Bundessozialgericht Urteil, 09. Juni 2017 - B 11 AL 14/16 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2017:090617UB11AL1416R0
bei uns veröffentlicht am09.06.2017

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Zahlung von Insolvenzgeld (InsG).

2

Die Klägerin war ab Oktober 2010 bei dem Inhaber des C.-Pflegedienstes Herrn S.-T. (nachfolgend: Arbeitgeber) als Hauswirtschafterin beschäftigt. Über dessen Vermögen wurde mit Beschluss des AG Essen am 1.11.2011 ein Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet. Die Beklagte bewilligte der Klägerin InsG für rückständiges Arbeitsentgelt in den Monaten September und Oktober 2011 in Höhe von 1614,65 Euro.

3

Im Rahmen des Insolvenzverfahrens gab der Insolvenzverwalter die selbstständige Tätigkeit des Arbeitgebers aus dem Insolvenzbeschlag nach § 35 Abs 2 der Insolvenzordnung (InsO) frei(Schreiben des Insolvenzverwalters vom 8.11.2011). Der Arbeitgeber betrieb den Pflegedienst sodann in reduziertem Umfang weiter. Das zunächst befristete Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde zum 1.1.2012 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt.

4

Ein erneutes Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit, das die im Rahmen des ersten Insolvenzverfahrens freigegebene Tätigkeit betraf, wurde mit Beschluss des AG Essen vom 1.8.2012 eröffnet. Den weiteren Antrag auf Bewilligung von InsG vom 7.8.2012, mit dem die Klägerin geltend machte, dass noch Arbeitsentgelt für die Monate Juni/Juli 2012 in Höhe von insgesamt 2473,21 Euro ausstehe, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 27.8.2012; Widerspruchsbescheid vom 27.9.2012).

5

Das LSG hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, einem Anspruch auf InsG stehe entgegen, dass die Zahlungsunfähigkeit des früheren Arbeitgebers der Klägerin, auf der die Eröffnung des ersten Insolvenzverfahrens am 1.11.2011 beruht habe, bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 1.8.2012, ununterbrochen fortgedauert habe. Dies ergebe sich aus den aktenkundigen Unterlagen, insbesondere den gutachtlichen Stellungnahmen des Insolvenzverwalters vom 30.7.2012 und 28.11.2012 an das AG Essen. In seinem Schreiben an das SG vom 3.6.2013 sei er zu der nachvollziehbaren Einschätzung gelangt, dass der Schuldner die Zahlungsfähigkeit nicht wiedererlangt habe. Ein anderes Ergebnis folge auch nicht daraus, dass sich das zweite Insolvenzverfahren auf das nach Eröffnung vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen des Arbeitgebers aus seiner selbstständigen Tätigkeit und damit eine andere Masse bezogen habe. Das SGB III gehe davon aus, dass es grundsätzlich nur ein Insolvenzereignis für den Anspruch auf InsG gebe. Bei dem Schutz durch InsG im Arbeitsförderungsrecht habe der Gesetzgeber von Anfang an vor Augen gehabt, dass durch die Aufrechterhaltung eines Betriebs nach einem Insolvenzereignis weitere Arbeitsentgelt- und Beitragsrückstände entstehen könnten. Er habe sich dennoch bewusst für eine nur beschränkte Sicherung der Ansprüche der Arbeitnehmer und Sozialversicherungsträger aus der Insolvenzgeldversicherung entschieden. Unionsrecht stehe der bisherigen Auslegung und Anwendung der SGB III-Vorschriften zum Vorliegen eines erneuten Insolvenzereignisses nicht entgehen.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 165 Abs 1 Satz 1 SGB III, des Sozialstaatsprinzips(Art 20 Abs 1 GG und Art 2 Abs 1 GG) sowie von Art 2 Abs 1 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (nachfolgend: RL 2008/94/EG). Nach Freigabe der Tätigkeit habe sie davon ausgehen müssen, dass es mit dem Betrieb bergauf gehe und sie eine Vergütung erhalte. In seinen bisherigen Entscheidungen habe sich das BSG nur mit der Bedeutung eines Insolvenzplanverfahrens für einen Anspruch auf InsG befasst. Erfolge - wie hier - eine Freigabeerklärung müsse auch der Schutz des sozial schwächeren Arbeitnehmers, für den der Umstand einer durchgehenden Zahlungsunfähigkeit nicht erkennbar sei, beachtet werden.

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Juni 2016 und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 6. Dezember 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheides vom 27. August 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2012 Insolvenzgeld für die Monate Juni und Juli 2012 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie führt aus, ein neues Insolvenzereignis könne nicht eintreten, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauere. Nach den Tatsachenfeststellungen und der Beweiswürdigung des LSG sei dies hier der Fall. Der Freigabebeschluss des Insolvenzverwalters könne schon nach seinem Inhalt nicht die Annahme rechtfertigen, dass eine Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt worden sei.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen.

11

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 27.8.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2012 (§ 95 SGG), mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, der Klägerin für die Monate Juni und Juli 2012 InsG für ausgefallenes Arbeitsentgelt zu zahlen. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zu Recht mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG).

12

2. Die Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf InsG liegen nicht vor, weil es an einem (erneuten) Insolvenzereignis im Sinne des SGB III fehlt.

13

a) Nach § 165 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl I 2854) haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf InsG, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gilt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (Nr 1), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (Nr 2) oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr 3).

14

Zwar ist durch den Beschluss des AG Essen vom 1.8.2012 erneut ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet worden, sodass ein weiteres Insolvenzverfahren im Sinne der InsO vorliegt. Ein (neues) arbeitsförderungsrechtliches Insolvenzereignis iS des § 165 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III ist damit jedoch nicht eingetreten, weil das frühere Insolvenzereignis - hier die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen desselben Arbeitgebers vom 1.11.2011 - gegenüber dem Eintritt eines weiteren Insolvenzereignisses eine Sperrwirkung im arbeitsförderungsrechtlichen Sinne entfaltet.

15

b) Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass ein neues Insolvenzereignis im Sinne des SGB III nicht eintritt und folglich keine Ansprüche auf InsG auslöst, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit desselben Arbeitgebers noch andauert. Dies war hier der Fall.

16

Für die Annahme einer wiedererlangten Zahlungsfähigkeit genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber die Betriebstätigkeit fortführt und die laufenden Verbindlichkeiten, wie insbesondere die Lohnansprüche, befriedigt. Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist vielmehr so lange auszugehen wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet deshalb nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelnen Zahlungsverpflichtungen wieder nachkommt (BSG vom 21.11.2002 - B 11 AL 35/02 R - BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3, S 4; BSG vom 29.5.2008 - B 11a AL 57/06 R - BSGE 100, 282 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 11; BSG vom 6.12.2012 - B 11 AL 11/11 R - BSGE 112, 235 ff = SozR 4-4300 § 183 Nr 14, RdNr 16; BSG vom 17.3.2015 - B 11 AL 9/14 R - NZS 2015, 591 ff; vgl bereits zum Kaug nur BSG vom 27.8.1998 - B 10 AL 7/97 R - SozR 3-4100 § 141e Nr 3, S 8).

17

Nur bei einem Wechsel des Arbeitgebers während des Sanierungsverfahrens kann es - wegen der rechtlichen Bezogenheit des Eintritts eines Insolvenzereignisses auf den jeweiligen Arbeitgeber - gerechtfertigt sein, von einem anderen Insolvenzereignis iS der §§ 165 ff SGB III auch unbesehen einer zwischenzeitlich erneut erlangten Zahlungsfähigkeit auszugehen(BSG vom 28.6.1983 - 10 RAr 26/81 - BSGE 55, 195 = SozR 4100 § 141b Nr 27). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben, weil das zweite Insolvenzereignis denselben Arbeitgeber im insolvenzgeldrechtlichen Sinne betraf.

18

Zur durchgehenden Zahlungsunfähigkeit hat das LSG - für den Senat bindend - festgestellt (§ 163 SGG), dass bei dem Schuldner bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens zu keinem Zeitpunkt die Fähigkeit wieder eingetreten ist, die fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Dabei ist das LSG nicht von einem unzutreffenden Rechtsbegriff der Zahlungsunfähigkeit ausgegangen. Seine Feststellung wird vielmehr durch folgende Zahlen erhärtet: Am Tag der Eröffnung des (erneuten) Insolvenzverfahrens über das freigegebene Vermögen, dem 1.8.2012, haben Aktiva im Form eines Vermögens in Höhe von 220 305,35 Euro Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 614 381,43 Euro gegenüber gestanden. Unter Berücksichtigung von Aus- und Absonderungsrechten ist für die freie Masse lediglich ein Vermögen in Höhe von 39 309,35 Euro verfügbar gewesen, aus der die Verbindlichkeiten zu befriedigen waren. Das LSG hat festgestellt, dass der Arbeitgeber der Klägerin auch nach der Freigabe seiner betrieblichen Tätigkeit bereits am 8.11.2011 insbesondere im Entgeltbereich (Ansprüche auf Arbeitsentgelt, Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung) seit Januar 2012 wiederum erhebliche Rückstände aufgebaut und auch sonstige laufende Verbindlichkeiten, etwa bezogen auf das Grundstück in H., von dem aus der Pflegedienst zuletzt betrieben worden ist, nicht begleichen konnte.

19

c) Die vorliegende Konstellation eines zweiten Insolvenzverfahrens nach Freigabe des Vermögens aus der selbstständigen Tätigkeit im Rahmen des ersten Insolvenzverfahrens (siehe hierzu aa) rechtfertigt keinen Verzicht auf das Erfordernis einer tatsächlichen Behebung der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nach einem ersten Insolvenzverfahren (siehe hierzu bb). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats zu Ansprüchen auf InsG bei Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens (siehe hierzu cc). Ein etwaiges Vertrauen des Arbeitnehmers auf Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit - auch soweit es sich auf eine bestimmte Gestaltung des Insolvenzverfahrens bezieht - kann nur im Rahmen des § 165 Abs 3 SGB III berücksichtigt werden und begründet nach aktueller Gesetzeslage keinen Anspruch auf InsG(siehe hierzu dd). Unionsrecht steht nicht entgegen (siehe hierzu ee).

20

aa) Der Insolvenzverwalter hat mit seiner Erklärung vom 8.11.2011 entschieden, die selbstständige Tätigkeit des Arbeitgebers der Klägerin freizugeben, ohne dass diese dauerhafte und unwiderrufliche Erklärung (Ries in Kayser/Thole, Insolvenzordnung, 8. Aufl 2016, § 35 InsO RdNr 76) durch die nachlaufende Sonderkompetenz des Gläubigerausschusses bzw der Gläubigerversammlung (§ 35 Abs 2 Satz 3 InsO) außer Kraft gesetzt worden ist.

21

Mit seiner Erklärung gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber der Klägerin hat der Insolvenzverwalter von der durch § 35 Abs 2 Satz 1 InsO(in der Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.2007 ) eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, gegenüber einem Schuldner, der - wie hier der Arbeitgeber der Klägerin - eine selbstständige Tätigkeit ausübt, klarzustellen, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Bei dieser sog Freigabe- oder Negativerklärung, mit welcher der Insolvenzverwalter das Vermögen eines Schuldners aus der selbstständigen Tätigkeit freigibt, handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Erklärung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Schuldner. Mit dieser Erklärung verzichtet der Insolvenzverwalter endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aus § 80 Abs 1 InsO hinsichtlich des Vermögens aus der selbstständigen Tätigkeit(vgl BT-Drucks 16/3227 S 17).

22

Die Freigabeerklärung nach § 35 Abs 2 InsO betrifft als Erklärung mit Gesamtwirkung nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern ist auf eine bestimmte Form des Wirtschaftens in Gestalt einer selbstständigen Erwerbstätigkeit gerichtet. Das unternehmerische Vermögen als Gesamtheit von Gegenständen und Werten wird aus dem Insolvenzverfahren herausgelöst. Rechte und Pflichten daraus sind folglich außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend zu machen (Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 RdNr 153). Die ab dem Wirksamwerden der Freigabeerklärung aus der selbstständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte des Schuldners stehen als ihm gehörendes insolvenzfreies Sondervermögen grundsätzlich allein den Neugläubigern, deren Forderungen erst nach der Freigabeerklärung entstanden sind, nicht aber den (bisherigen) Insolvenzgläubigern als Haftungsmasse zur Verfügung. Insofern zerschneidet die Negativerklärung das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner zukünftig ausgeübten selbstständigen Tätigkeit. Vertragsverhältnisse werden insgesamt und je als Ganzes erfasst. Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen sind - auch ohne zusätzliche Kündigungserklärungen des Insolvenzverwalters - ab Zugang der bei dem Schuldner wirksam werdenden Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters insgesamt nur noch gegen den Schuldner, und nicht mehr gegen die Masse durchsetzbar (BGH vom 9.2.2012 - IX ZR 75/11 - BGHZ 192, 322 ff, 327 f; BGH vom 18.4.2013 - IX ZR 165/12 - MDR 2013, 1314, 1315; BGH vom 22.5.2014 - IX ZR 136/13 - NJW 2014, 2585 ff; BSG vom 10.12.2014 - B 6 KA 45/13 R - BSGE 118, 30 = SozR 4-2500 § 85 Nr 81, RdNr 25 ff). Auch das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber bestand nach der Freigabeerklärung mit dieser Maßgabe fort (BAG vom 21.11.2013 - 6 AZR 979/11 - BAGE 146, 295, 299 f).

23

bb) Mit einer Freigabeerklärung nach § 35 Abs 2 InsO ist aber nicht bereits aus Gründen des Insolvenzrechts die zwingende Vermutung auch des Wiedereintritts der Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers der Klägerin im Sinne der Regelungen des InsG nach dem SGB III verbunden. Zwar ist ein weiteres Insolvenzverfahren - nach einmaliger Freigabeerklärung nach § 35 Abs 2 InsO oder bei einer Kette von Folgeinsolvenzen nach zulässigen weiteren Freigaben - nicht von vornherein masselos(Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 RdNr 175 f), weil eine neue selbstständige Haftungsmasse entsteht und den neuen Schuldnern zur Verfügung steht. Auch die neue Haftungsmasse ist aber - gerade zB bezogen auf fortlaufende Vertragsverhältnisse - mit den bisherigen vertraglichen Pflichten belastet. In einer doppelten Teleologie (Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 RdNr 166)soll durch die Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit im Insolvenzverfahren nicht nur dem Schuldner eine Chance auf eine erfolgreiche Selbstständigkeit und wirtschaftlichen Neubeginn gegeben werden, sondern gerade auch die Insolvenzmasse von Verbindlichkeiten aus der weiteren gewerblichen Tätigkeit des Schuldners entlastet werden (BGH vom 9.2.2012 - IX ZR 75/11 - BGHZ 192, 322, 333). Aus Sicht des Insolvenzverwalters bei der Freigabeerklärung ist es bei einer Abwägungsentscheidung in einer Gesamtschau aller Faktoren (Reis in Kayser/Thole, Insolvenzordnung, 8. Aufl 2016, § 35 InsO RdNr 66) gegebenenfalls sinnvoll, eine Negativerklärung gerade bei einer die Masse potentiell belastenden, also wirtschaftlich voraussichtlich nicht erfolgreichen Tätigkeit abzugeben (Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 RdNr 176; BAG vom 21.11.2013 - 6 AZR 979/11 - BAGE 146, 295 ff, 300 "legislatorisches Ziel, dem Insolvenzverwalter die Freigabe verlustreicher Betriebsführung zu ermöglichen"; vgl auch BT-Drucks 16/3227, S 17). Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass die Regelung des § 35 Abs 2 InsO Konsequenz der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit des Schuldners ist, der auch während des Insolvenzverfahrens eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausüben kann(Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 InsO RdNr 132). Zudem muss der Schuldner eine Ausgleichsabgabe aus Erträgen der neuen Tätigkeit an die Gläubigergemeinschaft entrichten (§ 35 Abs 2 Satz 2 iVm § 295 Abs 3 InsO).

24

Unter Berücksichtigung dieser Ausgestaltung des Freigabeverfahrens ist es regelmäßig ergebnisoffen, ob die Zahlungsfähigkeit bei Fortführung der selbstständigen Tätigkeit wiederhergestellt wird. Hier hat der Arbeitgeber der Klägerin eine Zahlungsfähigkeit nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG) - auch unter Berücksichtigung des kurzen Zeitraums zwischen den beiden Insolvenzereignissen (vgl Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, K § 165 RdNr 62, Stand Februar 2016) - nicht wieder erlangt.

25

cc) Bezogen auf die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens hat der Senat zudem bereits betont, dass es die Konkurrenz von regulärem Insolvenzverfahren und Insolvenzplanverfahren ausschließt, allein das Insolvenzplanverfahren zu begünstigen, indem den Gläubigern durch die wiederholte Zuerkennung von InsG-Ansprüchen ein Sondervorteil verschafft wird (BSG vom 21.11.2002 - B 11 AL 35/02 R - BSGE 90, 157 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3, RdNr 19). Diese Überlegung greift auch für das hier vorliegende Freigabeverfahren im Insolvenzfall, welches mehrfach hintereinander erfolgen kann (vgl nur Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 RdNr 175 f).

26

Zwar liegt bei einer Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners im Insolvenzverfahren eine andere Ausgangslage vor, weil - anders als in den vom Senat bereits entschiedenen Fallgestaltungen von Insolvenzplanverfahren - ein Sondervermögen außerhalb des Insolvenzverfahrens gebildet wird (vgl hierzu Krasney, KrV 2015, 84; zum Insolvenzplanverfahren BSG vom 21.11.2002 - B 11 AL 35/02 R - BSGE 90, 157 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3; BSG vom 29.5.2008 - B 11a AL 57/06 R - BSGE 100, 282 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9; BSG vom 6.12.2012 - B 11 AL 11/11 R - BSGE 112, 235 ff = SozR 4-4300 § 183 Nr 14; BSG vom 17.3.2015 - B 11 AL 9/14 R - NZS 2015, 591). Dies führt jedoch - wie dargelegt - wegen der damit verfolgten verschiedenen Zielsetzungen nicht zwingend zu der Annahme der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit. Mit den §§ 165 ff SGB III verfolgt der Gesetzgeber dagegen lediglich die (begrenzte) Sicherung bestimmter Lohnforderungen bei Insolvenz des Arbeitgebers. Trotz eines engen inhaltlichen Zusammenhangs zwischen den Vorschriften der InsO und anderen insolvenz- und arbeitsrechtlichen Sicherungsmechanismen bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers mit dem arbeitsförderungsrechtlichen InsG (Voelzke in Küttner, Personalhandbuch 2017, 24. Aufl 2017 "Insolvenzgeld") kann auch bei einer Freigabeerklärung im Insolvenzverfahren nicht auf eine Wiederherstellung der tatsächlichen Zahlungsfähigkeit nach einem ersten Insolvenzereignis verzichtet werden.

27

dd) Ein etwaiges Vertrauen der Klägerin auf eine mögliche Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit ihres Arbeitgebers kann keinen erneuten Anspruch auf InsG begründen.

28

Vertrauensschutzgesichtspunkte im Zusammenhang mit einem Insolvenzereignis berücksichtigt allein die Regelung des § 165 Abs 3 SGB III. Hat eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder eine Arbeit aufgenommen, besteht hiernach ein Anspruch auf InsG für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses (vgl zur Entstehungsgeschichte dieser beiden Vertrauensschutztatbestände: BSG vom 27.8.1998 - B 10 AL 7/97 R - SozR 3-4100 § 141e Nr 3; BT-Drucks 12/3211, S 27; zur vorangegangenen Rspr: BSG vom 19.3.1986 - 10 RAr 8/85 - SozR 4100 § 141b Nr 37; BSG vom 22.2.1989 - 10 RAr 7/88 - 10 RAr 10/88 - SozR 4100 § 141b Nr 45 S 167; BSG vom 17.5.1989 - 10 RAr 10/88 - SozR 4100 § 141b Nr 46 S 170).

29

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Umwandlung des befristeten Arbeitsverhältnisses in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht das Tatbestandsmerkmal der Aufnahme einer Arbeit iS des § 165 Abs 3 SGB III erfüllt. Jedenfalls steht die Kenntnis der Klägerin von dem ersten Insolvenzereignis am 1.11.2011 einer Anwendbarkeit des § 165 Abs 3 SGB III entgegen. Von einer Unkenntnis von einem Insolvenzereignis im Sinne dieser Regelung ist nur auszugehen, solange kein ausreichender Anhaltspunkt vorhanden ist, dass der Arbeitnehmer Kenntnis von einem vorausgegangenen Insolvenzereignis nach § 165 Abs 1 SGB III hat(Peter-Lange in Gagel, SGB II/SGB III, § 165 SGB III, RdNr 77 f, Stand 12/2014). Wegen der Anknüpfung des geschützten Vertrauens an den tatsächlich gegebenen Umstand eines Insolvenzereignisses kann nicht allein das Vertrauen eines Arbeitnehmers auf ein etwaiges "Potential" des derzeit zahlungsunfähigen, aber beruflich weiterhin tätigen Arbeitgebers, also auf möglicherweise in Zukunft zu erwartende Einnahmen, dazu führen, dass ein erneuter Anspruch auf InsG trotz weiterhin vorliegender Zahlungsunfähigkeit besteht (vgl BSG vom 29.5.2008 - B 11a AL 57/06 R - BSGE 100, 282 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 15). Von der Anknüpfung einer Vertrauensschutzregelung an die Art und Weise der Ausgestaltung eines Insolvenzverfahrens (Insolvenzplanverfahren, Freigabeerklärung zur weiteren Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit des Arbeitgebers) unbesehen einer weiterhin bestehenden tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit hat der Gesetzgeber bisher abgesehen, obgleich der Schuldner für seine weitere selbstständige Tätigkeit auf eine Beschäftigung der bisherigen Arbeitnehmer nach Freigabeerklärung als unentbehrliche Betriebsgrundlage zumeist angewiesen ist (vgl zu diesem Aspekt BAG vom 21.11.2013 - 6 AZR 979/11 - BAGE 146, 295 ff, 300; kritisch auch Cranshaw, jurisPR-InsR 13/2015, Anm 1).

30

ee) Diese Auslegung und Anwendung des § 165 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III verstößt nicht gegen Vorgaben des europäischen Rechts. Nach Art 2 Abs 1 der RL 2008/94/EG gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgeschriebenen Gesamtverfahrens beantragt worden ist, das die Insolvenz des Arbeitgebers voraussetzt und den teilweisen oder vollständigen Vermögensbeschlag gegen diesen Arbeitgeber sowie die Bestellung eines Verwalters oder einer Person, die eine ähnliche Funktion ausübt, zur Folge hat. Dies setzt weiter voraus, dass entweder die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde die Eröffnung des Verfahrens beschlossen oder festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen. Die Richtlinie knüpft also grundsätzlich an ein formelles Insolvenzereignis an und ermöglicht es den Mitgliedstaaten, mehrere formell eigenständige, wegen materiell andauernder Insolvenz aber sachlich verbundene Insolvenzverfahren zu einem Gesamtverfahren zusammen zu fassen. Eine solche Zusammenfassung wird durch diese Option jedoch nicht europarechtlich angeordnet (Kolbe, ZinsO 2014, 2155, 2157); sie existiert im nationalen Recht nicht.

31

Die europarechtliche Regelung schreibt nicht vor, dass und unter welchen Voraussetzungen ein bereits eingetretenes Insolvenzereignis arbeitsförderungsrechtlich abgeschlossen ist, um ein neues Insolvenzereignis annehmen zu können (vgl bereits BSG vom 21.11.2002 - B 11 AL 35/02 R - BSGE 90, 157, 161 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 7; BSG vom 6.12.2012 - B 11 AL 10/11 R; BSG vom 17.3.2015 - B 11 AL 9/14 R - NZS 2015, 591 ff). Der EuGH hat zudem aus dem Schutzzweck der Richtlinie abgeleitet, dass "eine Verbindung zwischen der Zahlungsunfähigkeit und den unbefriedigten Ansprüchen auf Arbeitsentgelt" bestehen müsse (Urteil vom 28.11.2013 - C-309/12 - ZESAR 2014, 291, 295). Wegen dieses kausalen Zusammenhangs zwischen dem Forderungsausfall und einer materiellen Insolvenz können bei einer Mehrheit von Insolvenzereignissen nur dann mehrere Garantieansprüche ausgelöst werden, wenn ein entsprechender Zusammenhang für jedes dieser Ereignisse zu bejahen ist (Kolbe, ZinsO 2014, 2155, 2158). Daran fehlt es hier bezogen auf das weitere Insolvenzereignis vom 1.8.2012.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als I

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Bundessozialgericht Urteil, 09. Juni 2017 - B 11 AL 14/16 R zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IX ZR 75/11 Verkündet am: 9. Februar 2012 Kluckow Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja InsO § 35 Abs. 2 Sa

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Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. März 2011 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 14. N

Bundessozialgericht Urteil, 06. Dez. 2012 - B 11 AL 11/11 R

bei uns veröffentlicht am 06.12.2012

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. März 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 24.

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(1) Das Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse).

(2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295a gilt entsprechend. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung ordnet das Insolvenzgericht die Unwirksamkeit der Erklärung an.

(3) Der Schuldner hat den Verwalter unverzüglich über die Aufnahme oder Fortführung einer selbständigen Tätigkeit zu informieren. Ersucht der Schuldner den Verwalter um die Freigabe einer solchen Tätigkeit, hat sich der Verwalter unverzüglich, spätestens nach einem Monat zu dem Ersuchen zu erklären.

(4) Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist dem Gericht gegenüber anzuzeigen. Das Gericht hat die Erklärung und den Beschluss über ihre Unwirksamkeit öffentlich bekannt zu machen.

(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gilt

1.
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers,
2.
die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder
3.
die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.
Auch bei einem ausländischen Insolvenzereignis haben im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld.

(2) Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Als Arbeitsentgelt für Zeiten, in denen auch während der Freistellung eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht (§ 7 Absatz 1a des Vierten Buches), gilt der Betrag, der auf Grund der schriftlichen Vereinbarung zur Bestreitung des Lebensunterhalts im jeweiligen Zeitraum bestimmt war. Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer einen Teil ihres oder seines Arbeitsentgelts nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes umgewandelt und wird dieser Entgeltteil in einem Pensionsfonds, in einer Pensionskasse oder in einer Direktversicherung angelegt, gilt die Entgeltumwandlung für die Berechnung des Insolvenzgeldes als nicht vereinbart, soweit der Arbeitgeber keine Beiträge an den Versorgungsträger abgeführt hat.

(3) Hat eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen, besteht der Anspruch auf Insolvenzgeld für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses.

(4) Anspruch auf Insolvenzgeld hat auch der Erbe der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers.

(5) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einen Beschluss des Insolvenzgerichts über die Abweisung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels Masse dem Betriebsrat oder, wenn kein Betriebsrat besteht, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unverzüglich bekannt zu geben.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gilt

1.
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers,
2.
die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder
3.
die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.
Auch bei einem ausländischen Insolvenzereignis haben im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld.

(2) Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Als Arbeitsentgelt für Zeiten, in denen auch während der Freistellung eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht (§ 7 Absatz 1a des Vierten Buches), gilt der Betrag, der auf Grund der schriftlichen Vereinbarung zur Bestreitung des Lebensunterhalts im jeweiligen Zeitraum bestimmt war. Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer einen Teil ihres oder seines Arbeitsentgelts nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes umgewandelt und wird dieser Entgeltteil in einem Pensionsfonds, in einer Pensionskasse oder in einer Direktversicherung angelegt, gilt die Entgeltumwandlung für die Berechnung des Insolvenzgeldes als nicht vereinbart, soweit der Arbeitgeber keine Beiträge an den Versorgungsträger abgeführt hat.

(3) Hat eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen, besteht der Anspruch auf Insolvenzgeld für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses.

(4) Anspruch auf Insolvenzgeld hat auch der Erbe der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers.

(5) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einen Beschluss des Insolvenzgerichts über die Abweisung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels Masse dem Betriebsrat oder, wenn kein Betriebsrat besteht, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unverzüglich bekannt zu geben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. März 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 24. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Insolvenzgeld (Insg) für die Monate März, April und Mai 2003.

2

Die Klägerin war bei der E.K. GmbH (im Folgenden: Arbeitgeberin) als Vertriebsassistentin beschäftigt. Das zuständige Amtsgericht (AG) eröffnete mit Beschluss vom 29.6.2001 mit Wirkung zum 1.7.2001 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Insg für die Zeit vom 1.4. bis 30.6.2001.

3

Im Insolvenzverfahren legte die Arbeitgeberin einen von der L. Consult GmbH erstellten Insolvenzplan vom 7.11.2001 vor, dem die Gläubiger zustimmten und den das AG mit Beschluss vom 28.11.2001 bestätigte. Ziel des Insolvenzplans war die Wiederherstellung der Ertragsfähigkeit durch ein neues Unternehmenskonzept. Finanziert werden sollte der Neubeginn insbesondere durch den Verzicht der nachrangigen Gläubiger auf einen Großteil ihrer Forderungen in der Größenordnung von 9 Mio DM (90 % bzw 85 % bei verschiedenen Kleingläubigern). Die Auszahlung der nicht vom Verzicht betroffenen Beträge sollte überwiegend innerhalb eines Monats nach der auf die rechtskräftige Bestätigung des Insolvenzplans folgenden Verfahrensaufhebung nach § 258 Insolvenzordnung (InsO) vorgenommen werden. Eine Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans war nicht vorgesehen.

4

Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 258 InsO erfolgte zum 31.12.2001, 24 Uhr (Beschluss des AG vom 28.12.2001). In weiteren Verfügungen des Beschlusses des AG vom 28.12.2001 wurde ua bestimmt, dass die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters hinsichtlich bestimmter Anderkonten aufrechterhalten blieb, er weiter zur Einziehung bestimmter Forderungen und insoweit auch zur Befriedigung von Masseverbindlichkeiten berechtigt war, die Verfügungsbefugnis auch hinsichtlich der Ansprüche gegen eine eingeschaltete Factoring-Gesellschaft bestehen blieb und das Amt des Insolvenzverwalters erst mit vollständiger Befriedigung der zum 31.12.2001 bestehenden Massekosten und Masseverbindlichkeiten enden sollte. Die genannten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse des Insolvenzverwalters wurden erst durch Beschluss des AG vom 30.5.2003 aufgehoben.

5

Am 21.5.2003 stellte die Arbeitgeberin erneut Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und führte zur Begründung aus, sie sei bei zwei Monaten Lohnrückstand für 70 Arbeitnehmer zahlungsunfähig; die durch den Insolvenzplan vorgegebenen Zahlungen hätten nicht erbracht werden können. Daraufhin bestellte das AG einen vorläufigen Insolvenzverwalter und beauftragte diesen mit der Erstellung eines Gutachtens. Nach Vorlage des Gutachtens vom 17.6.2003 mit dem Ergebnis, Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit seien zweifelsfrei gegeben, eröffnete das AG durch Beschluss vom 19.6.2003 erneut das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin.

6

Den am 28.5.2003 gestellten Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Insg wegen offener Entgeltansprüche für die Monate März, April und Mai 2003 lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Arbeitgeberin habe seit der 2001 eingetretenen Insolvenz ihre Zahlungsfähigkeit nicht wiedererlangt, sodass nur dieses Insolvenzereignis maßgeblich sei (Bescheid vom 4.7.2003; Widerspruchsbescheid vom 8.12.2003).

7

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.1.2007). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin Insg für die Zeit vom 1.3. bis 30.5.2003 zu zahlen (Urteil vom 9.3.2011).

8

Es hat ua ausgeführt: Der Anspruch ergebe sich aus § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Maßgebend sei das am 19.6.2003 eröffnete Insolvenzverfahren; die frühere Insolvenzeröffnung durch Beschluss vom 29.6.2001 entfalte keine Sperrwirkung. Zwar sei der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Fortdauer einer aus Anlass eines früheren Insolvenzereignisses eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bei Überwachung der Planerfüllung zu folgen und es sei auch davon auszugehen, dass die Arbeitgeberin seit 2001 zu keinem Zeitpunkt Zahlungsfähigkeit wiedererlangt habe, weil sie insbesondere die im Insolvenzplan vorgesehenen Zahlungen nicht habe leisten können. Gleichwohl sei die erneute Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 19.6.2003 ein hinreichendes Insolvenzereignis. Denn § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III sei unter Beachtung der Richtlinie 80/987 EWG (RL 80/987) idF der Richtlinie 2002/74 EG (RL 2002/74) dahingehend auszulegen, dass ohne Überwachung der Planerfüllung auch ein nachfolgendes "formelles" Insolvenzereignis bei fortbestehender Insolvenz ausreichend sei, einen Anspruch auf Insg auszulösen, wenn durch den nationalen Gesetzgeber nachfolgende Insolvenzverfahren nicht mit dem vorhergehenden zu einem Gesamtverfahren zusammengefasst seien. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte und der Systematik der genannten Richtlinie (RL). Einer Anwendung der RL stehe nicht der Umstand entgegen, dass nach der maßgebenden Fassung die Mitgliedstaaten die erforderlichen Vorschriften spätestens zum 8.10.2005 zu erlassen hätten. Aus den dokumentierten Erwägungen zu den RL 2002/74 folge, dass der Richtliniengeber einerseits die Arten der Insolvenzverfahren habe erweitern, andererseits aber auch dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit habe eröffnen wollen, eine Mehrheit von Verfahren als einheitliches Gesamtverfahren zu behandeln. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass grundsätzlich jedes formell definierte Insolvenzereignis geeignet sei, den Anspruch zu begründen.

9

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III und führt zur Begründung aus: Allein das Unterbleiben einer Anordnung der Überwachung der Planerfüllung berechtige nicht zu der Annahme, es sei eine neue Zahlungsunfähigkeit eingetreten. Obwohl das erste Insolvenzverfahren formell beendet worden sei, müsse auch unter den Umständen des vorliegenden Falls von einem einzigen Insolvenzverfahren ("Gesamtverfahren") ausgegangen werden. Für die Rechtsauffassung der Beklagten spreche auch, dass eine Initiative des Bundesrats, durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt eine gesetzliche Regelung iS der Auffassung des LSG einzuführen, nicht umgesetzt worden sei.

10

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 9.3.2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 24.1.2007 zurückzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

12

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Wiederherstellung der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 1 Sozialgerichtsgesetz).

14

1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Insg gemäß § 183 Abs 1 S 1 SGB III wegen des ab März 2003 ausgefallenen Arbeitsentgelts liegen nicht vor.

15

Maßgebend ist § 183 Abs 1 S 1 SGB III in der Fassung, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 10.12.2001 (BGBl I 3443) erhalten hat und die bis 31.3.2012 unverändert geblieben ist (vgl auch ab 1.4.2012 § 165 SGB III idF des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, BGBl I 2854). Danach hat ein im Inland beschäftigter Arbeitnehmer, der bei Eintritt eines Insolvenzereignisses für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat, Anspruch auf Insg. Insolvenzereignis ist nach § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III ua die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers. Durch den Beschluss des AG vom 19.6.2003 ist jedoch kein (neues) Insolvenzereignis eingetreten. Denn die Insolvenzeröffnung durch Beschluss des AG vom 29.6.2001 entfaltet insoweit eine Sperrwirkung, die einem neuen Anspruch entgegensteht.

16

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG, an der der Senat festhält, tritt ein neues Insolvenzereignis nicht ein und kann folglich auch Ansprüche auf Insg nicht auslösen, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauert (vgl BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3; BSGE 100, 282, 284 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 11, jeweils mwN). Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist so lange auszugehen, wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet nicht schon dann, wenn der Schuldner wieder einzelnen Zahlungsverpflichtungen nachkommt (BSGE aaO).

17

Unter Beachtung dieser in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Feststellungen des LSG ist die Auffassung der Beklagten, die auf dem im Jahre 2001 eingetretenen Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit habe in der Folgezeit fortbestanden, nicht zu beanstanden. Das LSG hat unmissverständlich festgestellt, dass die jedenfalls seit Juni 2001 insolvente Arbeitgeberin der Klägerin auch danach zu keinem Zeitpunkt die Zahlungsfähigkeit wiedererlangt hat. Es hat die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation der Arbeitgeberin insbesondere in der Zeit ab 2002 ausführlich dargestellt und im Ergebnis ausgeführt, dass die ursprüngliche Insolvenz aufgrund des fehlgeschlagenen Liquiditätskonzepts bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens noch nicht beendet war und dass die Arbeitgeberin zu keinem Zeitpunkt ausreichende Liquidität erlangt hatte, um ihre fälligen Geldschulden im Allgemeinen dauerhaft erfüllen zu können. Das durchgehende Fehlen von Zahlungsfähigkeit wird auch dadurch offenkundig, dass die Arbeitgeberin von Anfang an nicht in der Lage war, die im Insolvenzplan vorgesehenen Zahlungen zu leisten. Diese den Senat gemäß § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG führen zwingend zur Sperrwirkung des Insolvenzereignisses aus dem Jahre 2001 mit der Folge, dass der Klägerin über das hierfür erhaltene Insg hinaus kein weiterer Anspruch zusteht.

18

Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Feststellungen des LSG, wonach das erste Insolvenzverfahren nach Vorlage eines Insolvenzplans und Bestätigung des Plans durch das Insolvenzgericht zum 31.12.2001 aufgehoben wurde und eine Überwachung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter nicht vorgesehen war. Insoweit ist zunächst die Rechtsprechung des Senats zu beachten, wonach allein aus der Bestätigung eines Insolvenzplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens noch nicht folgt, dass der zunächst eingetretene Insolvenzfall beseitigt wäre; denn die nur die Beteiligten des Insolvenzplanverfahrens betreffenden Wirkungen des Insolvenzplans nach Maßgabe des § 255 InsO werden hinfällig, wenn der Schuldner den Plan nicht erfüllt(BSGE 90, 157, 159 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). An dieser Rechtsprechung hält der Senat weiter fest.

19

Soweit der Senat darüber hinaus in der Vergangenheit für die Annahme fortdauernder Zahlungsunfähigkeit auf die andauernde Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter abgestellt hat (BSGE 100, 282, 285 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 14), ist hieraus nicht etwa zu folgern, dass immer von der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit auszugehen wäre, wenn der Insolvenzplan nicht überwacht wird. Bei andauernder Planüberwachung wird lediglich besonders deutlich, dass insbesondere im Hinblick auf die fortbestehenden Befugnisse des Insolvenzverwalters von einer Wiedererlangung der Fähigkeit, fällige Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, von vornherein keine Rede sein kann. Der Senat hat deshalb ausdrücklich offengelassen, wie in Fällen fehlender Überwachung zu verfahren ist (BSGE 90, 157, 161 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). Diese Rechtsprechung entwickelt der Senat in dem Sinne weiter, dass auch dann ein einheitlicher Insolvenztatbestand vorliegen kann, wenn keine Überwachung der Planerfüllung stattfindet. Dies ist anhand der Einzelumstände zu prüfen und im Streitfall von den Tatsachengerichten festzustellen. Wird - wie im vorliegenden Fall durch das LSG - eindeutig festgestellt, dass der Schuldner die ihm nach dem Insolvenzplan aufgegebenen Zahlungen überhaupt nicht leisten konnte und auch sonst nach der Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens (mit Ablauf des 31.12.2001) bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens (am 19.6.2003) zu keinem Zeitpunkt die Fähigkeit wieder eingetreten ist, die fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, muss es bei der Sperrwirkung des Insolvenzereignisses bleiben.

20

2. Ein Anspruch auf Insg kann auch nicht - wie das LSG zu Recht ausgeführt hat - aus § 183 Abs 2 SGB III hergeleitet werden. Nach dieser Vorschrift kann ein Arbeitnehmer, der in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen hat, Insg auch für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses erhalten. Ein solcher Anspruch kommt unter den gegebenen Umständen nicht in Betracht. Denn der Klägerin war das maßgebliche Insolvenzereignis von 2001 bereits bekannt, da sie hierfür Insg erhalten hatte (vgl BSGE 100, 282, 285 f = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 16; vgl auch zur Vorgängervorschrift des § 141b Abs 4 Arbeitsförderungsgesetz - BSG SozR 3-4100 § 141e Nr 3).

21

3. Der Rechtsmeinung des LSG, § 183 SGB III sei "richtlinienkonform" dahingehend auszulegen, dass bei fehlender Planüberwachung auch ein nachfolgendes zweites "formelles" Insolvenzereignis für einen Anspruch auf Insg ausreiche, folgt der Senat nicht.

