Bundesgerichtshof Urteil, 20. Dez. 2006 - VIII ZR 112/06

published on 20/12/2006 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 20. Dez. 2006 - VIII ZR 112/06
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Amtsgericht Neukölln, 9 C 302/05, 30/11/2005
Landgericht Berlin, 64 S 2/06, 31/03/2006

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 112/06 Verkündet am:
20. Dezember 2006
Kirchgeßner,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ansprüche auf Miete aus Wohnraummietverträgen können jedenfalls auch dann im
Urkundenprozess geltend gemacht werden, wenn der Mieter die Wohnung in vertragsgemäßem
Zustand erhalten hat und die Einrede des nicht erfüllten Vertrages
darauf stützt, ein Mangel sei nachträglich eingetreten (Fortführung von BGH, Urteil
vom 1. Juni 2005 - VIII ZR 216/04, NJW 2005, 2701).
BGH, Urteil vom 20. Dezember 2006 - VIII ZR 112/06 - LG Berlin
AG Berlin-Neukölln
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit
Schriftsatzfrist bis zum 30. November 2006 durch den Richter Wiechers als Vorsitzenden
, den Richter Dr. Wolst, die Richterinnen Hermanns und Dr. Milger
sowie den Richter Dr. Koch

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der Zivilammer 64 des Landgerichts Berlin vom 31. März 2006 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Parteien schlossen am 30. Oktober 2002 einen Mietvertrag über eine Wohnung in B. , D. weg . Die monatliche Miete betrug ab 1. Januar 2004 683,23 €, ab 1. Januar 2005 694,61 € und ab 1. März 2005 698,97 €.
2
Die Beklagte zahlte die Miete für Dezember 2004 bis einschließlich April 2005 nicht; im Mai 2005 zahlte sie 559,18 € und im Juni 2005 629,07 €.
3
Die Klägerin fordert im Urkundenprozess unter Vorlage des Mietvertrages 3.680,08 € als rückständige Miete nebst Zinsen. Die Beklagte hat die Einrede des nicht erfüllten Vertrages erhoben. Sie ist der Ansicht, der Urkundenprozess sei nicht statthaft.
4
Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt und ihr die Ausführung ihrer Rechte vorbehalten. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

5
Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

6
Das Berufungsgericht hat, soweit hier noch von Interesse, ausgeführt:
7
Der Statthaftigkeit der Klage im Urkundenprozess stehe nicht entgegen, dass die Beklagte wegen behaupteter Mängel, die seit August 2004 bestünden, die Einrede des nicht erfüllten Vertrages erhebe. Wenn ein in Anspruch genommener Mieter diese Einrede erhebe, werde der Urkundenprozess erst dann unstatthaft, wenn feststehe, dass dem Mieter, dem die Mietsache ursprünglich mangelfrei überlassen worden sei, für sein Zurückbehaltungsrecht ein Mangelbeseitigungsanspruch als Gegenforderung zugestanden habe, die Mangelbeseitigung durch den Vermieter jedoch streitig geblieben sei und auch nicht durch Urkunden bewiesen werden könne. Denn sofern die Mietsache unstreitig mangelfrei überlassen worden sei, treffe nicht den Vermieter, sondern den Mieter - hier die Beklagte - die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass nachträglich ein Mangel aufgetreten sei.

II.

