vorgehend
Bundespatentgericht, 4 Ni 24/09, 14.12.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 23/11 Verkündet am:
29. November 2011
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Rohrreinigungsdüse
Eine Kapitalgesellschaft muss sich nicht die Rechtskraft eines gegen ihren
Alleingesellschafter ergangenen klageabweisenden Nichtigkeitsurteils entgegenhalten
lassen.
BGH, Urteil vom 29. November 2011 - X ZR 23/11 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhandlung vom 29. November 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr. Meier-Beck, den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die
Richter Dr. Grabinski und Dr. Bacher

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14. Dezember 2010 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens , an das Patentgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagten sind Inhaber des am 11. Mai 1995 angemeldeten deutschen Patents 195 16 780 (Streitpatents), das eine hydrodynamische Düse für die Reinigung von Rohren und Kanälen betrifft und 16 Patentansprüche umfasst.
2
Der Geschäftsführer der Klägerin U. S. , der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht auch deren Alleingesellschafter war, hatte 2007 unter der Firma U. D. Inhaber U. S. Nichtigkeitsklage gegen das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1, 5, 8, 13, 15 und 16 erhoben, die das Patentgericht durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 22. April 2008 (Az. 4 Ni 25/07) abwies.
3
Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin geltend, das Streitpatent sei in vollem Umfang wegen fehlender Patentfähigkeit für nichtig zu erklären. Sie stützt sich hierzu auf eine Reihe von Dokumenten sowie auf die Behauptung einer Vorbenutzung. Sie hat beantragt, das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären, hilfsweise, dieses wegen Verstoßes gegen das Doppelschutzverbot für unwirksam zu erklären, weiter hilfsweise festzustellen, dass das Streitpatent wegen Verstoßes gegen das Doppelschutzverbot unwirksam sei.
4
Das Patentgericht hat, soweit die Patentansprüche 1, 5, 8, 13, 15 und 16 angegriffen sind, die Klage als unzulässig, im Übrigen als unbegründet abgewiesen und die Hilfsanträge als unzulässig angesehen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie nur5 mehr ihren Hauptantrag weiterverfolgt. Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat der bisherige Alleingesellschafter der Klägerin einen Teil seiner Anteile einem weiteren Gesellschafter übertragen.
6
Die Beklagten treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


7
I. Das Patentgericht hat ausgeführt, der Zulässigkeit der Klage stehe, soweit diese auf die Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang seiner Patentansprüche 1, 5, 8, 13, 15 und 16 gerichtet sei, die Rechtskraft des Urteils im Verfahren 4 Ni 25/07 entgegen. Zwar könne eine Nichtigkeitsklage, solange das Patent in Kraft stehe, grundsätzlich von jedermann erhoben werden; insbesondere könne der selbst auf dem Gebiet des Streitpatents tätigen Klägerin ein eigenes Interesse an der Überprüfung der Schutzfähigkeit des Streitpatents nicht ohne Weiteres abgesprochen werden. Hier schließe aber das frühere Sachurteil die erneute Klage im Umfang des im früheren Verfahren gestellten Antrags aus. Die jetzige Klägerin müsse sich die in der Person des seinerzeitigen Klägers begründeten Einwendungen entgegenhalten lassen. Die klagende Gesellschaft bilde die Gestalt, in der sich ihr Alleingesellschafter am Geschäftsleben beteilige. Gesellschaft und Gesellschafter seien trotz der Trennung der Rechtspersönlichkeiten bei wirtschaftlicher Betrachtung als eine Person anzusehen. Eine den Alleingesellschafter treffende Rechtskraftwirkung wäre obsolet, wenn sie durch die von diesem allein bestimmte Gesellschaft umgangen werden könnte. Die Patentinhaber könnten darauf vertrauen, sich im Rahmen eines bereits geltend gemachten Nichtigkeitsgrunds nicht nochmals mit demselben Kläger auseinandersetzen zu müssen. Der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen komme eine Befriedungsfunktion zu, die ihre Beseitigung nur in gesetzlich besonders geregelten Ausnahmefällen zulasse.
8
Die bisher noch nicht angegriffenen Patentansprüche, hinsichtlich derer die Klage bedenkenlos zulässig sei, würden durch ihre Rückbeziehung auf Patentanspruch 1 getragen.
9
II. Dies hält der Nachprüfung nicht stand. 1. Die Nichtigkeitsklage ist, wie das Patentgericht richtig gesehen hat,
10
als Popularklage ausgestaltet. Deswegen stellt sich die Frage der Klagebefugnis zunächst nicht. Allerdings hat die Rechtsprechung seit langem angenommen , dass Verpflichtungen, die einer Klage entgegenstehen, unter bestimmten Voraussetzungen auch Dritten entgegengehalten werden können (so schon RGZ 59, 133, 135 f. = JW 1905, 58 - Rechtskraft im Nichtigkeitsverfahren ; st. Rspr. des BGH seit BGH, Urteil vom 10. Januar 1963 - I ZR 174/63, GRUR 1963, 253 - Bürovorsteher). 2. Das rechtskräftige Urteil wirkt nach § 325 Abs. 1 ZPO für und gegen
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die Parteien und diejenigen Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit deren Rechtsnachfolger geworden sind. Die Klägerin war weder Partei des Vorprozesses, noch ist sie die Rechtsnachfolgerin ihres vormaligen Alleingesellschafters, des Klägers des Vorprozesses. Für das Patentnichtigkeitsverfahren gilt nichts Abweichendes. 3. Eine über § 325 Abs. 1 ZPO hinausgehende Rechtskraftwirkung
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(Rechtskrafterstreckung) kommt nur auf Grund gesetzlicher Regelung in Betracht (Beispiele bei Musielak, ZPO, 8. Aufl., § 325 Rn. 11 ff.). Darüber hinaus kann sich aus Vorschriften des materiellen Rechts ergeben, dass ein am Verfahren nicht beteiligter Dritter die rechtskräftige Entscheidung gegen sich gelten lassen muss. So folgt aus der akzessorischen Haftung des Bürgen, des Eigentümers des hypothekarisch belasteten Grundstücks oder des Verpfänders einer beweglichen Sache (§ 768 Abs. 1, § 1137 Abs. 1, § 1211 Abs. 1 BGB), dass diese sich auf die Abweisung der Klage des Gläubigers gegen den Schuldner berufen können (vgl. Musielak, aaO Rn. 15). Aus § 129 Abs. 1 HGB folgt, dass ein rechtskräftiges Urteil, das in einem Prozess zwischen der offenen Handelsgesellschaft und einem Gesellschaftsgläubiger ergeht, insoweit auch gegenüber den Gesellschaftern wirkt, als es sich um Einwendungen handelt, die der Gesellschaft durch das Urteil abgesprochen worden sind (BGH, Urteil vom 11. Dezember 1978 - II ZR 235/77, BGHZ 73, 217, 224 f.: s. auch Senatsbeschluss vom 18. März 1975 - X ZB 12/74, BGHZ 64, 155, 156 ff. - Lampenschirm). Materiellrechtliche Vorschriften, aus denen abgeleitet werden könnte, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung müsse die Abweisung einer (Patentnichtigkeits-)Klage ihres Alleingesellschafter gegen sich gelten lassen, gibt es indessen nicht (vgl. bereits Senatsurteil vom 17. Dezember 2002 - X ZR 155/09, zu I a.E., juris; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 22 Rn. 34). 4. Das Patentgericht hat gemeint, die Klägerin müsse sich den gegen
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ihren Alleingesellschafter begründeten Rechtskrafteinwand ebenso entgegenhalten lassen wie rechtsgeschäftliche Abreden. Es hat sich hierzu auf das Senatsurteil vom 2. Juni 1987 (X ZR 97/86, GRUR 1987, 900 - Entwässerungsanlage ) berufen. In diesem Fall hat der Senat angenommen, dass sich die dortige Beklagte auf eine den Alleingesellschafter der dortigen Klägerin, den Erfinder des dortigen Streitpatents, treffende Nichtangriffspflicht berufen könne. Zwar liege kein "Strohmann-Fall" vor, da die Klägerin ein Eigeninteresse an der Vernichtung des Streitpatents habe. Die Klägerin sei aber die rechtliche Gestalt, in der sich ihr Gesellschafter am Geschäftsleben beteilige. Trotz der Verschiedenheit der Rechtspersönlichkeiten könne daher bei der Beurteilung der Frage, ob im Verhältnis zur Beklagten ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliege, nicht unberücksichtigt bleiben, dass jene bei wirtschaftlicher Betrachtung ein und dieselbe Person seien. Nach Treu und Glauben sei, wie sich aus BGH, Urteil vom 29. Januar 1957 - I ZR 84/55, GRUR 1957, 482 - Chenillefäden für den umgekehrten Fall ergebe, die Nichtangriffspflicht des Alleingesellschafters auch von der Gesellschaft zu beachten.
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Das Patentgericht beachtet jedoch nicht hinreichend, dass sich diese für den Einwand der Nichtangriffsabrede aus Treu und Glauben aufgestellten Grundsätze nicht auf den Rechtskrafteinwand anwenden lassen. Denn im Rahmen der Bewertung eines vertraglichen Verpflichtungen widersprechenden prozessualen Verhaltens nach § 242 BGB sind die Rechtspositionen und Interessenlagen der Beteiligten umfassend zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Dies lässt Raum für Lösungen, bei denen gegebenenfalls die rechtliche Unterscheidung zwischen der juristischem Person und ihrem Alleingesellschafter in ihrer Bedeutung so zurücktritt, dass sich die Gesellschaft wie ihr Gesellschafter (und umgekehrt) behandeln lassen muss. Auf das Institut der Rechtskraft (und der Rechtskrafterstreckung) lassen sich solche Wertungen nicht übertragen. 5. Dem steht nicht entgegen, dass der Strohmann die rechtskräftige
15
Abweisung der Nichtigkeitsklage gegen sich gelten lassen muss. Denn hierbei handelt es sich nicht um einen auf die Rechtskraft gegründeten Einwand, sondern um eine Folgerung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben im Prozessrecht. Der ohne eigenes Interesse auf die Nichtigerklärung eines Patents antragende Strohmann muss gegen sich gelten lassen, dass derjenige, an dessen Stelle er klagt, an der Klage gehindert ist (s. nur Senatsurteil vom 29. Juni 2010 - X ZR 49/09, GRUR 2010, 992 - Ziehmaschinenzugeinheit II). Einen diesen Einwand ausfüllenden Sachverhalt hat das Patentgericht nicht festgestellt. Auch sonst kann die Klageerhebung nicht als treuwidrig angesehen werden.
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III. Muss die Klägerin mithin die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess nicht gegen sich gelten lassen, ist auch der Annahme des Patentgerichts die Grundlage entzogen, der Antrag, das Streitpatent sei im Umfang der Patentansprüche 2 bis 4, 6, 7 , 9 bis 12 und 14 für nichtig zu erklären, sei unbegründet , da sich deren Patentfähigkeit aus der - zwischen den Parteien feststehenden - Patentfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 ergebe. IV. Da das Patentgericht eine Sachprüfung nicht vorgenommen hat, ist
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eine Zurückverweisung zweckmäßig (vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 2004 - X ZR 212/02, GRUR 2004, 354, 356 - Crimpwerkzeug I). Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens Grabinski Bacher
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 14.12.2010 - 4 Ni 24/09 -

