Bundesgerichtshof Urteil, 17. Apr. 2018 - VI ZR 237/17
vorgehend
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2018 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Offenloch , die Richterinnen Dr. Roloff und Müller und den Richter Dr. Allgayer
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Das klagende Land nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht (§ 72 LBG Rheinland-Pfalz) wegen der Verletzung der psychischen Gesundheit eines Polizeibeamten auf Schadensersatz in Anspruch.
- 2
- Hintergrund des Rechtsstreits ist ein Amoklauf des Beklagten am 18. Februar 2010 in einer Berufsbildenden Schule in L. Der Beklagte, ein ehemaliger Schüler dieser Schule, der an dem sogenannten Klinefelter-Syndrom leidet und aufgrund dessen eine kombinierte Persönlichkeitsstörung entwickelt hat, begab sich an diesem Tag während der Unterrichtszeit in das Schulgebäude. Er war mit einem Messer und einer geladenen Schreckschusspistole bewaffnet und führte bengalische Feuer mit sich. Er wollte seinen früheren Lehrer B. und den Schulleiter L. töten. Mittels der Feuerwerkskörper wollte er Feueralarm und damit Chaos auslösen, um sodann weitere Lehrer sowie Schüler töten zu können.
- 3
- Nach Betreten des Schulgebäudes traf der Beklagte auf den Lehrer B. und tötete diesen durch fünf Messerstiche. Im Anschluss daran löste er Feueralarm aus. Er bedrohte drei Lehrer, denen er im Treppenhaus begegnete, mit der Schreckschusspistole, schlug einen der Lehrer zu Boden und gab mehrere Schüsse aus seiner Schreckschusspistole ab, darunter einen auf den Schulleiter L., der ihn zum Aufgeben bewegen wollte.
- 4
- Zu den nach Verständigung der Polizei zum Tatort beorderten Polizeibeamten gehörte der Polizeibeamte K., der mit drei weiteren Kollegen das Schulgebäude betrat und es gezielt nach dem mutmaßlichen Amokläufer durchsuchte. Nachdem die Polizisten den Beklagten gestellt hatten, forderten sie ihn unter Vorhalt ihrer Dienstwaffen zur Aufgabe auf. Der Beklagte warf daraufhin seine Schreckschusspistole und eine Umhängetasche weg und ließ sich festnehmen.
- 5
- Bei dem Polizeibeamten K. lag infolge dieses Vorfalls eine Anpassungsstörung als Reaktion auf eine schwere seelische Belastung vor, die eine medizinische Behandlungsbedürftigkeit zur Folge hatte und zu einer Dienstunfähigkeit vom 22. Februar 2010 bis 13. März 2010 führte.
- 6
- Das klagende Land hat als Versorgungsträger aus übergegangenem Recht der nach dem Amoklauf an ihrer (psychischen) Gesundheit beschädigten Landesbediensteten - mehrerer Lehrer und des Polizeibeamten K. - Schadensersatz aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung verlangt. Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben, bezogen auf den Polizeibeamten K. in Höhe von 3.053,77 € nebst Zinsen. Auf die Berufung des Beklagten, mit der sich dieser allein gegen seine Verurteilung im Hinblick auf die Gesundheitsbeschädigung des Polizeibeamten K. gewandt hat, hat das Oberlandesgericht das Urteil insoweit abgeändert und die Klage in diesem Umfang abgewiesen.
- 7
- Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt das klagende Land die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I.