22

Die Ausführungen des LSG, der Umstand, dass von den Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der RL 80/987 idF der RL 2002/74 bis 8.10.2005 zu erlassen seien, stehe einer "sofortigen Anwendung" dieser Richtlinie nicht im Wege, stehen bereits nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Denn hiernach kommt der RL 2002/74 im Fall ihrer Nichtumsetzung unmittelbare Wirkung nur im Zusammenhang mit nach dem 8.10.2005 eingetretenen Insolvenzfällen zu (EuGH, Urteil vom 17.1.2008 - C-246/06 - EuGHE I 2008, 105, 1057; Urteil vom 10.3.2011 - C-477/09 - NJW 2011, 1791). Im vorliegenden Fall war jedoch der zweite (unbeachtliche) Insolvenzfall bereits durch Beschluss des AG vom 19.6.2003 eingetreten.

23

Unabhängig davon verkennt das LSG bei seiner Auslegung der RL 80/987 idF der RL 2002/74 den Regelungsgehalt des Art 2 der RL, der insbesondere definiert, wann ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig "gilt". Dem Text des Art 2 Abs 1 in der hier maßgebenden Fassung (jetzt: EGRL 2008/94 vom 22.10.2008) sind aber keine ausdrücklichen Bestimmungen zu der im vorliegenden Fall streitigen Frage zu entnehmen, ob einem Arbeitnehmer, der bereits aus Anlass der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers eine Garantieleistung iS der RL erhalten hat, bei andauernder Zahlungsunfähigkeit durch die zuständige Garantieeinrichtung erneut eine Leistung zu gewähren ist. Soweit aufgrund der Änderungen durch die RL 2002/74 von einem "Gesamtverfahren" sowie in Art 2 Abs 4 davon die Rede ist, dass die Mitgliedstaaten "nicht gehindert sind", den Schutz der Arbeitnehmer auch "auf andere Situationen der Zahlungsunfähigkeit" auszuweiten, erfordert dies jeweils den Erlass entsprechender Rechts- oder Verwaltungsvorschriften durch die Mitgliedstaaten, über die diese frei entscheiden können (vgl Abschnitt 5 der Erwägungen der RL 2002/74 EG und auch Abschnitt 4 der Erwägungen bzw Art 2 Abs 4 der Neufassung der RL durch die RL 2008/94/EG vom 22.10.2008, ABl L 283 vom 28.10.2008, S 36 ff).

24

Nicht zu folgen vermag der Senat dem LSG insbesondere, soweit es aus den Materialien zur Änderung der RL 80/987 durch die RL 2002/74 den Schluss zieht, jedes "formell definierte Insolvenzereignis" iS der RL 80/987 sei geeignet, einen Anspruch gegen die Garantieeinrichtung zu begründen. Das LSG verweist hierzu vor allem auf den "Gemeinsamen Standpunkt" des Rates vom 18.2.2002 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 22.5.2002, C 119 E/1), in dessen Abschnitt 5 - wortgleich übernommen in Abschnitt 5 der Erwägungen der RL 2002/74 EG - ausgeführt ist, es sei angebracht, mit dem Begriff der Zahlungsunfähigkeit "auch andere Insolvenzverfahren als Liquidationsverfahren zu erfassen", und die Mitgliedstaaten sollten "vorsehen können, dass für den Fall, dass das Vorliegen einer Insolvenz zu mehreren Insolvenzverfahren führt, die Situation so behandelt wird, als würde es sich um ein einziges Insolvenzverfahren handeln". Aus Sicht des Senats ist nicht nachvollziehbar, inwiefern dies "im Umkehrschluss" bedeuten soll, dass - mangels deutscher gesetzlicher Regelungen, die mehrere Insolvenzverfahren zu einem Gesamtverfahren zusammenfassen - im vorliegenden Fall die "formelle" Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 19.6.2003 einen neuen Anspruch auf Insg auslöst. Den Mitgliedstaaten räumen die Erwägungen die Möglichkeit ein, für die Zukunft auch andere Verfahren einzubeziehen und für diesen Fall einschränkend zu bestimmen, wann mehrere Verfahren als "einziges" Verfahren zu behandeln sind. Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass ohne ausdrückliche Neuregelung zwei aufeinanderfolgende Insolvenzereignisse nicht als einheitliches Insolvenzereignis behandelt werden dürften, wenn zwischenzeitlich weiterhin Zahlungsunfähigkeit bestanden hat.

25

Für die Auffassung des LSG sprechen schließlich auch nicht die angeführten wirtschafts- und sozialpolitischen Erwägungen (S 34 des Urteilsumdrucks), die auch Äußerungen im Schrifttum zugrunde liegen (Frank/Heinrich NZI 2011, 569, 571 ff und NZS 2011, 689, 691). Es mag zwar wünschenswert sein, in Sanierungsfällen über den Schutz des § 183 Abs 2 SGB III hinaus auch Arbeitnehmern, die schon einmal Insg erhalten haben, eine zusätzliche Absicherung zuzubilligen. Unabhängig davon, dass im vorliegenden Fall die Sanierungsbemühungen offenbar von vornherein zum Scheitern verurteilt waren, kann derartigen Vorstellungen aber nur durch den Gesetzgeber entsprochen werden. Die mit der Einführung von Insolvenzplanverfahren verfolgten Zielsetzungen rechtfertigen es nicht, allein aufgrund der Bestätigung des Plans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens eine erneute Inanspruchnahme der Insg-Versicherung zu eröffnen; auch ist zu beachten, dass der Gesetzgeber mit den §§ 183 ff SGB III nicht die Ziele der InsO verfolgt(vgl dazu bereits BSGE 90, 157, 160 f = SozR 4-4300 § 183 Nr 3). Wie die aktuelle Entwicklung zeigt, hat sich der deutsche Gesetzgeber anlässlich der Überarbeitung und Neugestaltung des SGB III im Jahre 2011 insbesondere im Hinblick auf zu erwartende Mehrkosten für die umlagepflichtigen Arbeitgeber und mögliche Wettbewerbsverzerrungen gerade nicht dazu entschlossen, eine gesetzliche Regelung iS der Auffassung des LSG in das SGB III aufzunehmen (vgl Gegenäußerung der Bundesregierung zur - sich explizit auf die vorliegende Entscheidung des LSG beziehenden - Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt, BT-Drucks 17/6853 S 18, zu Nr 2, und S 1 ff, zu Art 1 Nr 7a und Art 2 Nr 18).

26

4. Nach alledem steht das einschlägige europäische Recht der Anwendung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III iS der Rechtsprechung des BSG(s oben 1.) nicht entgegen. Der Senat ist nicht gehalten, die oben behandelten Fragen zur Auslegung der RL 80/987 idF der RL 2002/74 dem EuGH gemäß Art 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorzulegen. Denn insoweit liegt bereits hinreichend aussagekräftige Rechtsprechung des EuGH vor. Geklärt ist insbesondere, dass der RL unmittelbare Wirkung nur im Zusammenhang mit nach dem 8.10.2005 eingetretenen Insolvenzfällen zukommt (EuGH, Urteil vom 17.1.2008 - C-246/06 - EuGHE I 2008, 105; Urteil vom 10.3.2011 - C-477/09 - NJW 2011, 1791). Nicht ersichtlich ist, dass im vorliegenden Fall durch die Anwendung des § 183 SGB III entsprechend der Auffassung des Senats der allgemeine Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung(vgl EuGH, Urteil vom 12.12.2002 - C-442/00 - SozR 3-6084 Art 2 Nr 3; Urteil vom 7.9.2006 - C-81/05 - SozR 4-6084 Art 3 Nr 3; Urteil vom 17.1.2008 - C-246/06 - EuGHE I 2008, 105) verletzt sein könnte. So ist insbesondere die Differenzierung zwischen Personen, die - wie die Klägerin - aus Anlass der Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers schon einmal eine Garantieleistung erhalten haben, und Personen, die erstmalig eine solche Leistung beanspruchen (vgl § 183 Abs 2 SGB III aF; jetzt § 165 Abs 3 SGB III), sachlich gerechtfertigt.

27

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. April 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 1.12.2009 bis 28.2.2010.

2

Nachdem die B. GmbH (B GmbH), die ein Sägewerk betrieb, am 15.2.2010 bei dem zuständigen Amtsgericht (AG) Arnsberg einen erneuten Insolvenzantrag gestellt hatte, beantragte der Kläger, ein Arbeitnehmer der B GmbH, am 1.3.2010 bei der Beklagten die Zahlung von Insg wegen dieses später eröffneten Insolvenzverfahrens.

3

Über das Vermögen der B GmbH war bereits auf den Insolvenzantrag vom 1.2.2005 durch das zuständige AG ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das AG hob das Verfahren nach Bestätigung des Insolvenzplans durch die Gläubiger am 7.4.2006 wieder auf. Der gestaltende Teil des Insolvenzplans sah vor, dass auf die Forderungen der ungesicherten Gläubiger eine Quote von 10 vH gezahlt wird und die Auszahlung auf der Grundlage des vom Insolvenzverwalter erstellten Verteilungsverzeichnisses zu verschiedenen Fälligkeitsterminen bis Ende 2008 erfolgen werde. Daneben war vorgesehen, dass weitere Zahlungen an die Gläubiger erfolgen sollten, falls sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens bessern und dieses in den Jahren 2007 bis 2010 Gewinne erwirtschaften sollte. Von diesen Gewinnen sollten ggf 50 vH an die Gläubiger ausgeschüttet werden. Die Erfüllung des Insolvenzplans überwachte der Insolvenzverwalter P. (P). Der Kläger hatte wegen dieses Insolvenzereignisses für die Zeit vom 1.11.2004 bis 31.1.2005 Insg erhalten.

4

Vor Aufhebung der Überwachung des Insolvenzplans stellte die B GmbH den Insolvenzantrag vom 15.2.2010. Der Kläger kündigte aufgrund der Lohnrückstände aus den Monaten Dezember 2009 sowie Januar und Februar 2010 sein Arbeitsverhältnis zum 28.2.2010. Das AG eröffnete das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B GmbH (Beschluss vom 22.3.2010). Die Beklagte lehnte den Antrag auf Insg ab und verlangte einen hierauf gezahlten Vorschuss zurück (Bescheid vom 26.4.2010; Widerspruchsbescheid vom 4.6.2010).

5

Das Klageverfahren ist in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13.5.2011; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10.4.2014). Die noch andauernde Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter rechtfertige nicht die Annahme, die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sei beendet und ein neues Insolvenzereignis könne eintreten. Dies gelte auch, wenn das erste Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans aufgehoben, die im Insolvenzplan festgelegte Quote in den folgenden Jahren gezahlt und der Insolvenzplan lediglich hinsichtlich des sog "Besserungsscheins" nicht erfüllt worden sei.

6

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), des Sozialstaatsprinzips aus Art 20 Abs 1 Grundgesetz (GG) und der Art 2 Abs 1 und 12a der EG-Richtlinie 2008/94 (RL 2008/94) vom 22.10.2008. Nach der Insolvenzordnung (InsO) bestehe neben der Möglichkeit der Gläubigerbefriedigung durch Liquidation des gesamtschuldnerischen Vermögens auch die Möglichkeit, eine Sanierung nach Maßgabe des mit den Gläubigern abgestimmten Insolvenzplans durchzuführen. Vorliegend sei durch den Beschluss des AG vom 7.4.2006 das erste Insolvenzverfahren aufgehoben worden und damit endgültig beendet gewesen. Ein zweites Insolvenzverfahren könne ab diesem Zeitpunkt eintreten. Die Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter sei lediglich ein nachgelagertes Verfahren. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach das Insolvenzverfahren arbeitsförderungsrechtlich andauere, solange die Planüberwachung angeordnet sei, sei nicht zu folgen. Aus dem Andauern der Planüberwachung könne nicht auf die Fortdauer der Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden. § 183 Abs 1 SGB III sei zudem europarechtskonform so auszulegen, dass ein nachfolgendes Insolvenzereignis ausreiche, um einen weiteren Anspruch auf Insg auszulösen. Auch Art 20 GG gebiete, die Arbeitnehmer zu schützen. Es sei das Ziel dieser Art der Sanierung, die Arbeitsplätze in dem Betrieb zu erhalten. Die Auslegung des § 183 Abs 1 S 1 SGB III durch das LSG habe aber zur Folge, dass gerade das "schwächste Glied in der Kette", nämlich der Arbeitnehmer, mit dessen maßgeblicher Hilfe der Insolvenzplan erfüllt werde, völlig schutzlos bleibe. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber während der Fortführung des Betriebs die Insolvenzumlage zahlen müsse und hier auch gezahlt habe.

7

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Abänderung der Urteile des LSG und des SG sowie des Bescheids der Beklagten vom 26.4.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.6.2010 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1.12.2009 bis 28.2.2010 Insolvenzgeld zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Die Entscheidung des LSG sei auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der europarechtlichen Bestimmungen nicht zu beanstanden.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz).

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 26.4.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.6.2010 (§ 95 SGG), der nach Begrenzung des Streitgegenstands in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nur noch angegriffen ist, soweit die Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger für die Zeit vom 1.12.2009 bis 28.2.2010 Insg zu zahlen. Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG insoweit zu Recht zurückgewiesen. Die Anfechtungs- und Leistungsklage kann keinen Erfolg haben, weil der Kläger für den streitbefangenen Zeitraum keinen Anspruch auf Insg hat.

12

Nach § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006 (BGBl I 2742; jetzt § 165 Abs 1 S 1 SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.

13

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar ist durch den Beschluss des AG vom 22.3.2010 (wieder) ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der B GmbH eröffnet worden, sodass ein Insolvenzereignis iS der InsO vorliegt. Ein (neues) arbeitsförderungsrechtliches Insolvenzereignis iS des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III ist damit jedoch nicht eingetreten, weil das frühere Insolvenzereignis - hier die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B GmbH am 1.2.2005 - gegenüber dem Eintreten eines weiteren Insolvenzereignisses eine Sperrwirkung entfaltet. Diese hindert die Entstehung (§ 40 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch) eines erneuten Anspruchs auf Insg.

14

Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein (neues) Insolvenzereignis nicht eintreten, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers noch andauert (vgl BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 3). Für die Annahme wiedererlangter Zahlungsfähigkeit genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber die Betriebstätigkeit fortführt und die laufenden Verbindlichkeiten, wie insbesondere die Lohnansprüche, befriedigt. Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist vielmehr so lange auszugehen, wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet deshalb nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelnen Zahlungsverpflichtungen wieder nachkommt (vgl BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 3; BSGE 100, 282 f RdNr 11 mwN = SozR 4-4300 § 183 Nr 9 S 39). Wird - wie im vorliegenden Fall durch das LSG - für den Senat bindend festgestellt (§ 163 SGG), dass der Schuldner zwar die ihm nach dem Insolvenzplan aufgegebene Quote leisten konnte, aber sonst nach der Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens zu keinem Zeitpunkt die Fähigkeit wieder eingetreten ist, die fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, bleibt es bei der Sperrwirkung des ersten Insolvenzereignisses.

15

Soweit der Kläger unter Verweis auf die Ausführungen des Zeugen P die Auffassung vertritt, dass aus dessen Aussage andere Schlüsse zu ziehen seien als sie das LSG gezogen hat, kann dies der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Der Senat ist an die Feststellungen des LSG gebunden, soweit gegen diese Feststellungen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben worden sind (§ 163 SGG). Solche Rügen hat der Kläger, der schlicht seine Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt, nicht erhoben.

16

Allein die formale Beendigung des Insolvenzverfahrens bei gleichzeitiger Anordnung der Planüberwachung genügt nicht, um eine Wiederherstellung der allgemeinen Zahlungsfähigkeit des Gemeinschuldners zu begründen. Die Gläubiger verzichten bei dieser Art der Abwicklung eines Insolvenzereignisses auf den Großteil ihrer Forderungen nur, um den im Insolvenzplan vereinbarten (geringen) Teil der Forderung zu erhalten. Ihre Gesamtforderung kann aber insolvenzrechtlich wieder aufleben, wenn die Vereinbarungen des Insolvenzplans nicht erfüllt werden (vgl § 255 InsO; dazu BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 3).

17

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die Kritik des Klägers an dem fehlenden Schutz der Arbeitnehmer in einem solchen Fall rechtfertigt - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - keine andere Beurteilung. Der Gesetzgeber verfolgt - wie der Senat schon mehrfach entschieden hat - mit den §§ 183 f SGB III nicht die Ziele der InsO, sondern begründet eine Sicherung bestimmter Lohnforderungen im Falle einer Insolvenz des Arbeitsgebers (vgl BSG, Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 11/11 R - BSGE 112, 235 = SozR 4-4300 § 183 Nr 14, RdNr 25). Die mit Einführung der Insolvenzplanverfahren verfolgten Zielsetzungen begründen - bezogen auf das Insg-Recht - nicht die Annahme, aufgrund der Bestätigung des Insolvenzplans und der Beendigung des Insolvenzverfahrens sei eine erneute Inanspruchnahme der Insg-Versicherung eröffnet (BSGE 90, 157 ff = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). Vielmehr wird für die Dauer der Planüberwachung der Zusammenhang mit dem vorangegangenen Insolvenzverfahren durch die fortbestehenden Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzverwalters, der Gläubigerversammlung und durch die Aufsicht des Insolvenzgerichts dokumentiert (vgl BSGE 100, 282 ff RdNr 14 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9).

18

Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Anspruch auf Insg dann neu entstehen kann, wenn zwischen dem ersten und zweiten Insolvenzereignis ein überwachter Insolvenzplan durchgeführt und ordnungsgemäß beendet worden ist (vgl Sächsisches LSG, Urteil vom 9.3.2011 - L 1 AL 241/06 - NZI 2011, 608 f; SG Karlsruhe, Urteil vom 8.5.2012 - S 16 AL 4404/10). Denn in dem hier zu entscheidenden Fall war die Planüberwachung bei Eintritt des weiteren Insolvenzereignisses gerade nicht ordnungsgemäß beendet (vgl zu der Problematik auch Frank/Heinrich, NZS 2011, 689).

19

Die Auslegung und Anwendung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III verstößt auch nicht gegen Vorgaben des europäischen Rechts(BSG, Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 10/11 R - DB 2013, 1916 f). Die Auslegung und Anwendung des § 183 Abs 1 S 1 SGB III zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein früher eingetretenes Insolvenzereignis beendet ist und ein neues eintreten kann, wird durch das europäische Recht nicht präjudiziert.

20

Nach Art 2 Abs 1 der RL 2008/94 gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgeschriebenen Gesamtverfahrens beantragt worden ist, das die Insolvenz des Arbeitgebers voraussetzt und den teilweisen oder vollständigen Vermögensbeschlag gegen diesen Arbeitgeber sowie die Bestellung eines Verwalters oder einer Person, die eine ähnliche Funktion ausübt, zur Folge hat, und wenn entweder die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde die Eröffnung des Verfahrens beschlossen oder festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen. Die Richtlinie knüpft also grundsätzlich an ein formelles Insolvenzereignis an und ermöglicht den Mitgliedstaaten nur die Zusammenfassung mehrerer formeller Insolvenzereignisse zu einem Gesamtverfahren, ordnet sie aber nicht an. Eine solche gesetzliche Regelung zur Zusammenfassung mehrerer formeller Insolvenzereignisse existiert im nationalen Recht aber gerade nicht (vgl hierzu BSGE 90, 157, 161 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 7; dazu auch: BR-Drucks 313/11, S 3 f, BT-Drucks 17/6853, S 18). Die europarechtliche Regelung schreibt auch nicht vor, dass und unter welchen Voraussetzungen ein bereits eingetretenes Insolvenzereignis arbeitsförderungsrechtlich abgeschlossen ist, um ein neues Insolvenzereignis annehmen zu können.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gilt

1.
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers,
2.
die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder
3.
die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.
Auch bei einem ausländischen Insolvenzereignis haben im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld.

(2) Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Als Arbeitsentgelt für Zeiten, in denen auch während der Freistellung eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht (§ 7 Absatz 1a des Vierten Buches), gilt der Betrag, der auf Grund der schriftlichen Vereinbarung zur Bestreitung des Lebensunterhalts im jeweiligen Zeitraum bestimmt war. Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer einen Teil ihres oder seines Arbeitsentgelts nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes umgewandelt und wird dieser Entgeltteil in einem Pensionsfonds, in einer Pensionskasse oder in einer Direktversicherung angelegt, gilt die Entgeltumwandlung für die Berechnung des Insolvenzgeldes als nicht vereinbart, soweit der Arbeitgeber keine Beiträge an den Versorgungsträger abgeführt hat.

(3) Hat eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen, besteht der Anspruch auf Insolvenzgeld für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses.

(4) Anspruch auf Insolvenzgeld hat auch der Erbe der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers.

(5) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einen Beschluss des Insolvenzgerichts über die Abweisung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels Masse dem Betriebsrat oder, wenn kein Betriebsrat besteht, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unverzüglich bekannt zu geben.

(1) Das Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse).

(2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295a gilt entsprechend. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung ordnet das Insolvenzgericht die Unwirksamkeit der Erklärung an.

(3) Der Schuldner hat den Verwalter unverzüglich über die Aufnahme oder Fortführung einer selbständigen Tätigkeit zu informieren. Ersucht der Schuldner den Verwalter um die Freigabe einer solchen Tätigkeit, hat sich der Verwalter unverzüglich, spätestens nach einem Monat zu dem Ersuchen zu erklären.

(4) Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist dem Gericht gegenüber anzuzeigen. Das Gericht hat die Erklärung und den Beschluss über ihre Unwirksamkeit öffentlich bekannt zu machen.

(1) Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über.

(2) Ein gegen den Schuldner bestehendes Veräußerungsverbot, das nur den Schutz bestimmter Personen bezweckt (§§ 135, 136 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), hat im Verfahren keine Wirkung. Die Vorschriften über die Wirkungen einer Pfändung oder einer Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung bleiben unberührt.

(1) Das Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse).

(2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295a gilt entsprechend. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung ordnet das Insolvenzgericht die Unwirksamkeit der Erklärung an.

(3) Der Schuldner hat den Verwalter unverzüglich über die Aufnahme oder Fortführung einer selbständigen Tätigkeit zu informieren. Ersucht der Schuldner den Verwalter um die Freigabe einer solchen Tätigkeit, hat sich der Verwalter unverzüglich, spätestens nach einem Monat zu dem Ersuchen zu erklären.

(4) Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist dem Gericht gegenüber anzuzeigen. Das Gericht hat die Erklärung und den Beschluss über ihre Unwirksamkeit öffentlich bekannt zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 75/11
Verkündet am:
9. Februar 2012
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Gibt der Insolvenzverwalter das Vermögen des Schuldners aus einer selbständigen
Tätigkeit frei, können auf die selbständige Tätigkeit bezogene vertragliche
Ansprüche von Gläubigern, die nach dem Zugang der Erklärung beim Schuldner
entstehen, nur gegen den Schuldner und nicht gegen die Masse verfolgt werden.
Versäumt der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung die Kündigung eines
von dem Schuldner begründeten Dauerschuldverhältnisses, trifft ihn eine Schadensersatzpflicht
nur für solche Verbindlichkeiten, die nach dem Zeitpunkt entstehen
, zu dem bei einer frühestmöglichen Kündigungserklärung der Vertrag geendet
hätte.
BGH, Urteil vom 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - OLG Dresden
LG Leipzig
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Februar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und den Richter
Dr. Fischer

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 4. Mai 2011 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 23. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittel fallen der Klägerin zur Last.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Beklagte zu 1 ist Verwalter in dem über das Vermögen des K. (nachfolgend: Schuldner) am 20. Januar 2009 eröffneten Insolvenzverfahren.
2
Die Klägerin vermietete dem Schuldner durch Vertrag vom 5./9. März 1998 für eine Miete in Höhe von zuletzt 420,07 € in L. gelegene Räumlichkeiten , in denen der Schuldner eine Autoreparaturwerkstatt betreibt. Am 19. Februar 2009 gab der Beklagte zu 1 durch Erklärung gegenüber dem Schuldner das Vermögen aus dessen freiberuflicher Tätigkeit frei. Von dieser Maßnahme setzte der Beklagte zu 1 das Insolvenzgericht mit Schreiben vom 27. Februar 2009 in Kenntnis.
3
Nachdem die Klägerin wegen rückständiger Miete am 24. September 2009 einen Mahnbescheid gegen den Schuldner erwirkt hatte, unterrichtete sie der Beklagte zu 1 am 8. Oktober 2009 über das gegen den Schuldner eröffnete Insolvenzverfahren. Mit Rücksicht auf die von der Klägerin als Masseverbindlichkeit beanspruchte laufende Miete kündigte der Beklagte zu 1 das Mietverhältnis durch Schreiben vom 16. Oktober 2009 ordentlich sowie hilfsweise außerordentlich. Der Beklagte zu 1 zeigte am 24. Februar 2010 Masseunzulänglichkeit an.
4
Die Klägerin, nach deren Auffassung das Mietverhältnis infolge der Kündigung des Beklagten zu 1 zum 30. Juni 2010 endete, begehrt gegenüber dem Beklagten zu 1 als Insolvenzverwalter die Feststellung der laufenden Miete vom 20. Januar 2009 bis zum 24. Februar 2010 in Höhe von 5.563,38 € als Masseverbindlichkeit sowie die Zahlung der laufenden Miete vom 25. Februar 2010 bis zum 30. Juni 2010 in Höhe von 1.740,28 € als Neumasseverbindlichkeit. Ferner nimmt sie den Beklagten zu 2 persönlich im Wege des Schadensersatzes auf Zahlung der offenen Miete über insgesamt 7.303,73 € in Anspruch.
5
Das Landgericht hat der Klage lediglich dahin stattgegeben, dass der Beklagte zu 1 verpflichtet ist, die Miete für den Zeitraum vom 20. Januar 2009 bis einschließlich 19. Februar 2009 in Höhe von 447,54 € als Altmasseverbindlichkeit gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO festzustellen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass der Beklagte zu 1 verpflichtet ist, an die Klägerin 5.563,38 € zu zahlen, ferner hat es den Beklagten zu 1 ver- urteilt, an die Klägerin die laufende Miete für den Zeitraum vom 25. Februar 2010 bis 30. Juni 2010 in Höhe von 1.740,28 € als Neumasseverbindlichkeit zu bezahlen. Den Beklagten zu 2 hat es verurteilt, an die Klägerin 2.470,72 € zu bezahlen. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Begehren auf Zurückweisung der Berufung der Klägerin weiter.

Entscheidungsgründe:


6
Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.

I.


7
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, zwar fehle für eine Zahlungsklage, die auf die Begleichung von Neumasseverbindlichkeiten gerichtet sei, das Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine die Verfahrenskosten deckende Masse nicht vorhanden sei. Diese Feststellung könne vorliegend aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit getroffen werden.
8
In der Sache meint das Berufungsgericht, die Negativerklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO führe nicht dazu, dass Verbindlichkeiten aus einem bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Mietverhältnis für die Zeit nach der Freigabe ohne die Notwendigkeit einer Kündigung ihren Charakter als Masseverbindlichkeiten verlören. Zu dem Vermögen, das aus der Insolvenzmasse ausscheide, gehöre nach dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO lediglich dasjenige Vermögen, das der Schuldner nach Verfahrenseröffnung aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit erwerbe. Die Erklärung sei nach ihrem Wortlaut und Regelungszusammenhang nur auf die Zuordnung des Neuerwerbs des Schuldners zu beziehen, gebiete indessen nicht die Herauslösung des vollständigen, der selbständigen Tätigkeit des Schuldners gewidmeten Vermögens. Die Vorschrift des § 35 Abs. 2 InsO wolle verhindern, dass die von dem Schuldner für den Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse zu begleichen seien. Von dieser Zielsetzung sei dagegen nicht die Zuordnung des gesamten der Erwerbstätigkeit gewidmeten Schuldnervermögens gedeckt. Sinn und Zweck der Regelung rechtfertigten nicht, die Insolvenzmasse unabhängig von den Bestimmungen der §§ 108 f InsO von der Haftung für Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen freizustellen. Der Erklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO könne nicht die Wirkung einer Erklärung nach § 109 Abs. 1 InsO zugesprochen werden, weil Empfänger dieser Erklärung der Vermieter sei, der sich auf die Beendigung des Mietverhältnisses einstellen könne. Vor diesem Hintergrund verbleibe es für den Zeitraum vom 20. Januar 2009 bis zum 30. Juni 2010 bei einer Verpflichtung der Masse.
9
Der Anspruch gegen den Beklagten zu 2 auf Zahlung von 2.470,72 € ergebe sich aus § 61 InsO. Der Beklagte zu 2 habe eine Masseverbindlichkeit begründet, weil er es unterlassen habe, von seinem Sonderkündigungsrecht nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO Gebrauch zu machen. Da eine Kündigung frühestens zum 30. April 2009 möglich gewesen sei, erstrecke sich die Schadensersatzpflicht auf die danach bis zum Wirksamwerden der ordentlichen Kündigung am 30. Juni 2010 entstandenen Mietzahlungsansprüche.

II.


10
Der rechtlichen Würdigung des Berufungsgerichts kann in der Sache nicht beigetreten werden. Der Klägerin stehen gegen den Beklagten zu 1 aufgrund der von ihm gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO abgegebenen Freigabeerklärung lediglich die von dem Landgericht bis zur Erteilung dieser Erklärung am 19. Februar 2009 zuerkannten Mietforderungen als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2, § 108 Abs. 1 Satz 1, § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO) zu. Für einen wegen der Nichterfüllung einer Masseverbindlichkeit auf § 61 InsO gestützten Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu 2 ist kein Raum.
11
1. Der von der Klägerin gegen den Beklagten zu 1 verfolgte Zahlungsantrag für die Miete vom 25. Februar 2010 bis 30. Juni 2010 als Neumasseverbindlichkeit ist entgegen der Auffassung der Revision zulässig.
12
Nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist die Leistungsklage eines Neumassegläubigers (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO) gegen den Insolvenzverwalter unzulässig, wenn er aus der freien Masse nicht befriedigt werden kann, ohne dass daneben die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt sind (BGH, Urteil vom 13. April 2006 - IX ZR 22/05, BGHZ 167, 178 Rn. 25 ff). Das Berufungsgericht vermochte auf der Grundlage des Beklagtenvorbringens nicht festzustellen , dass eine die Verfahrenskosten deckende Masse nicht vorhanden ist. Diese tatbestandliche Feststellung (§ 314 ZPO) ist mangels eines von dem Beklagten zu 1 gestellten Tatbestandsberichtigungsantrags für das Revisionsverfahren bindend (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 - IX ZR 206/08, WM 2010, 136 Rn. 11).
13
2. Die Klägerin kann nach Abgabe der Erklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO durch den Beklagten zu 1 die gegen den Schuldner im Zeitraum vom 20. Februar 2009 bis 30. Juni 2010 begründeten Mietforderungen nicht als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2, § 108 Abs. 1 Satz 1, § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO) verfolgen. Neben der Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erforderte die Enthaftung der Masse nicht außerdem die Kündigung des Mietverhältnisses des Schuldners zu der Klägerin durch den Beklagten zu 1.
14
a) Übt der Schuldner als natürliche Person eine selbständige Tätigkeit aus, kann der Insolvenzverwalter gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erklären, dass Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Der Gesetzgeber trägt mit dieser Regelung dem Interesse des Schuldners Rechnung, sich durch eine gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit eine neue wirtschaftliche Existenz zu schaffen (BTDrucks. 16/3227, S. 17). Zu diesem Zweck soll dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet werden, außerhalb des Insolvenzverfahrens einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen. Es handelt sich um eine Art Freigabe des Vermögens, welches der gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2011 - IX ZB 175/10, WM 2011, 1344 Rn. 7). Das gesetzliche Regelungsmodell geht dahin, einerseits die aus seiner fortgesetzten gewerblichen Tätigkeit erzielten Einkünfte des Schuldners den (Neu-)Gläubigern, die nach Verfahrenseröffnung mit dem Schuldner kontrahiert haben, als selbständige Haftungsmasse zur Verfügung zu stellen und andererseits die Masse des bereits eröffneten Verfahrens von Verbindlichkeiten des Schuldners aus seiner weiteren gewerblichen Tätigkeit freizustellen (BT-Drucks., aaO).
15
b) In Rechtsprechung und Schrifttum wird kontrovers beurteilt, gegen wen nach einer Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters Forderungen aus von dem Schuldner vor Insolvenzeröffnung begründeten und im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit fortgesetzten Dauerschuldverhältnissen geltend gemacht werden können. Teils wird - in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht - angenommen, dass Verbindlichkeiten aus den von dem Schuldner eingegangenen Dauerschuldverhältnissen auch nach einer Freigabeerklärung bis zu einer wirksamen Kündigung durch den Insolvenzverwalter die Masse treffen (Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl., § 35 Rn. 101; HK-InsO/Eickmann, 6. Aufl., § 35 Rn. 59; FK-InsO/Schumacher, 6. Aufl., § 35 Rn. 20; BK-InsO/Amelung/ Wagner, § 35 Rn. 139; Wischemeyer/Schur, ZInsO 2007, 1240, 1242 ff; Gutsche, ZVI 2008, 41, 44 ff; Berger, ZInsO 2008, 1101, 1107; Smid DZWiR 2008, 133, 140 f; Wischemeyer, ZInsO 2009, 937, 942 f; 2009, 2121, 2124 f). Die wohl überwiegende Meinung geht demgegenüber davon aus, dass kraft der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen ohne die Notwendigkeit weiterer, insbesondere auf eine Vertragskündigung gerichteter Erklärungen des Insolvenzverwalters nur noch gegen den Schuldner und nicht mehr gegen die Masse durchgesetzt werden können (LG Krefeld, NZI 2010, 485 f; ArbG Berlin, ZIP 2010, 1914; HmbKomm-InsO/Lüdtke, 3. Aufl., § 35 Rn. 262, 263; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2007, § 35 Rn. 114, 115; Braun/Bäuerle, InsO, 4. Aufl., § 35 Rn. 84; Smid/Leonhardt in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, 3. Aufl., § 35 Rn. 36; Pannen/Riedemann, NZI 2006, 193, 196; Ahrens, NZI 2007, 622, 624 f; Haarmeyer, ZInsO 2007, 696, 697; Holzer, ZVI 2007, 289, 292; Heinze ZVI 2007, 349, 354 f; Zipperer, ZVI 2007, 541, 542; Ries, ZInsO 2009, 2030, 2033 f; Stiller, ZInsO 2010, 1374 ff).
16
3. Zutreffend ist die zuletzt angeführte Auffassung.
17
a) Bereits den Gesetzesmaterialien ist - wie auch Vertreter der Gegenansicht einräumen (Uhlenbruck/Hirte, aaO) - zu entnehmen, dass Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, die nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners durch den Insolvenzverwalter entstehen, unabhängig von einer Kündigungserklärung nicht mehr dem Insolvenzverfahren unterliegen und auf den Schuldner übergeleitet werden.
18
aa) Der Gesetzgeber hat ausdrücklich angenommen, dass die Freigabe des Vermögens aus der selbständigen Tätigkeit damit verbundene Vertragsverhältnisse einschließt. Diese Rechtsfolge entspricht zudem allein Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.
19
(1) Die Bestimmung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO soll dem Schuldner nach der Vorstellung des Gesetzgebers ermöglichen, im Einverständnis mit dem Insolvenzverwalter eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen oder fortzusetzen. Die Freigabe erstreckt sich folgerichtig auf das Vermögen des Schuldners , das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, "einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse" (BT-Drucks., aaO; vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2011, aaO; HmbKomm-InsO/Lüdtke, aaO, § 35 Rn. 262). Die freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO betrifft demnach im Unterschied zu der in § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO als zulässig vorausgesetzten echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten (BT-Drucks., aaO, S. 26 f). Die Freigabe verwirklicht sich ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Erklärungen bereits mit dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner (Haarmeyer, aaO, S. 697; Ries, aaO, S. 2033; HmbKomm-InsO/Lüdtke, aaO, § 35 Rn. 257). Allein die Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zerschneidet das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbstän- digen Tätigkeit (vgl. Holzer, ZVI 2007, 289, 292; Haarmeyer, aaO) und leitet die der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners über (vgl. Zipperer, aaO).
20
(2) Die endgültige Fassung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO beruht auf einem Änderungsvorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages. Im Unterschied zu dem in dem Regierungsentwurf dem Insolvenzverwalter durch das Tatbestandsmerkmal "kann" eingeräumten Ermessen, sich zu einer selbständigen Tätigkeit des Schuldners zu erklären, sieht der Wortlaut des § 35 Abs. 1 Satz 1 InsO durch den anstelle von "kann" eingefügten Begriff "hat" nunmehr ausdrücklich vor, dass der Insolvenzverwalter eine Erklärung abgeben muss, ob Vermögen aus einer selbständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört oder nicht. Der Rechtsausschuss befürchtete, im Falle der bloßen Duldung einer selbständigen Tätigkeit durch den sich einer Erklärung enthaltenden Insolvenzverwalter könnten Zweifel hinsichtlich der grundsätzlichen Entstehung von Masseverbindlichkeiten und deren Höhe aufkommen. Durch die Verpflichtung zur Abgabe einer Erklärung soll demgegenüber zweifelsfrei klargestellt werden, ob im Rahmen der selbständigen Tätigkeit des Schuldners begründete Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten darstellen oder nicht (BT-Drucks. 16/4194, S. 14). Auf diese Weise hat der Gesetzgeber im Zuge seiner Beratung abermals zum Ausdruck gebracht, dass bereits allein der Inhalt der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters darüber entscheidet, ob aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners weitere Masseverbindlichkeiten erwachsen.
21
bb) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht im Anschluss an eine Stellungnahme des Schrifttums (Wischemeyer, ZInsO 2009, 2121, 2124; siehe aber Wischemeyer/Schur, ZInsO 2007, 1240, 1242), der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers zur Freigabe auch beste- hender Vertragsverhältnisse habe im Wortlaut des § 35 Abs. 2 Satz 1 keinen hinreichenden Ausdruck gefunden.
22
Bei der Auslegung dieser Vorschrift ist zu berücksichtigen, dass die Befugnis des Insolvenzverwalters, einzelne Vermögensbestandteile aus dem Insolvenzbeschlag zu Gunsten des Schuldners freizugeben, seit jeher auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung anerkannt war (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2005 - IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32, 34 mwN; BT-Drucks., aaO; Holzer, aaO). Während sich die gewohnheitsrechtlich gebilligte Freigabe auf bestimmte Vermögensgegenstände bezieht (BT-Drucks., aaO), erfasst die Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten (BT-Drucks., aaO, S. 26 f). Da die in § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO geregelte Freigabe im Unterschied zur Freigabe einzelner Vermögensgegenstände umfassender Natur ist, bestehen keine Bedenken, die in § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO gestattete Freigabe von "Vermögen aus einer selbständigen Tätigkeit“ auch auf bestehende Vertragsverhältnisse zu erstrecken (vgl. Stiller, aaO, S. 1375 f).
23
cc) Soweit der Gesetzgeber hinsichtlich der Rechtsfolgen der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 die Regelung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO anführt (BT-Drucks., aaO, S. 17), kann daraus entgegen Äußerungen des Schrifttums (Uhlenbruck/Hirte, aaO, § 35 Rn. 101; Wischemeyer/Schur, aaO, S. 1242 f; Gutsche, aaO, S. 44 ff) nicht die Notwendigkeit einer zusätzlichen Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters zum Zweck der Beendigung von Dauerschuldverhältnissen mit Wirkung für die Masse hergeleitet werden.
24
Durch den Hinweis auf § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Gesetzgeber lediglich beispielhaft die auch in anderem Zusammenhang bestehende Möglichkeit einer Enthaftung der Insolvenzmasse betont, aber gerade nicht die dort geregelten Kündigungsfristen für verbindlich erklärt. Tatsächlich ergibt sich aus § 35 Abs. 3 Satz 1 und 2 InsO, wonach die Erklärung des Insolvenzverwalters dem Gericht anzuzeigen und von diesem öffentlich bekannt zu machen ist, die Entbehrlichkeit auf eine Vertragsbeendigung gerichteter Kündigungserklärungen. Die Freigabe tritt zwar - wie dargelegt - ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Erklärungen bereits mit dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner ein. Folglich ist die anschließende Veröffentlichung der Freigabeerklärung keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Freigabe und rein deklaratorischer Natur (HmbKomm-InsO/Lüdtke, aaO; § 35 Rn. 268; Haarmeyer, aaO, S. 698). Die Bekanntmachung der Freigabeerklärung erleichtert vielmehr den Nachweis, dass der Verwalter hinsichtlich des Vermögens aus der selbständigen Tätigkeit endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verzichtet hat, und informiert die Neugläubiger und allgemein den Geschäftsverkehr , dass die Masse nicht für die Verbindlichkeiten aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners haftet (BT-Drucks., aaO). Bei Verfahrensbeteiligten und Dritten können mithin keine Unklarheiten im Zusammenhang mit den durch den Schuldner im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit abgegebenen Erklärungen auftreten (BT-Drucks. 16/4196, aaO). Dient die Bekanntmachung dem Zweck, die Gläubiger zeitnah darüber zu unterrichten, dass die Masse für Verbindlichkeiten des Schuldners aus seiner selbständigen Tätigkeit nicht mehr haftet (Smid/Leonhardt, aaO, § 35 Rn. 44), bedarf es keiner weiteren auf die Beendigung von Vertragsverhältnissen gerichteten Erklärungen des Insolvenzverwalters. Nach Sinn und Zweck der Regelung haben die Anzeige gegenüber dem Insolvenzgericht und die Veröffentlichung unverzüglich zu erfolgen. Verzögerungen können Schadensersatzansprüche des Gläubigers begründen.
25
b) Nur eine solche Auslegung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO, derzufolge bereits aufgrund der Freigabeerklärung die mit der selbständigen Tätigkeit in Zusammenhang stehenden Vertragsverhältnisse unter Vermeidung einer Kündigung auf den Schuldner übergehen, trägt den Belangen der Beteiligten angemessen Rechnung und schafft in der gebotenen Klarheit den rechtlichen Rahmen für die Aufnahme oder Fortsetzung einer selbständigen Tätigkeit des Schuldners.
26
aa) Zur Wahrnehmung einer selbständigen Tätigkeit ist der Schuldner auf den Fortbestand bestimmter Dauerschuldverhältnisse wie insbesondere Miet-, Pacht- oder Dienstverträge (vgl. Berger, aaO, S. 1107) zwingend angewiesen. Die Vorschrift des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO verleiht dem Insolvenzverwalter die Gestaltungsmacht, derartige Dauerschuldverhältnisse, die er im Interesse der Gläubigergemeinschaft zur Verringerung der Masseverbindlichkeiten andernfalls kündigen müsste, zu Gunsten des einer selbständigen Tätigkeit nachgehenden Schuldners freizugeben (Braun/Bäuerle, aaO). Müsste der Insolvenzverwalter die von Gläubigern mit dem Schuldner geschlossenen Verträge zur Verwirklichung einer Enthaftung der Masse kündigen, wäre nicht erklärlich , inwieweit der Schuldner aus diesen Verträgen zum Zweck der Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit gegenüber den Vertragspartnern Rechte herleiten könnte. Nach einer wirksamen Kündigung durch den Insolvenzverwalter würden sich die Vertragspartner des Schuldners wegen dessen Insolvenz vielfach nicht entschließen, mit ihm neue Vertragsbeziehungen anzuknüpfen. Damit würden dem Schuldner die für eine Fortführung seiner Tätigkeit unentbehrlichen Betriebsgrundlagen entzogen (HmbKomm-InsO/Lüdtke, aaO, § 35 Rn. 263; Heinze, aaO, S. 354; Stiller, aaO, S. 1375).
27
bb) Die mit der Freigabeerklärung verbundene allgemeine Überleitung der Vertragsverhältnisse von der Masse auf den Schuldner ermöglicht eine klare Abgrenzung der die Masse und der den Schuldner treffenden, aus der selbständigen Tätigkeit herrührenden Verbindlichkeiten. Da die Freigabeerklärung mit dem Zugang an den Schuldner wirksam wird, sind danach entstehende Verbindlichkeiten allein gegen ihn zu verfolgen.
28
(1) Sofern der Insolvenzverwalter das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners freigibt, können die Neugläubiger, die nach der Freigabeerklärung Forderungen gegen den Schuldner erworben haben, auf die ab diesem Zeitpunkt durch die selbständige Tätigkeit erwirtschafteten Vermögenswerte des Schuldners als eigenständige Haftungsmasse zugreifen. Den Altgläubigern ist hingegen gemäß § 89 InsO eine Vollstreckung in diese Vermögensgegenstände verwehrt (BT-Drucks. 16/3227, S. 17; HmbKomm-InsO/ Lüdtke, aaO, § 35 Rn. 258). Wird dem Schuldner eine selbständige Tätigkeit gestattet, kann überdies - wie der Senat durch Beschluss vom 9. Juni 2011 entschieden hat (IX ZB 175/10, WM 2011, 1344, Rn. 7 ff) - auf Antrag eines Neugläubigers ein auf dieses Vermögen beschränktes zweites Insolvenzverfahren gegen den Schuldner eröffnet werden. Die von dem Schuldner aus der selbständigen Tätigkeit von der Freigabeerklärung an erzielten Einkünfte stehen den Gläubigern, deren Forderungen erst nach der Freigabeerklärung entstanden sind, als Haftungsmasse zur Verfügung (BGH, aaO, Rn. 7). Der Neuerwerb haftet während des eröffneten (Erst-)Verfahrens nur den Neugläubigern, nicht den (Alt-)Insolvenzgläubigern (BGH, aaO, Rn. 11).
29
(2) Mit Rücksicht sowohl auf die Befugnis einer Vollstreckung allein der Neugläubiger in die durch die selbständige Tätigkeit des Schuldners geschaffene Haftungsmasse als auch die Möglichkeit der Eröffnung eines Insolvenzver- fahrens über diese Haftungsmasse im Interesse der Neugläubiger bedarf es einer eindeutigen Abgrenzung, inwieweit Gläubiger ihre Verbindlichkeiten entweder gegen die Altmasse oder den Schuldner beziehungsweise die Masse eines Zweitinsolvenzverfahrens zu verfolgen haben. Die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO ermöglicht die im Interesse der Rechtssicherheit gebotene klare Unterscheidung.
30
Wird dem Schuldner die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit eröffnet, so ist zu berücksichtigen, dass der Schuldner zum Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz regelmäßig eine Vielzahl von Verträgen schließen muss. Soweit derartige Verträge, die vor Insolvenzeröffnung vereinbart wurden und mit der Eröffnung nicht in Wegfall geraten sind, im Zuge der selbständigen Tätigkeit von dem Schuldner fortgesetzt werden sollen, kann nicht auf eine klare zeitliche Zäsur verzichtet werden, wann Rechte und Pflichten von der Masse auf den Schuldner übergehen. Da es sich dabei regelmäßig um ein Bündel von Rechtsbeziehungen handelt, wäre es kaum praktikabel, auf die dem Insolvenzverwalter im Rahmen der §§ 103 ff InsO eröffneten, höchst unterschiedlich ausgestalteten Lösungsrechte abzustellen. Bei diesem Verständnis würde § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO weitgehend seiner Funktion beraubt, einen einheitlichen Übergang des der selbständigen Tätigkeit dienenden Vermögens einschließlich der darauf bezogenen Vertragsverhältnisse von der Masse auf den Schuldner zu bewirken. Vielmehr werden Unklarheiten weitgehend vermieden, indem kraft der mit dem Zugang bei dem Schuldner wirksam werdenden Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters sämtliche noch fortbestehenden, der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse und daraus sich ergebende Verbindlichkeiten auf den Schuldner übergeleitet werden (vgl. Ries, aaO, S. 2033 f). Die Anknüpfung an den Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner gestattet insoweit eine eindeutige zeitliche Differenzierung.

