen Zeitraum Einkommen. Dieses wird durch den Verweis in § 2a Alg II-V auf die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften normativ bestimmt. Danach ist die aufgelöste oder aufzulösende Ansparrücklage, obwohl sie vor der Antragstellung gebildet wurde (s zum Sparguthaben BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16) als Einkommen im jeweiligen Steuerjahr zu berücksichtigen. Grundsätzliche Bedenken gegen die normative Zuordnung als Einkommen bestehen auf Grundlage der soeben dargelegten Funktion der Ansparrücklage mit im Wesentlichen Steuerstundungseffekt (vgl hierzu Kratzsch in EStG, Praxiskommentar, Stand III/2008, § 7g RdNr 63c) nicht.

26

Soweit das SG allerdings auf Grundlage des § 2a Alg II-V allein darauf abstellt, dass der im Einkommensteuerbescheid ausgewiesene Gewinn als Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit anzusehen sei und der Steuerbescheid Tatbestandswirkung habe, übersieht es, dass die Anwendung des § 15 SGB IV und der einkommensteuerrechtlichen Regelungen hier nur als Berechnungselement zur Ermittlung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen dienen. So zeigen Wortlaut, Begründungen des Verordnungsgebers mit Blick auf die Geschichte der Regelung der Berechnungsweise für Einkommen aus selbstständiger Beschäftigung, systematischer Zusammenhang und Sinn und Zweck der Regelung, dass die Anbindung an das Steuerrecht im Einzelfall unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des SGB II hinterfragt werden muss (zu anderen Fallgruppen der Durchbrechung der Anbindung an das Steuerrecht, zB im Unterhaltsrecht vgl BSG Urteil vom 6.11.2008 - B 1 KR 28/07 R - SozR 4-2500 § 47 Nr 10 - juris RdNr 25 ff). Der Steuerbescheid entfaltet folglich keine Tatbestandswirkung in dem Sinne, dass dessen Feststellungen ohne Berücksichtigung des Umstandes, ob es sich bei dem ausgewiesenen Gewinn um bereite Mittel handelt, zur Berechnung des Alg II herangezogen werden können.

27

Bereits der Wortlaut zeigt deutlich, dass § 15 SGB IV und der dortige Verweis auf die Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts, also auch auf § 7g EStG, nur die Grundlage für die Berechnung des Einkommens Selbstständiger sein soll. Wörtlich heißt es in § 2a Abs 1 Satz 1 Alg II-V, von dem nach diesen Vorschriften bestimmten Einkommen sei "auszugehen". Diese Formulierung lässt erkennen, dass der einkommensteuerrechtlich relevante Gewinn nicht mit dem bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu berücksichtigenden Einkommen gleichgesetzt werden kann.

28

Dies wird durch die wechselvolle Geschichte der Vorschriften der Alg II-V im Hinblick auf die Berechnung von Einkommen Selbstständiger bestätigt. Wertungswidersprüche zwischen der steuerrechtlichen Betrachtung und dem Bedarfsdeckungsprinzip des SGB II hat der Verordnungsgeber selbst erkannt und zum Anlass genommen, die hier anzuwendende Fassung des § 2a Alg II-V zum 1.1.2008 wiederum zu ändern. Seit 1.1.2008 stellt er im Hinblick auf die möglichen Unterschiede (zu Gunsten und zu Lasten der Leistungsberechtigten) zwischen steuerrechtlichem Arbeitseinkommen und real zur Lebensunterhaltssicherung zur Verfügung stehendem Einkommen auf die Betriebseinnahmen, die tatsächlich zufließen, ab (vgl § 3 Alg II-V idF der VO vom 17.12.2007, BGBl I 2942). Zur Begründung hat er ausgeführt: "… Der Einkommensteuerbescheid ist nicht mehr relevant ... Die Erfahrungen in der praktischen Anwendung des bisherigen § 2a Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung haben gezeigt, dass durch die Berücksichtigung aller steuerlich möglichen Absetzungen vom Einkommen das zu berücksichtigende Arbeitseinkommen vielfach geringer war als das tatsächlich (für den Lebensunterhalt) zur Verfügung stehende Einkommen...".

29

Im Grundsatz entspricht es auch dem durchgängigen System des Grundsicherungsrechts sowie der ständigen Rechtsprechung des BSG, auf den tatsächlichen Zufluss einer Einnahme abzustellen, wenn sie als Einkommen im Rahmen der Berechnung der SGB II-Leistung den Leistungsanspruch mindern soll. § 9 Abs 1 SGB II bringt zum Ausdruck, dass SGB II-Leistungen nicht für denjenigen erbracht werden sollen, der sich nach seiner tatsächlichen Lage selbst helfen kann. Es kommt also auf den tatsächlichen Zufluss "bereiter Mittel" an (BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 14 AS 32/08 R, RdNr 20, zur Veröffentlichung vorgesehen). Entsprechend der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II muss korrespondierend bei der Festlegung der zu berücksichtigenden Einkommensteile an die tatsächliche Lage des Hilfebedürftigen angeknüpft werden. Zwar gilt insoweit, dass der Hilfesuchende sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich verwenden muss, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (BSG Urteil vom 19.9.2008 - B 14/7b AS 10/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 18, RdNr 25); andererseits kann ein Leistungsanspruch auch dann gegeben sein, wenn das zu berücksichtigende Einkommen tatsächlich nicht uneingeschränkt zur Verfügung steht (BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 2/08 R - BSGE 102, 76 ff = SozR 4-4200 § 9 Nr 7, RdNr 32; BSG Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 23/06 R - BSGE 99, 262 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 3, RdNr 15). In diesem Sinne regelt § 11 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung (nunmehr § 11b SGB II idF des RegelbedarfsÄndG vom 24.3.2011, BGBl I 453), dass das Einkommen um zahlreiche Absetzbeträge zu bereinigen ist, bevor es zur Leistungsberechnung heranzuziehen ist. Grund hierfür ist, nicht nur einen Anreiz für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu schaffen, sondern auch, nur diejenigen Einkünfte tatsächlich bei der Höhe des Alg II-Anspruchs zu berücksichtigen, die tatsächlich zur Lebensunterhaltssicherung eingesetzt werden können. Deutlich wird dieses auch im System des § 2a Alg II-V selbst. Von der Regelberechnung nach § 2 a Abs 2 S 1 Alg II-V, wonach das Einkommen auf Jahresbasis zu berechnen ist, ist nach § 2 a Abs 2 S 2 Alg II-V abzuweichen, wenn Arbeitseinkommen nur während eines Teils des Kalenderjahres erzielt wird. Dies kann zB der Fall sein, wenn die selbstständige Tätigkeit nur während eines Teils des Jahres ausgeübt wird oder wenn die noch zu Beginn des Jahres erzielten Einnahmen im Laufe des Jahres wegfallen. In diesem Fall ist das monatliche Einkommen auf Basis des Teilzeitraums des Kalenderjahres zu berechnen, in dem die Einnahmen tatsächlich erzielt werden. Diese Abweichung dient nach der Begründung des Verordnungsgebers dazu, eine Gefährdung der Sicherung des Lebensunterhalts zu vermeiden. Es kommt also auch hier letztlich darauf an, ob eine auf das gesamte Jahr bezogene Durchschnittsbetrachtung die tatsächlichen Einnahmen im Bedarfszeitraum widerspiegelt (vgl Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 11 RdNr 78)und damit ob bereite Mittel zur Verfügung standen, um den Lebensunterhalt zu decken (siehe dazu auch Senatsurteil vom 10.5.2011 - B 4 KG 1/10 R - mwN).