- 8
- Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in MDR 2017, 1184 veröffentlicht ist, hat einen auf das klagende Land übergegangenen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen der von dem Polizeibeamten K. anlässlich des Amoklaufs des Beklagten erlittenen psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen verneint. Zwar stellten traumatisch bedingte psychische Störungen von Krankheitswert eine Verletzung der Gesundheit im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB dar, welche dem Schädiger grundsätzlich zuzurechnen seien. Erforderlich sei aber ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten des Schädigers und dem Gesundheitsschaden. Daran fehle es hier. Nach den Feststellungen des Landgerichts habe der Beklagte die ihn festnehmenden Polizeibeamten nicht angegriffen, sondern sich widerstandslos festnehmen lassen, nachdem diese ihn unter Vorhalt ihrer Dienstwaf- fen zur Aufgabe aufgefordert hätten. Die psychischen Beeinträchtigungen des Polizeibeamten K. beruhten somit allein darauf, dass er im dienstlichen Einsatz die Situation des Amoklaufs in der Schule und die damit einhergehenden schlimmen Folgen, die aber unmittelbar dritte Personen - in erster Linie Lehrer - betroffen hätten, miterlebt habe. Zu der Ausbildung und dem Beruf von Polizeibeamten oder sonst hauptberuflich tätigen Hilfs- und Rettungskräften gehöre es aber, psychisch belastende Einsatzlagen zu bewältigen und die sich daraus ergebenden Erfahrungen und Erlebnisse zu verarbeiten. Psychische Gesundheitsstörungen als Folge von traumatischen Erlebnissen bei dienstlichen Einsätzen gehörten daher für Angehörige solcher Berufe grundsätzlich zum entschädigungslos hinzunehmenden allgemeinen Lebensrisiko. Anders könne es beim Vorliegen zusätzlicher Umstände zu beurteilen sein, etwa bei einem direkten tätlichen Angriff gegen Polizeibeamte bei der Ausübung ihres Dienstes oder bei einem sonstigen Verhalten von Straftätern, welches den Polizeibeamten zu einem selbstgefährdenden Verhalten herausfordere. Solches sei hier aber nicht der Fall gewesen. Etwas anderes gelte auch nicht deshalb, weil sich der Polizeibeamte K. damit konfrontiert gesehen habe, während des Einsatzes notfalls von der Schusswaffe gegen den Beklagten Gebrauch machen zu müssen. Auch dies gehöre zum Berufsrisiko jedes Polizeivollzugsbeamten.
II.
- 9
- Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die von dem Polizeibeamten K. erlittene psychische Gesundheitsverletzung ist dem Beklagten zuzurechnen und löst daher einen Schadensersatzanspruch gegen diesen aus § 823 Abs. 1 BGB aus, der gemäß § 72 Abs. 1 LBG Rheinland-Pfalz auf das klagende Land übergegangen ist.
- 10
- 1. Durch ein Geschehen ausgelöste psychische Störungen von Krankheitswert können eine Verletzung des geschützten Rechtsguts Gesundheit im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. Senatsurteile vom 27. Januar 2015 - VI ZR 548/12, VersR 2015, 501 Rn. 6; vom 20. Mai 2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 8; vom 22. Mai 2007 - VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 12; vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99, VersR 2001, 874, 875; vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 344). Dies gilt selbstverständlich auch für psychische Störungen von Krankheitswert, die sich als Reaktion auf das Geschehen bei einem Amoklauf ergeben. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts lag infolge des von dem Beklagten ausgelösten Geschehens vom 18. Februar 2010 bei dem Polizeibeamten K. eine Anpassungsstörung als Reaktion auf eine schwere seelische Belastung vor, die eine medizinische Behandlungsbedürftigkeit des K. zur Folge hatte. Erhöhte Anforderungen an das Vorliegen einer Gesundheitsverletzung, wie sie in Fällen sogenannter Schockschäden infolge des Todes oder der schweren Verletzung Dritter, namentlich naher Angehöriger, gestellt werden (vgl. nur Senatsurteile vom 10. Februar 2015 - VI ZR 8/14, VersR 2015, 590 Rn. 9, 19; vom 27. Januar 2015 - VI ZR 548/12, VersR 2015, 501 Rn. 7, jeweils mwN), sind vorliegend nicht zu erfüllen. Der Polizeibeamte K. führt seine psychischen Beeinträchtigungen nicht mittelbar auf die Verletzung oder den Tod eines Dritten zurück, sondern darauf, dass er selbst unmittelbar dem Geschehen eines Amoklaufs ausgesetzt wurde und dieses psychisch nicht verkraften konnte.
- 11
- Für die Gesundheitsverletzung des Polizeibeamten K. war das Verhalten des Beklagten sowohl äquivalent als auch adäquat kausal.
- 12
- 2. Die geltend gemachte psychische Gesundheitsverletzung ist dem Beklagten zuzurechnen. Die Gefahr, die sich in dieser Verletzung realisiert hat, ist nicht dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen. Der Umstand, dass sich ein berufsspezifisches Risiko des Polizeibeamten K. verwirklicht hat, steht jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden der Zurechnung nicht entgegen.
- 13
- a) Der Zurechnungszusammenhang bedarf gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer gesonderten Prüfung (vgl. Senatsurteile vom 20. Mai 2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 9; vom 22. Mai2007 - VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 13 ff.; Stöhr, NZV 2009, 161, 163). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (s. nur Senatsurteil vom 20. Mai 2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 10 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
- 14
- b) In der psychischen Gesundheitsverletzung des Polizeibeamten K. hat sich nicht lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht.
