Bundesgerichtshof Urteil, 13. Dez. 2000 - XII ZR 278/98
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Trennungsunterhalt für die Zeit ab 1. April 1997. Die Klägerin hat die polnische, der Beklagte die deutsche Staatsangehörigkeit. Ihre am 21. April 1992 in Deutschland geschlossene Ehe blieb kinderlos. Im Mai 1993 trennten sich die Parteien, wobei Grund und nähere Umstände der Trennung zwischen ihnen streitig sind. Die Klägerin lebte in der Folge von 1993 bis 1996 bei ihren Eltern in Polen, von 1996 bis 1997 wieder allein in Deutschland, wo sie einer Aushilfstätigkeit in einem Altenheim nachging. ImMärz 1997 wurde sie nach Polen ausgewiesen und war dort zunächst arbeitslos. Seit Januar 1998 arbeitet sie als Assistentin bei einer Firma und verdient monatlich 850 Zloty. Der Beklagte ist von Beruf Elektroinstallateur und seit März 1998 betriebsbedingt arbeitslos. Zwischen den Parteien ist vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Brühl das Scheidungsverfahren rechtshängig. Die Klägerin hat im vorliegenden Verfahren einen Trennungsunterhalt von monatlich 885 DM, beginnend ab 1. April 1997, geltend gemacht. Das Amtsgericht hat ihr gemäß § 1361 BGB einen monatlichen Unterhalt von 590 DM ab 1. April 1997 zugesprochen und die Klage im übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage ganz abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht. 1. Das Oberlandesgericht ist - ebenso wie das Amtsgericht - davon ausgegangen , daß der Klägerin für die Dauer des Getrenntlebens dem Grunde nach ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1361 BGB zustehe, ohne darzulegen, weshalb es auf den Unterhaltsanspruch deutsches Recht angewendet hat. Es hat diesen Anspruch gemäß § 1361 Abs. 3 i.V.m. § 1579 Nr. 7 BGB verneint, weil die Unterhaltsbelastung, die sich nur aus dem unterschiedlichen Einkommensniveau zwischen Polen und Deutschland herleite, für den Beklagten an-gesichts der persönlichen Lebensumstände der Parteien und ihres nur kurzen Zusammenlebens in kinderloser Ehe objektiv unzumutbar sei. 2. Mit dieser Begründung kann das angefochtene Urteil nicht bestehenbleiben , da gegen die Anwendung des deutschen Rechts Bedenken bestehen.
a) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist gegeben. Sie besteht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs immer dann, wenn nach den Gerichtsstandsbestimmungen ein deutsches Gericht örtlich zuständig ist (vgl. Senatsurteil vom 27. März 1991 - XII ZR 113/90 - FamRZ 1991, 925 m.N.). Das ist hier gemäß § 621 Abs. 2 Satz 1 ZPO der Fall, da für die selbständige Familiensache des Trennungsunterhalts das Gericht zuständig ist, bei dem die Ehesache anhängig ist oder war (vgl. Schwab/Maurer aaO I Rdn. 1081, 1082). Die vorrangige Sonderregelung des EuGVÜ (Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen vom 27. September 1968, BGBl. 1972 II 773) greift hier nicht ein, weil Polen dem Übereinkommen noch nicht beigetreten ist (vgl. Übersichten bei Baumbach/Lauterbach/Albers ZPO 59. Aufl. Einleitung IV Rdn. 2 und Schlußanhang V C 1 Rdn. 5; Zöller/Geimer ZPO 59. Aufl. Anh. I Art. 1 GVÜ Rdn. 1; Schwab/ Maurer Handbuch des Scheidungsrechts 4. Aufl. I Rdn. 1088, 1089).
b) Für Sachverhalte mit Bezug zum Recht eines ausländischen Staates richtet sich die Frage, welches materielle Recht anwendbar ist, nach den Regeln des von Amts wegen anzuwendenden deutschen Kollisionsrechts, des EGBGB (Senatsurteil vom 7. April 1993 - XII ZR 266/91 - FamRZ 1993, 1051, 2306). Jedoch gehen Bestimmungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen vor, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind
(Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EGBGB). Ein solcher Vorrang gilt hier nach dem Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht vom 2. Oktober 1973 (im folgenden: UÜbk. 73, BGBl. 1986 II 825 ff., für Deutschland in Kraft seit 1. April 1987, vgl. BGBl. II 1987, 225). Es geht demgemäß formell den Regeln des Art. 18 EGBGB vor, der allerdings inhaltlich mit denen des UÜbk. 73 übereinstimmt (Senatsurteil vom 27. März 1991 aaO 926). Das UÜbk. 73 wurde von Polen am 1. Mai 1996 ratifiziert, würde jedoch auch unabhängig davon gemäß Art. 3 des Abkommens im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten gelten (Palandt/Heldrich BGB 59. Aufl. Anh. zu Art. 18 EGBGB Rdn. 4 und 5; Johannsen/Henrich Eherecht 3. Aufl. Art. 18 EGBGB Rdn. 5; Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl. § 7 Rdn. 1). Gemäß Art. 4 Abs. 1 UÜbk. 73 (= Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB) bestimmt sich die Unterhaltspflicht nach den Sachvorschriften des am jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten geltenden Rechts. Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person ist dort, wo sie sozial integriert ist und ihren Lebensmittelpunkt, den Schwerpunkt ihrer Bindungen in familiärer oder beruflicher Hinsicht hat. Maßgebend sind die tatsächlichen Verhältnisse (vgl. Senatsbeschlüsse vom 3. Februar 1993 - XII ZB 93/90 - FamRZ 1993, 798, 800 und vom 29. Oktober 1980 - IV b ZB 586/80 - FamRZ 1981, 135, 136; Wendl/Dose aaO Rdn. 9). Vorliegend macht die Klägerin Trennungsunterhalt für die Zeit ab 1. April 1997 geltend. Unstreitig lebt sie seit ihrer Ausweisung im März 1997 in Polen, wo sie familiäre Bindungen hat und einem Beruf nachgeht. Daher richtet sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin vorrangig nach polnischem Recht.