30

Sinn und Zweck der hier anzuwendenden Fassung des § 2a Alg II-V ist es mithin, im Interesse der Verwaltungsvereinfachung die einkommensteuerrechtlichen Festsetzungen als Anknüpfungspunkt für die grundsicherungsrechtliche Berechnung des berücksichtigungsfähigen Einkommens heranzuziehen. Die tatsächliche Berücksichtigung bei der Berechnung des Alg II hat allerdings unter der grundsicherungsrechtlichen Einschränkung zu erfolgen, dass der einkommensteuerrechtlich ermittelte Gewinn auch tatsächlich zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung steht. Nur so kann der Zweck des SGB II, die Existenzsicherung zu gewährleisten, erfüllt werden

31

Insoweit fehlt es an Feststellungen des SG. Es wird diese vor allem vor dem Hintergrund des Vortrags des Klägers nachzuholen haben, dass er die Ansparrücklage bereits vor ihrer einkommensteuerrechtlichen Veranlagung als Gewinn iS des § 7g EStG verbraucht habe, sie ihm also nicht zur Lebensunterhaltssicherung zur Verfügung gestanden habe; er mithin trotz der steuerlichen Veranlagung hilfebedürftig und demnach leistungsberechtigt war. Es würde alsdann bereits an der Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides mangeln. War die aufgelöste Ansparrücklage oder waren Teile hiervon hingegen bei der Bescheiderteilung für den hier streitigen Zeitraum noch oder bereits vorhanden, so könnte ein Fall des § 45 SGB X gegeben sein. Ist sie erst nach Bescheiderteilung aufgelöst worden, liegt ein Fall von § 48 SGB X vor.

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4. Das SG wird im wieder eröffneten erstinstanzlichen Gerichtsverfahren auch Feststellungen zum Vermögen des Klägers zu treffen haben. Solche fehlen hier, obwohl hierzu nach dem eigenen Vorbringen des Klägers Anlass bestanden hätte. Der Kläger hat selbst vorgebracht, der "hohe Gewinn des Jahres 2003" aus seinem Gewerbebetrieb sei "in die Folgejahre verschoben" worden und er habe auf dieses Geld auch tatsächlich Zugriff gehabt und es verbraucht. Daher hätte Anlass zur Prüfung bestanden, wie hoch die Gewinne der letzten Jahre waren und wofür sie verwendet wurden bzw wie viel davon in die Bildung von Ansparrücklagen geflossen ist, um letztlich beurteilen zu können, wie hoch das Vermögen des Klägers bei Bescheiderteilung am 16.8.2005 war. Diesbezüglich ist der Grundsatz zu beachten, dass auch nicht bereite Mittel, wenn es sich um verwertbares Vermögen handelt, zur Existenzsicherung einzusetzen sind (vgl Senatsurteil vom 30.8.2010 - B 4 AS 70/09 R).

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5. Ferner kann es für eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits darauf ankommen, ob der Kläger zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung oder während des Bewilligungszeitraums über anderweitiges Einkommen aus seiner Erwerbstätigkeit verfügt hat. Die Angaben des Klägers in den BWA geben durchaus Anlass, insoweit, unabhängig von der einkommensteuerrechtlichen Veranlagung, in eine nähere Prüfung einzutreten. Das SG wird dabei insbesondere den Sachvortrag des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren zu berücksichtigen haben, wonach er aufgrund der betrieblichen Überschüsse im letzten Quartal 2005 seinen gesamten monatlichen Bedarf in Höhe von 601,89 Euro habe decken können.

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6. Sollte vorliegend § 45 SGB X Anwendung finden, wäre der Umstand, dass der Beklagte seinen Bescheid auf § 48 SGB X gestützt hat, alleine nicht klagebegründend(Senatsurteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R; vgl auch BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 7a AL 38/05 R - SozR 4-4300 § 141 Nr 2). Denn das so genannte "Nachschieben von Gründen" (richtigerweise: Stützen der Entscheidung auf eine andere Rechtsgrundlage) ist zulässig, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird (BSGE 29, 129, 132 = SozR Nr 123 zu § 54 SGG; BSGE 87, 8, 12 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; BSG Urteil vom 18.9.1997 - 11 RAr 9/97 - juris RdNr 22; BSG Urteil vom 25.4.2002 - B 11 AL 69/01 R - juris RdNr 16 f). Weil die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsakts, gerichtet sind, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig(BSG Urteil vom 25.4.2002, aaO).

35

Wäre der rechtliche Maßstab für die Aufhebungsentscheidung vorliegend § 45 SGB X, so kann dies bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung jedoch nur dann unbeachtet bleiben, wenn es einer Ermessensentscheidung nicht bedurfte, denn eine Ermessensentscheidung wurde hier von dem Beklagten nicht getroffen. § 40 Abs 1 Nr 1 SGB II verweist auf § 330 Abs 2 SGB III; dieser ordnet an, dass bei Vorliegen der in § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes diese - im Wege einer gebundenen Entscheidung, also ohne Ermessen - auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Das SG hat bisher noch keine Tatsachen festgestellt, nach denen beurteilt werden kann, ob der Tatbestand des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X erfüllt ist. Das SG wird - sollte es zur Anwendung des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X gelangen - auch zu prüfen haben, ob der Beklagte eine Anhörung zu den tatsächlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift vorgenommen hat und die Frage zu klären haben, ob eine ggf fehlende Anhörung hierzu auch nach einer Zurückverweisung durch das BSG im weiteren Verfahren wirksam iS des § 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X durchgeführt werden kann.

36

Das SG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Kann im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen. Bei Sachleistungen wird das Darlehen in Höhe des für die Agentur für Arbeit entstandenen Anschaffungswertes gewährt. Weiter gehende Leistungen sind ausgeschlossen.

(2) Solange sich Leistungsberechtigte, insbesondere bei Drogen- oder Alkoholabhängigkeit sowie im Falle unwirtschaftlichen Verhaltens, als ungeeignet erweisen, mit den Leistungen für den Regelbedarf nach § 20 ihren Bedarf zu decken, kann das Bürgergeld bis zur Höhe des Regelbedarfs für den Lebensunterhalt in voller Höhe oder anteilig in Form von Sachleistungen erbracht werden.