- 15
- aa) Für Verkehrsunfälle hat der Senat entschieden, dass dem allgemeinen Lebensrisiko eine psychische Schädigung von Personen zuzuordnen ist, die an dem eigentlichen Unfallgeschehen nicht selbst beteiligt waren, deren Schädigung aus der bloßen Anwesenheit bei dem Unfallgeschehen herrührt und die mit den eigentlichen Unfallbeteiligten nicht in näherer Beziehung stehen (Senatsurteil vom 22. Mai 2007 - VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 14, 17). Demgegenüber hat der Senat die Haftpflicht eines Unfallverursachers in Fällen anerkannt, in denen der Geschädigte als direkt am Unfall Beteiligter eine psychische Gesundheitsverletzung erlitten hat. Maßgeblich für die Zurechnung war dabei, dass der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbaren Unfallbeteiligten aufgezwungen hat und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte (Senatsurteil vom 12. November 1985 - VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 242; vgl. Senatsurteil vom 22. Mai 2007 - VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 14). Nichts anderes hat für eine aufgezwungene unmittelbare Beteiligung des Geschädigten an einem Geschehen zu gelten, das durch eine vorsätzlich begangene Straftat ausgelöst wurde.
- 16
- bb) Anders als das Berufungsgericht wohl meint, bestehen vorliegend keine Zweifel daran, dass der Polizeibeamte K. an dem durch den Amoklauf ausgelösten Geschehen unmittelbar beteiligt war. Der Beklagte hat mit dem Amoklauf eine Gefahrenlage geschaffen. Er hat den Polizeibeamten, die zum Tatort beordert wurden, eine unmittelbare Beteiligung an dem Geschehen dahingehend aufgezwungen, sich in die Gefahrenlage zu begeben und diese mit der Festnahme des Beklagten zu beenden. Für die Rolle der Polizeibeamten als unmittelbar an dem Geschehen Beteiligte ist es nicht erheblich, wie sich der Beklagte bis zu seiner Festnahme ihnen gegenüber verhielt; insbesondere ist es nicht erforderlich, dass sie Opfer eines gezielten Angriffs des Beklagten wurden. Die infolge der unmittelbaren Beteiligung an dem Geschehen eingetretene psychische Gesundheitsverletzung des Polizeibeamten K. ging daher über das hinaus, was als zum allgemeinen Lebensrisiko gehörig hinzunehmen ist.
- 17
- c) Der Umstand, dass sich in der psychischen Gesundheitsverletzung des Polizeibeamten K. das speziell mit einem beruflichen Einsatz von Polizeibeamten verbundene, also berufsspezifische Risiko verwirklicht hat, steht der Zurechnung im vorliegenden Fall nicht entgegen.
- 18
- aa) Der Senat hatte noch nicht zu entscheiden, wie das berufsspezifische Risiko von Polizeibeamten und Rettungskräften, psychische Gesundheitsverletzungen zu erleiden, haftungsrechtlich zu werten ist.
- 19
- In Rechtsprechung und Literatur werden hierzu unterschiedliche Meinungen vertreten. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Koblenz (VersR 2011, 938 Rn. 43) ist es für die Zurechnung psychischer Gesundheitsverletzungen eines Polizeibeamten, der bei einem Einsatz angegriffen wurde und von seiner Schusswaffe Gebrauch machen musste, ebenso wie für die Zurechnung körperlicher Schädigungen unerheblich, dass sich das Berufswahlrisiko des Polizeibeamten verwirklicht hat. Das Oberlandesgericht Celle (VersR 2006, 1376, 1377) hat die Haftung für die psychische Erkrankung eines Bundesgrenzschutzbeamten , der sich nach einer Kollision von Zügen zum Unfallort begeben musste, unter anderem mit der Begründung verneint, dass sich eine Gefahr verwirklicht habe, die dem Berufsrisiko des Geschädigten zuzuordnen sei. Das Landgericht Duisburg (Urteil vom 28. September 2015 - 8 O 361/14, juris Rn. 35, 43) hat die psychische Störung eines Feuerwehrmanns aufgrund eines Rettungseinsatzes bei einer Massenveranstaltung den Organisatoren dieser Veranstaltung nicht zugerechnet, da vom Schutzzweck der möglicherweise verletzten Verkehrssicherungspflicht der Schutz von Rettungskräften davor, Erlebnisse im Rahmen eines Einsatzes nicht verarbeiten zu können, nicht erfasst werde. Die Berufung hiergegen hat das Oberlandgericht Düsseldorf (Beschluss vom 7. Juni 2016 - I-18 U 1/16, nicht veröffentlicht) zurückgewiesen, allerdings im Wesentlichen mit der Begründung, dass es an einer unmittelbaren Beteiligung des Geschädigten an dem Geschehen fehle. Auch in der Literatur wird erwogen, dass die sich aus Erfahrungen und Erlebnissen bei beruflichen Einsätzen von Polizeibeamten und anderen Rettungskräften ergebenden psychischen Risiken der Risikosphäre dieser Berufsangehörigen zugeordnet werden könnten (Stöhr, NZV 2009, 161, 164; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl., § 3 X 4, S. 147; vgl. auch Luckey, VersR 2011, 940, 941).
