Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2011 - X ZR 23/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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- Die Beklagten sind Inhaber des am 11. Mai 1995 angemeldeten deutschen Patents 195 16 780 (Streitpatents), das eine hydrodynamische Düse für die Reinigung von Rohren und Kanälen betrifft und 16 Patentansprüche umfasst.
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- Der Geschäftsführer der Klägerin U. S. , der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht auch deren Alleingesellschafter war, hatte 2007 unter der Firma U. D. Inhaber U. S. Nichtigkeitsklage gegen das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1, 5, 8, 13, 15 und 16 erhoben, die das Patentgericht durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 22. April 2008 (Az. 4 Ni 25/07) abwies.
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- Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin geltend, das Streitpatent sei in vollem Umfang wegen fehlender Patentfähigkeit für nichtig zu erklären. Sie stützt sich hierzu auf eine Reihe von Dokumenten sowie auf die Behauptung einer Vorbenutzung. Sie hat beantragt, das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären, hilfsweise, dieses wegen Verstoßes gegen das Doppelschutzverbot für unwirksam zu erklären, weiter hilfsweise festzustellen, dass das Streitpatent wegen Verstoßes gegen das Doppelschutzverbot unwirksam sei.
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- Das Patentgericht hat, soweit die Patentansprüche 1, 5, 8, 13, 15 und 16 angegriffen sind, die Klage als unzulässig, im Übrigen als unbegründet abgewiesen und die Hilfsanträge als unzulässig angesehen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie nur5 mehr ihren Hauptantrag weiterverfolgt. Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat der bisherige Alleingesellschafter der Klägerin einen Teil seiner Anteile einem weiteren Gesellschafter übertragen.
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- Die Beklagten treten dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
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- I. Das Patentgericht hat ausgeführt, der Zulässigkeit der Klage stehe, soweit diese auf die Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang seiner Patentansprüche 1, 5, 8, 13, 15 und 16 gerichtet sei, die Rechtskraft des Urteils im Verfahren 4 Ni 25/07 entgegen. Zwar könne eine Nichtigkeitsklage, solange das Patent in Kraft stehe, grundsätzlich von jedermann erhoben werden; insbesondere könne der selbst auf dem Gebiet des Streitpatents tätigen Klägerin ein eigenes Interesse an der Überprüfung der Schutzfähigkeit des Streitpatents nicht ohne Weiteres abgesprochen werden. Hier schließe aber das frühere Sachurteil die erneute Klage im Umfang des im früheren Verfahren gestellten Antrags aus. Die jetzige Klägerin müsse sich die in der Person des seinerzeitigen Klägers begründeten Einwendungen entgegenhalten lassen. Die klagende Gesellschaft bilde die Gestalt, in der sich ihr Alleingesellschafter am Geschäftsleben beteilige. Gesellschaft und Gesellschafter seien trotz der Trennung der Rechtspersönlichkeiten bei wirtschaftlicher Betrachtung als eine Person anzusehen. Eine den Alleingesellschafter treffende Rechtskraftwirkung wäre obsolet, wenn sie durch die von diesem allein bestimmte Gesellschaft umgangen werden könnte. Die Patentinhaber könnten darauf vertrauen, sich im Rahmen eines bereits geltend gemachten Nichtigkeitsgrunds nicht nochmals mit demselben Kläger auseinandersetzen zu müssen. Der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen komme eine Befriedungsfunktion zu, die ihre Beseitigung nur in gesetzlich besonders geregelten Ausnahmefällen zulasse.
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- Die bisher noch nicht angegriffenen Patentansprüche, hinsichtlich derer die Klage bedenkenlos zulässig sei, würden durch ihre Rückbeziehung auf Patentanspruch 1 getragen.