8
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist. Der Urkundenprozess gemäß § 592 ZPO ist im vorliegenden Verfahren statthaft. Die Klägerin fordert die Leistung einer bestimmten Geldsumme und beweist sämtliche zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen durch Urkunden.
9
1. Der Senat hat bereits entschieden, dass Ansprüche auf Miete aus Wohnraummietverträgen im Urkundenprozess geltend gemacht werden können (Urteil vom 1. Juni 2005 - VIII ZR 216/04, NJW 2005, 2701 unter II 2 b). Er hat diese Aussage für den Fall getroffen, dass der Mieter wegen behaupteter Mängel der Mietsache Minderung geltend macht. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, die Mangelfreiheit einer Mietsache gehöre nicht zu den anspruchsbegründenden Tatsachen im Sinne des § 592 ZPO, die der Vermieter in einem solchen Fall durch Urkunden zu beweisen habe. Die infolge einer Mangelhaftigkeit der Mietsache eintretende Mietminderung begründe eine materiellrechtliche Einwendung des Mieters, die im Prozess vom Mieter darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen sei. Offengelassen hat der Senat dabei, ob dies auch dann gelte, wenn der Mieter - wie hier - sich nicht (nur) auf eine Mietminderung berufe, sondern im Hinblick auf das Vorliegen von Mängeln die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäß § 320 BGB erhebe.
10
2. Diese Frage entscheidet der Senat nunmehr dahin, dass die Klage in einem solchen Fall jedenfalls dann im Urkundenprozess statthaft ist, wenn der Mieter unstreitig die Wohnung in vertragsgemäßem Zustand erhalten hat und die Einrede des nicht erfüllten Vertrages darauf stützt, ein Mangel sei nachträglich eingetreten (so auch Sturhahn, NZM 2004, 441 ff., 443; a.M. Greiner, NJW 2000, 1314 f.).
11
Hat der Mieter die Mietsache unstreitig mangelfrei erhalten, trifft ihn grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast, wenn er später eingetretene Mängel geltend macht und darauf gestützt die Einrede des nicht erfüllten Vertrages erhebt. Allein diese Ansicht vermeidet einen ansonsten nicht lösbaren Widerspruch. Denn wenn sich ein Mieter auf während der Mietzeit eingetretene Mängel beruft und deshalb Minderung geltend macht, ist er grundsätzlich für deren Vorhandensein darlegungs- und beweispflichtig. Erhebt er darüber hinaus auch noch die Einrede des nicht erfüllten Vertrages, kann dies nicht dazu führen, nunmehr dem Vermieter die Darlegungs- und Beweislast aufzuerlegen. Denn auch wer die Einrede aus § 320 BGB geltend macht, muss beweisen, dass ihm eine unter das Gegenseitigkeitsverhältnis fallende Gegenforderung zusteht. Der das Zurückbehaltungsrecht des Mieters begründende, auf Mangelbeseitigung gerichtete Erfüllungsanspruch aus § 535 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB setzt bei einer mangelfrei übergebenen Mietsache das nachträgliche Eintreten eines Mangels voraus, für das der Mieter die Beweislast trägt.
12
Ob etwas anders angenommen werden kann, wenn der Mieter geltend macht, er habe die Sache überhaupt nicht erhalten oder sie sei von Anfang an mit Mängeln behaftet gewesen, bedarf keiner Entscheidung. Vorliegend ist nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts unstreitig, dass die Klägerin der Beklagten die Mietwohnung jedenfalls zunächst frei von Mängeln überlassen hat. Deshalb trägt die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für das Vorhandensein eines erheblichen Mangels. Zutreffend hat ihr daher das Amtsgericht die Ausführung ihrer Rechte nach § 599 Abs. 1 ZPO vorbehalten.
Wiechers Dr. Wolst Hermanns Dr. Milger Dr. Koch
Vorinstanzen:
AG Berlin-Neukölln, Entscheidung vom 30.11.2005 - 9 C 302/05 -
LG Berlin, Entscheidung vom 31.03.2006 - 64 S 2/06 -
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Annotations

Ein Anspruch, welcher die Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder die Leistung einer bestimmten Menge anderer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere zum Gegenstand hat, kann im Urkundenprozess geltend gemacht werden, wenn die sämtlichen zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können. Als ein Anspruch, welcher die Zahlung einer Geldsumme zum Gegenstand hat, gilt auch der Anspruch aus einer Hypothek, einer Grundschuld, einer Rentenschuld oder einer Schiffshypothek.

(1) Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist. Hat die Leistung an mehrere zu erfolgen, so kann dem einzelnen der ihm gebührende Teil bis zur Bewirkung der ganzen Gegenleistung verweigert werden. Die Vorschrift des § 273 Abs. 3 findet keine Anwendung.

(2) Ist von der einen Seite teilweise geleistet worden, so kann die Gegenleistung insoweit nicht verweigert werden, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde.

(1) Dem Beklagten, welcher dem geltend gemachten Anspruch widersprochen hat, ist in allen Fällen, in denen er verurteilt wird, die Ausführung seiner Rechte vorzubehalten.

(2) Enthält das Urteil keinen Vorbehalt, so kann die Ergänzung des Urteils nach der Vorschrift des § 321 beantragt werden.

(3) Das Urteil, das unter Vorbehalt der Rechte ergeht, ist für die Rechtsmittel und die Zwangsvollstreckung als Endurteil anzusehen.