- 20
- bb) Der vorliegende Fall gibt dem Senat keine Veranlassung, die haftungsrechtliche Bewertung des berufsspezifischen Risikos bei psychischen Gesundheitsverletzungen allgemein und für die in dem Meinungsstreit behandelten , sehr unterschiedlichen Fallgestaltungen zu klären. Jedenfalls bei vorsätzlichen schweren Gewaltverbrechen wie dem streitgegenständlichen Amoklauf, mit denen typischerweise Angst und Schrecken verbreitet werden sollen und verbreitet werden, besteht im Rahmen der gebotenen wertenden Betrachtung kein Grund, die psychischen Auswirkungen des Geschehens auf einen daran unmittelbar beteiligten Polizeibeamten von der Zurechnung an den Schädiger auszunehmen. Zwar gehört es zur Ausbildung und zum Beruf eines Polizeibeamten , sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen , sie zu bewältigen und zu verarbeiten. Das Risiko, dass er aus einer solchen Belastungssituation eine psychische Gesundheitsverletzung davonträgt, ist aber jedenfalls bei Straftaten der vorliegenden Art nicht allein seiner Sphäre zuzurechnen. Das Verhalten eines Amokläufers wie hier des Beklagten zeichnet sich durch ein hohes Maß an Aggressivität gegenüber nicht nur der körperlichen , sondern auch der seelischen Unversehrtheit der Betroffenen aus. Ihm das Haftungsrisiko für die psychischen Auswirkungen seines Tuns insoweit ab- zunehmen, als davon Polizeibeamte betroffen sind, lässt sich bei wertender Betrachtung nicht rechtfertigen. Galke Offenloch Roloff Müller Allgayer
LG Frankenthal, Entscheidung vom 27.06.2016 - 5 O 2/14 -
OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 01.06.2017 - 4 U 124/16 -
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(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
In den Fällen, in denen der Landverlust auf einen großen Kreis von Eigentümern verteilt oder Nachteile für die allgemeine Landeskultur vermieden werden sollen (§ 87 Abs. 1 des Flurbereinigungsgesetzes vom 14. Juli 1953 - Bundesgesetzbl. I S. 591), kann der zuständige Bundesminister oder die von ihm bestimmte Bundesbehörde den Antrag auf Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens stellen. An die Stelle der vorläufigen Planfeststellung (§ 87 Abs. 2 des Flurbereinigungsgesetzes) tritt die Anordnung nach § 1 Abs. 3. Der zuständige Bundesminister oder die von ihm bestimmte Bundesbehörde ist zuständige obere Behörde im Sinne des § 88 Nr. 3 des Flurbereinigungsgesetzes. Die nach § 8 zuständige Behörde trifft die Entscheidung nach § 89 Abs. 1 des Flurbereinigungsgesetzes.
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
In den Fällen, in denen der Landverlust auf einen großen Kreis von Eigentümern verteilt oder Nachteile für die allgemeine Landeskultur vermieden werden sollen (§ 87 Abs. 1 des Flurbereinigungsgesetzes vom 14. Juli 1953 - Bundesgesetzbl. I S. 591), kann der zuständige Bundesminister oder die von ihm bestimmte Bundesbehörde den Antrag auf Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens stellen. An die Stelle der vorläufigen Planfeststellung (§ 87 Abs. 2 des Flurbereinigungsgesetzes) tritt die Anordnung nach § 1 Abs. 3. Der zuständige Bundesminister oder die von ihm bestimmte Bundesbehörde ist zuständige obere Behörde im Sinne des § 88 Nr. 3 des Flurbereinigungsgesetzes. Die nach § 8 zuständige Behörde trifft die Entscheidung nach § 89 Abs. 1 des Flurbereinigungsgesetzes.
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
1
Tatbestand
2Die Beklagte zu 1. veranstaltete am ########## auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs in E die M, in deren Verlauf zahlreiche Menschen verletzt wurden und 21 Menschen starben. Die damaligen Geschehnisse sind Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Duisburg, das in die mit der Klageschrift größtenteils wörtlich wiedergegebene Anklageerhebung gegen Mitarbeiter der Beklagten zu 1. und Bedienstete der T2 mündete (112 Js 23/11).