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- II. Dies hält der Nachprüfung nicht stand. 1. Die Nichtigkeitsklage ist, wie das Patentgericht richtig gesehen hat,
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- als Popularklage ausgestaltet. Deswegen stellt sich die Frage der Klagebefugnis zunächst nicht. Allerdings hat die Rechtsprechung seit langem angenommen , dass Verpflichtungen, die einer Klage entgegenstehen, unter bestimmten Voraussetzungen auch Dritten entgegengehalten werden können (so schon RGZ 59, 133, 135 f. = JW 1905, 58 - Rechtskraft im Nichtigkeitsverfahren ; st. Rspr. des BGH seit BGH, Urteil vom 10. Januar 1963 - I ZR 174/63, GRUR 1963, 253 - Bürovorsteher). 2. Das rechtskräftige Urteil wirkt nach § 325 Abs. 1 ZPO für und gegen
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- die Parteien und diejenigen Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit deren Rechtsnachfolger geworden sind. Die Klägerin war weder Partei des Vorprozesses, noch ist sie die Rechtsnachfolgerin ihres vormaligen Alleingesellschafters, des Klägers des Vorprozesses. Für das Patentnichtigkeitsverfahren gilt nichts Abweichendes. 3. Eine über § 325 Abs. 1 ZPO hinausgehende Rechtskraftwirkung
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- (Rechtskrafterstreckung) kommt nur auf Grund gesetzlicher Regelung in Betracht (Beispiele bei Musielak, ZPO, 8. Aufl., § 325 Rn. 11 ff.). Darüber hinaus kann sich aus Vorschriften des materiellen Rechts ergeben, dass ein am Verfahren nicht beteiligter Dritter die rechtskräftige Entscheidung gegen sich gelten lassen muss. So folgt aus der akzessorischen Haftung des Bürgen, des Eigentümers des hypothekarisch belasteten Grundstücks oder des Verpfänders einer beweglichen Sache (§ 768 Abs. 1, § 1137 Abs. 1, § 1211 Abs. 1 BGB), dass diese sich auf die Abweisung der Klage des Gläubigers gegen den Schuldner berufen können (vgl. Musielak, aaO Rn. 15). Aus § 129 Abs. 1 HGB folgt, dass ein rechtskräftiges Urteil, das in einem Prozess zwischen der offenen Handelsgesellschaft und einem Gesellschaftsgläubiger ergeht, insoweit auch gegenüber den Gesellschaftern wirkt, als es sich um Einwendungen handelt, die der Gesellschaft durch das Urteil abgesprochen worden sind (BGH, Urteil vom 11. Dezember 1978 - II ZR 235/77, BGHZ 73, 217, 224 f.: s. auch Senatsbeschluss vom 18. März 1975 - X ZB 12/74, BGHZ 64, 155, 156 ff. - Lampenschirm). Materiellrechtliche Vorschriften, aus denen abgeleitet werden könnte, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung müsse die Abweisung einer (Patentnichtigkeits-)Klage ihres Alleingesellschafter gegen sich gelten lassen, gibt es indessen nicht (vgl. bereits Senatsurteil vom 17. Dezember 2002 - X ZR 155/09, zu I a.E., juris; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 22 Rn. 34). 4. Das Patentgericht hat gemeint, die Klägerin müsse sich den gegen
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- ihren Alleingesellschafter begründeten Rechtskrafteinwand ebenso entgegenhalten lassen wie rechtsgeschäftliche Abreden. Es hat sich hierzu auf das Senatsurteil vom 2. Juni 1987 (X ZR 97/86, GRUR 1987, 900 - Entwässerungsanlage ) berufen. In diesem Fall hat der Senat angenommen, dass sich die dortige Beklagte auf eine den Alleingesellschafter der dortigen Klägerin, den Erfinder des dortigen Streitpatents, treffende Nichtangriffspflicht berufen könne. Zwar liege kein "Strohmann-Fall" vor, da die Klägerin ein Eigeninteresse an der Vernichtung des Streitpatents habe. Die Klägerin sei aber die rechtliche Gestalt, in der sich ihr Gesellschafter am Geschäftsleben beteilige. Trotz der Verschiedenheit der Rechtspersönlichkeiten könne daher bei der Beurteilung der Frage, ob im Verhältnis zur Beklagten ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliege, nicht unberücksichtigt bleiben, dass jene bei wirtschaftlicher Betrachtung ein und dieselbe Person seien. Nach Treu und Glauben sei, wie sich aus BGH, Urteil vom 29. Januar 1957 - I ZR 84/55, GRUR 1957, 482 - Chenillefäden für den umgekehrten Fall ergebe, die Nichtangriffspflicht des Alleingesellschafters auch von der Gesellschaft zu beachten.
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- Das Patentgericht beachtet jedoch nicht hinreichend, dass sich diese für den Einwand der Nichtangriffsabrede aus Treu und Glauben aufgestellten Grundsätze nicht auf den Rechtskrafteinwand anwenden lassen. Denn im Rahmen der Bewertung eines vertraglichen Verpflichtungen widersprechenden prozessualen Verhaltens nach § 242 BGB sind die Rechtspositionen und Interessenlagen der Beteiligten umfassend zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Dies lässt Raum für Lösungen, bei denen gegebenenfalls die rechtliche Unterscheidung zwischen der juristischem Person und ihrem Alleingesellschafter in ihrer Bedeutung so zurücktritt, dass sich die Gesellschaft wie ihr Gesellschafter (und umgekehrt) behandeln lassen muss. Auf das Institut der Rechtskraft (und der Rechtskrafterstreckung) lassen sich solche Wertungen nicht übertragen. 5. Dem steht nicht entgegen, dass der Strohmann die rechtskräftige
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- Abweisung der Nichtigkeitsklage gegen sich gelten lassen muss. Denn hierbei handelt es sich nicht um einen auf die Rechtskraft gegründeten Einwand, sondern um eine Folgerung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben im Prozessrecht. Der ohne eigenes Interesse auf die Nichtigerklärung eines Patents antragende Strohmann muss gegen sich gelten lassen, dass derjenige, an dessen Stelle er klagt, an der Klage gehindert ist (s. nur Senatsurteil vom 29. Juni 2010 - X ZR 49/09, GRUR 2010, 992 - Ziehmaschinenzugeinheit II). Einen diesen Einwand ausfüllenden Sachverhalt hat das Patentgericht nicht festgestellt. Auch sonst kann die Klageerhebung nicht als treuwidrig angesehen werden.