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Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2011 - X ZR 23/11 zitiert 9 §§.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 325 Subjektive Rechtskraftwirkung


(1) Das rechtskräftige Urteil wirkt für und gegen die Parteien und die Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind oder den Besitz der in Streit befangenen Sache in solcher Weise erlangt haben, das

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 768 Einreden des Bürgen


(1) Der Bürge kann die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Stirbt der Hauptschuldner, so kann sich der Bürge nicht darauf berufen, dass der Erbe für die Verbindlichkeit nur beschränkt haftet. (2) Der Bürge verliert eine Einred

Handelsgesetzbuch - HGB | § 129


(1) Wird ein Gesellschafter wegen einer Verbindlichkeit der Gesellschaft in Anspruch genommen, so kann er Einwendungen, die nicht in seiner Person begründet sind, nur insoweit geltend machen, als sie von der Gesellschaft erhoben werden können. (2

Patentgesetz - PatG | § 81


(1) Das Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats oder wegen Erteilung oder Rücknahme der Zwangslizenz oder wegen der Anpassung der durch Urteil festgesetzten Vergütung für eine Zwangslizenz wird dur

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1137 Einreden des Eigentümers


(1) Der Eigentümer kann gegen die Hypothek die dem persönlichen Schuldner gegen die Forderung sowie die nach § 770 einem Bürgen zustehenden Einreden geltend machen. Stirbt der persönliche Schuldner, so kann sich der Eigentümer nicht darauf berufen, d

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1211 Einreden des Verpfänders


(1) Der Verpfänder kann dem Pfandgläubiger gegenüber die dem persönlichen Schuldner gegen die Forderung sowie die nach § 770 einem Bürgen zustehenden Einreden geltend machen. Stirbt der persönliche Schuldner, so kann sich der Verpfänder nicht darauf

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3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2011 - X ZR 23/11.

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Referenzen

(1) Das rechtskräftige Urteil wirkt für und gegen die Parteien und die Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind oder den Besitz der in Streit befangenen Sache in solcher Weise erlangt haben, dass eine der Parteien oder ihr Rechtsnachfolger mittelbarer Besitzer geworden ist.

(2) Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts zugunsten derjenigen, die Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, gelten entsprechend.

(3) Betrifft das Urteil einen Anspruch aus einer eingetragenen Reallast, Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld, so wirkt es im Falle einer Veräußerung des belasteten Grundstücks in Ansehung des Grundstücks gegen den Rechtsnachfolger auch dann, wenn dieser die Rechtshängigkeit nicht gekannt hat. Gegen den Ersteher eines im Wege der Zwangsversteigerung veräußerten Grundstücks wirkt das Urteil nur dann, wenn die Rechtshängigkeit spätestens im Versteigerungstermin vor der Aufforderung zur Abgabe von Geboten angemeldet worden ist.

(4) Betrifft das Urteil einen Anspruch aus einer eingetragenen Schiffshypothek, so gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend.

(1) Der Bürge kann die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Stirbt der Hauptschuldner, so kann sich der Bürge nicht darauf berufen, dass der Erbe für die Verbindlichkeit nur beschränkt haftet.

(2) Der Bürge verliert eine Einrede nicht dadurch, dass der Hauptschuldner auf sie verzichtet.

(1) Der Eigentümer kann gegen die Hypothek die dem persönlichen Schuldner gegen die Forderung sowie die nach § 770 einem Bürgen zustehenden Einreden geltend machen. Stirbt der persönliche Schuldner, so kann sich der Eigentümer nicht darauf berufen, dass der Erbe für die Schuld nur beschränkt haftet.

(2) Ist der Eigentümer nicht der persönliche Schuldner, so verliert er eine Einrede nicht dadurch, dass dieser auf sie verzichtet.

(1) Der Verpfänder kann dem Pfandgläubiger gegenüber die dem persönlichen Schuldner gegen die Forderung sowie die nach § 770 einem Bürgen zustehenden Einreden geltend machen. Stirbt der persönliche Schuldner, so kann sich der Verpfänder nicht darauf berufen, dass der Erbe für die Schuld nur beschränkt haftet.

(2) Ist der Verpfänder nicht der persönliche Schuldner, so verliert er eine Einrede nicht dadurch, dass dieser auf sie verzichtet.

(1) Wird ein Gesellschafter wegen einer Verbindlichkeit der Gesellschaft in Anspruch genommen, so kann er Einwendungen, die nicht in seiner Person begründet sind, nur insoweit geltend machen, als sie von der Gesellschaft erhoben werden können.

(2) Der Gesellschafter kann die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange der Gesellschaft das Recht zusteht, das ihrer Verbindlichkeit zugrunde liegende Rechtsgeschäft anzufechten.

(3) Die gleiche Befugnis hat der Gesellschafter, solange sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung der Gesellschaft befriedigen kann.

(4) Aus einem gegen die Gesellschaft gerichteten vollstreckbaren Schuldtitel findet die Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter nicht statt.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 49/09 Verkündet am:
29. Juni 2010
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ziehmaschinenzugeinheit II
Hat das Patentgericht die Nichtigkeitsklage als unbegründet abgewiesen, kann sich
die Beklagte der Berufung des Nichtigkeitsklägers mit dem Ziel der Abweisung der
Klage als unzulässig und der Begründung anschließen, der Kläger sei als Strohmann
einer früheren Nichtigkeitsklägerin mit den von ihm erhobenen Einwendungen in
gleichem Maße ausgeschlossen, wie diese selbst es wäre.
PatG § 4; EPÜ Art. 56

a) Hat der Stand der Technik vor dem Prioritätstag einer neuen Erfindung über lange
Zeit stagniert, ist es eine Frage der Umstände des Einzelfalls (hier: zu verzeichnende
lange Entwicklungszyklen auf dem betroffenen technischen Gebiet), ob
dies darauf hindeutet, dass die neue Erfindung dem Fachmann durch den Stand
der Technik nahegelegt war oder nicht.

b) Der zum Ingenieur ausgebildete Fachmann bezieht in seine Recherche solchen
gattungsfremden Stand der Technik ein, bei dem nach Art der sich dort stellenden
Probleme vom Prinzip her Lösungen zu erwarten sind, wie er sie benötigt, auch
wenn die Anforderungen im Detail durchaus erheblich differieren (hier: Maßnahmen
zur Reibungsverminderung zwischen Maschinenelementen bei Vorrichtungen
zum Formen und Komprimieren von Kabeln bzw. Bohrlochwerkzeugen zur Einführung
von Rohrabschnitten in Bohrlöcher hinein einerseits und bei Zugeinheiten
zum Ziehen metallischer Zugrohlinge andererseits).
BGH, Urteil vom 29. Juni 2010 - X ZR 49/09 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. Juni 2010 durch den Vorsitzenden Richter Scharen und die Richter
Gröning, Dr. Berger, Dr. Grabinski und Hoffmann

für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten das Urteil des 10. Senats (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts vom 13. November 2008 abgeändert. Das Europäische Patent 548 723 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit es über folgende Patentansprüche hinausgeht: 1. Ziehmaschinenzugeinheit, die zum kontinuierlichen Transport und Ziehen eines metallischen Zugrohlings dient, mit einem Ziehwerkzeug (14) zur Querschnittsreduzierung des metallischen Rohlings stromab des Ziehwerkzeugs zusammenwirkt und zumindest zwei Triebketten (12) mit Zuggliedern aufweist, welche auf derselben Ebene liegen und welche aus einer Mehrzahl von Gliedern (16) bestehen, die Triebketten (12) mit den Ziehgliedern mit lasttragenden Rollen und mit einer starren Führung (19) zusammenwirken, die Ziehwirkung durch eine Vorwärtsbewegung der Triebketten (12) mit den Ziehgliedern sowie durch den gegenseitigen Kontakt erreicht wird, der zwischen den Triebketten (12) mit den Ziehgliedern in ihren gegenüberliegenden Zugabschnitten (15) stattfindet, und die Einheit dadurch gekennzeichnet ist, dass die lasttragenden Rollen einer gelenkigen Kette (26), bestehend aus Mitlaufrollen (17), zugeordnet sind und dass diese in einer Schleife angeordnete Mitlaufrollen (17) sind, wobei die aus Mitlaufrollen (17) bestehende gelenkige Kette (26) durch Gleiten bewegt werden kann und zwischen der inneren Oberfläche der Glieder (16) und der starren Führung (19) angeordnet ist, und die Einheit auch dadurch gekennzeichnet ist, dass der Gliedkörper (24) in sich und auf seiner Mittellinie eine Gleitfläche (18) mit einer Breite aufweist, die im Wesentlichen der Länge einer Mitlaufrolle (17) gleich ist, wobei jede Gleitoberfläche (18) zusammen mit den Gleitoberflächen der benachbarten Glieder eine einzige Gleitoberfläche bilden, die der Gleitoberfläche der starren Führung (19) gegenüberliegt, und weiter dadurch gekennzeichnet ist, dass das Glied (16) an den äußeren Seiten seitliche Mitlaufrollen (20) besitzt, wobei ein Gliedkörper (24) mit einem Verbindungs- und Positionierzapfen (25) zusammenwirkt , der in einer mittleren Lage vorgesehen ist, und weiter dadurch gekennzeichnet ist, dass die innen liegende Höhe der Sicherungsplatten (23) die Nähe der Mittellinie der Mitlaufrollen (17) erreicht, wogegen die Breite des Gliedkörpers (24) größer ist als die Gesamtlänge der Verbindungen der Mitlaufrollen

(17).

2. Ziehmaschinenzugeinheit nach Anspruch 1, bei welcher Sicherungsplatten (23) zwischen den seitlichen Mitlaufrollen (20) und dem Gliedkörper (24) vorgesehen sind.
3. Ziehmaschinenzugeinheit nach einem der vorgehenden Ansprüche , bei welcher die Höhe der seitlichen Zugstücke (22) größer ist als der Durchmesser der seitlichen Mitlaufrollen

(20).

4. Ziehmaschinenzugeinheit nach einem der vorgehenden Ansprüche , bei welcher die Breite der Gleitoberfläche (18) der starren Führung (19) im Wesentlichen gleich der Länge einer Mitlaufrolle (17) ist. 5. Ziehmaschinenzugeinheit nach einem der vorgehenden Ansprüche , bei welcher die Höhe der äußeren Verbindungen (28) der Mitlaufrollen (17) größer ist als der Durchmesser der Mitlaufrollen

(17).