3Der Kläger war am ########## als beamteter Hauptbrandmeister der T2 als Helfer S2 im Einsatzabschnitt 2 (#####), zuständig für den Eskalationsfall, eingesetzt. Sein Dienst begann am ########## um 8.00 Uhr auf der Feuerwache 1, Stabsraum #####, Dachgeschoss rechts. Nach 17.00 Uhr wurde der Kläger zur Lageerkundung an den Tunnel -Straße beordert und vom Fahrdienst an der -Straße abgesetzt. Von dort aus ging der Kläger zu Fuß in Richtung des Tunnels, als ihm zahlreiche Menschen entgegenkamen, die diesen Tunnel fluchtartig, hysterisch und in Panik verließen. Dem Kläger war ein weiteres Erkunden in Richtung des Tunnels und der später mit „Rampe“ bezeichneten Ortschaft nicht möglich. Er versuchte vergeblich, die Fernmeldebetriebsstelle telefonisch zu erreichen und zog sich dann aus der ihn umgebenden und bedrängenden Menschenmenge zum Fahrdienst in der in der Klageschrift auf S. 384 beschriebenen Weise zurück. Nach seiner Rückkehr zur Feuerwache erfuhr er in einem kurzen Lagebericht, dass zu diesem Zeitpunkt etwa zehn Tote sowie mehrere Verletzte zu beklagen seien. Danach wurde der Kläger vom Fahrdienst zur Erkundung von zusätzlichen Behandlungsplätzen zur Einsatzstelle gebracht, wo er von verletzten, verstörten und traumatisierten Menschen um Hilfe gebeten und bedrängt wurde. Telefonische Verbindungen zur Einsatzleitung kamen nur zufällig zustande. Nach seiner Rückkehr zur Feuerwache trug der Kläger dem Stab ##### die aktuelle Lage vor, bevor sein Dienst am ########## gegen 3.00 Uhr endete.
4Mit Bescheid vom 12. April 2013 (Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 18. August 2015) erkannte der Oberbürgermeister der T2 gegenüber dem E2 „die Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung“ der Ärztin E3 I auf der Rechnung der Q vom 24.01.2011 als Folge der Ereignisse vom ########## und somit als Dienstunfall“ des Klägers an.
5Der Kläger behauptet im Wesentlichen – wobei wegen der Einzelheiten auf die Ausführungen zur jeweiligen Haftungsgrundlage in der Klageschrift, im Schriftsatz vom 2. März 2015 und im Schriftsatz vom 18. August 2015 Bezug genommen wird -, dass das Unglück durch schwerwiegende Pflichtverstöße der Beklagten zu 1. und 2. bei Planung, Organisation, Durchführung und Überwachung der Veranstaltung und auf grobe Pflichtverletzungen der Q2 im Rahmen der eigentlich gebotenen Gefahrenabwehr während der Veranstaltung verursacht worden sei. Infolge der Vorkommnisse während seines Dienstes am ########## sei er an einer posttraumatischen Belastungsstörung in dem in der Klageschrift auf den Seiten 385 und 386 und im Schriftsatz vom 18. August 2015 auf den Seiten 5 und 6 vertieft dargestellten Umfang erkrankt. Aufgrund dieser Belastungsstörung sei er nur noch in eingeschränktem Umfang zur Haushaltsführung imstande; die Belastungsstörung habe dazu geführt, dass er nur noch eingeschränkt dienstfähig gewesen und schließlich in den Vorruhestand versetzt worden sei. Folge der Belastungsstörung sei außerdem eine ausgeprägte Krebserkrankung des Klägers.
6Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm die Beklagten zu 1. und 2. vertraglich sowie deliktisch und das M2 wegen Amtspflichtverletzungen zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 50.000 EUR und zum Ersatz seines Haushaltsführungs- und Erwerbsschadens verpflichtet seien, der Beklagte zu 2. auch deshalb, weil er einen Schuldbeitritt erklärt habe (hierzu Klageschrift S. 352 f. und Schriftsatz vom 18. August 2015 S. 1ff).
7.
8Nachdem der Kläger seinen materiellen Schaden zunächst mit 15.470 EUR beziffert hatte, hat er seine Klage mit Schriftsatz vom 18. August 2015 erweitert.