Eine Ausnahme, nämlich ein Rückgriff auf deutsches Recht, kommt dann in Betracht, wenn die Klägerin nach dem vorrangig berufenen polnischen Recht dem Grunde nach keinen Unterhalt erhalten kann (Art. 6 UÜbk. 73 = Art. 18 Abs. 2 EGBGB). Persönliche und wirtschaftliche Gründe, etwa fehlende Bedürftigkeit des Berechtigten oder mangelnde Leistungsfähigkeit des Verpflichteten erfüllen diese Voraussetzung allerdings nicht (Johannsen/Henrich aaO Rdn. 11; Wendl/Dose aaO Rdn. 13 bis 15, 16).
c) Das angefochtene Urteil, welches ausschließlich deutsches Recht geprüft hat, kann danach nicht bestehenbleiben. Der Senat kann auch nicht selbst abschließend entscheiden, da Feststellungen zum Inhalt des polnischen Rechts und zu den zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen gehörenden Lebensverhältnissen der Parteien und den Umständen der Trennung erforderlich sind, die der Tatrichter nachzuholen hat. Das Oberlandesgericht wird im weiteren Verfahren prüfen müssen, ob und unter welchen Voraussetzungen das polnische Recht einem getrenntlebenden Ehegatten einen Unterhaltsanspruch gewährt. Obwohl das polnische Recht einen solchen Anspruch nicht gesondert regelt, sondern nur die gegenseitige Verpflichtung der Ehegatten ausspricht, zur Deckung der Familienbedürfnisse beizutragen, ist ein Trennungsunterhaltsanspruch nicht von vornherein ausgeschlossen. Vielmehr wird er von den polnischen Gerichten aus dem Familienunterhaltsanspruch abgeleitet. Allerdings können die Trennung und die besonderen Umstände des Einzelfalles Einfluß auf Form und Umfang der Unterhaltspflicht haben (vgl. Unterhaltsrecht in Europa Teil 4: Polen, herausgegeben vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht 1983 S. 169 ff., insbesondere 171, 173; Gralla/Leonhardt Unterhaltsrecht
in Osteuropa Studien des Instituts für Ostrecht 1989 Bd. 36 S. 146, 147; Wendl/Dose aaO Rdn. 97; OLG Hamm FamRZ 1994, 774, 775; OLG Koblenz FamRZ 1992, 1428, 1429). Ferner ist gegebenenfalls zu klären, inwieweit die Frage der Schuld an der Trennung nach der polnischen Rechtspraxis Einfluß auf den Unterhaltsanspruch hat (vgl. Unterhaltsrecht in Europa aaO S. 173; Gralla/Leonhardt aaO S. 147; OLGe Hamm und Koblenz ebenda). Zur Klärung dieser Fragen war die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Im Rahmen der neuen Verhandlung werden die Parteien auch Gelegenheit haben, zu den inhaltlichen Voraussetzungen des polnischen Rechts vorzutragen. Blumenröhr Hahne Sprick Weber-Monecke Wagenitz
Annotations
(1) Leben die Ehegatten getrennt, so kann ein Ehegatte von dem anderen den nach den Lebensverhältnissen und den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt verlangen; für Aufwendungen infolge eines Körper- oder Gesundheitsschadens gilt § 1610a. Ist zwischen den getrennt lebenden Ehegatten ein Scheidungsverfahren rechtshängig, so gehören zum Unterhalt vom Eintritt der Rechtshängigkeit an auch die Kosten einer angemessenen Versicherung für den Fall des Alters sowie der verminderten Erwerbsfähigkeit.
(2) Der nicht erwerbstätige Ehegatte kann nur dann darauf verwiesen werden, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen, wenn dies von ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen, insbesondere wegen einer früheren Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe, und nach den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Ehegatten erwartet werden kann.
(3) Die Vorschrift des § 1579 Nr. 2 bis 8 über die Beschränkung oder Versagung des Unterhalts wegen grober Unbilligkeit ist entsprechend anzuwenden.
(4) Der laufende Unterhalt ist durch Zahlung einer Geldrente zu gewähren. Die Rente ist monatlich im Voraus zu zahlen. Der Verpflichtete schuldet den vollen Monatsbetrag auch dann, wenn der Berechtigte im Laufe des Monats stirbt. § 1360a Abs. 3, 4 und die §§ 1360b, 1605 sind entsprechend anzuwenden.
Ein Unterhaltsanspruch ist zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes grob unbillig wäre, weil
- 1.
die Ehe von kurzer Dauer war; dabei ist die Zeit zu berücksichtigen, in welcher der Berechtigte wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes nach § 1570 Unterhalt verlangen kann, - 2.
der Berechtigte in einer verfestigten Lebensgemeinschaft lebt, - 3.
der Berechtigte sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Verpflichteten oder einen nahen Angehörigen des Verpflichteten schuldig gemacht hat, - 4.
der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat, - 5.
der Berechtigte sich über schwerwiegende Vermögensinteressen des Verpflichteten mutwillig hinweggesetzt hat, - 6.
der Berechtigte vor der Trennung längere Zeit hindurch seine Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, gröblich verletzt hat, - 7.
dem Berechtigten ein offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig bei ihm liegendes Fehlverhalten gegen den Verpflichteten zur Last fällt oder - 8.
ein anderer Grund vorliegt, der ebenso schwer wiegt wie die in den Nummern 1 bis 7 aufgeführten Gründe.