6. Ziehmaschinenzugeinheit nach einem der vorgehenden Ansprüche , bei welcher die seitlichen starren Führungen mit den seitlichen Mitlaufrollen (20) zusammenwirken und eine Breite besitzen, die im Wesentlichen gleich der Länge der seitlichen Mitlaufrollen (20) ist. 7. Ziehmaschinenzugeinheit nach einem der vorgehenden Ansprüche , bei welcher zumindest die starre Führung (19) die Nivelliermittel (30) und Gleitführungen (31) besitzt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 20 Hundertstel und die Beklagte 80 Hundertstel. Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 14. Dezember 1992 unter Inanspruchnahme der Priorität einer italienischen Anmeldung vom 24. Dezember 1991 angemeldeten, auch für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 548 723 (Streitpatent), das im Einspruchsverfahren geändert wurde. Patentansprüche 1 und 2 haben in der dort erhaltenen Fassung in der Verfahrenssprache folgenden Wortlaut: "1. Traction unit for a drawing machine, the unit cooperating with a drawing die (14) and comprising at least two drive chains (12) with drawing links lying on the same plane and consisting of a plurality of links (16), the drive chains (12) with drawing links cooperating with load bearing rollers and with a rigid guide (19), the drawing action being obtained by the forward movement of the drive chains (12) with drawing links and by the reciprocal contact taking place between the drawing chains (12) with drawing links in their opposed drawing segment (15), the unit being characterized in that the load bearing rollers are associated with a linked chain (26) of idler rollers (17) and are idler rollers (17) positioned in a ring, the linked chain (26) of idler rollers (17) being able to be moved by sliding and being placed between the inner surface of the links (16) and the rigid guide (19), the unit also being characterised in that the link body (24) comprises within itself and on its centre line a sliding surface (18) having a width substantially equal to the length of an idler roller (17), each sliding surface (18) forming together with the sliding surfaces of the adjacent links one single sliding surface opposite to the sliding surface of the rigid guide (19). 2. Traction unit as in Claim 1, in which the link (16) has at its two outer sides lateral drawing links (22) and, on the inner side of the lateral drawing links (22), lateral idler rollers (20), a link body (24) cooperating with a connecting and positioning pivot (25) being included in an intermediate position."
2
Das Streitpatent wurde von der S. AG, A. (im Folgenden: S. ), die aus ihm in Anspruch genommen wird, mit der Nichtigkeitsklage angegriffen (Bundespatentgericht 3 Ni 12/01). Die Beklagte hat das Streitpatent in jenem Nichtigkeitsverfahren eingeschränkt in der Weise verteidigt, dass sie Merkmale des bisherigen Patentanspruchs 2 in den Hauptanspruch aufgenommen hat. Durch rechtskräftiges Urteil vom 17. Dezember 2002 hat das Bundespatentgericht das Streitpatent dementsprechend und unter Abweisung der weiter gehenden Nichtigkeitsklage teilweise für nichtig erklärt. Patentanspruch 1 hat folgende Fassung erhalten (im Folgenden: Patentanspruch 1; im Nichtigkeitsverfahren vorgenommene Ergänzung kursiv): "1. Ziehmaschinenzugeinheit zum Transport eines metallischen Zugrohlings, die mit einem Ziehwerkzeug (14) zusammenwirkt und zumindest zwei Triebketten (12) mit Zuggliedern aufweist, welche auf derselben Ebene liegen und welche aus einer Mehrzahl von Gliedern (16) bestehen, die Triebketten (12) mit den Ziehgliedern mit lasttragenden Rollen und mit einer starren Führung (19) zusammenwirken, die Ziehwirkung durch eine Vorwärtsbewegung der Triebketten (12) mit den Ziehgliedern sowie durch den gegenseitigen Kontakt erreicht wird, der zwischen den Triebketten (12) mit den Ziehgliedern in ihren gegenüberliegenden Zugabschnitten (15) stattfindet, und die Einheit d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ist, dass die lasttragenden Rollen einer gelenkigen Kette (26), bestehend aus Mitlaufrollen (17), zugeordnet sind und dass diese in einer Schleife angeordnete Mitlaufrollen (17) sind, wobei die aus Mitlaufrollen (17) bestehende gelenkige Kette (26) durch Gleiten bewegt werden kann und zwischen der inneren Oberfläche der Glieder (16) und der starren Führung (19) angeordnet ist, und die Einheit auch d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ist, dass der Gliedkörper (24) in sich und auf seiner Mittellinie eine Gleitfläche (18) mit einer Breite aufweist, die im wesentlichen der Länge einer Mitlaufrolle (17) gleich ist, wobei jede Gleitoberfläche (18) zusammen mit den Gleitoberflächen der benachbarten Glieder eine einzige Gleitoberfläche bilden, die der Gleitoberfläche der starren Führung (19) gegenüberliegt, und weiter d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ist, dass das Glied (16) an den äußeren Seiten seitliche Mitlaufrollen (20) besitzt, wobei ein Gliedkörper (24) mit einem Verbindungs- und Positionierzapfen (25) zusammenwirkt, der in einer mittleren Lage vorgesehen ist."
3
Der Kläger ist seit Oktober 2007 als Mitglied des Vorstands für den Maschinenbereich von S. verantwortlich. Zuvor war er bei diesem Unternehmen Geschäftsbereichsleiter Maschinenbau mit Prokura. Mit seiner Nichtigkeitsklage hat der Kläger geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, er sei nicht neu, beruhe jedenfalls aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dafür hat er sich auf drei Schriften berufen, die bereits Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens 3 Ni 12/01 waren (US-Patentschriften 2 212 132, 2 742 144 und 3 045 886 = NK 10 bis 12). Das Bundespatentgericht hat angenommen, dass der Klage die Rechtskraft des Urteils vom 17. Dezember 2002 nicht entgegenstehe, sie aber als unbegründet abgewiesen.
4
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, die er zusätzlich unter anderem auf die amerikanische Patentschrift 4 655 291 (Anlage H 3) stützt. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung des Rechtsmittels und verteidigt das Streitpatent mit den aus dem Protokoll ersichtlichen Hilfsanträgen. Sie hat außerdem Anschlussberufung eingelegt, mit der sie bekämpft, dass das Patentgericht die Klage als zulässig erachtet hat, und die der Kläger seinerseits für unzulässig erachtet, jedenfalls aber für unbegründet hält.

Entscheidungsgründe:


A.


5
Die Anschlussberufung bleibt ohne Erfolg.
6
I. Den Bedenken des Klägers gegen die Zulässigkeit dieses Angriffs kann unabhängig davon nicht beigetreten werden, dass dem Streitpatent im Berufungsrechtszug nicht ausschließlich dieselben Schriften entgegengehalten werden, wie im von S. geführten Vorprozess. Selbst wenn Letzteres der Fall wäre, wäre sein Einwand nicht stichhaltig, die mit der Anschlussberufung insoweit erstrebte Abweisung der Klage als unzulässig lasse Raum für eine eventuelle neuerliche Klageerhebung nach Behebung der Umstände, die der Zulässigkeit gegenwärtig entgegenstünden, weshalb dieser Angriff hinter der erstinstanzlich bereits erreichten Klageabweisung als unbegründet zurückbleibe.
7
Die Beklagte macht mit der Anschlussberufung geltend, der in keinen eigenen Interessen berührte und von S. von jedem Kostenrisiko freigestellte Kläger habe als Strohmann dieses Unternehmens rechtsmissbräuchlich Nichtigkeitsklage erhoben. Wäre der Kläger als Strohmann von S. anzusehen , bliebe ihm eine Klageerhebung als solche zwar unbenommen, jedoch wäre er mit dem dem Streitpatent im Vorprozess entgegengehaltenen Stand der Technik genauso ausgeschlossen, wie diese selbst (vgl. Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 3. Aufl. Rdn. 104 m.w.N.), und zwar nicht nur im vorliegenden Prozess, sondern auch in etwaigen zukünftigen Auseinanderset- zungen. Insoweit stünde die Rechtskraft des im Vorprozess ergangenen Urteils seiner Klageerhebung entgegen und führte zu deren Abweisung als unzulässig. Darin läge kein Minus gegenüber der Abweisung mangels Begründetheit, weil die Beklagte dann den mit der Begründetheitsprüfung verbundenen Risiken gar nicht erst ausgesetzt wäre. Ein Angriff, der, wie im Streitfall, in diesem Sinne darauf zielt, dass der Kläger mit bestimmten Entgegenhaltungen dauerhaft ausgeschlossen ist, kann im Nichtigkeitsberufungsverfahren mit der Anschlussberufung geführt werden. Auf die Frage, inwieweit die Beschwer einer beklagten Partei überhaupt mit der Begründung verneint werden kann, die - hier erstinstanzlich erfolgte - Sachabweisung der Klage reiche weiter als das in der Berufungsinstanz angestrebte Prozessurteil (vgl. hierzu Zöller/Heßler, 28. Aufl., Vor § 511 Rdn. 20) und inwieweit dieser Gesichtspunkt für ein Anschlussrechtsmittel gilt (vgl. zu dessen Zulässigkeit BGH, Urt. v. 31.05.1995 - VIII ZR 267/94, MDR 1996, 522, III der Entscheidungsgründe), kommt es in einer solchen Konstellation nicht an.
8
II. In der Sache bleibt die Anschlussberufung ohne Erfolg. Die Ausgestaltung der Patentnichtigkeitsklage als Popularklage setzt der Möglichkeit, einem Kläger den Zutritt zum Nichtigkeitsverfahren aus in seiner Person liegenden Gründen zu versagen, von vornherein enge Grenzen. Zulässig ist eine solche Klage jedenfalls dann, wenn die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Klägers aus einem von ihm mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Patent besteht. Diese Möglichkeit hat das Patentgericht bejaht. Es hat nicht auszuschließen vermocht , dass der Kläger im Hinblick auf seine leitende Funktion bei S. oder bei anderen auf dem Gebiet der Metallziehmaschinen tätigen Unternehmen Ansprüchen, die im Zusammenhang mit künftigen gewerblichen Betätigungen stehen, ausgesetzt sein könnte. Dies würde selbst dann gelten, wenn die Beklagte - wozu sie nach Angaben ihres Vertreters in der mündlichen Ver- handlung vor dem Patentgericht unter Umständen bereit sein soll - auf eine Inanspruchnahme des Klägers förmlich verzichten sollte. Ein solcher Verzicht könnte nämlich zumindest dessen Inanspruchnahme durch einen etwaigen künftigen Erwerber des Streitpatents nicht ohne weiteres verhindern.
9
Die Stichhaltigkeit dieser Erwägungen vermag die Beklagte nicht zu entkräften. Sie beruft sich insoweit darauf, eine Haftung des Klägers könne zum einen in Betracht kommen, wenn er schuldhaft die Verletzung eines Schutzrechts bei Freigabe bestimmter Produkte in Kauf nehme, wofür nichts ersichtlich sei. Das mag zwar richtig sein, geht aber insoweit am Kern des Problems vorbei , als die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage nur dann verneint werden kann, wenn lediglich ein theoretisches Risiko für eine Inanspruchnahme besteht. Das Patentgericht hat aber insoweit zu Recht ein reales Risiko nicht ausgeschlossen.
10
Soweit die Beklagte zum anderen ausführt, einer Haftung des Klägers stehe entgegen, dass er bei Herstellung und Vertrieb der im Verletzungsprozess angegriffenen Ausführungsform nicht Vorstand von S. gewesen sei, übersieht sie, dass das Bundespatentgericht auf die Möglichkeit abgestellt hat, dass der Kläger im Zusammenhang mit künftiger gewerblicher Betätigung Ansprüchen ausgesetzt sein könnte und ihm die Rechtsschutzmöglichkeit im vorliegenden Prozess deshalb nicht versagt werden kann.

B.