9Er beantragt jetzt,
10- 11
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2011 zu zahlen,
- 12
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 39.144,10 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- 13
3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger jeglichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der noch anlässlich des Ereignisses am ########## im Rahmen der M entstehen wird, soweit kein Forderungsübergang stattgefunden hat,
- 14
4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Kosten in Höhe von 3.736,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
16die Klage abzuweisen.
17Die Beklagten erheben die Einrede der Verjährung und berufen sich darauf, dass sich für den Kläger ein allgemeines Lebensrisiko und ein spezifisches Berufsrisiko verwirklicht habe, was eine Haftung der Beklagten ausschließe.
18Die Beklagten zu 1. und 2. machen überdies -auch unter Bezugnahme auf den als Anlage E 2 zur Akte gereichten Bericht zur Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns der T2 anlässlich der M am ########## - im Wesentlichen geltend, dass die von der Beklagten zu 1. vorgelegten Bauunterlagen vollständig gewesen seien und den gesetzlichen Vorgaben entsprochen hätten; die Beklagte zu 1. habe ihre Verkehrssicherungspflichten weder bei der Planung noch bei der Durchführung der Veranstaltung verletzt.
19Das M2 behauptet im Wesentlichen, dass polizeiliche Handlungen oder Unterlassungen weder bei der Planung noch in der Vorgefährdungsphase oder während der Gefährdung ursächlich für die eingetretenen Schäden geworden seien, wobei wegen der weiteren Einzelheiten auf den Schriftsatz vom 17. März 2015 Bezug genommen wird.
20Entscheidungsgründe
21A.
22Soweit der Kläger im Hinblick auf einen weiteren Haushaltsführungsschaden und seinen bisher entstandenen Erwerbsschaden die Beklagten nunmehr anstelle einer diesbezüglichen Feststellung ihrer Ersatzpflicht auf Zahlung in Anspruch nimmt, ist diese qualitative Änderung des Klageantrags gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässig.
23B.
24Die geänderte Klage ist insgesamt zulässig. Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse für den Antrag zu 2. besteht, weil der Kläger die Verletzung eines absoluten Rechtsguts geltend macht und auf Grundlage seines für die Zulässigkeit allein maßgeblichen Vortrags künftige Schadensfolgen zumindest möglich sind; im Hinblick auf immaterielle Zukunftsschäden genügt dabei die Möglichkeit, dass weitere, bisher noch nicht erkennbare und voraussehbare Schäden auftreten können, die dann nicht bereits von einem zuzuerkennenden Schmerzensgeld umfasst wären (BGH NJW-RR 1989, 1367; NJW 2001, 3414; NJW-RR 2007, 601).
25C.
26Die Klage ist insgesamt unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten keine Ersatzansprüche.
27Die Beklagte zu 1. haftet nicht gemäß § 280 Abs. 1 BGB wegen einer schuldhaften Verletzung des Rahmenvertrags zur Durchführung der M, in dessen Schutzbereich der Kläger ggf. einbezogen wäre, oder gemäß § 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1 Satz 1, § 843 Abs. 1 BGB wegen einer die Gesundheit des Klägers schädigenden eigenen Verkehrssicherungspflichtverletzung oder einer solchen Verletzung durch einen Verrichtungsgehilfen.
28Der Beklagte zu 2. haftet nicht nach den Grundsätzen über die Eigenhaftung des Geschäftsführers auf vorvertraglicher Grundlage, § 311 Abs. 3, § 280 Abs. 1 BGB; er haftet auch nicht deliktisch, etwa weil er selbst Verkehrssicherungspflichten verletzt, gegen Schutzgesetze verstoßen oder den Kläger gar sittenwidrig vorsätzlich geschädigt hätte, § 823 Abs. 1, Abs. 2, § 826, § 843 Abs. 1 BGB.
29Das M2 wiederum haftet nicht gemäß § 839 Abs. 1 BGB wegen fahrlässig von Polizeibeamten verletzten Amtspflichten.
30In Ermangelung der Schuld eines anderen Beklagten kann der Beklagte zu 2. schließlich auch keiner Schuld beigetreten sein.
31I.
32Dabei liegen (vor-) vertragliche Ansprüche des Klägers gegenüber den Beklagten zu 1. und 2. fern. Zwischen den Parteien besteht eindeutig keine (vor-) vertragliche Sonderbeziehung, innerhalb derer die Beklagten Pflichten gegenüber dem Kläger verletzt haben könnten. Der Kläger ist auch nicht als Dritter in etwa bestehende Sonderbeziehungen zwischen den Beklagten und der T2 oder den Beklagten und Besuchern der M einzubeziehen. Er war weder Besucher der M, noch naher Angehöriger geschädigter Besucher, sondern im hoheitlichen Auftrag als Feuerwehrmann im Rahmen eines Rettungseinsatzes tätig.