(3) Nicht vom Regelbedarf nach § 20 umfasst sind Bedarfe für

1.
Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten,
2.
Erstausstattungen für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt sowie
3.
Anschaffung und Reparaturen von orthopädischen Schuhen, Reparaturen von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen sowie die Miete von therapeutischen Geräten.
Leistungen für diese Bedarfe werden gesondert erbracht. Leistungen nach Satz 2 werden auch erbracht, wenn Leistungsberechtigte keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung benötigen, den Bedarf nach Satz 1 jedoch aus eigenen Kräften und Mitteln nicht voll decken können. In diesem Fall kann das Einkommen berücksichtigt werden, das Leistungsberechtigte innerhalb eines Zeitraumes von bis zu sechs Monaten nach Ablauf des Monats erwerben, in dem über die Leistung entschieden wird. Die Leistungen für Bedarfe nach Satz 1 Nummer 1 und 2 können als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden. Bei der Bemessung der Pauschalbeträge sind geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen.

(4) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts können als Darlehen erbracht werden, soweit in dem Monat, für den die Leistungen erbracht werden, voraussichtlich Einnahmen anfallen. Satz 1 gilt auch, soweit Leistungsberechtigte einmalige Einnahmen nach § 11 Absatz 3 Satz 4 vorzeitig verbraucht haben.

(5) Soweit Leistungsberechtigten der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für sie eine besondere Härte bedeuten würde, sind Leistungen als Darlehen zu erbringen. Die Leistungen können davon abhängig gemacht werden, dass der Anspruch auf Rückzahlung dinglich oder in anderer Weise gesichert wird.

(6) In Fällen des § 22 Absatz 5 werden Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung nur erbracht, wenn der kommunale Träger die Übernahme der Leistungen für Unterkunft und Heizung zugesichert hat oder vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden konnte.

Tenor

Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Januar 2012 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von Oktober 2009 bis Februar 2010 unter Berücksichtigung einer im vorangegangenen Bewilligungszeitraum zugeflossenen einmaligen Einnahme als Einkommen.

2

Die miteinander verheirateten, 1965 und 1970 geborenen Kläger zu 1 und 2 sowie deren im März 1994, im Juli 2000 und im August 2008 geborenen Kinder, die Kläger zu 3 bis 5, leben gemeinsam in einem Eigenheim. Sie bezogen vom Beklagten seit März 2009 Leistungen nach dem SGB II. Am 21.4.2009 ging auf dem Konto des Klägers zu 1 eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 8875,20 Euro ein. Die Kläger nutzten den Betrag nach ihren Angaben noch im Monat April zur Rückzahlung eines Darlehens, das sie bei dem Schwager des Klägers zu 1 vor Leistungsbeginn zum Zwecke der Finanzierung ihres Eigenheims aufgenommen hatten.

3

Mit den Angaben im Antrag der Kläger vom 21.8.2009 für den Bewilligungszeitraum ab dem 1.9.2009 wurde dem Beklagten der Zufluss der Einkommensteuererstattung bekannt. Er bewilligte daraufhin für den Zeitraum vom 1.9.2009 bis 28.2.2010 Leistungen unter Berücksichtigung der Steuererstattung mit einem Betrag von monatlich 739,60 Euro als Einkommen des Klägers zu 1. Die Berücksichtigung des Einkommens erfolge ab Mai 2009; die Höhe des monatlich zu berücksichtigenden Betrages ergebe sich aus einer Verteilung des Gesamtbetrages auf 12 Monate (Bescheid vom 24.8.2009; Widerspruchsbescheid vom 5.11.2009). Mit Änderungsbescheid vom 20.1.2010 berücksichtigte der Beklagte für diesen Zeitraum weitergehend an die Kläger gezahltes Kindergeld.

4

Die Klagen zum Sozialgericht (SG) Duisburg gerichtet gegen den Bescheid vom 24.8.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20.1.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.11.2009 und die Berufungen zum Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen blieben ohne Erfolg (Urteil des SG vom 9.9.2010; Urteil des LSG vom 11.1.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dem monatlichen Gesamtbedarf der Kläger in Höhe von 1569,24 Euro habe von September 2009 bis Januar 2010 Einkommen aus Kindergeld in Höhe von insgesamt 498 Euro monatlich sowie monatlich ein Teilbetrag der im April 2009 zugeflossenen Einkommensteuerrückerstattung in Höhe von 739,60 Euro gegenübergestanden. Im Februar 2010 habe sich das Kindereinkommen auf 618 Euro und entsprechend das zu berücksichtigende Gesamteinkommen erhöht. Die Steuererstattung, die den Klägern im April 2009 zugeflossen sei, sei auch im folgenden Bewilligungsabschnitt als Einkommen iS von § 11 Abs 1 SGB II und nicht als Vermögen iS von § 12 SGB II zu berücksichtigen(Hinweis auf Bundessozialgericht Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 64/08 R - RdNr 14 ff). Die einmalige Einnahme sei auf einen Verteilzeitraum von 12 Monaten zu verteilen gewesen. Im Zeitpunkt der Auszahlung der Rückerstattung seien offene Schulden nicht vom Einkommen abzusetzen gewesen. Daraus, dass die Kläger den Erstattungsbetrag nach ihren Angaben unmittelbar nach dessen Erhalt zur Rückzahlung eines Darlehens verwendet hätten, folge nichts anderes. Der Leistungsberechtigte, der seine Selbsthilfeobliegenheit und die hieraus resultierende Verpflichtung, jegliches Einkommen zuvörderst zur Sicherung des Lebensunterhalts der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen, missachte und Einkommen entgegen dem Gebot, dieses zunächst für den Lebensunterhalt einzusetzen, für andere Belange verwende, könne nicht besser gestellt werden, als der Leistungsberechtigte, der vertraglichen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Dritten unterliege und diesen unter Beachtung seiner aus dem SGB II erwachsenden Obliegenheiten nicht nachkomme. Der bedarfsmindernden Berücksichtigung einer Einmalzahlung stehe nicht entgegen, dass der Leistungsberechtigte den Betrag zur Schuldentilgung verwendet habe (Hinweis auf BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 19).

5

Hiergegen richten sich die Revisionen der Kläger. Sie rügen die Verletzung von § 9 Abs 1 iVm § 11 Abs 1 SGB II. Die Einkommensteuererstattung sei zwar im Zeitpunkt des Zuflusses zu berücksichtigendes Einkommen. Stelle sich bei erneuter Antragstellung aber heraus, dass das Einkommen verbraucht sei, habe eine nur fiktive Anrechnung zu unterbleiben. Diese gesetzgeberische Konzeption folge auch daraus, dass ein existenzsichernder Anspruch auf Leistungen im Grundsatz auch dann bestehe, wenn die Notlage etwa bei Verweigerung zumutbarer Arbeit, bei unwirtschaftlichem Verhalten oder mutwilliger Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit selbst herbeigeführt worden sei. Eine fiktive Einkommensberücksichtigung verletze das Sozialstaatsprinzip.