31
(3) Würden Vertragsverhältnisse erst nach Ablauf einer Kündigungsfrist auf den Schuldner übergehen, wäre der Insolvenzverwalter zwecks Entlastung der Masse von den zwischenzeitlich entstehenden Verbindlichkeiten gehalten, vor der Freigabe mit dem Schuldner eine Nutzungsvereinbarung zu schließen (vgl. Stiller, aaO, S. 1375). Käme der Schuldner seiner Zahlungspflicht nicht nach und würde im Blick auf seine selbständige Tätigkeit ein weiteres Insolvenzverfahren eröffnet, würde die Erstmasse als Gläubigerin an diesem Verfahren teilnehmen. Dann würde das an die Freigabe der selbständigen Tätigkeit geknüpfte Vertrauen der Neugläubiger beeinträchtigt, nicht in eine Konkurrenz mit Ansprüchen der Altmasse treten zu müssen. Auch diese Verfahrenskomplikation wird vermieden, wenn die Vertragsverhältnisse mit Zugang der Freigabeerklärung auf den Schuldner übergehen.

III.


32
Schadensersatzansprüche der Klägerin aus § 61 InsO wegen der Nichterfüllung einer Masseverbindlichkeit sind gegen den Beklagten zu 2 nicht begründet.
33
1. Die Regelung des § 61 InsO eröffnet zu Gunsten von Vertragsgläubigern einen Schadensersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter, der durch den Abschluss von Verträgen Verbindlichkeiten eingeht, obwohl diese - wie er erkennen kann - aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden können. Die Ersatzpflicht greift auch ein, wenn der Insolvenzverwalter eine rechtlich zulässige Kündigung von Dauerschuldverhältnissen versäumt (HK-InsO/Lohmann, aaO, § 61 Rn. 3; HmbKomm-InsO/Weitzmann, aaO, § 61 Rn. 7). In diesem Fall kommt eine Ersatzpflicht aber nur für die Verbindlichkeiten in Betracht, die nach dem Zeitpunkt entstehen, zu dem bei einer frühestmöglichen Kündigungserklärung der Vertrag geendet hätte (HK-InsO/Lohmann, aaO, § 61 Rn. 8; HmbKomm -InsO/Weitzmann, aaO; Uhlenbruck/Sinz, aaO, § 61 Rn. 6; vgl. auch BGH, Urteil vom 3. April 2003 - IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358, 364).
34
2. Im Streitfall ist lediglich die im Zeitraum der Verfahrenseröffnung am 20. Januar 2009 bis zum Wirksamwerden der Freigabeerklärung am 20. Februar 2009 entstandene Mietforderung über 447,54 € als Masseforderung offen geblieben. Der Beklagte zu 2 hätte das Mietverhältnis zu der Klägerin nach Verfahrenseröffnung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO mangels einer anderweitigen mietvertraglichen Abrede nur mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende kündigen können. Bei dieser Sachlage scheidet eine Ersatzpflicht des Beklagten zu 2 aus, weil die offene Forderung der Klägerin auch bei sofortiger Ausübung des Kündigungsrechts wegen der zu beachtenden Kündigungsfrist nicht vermeidbar war.

IV.


35
Auf die begründete Revision der Beklagten ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da es keiner weiteren Feststellungen bedarf, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts zurückweisen (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Fischer
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 23.06.2010 - 1 O 359/10 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 04.05.2011 - 13 U 1007/10 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 165/12
Verkündet am:
18. April 2013
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die Vorausabtretung künftiger, nach Verfahrenseröffnung entstehender Forderungen
erlangt infolge Konvaleszenz ihre Wirksamkeit zurück, wenn diese aus einer durch
den Insolvenzverwalter freigegebenen selbständigen Tätigkeit des Schuldners herrühren.
BGH, Urteil vom 18. April 2013 - IX ZR 165/12 - OLG Hamburg
LG Hamburg
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. April 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter
Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 22. Juni 2012 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Kläger, ein selbständiger Facharzt für Orthopädie, trat der beklagten Bank zur Sicherung eines ihm gewährten Darlehens im Jahre 1997 die im Rahmen seines Praxisbetriebs gegen die K. V. (nachfolgend: KV) entstehenden Forderungen ab. Am 22. April 2010 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter gab durch Erklärung vom 28. April 2010 gegenüber dem Kläger das Vermögen aus dessen selbständiger Tätigkeit mit Wirkung "zum Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens" frei.
2
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er Inhaber der von ihm seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die KV erworbenen Ansprüche sei. Die Klage ist in den Vorinstanzen abgewiesen worden. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:


3
Die Revision ist nicht begründet.

I.


4
Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, der Kläger habe die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die KV erworbenen Forderungen infolge der Globalzession wirksam an die Beklagte abgetreten. Zwar habe die Beklagte an Vergütungsforderungen aus nach Verfahrenseröffnung zu erbringenden Behandlungen gemäß § 91 Abs. 1 InsO keine Rechte zu Lasten der Masse erwerben können. Die Verfügung sei jedoch nicht als unwirksam zu erachten; vielmehr sei lediglich das Einziehungsrecht gemäß § 166 Abs. 2 InsO auf den Insolvenzverwalter übergegangen. Durch die negative Freigabeerklärung sei der aus der selbständigen Tätigkeit erzielte Neuerwerb massefrei geworden. Deshalb sei die Beklagte als Altgläubigerin nicht mehr den nur innerhalb des Insolvenzverfahrens geltenden Beschränkungen der §§ 166 ff InsO unterworfen.
5
Diese Auslegung stehe in Einklang mit dem Gesetzeszweck des § 35 Abs. 2 InsO. Der Beklagten sei zwar als Altgläubigerin gemäß § 89 InsO eine Vollstreckung in die nach Freigabe durch den Schuldner erwirtschaftete eigenständige Haftungsmasse verwehrt. Als Absonderungsberechtigte (§ 51 Nr. 1, § 50 InsO) sei die Beklagte indessen von dem Vollstreckungsverbot des § 89 InsO nur hinsichtlich ihrer Forderung betroffen. Dies gelte jedoch nicht für die Verwertung einer Sicherheit, um die es sich bei den im Voraus abgetretenen Forderungen handele. Deswegen ergebe sich kein Wertungswiderspruch zu dem gesetzgeberischen Zweck, das durch die selbständige Tätigkeit erwirtschaftete Vermögen des Schuldners den Neugläubigern vorzubehalten.

II.


6
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.
7
1. Die Klage ist zulässig.
8
a) Das Feststellungsbegehren erfasst sämtliche ab Verfahrenseröffnung zugunsten des Klägers gegen die KV begründeten Forderungen.
9
Die Freigabe nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO verwirklicht sich mit dem Zugang der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters bei dem Schuldner (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322 Rn. 19, 24). Im Streitfall ist die Freigabe von dem Insolvenzverwalter durch Schreiben vom 28. April 2010 gegenüber dem Schuldner verlautbart worden. Gleichwohl ist für die hier in Rede stehenden Forderungen nicht auf den Zeitpunkt des Zugangs dieses Schreibens abzustellen, weil der Insolvenzverwalter die Freigabe ausdrücklich mit Wirkung auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilt hat. Demgemäß hat der Insolvenzverwalter dem Schuldner für den Zeitraum ab Verfahrenseröffnung bis Wirksamwerden der Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO für die bis dahin entstandenen Forderungen eine an keine zeitlichen Voraussetzungen geknüpfte Einzelfreigabe erteilt (vgl. BGH, aaO Rn. 19).

10
b) Die Prozessführungsbefugnis des Schuldners unterliegt keinen Bedenken.
11
aa) Die Partei- und Prozessfähigkeit des Schuldners (§§ 50, 51 ZPO) wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2008 - IX ZB 232/08, WM 2009, 332 Rn. 7). Da dem Schuldner durch die Insolvenzeröffnung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO). entzogen wird, geht die Prozessführungsbefugnis für massezugehöriges Vermögen von dem Schuldner auf den Verwalter über (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2008 - V ZB 3/08, WM 2008, 1789 Rn. 8; vom 11. Dezember 2008, aaO; HK-InsO/Kayser, 6. Aufl., § 80 Rn. 23; HmbKomm-InsO/Kuleisa, 4. Aufl., § 80 Rn. 40; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 80 Rn. 9; Piekenbrock in Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 80 Rn. 18).
12
Der Schuldner verliert durch die Verfahrenseröffnung die Prozessführungsbefugnis gegenständlich beschränkt auf das insolvenzbefangene Vermögen. Seine Prozessführungsbefugnis wird dagegen nicht beschnitten, falls ein Rechtsstreit von vornherein oder nach einer Freigabe durch den Verwalter insolvenzfreies Vermögen betrifft (HK-InsO/Kayser, aaO § 80 Rn. 23; HmbKommInsO /Kuleisa, aaO § 80 Rn. 40; Uhlenbruck, aaO § 80 Rn. 9). Bezieht sich der Gegenstand des Rechtsstreits auf freies Vermögen des Schuldners, kann dieser ihn in Ausübung seiner insoweit nicht beeinträchtigten Prozessführungsbefugnis betreiben (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1965 - Ia ZR 144/63, NJW 1966, 51; BVerwG, ZIP 2009, 1899 Rn. 23). Darum ist der Schuldner etwa befugt, nach Freigabe eines Vermögensgegenstandes durch den Verwalter die sich aus § 89 InsO ergebenden Rechte während des laufenden Insolvenzverfahrens geltend zu machen (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2009 - IX ZB 112/06, WM 2009, 807). Folgerichtig fällt ein nach Erklärung der Freigabe im Prozessweg erstrittener Vermögenswert nicht in die Masse (BGH, Urteil vom 21. April 2005 - IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32, 37). Die Freigabe führte hier dazu, dass der Schuldner die Verfügungsbefugnis über die aus seiner selbständigen Tätigkeit entstehenden Forderungen wiedererlangte (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 2010 - VI ZR 257/08, NJW 2010, 3779 Rn. 10). Bei dieser Sachlage begegnet seine Prozessführungsbefugnis keinen Bedenken.
13
bb) Zu Unrecht macht der Kläger wegen eines vermeintlichen Missverhältnisses der von ihm gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2, § 295 Abs. 2 InsO monatlich an den Verwalter aus seiner selbständigen Tätigkeit zu leistenden Zahlung über 200 € und der an die Beklagte monatlich abgetretenen Forderungen in Höhe von 2.250 € eine Insolvenzzweckwidrigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - IX ZR 172/11, WM 2013, 471 Rn. 8 ff) und damit Unwirksamkeit der Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit durch den Verwalter geltend. Gleiches gilt, soweit der Schuldner beanstandet, das mit einem Wert von 5.000 € bemessene Praxisinventar vereinbarungsgemäß durch Zahlungen an den Verwalter von monatlich 250 € ablösen zu müssen.
14
Wesentliche Voraussetzung des an den Grundsätzen zum Missbrauch der Vertretungsmacht orientierten Unwirksamkeitsgrundes der Insolvenzzweckwidrigkeit ist der offensichtliche, ohne weiteres erkennbare Verstoß gegen die Aufgaben eines Insolvenzverwalters. Der Schutz des Rechtsverkehrs gebietet es, nicht jede für die Masse nachteilige Rechtshandlung des Verwalters als unwirksam anzusehen. Mit der Nichtigkeitssanktion können deshalb nur solche Maßnahmen belegt werden, die dem Insolvenzzweck offensichtlich zuwider laufen (BGH, aaO Rn. 9). Aufgrund der Verweisung des § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO auf § 295 Abs. 2 InsO hat der Schuldner nach einer Freigabe das fiktive pfändbare Einkommen abzuführen, das er entsprechend seiner beruflichen Qualifikation in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis erzielen würde (BTDrucks. 16/3227, S. 17). Die Masse profitiert nach dem Inhalt der Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 2, § 295 Abs. 2 InsO gerade nicht von einem wirtschaftlichen Erfolg der selbständigen Tätigkeit des Schuldners (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - IX ZB 165/11, WM 2013, 579 Rn. 7; Weinland in Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, 2012, § 295 Rn. 45). Bilden die Einkünfte einer unselbständigen und nicht der tatsächlich ausgeübten freiberuflichen Tätigkeit die Bemessungsgrundlage für die zugunsten der Masse abzuführende Zahlung, erweist sich die Anordnung einer Abführung von 200 € monatlich mit Rücksicht auf die an angestellte Ärzte geleistete Vergütung jedenfalls nicht als evident insolvenzzweckwidrig. Soweit der Kläger mit dem Beklagten vereinbart hat, das Praxisinventar für 250 € monatlich zu übernehmen, scheidet ebenso eine Insolvenzzweckwidrigkeit aus. Insoweit ist ein offensichtlicher Verstoß gegen die Aufgaben eines Insolvenzverwalters nicht gegeben.
15
2. In der Sache hat die Revision keinen Erfolg. Der Kläger hat die von ihm künftig gegen die KV erworbenen Forderungen ab dem Zeitpunkt der Freigabe seiner freiberuflichen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter infolge Konvaleszenz (§ 185 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB) wirksam an die Beklagte abgetreten (§ 398 BGB).
16
a) Der Wirksamkeit der zwischen dem Kläger und der Beklagten vereinbarten Forderungsabtretung stand im Blick auf die nach Verfahrenseröffnung begründeten Forderungen zunächst § 91 Abs. 1 InsO entgegen.

17
aa) Gemäß dieser Vorschrift können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegt. Im Falle der Abtretung einer künftigen Forderung ist die Verfügung selbst bereits mit Abschluss des Abtretungsvertrages beendet. Der Rechtsübergang erfolgt jedoch erst mit dem Entstehen der Forderung. Entsteht die im Voraus abgetretene Forderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, kann der Gläubiger gemäß § 91 Abs. 1 InsO kein Forderungsrecht zu Lasten der Masse mehr erwerben. Nur wenn der Zessionar bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der abgetretenen Forderung erlangt hat, ist die Abtretung insolvenzfest (BGH, Urteil vom 26. Januar 2012 - IX ZR 191/10, WM 2012, 549 Rn. 29; vom 20. September 2012 - IX ZR 208/11, WM 2012, 2292 Rn. 13). Gesichert ist eine Rechtsposition dann, wenn der Zedent und der Forderungsschuldner sie ohne Zustimmung des Zessionars durch einseitiges Verhalten nicht mehr zerstören können (BGH, Urteil vom 26. Januar 2012, aaO Rn. 31).
18
bb) Eine solche gesicherte Rechtsposition hat die Beklagte an den seitens des Klägers abgetretenen, erst nach Verfahrenseröffnung entstandenen Forderungen nicht erlangt.
19
Werden Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen abgetreten, kommt es darauf an, ob sie bereits mit dem Vertragsschluss betagt entstehen oder erst befristet mit der Inanspruchnahme der Gegenleistung; nur im ersten Fall hat der Abtretungsempfänger eine gesicherte Rechtsposition. Bei Dienstverträgen entsteht der Vergütungsanspruch erst mit der Erbringung der Dienstleistung (BGH, Urteil vom 20. September 2012, aaO Rn. 14), weil der Vertrag durch Kündigung beendet werden oder der Dienstverpflichtete die ihm obliegende Leistung ohne Gründe, die einen Vergütungsanspruch begründen, verweigern kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2008 - IX ZR 87/07, WM 2008, 1460 Rn. 13). Der allgemeine Grundsatz, dass der Anspruch auf Vergütung für geleistete Dienste nicht vor der Dienstleistung entsteht, gilt auch für den Vergütungsanspruch des Kassenarztes gegen die KV. Voraussetzung jeglicher Vergütungsansprüche des Kassenarztes ist es, dass er vergütungsfähige ärztliche Leistungen erbringt. Diese sind Grundlage des endgültigen Honorarbescheids der KV. Abschlagszahlungen , die der Kassenarzt aufgrund satzungsmäßiger Bestimmungen erhalten mag, ändern daran nichts (BGH, Urteil vom 11. Mai 2006 - IX ZR 247/03, BGHZ 167, 363 Rn. 7). Eine gesicherte Rechtsposition an Honoraransprüchen eines Kassenarztes kann der Zessionar darum erst erwerben, nachdem der Arzt vergütungsfähige Leistungen erbracht hat (BGH, Urteil vom 11. Mai 2006, aaO Rn. 25; vom 20. Oktober 2011 - IX ZR 10/11, WM 2011, 2294 Rn. 9). Folglich geht eine Vorausabtretung insbesondere dann ins Leere, wenn der Verwalter die Praxis des Schuldners fortführt (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2010 - IX ZR 61/09, WM 2010, 567 Rn. 2).
20
b) Der Schuldner hat mit der Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter (§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO) die Verfügungsbefugnis über die gegen die KV gerichteten Vergütungsforderungen zurückgewonnen.
21
aa) Übt der Schuldner als natürliche Person eine selbständige Tätigkeit aus, kann der Insolvenzverwalter gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erklären, dass Vermögen aus dieser Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Die Freigabe verwirklicht sich ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Erklä- rungen mit dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322 Rn. 19). Eine solche Freigabe ist im Streitfall von dem Verwalter gegenüber dem Kläger abgegeben worden.
22
bb) Die Freigabe von Vermögenswerten durch den Verwalter (vgl. § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO) bedeutet, dass der Insolvenzbeschlag erlischt und der Schuldner die Verfügungsbefugnis zurückerhält (BGH, Urteil vom 21. April 2005 - IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32, 35). Die betroffenen Gegenstände scheiden aus der Insolvenzmasse aus und unterliegen ebenso wie das insolvenzfreie Vermögen (BGH, Urteil vom 14. Januar 2010 - IX ZR 93/09, WM 2010, 523 Rn. 6) der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2009 - IX ZB 112/06, WM 2009, 807 Rn. 8; BT-Drucks 16/3227, S. 17).
23
cc) Bei der Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners knüpft § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO klarstellend an die allgemeine Freigabebefugnis des Insolvenzverwalters an. Mit der Freigabeerklärung verzichtet der Verwalter endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Vermögens aus der selbständigen Tätigkeit (BT-Drucks., aaO). Infolge der Freigabe fällt darum der Neuerwerb des Schuldners aus der freiberuflichen Tätigkeit - anders als bei einer Fortsetzung der selbständigen Tätigkeit durch den Verwalter selbst (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2010 - IX ZR 61/09, WM 2010, 567 Rn. 2) - nicht mehr in die Masse (LG Göttingen, ZInsO 2011, 1798 f; HmbKomm-InsO/Lüdtke, 4. Aufl., § 35 Rn. 258; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl., § 35 Rn. 99; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2012, § 35 Rn. 159; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 35 Rn. 114; Meyer in Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar zum Insolvenzrecht, 2. Aufl., § 35 Rn. 82; Berger, ZInsO 2008, 1101, 1106). Die von dem Schuldner ab Wirksamwerden einer Freigabeerklärung aus der selbständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte stehen darum als ihm gehörendes Vermögen grundsätzlich nur den Gläubigern, deren Forderungen erst nach der Freigabeerklärung entstanden sind, als Haftungsmasse zur Verfügung (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2011 - IX ZB 175/10, WM 2011, 1344 Rn. 11; BGH, Urteil vom 9. Februar 2012, aaO Rn. 28).
24
c) Soweit der Kläger Inhaber der aus seiner selbständigen Tätigkeit als Kassenarzt gegen die KV erworbenen Vergütungsansprüche geworden ist, erweist sich die Vorausabtretung dieser Forderungen an die Beklagte infolge Konvaleszenz (§ 185 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB) als wirksam.
25
aa) Nach dieser Vorschrift wird die Verfügung eines Nichtberechtigten wirksam, wenn der Verfügende den Gegenstand erwirbt. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift wird auch die Verfügung eines Berechtigten (ex nunc) wirksam, wenn er ohne Verfügungsmacht gehandelt hat und diese nachträglich wiedererlangt, wie dies gerade in der Insolvenz des Schuldners zutreffen kann. Deshalb ist anerkannt, dass auch zunächst nach § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO schwebend unwirksame Verfügungen des Schuldners entsprechend § 185 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB wirksam werden können, wenn der Schuldner Berechtigter geblieben und das Insolvenzverfahren beendet ist (BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - IX ZR 232/04, BGHZ 166, 74 Rn. 20).
26
bb) Die im Rahmen des § 81 InsO allgemein anerkannte Möglichkeit einer Konvaleszenz nach Freigabe des Vermögensgegenstandes durch den Verwalter (MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, 2. Aufl., § 81 Rn. 18; HK-InsO/Kayser, 6. Aufl., § 81 Rn. 27; Piekenbrock in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, aaO § 81 Rn. 17) gilt gleicher Weise bei Anwendung des hier maßgeblichen § 91 InsO (Jaeger/Windel, InsO, § 91 Rn. 114; HmbKomm-InsO/Kuleisa, aaO § 91 Rn. 28 iVm § 81 Rn. 15). Dieser Würdigung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Verfügungsbeschränkungen nicht gerechtfertigt sind, sofern das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners betroffen ist (BGH, Urteil vom 21. Februar 2008 - IX ZR 255/06, WM 2008, 602 Rn. 10; HK-InsO/Kayser, aaO § 91 Rn. 2). Danach ist die Vorausabtretung der Vergütungsforderungen durch den Kläger an die Beklagte ab dem Zeitpunkt der Freigabe seiner freiberuflichen Tätigkeit als gültig zu betrachten.
27
cc) Infolge der Wirksamkeit der Vorausabtretung wird zwar der Neuerwerb des Schuldners entgegen der Intention des Gesetzgebers partiell dem Zugriff seiner Neugläubiger entzogen (vgl. BT-Drucks. 16/3227, S. 17). Dies ist aber hinzunehmen, weil der Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO keine § 185 BGB verdrängende dingliche Wirkung zukommt. Da eine nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit erstmals vorgenommene Globalzession des Schuldners wirksam wäre, kann nicht missbilligt werden, dass eine frühere gleichartige Verfügung in Anwendung von § 185 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB Gültigkeit erlangt. Schließlich ist der Schuldner nicht gehindert, aus seinem insolvenzfreien Vermögen bestimmte Gläubiger zu befriedigen (BGH, Urteil vom 14. Januar2010 - IX ZR 93/09, WM 2010, 523 Rn. 8 ff). Darum kann er ebenso nach Freigabe seiner freiberuflichen Tätigkeit erworbene Mittel dazu verwenden, Verbindlichkeiten bei seinen Altgläubigern zu tilgen.

III.


28
Da sich die angefochtene Entscheidung im Ergebnis als richtig darstellt, ist die Revision gemäß § 561 ZPO zurückzuweisen.
Kayser Gehrlein Fischer
Grupp Möhring
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 29.06.2011 - 317 O 42/11 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 22.06.2012 - 13 U 146/11 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 136/13 Verkündet am:
22. Mai 2014
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters oder
Treuhänders hinsichtlich der Wohnung des Schuldners erlangt der Mieter die Verwaltungs
- und Verfügungsbefugnis über das Mitvertragsverhältnis zurück. Dem Insolvenzverwalter
oder Treuhänder fehlt die Prozessführungsbefugnis, gegen den Vermieter
Ansprüche auf Auszahlung von Guthaben aus Nebenkostenabrechnungen an
die Masse für einen Zeitraum nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung geltend
zu machen.
BGH, Urteil vom 22. Mai 2014 - IX ZR 136/13 - LG Berlin
AG Berlin-Lichtenberg
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Februar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den
Richter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin
Möhring

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil der Zivilkammer 63 des Landgerichts Berlin vom 24. Mai 2013 und das Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg vom 12. September 2012 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin wurde mit Eröffnung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des K. (künftig: Schuldner) am 11. August 2009 zur Treuhänderin bestellt. Der Schuldner bewohnte eine von der Beklagten angemietete Wohnung in Berlin. Mit Schreiben vom 26. August 2009 an die Beklagte gab die Klägerin die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ab.
2
Die Klägerin begehrt Auszahlung eines Betriebskostenguthabens für den Abrechnungszeitraum 2010 in Höhe von 754,11 €, welches die Beklagte mit Schreiben vom 12. September 2011 der Klägerin mitgeteilt, aber an den Schuldner ausgekehrt hat.
3
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Abweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision ist begründet und führt zur Klageabweisung.

I.


5
Das Berufungsgericht hat gemeint, die Klägerin sei zur Geltendmachung des Guthabenanspruchs befugt, weil dieser in die Masse falle. Die Enthaftungserklärung ändere hieran nichts. Diese habe nur zur Folge, dass Ansprüche , die nach Ablauf der in § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO genannten Frist fällig werden , nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Durch die Erklärung werde der Mietvertrag jedoch nicht beendet, sondern vom Schuldner fortgesetzt. Die Regelung diene der Enthaftung der Masse für Ansprüche aus dem Mietverhältnis, denen sie sonst nach § 108 Abs. 1 InsO ausgesetzt wäre. Aus der Enthaftung folge aber keine Freigabe des Mietverhältnisses. Die Verwaltungs - und Verfügungsbefugnis über das Mietverhältnis falle nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung nicht an den Schuldner zurück. Wie ein Kautionsrückzahlungsanspruch falle auch ein Anspruch auf ein nach Eröffnung entstandenes Betriebskostenguthaben in die Masse.

II.