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- III. Muss die Klägerin mithin die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess nicht gegen sich gelten lassen, ist auch der Annahme des Patentgerichts die Grundlage entzogen, der Antrag, das Streitpatent sei im Umfang der Patentansprüche 2 bis 4, 6, 7 , 9 bis 12 und 14 für nichtig zu erklären, sei unbegründet , da sich deren Patentfähigkeit aus der - zwischen den Parteien feststehenden - Patentfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 ergebe. IV. Da das Patentgericht eine Sachprüfung nicht vorgenommen hat, ist
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- eine Zurückverweisung zweckmäßig (vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 2004 - X ZR 212/02, GRUR 2004, 354, 356 - Crimpwerkzeug I). Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens Grabinski Bacher
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 14.12.2010 - 4 Ni 24/09 -
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Annotations
(1) Das rechtskräftige Urteil wirkt für und gegen die Parteien und die Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind oder den Besitz der in Streit befangenen Sache in solcher Weise erlangt haben, dass eine der Parteien oder ihr Rechtsnachfolger mittelbarer Besitzer geworden ist.
(2) Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts zugunsten derjenigen, die Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, gelten entsprechend.
(3) Betrifft das Urteil einen Anspruch aus einer eingetragenen Reallast, Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld, so wirkt es im Falle einer Veräußerung des belasteten Grundstücks in Ansehung des Grundstücks gegen den Rechtsnachfolger auch dann, wenn dieser die Rechtshängigkeit nicht gekannt hat. Gegen den Ersteher eines im Wege der Zwangsversteigerung veräußerten Grundstücks wirkt das Urteil nur dann, wenn die Rechtshängigkeit spätestens im Versteigerungstermin vor der Aufforderung zur Abgabe von Geboten angemeldet worden ist.
(4) Betrifft das Urteil einen Anspruch aus einer eingetragenen Schiffshypothek, so gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend.
(1) Der Bürge kann die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Stirbt der Hauptschuldner, so kann sich der Bürge nicht darauf berufen, dass der Erbe für die Verbindlichkeit nur beschränkt haftet.
(2) Der Bürge verliert eine Einrede nicht dadurch, dass der Hauptschuldner auf sie verzichtet.
(1) Der Eigentümer kann gegen die Hypothek die dem persönlichen Schuldner gegen die Forderung sowie die nach § 770 einem Bürgen zustehenden Einreden geltend machen. Stirbt der persönliche Schuldner, so kann sich der Eigentümer nicht darauf berufen, dass der Erbe für die Schuld nur beschränkt haftet.
(2) Ist der Eigentümer nicht der persönliche Schuldner, so verliert er eine Einrede nicht dadurch, dass dieser auf sie verzichtet.
(1) Der Verpfänder kann dem Pfandgläubiger gegenüber die dem persönlichen Schuldner gegen die Forderung sowie die nach § 770 einem Bürgen zustehenden Einreden geltend machen. Stirbt der persönliche Schuldner, so kann sich der Verpfänder nicht darauf berufen, dass der Erbe für die Schuld nur beschränkt haftet.
(2) Ist der Verpfänder nicht der persönliche Schuldner, so verliert er eine Einrede nicht dadurch, dass dieser auf sie verzichtet.
(1) Wird ein Gesellschafter wegen einer Verbindlichkeit der Gesellschaft in Anspruch genommen, so kann er Einwendungen, die nicht in seiner Person begründet sind, nur insoweit geltend machen, als sie von der Gesellschaft erhoben werden können.
(2) Der Gesellschafter kann die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange der Gesellschaft das Recht zusteht, das ihrer Verbindlichkeit zugrunde liegende Rechtsgeschäft anzufechten.
(3) Die gleiche Befugnis hat der Gesellschafter, solange sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung der Gesellschaft befriedigen kann.
(4) Aus einem gegen die Gesellschaft gerichteten vollstreckbaren Schuldtitel findet die Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter nicht statt.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.