33II.
34Eine deliktische Haftung der Beklagten scheidet ebenfalls aus.
35Dabei muss nicht im Einzelnen dazu Stellung genommen werden, ob und ggf. welche tatbestandlichen Voraussetzungen der vom Kläger für sich in Anspruch genommenen deliktischen Haftungsnormen durch seinen auch an den Hinweisen der Kammer zu messenden Vortrag hinreichend ausgefüllt worden sind.
36Es kommt auch nicht darauf an, ob die Beklagten überhaupt auf den Kläger bezogene Verkehrssicherungspflichten und/oder Amtspflichten im Zusammenhang mit Planung, Organisation, Durchführung und Überwachung der M verletzt haben.
37Schließlich kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass er – wie in der Klageschrift vorgetragen – aufgrund der in der Klageschrift auf den Seiten 383 ff geschilderten Vorkommnisse auf der M eine posttraumatische Belastungsstörung mit den vom Kläger behaupteten Folgen erlitt.
381.
39Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagten scheidet jedenfalls deshalb aus, weil eine unterstellte Belastungsstörung einem unterstellten Fehlverhalten der Beklagten nicht zugerechnet werden könnte.
40Jede Schadensersatzpflicht setzt voraus, dass der Schaden durch das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis verursacht worden ist. Dabei geht es vorliegend um die Frage, ob zwischen dem Verhalten des Schädigers – hier: unterstelltes Fehlverhalten der Beklagten – und der eingetretenen Rechtsgutsverletzung – hier: Gesundheitsschaden des Klägers in Gestalt der unterstellten Belastungsstörung – ein Ursachenzusammenhang gegeben ist. Dieser Ursachenzusammenhang fehlt hier.
41a)
42Wie bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit den Parteien ausgiebig erörtert, setzt dieser Ursachenzusammenhang (vgl. eingehend etwa Palandt-Grüneberg, 74. Aufl., Vorb v § 249 BGB Rn. 24 ff und BGH NJW 2011, 2960 Tz. 35, 39, 40 f.) neben einer rein naturwissenschaftlichen Betrachtung (Äquivalenz: Welche Ursache kann nicht weggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfällt?) und einer Einschränkung durch eine nachträgliche objektive Prognose (Adäquanz: Welcher Schadenseintritt liegt außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit?- vgl. BGH NJW-RR 2001, 887) auch eine juristisch wertende Betrachtung voraus, um eine allzu ausufernde Haftung sinnvoll zu begrenzen. Danach ist ein - äquivalenter und adäquater - Schaden nur dann zu ersetzen, wenn er in den Schutzbereich der verletzten Vorschrift fällt. Dies gilt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung unabhängig davon, auf welche Bestimmung die Haftung gestützt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte vertragliche oder vorvertragliche Pflicht übernommen worden ist (BGH NJW 2014, 2190 [2191 Tz. 10] mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Schadensersatzpflicht hängt dabei zum einen davon ab, ob die verletzte Bestimmung überhaupt den Schutz Einzelner bezweckt und der Verletzte gegebenenfalls zu dem geschützten Personenkreis gehört. Zum anderen muss geprüft werden, ob die Bestimmung das verletzte Rechtsgut schützen soll. Darüber hinaus muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen (BGH aaO m.w.N.).
43b)
44Im Hinblick auf den geschützten Personenkreis gilt dabei im Grundsatz, dass nur „der andere“ (vgl. nur § 823 Abs. 1, 2, §§ 824, 825, 826, 827, 831 BGB) bzw. eine konkret benannte Person wie „der (von der Amtspflicht geschützte) Dritte“ (vgl. § 839 Abs. 1 BGB) Schadensersatz beanspruchen kann, also derjenige, dessen Rechtsgüterunmittelbar vom Schädiger schuldhaft und widerrechtlich verletzt worden sind. Das geltende Recht sieht deshalb grundsätzlich keine Ersatzansprüche für lediglich mittelbar erlittene Gesundheitsschäden vor. Eine Haftung des Schädigers kommt insbesondere dann regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Geschädigte an einem Unfallgeschehen selbst nicht unmittelbar beteiligt war, sondern eine psychische Gesundheitsbeeinträchtigung auf das Miterleben eines schweren Unfalls zurückführt (ständige Rechtsprechung BGH NJW 1989, 2317 (2317 f. m.w.N.); BGHZ 172, 263 = NJW 2007, 2764).