11
Die Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg; das Streitpatent ist lediglich im Umfang der beschränkten Verteidigung gemäß dem 5. Hilfsantrag der Beklagten aufrechtzuerhalten. Soweit es darüber hinausgeht, ist es für nichtig zu erklären.
12
I. 1. Das Streitpatent betrifft eine Zugeinheit für eine Ziehmaschine zum Einsatz auf dem Gebiet des kontinuierlichen Metallziehens. Bei kontinuierlichen Ziehmitteln wirkt die Zugeinheit, wie in der Streitpatentschrift erläutert und in der nachfolgend abgebildeten Figur 1 ihrer Zeichnung schematisch illustriert, in der Weise mit einem Ziehwerkzeug (Bezugszeichen 14) zusammen, dass der aus dem Ziehwerkzeug (14) heraustretende Metallrohling (11) zwischen zwei gegenüberliegend angeordnete, nach Art von Raupenketten endlos umlaufende Triebketten (12) geleitet, zwischen den einander gegenüberliegenden Außenseiten der Kettenglieder entlang der Zugzone (15) beidseitig ergriffen und durch die Vorwärtsbewegung der Triebketten bei gleichzeitig senkrecht wirkenden Anpresskräften (Normalkraft) unter Verringerung seines Querschnitts in die Länge gezogen wird. Zur Erzeugung des erforderlichen hohen Anpressdrucks - die Streitpatentschrift spricht von einem senkrechten Druck, der Werte von mehr als des Zehnfachen des in die Längsrichtung für den Ziehvorgang aufzubringenden Werts erreicht - wirken die Triebketten mit (starren) Führungen zusammen , die innerhalb der von den umlaufenden Ketten gebildeten Ovale entlang der Zugzone vorgesehen sind (insoweit in Figur 1 nicht abgebildet).
13
Hätten die starren Führungen und die umlaufenden Ketten direkten Kontakt , führte die dann an den Oberflächen dieser Bauteile auftretende große Gleitreibung zu erheblichen Abnutzungserscheinungen. Um dies zu vermeiden, sind der Beschreibung zufolge im Stand der Technik verschiedene Lösungen bekannt, die hauptsächlich darauf hinauslaufen, die Gleitreibung durch eine Rollreibung von wesentlich geringerem Wert zu ersetzen. Die Beschreibung erörtert in diesem Zusammenhang vier Veröffentlichungen (US-Patentschriften 2 642 280, 2 797 798 und 3 945 547, japanische Patentanmeldung sho 58-154412), verwirft die dort unterbreiteten Vorschläge aber aus den in der Beschreibung dargelegten Gründen als nachteilig und will zur Vermeidung dieser Nachteile ein System schaffen, das gegen nicht koaxiale oder nicht ausgerichtete Belastungen, ungleichmäßige Abnutzung und Mängel in Konstruktion, Installierung und Einstellung bei reduziertem Erneuerungs- und Serviceaufwand sehr unempfindlich ist. Dazu schlägt Patentanspruch 1 in der Fassung des rechtskräftigen Urteils des Bundespatentgerichts vom 17. Dezember 2002 eine Ziehmaschinenzugeinheit vor, die (Gliederungspunkte des Bundespatentgerichts in Klammern; Ergänzungen gemäß Hilfsantrag 1 kursiv; zusätzliche Ergänzungen gemäß Hilfsantrag 5 unterstrichen) 1. zum kontinuierlichen Transport und Ziehen eines metallischen Zugrohlings (1.1), 2. die mit einem Ziehwerkzeug zur Querschnittsreduzierung des metallischen Rohlings stromab des Ziehwerkzeugs zusammen- wirkt (1.2), 3. zumindest zwei Triebketten (12) mit einer Mehrzahl von Zuggliedern (16) aufweist (1.3 und 2.2), die 3.1 auf derselben Ebene liegen (2.1), wobei 4. die aus den Ziehgliedern bestehenden Triebketten (4.1 und 4.2) mit 4.1 lasttragenden Rollen und 4.2 mit einer starren Führung (19) zusammenwirken, 5. die Ziehwirkung durch eine Vorwärtsbewegung der Triebketten (12) mit den Ziehgliedern sowie durch den gegenseitigen Kontakt, der zwischen den Triebketten (12) mit den Ziehgliedern in ihren gegenüberliegenden Abschnitten (15) stattfindet, erreicht wird (3) und 6. die lasttragenden Rollen einer gelenkigen Kette (26) zugeordnet sind (5.1), 6.1 die aus Mitlaufrollen besteht, welche in einer Schleife angeordnet sind (5.1), 6.2 durch Gleiten bewegt werden kann (5.2) und 6.3 zwischen der inneren Oberfläche der Glieder (16) und der starren Führung angeordnet ist (5.3), wobei 7. der Gliedkörper in sich und auf seiner Mittellinie (18) eine Gleitfläche aufweist (7.1), 7.1 deren Breite im Wesentlichen der Länge einer Mitlaufrolle (17) gleich ist (7.2) und 7.2 die innen liegende Höhe der Sicherungsplatten (23) die Nähe der Mittellinie der Mitlaufrollen (17) erreicht, wogegen die Breite des Gliedkörpers (24) größer ist als die Gesamtlänge der Verbindungen der Mitlaufrollen (17), 8. jede Gleitoberfläche (18) zusammen mit den Gleitoberflächen der benachbarten Glieder eine einzige Gleitoberfläche bildet (8.1), 8.1 die der Gleitoberfläche der starren Führung gegenüberliegt (8.2) und wobei 9. jedes Glied (16) 9.1 an den äußeren Seiten seitliche Mitlaufrollen (20) besitzt (6.1), 9.2 ein Gliedkörper (24) in einer mittleren Lage vorgesehen ist (6.2) und 9.3 mit einem Verbindungs- und Positionierzapfen zusammenwirkt (6.3).
14
2. Das Zusammenwirken von Gliedketten, Mitlaufrollen und starren Führungen zeigt die Figur 4 des Streitpatents in schematischem Querschnitt durch die Achse des Verbindungsbolzens eines Triebkettenglieds (25), wobei es sich bei den mit dem Bezugszeichen 119 versehenen Elementen um die in Patentanspruch 7 genannten seitlichen starren Führungen handelt.