6
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Klage ist bereits unzulässig. Der Klägerin fehlt hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit auch die Prozessführungsbefugnis.
7
Das Schreiben der Klägerin vom 26. August 2009, mit dem sie hinsichtlich der vom Schuldner bei der Beklagten angemieteten Wohnung die Enthaftungserklärung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO abgab, hat zur Folge, dass nach Ablauf der Frist des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses wieder auf den Schuldner überging.
8
1. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Verwalter über, im vereinfachten Insolvenzverfahren gemäß § 313 Abs. 1, § 80 Abs. 1 InsO auf den Treuhänder. Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände oder Räume bestehen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. § 108 Abs. 1 InsO verdrängt insoweit § 103 Abs. 1 InsO (BGH, Urteil vom 5. Juli 2007 - IX ZR 185/06, BGHZ 173, 116 Rn. 9), in der Insolvenz des Vermieters unter der Voraussetzung, dass die Mietsache im Zeit- punkt der Eröffnung bereits an den Mieter übergeben war (BGH, Urteil vom 5. Juli 2007, aaO Rn. 13 ff).
9
Der Verwalter hat das Sonderkündigungsrecht gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO. Handelt es sich jedoch um die Wohnung des Schuldners, steht dem Verwalter nur die Möglichkeit der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO zur Verfügung. Gibt der Verwalter die Enthaftungserklärung ab, verbleibt es bis zum Ablauf der Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO bei dem Fortbestehen des Mietverhältnisses mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - IX ZR 29/11, ZIP 2012, 784 Rn. 10). Nach Ablauf der Frist können jedoch gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO Ansprüche, die nach diesem Zeitpunkt fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden.
10
2. Die Frage, welche Auswirkungen die Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO nach Ablauf der in § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO genannten Frist für das betroffene Wohnraummietverhältnis hat, ist umstritten. Im Wesentlichen werden drei Meinungen vertreten.
11
a) Nach einer Auffassung beschränkt sich die Bedeutung der Enthaftungserklärung darauf, dass die Masse für die nach Ablauf der Kündigungsfrist fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht mehr hafte. Das Mietverhältnis unterliege aber weiterhin dem Insolvenzbeschlag. Dem Insolvenzverwalter oder Treuhänder komme weiterhin die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses zu. § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO lasse die Rechtswirkungen des § 80 Abs. 1 InsO (gegebenenfalls iVm § 313 Abs. 1 InsO) unberührt (Uhlenbruck/Wegener, InsO, 13. Aufl., § 109 Rn. 21 ff; Jaeger/Jacoby, InsO, § 109 Rn. 57, 70 f; Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 109 Rn. 22; Eckert, NZM 2006, 803, 806; Flatow, NZM 2011, 607, 610; Cymutta, WuM 2008, 441, 443).
12
b) Nach anderer Auffassung geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach Ablauf der Frist vollständig auf den Schuldner über (HK-InsO/ Marotzke, 6. Aufl. § 109 Rn. 16; Pape, NZM 2004, 401, 410 f; FK-InsO/ Wegener, 7. Aufl., § 109 Rn. 16; MünchKomm-InsO/Eckert, 3. Aufl., § 109 Rn. 54; BK-InsO/Goetsch, 2007, § 109 Rn. 10).
13
c) Nach einer dritten Ansicht fällt zwar die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner zurück. Einzelne Forderungen aus dem Mietvertrag , wie diejenige auf Rückzahlung der Kaution, seien aber als Neuerwerb des Schuldners der Masse zuzuordnen (Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, 2007, § 109 Rn. 20; HmbKomm-InsO/Ahrendt, 4. Aufl., § 109 Rn. 22; GrafSchlicker /Breitenbücher, InsO, 3. Aufl., § 109 Rn. 12; Hain, ZInsO 2007, 192, 197; Heinze, ZInsO 2010, 1073).
14
3. Der Bundesgerichtshof hatte die Frage bisher offen gelassen (BGH, Urteil vom 9. Mai 2012 - VIII ZR 327/11, NJW 2012, 2270 Rn. 32). Sie ist dahin zu entscheiden, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung in vollem Umfang auf den Schuldner übergeht (vgl. jetzt schon BGH, Urteil vom 9. April 2014 - VIII ZR 107/13, zVb).
15
a) Der Wortlaut der Vorschrift, der auf die Geltendmachung im Insolvenzverfahren abstellt, könnte zwar dafür sprechen, dass die Enthaftungserklärung nur Folgen für Passivansprüche hat, die der Vermieter nicht mehr gegen die Masse, sondern nur noch gegen den Schuldner persönlich geltend machen kann. Die Enthaftungserklärung tritt jedoch an die Stelle der Kündigung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO. Durch die Kündigung des Mietverhältnisses wird die Verbindung zur Masse für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist vollständig gelöst. Dies spricht dafür, Entsprechendes für die Enthaftungserklärung anzunehmen (BGH, Urteil vom 9. April 2014, aaO Rn. 14).
16
Durch die Enthaftungserklärung wird der Mietvertrag nicht beendet, er wird, sofern keine anderweitigen Beendigungsgründe eintreten, zwischen Schuldner und Vermieter fortgesetzt (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012, aaO Rn. 10 mwN; Amtliche Begründung zu § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, BT-Drucks. 14/5680 S. 27 zu Nr. 11). Der Mieter erhält dadurch die Möglichkeit, durch die Übernahme der Mietzahlung und der Nebenkostenvorauszahlung aus seinem freien Vermögen die Wohnung zu behalten (BGH, Urteil vom 19. Juni 2008 - IX ZR 84/07, ZIP 2008, 1736 Rn. 22).
17
b) Bliebe die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters im Übrigen für das Mietverhältnis bestehen, hätte dies für die Masse erhebliche Nachteile. Ansprüche des Mieters gegen den Vermieter, etwa auf Mängelbeseitigung , Schadensersatz oder Minderung des Mietzinses, müssten vom Verwalter oder Treuhänder auf Kosten der Masse geltend gemacht werden. Die Erklärungen des Vermieters könnten umgekehrt nur dem Verwalter oder Treuhänder gegenüber abgegeben werden, der sie an den Schuldner weiterleiten müsste (Abmahnungen, Kündigung, Mieterhöhungsverlangen, Betriebskostenabrechnung ). Prozesse müssten für den Schuldner auf Kosten der Masse geführt werden , ohne dass dem für die Masse Vorteile gegenüberstünden. Zudem könnte sich infolge des besonderen Aufwands des Verwalters dessen Vergütung durch Zuschläge gemäß § 3 Abs. 1 InsVV zum Nachteil der Masse erhöhen.
18
c) Für den Schuldner wäre es äußerst unpraktikabel, wenn er Erklärungen gegenüber dem Vermieter nicht selbst, sondern nur durch den Verwalter mit dessen Einverständnis abgeben könnte. Eine eigene Kündigungserklärung durch den Mieter wäre bei fortbestehender Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters unwirksam. Der Verwalter selbst könnte aber nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO eine Kündigungserklärung überhaupt nicht abgeben. Eine derartige Bindung des Schuldners an den Mietvertrag kann nicht angenommen werden. Deswegen wird selbst von der Meinung, die das Verwaltungs- und Verfügungsrecht weiterhin beim Verwalter sieht, eine Kündigungsmöglichkeit bejaht. Hierfür wird etwa eine Einschränkung der Verwaltungsbefugnis des Verwalters hinsichtlich der Kündigung (Uhlenbruck/Wegener, aaO Rn. 21) angenommen oder ein Zusammenwirken zwischen Verwalter und Schuldner zu einer gemeinsamen Kündigung für notwendig erachtet (MünchKomm-InsO/Eckert, aaO Rn. 55).
19
d) Für den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung spricht auch der Schutz des Vermieters. Diesem dürfen bestehende Aufrechnungsmöglichkeiten nicht dadurch entzogen werden, dass die nach § 387 BGB erforderliche Gegenseitigkeit der Ansprüche durch die Enthaftungserklärung aufgelöst wird. Könnte der Vermieter danach entstehende Ansprüche nur gegen den Schuldner geltend machen, während gegen ihn gerichtete neue Ansprüche aus dem Mietvertrag der Masse zuständen, hätte er wegen der Unzulässigkeit der Aufrechnung Nachteile hinzunehmen, die mit dem Wesen des an sich unverändert fortgesetzten Mietvertrages nicht vereinbar wären. Selbst wenn man § 404 BGB entsprechend anwenden würde, stände einer Aufrechnung § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO entgegen.
20
e) Im Ergebnis kann nichts anderes gelten als bei einer Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO.
21
aa) Nach dieser Vorschrift muss der Insolvenzverwalter hinsichtlich einer selbständigen Tätigkeit des Schuldners in jedem Fall erklären, ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Bei der Schaffung dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber an § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO orientiert (BT-Drucks. 16/3227 S. 17 zu Nr. 12; BAG, ZIP 2014, 339 Rn. 21).
22
Zu § 35 Abs. 2 InsO hat der Senat bereits entschieden, dass sich die Freigabe auf das Vermögen des Schuldner erstreckt, das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322 Rn. 19). Die freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO betrifft im Unterschied zur echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten. Die Freigabe verwirklicht sich mit dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner. Die Erklärung zerschneidet das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbständigen Tätigkeit und leitet die der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners um (BGH, aaO Rn. 19). Der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers zur Freigabe auch von Vertragsverhältnissen hat in § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO hinreichend Ausdruck gefunden (BGH, aaO Rn. 21 f).
23
bb) Durch den Hinweis auf § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO bei Einführung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO hat der Gesetzgeber zwar nicht die in § 109 Abs. 1 ge- regelten Fristen in Bezug genommen, weshalb solche bei der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht einzuhalten sind (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012, aaO Rn. 23 ff; BAG, ZIP 2014, 339 Rn. 21). Die Bezugnahme macht aber deutlich, dass auch die freigabeähnliche Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO das Vertragsverhältnis als Ganzes betrifft. Auch § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO regelt, wie § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, an sich nur, ob Ansprüche aus der selbständigen Tätigkeit "im Insolvenzverfahren" geltend gemacht werden können. Auch hier betrifft der Wortlaut also lediglich Ansprüche gegen die Masse. Ansprüche aus freigegebenen Vertragsverhältnissen können jedoch bei § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO nur vom Schuldner geltend gemacht werden. Mit der Freigabeerklärung ist die allgemeine Überleitung des Vertragsverhältnisses von der Masse auf den Schuldner verbunden. Nur dies ermöglicht eine klare Abgrenzung der die Masse und der den Schuldner treffenden, aus der selbständigen Tätigkeit herrührenden Verbindlichkeiten (BGH, aaO Rn. 27).
24
Auch die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO muss wie die Regelung in § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO eine solche Überleitung des Mietverhältnisses von der Masse auf den Schuldner zur Folge haben, weil nur so den Belangen der Beteiligten angemessen Rechnung getragen und in der gebotenen Klarheit der rechtliche Rahmen für die Fortsetzung des Mietverhältnisses geschaffen werden kann. Nur so können, wie bei § 35 Abs. 2 InsO, die zahlreichen Zweifelsfragen geklärt werden, die sich andernfalls aus dem unklaren Wortlaut der Regelung ergeben würden.
25
cc) Die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ist allerdings , anders als die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO, nicht gegenüber dem Schuldner abzugeben, sondern gegenüber dem Vermieter. Dies erklärt sich zum einen daraus, dass dessen Rechte gegen die Masse nach § 108 Abs. 1 InsO beschränkt werden, zum anderen aus dem Umstand, dass die Person des Vermieters bekannt ist. Ihm gegenüber kann die Erklärung abgegeben werden. Daneben ist der Schuldner zu informieren (MünchKommInsO /Eckert, aaO Rn. 50).
26
Eine derartige Erklärung gegenüber allen Vertragspartnern des Schuldners bei einer Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO ist dagegen nicht möglich , weil regelmäßig nicht alle Vertragspartner feststellbar sein werden, zumal sich die Freigabe auch auf künftige Verträge bezieht. Deshalb genügt hier eine Erklärung gegenüber dem Schuldner, die allerdings gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 InsO dem Gericht gegenüber anzuzeigen und nach § 35 Abs. 3 Satz 2 InsO von diesem öffentlich bekannt zu machen ist. Die Wirksamkeit der Freigabe tritt zwar schon mit der Erklärung gegenüber dem Schuldner ein. Durch die anschließende Veröffentlichung der Freigabeerklärung werden die Gläubiger und der Geschäftsverkehr jedoch informiert, so dass bei Verfahrensbeteiligten und Dritten keine Unklarheiten im Zusammenhang mit den durch den Schuldner im Rahmen der selbständigen Tätigkeit und den freigegebenen Vertragsverhältnissen abgegebenen Erklärungen auftreten (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012, aaO Rn. 24). Eines solchen besonderen Schutzes durch öffentliche Bekanntmachung bedarf es bei § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht.
27
dd) Der Umstand, dass den Schuldner nach der Freigabeerklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO eine Abführungspflicht an die Masse nach dem Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO trifft (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 13. Juni 2013 - IX ZB 38/10, WM 2013, 1612 Rn. 20; Urteil vom 13. März 2014 - IX ZR 43/12, WM 2014, 751 Rn. 17), steht einer Gleichbehandlung der Regelungen hinsichtlich ihrer freigabeähnlichen Wirkungen nicht entgegen. Die Abführungspflicht im laufenden Insolvenzverfahren besteht nur, soweit der Schuldner mit seiner Tätigkeit tatsächlich Gewinn erzielt. Sie ist der Höhe nach gemäß dem Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO beschränkt (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2013, aaO Rn. 11 ff). Es soll damit verhindert werden, dass er besser gestellt ist als ein unselbständig tätiger Schuldner, dessen pfändbares Einkommen in die Masse fällt. Bei der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO bedarf es eines solchen Ausgleichsmechanismusses nicht, weil aus dem Mietvertrag für den Schuldner als Mieter kein Gewinn zu erzielen ist. Selbständige und Unselbständige sind zudem gleichermaßen betroffen.
28
ee) Durch die freigabeähnliche Wirkung der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO und den dadurch bewirkten Übergang der Verwaltungs - und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses auf den Schuldner geht den Gläubigern keine Haftungsmasse verloren. Die Forderungen des Vermieters muss der Schuldner aus seinem insolvenzfreien Vermögen befriedigen, auf das die Gläubiger auch außerhalb des Insolvenzverfahrens keinen Zugriff hätten (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 2008 - IX ZR 84/07, ZIP 2008, 1736 Rn. 22).
29
ff) Ob die Entstehung oder Realisierung eines dem Schuldner aus dem Mietverhältnis zustehenden Anspruchs, etwa auf Auszahlung eines Nebenkostenguthabens , als Neuerwerb in die Masse fällt und vom Schuldner an den Verwalter abgeführt werden muss, ist im vorliegenden Prozess des Verwalters gegen den Vermieter nicht entscheidungserheblich und kann offen bleiben.
30
Der Senat weist aber auf folgendes hin:
31
(1) Bezieht der Schuldner Arbeitslosengeld II, ist ein Erstattungsanspruch aus einer Betriebs- und Heizkostenabrechnung des Vermieters unpfändbar, weil die entsprechende Rückzahlung gemäß § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1 SGB II nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II (früher § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II) die Leistungen des Folgemonats an den Hilfeempfänger mindert. Wäre in diesem Fall die Pfändung zulässig, würde sie nach dem Gesetz zu Lasten öffentlicher Mittel erfolgen, die dem Leistungsbezieher das Existenzminimum sichern. Da hiernach der Anspruch unpfändbar ist, fällt er gemäß § 36 Abs. 1 InsO auch nicht in die Masse (BSGE 112, 85 Rn. 16 ff; BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 - IX ZR 310/12, NJW 2013, 2819 Rn. 8).
32
(2) Im Übrigen ist allerdings anerkannt, dass zu dem nach Verfahrenseröffnung begründeten Neuerwerb nicht nur das pfändbare Arbeitseinkommen gehört, sondern auch Gegenstände, die mit insolvenzfreien Mitteln erworben wurden, ebenso der Erlös beim Verkauf einer unpfändbaren Sache. Gleiches gilt für das aus dem unpfändbaren Teil des Arbeitseinkommens angesparte Vermögen (BGH, Beschluss vom 26. September 2013 - IX ZB 247/11, ZIP 2013, 2112 Rn. 8 mwN). Hinsichtlich dieser als Neuerwerb zur Masse gehörenden Gegenstände besteht für Insolvenzgläubiger das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO. Der Verwalter oder Treuhänder kann aufgrund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses gemäß § 148 Abs. 2 InsO die Herausgabe der Gegenstände oder die Abtretung derartiger Forderungen verlangen.
33
(3) Das gilt indessen nicht bei freigegebenen Gegenständen. Wird eine Forderung freigegeben, fällt ein mit deren Beitreibung erzieltes Vermögen nicht gemäß § 35 InsO in die Masse (BGH, Urteil vom 21. April 2005 - IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32, 37 unter III).

34
(4) Ist nicht ein einzelner Gegenstand freigegeben, sondern die selbständige Tätigkeit des Schuldners, können die Neugläubiger, die nach der Freigabeerklärung Forderungen gegen den Schuldner erworben haben, auf die ab diesem Zeitpunkt durch die selbständige Tätigkeit erwirtschafteten Vermögenswerte des Schuldners als eigenständige Haftungsmasse zugreifen. Den Altgläubigern ist dagegen die Vollstreckung gemäß § 89 InsO in diese Vermögensgegenstände verwehrt (BT-Drucks. 16/3227 S. 17; BGH, Urteil vom 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322 Rn. 28). Eine Herausgabevollstreckung des Insolvenzverwalters oder Treuhänders aus § 148 Abs. 2 InsO ist hinsichtlich solcher Gegenstände nicht möglich (BGH, Urteil vom 13. März 2014 - IX ZR 43/12, WM 2014, 741 Rn. 12 f).
35
(5) Wegen der Parallelität der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO mit der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO liegt es nahe, dass für das von der Enthaftungserklärung betroffene Mietverhältnis dieselben Grundsätze Anwendung finden, die bei der Freigabe nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO gelten.
36
gg) Der Gesetzgeber ist allerdings möglicherweise davon ausgegangen, dass der Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution in die Masse falle, weil er bereits vor Verfahrenseröffnung entstanden sei. Dieser Anspruch könne jedoch vom Insolvenzverwalter erst nach Beendigung des Mietverhältnisses geltend gemacht werden (BT-Drucks. 14/5680 S. 27 zu Nr. 11). Ob dabei die Auswirkungen der Enthaftungserklärung auf den Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution ausreichend bedacht worden sind, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Offenbar ist aber davon ausgegangen worden, dass es bei diesem Anspruch der Masse trotz der Enthaftungserklärung des Verwalters verbleiben würde. Ein zwingender Umkehrschluss, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aus diesem Grund beim Insolvenzverwalter verbleiben sollte , ergibt sich aber aus diesen Annahmen der Gesetzesbegründung nicht.
Kayser Vill RinBGH Lohmann ist erkrankt und kann nicht unterschreiben Kayser
Pape Möhring

Vorinstanzen:
AG Berlin-Lichtenberg, Entscheidung vom 12.09.2012 - 11 C 113/12 -
LG Berlin, Entscheidung vom 24.05.2013 - 63 S 627/12 -

Tenor

Die Revision des Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

Der Beigeladene trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beklagten.

Tatbestand

1

Der Kläger und Revisionsbeklagte (im Folgenden: Kläger) begehrt die Verurteilung der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) zur Zahlung von insgesamt 50 699,88 Euro vertragszahnärztlichen Honorars aus dem Quartal III/2008 und Abschlagszahlungen aus dem Quartal IV/2008 an ihn, nachdem die Beklagte diesen Betrag bereits an den beigeladenen Insolvenzverwalter gezahlt hat.

2

Der Kläger ist als Zahnarzt zur vertragszahnärztlichen Versorgung im Bezirk der beklagten KZÄV zugelassen. Mit schriftlicher Abtretungserklärung vom 15.12.1992 trat er bestehende und künftige Honorarforderungen an seine geschiedene Ehefrau U. ab. Ferner lagen der Beklagten Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse verschiedener Gläubiger aus der Zeit seit 1994 vor.

3

Mit Beschluss vom 12.9.2008 eröffnete das AG M. das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers. Mit Schreiben vom 30.9.2008 erklärte der Beigeladene gegenüber dem Kläger, das Vermögen aus seiner selbstständigen Tätigkeit als Zahnarzt gehöre nicht mehr zur Insolvenzmasse; Ansprüche aus dieser Tätigkeit könnten nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden (§ 35 Abs 2 Satz 1 Insolvenzordnung - InsO). Mit Telefax vom 2.10.2008 unterrichtete der Kläger die Beklagte hierüber und bat diese, Zahlungen künftig an ihn zu leisten.

4

Am 8.12.2008 führte das AG M. eine Gläubigerversammlung durch, in der beschlossen wurde, dass der Betrieb vorläufig durch den Beigeladenen fortgeführt werde. Über diesen Beschluss setzte der Beigeladene die Beklagte in Kenntnis und bat darum, künftig Zahlungen ausschließlich an ihn zu leisten. Unter Bezugnahme auf den Beschluss der Gläubigerversammlung erklärte das AG M. mit Beschluss vom 13.2.2009, dem Kläger am 14.2.2009 zugestellt, die Freigabeerklärung des Beigeladenen gemäß § 35 Abs 2 Satz 3 InsO bis zum Ablauf des 30.3.2009 für unwirksam. Für die Zeit ab dem 1.4.2009 erfolgte wiederum die Freigabe des Vermögens des Klägers aus seiner selbstständigen zahnärztlichen Tätigkeit.

5

Die Beklagte leistete im November 2008 eine Abschlagszahlung für Honorar aus vertragszahnärztlicher Tätigkeit des Klägers im Vormonat (Oktober 2008) in Höhe von 5817,81 Euro und im Dezember 2008 eine Abschlagszahlung für Honorar aus vertragszahnärztlicher Tätigkeit des Klägers im Vormonat (November 2008) in Höhe von 6641,67 Euro jeweils an den Beigeladenen. Ferner zahlte die Beklagte das noch ausstehende vertragszahnärztliche Honorar des Klägers für das Quartal III/2008 nach Vorlage einer Honorarabrechnung durch den Kläger am 7.10.2008 im Januar 2009 in Höhe von 53 570,88 Euro an den Beigeladenen.

6

Auf Honorar sowie auf Ersatz eines Verzugsschadens gerichtete, miteinander verbundene Klagen des Klägers gegen die Beklagte wies das SG ab. Das LSG gab der Berufung bezogen auf das vom Kläger geltend gemachte Honorar (50 699,88 Euro, zusammengesetzt aus der 1. und 2. Abschlagszahlung für das Quartal IV/2008 und 38 240,40 Euro aus der Restzahlung für das Quartal III/2008) statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung an den Kläger. Zur Begründung führte das LSG aus, die Beklagte habe die Honoraransprüche des Klägers nicht durch die Zahlungen an den Beigeladenen erfüllt. Infolge der wirksamen, unter dem 30.9.2008 erklärten Freigabe durch den Beigeladenen hätten Honorarforderungen des Klägers ab diesem Zeitpunkt nicht zur Insolvenzmasse gehört und damit dem Kläger zugestanden. Die Wirksamkeit der Freigabe sei durch den Beschluss der Gläubigerversammlung vom 8.12.2008 nicht berührt worden, da die Gläubigerversammlung nicht befugt gewesen sei, die Freigabeerklärung des Beigeladenen aufzuheben. Diese habe vielmehr nur einen entsprechenden Antrag an das Insolvenzgericht stellen dürfen. Der Beschluss des Insolvenzgerichts vom 13.2.2009 beseitige zwar die Wirksamkeit der Freigabeerklärung, jedoch nur mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) und nicht für die Vergangenheit (ex tunc). Der Beschluss enthalte weder eine Anordnung der Rückwirkung noch wäre das Insolvenzgericht hierzu befugt gewesen. Der Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger stehe die Vorausabtretung an die geschiedene Ehefrau - ebenso wie aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung stammende Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse - nicht entgegen, da diese mit der Insolvenzeröffnung gemäß § 91 Abs 1 InsO unwirksam geworden seien und durch die Freigabeerklärung des Beigeladenen vom 30.9.2008 auch nicht erneut Wirkung entfaltet hätten.

7

Mit seiner Revision macht der Beigeladene geltend, dass die Freigabeerklärung vom 30.9.2008 durch den Beschluss des AG M. vom 13.2.2009 nicht nur mit Wirkung für die Zukunft, sondern auch mit Wirkung für die Vergangenheit - entweder von Anfang an oder zumindest seit dem Beschluss der Gläubigerversammlung vom 8.12.2008 - aufgehoben worden sei. Nur dieses Verständnis werde dem Grundgedanken der InsO gerecht, den Gläubigern Schutz im Hinblick auf die Insolvenzmasse zu gewähren. Der Beschluss des Gerichts werde durch die Gläubiger veranlasst, sodass der Grundsatz der Gläubigerautonomie der Annahme einer Wirkung ex nunc entgegenstehe. Selbst wenn angenommen werde, dass der Beschluss vom 13.2.2009 ex nunc wirke, wäre nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 18.4.2013 - IX ZR 165/12) die Abtretung des Klägers an seine geschiedene Ehefrau infolge der Freigabeerklärung wieder wirksam geworden. In diesem Fall wäre der Kläger nicht aktivlegitimiert.

8

Die Beklagte hat sich im Wesentlichen den Ausführungen des Beigeladenen angeschlossen und geltend gemacht, dass Abtretungen des Klägers an seine geschiedene Ehefrau oder an seinen Vater gemäß § 8 Satz 2 ihrer Abrechnungsordnung nicht wirksam seien.

9

Der Beigeladene und die Beklagte beantragen,

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 20.12.2012 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Mainz vom 2.9.2011 zurückzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

11

Er macht geltend, die wirksame Freigabeerklärung des Beigeladenen sei weder durch den Beschluss vom 8.12.2008 noch durch den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 13.2.2009 unwirksam geworden. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 35 Abs 2 Satz 3 InsO werde die Unwirksamkeit der Freigabeerklärung auf Antrag des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung durch das Insolvenzgericht angeordnet. Ein entsprechender Antrag der Gläubigerversammlung sei vorliegend jedoch nicht gestellt worden. Vielmehr hätten die Gläubiger am 8.12.2008 völlig unterschiedliche Erklärungen abgegeben. Dem Insolvenzgericht sei es aber verwehrt, ohne einen solchen Antrag die Unwirksamkeit anzuordnen, sodass die anderslautende Entscheidung des Insolvenzgerichts unwirksam sei. Im Übrigen sei der Einschätzung des LSG aber zuzustimmen. Das LSG habe insbesondere zutreffend angenommen, dass er Gläubiger der streitgegenständlichen Forderungen gegenüber der Beklagten sei. Jedenfalls in Höhe des unpfändbaren Teils sei er unabhängig von Abtretungen weiterhin aktivlegitimiert.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Beigeladenen ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

13

1. Der Beigeladene ist nach § 69 Nr 3 SGG Beteiligter des Verfahrens und kann gemäß § 160 Abs 1 SGG selbstständig Revision einlegen. Dabei ist es unerheblich, dass er in der Vorinstanz keine Anträge gestellt hat (vgl BSG SozR 4-5565 § 14 Nr 2 RdNr 5; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, Vor § 143 RdNr 8).

14

Die in § 141 Abs 1 SGG angeordnete Bindung an das Urteil des LSG und die Stellung als Beteiligter des Verfahrens begründet allerdings noch nicht die erforderliche materielle Beschwer des Beigeladenen, der allein Rechtsmittel gegen das Urteil des LSG eingelegt hat. Voraussetzung ist, dass der Beigeladene aufgrund der Bindungswirkung des vorinstanzlichen Urteils unmittelbar in eigenen Rechtspositionen beeinträchtigt sein kann (s zB BSGE 78, 98, 99 = SozR 3-2500 § 87 Nr 12 S 34; BSGE 81, 207, 208 = SozR 3-2500 § 101 Nr 2 S 8; BSGE 97, 279 = SozR 4-2700 § 136 Nr 2 RdNr 10; BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 11; BSG SozR 4-4200 § 34a Nr 1 RdNr 13, auch für BSGE vorgesehen). Es ist daher allein maßgeblich, ob das Urteil gegenüber dem Beigeladenen fehlerhaft ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 9 S 27 f; siehe auch BSGE 78, 98, 99 = SozR 3-2500 § 87 Nr 12 S 34; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, Vor § 143 RdNr 4a mwN; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl 2014, § 66 RdNr 4 mwN). Das auch den Beigeladenen gemäß § 141 Abs 1 Nr 1 SGG bindende Urteil des LSG betrifft diesen in eigenen Rechten, soweit das LSG seinen Anspruch gegenüber der Beklagten verneint hat. Insoweit kann er geltend machen, aufgrund der Bindungswirkung des angefochtenen Urteils präjudiziell und unmittelbar in seinen subjektiven Rechten beeinträchtigt zu werden. Dies genügt, um eine Beschwer des Beigeladenen im Sinne einer Rechtsmittelbefugnis anzunehmen (vgl BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 11; BVerwGE 104, 289, 292 f).

15

2. Die Revision des Beigeladenen ist nicht begründet. Dieser wird durch die Entscheidung des LSG nicht in eigenen Rechten verletzt. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die streitgegenständlichen Honoraransprüche des Klägers nicht durch die Zahlung an den Beigeladenen erfüllt sind. Dabei ist rechtlich unerheblich, ob das LSG zutreffend von einem Anspruch des Klägers auf Zahlung des Honorars aus vertragszahnärztlicher Tätigkeit ausgegangen ist oder ob dieser Anspruch in Wahrheit aufgrund einer Abtretung zB an die geschiedene Ehefrau des Klägers oder dessen Vater oder aufgrund einer Pfändung von Honoraransprüchen einer Bank zusteht. Da der Beigeladene durch die Entscheidung des LSG nur in eigenen Rechten verletzt sein kann, soweit es um die Frage geht, ob die Beklagte das Honorar zu Recht gerade an ihn gezahlt hat, ist die materielle Prüfung hierauf beschränkt. Deshalb kommt es im Revisionsverfahren nicht auf die zwischen den Beteiligten umstrittenen Fragen zur Wirksamkeit von Abtretungen und Pfändungen der Honoraransprüche des Klägers einschließlich der Berücksichtigung von Pfändungsfreigrenzen an.

16

Die Beklagte konnte nicht gemäß § 362 Abs 1 BGB iVm § 80 Abs 1 InsO mit befreiender Wirkung an den Beigeladenen leisten. Aufgrund der Erklärung vom 30.9.2008, nach der das Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit des Klägers als Zahnarzt nicht zur Insolvenzmasse gehört, ist der Beigeladene nicht befugt, über den in der Folgezeit erzielten Neuerwerb des Klägers zu verfügen (nachfolgend a). Dies gilt für den Zeitraum bis zu dem die Unwirksamkeit dieser Erklärung anordnenden Beschluss des Insolvenzgerichts vom 13.2.2009 (b). Bei den streitgegenständlichen Honorarforderungen handelt es sich um Neuerwerb, der vollständig dem Zeitraum der Freigabe zuzuordnen ist (c).

17

a) Gemäß § 80 Abs 1 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Zur Insolvenzmasse zählt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (§ 35 Abs 1 InsO), mithin auch der Neuerwerb des Schuldners während des Insolvenzverfahrens. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Drittschuldner folglich nur noch befreiend an den Insolvenzverwalter leisten. Grundsätzlich hat damit der Beigeladene mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 12.9.2008 die Verfügungsbefugnis auch über die Honorarforderungen des Klägers aus vertragszahnärztlicher Tätigkeit erlangt.

18

Allerdings hat der Insolvenzverwalter in Insolvenzverfahren, die seit dem 1.7.2007 eröffnet worden sind (vgl Art 103c Abs 1 Satz 1 EGInsO) gemäß § 35 Abs 2 Satz 1 InsO(in der Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.2007, BGBl I 509) gegenüber einem Schuldner, der - wie der Kläger - eine selbstständige Tätigkeit ausübt, zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Bei der sog Negativerklärung, mit der der Insolvenzverwalter das Vermögen des Klägers aus der selbstständigen Tätigkeit freigibt, handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Erklärung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Schuldner, mit der der Insolvenzverwalter endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Vermögens aus der selbstständigen Tätigkeit verzichtet (vgl BT-Drucks 16/3227 S 17). Damit knüpft § 35 Abs 2 Satz 1 InsO an die allgemeine Freigabebefugnis des Insolvenzverwalters(vgl § 32 Abs 3 Satz 1 InsO) an (vgl BGH Urteil vom 18.4.2013 - IX ZR 165/12 - NZI 2013, 641 RdNr 23), die dazu führt, dass der Insolvenzbeschlag bezogen auf die freigegebenen Gegenstände erlischt und dass diese aus der Insolvenzmasse ausscheiden (vgl BGH Urteil vom 14.1.2010 - IX ZR 93/09 - NZI 2010, 223 RdNr 6). Im Unterschied zur echten Freigabe betrifft die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit nach § 35 Abs 2 Satz 1 InsO nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten. Die Erklärung zerschneidet das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbstständigen Tätigkeit und leitet die der selbstständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners um (BGHZ 192, 322 RdNr 19; BGH Urteil vom 22.5.2014 - IX ZR 136/13 - NZI 2014, 614 RdNr 22). Die "Freigabe" der selbstständigen Tätigkeit hat dementsprechend zur Folge, dass der Neuerwerb des Schuldners aus der selbstständigen Tätigkeit nicht mehr in die Masse fällt. Ansprüche aus dem freigegebenen Vertragsverhältnis können nur vom Schuldner geltend gemacht werden. Die von dem Schuldner ab dem Wirksamwerden der Freigabeerklärung aus der selbstständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte stehen als ihm gehörendes Vermögen grundsätzlich allein den Gläubigern als Haftungsmasse zur Verfügung, deren Forderungen nach der Freigabeerklärung entstanden sind (BGH Urteil vom 18.4.2013 - IX ZR 165/12 - NZI 2013, 641 RdNr 23; BGHZ 192, 322 RdNr 28, jeweils mwN).

19

Vorliegend hat sich der Beigeladene mit seiner Erklärung vom 30.9.2008 entschieden, die selbstständige Tätigkeit des Klägers freizugeben. Gründe, die dagegen sprechen würden, dass diese Erklärung jedenfalls zunächst wirksam war, sind nicht ersichtlich und auch von den Beteiligten nicht geltend gemacht worden. Für die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Erklärung Wirkung entfaltet, ist der Zugang bei dem Schuldner maßgebend (BGHZ 192, 322 RdNr 24; Hirte in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl 2010, § 35 RdNr 99 mwN; Bäuerle in Braun, InsO, 6. Aufl 2014, § 35 RdNr 109 f mwN), jedenfalls wenn sie - wie vorliegend - nicht ausdrücklich rückwirkend erteilt wird (vgl BGH NZI 2013, 641 RdNr 9). Demgegenüber ist die anschließende Veröffentlichung der Freigabe keine Wirksamkeitsvoraussetzung und nur deklaratorischer Natur (BGHZ 192, 322 RdNr 24).

20

Zum genauen Zeitpunkt des Zugangs der Freigabeerklärung des Beigeladenen vom 30.9.2008 bei dem Kläger hat das LSG hier zwar keine Feststellungen getroffen. Es ist jedoch bekannt, dass der Kläger die beklagte KZÄV mit Telefax vom 2.10.2008 über die Freigabe seiner selbstständigen Tätigkeit in Kenntnis gesetzt hat. Damit steht fest, dass dem Kläger die Erklärung des Beigeladenen spätestens an diesem Tag vorgelegen haben muss, mit der Folge, dass die Erklärung spätestens seit dem 2.10.2008 Wirkung entfaltet hat.

21

b) Der in der Gläubigerversammlung am 8.12.2008 gefasste Beschluss führt nicht zur Unwirksamkeit der Erklärung des Beigeladenen betreffend die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Klägers (hierzu sogleich unter aa) und der die Freigabe für unwirksam erklärende Beschluss des Insolvenzgerichts vom 13.2.2009 entfaltet Wirkung nur für die Zukunft (ex nunc), beseitigt die Freigabe also nicht rückwirkend (ex tunc) vom Zeitpunkt ihrer Erklärung an (hierzu unter bb).

22

aa) Der Senat geht mit dem LSG davon aus, dass es sich bei dem Beschluss vom 8.12.2008 nicht um einen die Unwirksamkeit der Freigabeerklärung anordnenden Beschluss des Insolvenzgerichts nach § 35 Abs 2 Satz 3 InsO, sondern um einen Beschluss der Gläubigerversammlung handelt. Zwar vermittelt das vorliegende Protokoll der Gläubigerversammlung dazu unmittelbar keine Klarheit. Dass in dem Beschluss vom 8.12.2008 noch kein Beschluss des Insolvenzgerichts zur Unwirksamkeit der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Klägers gesehen werden kann, liegt indes aufgrund des Zusammenhangs nahe, in dem dieser zustande gekommen ist. Ein Beschluss des Insolvenzgerichts setzt nach § 35 Abs 2 Satz 3 InsO einen Antrag der Gläubigerversammlung voraus. Ein solcher der Beschlussfassung vorausgehender Antrag ist nach dem Inhalt des Protokolls vom 8.12.2008 jedoch nicht gestellt worden. Zudem wird in den Gründen des Beschlusses des Insolvenzgerichts vom 13.2.2009 ausgeführt, dass "trotz des entgegenstehenden Beschlusses der Gläubigerversammlung bisweilen bei einigen Beteiligten immer noch Unklarheiten bzw. Uneinsichtigkeit" vorgelegen hätten. Dies spricht dafür, dass der für die Beschlussfassung zuständige (vgl § 18 Abs 1 und 2 RPflG)Rechtspfleger jedenfalls zunächst irrtümlich davon ausgegangen ist, ein Beschluss der Gläubigerversammlung sei ausreichend, um die Unwirksamkeit der Freigabeerklärung zu bewirken und dass dieser daher am 8.12.2008 lediglich einen Beschluss der Gläubigerversammlung zu Protokoll genommen hat. Ein Beschluss der Gläubigerversammlung kann aber schon aufgrund des insoweit eindeutigen Gesetzeswortlautes keine die Freigabeerklärung beseitigende Wirkung entfalten (vgl etwa Bäuerle in Braun, InsO, 6. Aufl 2014, § 35 RdNr 112).

23

bb) Die Verfügungsbefugnis bezogen auf das Vermögen des Klägers aus der in der Zeit nach der Freigabe ausgeübten selbstständigen Tätigkeit stand dem Beigeladenen auch nicht infolge des die Unwirksamkeit der Freigabeerklärung anordnenden Beschlusses vom 13.2.2009 zu. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass dieser Beschluss des Insolvenzgerichts Wirkung nur für die Zukunft entfaltet und damit keine Auswirkungen auf die streitgegenständlichen Honorarforderungen hat.

24

Die Frage, ob der Beschluss des Insolvenzgerichts, mit dem die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit für unwirksam erklärt wird, auf den Zeitpunkt der Freigabe zurückwirkt und die Wirkung der Erklärung des Insolvenzverwalters von Anfang (ex tunc) an beseitigt oder ob der Beschluss nur für die Zukunft (ex nunc) wirkt, ist in der insolvenzrechtlichen Literatur umstritten. Der Wortlaut des § 35 Abs 2 Satz 3 InsO ist nicht eindeutig und wird teilweise eher in Richtung einer Rückwirkung der Entscheidung des Insolvenzgerichts interpretiert(Lüdtke in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 4. Aufl 2012, § 35 RdNr 267; OLG Koblenz Beschluss vom 18.3.2013 - 12 W 90/13 - unveröffentlicht). Eine § 34 Abs 3 Satz 3 InsO vergleichbare ausdrückliche Regelung, nach der die Wirkungen bestimmter Rechtshandlungen aus der Zeit vor der Beschlussfassung unberührt bleiben, ist in § 35 Abs 2 InsO jedenfalls nicht getroffen worden. Der systematische Zusammenhang sowie der erkennbare Zweck der Regelung sprechen jedoch eindeutig gegen eine Wirkung ex tunc.

25

Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Insolvenzschuldner mit der Freigabeerklärung (sog Negativerklärung) nach § 35 Abs 2 Satz 1 InsO auch die Möglichkeit zur Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit außerhalb des Insolvenzverfahrens eröffnet werden soll(vgl BT-Drucks 16/3227 S 17). Dies kann nicht nur im Interesse des Schuldners, sondern - wegen der Abführungspflicht nach § 35 Abs 2 Satz 2 iVm § 295 Abs 2 InsO - auch im Interesse der Insolvenzgläubiger liegen. Die Negativerklärung des Insolvenzverwalters hat zur Folge, dass den Neugläubigern des selbstständig tätigen Schuldners zwar nicht die Insolvenzmasse, dafür aber der Neuerwerb als Haftungsmasse zur Verfügung steht. Dem steht § 89 InsO nicht entgegen, weil sich die dort geregelte Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung während des Insolvenzverfahrens allein auf die Insolvenzgläubiger und nicht auf Neugläubiger bezieht. Diesem Umstand werden die neuen Geschäftspartner bei Eingehung von Vertragsverhältnissen mit dem Selbstständigen Rechnung tragen. Wenn die Neugläubiger jedoch keine Klarheit darüber erlangen könnten, ob ihnen als Haftungsmasse der Neuerwerb (Einkünfte des Schuldners aus seiner selbstständigen Tätigkeit) oder aber - nach rückwirkender Aufhebung der Freigabe - die Insolvenzmasse zur Verfügung steht, würde die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit zumindest erheblich erschwert.

26

Gleichzeitig würden die Ziele verfehlt, die mit der Veröffentlichungspflicht nach § 35 Abs 3 Satz 2 InsO erreicht werden sollen. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht sowohl die Erklärung des Insolvenzverwalters über die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit als auch den gerichtlichen Beschluss über deren Unwirksamkeit bekannt zu machen. Mit der Veröffentlichung sollen Gläubiger und der Geschäftsverkehr informiert werden, sodass Unklarheiten im Zusammenhang mit den durch den Schuldner im Rahmen der selbstständigen Tätigkeit und den freigegebenen Vertragsverhältnissen abgegebenen Erklärungen vermieden werden (vgl BGH Urteil vom 22.5.2014 - IX ZR 136/13 - NZI 2014, 614 RdNr 26; BGH Urteil vom 9.2.2012 - IX ZR 75/11 - BGHZ 192, 322 RdNr 24). Die mit der Veröffentlichung angestrebte Herstellung von Rechtssicherheit könnte jedoch nicht erreicht werden, wenn die Wirkung der Freigabe jederzeit auf Antrag der Gläubigerversammlung durch Beschluss des Insolvenzgerichts rückwirkend beseitigt werden könnte.

27

Schließlich ist nicht erkennbar, wie die Rechtsverhältnisse rückabgewickelt werden könnten, die durch den Selbstständigen in der Übergangszeit begründet wurden. Dass eine solche Rückabwicklung gerade in Fällen einer umfangreichen Geschäftstätigkeit des Selbstständigen problematisch ist, wird auch von Befürwortern einer Rückwirkung nicht übersehen. Vor diesem Hintergrund schlägt Ries (in Kreft, InsO, 7. Aufl 2014, § 35 RdNr 82) vor, die zwischenzeitlichen Verfügungen des Schuldners als rechtswirksam anzusehen und die bisherigen Leistungen analog § 82 InsO als schuldbefreiend zu behandeln. Dies erscheint jedoch mit der in der Rechtsprechung des BGH (vgl BGH Urteil vom 22.5.2014 - IX ZR 136/13 - NJW 2014, 2585 RdNr 23; BGH Urteil vom 9.2.2012 - IX ZR 75/11 - BGHZ 192, 322 RdNr 27, 29) im Interesse der Rechtssicherheit geforderten klaren Abgrenzung der die Masse treffenden Verbindlichkeiten von den aus der selbstständigen Tätigkeit herrührenden Verbindlichkeiten des Schuldners nicht ohne Weiteres vereinbar. Ungelöst bliebe die Frage der Zuordnung der durch den Schuldner in der Zeit nach der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit begründeten Vertragsverhältnisse.

28

Aus den genannten Gründen geht der Senat mit der hM in der Literatur (Haarmeyer, ZInsO 2007, 696, 698; Bornemann, in Wimmer, Frankfurter Kommentar zur InsO, 7. Aufl 2013, § 35 RdNr 13d, 25; Büteröwe in K. Schmidt, InsO, 18. Aufl 2013, § 35 RdNr 58; Graf-Schlicker/Kexel in Graf-Schlicker, InsO, 4. Aufl 2014, § 35 RdNr 31; Ahrens in ders/Gehrlein/Ringstmeier, Fachanwaltskommentar Insolvenzrecht, 2. Aufl 2014, § 35 RdNr 168; Hirte in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl 2010, § 35 RdNr 103; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, Stand August 2014, § 35 RdNr 119; Berger, ZInsO 2008, 1101, 1105; Pape, WM 2013, 1145, 1149; Smid, DZWIR 2008, 133, 142; ebenso AG Duisburg Beschluss vom 22.4.2010 - 60 IN 26/09 - Juris RdNr 25; aA Lüdtke in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 4. Aufl 2012, § 35 RdNr 267; Kreft, InsO, 7. Aufl 2014, § 35 RdNr 81) davon aus, dass dem die Freigabe aufhebenden gerichtlichen Beschluss Wirkung allein für die Zukunft zukommen kann.

29

c) Der Beigeladene war weder bezüglich der streitgegenständlichen Honorarforderung für das Quartal III/2008 (nachfolgend aa) noch bezüglich der im November und Dezember 2008 geleisteten Abschlagszahlungen für das Quartal IV/2008 (bb) verfügungsbefugt, weil es sich bei den Honorarforderungen um Neuerwerb aus dem Zeitraum der Freigabe handelt, der mit dem Zugang der sog Negativerklärung beim Kläger spätestens am 2.10.2008 begann und mit der Anordnung der Unwirksamkeit durch Beschluss des Insolvenzgerichts vom 13.2.2009 endete.

30

aa) Als Neuerwerb, der nicht in die Masse fällt, sind diejenigen Einkünfte zu qualifizieren, welche der Schuldner von der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters an aus der freigegebenen selbstständigen Tätigkeit erzielt (BGHZ 192, 322 RdNr 28; BGH Urteil vom 18.4.2013 - IX ZR 165/12 - NZI 2013, 641 RdNr 23). Das Honorar für das Quartal III/2008, das die Beklagte im Januar 2009 an den Beigeladenen gezahlt hat, hat der Kläger im Zeitraum der Freigabe erzielt. Dem steht nicht entgegen, dass es um Honorar für zahnärztliche Leistungen geht, die der Kläger teilweise - nämlich bezogen auf den Zeitraum zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Beschluss des AG Montabaur vom 12.9.2008 (vgl § 27 InsO) und der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit als Zahnarzt nach § 35 Abs 2 Satz 1 InsO durch die Erklärung des Beigeladenen vom 30.9.2008 - erbracht hat. Maßgebend für die zeitliche Zuordnung des Erwerbs ist der Zeitpunkt, in dem der Erwerbsgrund bereits so weit verwirklicht ist, dass das betroffene Recht als Vermögensbestandteil dem Schuldner zugeordnet werden kann (Ahrens in ders/Gehrlein/Ringstmeier, Fachanwaltskommentar Insolvenzrecht, 2. Aufl 2014, § 35 RdNr 122; Bäuerle in Braun, InsO, 6. Aufl 2014, § 35 RdNr 97; Peters in Münchener Kommentar zur InsO, 3. Aufl 2013, § 35 RdNr 71).