6

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Januar 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 9. September 2010 aufzuheben, die Bescheide des Beklagten vom 24. August 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2009 abzuändern und den Klägern für den Zeitraum Oktober 2009 bis Februar 2010 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revisionen der Kläger sind im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurück-verweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht beurteilt werden, ob sie im noch streitigen Zeitraum vom 1.10.2009 bis zum 28.2.2010 Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Zutreffend rügen die Kläger, dass weitergehende Hilfebedürftigkeit iS des § 9 Abs 1 SGB II nicht schon deshalb verneint werden darf, weil ihnen im vorangegangenen Zeitraum eine einmalige Einnahme zugeflossen ist.

9

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind die Bescheide vom 24.8.2009 und vom 20.1.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.11.2009, gegen die sich die Kläger mit ihren kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) wenden. Nachdem sich die Beteiligten wegen der Höhe der Leistungen für September 2009, für den zusätzlich die Berücksichtigung einer Eigenheimzulage als Einkommen streitig war, in einem Vergleich geeinigt haben, sind nach entsprechender Beschränkung des Leistungsantrages durch die Kläger Streitgegenstand noch höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Zeitraum von Oktober 2009 bis Februar 2010. Die Kläger machen mit ihrem Vorbringen, es sei die im April 2009 zugeflossene Steuererstattung nicht als Einkommen zu berücksichtigen, sowohl höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung an die minderjährige Klägerin zu 5 als auch (höhere) Regelleistungen an sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft geltend. Eine Beschränkung des Streitgegenstandes auf Regelleistungen einerseits und Kosten der Unterkunft und Heizung andererseits haben sie damit nicht vorgenommen, wovon auch die Vorinstanzen ausgegangen sind.

10

2. Die Kläger zu 1, 2 und 3 als erwerbsfähige Hilfebedürftige (vgl § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II) und die Kläger zu 4 und 5, die als gemeinsame, nicht erwerbsfähige Kinder der Kläger zu 1 und 2 mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben (vgl § 7 Abs 2, 3 SGB II),haben dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (vgl §§ 19, 28 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung). Wegen der Höhe ihrer Ansprüche ist zunächst der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft aus dem Bedarf jeder einzelnen Person zu ermitteln und sodann das zu berücksichtigende Einkommen (vgl § 9 Abs 1 iVm § 11 SGB II) im Verhältnis der Einzelbedarfe zum Gesamtbedarf zu verteilen (§ 9 Abs 2 Satz 3 SGB II). Entgegen der Auffassung des LSG beträgt der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft vorliegend allerdings nicht 1569,24 Euro zusammengesetzt aus einem Bedarf der Eltern in Höhe von jeweils 323 Euro, der Klägerin zu 3 in Höhe von 287 Euro, des Klägers zu 4 in Höhe von 251 Euro und der Klägerin zu 5 in Höhe von 215 Euro sowie den tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 170,24 Euro. Das zugeflossene Kindergeld ist nämlich nach § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II vorliegend ausschließlich zur Bedarfsdeckung der Kinder heranzuziehen und also vorab von ihren Bedarfen abzusetzen(vgl BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 4 RdNr 24). Dies wird das LSG bei der erneuten Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach Zurückverweisung des Rechtsstreits zu beachten haben.

11

Bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs 1 SGB II hat das LSG die Höhe des (über das Kindergeld hinaus) nach § 11 SGB II zu berücksichtigenden Gesamteinkommens mit monatlich 739,60 Euro (1/12 der im April 2009 zugeflossenen Einkommensteuererstattung) angenommen. Es hat offen gelassen, ob der Vortrag der Kläger zutreffend ist, die Einkommensteuererstattung sei bereits vor Beginn des Bewilligungsabschnitts verbraucht gewesen, sondern die Auffassung vertreten, ein Zwölftel der zugeflossenen Gesamtsumme sei aus rechtlichen Gründen monatlich als Einkommen zu berücksichtigen. Diese Auffassung hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

12

3. Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. Dabei ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte(vgl nur BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 18). Zutreffend hat das LSG ausgeführt, dass sich die einmalige Einnahme damit im Zeitpunkt des Zuflusses als Einkommen darstellte. Diesen Charakter als Einkommen verliert eine einmalige Einnahme auch nach erneuter Antragstellung im nachfolgenden Bewilligungszeitraum nicht. Die rechtliche Wirkung des "Zuflussprinzips" endet nicht mit dem Monat des Zuflusses, sondern erstreckt sich über den gesamten Zeitraum, auf den das Einkommen (vorliegend nach § 2 Abs 4 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung idF vom 17.12.2007; vgl jetzt § 11 Abs 3 Satz 3 SGB II idF des Art 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453 - neue Fassung ) aufgeteilt wird, den sog "Verteilzeitraum" (vgl nur BSG Urteile vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 21 und - B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 28 sowie Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 64/08 R -, juris RdNr 25). Auch insoweit entsprechen die Ausführungen des LSG dieser Rechtsprechung uneingeschränkt.

13

Eine Festlegung, ob die Verteilung der einmaligen Einnahme nach § 2 Abs 4 Alg II-V vorliegend über 12 Monate zu erfolgen hatte oder ein kürzerer Zeitraum angezeigt war(vgl § 11 Abs 3 SGB II nF, der eine Verteilung über 6 Monate vorsieht; zur alten Rechtslage etwa BSG Urteil vom 27.9.2011 - B 4 AS 180/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 40 RdNr 32; Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 101/11 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 47 RdNr 30), braucht im derzeitigen Stand des Verfahrens nicht zu erfolgen. Die Feststellungen des LSG im Übrigen lassen schon nicht den Schluss zu, der Bedarf der Kläger sei im Zeitraum von Oktober 2009 bis Februar 2010 jeweils monatlich in der von dem Beklagten angenommenen Höhe gedeckt. Wenn die einmalige Einnahme, was die Kläger vortragen, tatsächlich im Bedarfszeitraum nicht mehr (oder nur noch teilweise) zur Verfügung stand, kommt - entgegen der Auffassung des LSG - schon von daher ein höherer Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Betracht. Es kommt nämlich bei Berücksichtigung einer Einnahme als Einkommen in einem abschließenden Prüfungsschritt darauf an, ob zugeflossenes Einkommen als "bereites Mittel" geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (vgl BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 14 AS 32/08 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 20; Urteil vom 10.5.2011 - B 4 KG 1/10 R - BSGE 108, 144 = SozR 4-5870 § 6a Nr 2, RdNr 21; Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 39 RdNr 29). Dies gilt auch bei Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme über einen Verteilzeitraum hinweg ohne Einschränkungen.