15
3. Maßgeblich für den Gegenstand von Patentanspruch 1 und das Verständnis der von ihm vermittelten technischen Lehre ist die Fassung, die der Anspruch durch das Urteil des Bundespatentgerichts vom 17. Dezember 2002 erhalten hat. Soweit in diese Fassung das zuvor nicht enthaltene Merkmal aufgenommen ist, dass die Ziehmaschinenzugeinheit zum Transport eines metallischen Zugrohlings vorgesehen ist, handelt es sich um eine Zweckangabe, die nicht mehr als die Eignung der Maschine für den genannten Transportzweck festlegt.
16
Die Lösung des Streitpatents für das Problem der Reibung zwischen den Triebketten und den starren Führungen ergibt sich vornehmlich aus den Merkmalsgruppen 6 bis 8. Das Streitpatent sieht insoweit zwischen den Ketten und den starren Führungen lasttragende Mitlaufrollen vor, die zu einer Endloskette (in einer Schleife) zusammengefügt sind und die in dieser Formation der Bewegung der Triebketten - mit im Wesentlichen halber Geschwindigkeit - folgen, wobei sie zwischen den Gleitoberflächen der Gliedkörper und der starren Führungen angeordnet sind (Merkmalsgruppe 7).
17
Gemäß Unteranspruch 6 in der Fassung des patentgerichtlichen Urteils vom 17. Dezember 2002 (Merkmal 7.2 gemäß Hauptanspruch in der Fassung des Hilfsantrags 5) sind Sicherungsplatten (23) zwischen den Gliedkörpern und den seitlichen Mitlaufrollen vorgesehen, die auf der den Gliedkörpern zugewandten Seite der Höhe nach die Nähe der Mittellinie der Mitlaufrollen (17) erreichen , wobei die Breite des Gliedkörpers (24) größer ist, als die Gesamtlänge der Verbindungen der Mitlaufrollen (17). Durch eine diesen Anweisungen gemäße Ausgestaltung erhalten die lasttragenden Rollen gleichsam seitliche Leitschienen , was seitlichem Verschieben und damit einhergehendem ungleichmäßigem Anpressdruck entgegenwirkt. Die Zentrierung der lasttragenden Mitlaufrollen in ihrem Lauf durch die Zugzone und die möglichst gleichmäßige Verteilung des Anpressdrucks unterstützen die erwünschte (verformende) Bewegung des Ziehguts allein in Zugrichtung. Alle anderen Bewegungsrichtungen (Vertikal - bzw. Querverschiebung, Drehbewegungen) sind, wie auch der im Verletzungsprozess beauftragte Sachverständige Prof. Dr. S. in seinem schriftli- chen Gutachten überzeugend dargelegt hat, einem ungestörten Produktionsprozess abträglich.
18
Der vom Streitpatent erstrebten Vermeidung nicht koaxialer und nicht ausgerichteter Bewegungen dienen vor allem auch die Anweisungen in der Merkmalsgruppe 9 (Merkmalsgruppe 6 im Urteil des Patentgerichts). Soweit es deren Verständnis, namentlich des Merkmals 9.2 betrifft, tritt der Senat der Auslegung des Bundespatentgerichts bei. Es hat bezüglich dieser aus dem ursprünglichen Patentanspruch 2 stammenden Merkmalsgruppe, deren Wortlaut ("…link body (24) cooperating with a connecting and positioning pivot (25) being included in an intermediate position) der Kläger für auslegungsbedürftig hält, angenommen, dass sich das Merkmalselement "intermediate position" ("mittlere Lage") auf die Position der Gliedkörper (mittig) auf der Achse des Verbindungsund Positionierzapfens bezieht. Allein dieses Verständnis wird den technischfunktionalen Bedingungen gerecht, denen die Zugeinheit für eine erfolgreichen Einsatz zu genügen hat (voriger Absatz am Ende). Um diesen Anforderungen zu genügen, drängt sich aus fachmännischer Sicht ein Verständnis dieser Anweisung auf, die Zugglieder so auszugestalten, dass sie, bezogen auf eine mittig durch das Ziehgut führend gedachte Vertikalachse, in horizontaler Richtung spiegelsymmetrisch gebaut sind. Unter diesen Voraussetzungen ist der Gliedkörper zwangsläufig mittig zwischen den auf den Positionierzapfen aufgesteckten seitlichen Mitlaufrollen anzuordnen, um beim Betrieb der Einheit, bei dem die Antriebskettenräder in diese Mitlaufrollen eingreifen, eine Vorwärtsbewegung exakt in Zugrichtung zu unterstützen. In Anbetracht der technischen Erfordernisse eines optimalen Kettenzugs liegt es hingegen fern, das Merkmalselement "mittlere Lage" dem Positionierzapfen zuzuordnen und auf dessen Höhenlage zwischen den zentralen Mitlaufrollen und dem Ziehwerkzeug (14) oder auf seine Lage zwischen der starren Führung (19) und der (äußeren) Oberflä- che (21) der Gliedkörper zu beziehen, wie die Berufung es in der Anlage H 1 illustriert und in der Berufungsbegründung ausführt. Eine technische Sinnhaftigkeit erschließt sich bei diesem Verständnis nicht und dafür fehlt es, wie die Berufung selbst auch nicht verkennt, an jeglichen Anhaltspunkten in der Beschreibung. Deshalb ist der Hinweis auf den Wortlaut des Anspruchs in der Verfahrenssprache ebenso wenig stichhaltig, wie derjenige auf die im Senatsurteil vom 17. April 2007 enthaltene Merkmalsgliederung, die im Übrigen vom dortigen Berufungsgericht stammt (BGHZ 172, 88 Tz. 8) und in diesem Punkt für die dort zu treffende Entscheidung nicht erheblich war.
19
Wegen des Verständnisses von Patentanspruch 1 im Übrigen wird auf das zwischen den Parteien ergangene Senatsurteil vom 17. April 2007 Bezug genommen (BGHZ 172, 88 Tz. 16 ff. - Ziehmaschinenzugeinheit I).
20
II. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist nicht patentfähig (Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ; Art. II § 6 Nr. 1 IntPatÜbkG). Er ist zwar, was der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht infrage gestellt hat, neu (Art. 54 Abs. 1 EPÜ); sein Gegenstand war dem Fachmann aber durch den Stand der Technik nahegelegt (Art. 56, 138 Abs. 1 lit. a EPÜ; Art. II § 6 Nr. 1 IntPatÜbkG).
21
1. Das Bundespatentgericht hat die Patentfähigkeit der von Patentanspruch 1 vermittelten Lehre im Wesentlichen an der Merkmalsgruppe 9 festgemacht und sich dabei im Kernn auf folgende Erwägungen gestützt:
22
Soweit der Gegenstand des amerikanischen Patents 2 212 132 seitliche Mitlaufrollen erkennen lasse (vgl. Figur 2, Bezugszeichen 39), seien diese separat vom zentralen Bereich der Gliedkörper (38) angeordnet und eigens Laschen und Bolzen zugeordnet, wobei letztere durch die Laschen hindurchträten und die Mitlaufrollen drehbar trügen. Dagegen sehe das Streitpatent für jedes Glied einen einzigen Verbindungs- und Positionierzapfen (25) vor, der durch den Gliedkörper hindurch geführt werde und auf den daneben die seitlichen Mitlaufrollen aufgesteckt würden. Damit verlasse das Streitpatent den in der genannten Schrift und im Übrigen auch den in der US-Patentschrift 3 045 886 vorgezeichneten Lösungsweg, wonach jede seitlich außen vorgesehene Mitlaufrolle auf einem eigenen Führungszapfen bzw. -bolzen getragen wird.
23
2. Diese Beurteilung schöpft den Erkenntnisgehalt des dem Fachmann zur Verfügung stehenden, in das Verfahren eingeführten schriftlichen Stands der Technik nicht aus. Dieser belegt, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 Lösungsprinzipien folgt, die sich sowohl im gattungsgemäßen, wie auch im gattungsfremdem, aber vom Fachmann gleichwohl berücksichtigten Stand der Technik finden, so dass Patentanspruch 1 nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gelten kann.
24
a) Der einschlägige Fachmann, ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit einigen Jahren Berufserfahrung auf dem Gebiet der Ziehmaschinen , der zum Prioritätszeitpunkt nach Möglichkeiten suchte, das Zusammenwirken der Zugketten und der starren Führungen hinsichtlich der Reibungsproblematik , der koaxialen Ausrichtung und der Abnutzung servicefreundlich zu verbessern, fand bei seinen Recherchen die auch in der Streitpatentschrift abgehandelte amerikanische Patentschrift 2 797 798 vor, die mit einem Raupenmaterialvorschub für Rundstahl gattungsgemäßen Stand der Technik darstellt. Die nachfolgend abgebildete Figur 5 zeigt einen vertikalen Schnitt durch das Zugwerkzeug:
25
Der Raupenvorschub sieht als Zugketten Doppelrollenketten (24, 24'; 26, 26') vor, die, wie beim Streitpatent, einander gegenüberliegend angeordnet sind und synchron gegeneinander laufen und die zwischen den Innengliedern Vorschubblöcke (30) tragen. Diese weisen an ihrer Außenseite Nuten (32) auf, um Rundstahl zu erfassen und durch den Raupenvorschub zu führen (Sp. 3 Z. 67 ff.). Diese Doppelrollenketten kommen im Aufbau den Gliedern der Triebkette des Streitpatents prinzipiell gleich. Die Vorschubblöcke entsprechen deren zentral angeordneten Gliedkörpern (24), während die beidseitig daneben angeordneten Rollen sowohl funktional als auch von der räumlichen Anordnung her den seitlichen Mitlaufrollen des Streitpatents vergleichbar sind. Wie beim Streitpatent greifen in diese Rollen Zwillings-Antriebskettenräder ein, mit denen der Vorschub bewerkstelligt wird (vgl. Figur 6 Bezugszeichen 16 und 20). Während an der Ausgestaltung dieser Vorrichtungselemente aus fachmännischer Sicht nichts Wesentliches auszusetzen sein mochte, erschien das Problem der Reibungsverminderung zwischen den Vorschubblöcken und den starren Führungen in dieser Schrift nicht zur fachmännischen Zufriedenheit gelöst. Danach ist im Oval der unteren Raupenkette eine Abstützung (Kettenspur) vorgesehen, die funktional den starren Führungen des Streitpatents entspricht und die eine Nut (124) enthält, in die von Lastbolzen (126) getragene Rollen bzw. Walzen (102) eingelegt sind, gegen die sich die Kette auf ihrer Innenseite abstützt. Die Abstützung der oberen Umlaufkette unterscheidet sich davon nur insoweit, als die Nut für die Rollen dort batterieweise segmentiert ist und die Segmente insgesamt eine Vielzahl von Rollen (202) tragen, die funktional den Rollen (102) der unteren Abstützung entsprechen (vgl. zu den Modalitäten Beschreibung Sp. 5 Z. 36 ff.). Bei dieser Lösung besteht der Streitpatentschrift zufolge die Gefahr , dass sich das System festfrisst; nach der Beurteilung des im Verletzungsprozess beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. S. sind jedenfalls die Wälzlager zu klein und eine ungleichmäßige Abnutzung der Walzen zu erwarten.
26
b) Eine Alternativlösung zur Reibungsverminderung konnte der Fachmann der amerikanischen Patentschrift 2 742 144 (NK 11) entnehmen, die sich auf eine Maschine für das Ziehen von Material, insbesondere von massivem Material wie Draht oder hohlem Rohrmaterial bezieht (Sp. 2 Z. 4 ff.). Dabei handelt es sich entgegen der Ansicht der Beklagten und wie beim Streitpatent um eine Maschine für kontinuierliches Ziehen. Als diskontinuierlich mag allenfalls - wie dieses Problem beim Streitpatent gelöst ist, ist dessen Beschreibung nicht zu entnehmen - die Art und Weise aufgefasst werden, auf die der Ziehprozess durch Erfassen der aus dem Ziehwerkzeug austretenden Materialspitze mittels Spannhaken eingeleitet wird; ist dieses Material erst einmal zwischen den Umlaufketten eingespannt, wird es dagegen kontinuierlich gezogen (Sp. 7 Z. 4 f.).
27
aa) Zur Verminderung der Reibung zwischen Umlaufketten und starren Führungen unter Anpressdruck bedient sich die Schrift einer Anordnung von gehärteten Rollen (32), die innerhalb jedes Kettenovals zu einer Kette (31) verbunden werden können (Sp. 2 Z. 50 ff.). Damit die Segmente der Triebketten (26) den erforderlichen Druck auf das Ziehgut ausüben können, stützen sie sich gegen die gehärteten Rollen ab, die ihrerseits gegen Führungen (33) laufen , welche im Inneren jedes der beiden Ovale der Zugketten vorgesehen sind, wodurch Druck von den Führungen auf die Rollen und schließlich auf die Ketten übertragen wird (Sp. 2 Z. 57 ff.). In der Figur 1 sieht der Fachmann angedeutet, dass die Ketten (31) im Innern der Triebkettenumläufe ebenfalls endlos (in Schleifen) um die Antriebsräder geführt werden. Die Schrift offenbart ihm somit eine Lösung, die prinzipiell derjenigen in der Merkmalsgruppe 6 entspricht.
28
bb) Der Ansicht der Beklagten, der Fachmann hätte zur Prioritätszeit eine Schrift wie die amerikanische Patentschrift 2 742 144 schon deshalb nicht zurate gezogen, weil er sich von einem so alten Dokument - das auf eine Anmeldung aus dem Jahre 1949 zurückgehende Patent ist 1956 erteilt worden - keine Anregungen für eine Weiterentwicklung versprach - kann nicht beigetreten werden. Hat der Stand der Technik vor dem Prioritätstag einer neuen Erfindung über lange Zeit stagniert, ist es eine Frage der Umstände des Einzelfalls, die umfassend zu würdigen sind, ob dies darauf hindeutet, dass die neue Erfindung dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war oder nicht. Im Streitfall stützen diese Umstände die Annahme einer erfinderischen Tätigkeit nicht. Der Kläger hat vorgetragen, dass sich die Entwicklungszyklen auf dem hier betroffenen technischen Gebiet über sehr lange Zeiträume erstrecken. Dieses Vorbringen, dem die Beklagte nicht widersprochen hat, findet seine Bestätigung in den Veröffentlichungsdaten der Schriften, die in der Streitpatentschrift als relevanter Stand der Technik referiert sind. Es handelt sich dabei um drei amerikanische Patentschriften aus den Jahren 1953 (US 2 642 280; angemeldet 1945), 1957 (US 2 797 798, angemeldet 1952) und 1976 (US 3 945 547, angemeldet 1974), was bestätigt, dass es sich vorliegend um ein technisches Gebiet handelt, auf dem sich die Weiterentwicklung nur zögerlich vollzogen hat.
29
c) Der Fachmann musste, nachdem er sich mit der Lösung der amerikanischen Patentschrift 2 742 144 vertraut gemacht hatte, nur den aus der amerikanischen Patentschrift 2 797 798 bekannten Antrieb mit Doppelrollenketten für Zwillings-Antriebsräder und streitpatentähnlichen Vorschubblöcken gedanklichkonstruktiv von der dort gezeigten Lösung stationär gelagerter reibungsvermindernder Rollen trennen und diesen Antrieb stattdessen mit den umlaufenden, reibungsvermindernden Rollenketten der erstgenannten amerikanischen Schrift verknüpfen. Dafür musste der Fachmann keine erfinderische Tätigkeit aufbringen. Eine auf Doppelantriebsrädern basierende Zugeinheit für die Reibungsverminderung mit einer Rollenkette zu koppeln, wie sie in der amerikanischen Patentschrift 2 742 144 gezeigt ist, ist für den Fachmann das Ergebnis naheliegender technisch-konstruktiver Überlegungen, weil eine solche Rollenkette sich dafür anbietet, in den Antriebs- und Arbeitsablauf einer so konstruierten Zugeinheit integriert zu werden.
30
d) Es kommt hinzu, dass dem Fachmann entsprechende RollenkettenLösungen in Verbindung mit Doppel-Antriebskettenrädern in weiteren Schriften, deren Auswertung von ihm zu erwarten war, begegneten.
31
aa) Gemäß der amerikanischen Patentschrift 2 212 132 (NK 10), die ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Formen und Komprimieren von Kabeln betrifft, werden die aus einer Ziehform heraustretenden Kabel, ähnlich wie bei der Zugeinheit des Streitpatents, zwischen gegenüberliegend angeordnete, in einem Oval laufende Endlosketten geführt und von diesen Ketten unter vertikalem Anpressdruck kontinuierlich weitertransportiert, wobei mit dem dabei durchgeführten Verformungsvorgang allerdings kein zusätzliches Längsziehen der Kabel unter Querschnittsverringerung verbunden ist. Wie aus Figur 2 der Schrift ersichtlich und auf S. 1 re. Spalte Z. 5 ff. der Beschreibung ausgeführt, sieht diese Konstruktion Kettenräderpaare (25, 26; 30, 31) vor, über die Ketten laufen, deren Glieder für das Erfassen, Formen und Transportieren der Kabel Tragelemente (38) und Formblöcke (Gesenkblöcke, 44) aufweisen, die miteinander verbunden werden. Im Innern der beiden Ovale dieser Zugketten verlaufen ebenfalls oval geführte Rollenketten (40) i. S. der Merkmalsgruppe 6 des Streitpatents, gegen deren Rollen (41) sich die Tragelemente der Zugglieder abstützen, während die Rollen ihrerseits gegen Führungsschienen laufen, die prinzipiell den starren Führungen des Streitpatents entsprechen.
32
bb) Gemäß der amerikanischen Patentschrift 4 655 291 (H 3, Patenterteilung 1987), die ein Bohrlochwerkzeug zur Einführung von durch Muffen miteinander zu verbindenden Rohrabschnitten in Bohrlöcher hinein und aus solchen heraus betrifft, wird der Rohrstrang (26) zwischen zwei einander gegenü- berliegenden, endlos umlaufenden Antriebsketten (28, 28 a) geführt. Die nachfolgend abgebildete (um 90 Grad gedrehte) Figur 3 der Schrift zeigt im Querschnitt, wie ein Rohr patentgemäß von Kettengliedern, die ein dem Gliedkörper (24) des Streitpatents entsprechendes Mittelteil und seitlich daneben angeordnete Rollen (Lager 29, vgl. Beschreibung, Übers. S. 36) aufweisen , erfasst wird. Der erforderliche Anpressdruck der Ketten zum Halten des Rohres wird über paarweise innerhalb der Antriebskettenovale angeordnete obere und untere Druckbalken (71, 72; 74, 75) erzeugt, die funktional den starren Führungen des Streitpatents entsprechen, Anpressdruck aber entsprechend der Gesamtkonstruktion und den spezifischen Anforderungen der Vorrichtung nur abschnittsweise aufbringen. Um den Umfang eines jeden Druckbalkens wird je eine aus Laschen und Bolzen zusammengesetzte Rollenkette geführt, die aus Rollen (64, 64a) bestehen, welche der Reibungsverminderung dienen, wenn die Antriebsketten durch die Druckbalken gegeneinander gepresst werden. Diese Lösung entspricht sowohl hinsichtlich der Gestaltung der Kettenglieder den Ziehglieder der Triebketten als auch hinsichtlich der Rollen 64 den in einer Schleife geführten lasttragenden Rollen des Streitpatents.
33
e) Auch wenn diese Schriften gattungsfremden Stand der Technik betreffen , bezog der auf eine Verbesserung von Ziehmaschinenzugeinheiten am Prioritätstag bedachte Fachmann sie in seine Überlegungen ein. Nach seiner Ausbildung und Qualifikation ist von ihm eine systematische Vorgehensweise zu erwarten, die sich nicht auf die Recherche des unmittelbar gattungsgemäßen Stands der Technik beschränkt, sondern darin solchen gattungsfremden Stand der Technik einbezieht, bei dem nach Art der sich dort stellenden Probleme vom Prinzip her Lösungen zu erwarten sind, wie er sie benötigt, auch wenn die Anforderungen im Detail durchaus erheblich differieren können. Das findet seine Bestätigung darin, dass in der noch zu erörternden amerikanischen Patentschrift 3 045 886 betreffend das Verschweißen von Schienensträngen unter anderem die sich mit der Verformung von Kabeln befassende US-Patentschrift 2 212 132 und die sich auf das Ziehen von Material beziehende amerikanische Schrift 2 742 144 erwähnt werden.
34
Die amerikanische Patentschrift 2 212 132 berücksichtigt der Fachmann deshalb, weil dort in Übereinstimmung mit dem Streitpatent Material kontinuierlich in eine Richtung zu transportieren und dabei senkrecht zur Bewegungsrichtung unter Anpressdruck zu setzen ist und dabei - wie beim Streitpatent - das Problem der Reibung zwischen den dem Transport und den der Erzeugung von Anpressdruck dienenden Mitteln zu lösen ist. Dass beim Metallziehen ein viel höherer Anpressdruck aufgebracht werden muss, als etwa bei der in dieser Schrift gelehrten Kabelumformung, führt nicht dazu, dass der Fachmann dieses Dokument gar nicht erst einer näheren Auswertung unterzieht. Vielmehr prüft er, ob sich die dort gefundene Lösung prinzipiell für eine Übertragung auf das eigene Problemfeld eignet, was augenscheinlich der Fall ist, weil sich zylindrisch geformte Rollkörper grundsätzlich als ein Mittel eignen, um das Problem der Reibung zwischen Vorrichtungsteilen zu lösen, die, wie Zugketten und starre Führungen gegeneinander unter Anpressdruck laufen sollen. Entsprechend verhält es sich in Bezug auf die amerikanische Patentschrift 4 655 291. Dass im gattungsgemäßen wie gattungsfremden Stand der Technik zu Ketten zusammengefügte zylindrische Rollen eingesetzt werden, belegt, dass das Streitpatent ein Lösungsprinzip anwendet, das im Stand der Technik bereits spartenübergreifend als Problemlösung erkannt und dementsprechend nahegelegt war.
35
3. Keinen Bestand hat Patentanspruch 1 auch in der Fassung der Hilfsanträge 1 bis 4.
36
a) Hilfsantrag 1 präzisiert lediglich die in den Merkmalen 1 und 2 der obigen Merkmalsgliederung (B I 1, dort kursiv) enthaltenen Zweck- und Wirkungsangaben , ohne dass darin zusätzliche Ansatzpunkte für eine erfinderische Tätigkeit zutage träten.
37
b) Hilfsantrag 2 ergänzt den Hauptantrag über die gemäß Hilfsantrag 1 hinzugefügten Merkmalselemente hinaus um diejenigen des bisherigen Unteranspruchs 7, wonach die seitlichen starren Führungen mit den seitlichen Mitlaufrollen zusammenwirken und deren Breite im Wesentlichen der Länge der seitlichen Mitlaufrollen entspricht. Für den Gegenstand dieses Hilfsantrags gab die amerikanische Patentschrift 3 045 886 eine Anregung, so dass diese Ausgestaltung ebenfalls nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gelten kann.
38
Diese Schrift beschreibt eine Vorrichtung zum Verschweißen von Schienensträngen auf eine Länge bis zu einer Viertelmeile, bei der die zu verschweißenden Schienenabschnitte zwischen einem unteren Antriebs- und einem oberen Andrücklaufband (660, 661), die mit endlos umlaufenden Ketten (682, 683; 709, 710) fest verbunden sind, hindurchgeführt werden. Wie aus der nachfolgend abgebildeten vertikalen Schnittzeichnung durch eine entsprechende Vorrichtung ersichtlich, wird das Antriebslaufband an seitlich angebrachten Rollen 682 und 683 von Ketten geführt, die auf der Oberseite der horizontalen Winkelarme 692 und 693 ablaufen. In der Breite und Allgemeinheit, in der Unteranspruch 7 von "starren Führungen" spricht, stellen die Elemente 692 und 693 der Schrift ebenfalls solche Führungen dar, so dass sich das diesem Anspruch zugrunde liegende Lösungsprinzip für den Fachmann aus dieser Entgegenhaltung ergab. Die in der dortigen Figur 2 gezeigten Führungen mögen zwar hinsichtlich ihrer Abmessungen im Verhältnis zur Breite der Mitlaufrollen nicht den zusätzlichen Voraussetzungen von Hilfsantrag 2 genügen; sie entsprechend auszugestalten erforderte indes nicht mehr als handwerkliches Können.
39
c) Nicht patentfähig ist des Weiteren der Hauptanspruch gemäß Hilfsantrag 3, bei dem Patentanspruch 1 um die Merkmale von Hilfsantrag 1 sowie Unteranspruch 2 ergänzt ist, der zwischen den seitlichen Mitlaufrollen und dem Gliedkörper Sicherungsplatten vorsieht. Bei diesen Platten handelt es sich um eine technische Ergänzung, welche die Gliedkörper in sinnvoller, aber naheliegender Weise, vergleichbar Unterlegscheiben, die beim Verspannen von Flächen mit Schrauben zwischen diese und die Muttern gelegt werden, von den seitlichen Mitlaufrollen trennen.
40
d) Hilfsantrag 4 ergänzt Patentanspruch 1 kumulativ um die Merkmale aller vorgehenden Hilfsanträge. Die Summe dieser Merkmale verleiht Patentanspruch 1 keinen zusätzlichen Gehalt, der dessen Patentfähigkeit begründete.
41
4. Dagegen erweist sich die Ausgestaltung nach Hilfsantrag 5, die den Hauptanspruch um die Merkmale des Hilfsantrags 1 und des Unteranspruchs 6 ergänzt, als patentfähig. Die aus dem Stand der Technik nicht herzuleitende besondere Ausgestaltung der Sicherungsplatten (23; vgl. oben B I 3, 3. Abs.) unterstützt, dass das Ziehgut exakt und ausschließlich in Zugrichtung bewegt wird. Wie auch der Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, kann insoweit nicht die Wertung getroffen werden, dass diese Ausgestaltung dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war.
42
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. § 92 Abs. 1 ZPO.
Scharen Gröning Berger
Grabinski Richter am Bundesgerichtshof Hoffmann ist wegen Urlaubs gehindertzuunterschreiben. Scharen
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 13.11.2008 - 10 Ni 30/07 (EU) -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 212/02 Verkündet am:
13. Januar 2004
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
§ 227 Abs. 1 ZPO ist im erstinstanzlichen Patentnichtigkeitsverfahren entsprechend
anzuwenden.
Leidet das Verfahren vor dem Bundespatentgericht an einem Mangel, kann die Patentnichtigkeitssache
ohne Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 538
Abs. 2 Nr. 1 ZPO zurückverwiesen werden.
BGH, Urt. v. 13. Januar 2004 - X ZR 212/02 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 13. Januar 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,
die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Scharen, die Richterin Mühlens und den Richter
Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin werden das am 4. Juni 2002 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts und das Verfahren vor dem Bundespatentgericht aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des unter anderem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 542 144 (Streitpatents), das auf einer Anmeldung vom 6. November 1992 beruht, mit der die Priorität einer deutschen Patentanmeldung vom 12. November 1991 in Anspruch genommen worden ist. Das in der Verfahrenssprache Deutsch am 21. Mai 1997 veröffentlichte Streitpatent umfaßt elf Patentansprüche, von denen die Patentansprüche 1 und 4 in der erteilten Fassung folgenden Wortlaut haben:
"1. Vorrichtung zum Verbinden eines Drahtes (85) mit einem Kontaktelement (88) od. dgl. durch Verformen von Klemmorganen (90, 90 ) des Kontaktelementes (88) mittels Druckelementen a eines auswechselbar in einer Presse angeordneten Crimpwerkzeugs (84), bei der eine um die Achse (A) eines in Druckrichtung weisenden Arretierbolzens (16) od. dgl. Halteorganes drehbar und druckorganseitig vorgesehene Verstellscheibe (13) des Crimpwerkzeuges (84) einer klemmorganseitigen weiteren Verstellscheibe (14) des Crimpwerkzeuges (84) koaxial drehbar zugeordnet ist, wobei beide Verstellscheiben jeweils mit zumindest einer in Druckrichtung (x) spiralartig ansteigenden Ringfläche (65, 68, 108) versehen sind, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß die erste druckorganseitige Verstellscheibe (13) zur Bestimmung der Preßtiefe
mit Auflagepunkten (97 , 98 ) einer Druckplatte (15) zusam- d d menwirkt und die weitere Verstellscheibe (14) sich zum Verstellen eines Isolations-Crimpers (76) an der ersten Verstellscheibe (13) abstützt.
4. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß die Druckplatte (15) in eine zentrische Ausnehmung der weiteren Verstellscheibe (14) einsetzbar dimensioniert ist und an ihrer Oberfläche (96) mit zwei teilkreisförmigen, um 180° versetzten Druckflächen (97 , 98 ) ansteigender Oberfläche als Auflagepunkte d d für die darüberliegende, druckorganseitige Verstellscheibe (13) versehen ist."
Wegen des Wortlauts der weiteren Patentansprüche in der erteilten Fassung wird auf die europäische Patentschrift 0 542 144 B 1 verwiesen.
Mit ihrer Nichtigkeitsklage hat die Klägerin geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung sei gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik nicht patentfähig. Die Beklagte hat der Nichtigkeitsklage widersprochen und zunächst beantragt, diese abzuweisen. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht hat die Beklagte sodann das Streitpatent nur noch in einer geänderten Fassung verteidigt. Hiernach dienen aus der Beschreibung des Streitpatents entnommene sowie ein Teil der ursprünglich erst mit Patentanspruch 4 beanspruchten
Merkmale als zusätzliche Kennzeichnung des mit dem Patentanspruch 1 beanspruchten Gegenstands.
Die Klägerin hat auf die geänderte Fassung mit der Erklärung reagiert, sie halte diese Fassung für unzulässig, weil der neue Patentanspruch 1 eine vollständige Lösung nicht offenbare. Im übrigen hat die Klägerin Vertagung beantragt, weil im Hinblick auf den neuen Patentanspruch 1 eine weitere Recherche zur Frage der Neuheit und der Erfindungshöhe erforderlich sei.
Das Bundespatentgericht hat dem zuletzt gestellten Antrag der Beklagten folgend unter Abweisung der Nichtigkeitsklage im übrigen das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß Patentansprüche 1 und 4 folgende Fassung erhalten (im folgenden sind bei Patentanspruch 1 aus der Beschreibung entnommene Merkmale kursiv, aus dem ursprünglichen Patentanspruch 4 entnommene Merkmale zusätzlich unterstrichen wiedergegeben):
"1. Vorrichtung zum Verbinden eines Drahtes (85) mit einem Kontaktelement (88) od. dgl. durch Verformen von Klemmorganen (90, 90 ) des Kontaktelementes (88) mittels Druckelementen a eines auswechselbar in einer Presse angeordneten Crimpwerkzeugs (84), bei der eine um die Achse (A) eines in Druckrichtung weisenden Arretierbolzens (16) od. dgl. Halteorganes drehbar und druckorganseitig vorgesehene Verstellscheibe (13) des Crimp-Werkzeuges (84) einer klemmorganseitigen weiteren Verstellscheibe (14) des Crimpwerkzeuges (84) ko-
axial drehbar zugeordnet ist, wobei beide Verstellscheiben jeweils mit zumindest einer in Druckrichtung (x) spiralartig an- steigenden Ringfläche (65, 68, 108) versehen sind, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß die erste druckorganseitige Verstellscheibe (13) zur Bestimmung der Preßtiefe mit Auflagepunkten (97 , 98 ) einer Druckplatte (15) zusam- d d menwirkt und die weitere Verstellscheibe (14) sich zum Verstellen eines Isolations-Crimpers (76) an der ersten Verstellscheibe (13) abstützt, daß sich zwei Ringflächen (65, 68) der ersten druckorganseitigen Verstellscheibe (13) in Umfangsrichtung über etwa 360° erstrecken, gegeneinander um 180° versetzt und in radialer Richtung aufeinanderfolgend angeordnet sind, und daß die Druckplatte (15) an ihrer Oberfläche (96) mit zwei teilkreisförmigen, um 180° versetzten Druckflächen (97 , 98 ) ansteigender Oberfläche als Auflagepunkte für die d d druckorganseitige Verstellscheibe (13) versehen ist.
4. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß die Druckplatte (15) in eine zentrische Ausnehmung der weiteren Verstellscheibe (14) einsetzbar dimensioniert ist."
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Klägerin beantragt hauptsächlich,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an das Bundespatentgericht zurückzuverweisen.
Gestützt auf eine mit der Berufungsbegründung in das Verfahren eingeführte weitere Entgegenhaltung beantragt die Klägerin ferner hilfsweise,
das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfange für nichtig zu erklären,
da in Anbetracht dieses Stands der Technik das Streitpatent auch in der geänderten Fassung nicht patentfähig sei.
Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel der Klägerin entgegen.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und des erstinstanzlichen Verfahrens sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Bundespatentgericht, weil das Verfahren im ersten Rechtszug an einem Mangel gelitten hat.
1. Der Senat entnimmt der Berufungsbegründung, daß die Klägerin sich mit ihrem Hauptantrag (auch) dagegen wendet, daß ihr vor dem Bundespatentgericht gestellter Antrag, die Verhandlung zu vertagen, zurückgewiesen wor-
den ist, indem das Bundespatentgericht im Anschluß an diesen Antrag die mündliche Verhandlung geschlossen und ein Urteil in der Sache verkündet hat. Diese Rüge ist berechtigt. Es war im Streitfall gemäß § 227 Abs. 1 ZPO, § 99 Abs. 1 PatG prozeßordnungswidrig, ohne Vertagung der mündlichen Verhandlung über die Nichtigkeitsklage durch Urteil zu entscheiden.