31

Voraussetzung für die Entstehung eines Vergütungsanspruchs des Vertrags(zahn)arztes ist danach zunächst, dass vergütungsfähige Leistungen erbracht werden (BGHZ 167, 363 RdNr 7; BGH Urteil vom 18.4.2013 - IX ZR 165/12 - NZI 2013, 641). Nach der zur Wirksamkeit einer Abtretung der Honorarforderung in der Insolvenz des Vertragsarztes ergangenen Rechtsprechung des BGH soll der Honoraranspruch des Vertragsarztes "dem Grunde nach" bereits entstehen, sobald dieser vergütungsfähige Leistungen erbracht hat (BGHZ 167, 363 RdNr 7). Allerdings unterscheidet sich der Honoraranspruch des Vertrags(zahn)arztes aus vertrags(zahn)ärztlicher Behandlung erheblich von Honoraransprüchen aus privatärztlicher Tätigkeit. Die Honorarforderung des Vertrags(zahn)arztes richtet sich weder gegen den Patienten noch gegen die Krankenkasse, sondern - aufgrund der strikten Trennung der Rechtskreise - allein gegen die K(Z)ÄV (BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 32). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats entsteht ein "konkreter" Honoraranspruch des Vertragsarztes regelmäßig erst nach Prüfung sämtlicher von den Vertrags(zahn)ärzten eingereichter Abrechnungen und der darauf basierenden Errechnung der Verteilungspunktwerte (BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 34 mwN). Die Honorarforderung des einzelnen Zahnarztes wird als Anteil an der begrenzten Gesamtvergütung, die die Krankenkassen gemäß § 85 Abs 1 SGB V mit befreiender Wirkung an die KZÄV zahlen, ermittelt. Letztlich erst mit Erlass des Honorarbescheides konkretisiert sich der bis dahin nur allgemeine Anspruch des Vertrags(zahn)arztes auf Teilhabe an der Honorarverteilung zu einem der Höhe nach individualisierten Honoraranspruch. Anders als bei der privat(zahn)ärztlichen Vergütung, die gemäß § 12 Abs 1 GOÄ bzw § 10 Abs 1 GOZ mit einer den Anforderungen der maßgebenden Gebührenordnung entsprechenden Rechnung fällig wird, tritt die Fälligkeit in der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung erst im Zeitpunkt des Erlasses des Honorarbescheides ein(BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 64 RdNr 13; BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 35 mwN).

32

Der Senat ist der Rechtsprechung des BGH allerdings insoweit beigetreten, als er davon ausgeht, dass mit dem Abschluss eines Quartals, in dem der Vertrags(zahn)arzt vertrags(zahn)ärztliche Leistungen erbracht hat, und der Vorlage der entsprechenden Abrechnung bereits ein "genereller" Anspruch auf Teilhabe an der Honorarverteilung und insofern schon dem Grunde nach ein Vergütungsanspruch des Arztes entsteht, dessen Höhe und Fälligkeit jedoch von dem zu erlassenden Honorarbescheid abhängt (BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 38; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 64 RdNr 15; BSGE 108, 56 = SozR 4-2500 § 85 Nr 62, RdNr 19). Mit der Abrechnung seiner Leistungen gegenüber der K(Z)ÄV hat der Vertrags(zahn)arzt eine dem Anwartschaftsrecht aus einem bedingten Rechtsgeschäft vergleichbare Rechtsposition erlangt (BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 31). Insofern ist davon auszugehen, dass der Vertragsarzt das Honorar bereits im Zeitpunkt der Vorlage der Honorarabrechnung erzielt.

33

Vorliegend hat der Kläger seine Honorarabrechnung für das Quartal III/2008 am 7.10.2008 und damit nach Zugang der Erklärung des Beigeladenen zur Freigabe der selbstständigen Tätigkeit bei dem Kläger (spätestens am 2.10.2008) bei der Beklagten eingereicht. Da die Entstehung der Honorarforderung auch nur dem Grunde nach neben der Erbringung der vertrags(zahn)ärztlichen Leistung die Vorlage der Abrechnung durch den Vertrags(zahn)arzt voraussetzt, kann die Honorarforderung erst ab dem 7.10.2008 iS des § 35 Abs 2 Satz 1 InsO als zu dessen Vermögen gehörig angesehen werden. Damit handelt es sich bei der - noch nicht durch Vorschusszahlungen erfüllten - Honorarforderung für das Quartal III/2008 um Neuerwerb aus der Zeit nach der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit. Das vertragszahnärztliche Honorar des Klägers für das Quartal III/2008 ist damit nicht Bestandteil der Insolvenzmasse geworden und stand dementsprechend auch nicht dem Beigeladenen zu.

34

bb) Auch die Abschlagszahlungen, die die Beklagte im November und Dezember 2008 im Hinblick auf die im jeweiligen Vormonat durch den Kläger erbrachten zahnärztlichen Leistungen erbracht hat, sind dem Zeitraum der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Klägers zuzuordnen. Nach der Rechtsprechung des Senats sind Abschlagszahlungen, die die K(Z)ÄV auf künftige Honorarforderungen erbringt, als vorzeitige Erfüllung zu werten, obwohl der endgültige Honoraranspruch zu diesem Zeitpunkt noch nicht besteht. Dabei hat der Senat den Gedanken des § 140 Abs 3 InsO herangezogen und ferner berücksichtigt, dass die K(Z)ÄV idR nicht frei darüber entscheiden kann, ob sie entsprechende Abschlagszahlungen leistet. Vielmehr ist sie dazu typischerweise aufgrund von Regelungen zur Honorarverteilung oder einer Abrechnungsrichtlinie verpflichtet (vgl BSGE 105, 224 = SozR 4-2500 § 85 Nr 52, RdNr 45). Dass in dem nach § 85 Abs 4 Satz 2 SGB V festgesetzten Verteilungsmaßstab auch Regelungen zur Zahlung von Abschlägen getroffen werden können, ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt(BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 32 S 246; vgl Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand November 2014, § 85 RdNr 28). Deshalb sind Honoraransprüche, die (bei fehlender Freigabe der selbstständigen Tätigkeit) nach Insolvenzeröffnung fällig werden, nicht in der im Honorarbescheid ausgewiesenen Höhe gegenüber dem Insolvenzverwalter zu erfüllen. Vielmehr sind die für dasselbe Quartal vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits geleisteten Abschlagszahlungen mindernd zu berücksichtigen (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 64 RdNr 20). Daraus folgt im Ergebnis, dass es für die Zuordnung von Abschlagszahlungen auf den Zeitpunkt ihrer Zahlung ankommt, der seine Grundlage in den Regelungen des Honorarverteilungsvertrags bzw -maßstabs oder der Abrechnungsrichtlinie findet. Dementsprechend erstreckt sich die Verfügungsbefugnis des Beigeladenen nicht auf die im November und Dezember 2008 - und damit im Zeitraum der Freigabe - geleisteten Abschlagszahlungen. Lediglich für die Restzahlung des Honorars für das Quartal IV/2008, das jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, ist von Bedeutung, ob der Kläger die Abrechnung für das Quartal IV/2008 entsprechend den üblichen Abläufen bereits im Januar 2009 - und damit vor dem die Unwirksamkeit der Freigabe anordnenden Beschluss des Insolvenzgerichts vom 13.2.2009 - vorgelegt hat.

35

3. Da die während des Zeitraums der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Klägers geleisteten Zahlungen mithin nicht dem Beigeladenen zustehen, kann offenbleiben, ob der Kläger seine Ansprüche wirksam abgetreten hat oder ob dem das in der Abrechnungsordnung der Beklagten geregelte Abtretungsverbot entgegensteht. Jedenfalls dürfte es nach Auffassung des Senats ausgeschlossen sein, dass das Abtretungsverbot rückwirkend auch Abtretungen erfasst, die in der Zeit vor dem Inkrafttreten dieser Regelung vereinbart worden sind. Für das vorliegende Verfahren kommt es darauf jedoch nicht an.

36

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 VwGO. Die Kostenpflicht des Beigeladenen als erfolglosem Rechtsmittelführer beruht auf § 154 Abs 2 VwGO. Diese Regelung ist im Falle eines erfolglosen Rechtsmittels die allein maßgebliche Kostenvorschrift. Dementsprechend ist in einem solchen Fall kein Raum für eine Kostenpflicht auch der Beklagten, die selbst kein Rechtsmittel eingelegt hat, unabhängig davon, ob ihr Bescheid aufgehoben wird. Da die Beklagte dem Antrag des Beigeladenen beigetreten ist, ist sie jedoch entsprechend dem Grundgedanken des § 154 Abs 1 VwGO nicht kostenerstattungsberechtigt(vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 RdNr 25, mwN).

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 14. Dezember 2011 - 2 Sa 97/11 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war seit dem 6. Mai 2010 bei Herrn M (im Folgenden: Schuldner) als Kraftfahrer angestellt. Der Schuldner betrieb als Einzelunternehmer einen Kurier- und Kleintransportdienst. Mit Schreiben vom 13. Mai 2010, dem Kläger zugegangen am 15. Mai 2010, kündigte der Schuldner das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos wegen Wegfalls eines Auftraggebers und bevorstehender Insolvenz.

3

Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 20. Mai 2010 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte erklärte gegenüber dem Schuldner noch mit Schreiben vom selben Tag die Freigabe der von diesem ausgeübten selbständigen Tätigkeit aus der Insolvenzmasse gemäß § 35 Abs. 2 InsO. Das Schreiben ging dem Schuldner am 21. Mai 2010 zu. Mit weiterem Schreiben vom 20. Mai 2010 informierte der Beklagte das Insolvenzgericht über die erfolgte Freigabe der selbständigen Tätigkeit. Am 25. Mai 2010 wurde die Freigabe öffentlich bekannt gemacht.

4

Mit seiner Klageschrift vom 1. Juni 2010, welche noch am selben Tag beim Arbeitsgericht einging, erhob der Kläger Kündigungsschutzklage gegen den Beklagten als Insolvenzverwalter.

5

Nach seiner Ansicht ist der Beklagte passiv legitimiert. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei dieser kraft Amtes in die Arbeitgeberstellung eingerückt. Die Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO habe daran nichts geändert. Die außerordentliche Kündigung vom 13. Mai 2010 sei mangels eines wichtigen Grundes unwirksam. Da eine Probezeit nicht vereinbart wurde, habe das Arbeitsverhältnis nur ordentlich zum 15. Juni 2010 gekündigt werden können.

6

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die außerordentliche Kündigung des Insolvenzschuldners vom 13. Mai 2010 nicht fristlos, sondern fristgemäß zum 15. Juni 2010 aufgelöst worden ist.

7

Der Beklagte hat seinen Klageabweisungsantrag mit seiner fehlenden Passivlegitimation begründet. Durch die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO gehöre der Geschäftsbetrieb des Schuldners mit allen dazugehörigen Dauerschuldverhältnissen nicht mehr zur Insolvenzmasse. Dementsprechend habe der Schuldner mit der Freigabe auch die Verfügungsbefugnis über das Arbeitsverhältnis des Klägers zurückerhalten. Folglich hätte die Kündigungsschutzklage gegen den Schuldner gerichtet werden müssen.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht mangels Passivlegitimation des Beklagten abgewiesen.

10

A. Die Klage ist zulässig. Die Frage der Passivlegitimation des Beklagten berührt allein die Begründetheit und nicht die Zulässigkeit der Klage (vgl. BAG 23. Juni 2004 - 10 AZR 495/03 - zu B I der Gründe, BAGE 111, 135).

11

B. Die Klage ist unbegründet. Der beklagte Insolvenzverwalter ist nicht passiv legitimiert. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen der Freigabeerklärung des Beklagten nach § 35 Abs. 2 InsO bereits auf den Schuldner zurückgefallen.

12

I. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrensgeht nach § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen Dienstverhältnisse mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Damit kann der Schuldner als Vertragsarbeitgeber die aus der Arbeitgeberstellung fließenden Rechte und Pflichten nicht mehr ausüben; sie fallen dem Insolvenzverwalter zu. Dieser tritt in die Arbeitgeberstellung ein und übt für die Dauer des Insolvenzverfahrens statt des Vertragsarbeitgebers die Funktion des Arbeitgebers aus. Die materiell-rechtliche Funktion des Insolvenzverwalters als Arbeitgeber kraft Amtes bedingt prozessual seine Stellung als Arbeitgeber im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG(vgl. GmS-OGB 27. September 2010 - GmS-OGB 1/09 - Rn. 18, BGHZ 187, 105). Ist zum Zeitpunkt der Klageerhebung ein Insolvenzverwalter bestellt, ist eine Kündigungsschutzklage folglich gegen den Insolvenzverwalter zu richten, und zwar auch dann, wenn die Kündigung noch vom Schuldner erklärt wurde (vgl. BAG 18. Oktober 2012 - 6 AZR 41/11 - Rn. 19; 21. September 2006 - 2 AZR 573/05 - Rn. 22).

13

II. Eine Kündigungsschutzklage ist aber auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner zu richten, wenn dieser eine selbständige Tätigkeit ausübt und der Insolvenzverwalter das Vermögen aus dieser Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO aus der Insolvenzmasse freigegeben hat. Mit Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner fällt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Arbeitsverhältnisse ohne gesonderte Kündigung an den Schuldner zurück.

14

1. Übt der Schuldner als natürliche Person eine selbständige Tätigkeit aus, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zu erklären, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Die Erklärung ist dem Gericht gegenüber nach § 35 Abs. 3 Satz 1 InsO anzuzeigen. Falls das Insolvenzgericht nicht die Unwirksamkeit der Erklärung anordnet ( § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO ), wird das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit durch eine Freigabeerklärung von der Insolvenzmasse gelöst. Der im Rahmen der selbständigen Tätigkeit erzielte Neuerwerb gehört nicht zur Insolvenzmasse. Korrespondierend dazu wird die Masse von den Verbindlichkeiten freigestellt, die der Schuldner im Rahmen der selbständigen Tätigkeit begründet (vgl. Uhlenbruck/Hirte 13. Aufl. § 35 InsO Rn. 99; MünchKommInsO/Peters 3. Aufl. § 35 Rn. 47c, 47h; Smid DZWIR 2008, 133). § 35 Abs. 2 InsO dient damit sowohl dem Interesse des Schuldners als auch dem Schutz der Masse. Das Gericht hat die Freigabeerklärung öffentlich bekannt zu machen ( § 35 Abs. 3 Satz 2 InsO ).

15

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 35 Abs. 2 InsO nach seinem Sinn und Zweck dahin gehend auszulegen, dass die Freigabeerklärung auch Dauerschuldverhältnisse ohne die Notwendigkeit einer Kündigungserklärung erfasst(BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 15 f., BGHZ 192, 322). Die Vorschrift solle dem Schuldner nach der Vorstellung des Gesetzgebers ermöglichen, im Einverständnis mit dem Insolvenzverwalter eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen oder fortzusetzen. Die Freigabe erstrecke sich folgerichtig auf das Vermögen des Schuldners, das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, „einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse“ (BT-Drucks. 16/3227 S. 17; BGH 9. Juni 2011 - IX ZB 175/10 - Rn. 7). Die freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO betreffe demnach im Unterschied zu der in § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO als zulässig vorausgesetzten echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten(BT-Drucks. 16/3227 S. 26 f.). Die Freigabe verwirkliche sich ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Erklärungen bereits mit dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner (BGH 18. April 2013 - IX ZR 165/12 - Rn. 21). Allein die Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zerschneide das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbständigen Tätigkeit und leite die der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners über(BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 19, BGHZ 192, 322). Die Veröffentlichung der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 3 Satz 2 InsO sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Freigabe und rein deklaratorischer Natur(BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 24, aaO).

16

3. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an. Die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erfasst auch Arbeitsverhältnisse, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung bereits begründet waren. Eine gesonderte Kündigung der Arbeitsverhältnisse ist nicht erforderlich.

17

a) In der Literatur wird allerdings vertreten, dass sich die Freigabe nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO nur auf die durch den Schuldner danach begründeten Vertragsverhältnisse bezieht. Auf vor der Freigabe begründete Vertragsverhältnisse sollen nach dieser Auffassung die §§ 103, 108 f. InsO anzuwenden sein (vgl. Berger ZInsO 2008, 1101; FK-InsO/Schumacher 6. Aufl. § 35 Rn. 20; Wischemeyer ZInsO 2009, 2121; Wischemeyer/Schur ZInsO 2007, 1240; Windel Anm. AP InsO § 35 Nr. 1 zu III 2 b). Den Vertragspartnern, dh. auch den Arbeitnehmern, dürfe die Haftung der Insolvenzmasse (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO)nicht durch eine Freigabe entzogen werden (vgl. auch Windel RdA 2012, 366). Demnach müsse der Insolvenzverwalter entscheiden, ob er Vertragserfüllung verlangt oder den Vertrag kündigt. Tetzlaff regt an, dass der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer mit der Freigabeerklärung auffordert, sich zu erklären, ob er für den Schuldner tätig bleiben oder Ansprüche gegen die Insolvenzmasse geltend machen will. Entscheide sich der Arbeitnehmer für Letzteres, müsse gekündigt werden (jurisPR-InsR 3/2011 Anm. 6; vgl. auch Hergenröder DZWIR 2013, 251).

18

b) Diese Auffassungen berücksichtigen Sinn und Zweck des § 35 Abs. 2 InsO nicht hinreichend.

19

aa) Bei § 35 Abs. 2 InsO handelt es sich um eine Pauschalfreigabe(vgl. BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 556/11 - Rn. 51), die sich im Gegensatz zur „echten Freigabe“ von Massegegenständen auch auf zweiseitige Verträge bezieht und dabei nicht nach Typus und Inhalt der betroffenen Vertragsverhältnisse unterscheidet (zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 35 Abs. 2 und 3 InsO vgl. BAG 10. April 2008 - 6 AZR 368/07 - Rn. 23, BAGE 126, 229; 5. Februar 2009 - 6 AZR 110/08 - Rn. 25, BAGE 129, 257). Auch innerhalb der Dauerschuldverhältnisse sind daher keine Differenzierungen veranlasst, die sich aus der Anwendbarkeit unterschiedlicher Kündigungsfristen ergeben. Der Schuldner muss zum Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz regelmäßig eine Vielzahl von Verträgen schließen. Soweit derartige Verträge, die vor Insolvenzeröffnung vereinbart wurden und mit der Eröffnung nicht in Wegfall geraten sind, im Zuge der selbständigen Tätigkeit von dem Schuldner fortgesetzt werden sollen, kann nicht auf eine klare zeitliche Zäsur verzichtet werden, wann Rechte und Pflichten von der Masse auf den Schuldner übergehen. Da es sich dabei regelmäßig um ein Bündel von Rechtsbeziehungen handelt, wäre es kaum praktikabel, auf die dem Insolvenzverwalter im Rahmen der §§ 103 f. InsO eröffneten, höchst unterschiedlich ausgestalteten Lösungsrechte abzustellen. Bei diesem Verständnis würde § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO weitgehend seiner Funktion beraubt, einen einheitlichen Übergang des der selbständigen Tätigkeit dienenden Vermögens einschließlich der darauf bezogenen Vertragsverhältnisse von der Masse auf den Schuldner zu bewirken. Vielmehr werden Unklarheiten weitgehend vermieden, indem kraft der mit dem Zugang bei dem Schuldner wirksam werdenden Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters sämtliche noch fortbestehenden, der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse und sich daraus ergebende Verbindlichkeiten auf den Schuldner übergeleitet werden. Die Anknüpfung an den Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner gestattet insoweit eine eindeutige zeitliche Differenzierung ( BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 30, BGHZ 192, 322; zustimmend Bartels KTS 2012, 381; Pape/Pape ZInsO 2013, 685; vgl. bereits Ries ZInsO 2009, 2030).

20

bb) Diese Überlegungen sprechen dafür, dass die Wirkung der Freigabeerklärung ohne gesonderte Kündigung auch Arbeitsverhältnisse erfasst (so im Ergebnis auch Ahrens KSzW 2012, 303; Lindemann BB 2011, 2357; Ries ZInsO 2009, 2030; MünchKommInsO/Peters 3. Aufl. § 35 Rn. 47f; Stiller ZInsO 2010, 1374; Haarmeyer ZInsO 2007, 696; Nungeßer NZI 2012, 359; MünchKommInsO/Hefermehl § 55 Rn. 114; HambKomm/Lüdtke 3. Aufl. § 35 Rn. 262 f.; Nerlich/Römermann/Andres InsO Stand April 2008 § 35 Rn. 108 f.; Braun/Bäuerle InsO 5. Aufl. § 35 Rn. 72). Zudem ist der Schuldner zur Wahrnehmung einer selbständigen Tätigkeit häufig auf den Fortbestand von Arbeitsverhältnissen angewiesen. Müsste der Insolvenzverwalter diese zur Verwirklichung einer Enthaftung der Masse kündigen, würden sich die Arbeitnehmer wegen der eingetretenen Insolvenz vielfach nicht entschließen, mit dem Schuldner ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen. Damit würde dem Schuldner eine unentbehrliche Betriebsgrundlage für die Fortführung seiner Tätigkeit entzogen (vgl. BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 26, BGHZ 192, 322; FK-InsO/Bornemann 7. Aufl. § 35 Rn. 13c; HambKomm/Lüdtke § 35 Rn. 263; Stiller ZInsO 2010, 1374, 1375). Das legislatorische Ziel, dem Insolvenzverwalter die Freigabe verlustreicher Betriebsführung zu ermöglichen, könnte zudem nicht konsequent erreicht werden, wenn die Wirkung der Freigabe erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, dh. gegebenenfalls erst nach der dreimonatigen Frist des § 113 Satz 2 InsO, einträte(vgl. Lindemann BB 2011, 2357, 2360 mwN).

21

cc) Auch der in den Gesetzesmaterialien enthaltene Hinweis auf die Regelung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO(BT-Drucks. 16/3227 S. 17) vermag nicht die Notwendigkeit einer zusätzlichen Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters zum Zweck der Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit Wirkung für die Masse zu begründen. Durch den Hinweis auf § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Gesetzgeber lediglich beispielhaft die auch in anderem Zusammenhang bestehende Möglichkeit einer Enthaftung der Insolvenzmasse betont, aber gerade nicht die dort geregelten Kündigungsfristen für verbindlich erklärt(BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 24, BGHZ 192, 322).

22

c) Die Freigabeerklärung wirkt mit ihrem Zugang bei dem Schuldner ex nunc (BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 556/11 - Rn. 51). Ein Wirksamwerden der Freigabeerklärung erst mit Ablauf der Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO ist auch nicht mit Blick auf berechtigte Arbeitnehmerinteressen geboten(so aber Uhlenbruck/Hirte 13. Aufl. § 35 InsO Rn. 101; Berscheid jurisPR-ArbR 14/2011 Anm. 6). § 113 InsO begründet kein schutzwürdiges Interesse der Arbeitnehmer bis zu einem Kündigungstermin vorrangig als Massegläubiger befriedigt zu werden. Mit § 113 InsO werden lediglich die Kündigungsfristen von Alt-Arbeitsverträgen zugunsten der Insolvenzmasse verkürzt. Ein etwaiges Vertrauen auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die hieraus folgende Lohnzahlungspflicht hat der Arbeitnehmer bei Vertragsschluss dem Schuldner entgegengebracht, nicht dem Insolvenzverwalter. Mit Freigabe des Arbeitsverhältnisses stellt der Insolvenzverwalter den Zustand wieder her, der vor Insolvenzeröffnung bestand, da dem Schuldner nicht die Möglichkeit zu einer vorzeitigen Vertragsbeendigung nach § 113 InsO gegeben ist(Braun/Bäuerle InsO 5. Aufl. § 35 Rn. 72).

23

III. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war der beklagte Insolvenzverwalter wegen der Wirkung der dem Schuldner bereits am 21. Mai 2010 zugegangenen Freigabeerklärung nicht mehr passiv legitimiert. Die zu § 613a BGB ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht dem nicht entgegen.

24

1. Der Kläger hat den Rückfall seines Arbeitsverhältnisses nicht in direkter oder analoger Anwendung von § 613a Abs. 6 BGB durch Erklärung eines Widerspruchs verhindert.

25

a) Dies käme nur in Betracht, wenn der beklagte Insolvenzverwalter dem Beschlag der Masse unterliegende Betriebsmittel freigegeben hätte, die sich als eine „Einheit“ im Sinne der zu § 613a BGB ergangenen Rechtsprechung darstellen, und das Arbeitsverhältnis dieser „Einheit“ zugeordnet gewesen wäre. Für diesen Fall hat der Senat angenommen, dass aufgrund der vergleichbaren Interessenlage eine entsprechende Anwendung des § 613a BGB geboten wäre, dh. das Arbeitsverhältnis würde auf den Schuldner im Zuge der Freigabe „übergehen“, wenn der Arbeitnehmer nicht entsprechend § 613a Abs. 6 BGB widerspricht(BAG 10. April 2008 -  6 AZR 368/07  - Rn. 23, BAGE 126, 229; 5. Februar 2009 - 6 AZR 110/08 - Rn. 26, BAGE 129, 257 ). Ein Widerspruch würde hingegen den Rückfall an den Schuldner verhindern, der Insolvenzverwalter bliebe passiv legitimiert.

26

b) Ob nach Inkrafttreten des § 35 Abs. 2 InsO von einer Anwendbarkeit des § 613a BGB auszugehen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung(befürwortend Ahrens NJW-Spezial 2012, 341; ders. KSzW 2012, 303; Nungeßer NZI 2012, 359; Windel RdA 2012, 366; Henkel Anm. EWiR 2008, 687; ablehnend Ries NZI 2009, 2030; Lindemann BB 2011, 2357; differenzierend Wischemeyer ZInsO 2009, 937). Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die vom beklagten Insolvenzverwalter freigegebenen Betriebsmittel eine „Einheit“ im Sinne von § 613a BGB gebildet haben. Er hat auch nicht behauptet, dass er dem Rückfall seines Arbeitsverhältnisses widersprochen habe. Die von ihm gerügte fehlende Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB könnte nur bewirken, dass die Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht zu laufen begann.

27

2. Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich eine Passivlegitimation des Beklagten schließlich nicht unter entsprechender Heranziehung der Rechtsprechung zum Betriebsübergang, die eine Passivlegitimation des kündigenden Betriebsveräußerers für eine Kündigungsschutzklage auch dann annimmt, wenn nach der Kündigungserklärung ein Betriebsübergang stattfindet (vgl. BAG 16. Mai 2002 - 8 AZR 319/01 - zu B III 1 a der Gründe mwN). Diese Rechtsprechung beruht auf dem Grundgedanken, dass derjenige, der die Kündigung erklärt hat, auch bei einem späteren Betriebsübergang für die Klärung der Wirksamkeit der Kündigung zuständig sein soll (vgl. BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 556/11 - Rn. 62). Hier hat der Kläger aber gerade nicht den Kündigenden, dh. den Schuldner, verklagt. Im Übrigen befindet sich der Schuldner infolge der Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO auch nicht in einer dem Betriebsveräußerer, sondern dem Betriebserwerber vergleichbaren Position.

28

C. Der Kläger hat die Kosten der Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    M. Geyer    

        

    Steinbrück    

                 

(1) Das Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse).

(2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295a gilt entsprechend. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung ordnet das Insolvenzgericht die Unwirksamkeit der Erklärung an.

(3) Der Schuldner hat den Verwalter unverzüglich über die Aufnahme oder Fortführung einer selbständigen Tätigkeit zu informieren. Ersucht der Schuldner den Verwalter um die Freigabe einer solchen Tätigkeit, hat sich der Verwalter unverzüglich, spätestens nach einem Monat zu dem Ersuchen zu erklären.

(4) Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist dem Gericht gegenüber anzuzeigen. Das Gericht hat die Erklärung und den Beschluss über ihre Unwirksamkeit öffentlich bekannt zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 75/11
Verkündet am:
9. Februar 2012
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Gibt der Insolvenzverwalter das Vermögen des Schuldners aus einer selbständigen
Tätigkeit frei, können auf die selbständige Tätigkeit bezogene vertragliche
Ansprüche von Gläubigern, die nach dem Zugang der Erklärung beim Schuldner
entstehen, nur gegen den Schuldner und nicht gegen die Masse verfolgt werden.
Versäumt der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung die Kündigung eines
von dem Schuldner begründeten Dauerschuldverhältnisses, trifft ihn eine Schadensersatzpflicht
nur für solche Verbindlichkeiten, die nach dem Zeitpunkt entstehen
, zu dem bei einer frühestmöglichen Kündigungserklärung der Vertrag geendet
hätte.
BGH, Urteil vom 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - OLG Dresden
LG Leipzig
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Februar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und den Richter
Dr. Fischer

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 4. Mai 2011 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 23. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittel fallen der Klägerin zur Last.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Beklagte zu 1 ist Verwalter in dem über das Vermögen des K. (nachfolgend: Schuldner) am 20. Januar 2009 eröffneten Insolvenzverfahren.
2
Die Klägerin vermietete dem Schuldner durch Vertrag vom 5./9. März 1998 für eine Miete in Höhe von zuletzt 420,07 € in L. gelegene Räumlichkeiten , in denen der Schuldner eine Autoreparaturwerkstatt betreibt. Am 19. Februar 2009 gab der Beklagte zu 1 durch Erklärung gegenüber dem Schuldner das Vermögen aus dessen freiberuflicher Tätigkeit frei. Von dieser Maßnahme setzte der Beklagte zu 1 das Insolvenzgericht mit Schreiben vom 27. Februar 2009 in Kenntnis.
3
Nachdem die Klägerin wegen rückständiger Miete am 24. September 2009 einen Mahnbescheid gegen den Schuldner erwirkt hatte, unterrichtete sie der Beklagte zu 1 am 8. Oktober 2009 über das gegen den Schuldner eröffnete Insolvenzverfahren. Mit Rücksicht auf die von der Klägerin als Masseverbindlichkeit beanspruchte laufende Miete kündigte der Beklagte zu 1 das Mietverhältnis durch Schreiben vom 16. Oktober 2009 ordentlich sowie hilfsweise außerordentlich. Der Beklagte zu 1 zeigte am 24. Februar 2010 Masseunzulänglichkeit an.
4
Die Klägerin, nach deren Auffassung das Mietverhältnis infolge der Kündigung des Beklagten zu 1 zum 30. Juni 2010 endete, begehrt gegenüber dem Beklagten zu 1 als Insolvenzverwalter die Feststellung der laufenden Miete vom 20. Januar 2009 bis zum 24. Februar 2010 in Höhe von 5.563,38 € als Masseverbindlichkeit sowie die Zahlung der laufenden Miete vom 25. Februar 2010 bis zum 30. Juni 2010 in Höhe von 1.740,28 € als Neumasseverbindlichkeit. Ferner nimmt sie den Beklagten zu 2 persönlich im Wege des Schadensersatzes auf Zahlung der offenen Miete über insgesamt 7.303,73 € in Anspruch.
5
Das Landgericht hat der Klage lediglich dahin stattgegeben, dass der Beklagte zu 1 verpflichtet ist, die Miete für den Zeitraum vom 20. Januar 2009 bis einschließlich 19. Februar 2009 in Höhe von 447,54 € als Altmasseverbindlichkeit gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO festzustellen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass der Beklagte zu 1 verpflichtet ist, an die Klägerin 5.563,38 € zu zahlen, ferner hat es den Beklagten zu 1 ver- urteilt, an die Klägerin die laufende Miete für den Zeitraum vom 25. Februar 2010 bis 30. Juni 2010 in Höhe von 1.740,28 € als Neumasseverbindlichkeit zu bezahlen. Den Beklagten zu 2 hat es verurteilt, an die Klägerin 2.470,72 € zu bezahlen. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Begehren auf Zurückweisung der Berufung der Klägerin weiter.

Entscheidungsgründe:


6
Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.

I.


7
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, zwar fehle für eine Zahlungsklage, die auf die Begleichung von Neumasseverbindlichkeiten gerichtet sei, das Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine die Verfahrenskosten deckende Masse nicht vorhanden sei. Diese Feststellung könne vorliegend aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit getroffen werden.
8
In der Sache meint das Berufungsgericht, die Negativerklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO führe nicht dazu, dass Verbindlichkeiten aus einem bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Mietverhältnis für die Zeit nach der Freigabe ohne die Notwendigkeit einer Kündigung ihren Charakter als Masseverbindlichkeiten verlören. Zu dem Vermögen, das aus der Insolvenzmasse ausscheide, gehöre nach dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO lediglich dasjenige Vermögen, das der Schuldner nach Verfahrenseröffnung aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit erwerbe. Die Erklärung sei nach ihrem Wortlaut und Regelungszusammenhang nur auf die Zuordnung des Neuerwerbs des Schuldners zu beziehen, gebiete indessen nicht die Herauslösung des vollständigen, der selbständigen Tätigkeit des Schuldners gewidmeten Vermögens. Die Vorschrift des § 35 Abs. 2 InsO wolle verhindern, dass die von dem Schuldner für den Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse zu begleichen seien. Von dieser Zielsetzung sei dagegen nicht die Zuordnung des gesamten der Erwerbstätigkeit gewidmeten Schuldnervermögens gedeckt. Sinn und Zweck der Regelung rechtfertigten nicht, die Insolvenzmasse unabhängig von den Bestimmungen der §§ 108 f InsO von der Haftung für Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen freizustellen. Der Erklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO könne nicht die Wirkung einer Erklärung nach § 109 Abs. 1 InsO zugesprochen werden, weil Empfänger dieser Erklärung der Vermieter sei, der sich auf die Beendigung des Mietverhältnisses einstellen könne. Vor diesem Hintergrund verbleibe es für den Zeitraum vom 20. Januar 2009 bis zum 30. Juni 2010 bei einer Verpflichtung der Masse.
9
Der Anspruch gegen den Beklagten zu 2 auf Zahlung von 2.470,72 € ergebe sich aus § 61 InsO. Der Beklagte zu 2 habe eine Masseverbindlichkeit begründet, weil er es unterlassen habe, von seinem Sonderkündigungsrecht nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO Gebrauch zu machen. Da eine Kündigung frühestens zum 30. April 2009 möglich gewesen sei, erstrecke sich die Schadensersatzpflicht auf die danach bis zum Wirksamwerden der ordentlichen Kündigung am 30. Juni 2010 entstandenen Mietzahlungsansprüche.

II.