14

Zwar muss der Hilfebedürftige sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich verwenden, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (BSG Urteil vom 19.9.2008 - B 14/7b AS 10/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 18 RdNr 25). Dementsprechend ist er bei Zufluss einer einmaligen Einnahme gehalten, das Geld nicht zur Schuldendeckung zu verwenden, sondern über den Verteilzeitraum hinweg zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen. Wenn die einmalige Einnahme, deren Berücksichtigung als Einkommen in Rede steht, tatsächlich aber nicht (mehr) uneingeschränkt zur Verfügung steht, ist ein Leistungsanspruch nicht ausgeschlossen. Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen aufgrund einer unwiderleglichen Annahme, dass die Hilfebedürftigkeit bei bestimmtem wirtschaftlichen Verhalten - hier dem Verbrauch der einmaligen Einnahme in bestimmten monatlichen Teilbeträgen - (teilweise) abzuwenden gewesen wäre, ist mit Art 1 Grundgesetz (GG) iVm Art 20 GG nicht vereinbar (vgl nur Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 = Breith 2005, 803 = juris RdNr 28). Diesem Gedanken folgt das gesetzgeberische Grundprinzip, dass Einkommen nicht "fiktiv" berücksichtigt werden darf, sondern tatsächlich geeignet sein muss, Hilfebedürftigkeit zu beseitigen. Hierauf hat der 4. Senat am Beispiel der Berücksichtigung schwankender Einnahmen bereits hingewiesen (vgl Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 39 RdNr 29). Damit ist auch bei der Berücksichtigung einmaliger Einnahmen über einen Verteilzeitraum hinweg auf entsprechenden Vortrag des Leistungsberechtigten hin zu überprüfen, ob die auf diesen Zeitraum bezogene Durchschnittsbetrachtung die tatsächliche Einnahmesituation im Bedarfszeitraum zutreffend wiederspiegelt. Diese Prüfung wird das LSG nach Zurückverweisung des Rechtsstreits nachzuholen haben.

15

Die vom LSG in Bezug genommene Aussage des 4. Senats (BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15) in einem (nach dem dort mitgeteilten Sachverhalt) vergleichbaren Fall, dass "einer bedarfsmindernden Berücksichtigung der Einkommensteuererstattung nicht (entgegenstehe), dass die Kläger die Steuererstattung zur Schuldentilgung verwendet haben" (aaO, RdNr 19), steht nicht im Widerspruch zur vorliegenden Entscheidung. Vorliegend ist nicht darüber zu entscheiden, welche Auswirkungen der Zufluss der einmaligen Einnahme im April 2009 bei Prüfung der Rechtmäßigkeit der Bewilligung für den laufenden Bewilligungszeitraum nach dem Maßstab des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) hatte. Allein hierauf bezieht sich aber die vom LSG in Bezug genommene Aussage des 4. Senats. Weil bei Anwendung des § 48 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit in solchen Fällen nicht eine aktuelle Bedarfslage ungedeckt bleibt, sondern nach Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung (nur) künftig eine Verbindlichkeit gegenüber dem Träger der Grundsicherung entsteht, widerspricht dieses Ergebnis nicht dem Prinzip der Berücksichtigung von Einkommen als "bereiten Mitteln".

16

Wegen der erstmaligen Bewilligung von Leistungen für Bewilligungszeiträume, die dem Zufluss einer einmaligen Leistung folgen und über die hier allein zu entscheiden ist, mangelte es im vom 4. Senat entschiedenen Fall an hinreichenden Feststellungen zur Einkommens- und Bedarfslage im Folgezeitraum (aaO, RdNr 27), sodass der Rechtsstreit zu entsprechenden Ermittlungen zurückverwiesen worden ist. Gerade die Ausführungen zum notwendigen Prüfungsumfang wegen des folgenden Bewilligungsabschnitts (aaO, RdNr 28 ff) zeigen, dass die tatsächliche Mittellosigkeit im folgenden Bewilligungsabschnitt für den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (auch) nach der dort vertretenen Auffassung nicht unerheblich war. Weitergehende Ermittlungen hätten sich sonst erübrigt. Dass die vorliegende Entscheidung des Senats mit der Auffassung des 4. Senats übereinstimmt, ergibt sich im Übrigen aus der oben zitierten Rechtsprechung aus den Folgejahren.

17

4. Verwenden Leistungsberechtigte einmalige Einnahmen nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts im Verteilzeitraum und führen sie so Hilfebedürftigkeit (ggf teilweise) herbei, kann solches Verhalten einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II auslösen. Insbesondere wenn dem Leistungsberechtigten aus vorangegangenen Bezugszeiträumen oder nach entsprechender Aufklärung durch den Träger der Grundsicherung, die insbesondere bei sog Aufstockern mit laufendem und einmaligen Erwerbseinkommen angezeigt erscheint, bekannt ist oder bekannt sein müsste, in welcher Weise der Einsatz einer einmaligen Einnahme von ihm erwartet wird, kann bei entgegenstehendem Verhalten ein solcher Anspruch entstehen (zu den Voraussetzungen des § 34 SGB II im Einzelnen BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zitiert nach der Pressemitteilung).

18

Der Anspruch nach § 34 SGB II(nunmehr in Verbindung mit den erleichterten Möglichkeiten seiner Realisierung, vgl § 43 Abs 1 SGB II nF) sichert das Bedürfnis der Allgemeinheit ausreichend, Steuermittel nicht dort aufzuwenden, wo die Abwendung von Hilfebedürftigkeit dem Hilfebedürftigen auch aus eigener Kraft möglich gewesen wäre und die Notlage also schuldhaft herbeigeführt wird. Zutreffend verweisen die Kläger darauf, dass auch insoweit das Gesetz mit Sanktionsmöglichkeiten einerseits und dem Ersatzanspruch nach § 34 SGB II andererseits (seit dem 1.4.2011 im Gesetz ausdrücklich als "Ersatzanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens" bezeichnet) abschließend aufzeigt, inwieweit Leistungen trotz Bedürftigkeit nicht oder nur eingeschränkt oder mit einem Gegenanspruch des Trägers belastet gewährt werden sollen.

19

Demgegenüber scheidet die Gewährung eines Darlehens nach § 23 Abs 1 SGB II(§ 24 Abs 1 SGB II nF) entgegen der Auffassung des LSG von vornherein aus, weil die Norm ausdrücklich die Deckung einmaliger, nicht aber laufender Bedarfe in Bezug nimmt. Auch eine Darlehensgewährung gestützt auf § 23 Abs 4 SGB II(§ 24 Abs 4 SGB II nF), der die darlehensweise Gewährung von laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei zu erwartendem Zufluss von Einkommen in Bezug nimmt, kommt nicht in Betracht, weil auch § 23 Abs 4 SGB II(bzw § 24 Abs 4 SGB II nF) im Zeitpunkt der Darlehensbewilligung Hilfebedürftigkeit voraussetzt. Hilfebedürftigkeit würde aber bei einer "fiktiven" Berücksichtigung der einmaligen Einnahme, wie sie das LSG vornehmen will, in Konsequenz seiner Entscheidung gerade nicht bestehen. Für den Fall einer durch "fehlerhaftes Ausgabeverhalten" (ggf schuldhaft) herbeigeführten Hilfebedürftigkeit seitens des Leistungsberechtigten sieht das SGB II keine nur darlehensweise Gewährung existenzsichernder Leistungen für die Regelbedarfe und Mehrbedarfe vor; die weitergehenden Voraussetzungen der § 23 Abs 1, 4 oder 5 SGB II müssen im Einzelfall erfüllt sein, damit ein Anspruch auf Zuschuss (ggf nach Ermessensentscheidung des Trägers) entfällt. Für Unterkunftsbedarfe sind solche Fälle in § 22 Abs 5 SGB II(§ 22 Abs 8 SGB II nF) abschließend geregelt. Ob die Auffassung des LSG zutrifft, bei zweckwidrigem Verbrauch gewährter existenzsichernder Leistung und Mittellosigkeit komme eine erneute Gewährung von Leistungen für Regelbedarfe als Zuschuss nicht in Betracht, ist für die vorliegende Fallgestaltung ohne Belang (für den Fall der zweckwidrigen Verwendung von gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung vgl BSG Urteil vom 17.6.2010 - B 14 AS 58/09 R - BSGE 106, 90 = SozR 4-4200 § 22 Nr 41, RdNr 18).