a) § 227 Abs. 1 ZPO ist gemäß § 99 Abs. 1 PatG im erstinstanzlichen Patentnichtigkeitsverfahren entsprechend anzuwenden, weil das Patentgesetz keine Bestimmung darüber enthält, ob und gegebenenfalls wann ein Termin vor dem Bundespatentgericht vertagt werden kann, und das Patentnichtigkeitsverfahren gegenüber dem Zivilprozeßverfahren keine Besonderheiten aufweist, die eine Heranziehung des § 227 Abs. 1 ZPO ausschließen. Die Regelung in § 87 Abs. 2 PatG verlangt nur ein Patentnichtigkeitsverfahren in erster Instanz möglichst in einer Sitzung zu erledigen und läßt damit schon dem Wortlaut nach andere Verfahrensweisen zu. Dem so verstandenen Beschleunigungsgebot für das erstinstanzliche Patentnichtigkeitsverfahren widerspricht die Anwendung von § 227 Abs. 1 ZPO nicht. Denn auch hiernach kommt eine Vertagung nur ausnahmsweise in Betracht, nämlich nur dann, wenn hierfür ein erheblicher Grund streitet. Dieses Erfordernis verlangt außerdem nach einer Prüfung, die nicht nur Rechte der Beteiligten oder deren beachtenswerte Interessen , sondern auch das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens berücksichtigt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.12.1999 - 7 B 155.99, Buchholz 303, § 227 ZPO Nr. 29).

b) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, die insbesondere vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Anwendung des § 173 VwGO ent-
wickelt worden ist, sind eine Vertagung der mündlichen Verhandlung rechtfertigende erhebliche Gründe im Sinne von § 227 Abs. 1 regelmäßig solche, die den Anspruch auf rechtliches Gehör einer oder mehrerer Parteien berühren und die auch gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern (BVerwG, Beschl. v. 23.01.1995 - 9 B 1.95, NJW 1995, 1231). Angesichts der verfassungsrechtlichen Garantie des Anspruchs auf rechtliches Gehör verbleibt dem Gericht dann auch kein Ermessensspielraum. Zur Gewährung des rechtlichen Gehörs und eines insoweit prozeßordnungsgemäßen Verfahrens muß die mündliche Verhandlung vertagt werden (BVerwG, Urt. v. 29.09.1994 - 3 C 28.92, NJW 1995, 1441).
Diese Notwendigkeit besteht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung immer dann, wenn nach dem für das Gericht ersichtlichen oder gegebenenfalls auf Verlangen des Gerichts (vgl. § 227 Abs. 2 ZPO) glaubhaft gemachten Sachstand durch die Ablehnung einer Vertagung der eine solche beantragenden Partei die Möglichkeit entzogen wäre, sich in der betreffenden Instanz sachgemäß und erschöpfend über alle Tatsachen, Beweisergebnisse oder sonstigen verhandelten Fragen zu erklären (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.12.1997 - 5 CB 69.74, Buchholz 310, § 108 Nr. 100), die Grundlage der zu treffenden Entscheidung sind (BVerfGE 7, 239, 241; BGH, Urt. v. 16.05.1977 - VIII ZR 311/75, MDR 1978, 46 m.w.N.). Ein solcher Fall ist beispielsweise gegeben, wenn die Vertagung beantragende Partei von dem Gericht oder der Gegenseite mit einer Tatsachen- oder einer Rechtsfrage konfrontiert wird, mit der sie sich nicht "aus dem Stand" auseinanderzusetzen vermag, zu der sie sachlich fundiert vielmehr nur dann Stellung nehmen kann, wenn sie angemes-
sene Zeit für Überlegung und Vorbereitung hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.03.1992 - 4 CB 2.91, NVwZ-RR 1993, 275), die anders, etwa durch eine Unterbrechung der mündlichen Verhandlung, nicht in ausreichender Weise zur Verfügung gestellt werden kann.

c) So lagen die Dinge auch hier. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht war zunächst nur der Bestand des Streitpatents in der erteilten Fassung streitig. Dieser Streit umfaßte keinen Patentanspruch, der Gegenstand der Fassung ist, mit welcher die Beklagte erstmals in der mündlichen Verhandlung hervorgetreten ist. Erst durch die Verteidigung des Streitpatents lediglich im Umfang dieser neuen Fassung wurde deshalb die Frage entscheidungserheblich, ob das bisherige Vorbringen der Klägerin zur Rechtfertigung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrunds diesen auch gegenüber der verteidigten Fassung ausfülle, mit der Folge, daß sich die Klägerin nunmehr fragen mußte, was der verteidigten Fassung entgegengehalten werden könne. Das verlangte nach Überlegung und Vorbereitung. Da nichts dafür ersichtlich oder gar festgestellt ist, daß die Klägerin eine auf die neue, verteidigte Fassung ausgerichtete Recherche im Stand der Technik bereits durchgeführt hatte, gehörte hierzu auch diese Maßnahme, zumal die Klägerin ausdrücklich eine neue, auf die nunmehr verteidigte Fassung ausgerichtete Recherche als notwendig bezeichnet hatte, um sich vollständig zur Patentfähigkeit der verteidigten Fassung äußern zu können. Denn regelmäßig kann erst durch eine Recherche Kenntnis vom relevanten Stand der Technik erlangt werden, der Entscheidungsgrundlage für den hier geltend gemachten Nichtigkeitsgrund ist. Da auch nichts dafür ersichtlich ist, daß im Streitfall ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, mußte deshalb angenommen werden, daß eine sachgemäße
und erschöpfende Äußerung der Klägerin zu der verteidigten Fassung des Streitpatents erst nach Ablauf einer angemessenen Frist für eine neue Recherche im Stand der Technik möglich war.