10
Der rechtlichen Würdigung des Berufungsgerichts kann in der Sache nicht beigetreten werden. Der Klägerin stehen gegen den Beklagten zu 1 aufgrund der von ihm gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO abgegebenen Freigabeerklärung lediglich die von dem Landgericht bis zur Erteilung dieser Erklärung am 19. Februar 2009 zuerkannten Mietforderungen als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2, § 108 Abs. 1 Satz 1, § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO) zu. Für einen wegen der Nichterfüllung einer Masseverbindlichkeit auf § 61 InsO gestützten Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu 2 ist kein Raum.
11
1. Der von der Klägerin gegen den Beklagten zu 1 verfolgte Zahlungsantrag für die Miete vom 25. Februar 2010 bis 30. Juni 2010 als Neumasseverbindlichkeit ist entgegen der Auffassung der Revision zulässig.
12
Nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist die Leistungsklage eines Neumassegläubigers (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO) gegen den Insolvenzverwalter unzulässig, wenn er aus der freien Masse nicht befriedigt werden kann, ohne dass daneben die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt sind (BGH, Urteil vom 13. April 2006 - IX ZR 22/05, BGHZ 167, 178 Rn. 25 ff). Das Berufungsgericht vermochte auf der Grundlage des Beklagtenvorbringens nicht festzustellen , dass eine die Verfahrenskosten deckende Masse nicht vorhanden ist. Diese tatbestandliche Feststellung (§ 314 ZPO) ist mangels eines von dem Beklagten zu 1 gestellten Tatbestandsberichtigungsantrags für das Revisionsverfahren bindend (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 - IX ZR 206/08, WM 2010, 136 Rn. 11).
13
2. Die Klägerin kann nach Abgabe der Erklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO durch den Beklagten zu 1 die gegen den Schuldner im Zeitraum vom 20. Februar 2009 bis 30. Juni 2010 begründeten Mietforderungen nicht als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2, § 108 Abs. 1 Satz 1, § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO) verfolgen. Neben der Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erforderte die Enthaftung der Masse nicht außerdem die Kündigung des Mietverhältnisses des Schuldners zu der Klägerin durch den Beklagten zu 1.
14
a) Übt der Schuldner als natürliche Person eine selbständige Tätigkeit aus, kann der Insolvenzverwalter gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erklären, dass Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Der Gesetzgeber trägt mit dieser Regelung dem Interesse des Schuldners Rechnung, sich durch eine gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit eine neue wirtschaftliche Existenz zu schaffen (BTDrucks. 16/3227, S. 17). Zu diesem Zweck soll dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet werden, außerhalb des Insolvenzverfahrens einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen. Es handelt sich um eine Art Freigabe des Vermögens, welches der gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2011 - IX ZB 175/10, WM 2011, 1344 Rn. 7). Das gesetzliche Regelungsmodell geht dahin, einerseits die aus seiner fortgesetzten gewerblichen Tätigkeit erzielten Einkünfte des Schuldners den (Neu-)Gläubigern, die nach Verfahrenseröffnung mit dem Schuldner kontrahiert haben, als selbständige Haftungsmasse zur Verfügung zu stellen und andererseits die Masse des bereits eröffneten Verfahrens von Verbindlichkeiten des Schuldners aus seiner weiteren gewerblichen Tätigkeit freizustellen (BT-Drucks., aaO).
15
b) In Rechtsprechung und Schrifttum wird kontrovers beurteilt, gegen wen nach einer Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters Forderungen aus von dem Schuldner vor Insolvenzeröffnung begründeten und im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit fortgesetzten Dauerschuldverhältnissen geltend gemacht werden können. Teils wird - in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht - angenommen, dass Verbindlichkeiten aus den von dem Schuldner eingegangenen Dauerschuldverhältnissen auch nach einer Freigabeerklärung bis zu einer wirksamen Kündigung durch den Insolvenzverwalter die Masse treffen (Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl., § 35 Rn. 101; HK-InsO/Eickmann, 6. Aufl., § 35 Rn. 59; FK-InsO/Schumacher, 6. Aufl., § 35 Rn. 20; BK-InsO/Amelung/ Wagner, § 35 Rn. 139; Wischemeyer/Schur, ZInsO 2007, 1240, 1242 ff; Gutsche, ZVI 2008, 41, 44 ff; Berger, ZInsO 2008, 1101, 1107; Smid DZWiR 2008, 133, 140 f; Wischemeyer, ZInsO 2009, 937, 942 f; 2009, 2121, 2124 f). Die wohl überwiegende Meinung geht demgegenüber davon aus, dass kraft der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen ohne die Notwendigkeit weiterer, insbesondere auf eine Vertragskündigung gerichteter Erklärungen des Insolvenzverwalters nur noch gegen den Schuldner und nicht mehr gegen die Masse durchgesetzt werden können (LG Krefeld, NZI 2010, 485 f; ArbG Berlin, ZIP 2010, 1914; HmbKomm-InsO/Lüdtke, 3. Aufl., § 35 Rn. 262, 263; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2007, § 35 Rn. 114, 115; Braun/Bäuerle, InsO, 4. Aufl., § 35 Rn. 84; Smid/Leonhardt in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, 3. Aufl., § 35 Rn. 36; Pannen/Riedemann, NZI 2006, 193, 196; Ahrens, NZI 2007, 622, 624 f; Haarmeyer, ZInsO 2007, 696, 697; Holzer, ZVI 2007, 289, 292; Heinze ZVI 2007, 349, 354 f; Zipperer, ZVI 2007, 541, 542; Ries, ZInsO 2009, 2030, 2033 f; Stiller, ZInsO 2010, 1374 ff).
16
3. Zutreffend ist die zuletzt angeführte Auffassung.
17
a) Bereits den Gesetzesmaterialien ist - wie auch Vertreter der Gegenansicht einräumen (Uhlenbruck/Hirte, aaO) - zu entnehmen, dass Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, die nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners durch den Insolvenzverwalter entstehen, unabhängig von einer Kündigungserklärung nicht mehr dem Insolvenzverfahren unterliegen und auf den Schuldner übergeleitet werden.
18
aa) Der Gesetzgeber hat ausdrücklich angenommen, dass die Freigabe des Vermögens aus der selbständigen Tätigkeit damit verbundene Vertragsverhältnisse einschließt. Diese Rechtsfolge entspricht zudem allein Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.
19
(1) Die Bestimmung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO soll dem Schuldner nach der Vorstellung des Gesetzgebers ermöglichen, im Einverständnis mit dem Insolvenzverwalter eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen oder fortzusetzen. Die Freigabe erstreckt sich folgerichtig auf das Vermögen des Schuldners , das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, "einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse" (BT-Drucks., aaO; vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2011, aaO; HmbKomm-InsO/Lüdtke, aaO, § 35 Rn. 262). Die freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO betrifft demnach im Unterschied zu der in § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO als zulässig vorausgesetzten echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten (BT-Drucks., aaO, S. 26 f). Die Freigabe verwirklicht sich ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Erklärungen bereits mit dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner (Haarmeyer, aaO, S. 697; Ries, aaO, S. 2033; HmbKomm-InsO/Lüdtke, aaO, § 35 Rn. 257). Allein die Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zerschneidet das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbstän- digen Tätigkeit (vgl. Holzer, ZVI 2007, 289, 292; Haarmeyer, aaO) und leitet die der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners über (vgl. Zipperer, aaO).
20
(2) Die endgültige Fassung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO beruht auf einem Änderungsvorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages. Im Unterschied zu dem in dem Regierungsentwurf dem Insolvenzverwalter durch das Tatbestandsmerkmal "kann" eingeräumten Ermessen, sich zu einer selbständigen Tätigkeit des Schuldners zu erklären, sieht der Wortlaut des § 35 Abs. 1 Satz 1 InsO durch den anstelle von "kann" eingefügten Begriff "hat" nunmehr ausdrücklich vor, dass der Insolvenzverwalter eine Erklärung abgeben muss, ob Vermögen aus einer selbständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört oder nicht. Der Rechtsausschuss befürchtete, im Falle der bloßen Duldung einer selbständigen Tätigkeit durch den sich einer Erklärung enthaltenden Insolvenzverwalter könnten Zweifel hinsichtlich der grundsätzlichen Entstehung von Masseverbindlichkeiten und deren Höhe aufkommen. Durch die Verpflichtung zur Abgabe einer Erklärung soll demgegenüber zweifelsfrei klargestellt werden, ob im Rahmen der selbständigen Tätigkeit des Schuldners begründete Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten darstellen oder nicht (BT-Drucks. 16/4194, S. 14). Auf diese Weise hat der Gesetzgeber im Zuge seiner Beratung abermals zum Ausdruck gebracht, dass bereits allein der Inhalt der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters darüber entscheidet, ob aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners weitere Masseverbindlichkeiten erwachsen.
21
bb) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht im Anschluss an eine Stellungnahme des Schrifttums (Wischemeyer, ZInsO 2009, 2121, 2124; siehe aber Wischemeyer/Schur, ZInsO 2007, 1240, 1242), der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers zur Freigabe auch beste- hender Vertragsverhältnisse habe im Wortlaut des § 35 Abs. 2 Satz 1 keinen hinreichenden Ausdruck gefunden.
22
Bei der Auslegung dieser Vorschrift ist zu berücksichtigen, dass die Befugnis des Insolvenzverwalters, einzelne Vermögensbestandteile aus dem Insolvenzbeschlag zu Gunsten des Schuldners freizugeben, seit jeher auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung anerkannt war (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2005 - IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32, 34 mwN; BT-Drucks., aaO; Holzer, aaO). Während sich die gewohnheitsrechtlich gebilligte Freigabe auf bestimmte Vermögensgegenstände bezieht (BT-Drucks., aaO), erfasst die Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten (BT-Drucks., aaO, S. 26 f). Da die in § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO geregelte Freigabe im Unterschied zur Freigabe einzelner Vermögensgegenstände umfassender Natur ist, bestehen keine Bedenken, die in § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO gestattete Freigabe von "Vermögen aus einer selbständigen Tätigkeit“ auch auf bestehende Vertragsverhältnisse zu erstrecken (vgl. Stiller, aaO, S. 1375 f).
23
cc) Soweit der Gesetzgeber hinsichtlich der Rechtsfolgen der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 die Regelung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO anführt (BT-Drucks., aaO, S. 17), kann daraus entgegen Äußerungen des Schrifttums (Uhlenbruck/Hirte, aaO, § 35 Rn. 101; Wischemeyer/Schur, aaO, S. 1242 f; Gutsche, aaO, S. 44 ff) nicht die Notwendigkeit einer zusätzlichen Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters zum Zweck der Beendigung von Dauerschuldverhältnissen mit Wirkung für die Masse hergeleitet werden.
24
Durch den Hinweis auf § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Gesetzgeber lediglich beispielhaft die auch in anderem Zusammenhang bestehende Möglichkeit einer Enthaftung der Insolvenzmasse betont, aber gerade nicht die dort geregelten Kündigungsfristen für verbindlich erklärt. Tatsächlich ergibt sich aus § 35 Abs. 3 Satz 1 und 2 InsO, wonach die Erklärung des Insolvenzverwalters dem Gericht anzuzeigen und von diesem öffentlich bekannt zu machen ist, die Entbehrlichkeit auf eine Vertragsbeendigung gerichteter Kündigungserklärungen. Die Freigabe tritt zwar - wie dargelegt - ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Erklärungen bereits mit dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner ein. Folglich ist die anschließende Veröffentlichung der Freigabeerklärung keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Freigabe und rein deklaratorischer Natur (HmbKomm-InsO/Lüdtke, aaO; § 35 Rn. 268; Haarmeyer, aaO, S. 698). Die Bekanntmachung der Freigabeerklärung erleichtert vielmehr den Nachweis, dass der Verwalter hinsichtlich des Vermögens aus der selbständigen Tätigkeit endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verzichtet hat, und informiert die Neugläubiger und allgemein den Geschäftsverkehr , dass die Masse nicht für die Verbindlichkeiten aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners haftet (BT-Drucks., aaO). Bei Verfahrensbeteiligten und Dritten können mithin keine Unklarheiten im Zusammenhang mit den durch den Schuldner im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit abgegebenen Erklärungen auftreten (BT-Drucks. 16/4196, aaO). Dient die Bekanntmachung dem Zweck, die Gläubiger zeitnah darüber zu unterrichten, dass die Masse für Verbindlichkeiten des Schuldners aus seiner selbständigen Tätigkeit nicht mehr haftet (Smid/Leonhardt, aaO, § 35 Rn. 44), bedarf es keiner weiteren auf die Beendigung von Vertragsverhältnissen gerichteten Erklärungen des Insolvenzverwalters. Nach Sinn und Zweck der Regelung haben die Anzeige gegenüber dem Insolvenzgericht und die Veröffentlichung unverzüglich zu erfolgen. Verzögerungen können Schadensersatzansprüche des Gläubigers begründen.
25
b) Nur eine solche Auslegung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO, derzufolge bereits aufgrund der Freigabeerklärung die mit der selbständigen Tätigkeit in Zusammenhang stehenden Vertragsverhältnisse unter Vermeidung einer Kündigung auf den Schuldner übergehen, trägt den Belangen der Beteiligten angemessen Rechnung und schafft in der gebotenen Klarheit den rechtlichen Rahmen für die Aufnahme oder Fortsetzung einer selbständigen Tätigkeit des Schuldners.
26
aa) Zur Wahrnehmung einer selbständigen Tätigkeit ist der Schuldner auf den Fortbestand bestimmter Dauerschuldverhältnisse wie insbesondere Miet-, Pacht- oder Dienstverträge (vgl. Berger, aaO, S. 1107) zwingend angewiesen. Die Vorschrift des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO verleiht dem Insolvenzverwalter die Gestaltungsmacht, derartige Dauerschuldverhältnisse, die er im Interesse der Gläubigergemeinschaft zur Verringerung der Masseverbindlichkeiten andernfalls kündigen müsste, zu Gunsten des einer selbständigen Tätigkeit nachgehenden Schuldners freizugeben (Braun/Bäuerle, aaO). Müsste der Insolvenzverwalter die von Gläubigern mit dem Schuldner geschlossenen Verträge zur Verwirklichung einer Enthaftung der Masse kündigen, wäre nicht erklärlich , inwieweit der Schuldner aus diesen Verträgen zum Zweck der Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit gegenüber den Vertragspartnern Rechte herleiten könnte. Nach einer wirksamen Kündigung durch den Insolvenzverwalter würden sich die Vertragspartner des Schuldners wegen dessen Insolvenz vielfach nicht entschließen, mit ihm neue Vertragsbeziehungen anzuknüpfen. Damit würden dem Schuldner die für eine Fortführung seiner Tätigkeit unentbehrlichen Betriebsgrundlagen entzogen (HmbKomm-InsO/Lüdtke, aaO, § 35 Rn. 263; Heinze, aaO, S. 354; Stiller, aaO, S. 1375).
27
bb) Die mit der Freigabeerklärung verbundene allgemeine Überleitung der Vertragsverhältnisse von der Masse auf den Schuldner ermöglicht eine klare Abgrenzung der die Masse und der den Schuldner treffenden, aus der selbständigen Tätigkeit herrührenden Verbindlichkeiten. Da die Freigabeerklärung mit dem Zugang an den Schuldner wirksam wird, sind danach entstehende Verbindlichkeiten allein gegen ihn zu verfolgen.
28
(1) Sofern der Insolvenzverwalter das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners freigibt, können die Neugläubiger, die nach der Freigabeerklärung Forderungen gegen den Schuldner erworben haben, auf die ab diesem Zeitpunkt durch die selbständige Tätigkeit erwirtschafteten Vermögenswerte des Schuldners als eigenständige Haftungsmasse zugreifen. Den Altgläubigern ist hingegen gemäß § 89 InsO eine Vollstreckung in diese Vermögensgegenstände verwehrt (BT-Drucks. 16/3227, S. 17; HmbKomm-InsO/ Lüdtke, aaO, § 35 Rn. 258). Wird dem Schuldner eine selbständige Tätigkeit gestattet, kann überdies - wie der Senat durch Beschluss vom 9. Juni 2011 entschieden hat (IX ZB 175/10, WM 2011, 1344, Rn. 7 ff) - auf Antrag eines Neugläubigers ein auf dieses Vermögen beschränktes zweites Insolvenzverfahren gegen den Schuldner eröffnet werden. Die von dem Schuldner aus der selbständigen Tätigkeit von der Freigabeerklärung an erzielten Einkünfte stehen den Gläubigern, deren Forderungen erst nach der Freigabeerklärung entstanden sind, als Haftungsmasse zur Verfügung (BGH, aaO, Rn. 7). Der Neuerwerb haftet während des eröffneten (Erst-)Verfahrens nur den Neugläubigern, nicht den (Alt-)Insolvenzgläubigern (BGH, aaO, Rn. 11).
29
(2) Mit Rücksicht sowohl auf die Befugnis einer Vollstreckung allein der Neugläubiger in die durch die selbständige Tätigkeit des Schuldners geschaffene Haftungsmasse als auch die Möglichkeit der Eröffnung eines Insolvenzver- fahrens über diese Haftungsmasse im Interesse der Neugläubiger bedarf es einer eindeutigen Abgrenzung, inwieweit Gläubiger ihre Verbindlichkeiten entweder gegen die Altmasse oder den Schuldner beziehungsweise die Masse eines Zweitinsolvenzverfahrens zu verfolgen haben. Die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO ermöglicht die im Interesse der Rechtssicherheit gebotene klare Unterscheidung.
30
Wird dem Schuldner die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit eröffnet, so ist zu berücksichtigen, dass der Schuldner zum Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz regelmäßig eine Vielzahl von Verträgen schließen muss. Soweit derartige Verträge, die vor Insolvenzeröffnung vereinbart wurden und mit der Eröffnung nicht in Wegfall geraten sind, im Zuge der selbständigen Tätigkeit von dem Schuldner fortgesetzt werden sollen, kann nicht auf eine klare zeitliche Zäsur verzichtet werden, wann Rechte und Pflichten von der Masse auf den Schuldner übergehen. Da es sich dabei regelmäßig um ein Bündel von Rechtsbeziehungen handelt, wäre es kaum praktikabel, auf die dem Insolvenzverwalter im Rahmen der §§ 103 ff InsO eröffneten, höchst unterschiedlich ausgestalteten Lösungsrechte abzustellen. Bei diesem Verständnis würde § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO weitgehend seiner Funktion beraubt, einen einheitlichen Übergang des der selbständigen Tätigkeit dienenden Vermögens einschließlich der darauf bezogenen Vertragsverhältnisse von der Masse auf den Schuldner zu bewirken. Vielmehr werden Unklarheiten weitgehend vermieden, indem kraft der mit dem Zugang bei dem Schuldner wirksam werdenden Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters sämtliche noch fortbestehenden, der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse und daraus sich ergebende Verbindlichkeiten auf den Schuldner übergeleitet werden (vgl. Ries, aaO, S. 2033 f). Die Anknüpfung an den Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner gestattet insoweit eine eindeutige zeitliche Differenzierung.

31
(3) Würden Vertragsverhältnisse erst nach Ablauf einer Kündigungsfrist auf den Schuldner übergehen, wäre der Insolvenzverwalter zwecks Entlastung der Masse von den zwischenzeitlich entstehenden Verbindlichkeiten gehalten, vor der Freigabe mit dem Schuldner eine Nutzungsvereinbarung zu schließen (vgl. Stiller, aaO, S. 1375). Käme der Schuldner seiner Zahlungspflicht nicht nach und würde im Blick auf seine selbständige Tätigkeit ein weiteres Insolvenzverfahren eröffnet, würde die Erstmasse als Gläubigerin an diesem Verfahren teilnehmen. Dann würde das an die Freigabe der selbständigen Tätigkeit geknüpfte Vertrauen der Neugläubiger beeinträchtigt, nicht in eine Konkurrenz mit Ansprüchen der Altmasse treten zu müssen. Auch diese Verfahrenskomplikation wird vermieden, wenn die Vertragsverhältnisse mit Zugang der Freigabeerklärung auf den Schuldner übergehen.

III.


32
Schadensersatzansprüche der Klägerin aus § 61 InsO wegen der Nichterfüllung einer Masseverbindlichkeit sind gegen den Beklagten zu 2 nicht begründet.
33
1. Die Regelung des § 61 InsO eröffnet zu Gunsten von Vertragsgläubigern einen Schadensersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter, der durch den Abschluss von Verträgen Verbindlichkeiten eingeht, obwohl diese - wie er erkennen kann - aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden können. Die Ersatzpflicht greift auch ein, wenn der Insolvenzverwalter eine rechtlich zulässige Kündigung von Dauerschuldverhältnissen versäumt (HK-InsO/Lohmann, aaO, § 61 Rn. 3; HmbKomm-InsO/Weitzmann, aaO, § 61 Rn. 7). In diesem Fall kommt eine Ersatzpflicht aber nur für die Verbindlichkeiten in Betracht, die nach dem Zeitpunkt entstehen, zu dem bei einer frühestmöglichen Kündigungserklärung der Vertrag geendet hätte (HK-InsO/Lohmann, aaO, § 61 Rn. 8; HmbKomm -InsO/Weitzmann, aaO; Uhlenbruck/Sinz, aaO, § 61 Rn. 6; vgl. auch BGH, Urteil vom 3. April 2003 - IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358, 364).
34
2. Im Streitfall ist lediglich die im Zeitraum der Verfahrenseröffnung am 20. Januar 2009 bis zum Wirksamwerden der Freigabeerklärung am 20. Februar 2009 entstandene Mietforderung über 447,54 € als Masseforderung offen geblieben. Der Beklagte zu 2 hätte das Mietverhältnis zu der Klägerin nach Verfahrenseröffnung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO mangels einer anderweitigen mietvertraglichen Abrede nur mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende kündigen können. Bei dieser Sachlage scheidet eine Ersatzpflicht des Beklagten zu 2 aus, weil die offene Forderung der Klägerin auch bei sofortiger Ausübung des Kündigungsrechts wegen der zu beachtenden Kündigungsfrist nicht vermeidbar war.

IV.


35
Auf die begründete Revision der Beklagten ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da es keiner weiteren Feststellungen bedarf, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts zurückweisen (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Fischer
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 23.06.2010 - 1 O 359/10 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 04.05.2011 - 13 U 1007/10 -

(1) Das Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse).

(2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295a gilt entsprechend. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung ordnet das Insolvenzgericht die Unwirksamkeit der Erklärung an.

(3) Der Schuldner hat den Verwalter unverzüglich über die Aufnahme oder Fortführung einer selbständigen Tätigkeit zu informieren. Ersucht der Schuldner den Verwalter um die Freigabe einer solchen Tätigkeit, hat sich der Verwalter unverzüglich, spätestens nach einem Monat zu dem Ersuchen zu erklären.

(4) Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist dem Gericht gegenüber anzuzeigen. Das Gericht hat die Erklärung und den Beschluss über ihre Unwirksamkeit öffentlich bekannt zu machen.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 14. Dezember 2011 - 2 Sa 97/11 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war seit dem 6. Mai 2010 bei Herrn M (im Folgenden: Schuldner) als Kraftfahrer angestellt. Der Schuldner betrieb als Einzelunternehmer einen Kurier- und Kleintransportdienst. Mit Schreiben vom 13. Mai 2010, dem Kläger zugegangen am 15. Mai 2010, kündigte der Schuldner das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos wegen Wegfalls eines Auftraggebers und bevorstehender Insolvenz.

3

Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 20. Mai 2010 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte erklärte gegenüber dem Schuldner noch mit Schreiben vom selben Tag die Freigabe der von diesem ausgeübten selbständigen Tätigkeit aus der Insolvenzmasse gemäß § 35 Abs. 2 InsO. Das Schreiben ging dem Schuldner am 21. Mai 2010 zu. Mit weiterem Schreiben vom 20. Mai 2010 informierte der Beklagte das Insolvenzgericht über die erfolgte Freigabe der selbständigen Tätigkeit. Am 25. Mai 2010 wurde die Freigabe öffentlich bekannt gemacht.

4

Mit seiner Klageschrift vom 1. Juni 2010, welche noch am selben Tag beim Arbeitsgericht einging, erhob der Kläger Kündigungsschutzklage gegen den Beklagten als Insolvenzverwalter.

5

Nach seiner Ansicht ist der Beklagte passiv legitimiert. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei dieser kraft Amtes in die Arbeitgeberstellung eingerückt. Die Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO habe daran nichts geändert. Die außerordentliche Kündigung vom 13. Mai 2010 sei mangels eines wichtigen Grundes unwirksam. Da eine Probezeit nicht vereinbart wurde, habe das Arbeitsverhältnis nur ordentlich zum 15. Juni 2010 gekündigt werden können.

6

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die außerordentliche Kündigung des Insolvenzschuldners vom 13. Mai 2010 nicht fristlos, sondern fristgemäß zum 15. Juni 2010 aufgelöst worden ist.

7

Der Beklagte hat seinen Klageabweisungsantrag mit seiner fehlenden Passivlegitimation begründet. Durch die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO gehöre der Geschäftsbetrieb des Schuldners mit allen dazugehörigen Dauerschuldverhältnissen nicht mehr zur Insolvenzmasse. Dementsprechend habe der Schuldner mit der Freigabe auch die Verfügungsbefugnis über das Arbeitsverhältnis des Klägers zurückerhalten. Folglich hätte die Kündigungsschutzklage gegen den Schuldner gerichtet werden müssen.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht mangels Passivlegitimation des Beklagten abgewiesen.

10

A. Die Klage ist zulässig. Die Frage der Passivlegitimation des Beklagten berührt allein die Begründetheit und nicht die Zulässigkeit der Klage (vgl. BAG 23. Juni 2004 - 10 AZR 495/03 - zu B I der Gründe, BAGE 111, 135).

11

B. Die Klage ist unbegründet. Der beklagte Insolvenzverwalter ist nicht passiv legitimiert. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen der Freigabeerklärung des Beklagten nach § 35 Abs. 2 InsO bereits auf den Schuldner zurückgefallen.

12

I. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrensgeht nach § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen Dienstverhältnisse mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Damit kann der Schuldner als Vertragsarbeitgeber die aus der Arbeitgeberstellung fließenden Rechte und Pflichten nicht mehr ausüben; sie fallen dem Insolvenzverwalter zu. Dieser tritt in die Arbeitgeberstellung ein und übt für die Dauer des Insolvenzverfahrens statt des Vertragsarbeitgebers die Funktion des Arbeitgebers aus. Die materiell-rechtliche Funktion des Insolvenzverwalters als Arbeitgeber kraft Amtes bedingt prozessual seine Stellung als Arbeitgeber im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG(vgl. GmS-OGB 27. September 2010 - GmS-OGB 1/09 - Rn. 18, BGHZ 187, 105). Ist zum Zeitpunkt der Klageerhebung ein Insolvenzverwalter bestellt, ist eine Kündigungsschutzklage folglich gegen den Insolvenzverwalter zu richten, und zwar auch dann, wenn die Kündigung noch vom Schuldner erklärt wurde (vgl. BAG 18. Oktober 2012 - 6 AZR 41/11 - Rn. 19; 21. September 2006 - 2 AZR 573/05 - Rn. 22).

13

II. Eine Kündigungsschutzklage ist aber auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner zu richten, wenn dieser eine selbständige Tätigkeit ausübt und der Insolvenzverwalter das Vermögen aus dieser Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO aus der Insolvenzmasse freigegeben hat. Mit Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner fällt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Arbeitsverhältnisse ohne gesonderte Kündigung an den Schuldner zurück.

14

1. Übt der Schuldner als natürliche Person eine selbständige Tätigkeit aus, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zu erklären, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Die Erklärung ist dem Gericht gegenüber nach § 35 Abs. 3 Satz 1 InsO anzuzeigen. Falls das Insolvenzgericht nicht die Unwirksamkeit der Erklärung anordnet ( § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO ), wird das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit durch eine Freigabeerklärung von der Insolvenzmasse gelöst. Der im Rahmen der selbständigen Tätigkeit erzielte Neuerwerb gehört nicht zur Insolvenzmasse. Korrespondierend dazu wird die Masse von den Verbindlichkeiten freigestellt, die der Schuldner im Rahmen der selbständigen Tätigkeit begründet (vgl. Uhlenbruck/Hirte 13. Aufl. § 35 InsO Rn. 99; MünchKommInsO/Peters 3. Aufl. § 35 Rn. 47c, 47h; Smid DZWIR 2008, 133). § 35 Abs. 2 InsO dient damit sowohl dem Interesse des Schuldners als auch dem Schutz der Masse. Das Gericht hat die Freigabeerklärung öffentlich bekannt zu machen ( § 35 Abs. 3 Satz 2 InsO ).

15

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 35 Abs. 2 InsO nach seinem Sinn und Zweck dahin gehend auszulegen, dass die Freigabeerklärung auch Dauerschuldverhältnisse ohne die Notwendigkeit einer Kündigungserklärung erfasst(BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 15 f., BGHZ 192, 322). Die Vorschrift solle dem Schuldner nach der Vorstellung des Gesetzgebers ermöglichen, im Einverständnis mit dem Insolvenzverwalter eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen oder fortzusetzen. Die Freigabe erstrecke sich folgerichtig auf das Vermögen des Schuldners, das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, „einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse“ (BT-Drucks. 16/3227 S. 17; BGH 9. Juni 2011 - IX ZB 175/10 - Rn. 7). Die freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO betreffe demnach im Unterschied zu der in § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO als zulässig vorausgesetzten echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten(BT-Drucks. 16/3227 S. 26 f.). Die Freigabe verwirkliche sich ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Erklärungen bereits mit dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner (BGH 18. April 2013 - IX ZR 165/12 - Rn. 21). Allein die Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zerschneide das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbständigen Tätigkeit und leite die der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners über(BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 19, BGHZ 192, 322). Die Veröffentlichung der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 3 Satz 2 InsO sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Freigabe und rein deklaratorischer Natur(BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 24, aaO).

16

3. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an. Die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erfasst auch Arbeitsverhältnisse, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung bereits begründet waren. Eine gesonderte Kündigung der Arbeitsverhältnisse ist nicht erforderlich.

17

a) In der Literatur wird allerdings vertreten, dass sich die Freigabe nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO nur auf die durch den Schuldner danach begründeten Vertragsverhältnisse bezieht. Auf vor der Freigabe begründete Vertragsverhältnisse sollen nach dieser Auffassung die §§ 103, 108 f. InsO anzuwenden sein (vgl. Berger ZInsO 2008, 1101; FK-InsO/Schumacher 6. Aufl. § 35 Rn. 20; Wischemeyer ZInsO 2009, 2121; Wischemeyer/Schur ZInsO 2007, 1240; Windel Anm. AP InsO § 35 Nr. 1 zu III 2 b). Den Vertragspartnern, dh. auch den Arbeitnehmern, dürfe die Haftung der Insolvenzmasse (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO)nicht durch eine Freigabe entzogen werden (vgl. auch Windel RdA 2012, 366). Demnach müsse der Insolvenzverwalter entscheiden, ob er Vertragserfüllung verlangt oder den Vertrag kündigt. Tetzlaff regt an, dass der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer mit der Freigabeerklärung auffordert, sich zu erklären, ob er für den Schuldner tätig bleiben oder Ansprüche gegen die Insolvenzmasse geltend machen will. Entscheide sich der Arbeitnehmer für Letzteres, müsse gekündigt werden (jurisPR-InsR 3/2011 Anm. 6; vgl. auch Hergenröder DZWIR 2013, 251).

18

b) Diese Auffassungen berücksichtigen Sinn und Zweck des § 35 Abs. 2 InsO nicht hinreichend.

19

aa) Bei § 35 Abs. 2 InsO handelt es sich um eine Pauschalfreigabe(vgl. BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 556/11 - Rn. 51), die sich im Gegensatz zur „echten Freigabe“ von Massegegenständen auch auf zweiseitige Verträge bezieht und dabei nicht nach Typus und Inhalt der betroffenen Vertragsverhältnisse unterscheidet (zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 35 Abs. 2 und 3 InsO vgl. BAG 10. April 2008 - 6 AZR 368/07 - Rn. 23, BAGE 126, 229; 5. Februar 2009 - 6 AZR 110/08 - Rn. 25, BAGE 129, 257). Auch innerhalb der Dauerschuldverhältnisse sind daher keine Differenzierungen veranlasst, die sich aus der Anwendbarkeit unterschiedlicher Kündigungsfristen ergeben. Der Schuldner muss zum Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz regelmäßig eine Vielzahl von Verträgen schließen. Soweit derartige Verträge, die vor Insolvenzeröffnung vereinbart wurden und mit der Eröffnung nicht in Wegfall geraten sind, im Zuge der selbständigen Tätigkeit von dem Schuldner fortgesetzt werden sollen, kann nicht auf eine klare zeitliche Zäsur verzichtet werden, wann Rechte und Pflichten von der Masse auf den Schuldner übergehen. Da es sich dabei regelmäßig um ein Bündel von Rechtsbeziehungen handelt, wäre es kaum praktikabel, auf die dem Insolvenzverwalter im Rahmen der §§ 103 f. InsO eröffneten, höchst unterschiedlich ausgestalteten Lösungsrechte abzustellen. Bei diesem Verständnis würde § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO weitgehend seiner Funktion beraubt, einen einheitlichen Übergang des der selbständigen Tätigkeit dienenden Vermögens einschließlich der darauf bezogenen Vertragsverhältnisse von der Masse auf den Schuldner zu bewirken. Vielmehr werden Unklarheiten weitgehend vermieden, indem kraft der mit dem Zugang bei dem Schuldner wirksam werdenden Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters sämtliche noch fortbestehenden, der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse und sich daraus ergebende Verbindlichkeiten auf den Schuldner übergeleitet werden. Die Anknüpfung an den Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner gestattet insoweit eine eindeutige zeitliche Differenzierung ( BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 30, BGHZ 192, 322; zustimmend Bartels KTS 2012, 381; Pape/Pape ZInsO 2013, 685; vgl. bereits Ries ZInsO 2009, 2030).

20

bb) Diese Überlegungen sprechen dafür, dass die Wirkung der Freigabeerklärung ohne gesonderte Kündigung auch Arbeitsverhältnisse erfasst (so im Ergebnis auch Ahrens KSzW 2012, 303; Lindemann BB 2011, 2357; Ries ZInsO 2009, 2030; MünchKommInsO/Peters 3. Aufl. § 35 Rn. 47f; Stiller ZInsO 2010, 1374; Haarmeyer ZInsO 2007, 696; Nungeßer NZI 2012, 359; MünchKommInsO/Hefermehl § 55 Rn. 114; HambKomm/Lüdtke 3. Aufl. § 35 Rn. 262 f.; Nerlich/Römermann/Andres InsO Stand April 2008 § 35 Rn. 108 f.; Braun/Bäuerle InsO 5. Aufl. § 35 Rn. 72). Zudem ist der Schuldner zur Wahrnehmung einer selbständigen Tätigkeit häufig auf den Fortbestand von Arbeitsverhältnissen angewiesen. Müsste der Insolvenzverwalter diese zur Verwirklichung einer Enthaftung der Masse kündigen, würden sich die Arbeitnehmer wegen der eingetretenen Insolvenz vielfach nicht entschließen, mit dem Schuldner ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen. Damit würde dem Schuldner eine unentbehrliche Betriebsgrundlage für die Fortführung seiner Tätigkeit entzogen (vgl. BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 26, BGHZ 192, 322; FK-InsO/Bornemann 7. Aufl. § 35 Rn. 13c; HambKomm/Lüdtke § 35 Rn. 263; Stiller ZInsO 2010, 1374, 1375). Das legislatorische Ziel, dem Insolvenzverwalter die Freigabe verlustreicher Betriebsführung zu ermöglichen, könnte zudem nicht konsequent erreicht werden, wenn die Wirkung der Freigabe erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, dh. gegebenenfalls erst nach der dreimonatigen Frist des § 113 Satz 2 InsO, einträte(vgl. Lindemann BB 2011, 2357, 2360 mwN).

21

cc) Auch der in den Gesetzesmaterialien enthaltene Hinweis auf die Regelung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO(BT-Drucks. 16/3227 S. 17) vermag nicht die Notwendigkeit einer zusätzlichen Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters zum Zweck der Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit Wirkung für die Masse zu begründen. Durch den Hinweis auf § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Gesetzgeber lediglich beispielhaft die auch in anderem Zusammenhang bestehende Möglichkeit einer Enthaftung der Insolvenzmasse betont, aber gerade nicht die dort geregelten Kündigungsfristen für verbindlich erklärt(BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 24, BGHZ 192, 322).

22

c) Die Freigabeerklärung wirkt mit ihrem Zugang bei dem Schuldner ex nunc (BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 556/11 - Rn. 51). Ein Wirksamwerden der Freigabeerklärung erst mit Ablauf der Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO ist auch nicht mit Blick auf berechtigte Arbeitnehmerinteressen geboten(so aber Uhlenbruck/Hirte 13. Aufl. § 35 InsO Rn. 101; Berscheid jurisPR-ArbR 14/2011 Anm. 6). § 113 InsO begründet kein schutzwürdiges Interesse der Arbeitnehmer bis zu einem Kündigungstermin vorrangig als Massegläubiger befriedigt zu werden. Mit § 113 InsO werden lediglich die Kündigungsfristen von Alt-Arbeitsverträgen zugunsten der Insolvenzmasse verkürzt. Ein etwaiges Vertrauen auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die hieraus folgende Lohnzahlungspflicht hat der Arbeitnehmer bei Vertragsschluss dem Schuldner entgegengebracht, nicht dem Insolvenzverwalter. Mit Freigabe des Arbeitsverhältnisses stellt der Insolvenzverwalter den Zustand wieder her, der vor Insolvenzeröffnung bestand, da dem Schuldner nicht die Möglichkeit zu einer vorzeitigen Vertragsbeendigung nach § 113 InsO gegeben ist(Braun/Bäuerle InsO 5. Aufl. § 35 Rn. 72).

23

III. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war der beklagte Insolvenzverwalter wegen der Wirkung der dem Schuldner bereits am 21. Mai 2010 zugegangenen Freigabeerklärung nicht mehr passiv legitimiert. Die zu § 613a BGB ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht dem nicht entgegen.

24

1. Der Kläger hat den Rückfall seines Arbeitsverhältnisses nicht in direkter oder analoger Anwendung von § 613a Abs. 6 BGB durch Erklärung eines Widerspruchs verhindert.

25

a) Dies käme nur in Betracht, wenn der beklagte Insolvenzverwalter dem Beschlag der Masse unterliegende Betriebsmittel freigegeben hätte, die sich als eine „Einheit“ im Sinne der zu § 613a BGB ergangenen Rechtsprechung darstellen, und das Arbeitsverhältnis dieser „Einheit“ zugeordnet gewesen wäre. Für diesen Fall hat der Senat angenommen, dass aufgrund der vergleichbaren Interessenlage eine entsprechende Anwendung des § 613a BGB geboten wäre, dh. das Arbeitsverhältnis würde auf den Schuldner im Zuge der Freigabe „übergehen“, wenn der Arbeitnehmer nicht entsprechend § 613a Abs. 6 BGB widerspricht(BAG 10. April 2008 -  6 AZR 368/07  - Rn. 23, BAGE 126, 229; 5. Februar 2009 - 6 AZR 110/08 - Rn. 26, BAGE 129, 257 ). Ein Widerspruch würde hingegen den Rückfall an den Schuldner verhindern, der Insolvenzverwalter bliebe passiv legitimiert.

26

b) Ob nach Inkrafttreten des § 35 Abs. 2 InsO von einer Anwendbarkeit des § 613a BGB auszugehen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung(befürwortend Ahrens NJW-Spezial 2012, 341; ders. KSzW 2012, 303; Nungeßer NZI 2012, 359; Windel RdA 2012, 366; Henkel Anm. EWiR 2008, 687; ablehnend Ries NZI 2009, 2030; Lindemann BB 2011, 2357; differenzierend Wischemeyer ZInsO 2009, 937). Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die vom beklagten Insolvenzverwalter freigegebenen Betriebsmittel eine „Einheit“ im Sinne von § 613a BGB gebildet haben. Er hat auch nicht behauptet, dass er dem Rückfall seines Arbeitsverhältnisses widersprochen habe. Die von ihm gerügte fehlende Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB könnte nur bewirken, dass die Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht zu laufen begann.

27

2. Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich eine Passivlegitimation des Beklagten schließlich nicht unter entsprechender Heranziehung der Rechtsprechung zum Betriebsübergang, die eine Passivlegitimation des kündigenden Betriebsveräußerers für eine Kündigungsschutzklage auch dann annimmt, wenn nach der Kündigungserklärung ein Betriebsübergang stattfindet (vgl. BAG 16. Mai 2002 - 8 AZR 319/01 - zu B III 1 a der Gründe mwN). Diese Rechtsprechung beruht auf dem Grundgedanken, dass derjenige, der die Kündigung erklärt hat, auch bei einem späteren Betriebsübergang für die Klärung der Wirksamkeit der Kündigung zuständig sein soll (vgl. BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 556/11 - Rn. 62). Hier hat der Kläger aber gerade nicht den Kündigenden, dh. den Schuldner, verklagt. Im Übrigen befindet sich der Schuldner infolge der Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO auch nicht in einer dem Betriebsveräußerer, sondern dem Betriebserwerber vergleichbaren Position.

28

C. Der Kläger hat die Kosten der Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    M. Geyer    

        

    Steinbrück    

                 

(1) Das Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse).

(2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295a gilt entsprechend. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung ordnet das Insolvenzgericht die Unwirksamkeit der Erklärung an.

(3) Der Schuldner hat den Verwalter unverzüglich über die Aufnahme oder Fortführung einer selbständigen Tätigkeit zu informieren. Ersucht der Schuldner den Verwalter um die Freigabe einer solchen Tätigkeit, hat sich der Verwalter unverzüglich, spätestens nach einem Monat zu dem Ersuchen zu erklären.

(4) Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist dem Gericht gegenüber anzuzeigen. Das Gericht hat die Erklärung und den Beschluss über ihre Unwirksamkeit öffentlich bekannt zu machen.

Dem Schuldner obliegt es, in dem Zeitraum zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist

1.
eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben und, wenn er ohne Beschäftigung ist, sich um eine solche zu bemühen und keine zumutbare Tätigkeit abzulehnen;
2.
Vermögen, das er von Todes wegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht oder durch Schenkung erwirbt, zur Hälfte des Wertes sowie Vermögen, das er als Gewinn in einer Lotterie, Ausspielung oder in einem anderen Spiel mit Gewinnmöglichkeit erwirbt, zum vollen Wert an den Treuhänder herauszugeben; von der Herausgabepflicht sind gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke und Gewinne von geringem Wert ausgenommen;
3.
jeden Wechsel des Wohnsitzes oder der Beschäftigungsstelle unverzüglich dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder anzuzeigen, keine von der Abtretungserklärung erfaßten Bezüge und kein von Nummer 2 erfaßtes Vermögen zu verheimlichen und dem Gericht und dem Treuhänder auf Verlangen Auskunft über seine Erwerbstätigkeit oder seine Bemühungen um eine solche sowie über seine Bezüge und sein Vermögen zu erteilen;
4.
Zahlungen zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger nur an den Treuhänder zu leisten und keinem Insolvenzgläubiger einen Sondervorteil zu verschaffen;
5.
keine unangemessenen Verbindlichkeiten im Sinne des § 290 Absatz 1 Nummer 4 zu begründen.
Auf Antrag des Schuldners stellt das Insolvenzgericht fest, ob ein Vermögenserwerb nach Satz 1 Nummer 2 von der Herausgabeobliegenheit ausgenommen ist.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. März 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 24. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Insolvenzgeld (Insg) für die Monate März, April und Mai 2003.

2

Die Klägerin war bei der E.K. GmbH (im Folgenden: Arbeitgeberin) als Vertriebsassistentin beschäftigt. Das zuständige Amtsgericht (AG) eröffnete mit Beschluss vom 29.6.2001 mit Wirkung zum 1.7.2001 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Insg für die Zeit vom 1.4. bis 30.6.2001.

3

Im Insolvenzverfahren legte die Arbeitgeberin einen von der L. Consult GmbH erstellten Insolvenzplan vom 7.11.2001 vor, dem die Gläubiger zustimmten und den das AG mit Beschluss vom 28.11.2001 bestätigte. Ziel des Insolvenzplans war die Wiederherstellung der Ertragsfähigkeit durch ein neues Unternehmenskonzept. Finanziert werden sollte der Neubeginn insbesondere durch den Verzicht der nachrangigen Gläubiger auf einen Großteil ihrer Forderungen in der Größenordnung von 9 Mio DM (90 % bzw 85 % bei verschiedenen Kleingläubigern). Die Auszahlung der nicht vom Verzicht betroffenen Beträge sollte überwiegend innerhalb eines Monats nach der auf die rechtskräftige Bestätigung des Insolvenzplans folgenden Verfahrensaufhebung nach § 258 Insolvenzordnung (InsO) vorgenommen werden. Eine Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans war nicht vorgesehen.

4

Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 258 InsO erfolgte zum 31.12.2001, 24 Uhr (Beschluss des AG vom 28.12.2001). In weiteren Verfügungen des Beschlusses des AG vom 28.12.2001 wurde ua bestimmt, dass die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters hinsichtlich bestimmter Anderkonten aufrechterhalten blieb, er weiter zur Einziehung bestimmter Forderungen und insoweit auch zur Befriedigung von Masseverbindlichkeiten berechtigt war, die Verfügungsbefugnis auch hinsichtlich der Ansprüche gegen eine eingeschaltete Factoring-Gesellschaft bestehen blieb und das Amt des Insolvenzverwalters erst mit vollständiger Befriedigung der zum 31.12.2001 bestehenden Massekosten und Masseverbindlichkeiten enden sollte. Die genannten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse des Insolvenzverwalters wurden erst durch Beschluss des AG vom 30.5.2003 aufgehoben.

5

Am 21.5.2003 stellte die Arbeitgeberin erneut Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und führte zur Begründung aus, sie sei bei zwei Monaten Lohnrückstand für 70 Arbeitnehmer zahlungsunfähig; die durch den Insolvenzplan vorgegebenen Zahlungen hätten nicht erbracht werden können. Daraufhin bestellte das AG einen vorläufigen Insolvenzverwalter und beauftragte diesen mit der Erstellung eines Gutachtens. Nach Vorlage des Gutachtens vom 17.6.2003 mit dem Ergebnis, Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit seien zweifelsfrei gegeben, eröffnete das AG durch Beschluss vom 19.6.2003 erneut das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin.

6

Den am 28.5.2003 gestellten Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Insg wegen offener Entgeltansprüche für die Monate März, April und Mai 2003 lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Arbeitgeberin habe seit der 2001 eingetretenen Insolvenz ihre Zahlungsfähigkeit nicht wiedererlangt, sodass nur dieses Insolvenzereignis maßgeblich sei (Bescheid vom 4.7.2003; Widerspruchsbescheid vom 8.12.2003).

7

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.1.2007). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin Insg für die Zeit vom 1.3. bis 30.5.2003 zu zahlen (Urteil vom 9.3.2011).