20

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. März 2012 aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2011 zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Kostenersatzanspruch des Beklagten für SGB II-Leistungen.

2

Der 1973 geborene Kläger wurde wegen einer im Juli 2003 begangenen Straftat (räuberischer Diebstahl in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung) durch das AG Frankfurt am Main zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde (Urteil vom 18.10.2004). Aufgrund eines Haftbefehls desselben Gerichts vom 28.12.2004, das einen dringenden Verdacht der erneuten Belästigung der Geschädigten durch den Kläger sah, wurde er vom 17.1.2005 bis zum 18.3.2005 wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft genommen. Sein Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis zum 24.1.2005. Arbeitslosengeld erhielt der Kläger ab 22.3.2005.

3

Auf Antrag der Ehefrau des Klägers vom 15.2.2005 bewilligte der Beklagte für diese und die gemeinsame Tochter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 15.2. bis 31.3.2005. Von dem Kläger verlangte er "Kostenersatz wegen schuldhaften Verhaltens" für den Zeitraum vom 15.2. bis 21.3.2005 in Höhe von 1477,41 Euro (Bescheide vom 14.4.2005 und 23.3.2006). Im Widerspruchsverfahren setzte der Beklagte den Kostenersatz auf 1513,34 Euro fest und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 15.5.2007). Dabei ging er davon aus, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz aufgrund der Inhaftierung verloren und damit grob fahrlässig die Hilfebedürftigkeit seiner Ehefrau und des Kindes herbeigeführt habe.

4

Das SG hat die angefochtenen Bescheide vom 14.4.2005 und 23.3.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2007 aufgehoben, soweit der Zeitraum vom 15.2. bis 17.3.2005 betroffen war und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 24.5.2011), weil der Kläger während der Zeit der Untersuchungshaft nicht in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau und dem Kind gelebt habe. Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das Urteil des SG abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 16.3.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, als Fallgruppe eines sozialwidrigen Verhaltens komme die Verletzung der Unterhaltspflicht durch Herbeiführung von Untersuchungs- oder Strafhaft in Betracht. Durch seine strafbare Handlung habe der Kläger sozialwidrig gehandelt, ohne dass ihm ein wichtiger Grund zur Seite gestanden habe. Es liege ein zumindest grob fahrlässiges Verhalten vor, weil für den Kläger vorhersehbar gewesen sei, dass sein Verhalten Hilfebedürftigkeit herbeiführen werde. Sowohl im Zeitpunkt des sozialwidrigen Verhaltens (Straftat im Jahre 2003) als auch im Zeitpunkt des Herbeiführens der Hilfebedürftigkeit (Untersuchungshaft Januar 2005) habe die Bedarfsgemeinschaft bestanden und während der Haft auch fortbestanden.

5

Mit seiner Revision rügt er die Verletzung von § 34 Abs 1 SGB II, der enger gefasst sei als die Vorgängerregelung des § 92a BSHG. Konstitutiv für das Bestehen eines Kostenersatzanspruchs sei das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft, die ohne Bezug zu beantragten oder gewährten Leistungen nicht existiere. Zwar habe er bei seiner Inhaftierung mit Frau und Kind in einem Haushalt gelebt, mangels Leistungsberechtigung aber keine Bedarfsgemeinschaft gebildet. Auch zum Zeitpunkt des Antrags auf SGB II-Leistungen und der tatsächlichen Leistungserbringung habe er nicht mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt. Auch verletze das Urteil den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, weil sein Verhalten wegen einer von der Bundesagentur für Arbeit verhängten Sperrzeit ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zweifach sanktioniert werde.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. März 2012 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2011 zurückzuweisen.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Auf die Revision des Klägers war das Urteil des LSG vom 16.3.2012 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG vom 24.5.2011 zurückzuweisen. Das SG hat die angefochtenen Bescheide vom 14.4.2005 und 23.3.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2007 im Ergebnis zu Recht aufgehoben, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Kostenersatzanspruch nach § 34 SGB II nicht vorliegen.

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 14.4.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 23.3.2006 und des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2007, mit dem der Beklagte von dem Kläger zunächst für die Zeit vom 15.2.2005 bis 19.4.2005 Ersatz für die an seine Ehefrau und Tochter gewährten Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 2595,45 Euro, anschließend für die Zeit vom 15.2.2005 bis 21.3.2005 in Höhe von 1477,41 Euro und mit Widerspruchsbescheid vom 15.5.2007 zuletzt für die Zeit vom 15.2.2005 bis 21.3.2005 in Höhe von 1513,34 Euro verlangt hat.

11

Hiergegen wendet sich der Kläger zu Recht mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG). Da nur der Beklagte Berufung gegen das beide Beteiligte beschwerende Urteil des SG eingelegt hat, war ein Kostenersatzanspruch des Beklagten für den Zeitraum vom 18.3.2005 bis 21.3.2005 nicht (mehr) Gegenstand des Berufungsverfahrens. Nach Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und vollständiger Klageabweisung durch das LSG erstreckt sich die Überprüfung im Revisionsverfahren daher nur auf die Rechtmäßigkeit des für die Zeit vom 15.2.2005 bis 17.3.2005 von dem Beklagten geltend gemachten Ersatzanspruches.

12

2. Unabhängig von einer etwaigen teilweisen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide schon wegen einer Erhöhung des Kostenersatzanspruchs im Widerspruchsverfahren von 1477,41 Euro auf 1513,34 Euro ist die Revision des Klägers schon deshalb begründet, weil die Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch nach § 34 Abs 1 SGB II nicht vorliegen.

13

Nach § 34 Abs 1 SGB II in der vom 1.1.2005 bis 31.3.2011 geltenden Fassung des Art 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) ist, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit oder die Hilfebedürftigkeit von Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben (Nr 1), oder die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sich oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben (Nr 2) ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet (Satz 1). Von der Geltendmachung des Ersatzanspruches ist abzusehen, soweit sie den Ersatzpflichtigen künftig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch oder von Leistungen nach dem Zwölften Buch abhängig machen würde (Satz 2). Zwar scheitert ein Ersatzanspruch des Beklagten nicht schon daran, dass der Kläger mit seiner leistungsberechtigten Ehefrau sowie der gemeinsamen Tochter nicht in einer Bedarfsgemeinschaft iS des § 34 Abs 1 SGB II lebte. Es liegt jedoch kein sozialwidriges Verhalten des Klägers vor.