d) Das Bundespatentgericht hat hieraus gleichwohl ein Vertagungserfordernis nicht abgeleitet, weil es mit der verteidigten Fassung ein in der Streitpatentschrift beschriebenes und in den Figuren gezeigtes Ausführungsbeispiel als beansprucht angesehen hat. Bei einer Beschränkung eines erteilten Patents auf ein darin offenbartes Ausführungsbeispiel könne ein Nichtigkeitskläger schwerlich geltend machen, hierzu sei nicht bereits vor der Beschränkung eine Recherche notwendig gewesen, weil schon ein Nachweis fehlender Neuheit oder Erfindungshöhe bezüglich eines Ausführungsbeispiels zur Vernichtung des Patents in der erteilten Fassung führen müsse. Mit dieser Argumentation hat das Bundespatentgericht der Sache nach höchstrichterliche Rechtsprechung angewendet, wonach der Betroffene zunächst seinerseits alles in seinen Kräften Stehende und nach Lage der Dinge Erforderliche getan haben muß, um sich in der mündlichen Verhandlung rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. BGH, Urt. v. 24.11.1988 - III ZR 69/88, BGHR ZPO § 227; BVerwG, Urt. v. 29.09.1994 - 3 C 28.92, NJW 1995, 1441). Diese Rechtsprechung ist jedoch ergangen und auf Fälle zugeschnitten, in denen die Partei oder ein postulationsfähiger Vertreter im Termin nicht erschienen ist und fraglich gewesen ist, ob eine Verhinderung bestand, durch Wahrnehmung des Termins sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Aus dieser Rechtsprechung kann deshalb für das Patentnichtigkeitsverfahren nicht abgeleitet werden, der Kläger müsse im Hinblick auf die in diesem Verfahren bestehende Möglichkeit einer beschränkten Verteidigung des angegriffenen Schutzrechts mit geänderten Patentansprüchen
jedenfalls eine Recherche nach Maßgabe der darin offenbarten Ausführungsbeispiele oder gar jede Recherche bereits durchgeführt haben, die sich im Falle nachträglicher beschränkter Verteidigung als sinnvoll erweisen könne, anderenfalls er nicht geltend machen könne, wegen der nunmehr beschränkten Verteidigung des Streitpatents seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nur nach Vertagung wahren zu können. Sinn und Zweck einer Terminsbestimmung ist es, daß die Beteiligten sich in bestimmter Weise, nämlich in mündlicher Verhandlung , rechtliches Gehör verschaffen können. Es kann deshalb erwartet werden, daß jeder Beteiligte sich darauf einrichtet, einen anberaumten Termin auch wahrzunehmen. Zieht sich ein Patentinhaber im Laufe der mündlichen Verhandlung im Patentnichtigkeitsverfahren auf eine Verteidigung des Schutzrechts in geänderter Fassung zurück, steht hingegen die Art und Weise des Angriffs gegen das Schutzrecht in Frage, also insbesondere, was hierzu vorgetragen werden soll und aufgrund welcher Ermittlungen dieser Vortrag erfolgt. Das ist jedoch in den sich aus dem Wahrheitsgebot ergebenden Grenzen allein dem Kläger überlassen. Damit ist eingeschlossen, zunächst auf eine Recherche nach Maßgabe eines im erteilten Schutzrecht offenbarten Ausführungsbeispiels zu verzichten und sich darauf einzurichten, zur Vorbekanntheit und zum Naheliegen der Merkmale, die zur Kennzeichnung des geschützten Gegenstandes in den erteilten Patentanspruch aufgenommen sind, auf andere, einem selbst geeignet erscheinenden Weise vortragen zu können. Denn im Falle des hier geltend gemachten Nichtigkeitsgrunds hat die Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit nach Maßgabe dieser Merkmale zu erfolgen. Es muß deshalb in aller Regel genügen, hierauf in der mündlichen Verhandlung auf eine mögliche Weise eingehen zu können.

e) Die ergänzende Begründung des Bundespatentgerichts, nämlich gegen die "Unvorhersehbarkeit" der erfolgten Beschränkung, spreche auch, daß für einen Fachmann einerseits der "Kern der Erfindung", andererseits die Möglichkeiten der Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik durchaus erkennbar erschienen, ändert an der Mißachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nichts. Wenn das Bundespatentgericht hiermit gemeint haben sollte, die Klägerin habe bereits, bevor die Beklagte zum Mittel der Verteidigung des Streitpatents mit geänderten Patentansprüchen gegriffen habe, jedenfalls mit der Möglichkeit einer Beschränkung auf ein offenbartes Ausführungsbeispiel rechnen können und deshalb sich darauf einrichten müssen, hierzu in der anberaumten mündlichen Verhandlung sachgerecht Stellung zu nehmen, könnte dem nicht beigetreten werden. Auch im Nichtigkeitsverfahren trifft die Parteien zwar eine Prozeßförderungspflicht. Durch sie sollen die Parteien jedoch angehalten werden, Vorbringen nicht aus prozeßtaktischen Gründen zurückzuhalten (vgl. Sen.Urt. v. 15.10.2002 - X ZR 69/01, NJW 2003, 200). Deshalb kann hieraus beispielsweise eine Verpflichtung der Partei, tatsächliche Umstände , die ihr nicht bekannt sind, erst zu ermitteln, grundsätzlich nicht abgeleitet werden. Im Regelfall kann dann aber auch ebensowenig eine Ermittlungspflicht hinsichtlich solcher Umstände angenommen werden, mit deren Hilfe man zwar auch schon den Angriff gegen das erteilte Patent hätte führen können, die allein entscheidende Bedeutung jedoch überhaupt erst erlangen, sobald der Patentinhaber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, sich bei der Verteidigung seines Schutzrechts auf ein Ausführungsbeispiel zurückzuziehen.

f) Der Streitfall weist keine Besonderheiten auf, die es rechtfertigten, von den vorstehenden Grundsätzen abzuweichen. Dabei kann dahinstehen, ob der Kern der Erfindung und Möglichkeiten zur Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik - wie vom Bundespatentgericht angenommen - durchaus erkennbar waren. Auch hiermit mußte die Klägerin sich zunächst nicht befassen. Ihre Klage richtete sich gegen das Streitpatent in der erteilten Fassung. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund erforderte eine Prüfung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit nicht etwa nach Maßgabe des Kerns der Erfindung, sondern nach Maßgabe der zur Kennzeichnung des geschützten Gegenstandes in den betreffenden erteilten Patentanspruch aufgenommenen Merkmale. Zur Vorbekanntheit im Stand der Technik und zum Naheliegen allein dieser Merkmale hatte die Klägerin gemäß § 81 Abs. 5 PatG durch Angabe entsprechender Tatsachen vorzutragen. Da sie dies durch Hinweis auf ihr insoweit geeignet erscheinende Entgegenhaltungen getan hatte und im Hinblick auf das Streitpatent in der verteidigten Fassung ein Nachschieben von Gründen nicht in Rede stand, hatte mithin im Streitfall die Klägerin der ihr obliegenden Prozeßförderungspflicht Genüge getan.
2. Der Mangel im erstinstanzlichen Verfahren führt zur Zurückverweisung der Sache an das Bundespatentgericht. Dabei kann dahinstehen, ob dieser Mangel die Qualität und Folgen hat, die nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO eine Zurückverweisung erlauben.

a) Da das Patentgesetz keine das Berufungsverfahren in Nichtigkeitssachen betreffende Regelung enthält, ob und gegebenenfalls wann bei einem Verfahrensfehler in erster Instanz die Sache zurückverwiesen werden kann,
muß aus den im Senatsbeschluß vom 26. September 1996 (X ZR 14/94, GRUR 1997, 119 - Schwimmrahmen-Bremse) erörterten Gründen die bestehende Lücke möglichst gesetzesimmanent geschlossen werden. Damit bildet § 99 Abs. 1 PatG die sachgerechte Norm, weil diese Vorschrift einerseits auf eine weitgehend vollständige Verfahrensordnung verweist, hiernach andererseits aber auch Besonderheiten des Patentnichtigkeitsverfahrens Rechnung getragen werden kann und muß. Das wiederum führt dazu, daß - wie im Zivilprozeß gem. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO - auch im Berufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen das Berufungsgericht die Sache zurückverweisen kann, wenn das Verfahren des erstinstanzlichen Gerichts an einem Mangel gelitten hat, daß diese Möglichkeit aber nicht an die weiteren Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO geknüpft ist.
Das Patentnichtigkeitsverfahren ist dadurch geprägt, daß in der ersten Instanz unter Mitwirkung technischer Richter entschieden wird. Hierdurch erübrigt sich in dieser Instanz regelmäßig die Hinzuziehung eines Sachverständigen ; es kann so vergleichsweise kostengünstig und schnell in der Sache entschieden werden. Diese Möglichkeit auch nutzen zu können, haben die Parteien des Patentnichtigkeitsverfahrens nach der Ausgestaltung dieses Verfahrens ein Anrecht. Hiermit vertrüge es sich nicht, wenn der Senat - wie nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vorgesehen - eine Zurückverweisung wegen eines Verfahrensmangels nur in den Fällen aussprechen könnte, in denen der Mangel wesentlich ist und eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme notwendig macht. Da der Senat nicht auf durch entsprechende Ausbildung gewährleisteten technischen Sachverstand von Mitgliedern zurückgreifen kann, muß er nämlich in Patentnichtigkeitsberufungsverfahren regelmäßig einen Sachver-
ständigen hinzuziehen. Der damit verbundene Kosten- und Zeitaufwand belastet die Parteien auch in den Fällen, in denen der Verfahrensmangel als nicht wesentlich eingestuft werden kann und/oder nur eine vergleichsweise schnell zu erledigende und mit vergleichsweise geringen zusätzlichen Kosten verbundene Beweiserhebung vor dem Senat zu erwarten ist. Deshalb muß auch in diesen Fällen die Zurückverweisung der Patentnichtigkeitssache an das Bundespatentgericht in Betracht kommen.

b) Der Senat wählt im Streitfall die mithin mögliche Zurückverweisung statt der eigenen Sachentscheidung. Aus den genannten Gründen ist es sachgerecht , daß das sachkundig besetzte Bundespatentgericht sich mit dem nunmehr von der Klägerin gegen das Schutzrecht in der verteidigten Fassung Vorgebrachten befaßt und zunächst dieses Gericht auf dieser Grundlage in der Sache entscheidet.
Melullis Jestaedt Scharen
Mühlens Meier-Beck