8

Es hat ua ausgeführt: Der Anspruch ergebe sich aus § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Maßgebend sei das am 19.6.2003 eröffnete Insolvenzverfahren; die frühere Insolvenzeröffnung durch Beschluss vom 29.6.2001 entfalte keine Sperrwirkung. Zwar sei der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Fortdauer einer aus Anlass eines früheren Insolvenzereignisses eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bei Überwachung der Planerfüllung zu folgen und es sei auch davon auszugehen, dass die Arbeitgeberin seit 2001 zu keinem Zeitpunkt Zahlungsfähigkeit wiedererlangt habe, weil sie insbesondere die im Insolvenzplan vorgesehenen Zahlungen nicht habe leisten können. Gleichwohl sei die erneute Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 19.6.2003 ein hinreichendes Insolvenzereignis. Denn § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III sei unter Beachtung der Richtlinie 80/987 EWG (RL 80/987) idF der Richtlinie 2002/74 EG (RL 2002/74) dahingehend auszulegen, dass ohne Überwachung der Planerfüllung auch ein nachfolgendes "formelles" Insolvenzereignis bei fortbestehender Insolvenz ausreichend sei, einen Anspruch auf Insg auszulösen, wenn durch den nationalen Gesetzgeber nachfolgende Insolvenzverfahren nicht mit dem vorhergehenden zu einem Gesamtverfahren zusammengefasst seien. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte und der Systematik der genannten Richtlinie (RL). Einer Anwendung der RL stehe nicht der Umstand entgegen, dass nach der maßgebenden Fassung die Mitgliedstaaten die erforderlichen Vorschriften spätestens zum 8.10.2005 zu erlassen hätten. Aus den dokumentierten Erwägungen zu den RL 2002/74 folge, dass der Richtliniengeber einerseits die Arten der Insolvenzverfahren habe erweitern, andererseits aber auch dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit habe eröffnen wollen, eine Mehrheit von Verfahren als einheitliches Gesamtverfahren zu behandeln. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass grundsätzlich jedes formell definierte Insolvenzereignis geeignet sei, den Anspruch zu begründen.

9

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III und führt zur Begründung aus: Allein das Unterbleiben einer Anordnung der Überwachung der Planerfüllung berechtige nicht zu der Annahme, es sei eine neue Zahlungsunfähigkeit eingetreten. Obwohl das erste Insolvenzverfahren formell beendet worden sei, müsse auch unter den Umständen des vorliegenden Falls von einem einzigen Insolvenzverfahren ("Gesamtverfahren") ausgegangen werden. Für die Rechtsauffassung der Beklagten spreche auch, dass eine Initiative des Bundesrats, durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt eine gesetzliche Regelung iS der Auffassung des LSG einzuführen, nicht umgesetzt worden sei.

10

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 9.3.2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 24.1.2007 zurückzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

12

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Wiederherstellung der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 1 Sozialgerichtsgesetz).

14

1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Insg gemäß § 183 Abs 1 S 1 SGB III wegen des ab März 2003 ausgefallenen Arbeitsentgelts liegen nicht vor.

15

Maßgebend ist § 183 Abs 1 S 1 SGB III in der Fassung, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 10.12.2001 (BGBl I 3443) erhalten hat und die bis 31.3.2012 unverändert geblieben ist (vgl auch ab 1.4.2012 § 165 SGB III idF des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, BGBl I 2854). Danach hat ein im Inland beschäftigter Arbeitnehmer, der bei Eintritt eines Insolvenzereignisses für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat, Anspruch auf Insg. Insolvenzereignis ist nach § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III ua die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers. Durch den Beschluss des AG vom 19.6.2003 ist jedoch kein (neues) Insolvenzereignis eingetreten. Denn die Insolvenzeröffnung durch Beschluss des AG vom 29.6.2001 entfaltet insoweit eine Sperrwirkung, die einem neuen Anspruch entgegensteht.

16

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG, an der der Senat festhält, tritt ein neues Insolvenzereignis nicht ein und kann folglich auch Ansprüche auf Insg nicht auslösen, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauert (vgl BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3; BSGE 100, 282, 284 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 11, jeweils mwN). Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist so lange auszugehen, wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet nicht schon dann, wenn der Schuldner wieder einzelnen Zahlungsverpflichtungen nachkommt (BSGE aaO).

17

Unter Beachtung dieser in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Feststellungen des LSG ist die Auffassung der Beklagten, die auf dem im Jahre 2001 eingetretenen Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit habe in der Folgezeit fortbestanden, nicht zu beanstanden. Das LSG hat unmissverständlich festgestellt, dass die jedenfalls seit Juni 2001 insolvente Arbeitgeberin der Klägerin auch danach zu keinem Zeitpunkt die Zahlungsfähigkeit wiedererlangt hat. Es hat die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation der Arbeitgeberin insbesondere in der Zeit ab 2002 ausführlich dargestellt und im Ergebnis ausgeführt, dass die ursprüngliche Insolvenz aufgrund des fehlgeschlagenen Liquiditätskonzepts bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens noch nicht beendet war und dass die Arbeitgeberin zu keinem Zeitpunkt ausreichende Liquidität erlangt hatte, um ihre fälligen Geldschulden im Allgemeinen dauerhaft erfüllen zu können. Das durchgehende Fehlen von Zahlungsfähigkeit wird auch dadurch offenkundig, dass die Arbeitgeberin von Anfang an nicht in der Lage war, die im Insolvenzplan vorgesehenen Zahlungen zu leisten. Diese den Senat gemäß § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG führen zwingend zur Sperrwirkung des Insolvenzereignisses aus dem Jahre 2001 mit der Folge, dass der Klägerin über das hierfür erhaltene Insg hinaus kein weiterer Anspruch zusteht.

18

Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Feststellungen des LSG, wonach das erste Insolvenzverfahren nach Vorlage eines Insolvenzplans und Bestätigung des Plans durch das Insolvenzgericht zum 31.12.2001 aufgehoben wurde und eine Überwachung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter nicht vorgesehen war. Insoweit ist zunächst die Rechtsprechung des Senats zu beachten, wonach allein aus der Bestätigung eines Insolvenzplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens noch nicht folgt, dass der zunächst eingetretene Insolvenzfall beseitigt wäre; denn die nur die Beteiligten des Insolvenzplanverfahrens betreffenden Wirkungen des Insolvenzplans nach Maßgabe des § 255 InsO werden hinfällig, wenn der Schuldner den Plan nicht erfüllt(BSGE 90, 157, 159 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). An dieser Rechtsprechung hält der Senat weiter fest.

19

Soweit der Senat darüber hinaus in der Vergangenheit für die Annahme fortdauernder Zahlungsunfähigkeit auf die andauernde Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter abgestellt hat (BSGE 100, 282, 285 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 14), ist hieraus nicht etwa zu folgern, dass immer von der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit auszugehen wäre, wenn der Insolvenzplan nicht überwacht wird. Bei andauernder Planüberwachung wird lediglich besonders deutlich, dass insbesondere im Hinblick auf die fortbestehenden Befugnisse des Insolvenzverwalters von einer Wiedererlangung der Fähigkeit, fällige Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, von vornherein keine Rede sein kann. Der Senat hat deshalb ausdrücklich offengelassen, wie in Fällen fehlender Überwachung zu verfahren ist (BSGE 90, 157, 161 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). Diese Rechtsprechung entwickelt der Senat in dem Sinne weiter, dass auch dann ein einheitlicher Insolvenztatbestand vorliegen kann, wenn keine Überwachung der Planerfüllung stattfindet. Dies ist anhand der Einzelumstände zu prüfen und im Streitfall von den Tatsachengerichten festzustellen. Wird - wie im vorliegenden Fall durch das LSG - eindeutig festgestellt, dass der Schuldner die ihm nach dem Insolvenzplan aufgegebenen Zahlungen überhaupt nicht leisten konnte und auch sonst nach der Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens (mit Ablauf des 31.12.2001) bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens (am 19.6.2003) zu keinem Zeitpunkt die Fähigkeit wieder eingetreten ist, die fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, muss es bei der Sperrwirkung des Insolvenzereignisses bleiben.

20

2. Ein Anspruch auf Insg kann auch nicht - wie das LSG zu Recht ausgeführt hat - aus § 183 Abs 2 SGB III hergeleitet werden. Nach dieser Vorschrift kann ein Arbeitnehmer, der in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen hat, Insg auch für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses erhalten. Ein solcher Anspruch kommt unter den gegebenen Umständen nicht in Betracht. Denn der Klägerin war das maßgebliche Insolvenzereignis von 2001 bereits bekannt, da sie hierfür Insg erhalten hatte (vgl BSGE 100, 282, 285 f = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 16; vgl auch zur Vorgängervorschrift des § 141b Abs 4 Arbeitsförderungsgesetz - BSG SozR 3-4100 § 141e Nr 3).

21

3. Der Rechtsmeinung des LSG, § 183 SGB III sei "richtlinienkonform" dahingehend auszulegen, dass bei fehlender Planüberwachung auch ein nachfolgendes zweites "formelles" Insolvenzereignis für einen Anspruch auf Insg ausreiche, folgt der Senat nicht.

22

Die Ausführungen des LSG, der Umstand, dass von den Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der RL 80/987 idF der RL 2002/74 bis 8.10.2005 zu erlassen seien, stehe einer "sofortigen Anwendung" dieser Richtlinie nicht im Wege, stehen bereits nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Denn hiernach kommt der RL 2002/74 im Fall ihrer Nichtumsetzung unmittelbare Wirkung nur im Zusammenhang mit nach dem 8.10.2005 eingetretenen Insolvenzfällen zu (EuGH, Urteil vom 17.1.2008 - C-246/06 - EuGHE I 2008, 105, 1057; Urteil vom 10.3.2011 - C-477/09 - NJW 2011, 1791). Im vorliegenden Fall war jedoch der zweite (unbeachtliche) Insolvenzfall bereits durch Beschluss des AG vom 19.6.2003 eingetreten.

23

Unabhängig davon verkennt das LSG bei seiner Auslegung der RL 80/987 idF der RL 2002/74 den Regelungsgehalt des Art 2 der RL, der insbesondere definiert, wann ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig "gilt". Dem Text des Art 2 Abs 1 in der hier maßgebenden Fassung (jetzt: EGRL 2008/94 vom 22.10.2008) sind aber keine ausdrücklichen Bestimmungen zu der im vorliegenden Fall streitigen Frage zu entnehmen, ob einem Arbeitnehmer, der bereits aus Anlass der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers eine Garantieleistung iS der RL erhalten hat, bei andauernder Zahlungsunfähigkeit durch die zuständige Garantieeinrichtung erneut eine Leistung zu gewähren ist. Soweit aufgrund der Änderungen durch die RL 2002/74 von einem "Gesamtverfahren" sowie in Art 2 Abs 4 davon die Rede ist, dass die Mitgliedstaaten "nicht gehindert sind", den Schutz der Arbeitnehmer auch "auf andere Situationen der Zahlungsunfähigkeit" auszuweiten, erfordert dies jeweils den Erlass entsprechender Rechts- oder Verwaltungsvorschriften durch die Mitgliedstaaten, über die diese frei entscheiden können (vgl Abschnitt 5 der Erwägungen der RL 2002/74 EG und auch Abschnitt 4 der Erwägungen bzw Art 2 Abs 4 der Neufassung der RL durch die RL 2008/94/EG vom 22.10.2008, ABl L 283 vom 28.10.2008, S 36 ff).

24

Nicht zu folgen vermag der Senat dem LSG insbesondere, soweit es aus den Materialien zur Änderung der RL 80/987 durch die RL 2002/74 den Schluss zieht, jedes "formell definierte Insolvenzereignis" iS der RL 80/987 sei geeignet, einen Anspruch gegen die Garantieeinrichtung zu begründen. Das LSG verweist hierzu vor allem auf den "Gemeinsamen Standpunkt" des Rates vom 18.2.2002 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 22.5.2002, C 119 E/1), in dessen Abschnitt 5 - wortgleich übernommen in Abschnitt 5 der Erwägungen der RL 2002/74 EG - ausgeführt ist, es sei angebracht, mit dem Begriff der Zahlungsunfähigkeit "auch andere Insolvenzverfahren als Liquidationsverfahren zu erfassen", und die Mitgliedstaaten sollten "vorsehen können, dass für den Fall, dass das Vorliegen einer Insolvenz zu mehreren Insolvenzverfahren führt, die Situation so behandelt wird, als würde es sich um ein einziges Insolvenzverfahren handeln". Aus Sicht des Senats ist nicht nachvollziehbar, inwiefern dies "im Umkehrschluss" bedeuten soll, dass - mangels deutscher gesetzlicher Regelungen, die mehrere Insolvenzverfahren zu einem Gesamtverfahren zusammenfassen - im vorliegenden Fall die "formelle" Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 19.6.2003 einen neuen Anspruch auf Insg auslöst. Den Mitgliedstaaten räumen die Erwägungen die Möglichkeit ein, für die Zukunft auch andere Verfahren einzubeziehen und für diesen Fall einschränkend zu bestimmen, wann mehrere Verfahren als "einziges" Verfahren zu behandeln sind. Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass ohne ausdrückliche Neuregelung zwei aufeinanderfolgende Insolvenzereignisse nicht als einheitliches Insolvenzereignis behandelt werden dürften, wenn zwischenzeitlich weiterhin Zahlungsunfähigkeit bestanden hat.

25

Für die Auffassung des LSG sprechen schließlich auch nicht die angeführten wirtschafts- und sozialpolitischen Erwägungen (S 34 des Urteilsumdrucks), die auch Äußerungen im Schrifttum zugrunde liegen (Frank/Heinrich NZI 2011, 569, 571 ff und NZS 2011, 689, 691). Es mag zwar wünschenswert sein, in Sanierungsfällen über den Schutz des § 183 Abs 2 SGB III hinaus auch Arbeitnehmern, die schon einmal Insg erhalten haben, eine zusätzliche Absicherung zuzubilligen. Unabhängig davon, dass im vorliegenden Fall die Sanierungsbemühungen offenbar von vornherein zum Scheitern verurteilt waren, kann derartigen Vorstellungen aber nur durch den Gesetzgeber entsprochen werden. Die mit der Einführung von Insolvenzplanverfahren verfolgten Zielsetzungen rechtfertigen es nicht, allein aufgrund der Bestätigung des Plans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens eine erneute Inanspruchnahme der Insg-Versicherung zu eröffnen; auch ist zu beachten, dass der Gesetzgeber mit den §§ 183 ff SGB III nicht die Ziele der InsO verfolgt(vgl dazu bereits BSGE 90, 157, 160 f = SozR 4-4300 § 183 Nr 3). Wie die aktuelle Entwicklung zeigt, hat sich der deutsche Gesetzgeber anlässlich der Überarbeitung und Neugestaltung des SGB III im Jahre 2011 insbesondere im Hinblick auf zu erwartende Mehrkosten für die umlagepflichtigen Arbeitgeber und mögliche Wettbewerbsverzerrungen gerade nicht dazu entschlossen, eine gesetzliche Regelung iS der Auffassung des LSG in das SGB III aufzunehmen (vgl Gegenäußerung der Bundesregierung zur - sich explizit auf die vorliegende Entscheidung des LSG beziehenden - Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt, BT-Drucks 17/6853 S 18, zu Nr 2, und S 1 ff, zu Art 1 Nr 7a und Art 2 Nr 18).

26

4. Nach alledem steht das einschlägige europäische Recht der Anwendung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III iS der Rechtsprechung des BSG(s oben 1.) nicht entgegen. Der Senat ist nicht gehalten, die oben behandelten Fragen zur Auslegung der RL 80/987 idF der RL 2002/74 dem EuGH gemäß Art 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorzulegen. Denn insoweit liegt bereits hinreichend aussagekräftige Rechtsprechung des EuGH vor. Geklärt ist insbesondere, dass der RL unmittelbare Wirkung nur im Zusammenhang mit nach dem 8.10.2005 eingetretenen Insolvenzfällen zukommt (EuGH, Urteil vom 17.1.2008 - C-246/06 - EuGHE I 2008, 105; Urteil vom 10.3.2011 - C-477/09 - NJW 2011, 1791). Nicht ersichtlich ist, dass im vorliegenden Fall durch die Anwendung des § 183 SGB III entsprechend der Auffassung des Senats der allgemeine Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung(vgl EuGH, Urteil vom 12.12.2002 - C-442/00 - SozR 3-6084 Art 2 Nr 3; Urteil vom 7.9.2006 - C-81/05 - SozR 4-6084 Art 3 Nr 3; Urteil vom 17.1.2008 - C-246/06 - EuGHE I 2008, 105) verletzt sein könnte. So ist insbesondere die Differenzierung zwischen Personen, die - wie die Klägerin - aus Anlass der Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers schon einmal eine Garantieleistung erhalten haben, und Personen, die erstmalig eine solche Leistung beanspruchen (vgl § 183 Abs 2 SGB III aF; jetzt § 165 Abs 3 SGB III), sachlich gerechtfertigt.

27

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. April 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 1.12.2009 bis 28.2.2010.

2

Nachdem die B. GmbH (B GmbH), die ein Sägewerk betrieb, am 15.2.2010 bei dem zuständigen Amtsgericht (AG) Arnsberg einen erneuten Insolvenzantrag gestellt hatte, beantragte der Kläger, ein Arbeitnehmer der B GmbH, am 1.3.2010 bei der Beklagten die Zahlung von Insg wegen dieses später eröffneten Insolvenzverfahrens.

3

Über das Vermögen der B GmbH war bereits auf den Insolvenzantrag vom 1.2.2005 durch das zuständige AG ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das AG hob das Verfahren nach Bestätigung des Insolvenzplans durch die Gläubiger am 7.4.2006 wieder auf. Der gestaltende Teil des Insolvenzplans sah vor, dass auf die Forderungen der ungesicherten Gläubiger eine Quote von 10 vH gezahlt wird und die Auszahlung auf der Grundlage des vom Insolvenzverwalter erstellten Verteilungsverzeichnisses zu verschiedenen Fälligkeitsterminen bis Ende 2008 erfolgen werde. Daneben war vorgesehen, dass weitere Zahlungen an die Gläubiger erfolgen sollten, falls sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens bessern und dieses in den Jahren 2007 bis 2010 Gewinne erwirtschaften sollte. Von diesen Gewinnen sollten ggf 50 vH an die Gläubiger ausgeschüttet werden. Die Erfüllung des Insolvenzplans überwachte der Insolvenzverwalter P. (P). Der Kläger hatte wegen dieses Insolvenzereignisses für die Zeit vom 1.11.2004 bis 31.1.2005 Insg erhalten.

4

Vor Aufhebung der Überwachung des Insolvenzplans stellte die B GmbH den Insolvenzantrag vom 15.2.2010. Der Kläger kündigte aufgrund der Lohnrückstände aus den Monaten Dezember 2009 sowie Januar und Februar 2010 sein Arbeitsverhältnis zum 28.2.2010. Das AG eröffnete das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B GmbH (Beschluss vom 22.3.2010). Die Beklagte lehnte den Antrag auf Insg ab und verlangte einen hierauf gezahlten Vorschuss zurück (Bescheid vom 26.4.2010; Widerspruchsbescheid vom 4.6.2010).

5

Das Klageverfahren ist in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13.5.2011; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10.4.2014). Die noch andauernde Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter rechtfertige nicht die Annahme, die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sei beendet und ein neues Insolvenzereignis könne eintreten. Dies gelte auch, wenn das erste Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans aufgehoben, die im Insolvenzplan festgelegte Quote in den folgenden Jahren gezahlt und der Insolvenzplan lediglich hinsichtlich des sog "Besserungsscheins" nicht erfüllt worden sei.

6

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), des Sozialstaatsprinzips aus Art 20 Abs 1 Grundgesetz (GG) und der Art 2 Abs 1 und 12a der EG-Richtlinie 2008/94 (RL 2008/94) vom 22.10.2008. Nach der Insolvenzordnung (InsO) bestehe neben der Möglichkeit der Gläubigerbefriedigung durch Liquidation des gesamtschuldnerischen Vermögens auch die Möglichkeit, eine Sanierung nach Maßgabe des mit den Gläubigern abgestimmten Insolvenzplans durchzuführen. Vorliegend sei durch den Beschluss des AG vom 7.4.2006 das erste Insolvenzverfahren aufgehoben worden und damit endgültig beendet gewesen. Ein zweites Insolvenzverfahren könne ab diesem Zeitpunkt eintreten. Die Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter sei lediglich ein nachgelagertes Verfahren. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach das Insolvenzverfahren arbeitsförderungsrechtlich andauere, solange die Planüberwachung angeordnet sei, sei nicht zu folgen. Aus dem Andauern der Planüberwachung könne nicht auf die Fortdauer der Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden. § 183 Abs 1 SGB III sei zudem europarechtskonform so auszulegen, dass ein nachfolgendes Insolvenzereignis ausreiche, um einen weiteren Anspruch auf Insg auszulösen. Auch Art 20 GG gebiete, die Arbeitnehmer zu schützen. Es sei das Ziel dieser Art der Sanierung, die Arbeitsplätze in dem Betrieb zu erhalten. Die Auslegung des § 183 Abs 1 S 1 SGB III durch das LSG habe aber zur Folge, dass gerade das "schwächste Glied in der Kette", nämlich der Arbeitnehmer, mit dessen maßgeblicher Hilfe der Insolvenzplan erfüllt werde, völlig schutzlos bleibe. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber während der Fortführung des Betriebs die Insolvenzumlage zahlen müsse und hier auch gezahlt habe.

7

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Abänderung der Urteile des LSG und des SG sowie des Bescheids der Beklagten vom 26.4.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.6.2010 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1.12.2009 bis 28.2.2010 Insolvenzgeld zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Die Entscheidung des LSG sei auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der europarechtlichen Bestimmungen nicht zu beanstanden.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz).

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 26.4.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.6.2010 (§ 95 SGG), der nach Begrenzung des Streitgegenstands in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nur noch angegriffen ist, soweit die Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger für die Zeit vom 1.12.2009 bis 28.2.2010 Insg zu zahlen. Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG insoweit zu Recht zurückgewiesen. Die Anfechtungs- und Leistungsklage kann keinen Erfolg haben, weil der Kläger für den streitbefangenen Zeitraum keinen Anspruch auf Insg hat.

12

Nach § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006 (BGBl I 2742; jetzt § 165 Abs 1 S 1 SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.

13

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar ist durch den Beschluss des AG vom 22.3.2010 (wieder) ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der B GmbH eröffnet worden, sodass ein Insolvenzereignis iS der InsO vorliegt. Ein (neues) arbeitsförderungsrechtliches Insolvenzereignis iS des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III ist damit jedoch nicht eingetreten, weil das frühere Insolvenzereignis - hier die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B GmbH am 1.2.2005 - gegenüber dem Eintreten eines weiteren Insolvenzereignisses eine Sperrwirkung entfaltet. Diese hindert die Entstehung (§ 40 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch) eines erneuten Anspruchs auf Insg.

14

Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein (neues) Insolvenzereignis nicht eintreten, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers noch andauert (vgl BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 3). Für die Annahme wiedererlangter Zahlungsfähigkeit genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber die Betriebstätigkeit fortführt und die laufenden Verbindlichkeiten, wie insbesondere die Lohnansprüche, befriedigt. Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist vielmehr so lange auszugehen, wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet deshalb nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelnen Zahlungsverpflichtungen wieder nachkommt (vgl BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 3; BSGE 100, 282 f RdNr 11 mwN = SozR 4-4300 § 183 Nr 9 S 39). Wird - wie im vorliegenden Fall durch das LSG - für den Senat bindend festgestellt (§ 163 SGG), dass der Schuldner zwar die ihm nach dem Insolvenzplan aufgegebene Quote leisten konnte, aber sonst nach der Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens zu keinem Zeitpunkt die Fähigkeit wieder eingetreten ist, die fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, bleibt es bei der Sperrwirkung des ersten Insolvenzereignisses.

15

Soweit der Kläger unter Verweis auf die Ausführungen des Zeugen P die Auffassung vertritt, dass aus dessen Aussage andere Schlüsse zu ziehen seien als sie das LSG gezogen hat, kann dies der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Der Senat ist an die Feststellungen des LSG gebunden, soweit gegen diese Feststellungen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben worden sind (§ 163 SGG). Solche Rügen hat der Kläger, der schlicht seine Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt, nicht erhoben.

16

Allein die formale Beendigung des Insolvenzverfahrens bei gleichzeitiger Anordnung der Planüberwachung genügt nicht, um eine Wiederherstellung der allgemeinen Zahlungsfähigkeit des Gemeinschuldners zu begründen. Die Gläubiger verzichten bei dieser Art der Abwicklung eines Insolvenzereignisses auf den Großteil ihrer Forderungen nur, um den im Insolvenzplan vereinbarten (geringen) Teil der Forderung zu erhalten. Ihre Gesamtforderung kann aber insolvenzrechtlich wieder aufleben, wenn die Vereinbarungen des Insolvenzplans nicht erfüllt werden (vgl § 255 InsO; dazu BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 3).

17

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die Kritik des Klägers an dem fehlenden Schutz der Arbeitnehmer in einem solchen Fall rechtfertigt - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - keine andere Beurteilung. Der Gesetzgeber verfolgt - wie der Senat schon mehrfach entschieden hat - mit den §§ 183 f SGB III nicht die Ziele der InsO, sondern begründet eine Sicherung bestimmter Lohnforderungen im Falle einer Insolvenz des Arbeitsgebers (vgl BSG, Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 11/11 R - BSGE 112, 235 = SozR 4-4300 § 183 Nr 14, RdNr 25). Die mit Einführung der Insolvenzplanverfahren verfolgten Zielsetzungen begründen - bezogen auf das Insg-Recht - nicht die Annahme, aufgrund der Bestätigung des Insolvenzplans und der Beendigung des Insolvenzverfahrens sei eine erneute Inanspruchnahme der Insg-Versicherung eröffnet (BSGE 90, 157 ff = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). Vielmehr wird für die Dauer der Planüberwachung der Zusammenhang mit dem vorangegangenen Insolvenzverfahren durch die fortbestehenden Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzverwalters, der Gläubigerversammlung und durch die Aufsicht des Insolvenzgerichts dokumentiert (vgl BSGE 100, 282 ff RdNr 14 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9).

18

Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Anspruch auf Insg dann neu entstehen kann, wenn zwischen dem ersten und zweiten Insolvenzereignis ein überwachter Insolvenzplan durchgeführt und ordnungsgemäß beendet worden ist (vgl Sächsisches LSG, Urteil vom 9.3.2011 - L 1 AL 241/06 - NZI 2011, 608 f; SG Karlsruhe, Urteil vom 8.5.2012 - S 16 AL 4404/10). Denn in dem hier zu entscheidenden Fall war die Planüberwachung bei Eintritt des weiteren Insolvenzereignisses gerade nicht ordnungsgemäß beendet (vgl zu der Problematik auch Frank/Heinrich, NZS 2011, 689).

19

Die Auslegung und Anwendung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III verstößt auch nicht gegen Vorgaben des europäischen Rechts(BSG, Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 10/11 R - DB 2013, 1916 f). Die Auslegung und Anwendung des § 183 Abs 1 S 1 SGB III zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein früher eingetretenes Insolvenzereignis beendet ist und ein neues eintreten kann, wird durch das europäische Recht nicht präjudiziert.

20

Nach Art 2 Abs 1 der RL 2008/94 gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgeschriebenen Gesamtverfahrens beantragt worden ist, das die Insolvenz des Arbeitgebers voraussetzt und den teilweisen oder vollständigen Vermögensbeschlag gegen diesen Arbeitgeber sowie die Bestellung eines Verwalters oder einer Person, die eine ähnliche Funktion ausübt, zur Folge hat, und wenn entweder die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde die Eröffnung des Verfahrens beschlossen oder festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen. Die Richtlinie knüpft also grundsätzlich an ein formelles Insolvenzereignis an und ermöglicht den Mitgliedstaaten nur die Zusammenfassung mehrerer formeller Insolvenzereignisse zu einem Gesamtverfahren, ordnet sie aber nicht an. Eine solche gesetzliche Regelung zur Zusammenfassung mehrerer formeller Insolvenzereignisse existiert im nationalen Recht aber gerade nicht (vgl hierzu BSGE 90, 157, 161 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 7; dazu auch: BR-Drucks 313/11, S 3 f, BT-Drucks 17/6853, S 18). Die europarechtliche Regelung schreibt auch nicht vor, dass und unter welchen Voraussetzungen ein bereits eingetretenes Insolvenzereignis arbeitsförderungsrechtlich abgeschlossen ist, um ein neues Insolvenzereignis annehmen zu können.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gilt

1.
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers,
2.
die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder
3.
die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.
Auch bei einem ausländischen Insolvenzereignis haben im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld.

(2) Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Als Arbeitsentgelt für Zeiten, in denen auch während der Freistellung eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht (§ 7 Absatz 1a des Vierten Buches), gilt der Betrag, der auf Grund der schriftlichen Vereinbarung zur Bestreitung des Lebensunterhalts im jeweiligen Zeitraum bestimmt war. Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer einen Teil ihres oder seines Arbeitsentgelts nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes umgewandelt und wird dieser Entgeltteil in einem Pensionsfonds, in einer Pensionskasse oder in einer Direktversicherung angelegt, gilt die Entgeltumwandlung für die Berechnung des Insolvenzgeldes als nicht vereinbart, soweit der Arbeitgeber keine Beiträge an den Versorgungsträger abgeführt hat.

(3) Hat eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen, besteht der Anspruch auf Insolvenzgeld für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses.

(4) Anspruch auf Insolvenzgeld hat auch der Erbe der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers.

(5) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einen Beschluss des Insolvenzgerichts über die Abweisung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels Masse dem Betriebsrat oder, wenn kein Betriebsrat besteht, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unverzüglich bekannt zu geben.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 14. Dezember 2011 - 2 Sa 97/11 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war seit dem 6. Mai 2010 bei Herrn M (im Folgenden: Schuldner) als Kraftfahrer angestellt. Der Schuldner betrieb als Einzelunternehmer einen Kurier- und Kleintransportdienst. Mit Schreiben vom 13. Mai 2010, dem Kläger zugegangen am 15. Mai 2010, kündigte der Schuldner das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos wegen Wegfalls eines Auftraggebers und bevorstehender Insolvenz.

3

Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 20. Mai 2010 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte erklärte gegenüber dem Schuldner noch mit Schreiben vom selben Tag die Freigabe der von diesem ausgeübten selbständigen Tätigkeit aus der Insolvenzmasse gemäß § 35 Abs. 2 InsO. Das Schreiben ging dem Schuldner am 21. Mai 2010 zu. Mit weiterem Schreiben vom 20. Mai 2010 informierte der Beklagte das Insolvenzgericht über die erfolgte Freigabe der selbständigen Tätigkeit. Am 25. Mai 2010 wurde die Freigabe öffentlich bekannt gemacht.

4

Mit seiner Klageschrift vom 1. Juni 2010, welche noch am selben Tag beim Arbeitsgericht einging, erhob der Kläger Kündigungsschutzklage gegen den Beklagten als Insolvenzverwalter.

5

Nach seiner Ansicht ist der Beklagte passiv legitimiert. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei dieser kraft Amtes in die Arbeitgeberstellung eingerückt. Die Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO habe daran nichts geändert. Die außerordentliche Kündigung vom 13. Mai 2010 sei mangels eines wichtigen Grundes unwirksam. Da eine Probezeit nicht vereinbart wurde, habe das Arbeitsverhältnis nur ordentlich zum 15. Juni 2010 gekündigt werden können.

6

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die außerordentliche Kündigung des Insolvenzschuldners vom 13. Mai 2010 nicht fristlos, sondern fristgemäß zum 15. Juni 2010 aufgelöst worden ist.

7

Der Beklagte hat seinen Klageabweisungsantrag mit seiner fehlenden Passivlegitimation begründet. Durch die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO gehöre der Geschäftsbetrieb des Schuldners mit allen dazugehörigen Dauerschuldverhältnissen nicht mehr zur Insolvenzmasse. Dementsprechend habe der Schuldner mit der Freigabe auch die Verfügungsbefugnis über das Arbeitsverhältnis des Klägers zurückerhalten. Folglich hätte die Kündigungsschutzklage gegen den Schuldner gerichtet werden müssen.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht mangels Passivlegitimation des Beklagten abgewiesen.

10

A. Die Klage ist zulässig. Die Frage der Passivlegitimation des Beklagten berührt allein die Begründetheit und nicht die Zulässigkeit der Klage (vgl. BAG 23. Juni 2004 - 10 AZR 495/03 - zu B I der Gründe, BAGE 111, 135).

11

B. Die Klage ist unbegründet. Der beklagte Insolvenzverwalter ist nicht passiv legitimiert. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen der Freigabeerklärung des Beklagten nach § 35 Abs. 2 InsO bereits auf den Schuldner zurückgefallen.

12

I. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrensgeht nach § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen Dienstverhältnisse mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Damit kann der Schuldner als Vertragsarbeitgeber die aus der Arbeitgeberstellung fließenden Rechte und Pflichten nicht mehr ausüben; sie fallen dem Insolvenzverwalter zu. Dieser tritt in die Arbeitgeberstellung ein und übt für die Dauer des Insolvenzverfahrens statt des Vertragsarbeitgebers die Funktion des Arbeitgebers aus. Die materiell-rechtliche Funktion des Insolvenzverwalters als Arbeitgeber kraft Amtes bedingt prozessual seine Stellung als Arbeitgeber im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG(vgl. GmS-OGB 27. September 2010 - GmS-OGB 1/09 - Rn. 18, BGHZ 187, 105). Ist zum Zeitpunkt der Klageerhebung ein Insolvenzverwalter bestellt, ist eine Kündigungsschutzklage folglich gegen den Insolvenzverwalter zu richten, und zwar auch dann, wenn die Kündigung noch vom Schuldner erklärt wurde (vgl. BAG 18. Oktober 2012 - 6 AZR 41/11 - Rn. 19; 21. September 2006 - 2 AZR 573/05 - Rn. 22).

13

II. Eine Kündigungsschutzklage ist aber auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner zu richten, wenn dieser eine selbständige Tätigkeit ausübt und der Insolvenzverwalter das Vermögen aus dieser Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO aus der Insolvenzmasse freigegeben hat. Mit Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner fällt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Arbeitsverhältnisse ohne gesonderte Kündigung an den Schuldner zurück.

14

1. Übt der Schuldner als natürliche Person eine selbständige Tätigkeit aus, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zu erklären, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Die Erklärung ist dem Gericht gegenüber nach § 35 Abs. 3 Satz 1 InsO anzuzeigen. Falls das Insolvenzgericht nicht die Unwirksamkeit der Erklärung anordnet ( § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO ), wird das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit durch eine Freigabeerklärung von der Insolvenzmasse gelöst. Der im Rahmen der selbständigen Tätigkeit erzielte Neuerwerb gehört nicht zur Insolvenzmasse. Korrespondierend dazu wird die Masse von den Verbindlichkeiten freigestellt, die der Schuldner im Rahmen der selbständigen Tätigkeit begründet (vgl. Uhlenbruck/Hirte 13. Aufl. § 35 InsO Rn. 99; MünchKommInsO/Peters 3. Aufl. § 35 Rn. 47c, 47h; Smid DZWIR 2008, 133). § 35 Abs. 2 InsO dient damit sowohl dem Interesse des Schuldners als auch dem Schutz der Masse. Das Gericht hat die Freigabeerklärung öffentlich bekannt zu machen ( § 35 Abs. 3 Satz 2 InsO ).

15

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 35 Abs. 2 InsO nach seinem Sinn und Zweck dahin gehend auszulegen, dass die Freigabeerklärung auch Dauerschuldverhältnisse ohne die Notwendigkeit einer Kündigungserklärung erfasst(BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 15 f., BGHZ 192, 322). Die Vorschrift solle dem Schuldner nach der Vorstellung des Gesetzgebers ermöglichen, im Einverständnis mit dem Insolvenzverwalter eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen oder fortzusetzen. Die Freigabe erstrecke sich folgerichtig auf das Vermögen des Schuldners, das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, „einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse“ (BT-Drucks. 16/3227 S. 17; BGH 9. Juni 2011 - IX ZB 175/10 - Rn. 7). Die freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO betreffe demnach im Unterschied zu der in § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO als zulässig vorausgesetzten echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten(BT-Drucks. 16/3227 S. 26 f.). Die Freigabe verwirkliche sich ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Erklärungen bereits mit dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner (BGH 18. April 2013 - IX ZR 165/12 - Rn. 21). Allein die Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zerschneide das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbständigen Tätigkeit und leite die der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners über(BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 19, BGHZ 192, 322). Die Veröffentlichung der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 3 Satz 2 InsO sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Freigabe und rein deklaratorischer Natur(BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 24, aaO).

16

3. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an. Die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erfasst auch Arbeitsverhältnisse, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung bereits begründet waren. Eine gesonderte Kündigung der Arbeitsverhältnisse ist nicht erforderlich.

17

a) In der Literatur wird allerdings vertreten, dass sich die Freigabe nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO nur auf die durch den Schuldner danach begründeten Vertragsverhältnisse bezieht. Auf vor der Freigabe begründete Vertragsverhältnisse sollen nach dieser Auffassung die §§ 103, 108 f. InsO anzuwenden sein (vgl. Berger ZInsO 2008, 1101; FK-InsO/Schumacher 6. Aufl. § 35 Rn. 20; Wischemeyer ZInsO 2009, 2121; Wischemeyer/Schur ZInsO 2007, 1240; Windel Anm. AP InsO § 35 Nr. 1 zu III 2 b). Den Vertragspartnern, dh. auch den Arbeitnehmern, dürfe die Haftung der Insolvenzmasse (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO)nicht durch eine Freigabe entzogen werden (vgl. auch Windel RdA 2012, 366). Demnach müsse der Insolvenzverwalter entscheiden, ob er Vertragserfüllung verlangt oder den Vertrag kündigt. Tetzlaff regt an, dass der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer mit der Freigabeerklärung auffordert, sich zu erklären, ob er für den Schuldner tätig bleiben oder Ansprüche gegen die Insolvenzmasse geltend machen will. Entscheide sich der Arbeitnehmer für Letzteres, müsse gekündigt werden (jurisPR-InsR 3/2011 Anm. 6; vgl. auch Hergenröder DZWIR 2013, 251).

18

b) Diese Auffassungen berücksichtigen Sinn und Zweck des § 35 Abs. 2 InsO nicht hinreichend.

19

aa) Bei § 35 Abs. 2 InsO handelt es sich um eine Pauschalfreigabe(vgl. BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 556/11 - Rn. 51), die sich im Gegensatz zur „echten Freigabe“ von Massegegenständen auch auf zweiseitige Verträge bezieht und dabei nicht nach Typus und Inhalt der betroffenen Vertragsverhältnisse unterscheidet (zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 35 Abs. 2 und 3 InsO vgl. BAG 10. April 2008 - 6 AZR 368/07 - Rn. 23, BAGE 126, 229; 5. Februar 2009 - 6 AZR 110/08 - Rn. 25, BAGE 129, 257). Auch innerhalb der Dauerschuldverhältnisse sind daher keine Differenzierungen veranlasst, die sich aus der Anwendbarkeit unterschiedlicher Kündigungsfristen ergeben. Der Schuldner muss zum Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz regelmäßig eine Vielzahl von Verträgen schließen. Soweit derartige Verträge, die vor Insolvenzeröffnung vereinbart wurden und mit der Eröffnung nicht in Wegfall geraten sind, im Zuge der selbständigen Tätigkeit von dem Schuldner fortgesetzt werden sollen, kann nicht auf eine klare zeitliche Zäsur verzichtet werden, wann Rechte und Pflichten von der Masse auf den Schuldner übergehen. Da es sich dabei regelmäßig um ein Bündel von Rechtsbeziehungen handelt, wäre es kaum praktikabel, auf die dem Insolvenzverwalter im Rahmen der §§ 103 f. InsO eröffneten, höchst unterschiedlich ausgestalteten Lösungsrechte abzustellen. Bei diesem Verständnis würde § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO weitgehend seiner Funktion beraubt, einen einheitlichen Übergang des der selbständigen Tätigkeit dienenden Vermögens einschließlich der darauf bezogenen Vertragsverhältnisse von der Masse auf den Schuldner zu bewirken. Vielmehr werden Unklarheiten weitgehend vermieden, indem kraft der mit dem Zugang bei dem Schuldner wirksam werdenden Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters sämtliche noch fortbestehenden, der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse und sich daraus ergebende Verbindlichkeiten auf den Schuldner übergeleitet werden. Die Anknüpfung an den Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner gestattet insoweit eine eindeutige zeitliche Differenzierung ( BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 30, BGHZ 192, 322; zustimmend Bartels KTS 2012, 381; Pape/Pape ZInsO 2013, 685; vgl. bereits Ries ZInsO 2009, 2030).