14

3. Der Kläger erfüllt die persönlichen Voraussetzungen der Ersatzpflicht. Der Kläger hat auch iS von § 34 Abs 1 SGB II mit seiner Ehefrau und Tochter in einer Bedarfsgemeinschaft iS des SGB II gelebt. Hiervon ist das LSG zu Recht ausgegangen. Der Ersatzanspruch nach § 34 SGB II setzt nicht voraus, dass schon vor Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit SGB II-Leistungen bezogen wurden und eine „Bedarfsgemeinschaft im Leistungsbezug“ vorlag. Es genügt, dass bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit dem Grunde nach eine Bedarfsgemeinschaft bestanden hätte. Der Begriff der Bedarfsgemeinschaft iS von § 34 Abs 1 S 1 SGB II wird insofern durch den in § 7 Abs 3 SGB II umschriebenen Personenkreis definiert. Ein anderes Verständnis der Bezugnahme auf den Begriff der Bedarfsgemeinschaft widerspräche dem Sinn und Zweck des § 34 SGB II, der gerade an die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit - und somit die Schaffung einer Leistungsvoraussetzung des SGB II - für die Annahme einer Ersatzpflicht anknüpft. Vor der Inhaftierung am 17.1.2005 bildete der Kläger dem Grunde nach eine Bedarfsgemeinschaft mit seiner Familie nach § 7 Abs 3 Nr 3a, Nr 4 SGB II.

15

Es kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen des § 34 Abs 1 SGB II auch (noch) vorliegen, wenn - etwa während eines längeren Leistungsbezugs - eine Lösung der Bedarfsgemeinschaft stattgefunden hat. Der Kläger hat hier auch während der Untersuchungshaft mit seiner Ehefrau und Tochter eine Bedarfsgemeinschaft iS des SGB II gebildet. Zwar war er selbst in der Zeit seiner Inhaftierung nach § 7 Abs 4 SGB II(idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, gültig vom 1.1.2005 bis 31.7.2006) grundsätzlich von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen (vgl zur bis 31.7.2006 geltenden Rechtslage BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 5). Mangels eines erkennbaren Trennungswillens als nur vorübergehend räumlich getrennt lebender Ehegatte war er aber weiterhin als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 3a, Nr 4 SGB II anzusehen(vgl § 1567 Abs 1 BGB, BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16, jeweils RdNr 13 f; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 7 RdNr 41).

16

4.a) Eine Heranziehung zum Kostenersatz scheitert jedoch daran, dass ein sozialwidriges Verhalten iS des § 34 Abs 1 SGB II hier nicht vorliegt. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift sowie ihrem jetzigen systematischen Kontext mit weiteren Regelungen des SGB II ergibt sich, dass nicht jedes - hier in hohem Maße gegebene - verwerfliche Verhalten, das eine Hilfebedürftigkeit oder Leistungserbringung nach dem SGB II verursacht, zur Erstattungspflicht führt. Erfasst wird nur ein Verhalten mit spezifischem Bezug, dh "innerem Zusammenhang", zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bzw Leistungserbringung. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des als Ausnahmefall vorgesehenen Kostenersatzanspruchs gegenüber einem Leistungsberechtigten sowie dem jetzigen systematischen Kontext des § 34 SGB II mit weiteren SGB II-Regelungen. Das Verhalten des Klägers erfüllte die insofern zu stellenden Anforderungen nicht.

17

b) Aus der Entstehungsgeschichte des § 34 SGB II ergibt sich, dass es sich um einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand handelt. Während die jetzige Parallelregelung zum Kostenersatz bei schuldhaftem Verhalten in § 103 SGB XII die bis zum 31.12.2004 geltende Vorschrift des § 92a BSHG im Wesentlichen inhaltsgleich übernommen hat(BT-Drucks 15/1514 S 68 zu § 98), soll sich § 34 SGB II nach dem Willen des Gesetzgebers (lediglich) an die sozialhilferechtliche Regelung "anlehnen"(BT-Drucks 15/1516 S 62 zu § 34). Dies findet seinen Ausdruck in der zT unterschiedlichen Ausgestaltung beider Vorschriften, etwa darin, dass § 34 Abs 1 SGB II in seiner hier maßgebenden Fassung bis zum 31.3.2011 keine § 103 Abs 1 S 2 SGB XII entsprechende Regelung zum Wegfall einer Heranziehung zum Kostenersatz, sondern - mit dem Absehen von seiner Geltendmachung bei zu erwartenden Leistungsberechtigung nach dem SGB II oder dem SGB XII - lediglich eine "spezielle Härteregelung"(§ 34 Abs 1 S 2 SGB II aF)enthielt (Simon in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 103 RdNr 14). Auch setzt § 103 Abs 1 S 1 SGB XII im Unterschied zu § 34 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II nicht das Fehlen eines wichtigen Grundes voraus. Trotz dieser Unterschiede ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der gemeinsamen Vorgängervorschrift zu § 103 SGB XII und § 34 SGB II in § 92a BSHG, dass auch für den Ersatzanspruch nach § 34 SGB II ein sozialwidriges Verhalten des Erstattungspflichtigen notwendig vorauszusetzen ist.

18

Bereits bei Festsetzung eines Kostenersatzes bei schuldhaftem Verhalten nach § 92a BSHG(in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung), wonach zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet war, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe an sich selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hatte, war zu berücksichtigen, dass mit der Einführung des BSHG die frühere Verpflichtung zum Kostenersatz im Grundsatz beseitigt werden sollte. Eine Regelung wie diejenige zur Rückerstattungspflicht in den § 25 Abs 1, § 25a der Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht (RFV), die vorsah, dass der Unterstützte "dem Fürsorgeverband" die Kosten zu ersetzen hatte, war bewusst nicht in das BSHG übernommen worden(vgl hierzu bereits Wehlitz in NDV 1964, 152 ff, 153 mit Bezug auf die Diskussion bei Einführung des BSHG, bei der überwiegend die Auffassung vertreten worden sei, dass "die Aufrechterhaltung der Rückerstattungspflicht des Hilfeempfängers … mit dem Charakter einer modernen Sozialhilfe nicht zu vereinbaren sei und die gesetzliche Neukodifikation nicht mit einer erneuten Verankerung der Kostenerstattungspflicht des Hilfeempfängers belastet werden dürfe, die ein Relikt aus einer nunmehr überholten Entwicklungsphase des Fürsorgerechts darstelle"). Die neu aufgenommene Kostenersatzpflicht nach § 92a BSHG beschränkte sich daher auf einen "engen deliktähnlichen Ausnahmetatbestand" mit dem Ziel, "gewisse Unbilligkeiten" auszuschließen, die sich aus der uneingeschränkten Beseitigung der Kostenersatzpflicht des Hilfebedürftigen ergeben hätten(BVerwGE 51, 61 ff, 63). § 92a BSHG diene - so das BVerwG - der Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe, weshalb für diesen Nachranggrundsatz unterlaufendes Verhalten das Merkmal "sozialwidrig" zusätzlich zu dem in § 92a Abs 1 S 1 BSHG normierten Erfordernis eines "vorsätzlichen oder grob fahrlässigen" Verhaltens zu lesen sei(BVerwG aaO, S 61: "etwa wegen Arbeitsscheu oder Verschwendungssucht des Unterhaltspflichtigen").