20

bb) Diese Überlegungen sprechen dafür, dass die Wirkung der Freigabeerklärung ohne gesonderte Kündigung auch Arbeitsverhältnisse erfasst (so im Ergebnis auch Ahrens KSzW 2012, 303; Lindemann BB 2011, 2357; Ries ZInsO 2009, 2030; MünchKommInsO/Peters 3. Aufl. § 35 Rn. 47f; Stiller ZInsO 2010, 1374; Haarmeyer ZInsO 2007, 696; Nungeßer NZI 2012, 359; MünchKommInsO/Hefermehl § 55 Rn. 114; HambKomm/Lüdtke 3. Aufl. § 35 Rn. 262 f.; Nerlich/Römermann/Andres InsO Stand April 2008 § 35 Rn. 108 f.; Braun/Bäuerle InsO 5. Aufl. § 35 Rn. 72). Zudem ist der Schuldner zur Wahrnehmung einer selbständigen Tätigkeit häufig auf den Fortbestand von Arbeitsverhältnissen angewiesen. Müsste der Insolvenzverwalter diese zur Verwirklichung einer Enthaftung der Masse kündigen, würden sich die Arbeitnehmer wegen der eingetretenen Insolvenz vielfach nicht entschließen, mit dem Schuldner ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen. Damit würde dem Schuldner eine unentbehrliche Betriebsgrundlage für die Fortführung seiner Tätigkeit entzogen (vgl. BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 26, BGHZ 192, 322; FK-InsO/Bornemann 7. Aufl. § 35 Rn. 13c; HambKomm/Lüdtke § 35 Rn. 263; Stiller ZInsO 2010, 1374, 1375). Das legislatorische Ziel, dem Insolvenzverwalter die Freigabe verlustreicher Betriebsführung zu ermöglichen, könnte zudem nicht konsequent erreicht werden, wenn die Wirkung der Freigabe erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, dh. gegebenenfalls erst nach der dreimonatigen Frist des § 113 Satz 2 InsO, einträte(vgl. Lindemann BB 2011, 2357, 2360 mwN).

21

cc) Auch der in den Gesetzesmaterialien enthaltene Hinweis auf die Regelung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO(BT-Drucks. 16/3227 S. 17) vermag nicht die Notwendigkeit einer zusätzlichen Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters zum Zweck der Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit Wirkung für die Masse zu begründen. Durch den Hinweis auf § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Gesetzgeber lediglich beispielhaft die auch in anderem Zusammenhang bestehende Möglichkeit einer Enthaftung der Insolvenzmasse betont, aber gerade nicht die dort geregelten Kündigungsfristen für verbindlich erklärt(BGH 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - Rn. 24, BGHZ 192, 322).

22

c) Die Freigabeerklärung wirkt mit ihrem Zugang bei dem Schuldner ex nunc (BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 556/11 - Rn. 51). Ein Wirksamwerden der Freigabeerklärung erst mit Ablauf der Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO ist auch nicht mit Blick auf berechtigte Arbeitnehmerinteressen geboten(so aber Uhlenbruck/Hirte 13. Aufl. § 35 InsO Rn. 101; Berscheid jurisPR-ArbR 14/2011 Anm. 6). § 113 InsO begründet kein schutzwürdiges Interesse der Arbeitnehmer bis zu einem Kündigungstermin vorrangig als Massegläubiger befriedigt zu werden. Mit § 113 InsO werden lediglich die Kündigungsfristen von Alt-Arbeitsverträgen zugunsten der Insolvenzmasse verkürzt. Ein etwaiges Vertrauen auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die hieraus folgende Lohnzahlungspflicht hat der Arbeitnehmer bei Vertragsschluss dem Schuldner entgegengebracht, nicht dem Insolvenzverwalter. Mit Freigabe des Arbeitsverhältnisses stellt der Insolvenzverwalter den Zustand wieder her, der vor Insolvenzeröffnung bestand, da dem Schuldner nicht die Möglichkeit zu einer vorzeitigen Vertragsbeendigung nach § 113 InsO gegeben ist(Braun/Bäuerle InsO 5. Aufl. § 35 Rn. 72).

23

III. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war der beklagte Insolvenzverwalter wegen der Wirkung der dem Schuldner bereits am 21. Mai 2010 zugegangenen Freigabeerklärung nicht mehr passiv legitimiert. Die zu § 613a BGB ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht dem nicht entgegen.

24

1. Der Kläger hat den Rückfall seines Arbeitsverhältnisses nicht in direkter oder analoger Anwendung von § 613a Abs. 6 BGB durch Erklärung eines Widerspruchs verhindert.

25

a) Dies käme nur in Betracht, wenn der beklagte Insolvenzverwalter dem Beschlag der Masse unterliegende Betriebsmittel freigegeben hätte, die sich als eine „Einheit“ im Sinne der zu § 613a BGB ergangenen Rechtsprechung darstellen, und das Arbeitsverhältnis dieser „Einheit“ zugeordnet gewesen wäre. Für diesen Fall hat der Senat angenommen, dass aufgrund der vergleichbaren Interessenlage eine entsprechende Anwendung des § 613a BGB geboten wäre, dh. das Arbeitsverhältnis würde auf den Schuldner im Zuge der Freigabe „übergehen“, wenn der Arbeitnehmer nicht entsprechend § 613a Abs. 6 BGB widerspricht(BAG 10. April 2008 -  6 AZR 368/07  - Rn. 23, BAGE 126, 229; 5. Februar 2009 - 6 AZR 110/08 - Rn. 26, BAGE 129, 257 ). Ein Widerspruch würde hingegen den Rückfall an den Schuldner verhindern, der Insolvenzverwalter bliebe passiv legitimiert.

26

b) Ob nach Inkrafttreten des § 35 Abs. 2 InsO von einer Anwendbarkeit des § 613a BGB auszugehen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung(befürwortend Ahrens NJW-Spezial 2012, 341; ders. KSzW 2012, 303; Nungeßer NZI 2012, 359; Windel RdA 2012, 366; Henkel Anm. EWiR 2008, 687; ablehnend Ries NZI 2009, 2030; Lindemann BB 2011, 2357; differenzierend Wischemeyer ZInsO 2009, 937). Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die vom beklagten Insolvenzverwalter freigegebenen Betriebsmittel eine „Einheit“ im Sinne von § 613a BGB gebildet haben. Er hat auch nicht behauptet, dass er dem Rückfall seines Arbeitsverhältnisses widersprochen habe. Die von ihm gerügte fehlende Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB könnte nur bewirken, dass die Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht zu laufen begann.

27

2. Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich eine Passivlegitimation des Beklagten schließlich nicht unter entsprechender Heranziehung der Rechtsprechung zum Betriebsübergang, die eine Passivlegitimation des kündigenden Betriebsveräußerers für eine Kündigungsschutzklage auch dann annimmt, wenn nach der Kündigungserklärung ein Betriebsübergang stattfindet (vgl. BAG 16. Mai 2002 - 8 AZR 319/01 - zu B III 1 a der Gründe mwN). Diese Rechtsprechung beruht auf dem Grundgedanken, dass derjenige, der die Kündigung erklärt hat, auch bei einem späteren Betriebsübergang für die Klärung der Wirksamkeit der Kündigung zuständig sein soll (vgl. BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 556/11 - Rn. 62). Hier hat der Kläger aber gerade nicht den Kündigenden, dh. den Schuldner, verklagt. Im Übrigen befindet sich der Schuldner infolge der Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO auch nicht in einer dem Betriebsveräußerer, sondern dem Betriebserwerber vergleichbaren Position.

28

C. Der Kläger hat die Kosten der Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Fischermeier    

        

    Gallner    

        

    Spelge    

        

        

        

    M. Geyer    

        

    Steinbrück    

                 

(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gilt

1.
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers,
2.
die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder
3.
die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.
Auch bei einem ausländischen Insolvenzereignis haben im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld.

(2) Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Als Arbeitsentgelt für Zeiten, in denen auch während der Freistellung eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht (§ 7 Absatz 1a des Vierten Buches), gilt der Betrag, der auf Grund der schriftlichen Vereinbarung zur Bestreitung des Lebensunterhalts im jeweiligen Zeitraum bestimmt war. Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer einen Teil ihres oder seines Arbeitsentgelts nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes umgewandelt und wird dieser Entgeltteil in einem Pensionsfonds, in einer Pensionskasse oder in einer Direktversicherung angelegt, gilt die Entgeltumwandlung für die Berechnung des Insolvenzgeldes als nicht vereinbart, soweit der Arbeitgeber keine Beiträge an den Versorgungsträger abgeführt hat.

(3) Hat eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen, besteht der Anspruch auf Insolvenzgeld für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses.

(4) Anspruch auf Insolvenzgeld hat auch der Erbe der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers.

(5) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einen Beschluss des Insolvenzgerichts über die Abweisung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels Masse dem Betriebsrat oder, wenn kein Betriebsrat besteht, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unverzüglich bekannt zu geben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. März 2011 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 14. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 1.2. bis 24.4.2003.

2

Der Kläger war Berufsfußballspieler ("Vertragsamateur") beim Verein für Bewegungsspiele L. eV (VfB L; im Folgenden: Arbeitgeber). Das Amtsgerichts L. (AG) eröffnete erstmals mit Beschluss vom 1.1.2000 über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren, bestätigte den vom damaligen Insolvenzverwalter vorgelegten Insolvenzplan, der den Erhalt des Arbeitgebers gewährleisten sollte und ordnete dessen Überwachung für die Dauer von zwei Jahren an. Mit Beschluss vom 1.12.2000 stellte das AG das Insolvenzverfahren ein und hob am 5.12.2002 die Überwachung wegen Ende der Überwachungszeit auf (Rechtskraftvermerk vom 15.1.2003). Am 9.12.2002 bestätigte der damalige Insolvenzverwalter, dass ihm als einzige fällige, nicht erfüllte Insolvenzforderung eine solche des Herrn M. bekannt sei, er aber keine Bedenken habe, dass die Überwachung durch Zeitablauf per 30.11.2002 ende.

3

Am 3.12.2003 bzw 23.12.2003 beantragten der Arbeitgeber und die AOK Sachsen erneut die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit. Nachdem ein Gutachten die Überschuldung des Arbeitgebers ergeben hatte (Arbeitsentgeltrückstände: 309 818,64 Euro; Beitragsrückstände gegenüber den Einzugsstellen: 367 938,30 Euro), eröffnete das AG mit Beschluss vom 2.2.2004 ein zweites Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers.

4

Auf seinen ersten Antrag vom 16.2.2000 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1.10. bis zum 31.12.1999 Insg in Höhe von 12 016,99 DM (Bescheid vom 8.3.2000). Vom 1.7.2002 bis zum 30.6.2003 war der Kläger aufgrund eines befristeten Vertrags vom 16.5.2002 (für die Saison 2002/2003) erneut als Vertragsfußballspieler beim Arbeitgeber beschäftigt. In einem Arbeitsgerichtsprozess einigten sich Arbeitgeber und Kläger darauf, dass das Vertragsverhältnis zum 24.4.2003 geendet habe und ein Vertragsverhältnis zum jetzigen Insolvenzverwalter nicht begründet worden sei. Bereits am 25.2.2004 hatte der Kläger erneut die Gewährung von Insg bei der Beklagten beantragt.

5

Mit Bescheid vom 9.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.9.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von (erneutem) Insg ab, weil nach dem ersten Insolvenzereignis eine Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers nicht wiederhergestellt worden sei.

6

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14.11.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Insg für die Zeit vom 1.2. bis 24.4.2003 entsprechend der Insg-Bescheinigung des Insolvenzverwalters zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Zwar bestehe ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Insg nicht bereits nach § 183 Abs 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), weil der Kläger bereits aufgrund des ersten Insolvenzereignisses Insg erhalten habe, die Vorschrift aber nur den Arbeitnehmer schütze, der in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen habe. Der Anspruch des Klägers bestehe jedoch nach § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III für die bei Eintritt des (neuen) Insolvenzereignisses vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Zwar könne ein neues Insolvenzereignis solange nicht eintreten, wie die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauere. Diese ende nicht schon dadurch, dass der Schuldner einzelne Zahlungsverpflichtungen wieder erfülle. Auch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch das Insolvenzgericht nach Bestätigung des vom Insolvenzverwalter überwachten Insolvenzplans beseitige den zunächst eingetretenen Insolvenzfall noch nicht mit der Möglichkeit des Entstehens neuer Ansprüche auf Insg. Dies gelte jedenfalls solange, wie die im Insolvenzplan vorgesehene Überwachung der Planerfüllung andauere. Gleichwohl sei die erneute Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 2.2.2004 ein hinreichendes Insolvenzereignis, um einen neuen Anspruch auf Insg zu begründen. Denn § 183 Abs 1 SGB III sei unter Beachtung der Richtlinie des Rats der europäischen Gemeinschaft vom 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitglieder über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (EWGRL 80/987, ABl L 283, 23) idF der EGRL 2002/74 dahingehend auszulegen, dass auch ein nachfolgendes zweites "formelles" Insolvenzereignis bei fortbestehender Insolvenz ausreichend sei, einen Anspruch auf Insg auszulösen, wenn durch den nationalen Gesetzgeber nachfolgende Insolvenzverfahren nicht mit dem vorhergehenden zu einem Gesamtverfahren zusammengefasst seien. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte und der Systematik der genannten Richtlinie (RL). Einer Anwendung der RL stehe nicht der Umstand entgegen, dass nach der maßgebenden Fassung die Mitgliedstaaten die erforderlichen Vorschriften spätestens zum 8.10.2005 zu erlassen hätten. Aus den dokumentierten Erwägungen zu der RL 2002/74 folge, dass der Richtliniengeber einerseits die Arten der Insolvenzverfahren habe erweitern, andererseits aber auch dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit habe eröffnen wollen, eine Mehrheit von Verfahren als einheitliches Gesamtverfahren zu behandeln. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass grundsätzlich jedes formell definierte Insolvenzereignis geeignet sei, den Anspruch zu begründen.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: In seiner bisherigen Rechtsprechung habe das Bundessozialgericht (BSG) zwar nicht die vorliegende Fallgestaltung und Fragestellung erfasst, ob der früher eingetretene Insolvenzfall durch eine zweite Zahlungsunfähigkeit beseitigt werde, wenn im ersten Insolvenzverfahren zwar die Anordnung der Überwachung des Insolvenzplans erfolgt sei, jedoch die Überwachung vor Beginn des Insg-Zeitraums geendet habe. Auch für diesen Fall müsse jedoch von einem einzigen Insolvenzverfahren ("Gesamtverfahren") ausgegangen werden. Für die Rechtsauffassung der Beklagten spreche auch, dass eine Initiative des Bundesrats, durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt eine gesetzliche Regelung iS der Auffassung des LSG einzuführen, nicht umgesetzt worden sei.

8

Die Beklagte beantragt
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9.3.2011 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 14.11.2006 zurückzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Er hält das vorinstanzliche Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Wiederherstellung der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 1 Sozialgerichtsgesetz).

12

1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Insg gemäß § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III wegen des ab Februar 2003 ausgefallenen Arbeitsentgelts liegen nicht vor.

13

Maßgebend ist § 183 Abs 1 S 1 SGB III in der Fassung, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 10.12.2001 (BGBl I 3443) erhalten hat und die bis 31.3.2012 unverändert geblieben ist (vgl auch ab 1.4.2012 § 165 SGB III idF des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, BGBl I 2854). Danach hat ein im Inland beschäftigter Arbeitnehmer, der bei Eintritt eines Insolvenzereignisses für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat, Anspruch auf Insg. Insolvenzereignis ist nach § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III ua die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers. Durch den Beschluss des AG vom 2.2.2004 ist jedoch kein (neues) Insolvenzereignis eingetreten. Denn die Insolvenzeröffnung durch Beschluss des AG vom 1.1.2000 entfaltet insoweit eine Sperrwirkung, die einem neuen Anspruch entgegensteht.

14

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG, an der der Senat festhält, tritt ein neues Insolvenzereignis nicht ein und kann folglich auch Ansprüche auf Insg nicht auslösen, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauert (vgl BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3; BSGE 100, 282, 284 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 11, jeweils mwN). Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist so lange auszugehen, wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet nicht schon dann, wenn der Schuldner wieder einzelnen Zahlungsverpflichtungen nachkommt (BSGE aaO).

15

Unter Beachtung dieser in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Feststellungen des LSG ist die Auffassung der Beklagten, die auf dem im Jahre 2000 eingetretenen Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit habe in der Folgezeit fortbestanden, nicht zu beanstanden. Das LSG hat unmissverständlich festgestellt, dass der jedenfalls seit Ende der Spielsaison 1998/1999 insolvente Arbeitgeber des Klägers auch danach zu keinem Zeitpunkt die Zahlungsfähigkeit wiedererlangt hat. Es hat die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers insbesondere in der Zeit ab 2000 ausführlich dargestellt und im Ergebnis ausgeführt, dass die ursprüngliche Insolvenz aufgrund des fehlgeschlagenen Sanierungskonzepts zum Erhalt des Arbeitgebers bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens noch nicht beendet war und dass der Arbeitgeber auch zu keinem Zeitpunkt nach der Beendigung des ersten Insolvenzplanverfahrens mit Ablauf des 30.11.2002 bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 2.2.2004 in der Lage war, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen dauerhaft zu erfüllen. Das durchgehende Fehlen von Zahlungsfähigkeit wird auch dadurch offenkundig, dass der Arbeitgeber von Mitte 2000 bis Mitte 2002 weitere Jahresfehlbeträge von jeweils rund einer Million Euro erwirtschaftet hat. Diese den Senat gemäß § 163 SGG bindenden, tatsächlichen Feststellungen des LSG führen zwingend zur Sperrwirkung des Insolvenzereignisses aus dem Jahre 2000 mit der Folge, dass dem Kläger über das hierfür erhaltene Insg hinaus kein weiterer Anspruch zusteht.

16

Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Feststellungen des LSG, wonach das Insolvenzgericht am 1.12.2000 das Insolvenzverfahren einstellte und die Überwachung wegen Ende der Überwachungszeit am 5.12.2002 aufhob. Insoweit ist die Rechtsprechung des Senats zu beachten, wonach allein aus der Bestätigung eines Insolvenzplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens noch nicht folgt, dass der zunächst eingetretene Insolvenzfall beseitigt wäre; denn die nur die Beteiligten des Insolvenzplanverfahrens betreffenden Wirkungen des Insolvenzplans nach Maßgabe des § 255 Insolvenzordnung (InsO) werden hinfällig, wenn der Schuldner den Plan nicht erfüllt(BSGE 90, 157, 159 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). An dieser Rechtsprechung hält der Senat weiter fest.

17

Soweit der Senat darüber hinaus in der Vergangenheit für die Annahme fortdauernder Zahlungsunfähigkeit auf die andauernde Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter abgestellt hat (BSGE 100, 282, 285 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 14), ist hieraus nicht etwa zu folgern, dass immer von der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit auszugehen wäre, wenn der Insolvenzplan nicht (mehr) überwacht wird. Bei andauernder Planüberwachung wird lediglich besonders deutlich, dass insbesondere im Hinblick auf die fortbestehenden Befugnisse des Insolvenzverwalters von einer Wiedererlangung der Fähigkeit, fällige Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, von vornherein keine Rede sein kann. Der Senat hat deshalb ausdrücklich offengelassen, wie in Fällen fehlender oder später wieder aufgehobener Planüberwachung zu verfahren ist (BSGE 90, 157, 161 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). Diese Rechtsprechung entwickelt der Senat in dem Sinne weiter, dass auch dann ein einheitlicher Insolvenztatbestand vorliegen kann, wenn keine Überwachung der Planerfüllung stattfindet. Dies ist anhand der Einzelumstände zu prüfen und im Streitfall von den Tatsachengerichten festzustellen. Wird - wie im vorliegenden Fall durch das LSG - eindeutig festgestellt, dass der Arbeitgeber bis zur Beendigung der Planüberwachung (per 30.11.2002) und auch danach bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens (am 2.2.2004) zu keinem Zeitpunkt die Fähigkeit wieder erlangt hat, die fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, muss es bei der Sperrwirkung des Insolvenzereignisses bleiben.

18

2. Ein Anspruch auf Insg kann auch nicht - wie das LSG zu Recht ausgeführt hat - aus § 183 Abs 2 SGB III hergeleitet werden. Nach dieser Vorschrift kann ein Arbeitnehmer, der in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen hat, Insg auch für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses erhalten. Ein solcher Anspruch kommt unter den gegebenen Umständen nicht in Betracht. Denn dem Kläger war das maßgebliche Insolvenzereignis von 2000 bereits bekannt, weil er hierfür Insg erhalten hatte (vgl BSGE 100, 282, 285 f = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 16).

19

3. Der Rechtsmeinung des LSG, § 183 SGB III sei "richtlinienkonform" dahingehend auszulegen, dass bei fehlender Planüberwachung auch ein nachfolgendes zweites "formelles" Insolvenzereignis für einen Anspruch auf Insg ausreiche, folgt der Senat nicht.

20

Die Ausführungen des LSG, der Umstand, dass von den Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der RL 80/987 idF der RL 2002/74 bis 8.10.2005 zu erlassen seien, stehe einer "sofortigen Anwendung" dieser Richtlinie nicht im Wege, stehen bereits nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Denn hiernach kommt der RL 2002/74 im Fall ihrer Nichtumsetzung unmittelbare Wirkung nur im Zusammenhang mit nach dem 8.10.2005 eingetretenen Insolvenzfällen zu (EuGH, Urteil vom 17.1.2008 - C-246/06 - EuGHE I 2008, 105; Urteil vom 10.3.2011 - C-477/09 - NJW 2011, 1791). Im vorliegenden Fall war jedoch der zweite (unbeachtliche) Insolvenzfall bereits durch Beschluss des AG vom 2.2.2004 eingetreten.

21

Unabhängig davon verkennt das LSG bei seiner Auslegung der RL 80/987 idF der RL 2002/74 den Regelungsgehalt des Art 2 der RL, der insbesondere definiert, wann ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig "gilt". Dem Text des Art 2 Abs 1 in der hier maßgebenden Fassung (jetzt: RL 2008/94 vom 22.10.2008) sind aber keine ausdrücklichen Bestimmungen zu der im vorliegenden Fall streitigen Frage zu entnehmen, ob einem Arbeitnehmer, der bereits aus Anlass der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers eine Garantieleistung iS der RL erhalten hat, bei andauernder Zahlungsunfähigkeit durch die zuständige Garantieeinrichtung erneut eine Leistung zu gewähren ist. Soweit aufgrund der Änderungen durch die RL 2002/74 von einem "Gesamtverfahren" sowie in Art 2 Abs 4 davon die Rede ist, dass die Mitgliedstaaten "nicht gehindert sind", den Schutz der Arbeitnehmer auch "auf andere Situationen der Zahlungsunfähigkeit" auszuweiten, erfordert dies jeweils den Erlass entsprechender Rechts- oder Verwaltungsvorschriften durch die Mitgliedstaaten, über die diese frei entscheiden können (vgl Abschnitt 5 der Erwägungen der RL 2002/74 und auch Abschnitt 4 der Erwägungen bzw Art 2 Abs 4 der Neufassung der RL durch die RL 2008/94 vom 22.10.2008, ABl L 283 vom 28.10.2008, S 36 ff).

22

Nicht zu folgen vermag der Senat dem LSG insbesondere, soweit es aus den Materialien zur Änderung der RL 80/987 durch die RL 2002/74 den Schluss zieht, jedes "formell definierte Insolvenzereignis" iS der RL 80/987 sei geeignet, einen Anspruch gegen die Garantieeinrichtung zu begründen. Das LSG verweist hierzu vor allem auf den "Gemeinsamen Standpunkt" des Rates vom 18.2.2002 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 22.5.2002, C 119 E/1), in dessen Abschnitt 5 - wortgleich übernommen in Abschnitt 5 der Erwägungen der RL 2002/74 EG - ausgeführt ist, es sei angebracht, mit dem Begriff der Zahlungsunfähigkeit "auch andere Insolvenzverfahren als Liquidationsverfahren zu erfassen", und die Mitgliedstaaten sollten "vorsehen können, dass für den Fall, dass das Vorliegen einer Insolvenz zu mehreren Insolvenzverfahren führt, die Situation so behandelt wird, als würde es sich um ein einziges Insolvenzverfahren handeln". Aus Sicht des Senats ist nicht nachvollziehbar, inwiefern dies "im Umkehrschluss" bedeuten soll, dass - mangels deutscher gesetzlicher Regelungen, die mehrere Insolvenzverfahren zu einem Gesamtverfahren zusammenfassen - im vorliegenden Fall die "formelle" Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 19.6.2003 einen neuen Anspruch auf Insg auslöst. Den Mitgliedstaaten räumen die Erwägungen die Möglichkeit ein, für die Zukunft auch andere Verfahren einzubeziehen und für diesen Fall einschränkend zu bestimmen, wann mehrere Verfahren als "einziges" Verfahren zu behandeln sind. Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass ohne ausdrückliche Neuregelung zwei aufeinanderfolgende Insolvenzereignisse nicht als einheitliches Insolvenzereignis behandelt werden dürften, wenn zwischenzeitlich weiterhin Zahlungsunfähigkeit bestanden hat.

23

Für die Auffassung des LSG sprechen schließlich auch nicht die angeführten wirtschafts- und sozialpolitischen Erwägungen (S 34, 35 des Urteilsumdrucks), der auch Äußerungen im Schrifttum zugrunde liegen (Frank/Heinrich NZI 2011, 569, 571 ff und NZS 2011, 689, 691). Es mag zwar wünschenswert sein, in Sanierungsfällen über den Schutz des § 183 Abs 2 SGB III hinaus auch Arbeitnehmern, die schon einmal Insg erhalten haben, eine zusätzliche Absicherung zuzubilligen. Unabhängig davon, dass im vorliegenden Fall die Sanierungsbemühungen offenbar zum Scheitern verurteilt waren, kann derartigen Vorstellungen aber nur durch den Gesetzgeber entsprochen werden. Die mit der Einführung von Insolvenzplanverfahren verfolgten Zielsetzungen rechtfertigen es nicht, allein aufgrund der Bestätigung des Plans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens eine erneute Inanspruchnahme der Insg-Versicherung zu eröffnen; auch ist zu beachten, dass der Gesetzgeber mit den §§ 183 ff SGB III nicht die Ziele der InsO verfolgt(vgl dazu bereits BSGE 90, 157, 160 f = SozR 4-4300 § 183 Nr 3). Wie die aktuelle Entwicklung zeigt, hat sich der deutsche Gesetzgeber anlässlich der Überarbeitung und Neugestaltung des SGB III im Jahre 2011 insbesondere im Hinblick auf zu erwartende Mehrkosten für die umlagepflichtigen Arbeitgeber und mögliche Wettbewerbsverzerrungen gerade nicht dazu entschlossen, eine gesetzliche Regelung iS der Auffassung des LSG in das SGB III aufzunehmen (vgl Gegenäußerung der Bundesregierung zur - sich explizit auf die vorliegende Entscheidung des LSG beziehenden - Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt, BT-Drucks 17/6853 S 18, zu Nr 2, und S 1 ff, zu Art 1 Nr 7a und Art 2 Nr 18).

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4. Nach alledem steht das einschlägige europäische Recht der Anwendung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III iS der Rechtsprechung des BSG(s oben 1.) nicht entgegen. Der Senat ist nicht gehalten, die oben behandelten Fragen zur Auslegung der RL 80/987 idF der RL 2002/74 dem EuGH gemäß Art 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorzulegen. Denn insoweit liegt bereits hinreichend aussagekräftige Rechtsprechung des EuGH vor. Geklärt ist insbesondere, dass der RL unmittelbare Wirkung nur im Zusammenhang mit nach dem 8.10.2005 eingetretenen Insolvenzfällen zukommt (EuGH, Urteil vom 17.1.2008 - C-246/06 - EuGHE I 2008, 105; Urteil vom 10.3.2011 - C-477/09 - NJW 2011, 1791). Nicht ersichtlich ist, dass im vorliegenden Fall durch die Anwendung des § 183 SGB III entsprechend der Auffassung des Senats der allgemeine Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung(vgl EuGH, Urteil vom 12.12.2002 - C-442/00 - SozR 3-6084 Art 2 Nr 3; Urteil vom 7.9.2006 - C-81/05 - SozR 4-6084 Art 3 Nr 3; Urteil vom 17.1.2008 - C-246/06 - EuGHE I 2008, 105) verletzt sein könnte.

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. April 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 1.12.2009 bis 28.2.2010.

2

Nachdem die B. GmbH (B GmbH), die ein Sägewerk betrieb, am 15.2.2010 bei dem zuständigen Amtsgericht (AG) Arnsberg einen erneuten Insolvenzantrag gestellt hatte, beantragte der Kläger, ein Arbeitnehmer der B GmbH, am 1.3.2010 bei der Beklagten die Zahlung von Insg wegen dieses später eröffneten Insolvenzverfahrens.

3

Über das Vermögen der B GmbH war bereits auf den Insolvenzantrag vom 1.2.2005 durch das zuständige AG ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das AG hob das Verfahren nach Bestätigung des Insolvenzplans durch die Gläubiger am 7.4.2006 wieder auf. Der gestaltende Teil des Insolvenzplans sah vor, dass auf die Forderungen der ungesicherten Gläubiger eine Quote von 10 vH gezahlt wird und die Auszahlung auf der Grundlage des vom Insolvenzverwalter erstellten Verteilungsverzeichnisses zu verschiedenen Fälligkeitsterminen bis Ende 2008 erfolgen werde. Daneben war vorgesehen, dass weitere Zahlungen an die Gläubiger erfolgen sollten, falls sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens bessern und dieses in den Jahren 2007 bis 2010 Gewinne erwirtschaften sollte. Von diesen Gewinnen sollten ggf 50 vH an die Gläubiger ausgeschüttet werden. Die Erfüllung des Insolvenzplans überwachte der Insolvenzverwalter P. (P). Der Kläger hatte wegen dieses Insolvenzereignisses für die Zeit vom 1.11.2004 bis 31.1.2005 Insg erhalten.

4

Vor Aufhebung der Überwachung des Insolvenzplans stellte die B GmbH den Insolvenzantrag vom 15.2.2010. Der Kläger kündigte aufgrund der Lohnrückstände aus den Monaten Dezember 2009 sowie Januar und Februar 2010 sein Arbeitsverhältnis zum 28.2.2010. Das AG eröffnete das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B GmbH (Beschluss vom 22.3.2010). Die Beklagte lehnte den Antrag auf Insg ab und verlangte einen hierauf gezahlten Vorschuss zurück (Bescheid vom 26.4.2010; Widerspruchsbescheid vom 4.6.2010).

5

Das Klageverfahren ist in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13.5.2011; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10.4.2014). Die noch andauernde Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter rechtfertige nicht die Annahme, die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sei beendet und ein neues Insolvenzereignis könne eintreten. Dies gelte auch, wenn das erste Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans aufgehoben, die im Insolvenzplan festgelegte Quote in den folgenden Jahren gezahlt und der Insolvenzplan lediglich hinsichtlich des sog "Besserungsscheins" nicht erfüllt worden sei.

6

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), des Sozialstaatsprinzips aus Art 20 Abs 1 Grundgesetz (GG) und der Art 2 Abs 1 und 12a der EG-Richtlinie 2008/94 (RL 2008/94) vom 22.10.2008. Nach der Insolvenzordnung (InsO) bestehe neben der Möglichkeit der Gläubigerbefriedigung durch Liquidation des gesamtschuldnerischen Vermögens auch die Möglichkeit, eine Sanierung nach Maßgabe des mit den Gläubigern abgestimmten Insolvenzplans durchzuführen. Vorliegend sei durch den Beschluss des AG vom 7.4.2006 das erste Insolvenzverfahren aufgehoben worden und damit endgültig beendet gewesen. Ein zweites Insolvenzverfahren könne ab diesem Zeitpunkt eintreten. Die Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter sei lediglich ein nachgelagertes Verfahren. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach das Insolvenzverfahren arbeitsförderungsrechtlich andauere, solange die Planüberwachung angeordnet sei, sei nicht zu folgen. Aus dem Andauern der Planüberwachung könne nicht auf die Fortdauer der Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden. § 183 Abs 1 SGB III sei zudem europarechtskonform so auszulegen, dass ein nachfolgendes Insolvenzereignis ausreiche, um einen weiteren Anspruch auf Insg auszulösen. Auch Art 20 GG gebiete, die Arbeitnehmer zu schützen. Es sei das Ziel dieser Art der Sanierung, die Arbeitsplätze in dem Betrieb zu erhalten. Die Auslegung des § 183 Abs 1 S 1 SGB III durch das LSG habe aber zur Folge, dass gerade das "schwächste Glied in der Kette", nämlich der Arbeitnehmer, mit dessen maßgeblicher Hilfe der Insolvenzplan erfüllt werde, völlig schutzlos bleibe. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber während der Fortführung des Betriebs die Insolvenzumlage zahlen müsse und hier auch gezahlt habe.

7

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Abänderung der Urteile des LSG und des SG sowie des Bescheids der Beklagten vom 26.4.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.6.2010 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1.12.2009 bis 28.2.2010 Insolvenzgeld zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Die Entscheidung des LSG sei auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der europarechtlichen Bestimmungen nicht zu beanstanden.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz).

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 26.4.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.6.2010 (§ 95 SGG), der nach Begrenzung des Streitgegenstands in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nur noch angegriffen ist, soweit die Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger für die Zeit vom 1.12.2009 bis 28.2.2010 Insg zu zahlen. Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG insoweit zu Recht zurückgewiesen. Die Anfechtungs- und Leistungsklage kann keinen Erfolg haben, weil der Kläger für den streitbefangenen Zeitraum keinen Anspruch auf Insg hat.

12

Nach § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006 (BGBl I 2742; jetzt § 165 Abs 1 S 1 SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.

13

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar ist durch den Beschluss des AG vom 22.3.2010 (wieder) ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der B GmbH eröffnet worden, sodass ein Insolvenzereignis iS der InsO vorliegt. Ein (neues) arbeitsförderungsrechtliches Insolvenzereignis iS des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III ist damit jedoch nicht eingetreten, weil das frühere Insolvenzereignis - hier die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B GmbH am 1.2.2005 - gegenüber dem Eintreten eines weiteren Insolvenzereignisses eine Sperrwirkung entfaltet. Diese hindert die Entstehung (§ 40 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch) eines erneuten Anspruchs auf Insg.

14

Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein (neues) Insolvenzereignis nicht eintreten, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers noch andauert (vgl BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 3). Für die Annahme wiedererlangter Zahlungsfähigkeit genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber die Betriebstätigkeit fortführt und die laufenden Verbindlichkeiten, wie insbesondere die Lohnansprüche, befriedigt. Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist vielmehr so lange auszugehen, wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet deshalb nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelnen Zahlungsverpflichtungen wieder nachkommt (vgl BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 3; BSGE 100, 282 f RdNr 11 mwN = SozR 4-4300 § 183 Nr 9 S 39). Wird - wie im vorliegenden Fall durch das LSG - für den Senat bindend festgestellt (§ 163 SGG), dass der Schuldner zwar die ihm nach dem Insolvenzplan aufgegebene Quote leisten konnte, aber sonst nach der Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens zu keinem Zeitpunkt die Fähigkeit wieder eingetreten ist, die fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen, bleibt es bei der Sperrwirkung des ersten Insolvenzereignisses.

15

Soweit der Kläger unter Verweis auf die Ausführungen des Zeugen P die Auffassung vertritt, dass aus dessen Aussage andere Schlüsse zu ziehen seien als sie das LSG gezogen hat, kann dies der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Der Senat ist an die Feststellungen des LSG gebunden, soweit gegen diese Feststellungen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben worden sind (§ 163 SGG). Solche Rügen hat der Kläger, der schlicht seine Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt, nicht erhoben.

16

Allein die formale Beendigung des Insolvenzverfahrens bei gleichzeitiger Anordnung der Planüberwachung genügt nicht, um eine Wiederherstellung der allgemeinen Zahlungsfähigkeit des Gemeinschuldners zu begründen. Die Gläubiger verzichten bei dieser Art der Abwicklung eines Insolvenzereignisses auf den Großteil ihrer Forderungen nur, um den im Insolvenzplan vereinbarten (geringen) Teil der Forderung zu erhalten. Ihre Gesamtforderung kann aber insolvenzrechtlich wieder aufleben, wenn die Vereinbarungen des Insolvenzplans nicht erfüllt werden (vgl § 255 InsO; dazu BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 3).

17

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die Kritik des Klägers an dem fehlenden Schutz der Arbeitnehmer in einem solchen Fall rechtfertigt - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - keine andere Beurteilung. Der Gesetzgeber verfolgt - wie der Senat schon mehrfach entschieden hat - mit den §§ 183 f SGB III nicht die Ziele der InsO, sondern begründet eine Sicherung bestimmter Lohnforderungen im Falle einer Insolvenz des Arbeitsgebers (vgl BSG, Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 11/11 R - BSGE 112, 235 = SozR 4-4300 § 183 Nr 14, RdNr 25). Die mit Einführung der Insolvenzplanverfahren verfolgten Zielsetzungen begründen - bezogen auf das Insg-Recht - nicht die Annahme, aufgrund der Bestätigung des Insolvenzplans und der Beendigung des Insolvenzverfahrens sei eine erneute Inanspruchnahme der Insg-Versicherung eröffnet (BSGE 90, 157 ff = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). Vielmehr wird für die Dauer der Planüberwachung der Zusammenhang mit dem vorangegangenen Insolvenzverfahren durch die fortbestehenden Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzverwalters, der Gläubigerversammlung und durch die Aufsicht des Insolvenzgerichts dokumentiert (vgl BSGE 100, 282 ff RdNr 14 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9).

18

Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Anspruch auf Insg dann neu entstehen kann, wenn zwischen dem ersten und zweiten Insolvenzereignis ein überwachter Insolvenzplan durchgeführt und ordnungsgemäß beendet worden ist (vgl Sächsisches LSG, Urteil vom 9.3.2011 - L 1 AL 241/06 - NZI 2011, 608 f; SG Karlsruhe, Urteil vom 8.5.2012 - S 16 AL 4404/10). Denn in dem hier zu entscheidenden Fall war die Planüberwachung bei Eintritt des weiteren Insolvenzereignisses gerade nicht ordnungsgemäß beendet (vgl zu der Problematik auch Frank/Heinrich, NZS 2011, 689).

19

Die Auslegung und Anwendung des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III verstößt auch nicht gegen Vorgaben des europäischen Rechts(BSG, Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 10/11 R - DB 2013, 1916 f). Die Auslegung und Anwendung des § 183 Abs 1 S 1 SGB III zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein früher eingetretenes Insolvenzereignis beendet ist und ein neues eintreten kann, wird durch das europäische Recht nicht präjudiziert.

20

Nach Art 2 Abs 1 der RL 2008/94 gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgeschriebenen Gesamtverfahrens beantragt worden ist, das die Insolvenz des Arbeitgebers voraussetzt und den teilweisen oder vollständigen Vermögensbeschlag gegen diesen Arbeitgeber sowie die Bestellung eines Verwalters oder einer Person, die eine ähnliche Funktion ausübt, zur Folge hat, und wenn entweder die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde die Eröffnung des Verfahrens beschlossen oder festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen. Die Richtlinie knüpft also grundsätzlich an ein formelles Insolvenzereignis an und ermöglicht den Mitgliedstaaten nur die Zusammenfassung mehrerer formeller Insolvenzereignisse zu einem Gesamtverfahren, ordnet sie aber nicht an. Eine solche gesetzliche Regelung zur Zusammenfassung mehrerer formeller Insolvenzereignisse existiert im nationalen Recht aber gerade nicht (vgl hierzu BSGE 90, 157, 161 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 7; dazu auch: BR-Drucks 313/11, S 3 f, BT-Drucks 17/6853, S 18). Die europarechtliche Regelung schreibt auch nicht vor, dass und unter welchen Voraussetzungen ein bereits eingetretenes Insolvenzereignis arbeitsförderungsrechtlich abgeschlossen ist, um ein neues Insolvenzereignis annehmen zu können.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.