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Eine einschränkende Auslegung hält der Senat auch bei der Anwendung des § 34 Abs 1 SGB II für geboten, weil es sich bei § 34 SGB II in gleicher Weise wie bei § 92a BSHG bzw nunmehr § 103 Abs 1 SGB XII um eine Ausnahme von dem Grundsatz handelt, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind(BVerfG Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, 803; sa BSG SozR 4-4200 § 23 Nr 13, RdNr 12 mwN; vgl auch Klinge in Hauck/Noftz, SGB XII, § 103 RdNr 9, Stand 2/2012). Dieser Grundsatz einer "verschuldensfreien" Deckung des Existenzminimums darf nicht durch eine weitreichende und nicht nur auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzte Ersatzpflicht der Leistungsberechtigten und ihrer Angehörigen konterkariert werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Ersatzanspruch nach § 34 SGB II seiner Höhe nach nicht begrenzt war.

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c) Unter systematischen Gesichtspunkten sind auch die im SGB II festgeschriebenen Wertmaßstäbe bei der Einordnung eines Verhaltens als sozialwidrig iS des § 34 SGB II einzubeziehen(so ausdrücklich Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, § 34 RdNr 12 f, Stand 2009). In diesen Normen drückt sich - ähnlich wie im Sozialversicherungsrecht in den § 52 SGB V, §§ 103 f SGB VI und § 101 SGB VII(vgl hierzu insgesamt: Voelzke, Die Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sozialversicherungsrecht, 2004) - aus, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuwiderlaufend angesehen wird. Insofern enthält das SGB II detaillierte Regelungen zur Refinanzierung zu Unrecht erbrachter SGB II-Leistungen bzw zu Leistungskürzungen bei einem Verhalten, das dem für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts geltenden Nachranggrundsatz (§ 2 SGB II) widerspricht. So finden sich in § 31 SGB II zahlreiche Tatbestände einer Absenkung bzw eines Wegfalls des Alg II bei aus Sicht des SGB II nicht zu billigendem Verhalten. Diese stehen in engem Zusammenhang mit dem Merkmal des vom Leistungsberechtigten geforderten Einsatzes seiner Erwerbsfähigkeit (§ 31 Abs 1 und 2 SGB II) bzw einer gezielten Herbeiführung der Bedürftigkeit (§ 31 Abs 4 Nr 1 und 2 SGB II). Soweit § 31 Abs 4 Nr 3b SGB II für eine Minderung bzw einen Wegfall des SGB II-Anspruchs an die Sperrzeitregelungen des SGB III anknüpft, ist eine Sperrzeit bei einem arbeitsvertragswidrigen Verhalten, nicht jedoch einer - hier wohl allein in Betracht kommenden - personenbedingten Kündigung vorgesehen(§ 144 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB III; vgl zur Abgrenzung BSGE 91, 18 ff = SozR 4-4300 § 144 Nr 2).

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Aus diesen Regelungen ist abzuleiten, dass ein - mit einer höheren Belastung verbundener - Ersatzanspruch nach § 34 Abs 1 SGB II nicht nur ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten voraussetzt. Das konkret vorgeworfene Verhalten muss vielmehr - auch im Rahmen der weitreichenden Ersatzpflicht nach § 34 SGB II - nach den Wertungen des SGB II sozialwidrig sein. Dies ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BVerwG Urteil vom 24.6.1976 - V C 41.74 - BVerwGE 51, 61 ff, 65). Es muss ein spezifischer Bezug zwischen dem Verhalten selbst und dem Erfolg bestehen, um das Verhalten selbst als "sozialwidrig" bewerten zu können (vgl BVerwG Urteil vom 10.4.2003 - 5 C 4/02 - BVerwGE 118, 109 ff, 111).

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d) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Verhalten des Klägers als moralisch in höchstem Maße verwerflich, nicht jedoch als sozialwidrig iS des § 34 SGB II einzustufen. Anders als möglicherweise bei Vermögensdelikten besteht bei den hier im Zentrum stehenden Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit kein spezifischer Bezug zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit der Ehefrau des Klägers und seines Kindes. Bei dem mit den Straftaten in Zusammenhang stehenden Verhalten des Klägers, das zu seiner Inhaftierung im Januar 2005 führte, handelt es sich nicht um ein solches, das in seiner Handlungstendenz auf die Einschränkung bzw den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder -möglichkeit bzw die Herbeiführung von Bedürftigkeit gerichtet war oder hiermit in innerem Zusammenhang stand. Es besteht auch kein Bezug zu anderen nach den Wertungen des SGB II zu missbilligenden Verhaltensweisen.

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Dies steht auch nicht im Widerspruch zu der von beiden Beteiligten jeweils für ihren Rechtsstandpunkt herangezogenen Entscheidung des BVerwG vom 10.4.2003 (5 C 4/02, BVerwGE 118, 109 ff). Auch das BVerwG ist davon ausgegangen, dass nicht die Inhaftierung an sich, sondern nur die konkrete Feststellung und Würdigung der zur Inhaftierung führenden Umstände ggf eine sozialwidrige Verursachung der Bedürftigkeit von Angehörigen begründen können (BVerwG aaO S 112 f). Anders als in dem hier zu beurteilenden Sachverhalt hatte das BVerwG über die Einstufung eines strafbaren geschäftswidrigen Verhaltens (Untreue, Betrug, Verletzung der Buchführungspflicht, Bankrott, verspätete Konkursanmeldung) mit der Folge des Wegfalls einer selbständigen Existenzgrundlage zu entscheiden, bei dem ein spezifischer Bezug bzw ein innerer Zusammenhang zum SGB II (zB zu einer Arbeitsplatzaufgabe) möglicherweise näher liegen könnte.

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5. Da es schon an einem sozialwidrigen Verhalten iS des § 34 SGB II fehlt, brauchte der Senat nicht zu prüfen, ob der Kläger für sein Verhalten einen wichtigen Grund vorweisen kann(vgl zu dessen Berücksichtigung als eigenständiges Tatbestandsmerkmal: Cantzler in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 34 RdNr 7; Link in Eicher/Spellbrink, aaO, § 34 RdNr 15; aA Hölzer in Estelmann, SGB II, § 34 RdNr 29, Stand 12/2011; Fügemann in Hauck/Noftz, SGB II, § 34 RdNr 33 ff, Stand 1/2012), zwischen dem sozialwidrigen Verhalten und der Notwendigkeit von Leistungen nach dem SGB II ein ursächlicher Zusammenhang bestand und das als sozialwidrig einzustufende Verhalten zumindest grob fahrlässig gewesen ist.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.