45Mittelbar geschädigte Dritte können folgerichtig nur ausnahmsweise eigene Ersatzansprüche gegen den Schädiger haben. Dies ist neben den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen (§ 844 Abs. 1, Abs. 2, § 845 BGB) aufgrund richterlicher Rechtsfortbildung bei bestimmten Schockschäden der Fall, die wegen des Todes oder einer schweren Verletzung naher Angehöriger erlitten werden (hierzu ausführlich und mit zahlreichen Nachweisen Diederichsen NJW 2013, 641 (647 ff)).
46c)
47Vom Schutzzweck der Norm sind darüber hinaus solche Gefahren nicht erfasst, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen sind. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat (ständige Rechtsprechung BGH NJW 2014, 2190 (2191 Tz. 10) m.w.N.); hierunter fällt wiederum insbesondere das Risiko des Geschädigten, ein dramatisches Ereignis mitzuerleben und seelisch nicht zu verkraften, bei dem ein anderer verletzt wird.
48d)
49Vom Schutzzweck der Norm sind schließlich nach den vorgenannten Grundsätzen auch solche Gefahren nicht erfasst, mit denen der Geschädigte aufgrund seines Berufs typischerweise konfrontiert wird. Gerade für Rettungskräfte (Polizeibeamte, Feuerwehrleute, Notärzte) gehört es zu Ausbildung und Beruf, im Rahmen von Einsätzen mit dramatischen Ereignissen konfrontiert zu werden, etwa mit Explosionen, Großbränden, Naturkatastrophen und anderen schweren Unglücken, bei denen Menschen bereits zu Schaden gekommen oder gestorben sind (hierzu auch Luckey VersR 2011, 938 (941)). Können diese Rettungskräfte das Erlebte nicht (mehr) verarbeiten und erkranken psychisch, etwa an einer posttraumtischen Belastungsstörung, hat sich gerade eine Gefahr aus ihrem beruflichen Risikobereich verwirklicht. Diese Gefahr ist dann nicht demjenigen zuzurechnen, der den Einsatz überhaupt erst ausgelöst hat.
50aa)
51Rechtskräftig entschieden ist das zum einen im Fall eines Polizeibeamten, der einen schweren Unfall im Dienst aufnehmen musste, bei dem ein Geisterfahrer frontal mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte, bei dem dann beide Pkw aus- und alle Insassen verbrannten. Der Bundesgerichtshof (BGHZ 172, 263 = NJW 2007, 2764) hat insoweit ausgeführt, dass die geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen durch ein posttraumatisches Belastungssyndrom „nicht auf einer Handlung zur Vermeidung einer Kollision mit dem falsch fahrenden Fahrzeug beruhen“, (sondern) auf eine psychisch vermittelte Schädigung zurückzuführen sind, die (…) dadurch entstanden ist, dass die Polizeibeamten mit ansehen mussten, wie die Insassen (…) verbrannten.“ Unter diesen Umständen könne ein solcher Gesundheitsschaden nicht zugerechnet werden.
52Entgegen den Anmerkungen von Luckey (VersR 2011, 940 [941]) und Stöhr (NZV 2009, 161 [164]) ging es in diesem Fall nicht nur um den Polizeibeamten T, der außerhalb seines Dienstes dem Geisterfahrer ausweichen musste und dann Zeuge des Unfalls wurde, sondern gerade auch um Ansprüche des Polizeibeamten D, der zur Unfallaufnahme hinzukam, sich mithin im Dienst befand.
53Hervorzuheben ist außerdem, dass in dieser Entscheidung der Bundesgerichtshof gerade zwischen zurechenbaren, erstattungsfähigen unmittelbaren Körperschäden (dort: ein erlittenes HWS-Syndrom des Polizeibeamten T) und den nicht zurechenbaren, nicht erstattungsfähigen mittelbaren Gesundheitsschäden (dort: Belastungsstörungen wegen der psychischen Fehlverarbeitung des Geschehens durch die Polizeibeamen T und D) differenziert hat.
54bb)
55Mit der fehlenden Zurechenbarkeit von mittelbaren Gesundheitsschäden aufgrund eines Rettungseinsatzes hat sich zum anderen das Oberlandesgericht Celle befasst. Im dortigen Fall wurde ein Bundesgrenzschutzbeamte zu einem Unfalleinsatz gerufen, nachdem zwei Güterzüge kollidiert waren, was eine schwere Explosion eines mit giftigen Chemikalien beladenen Kesselwagens zur Folge hatte; der Beamte machte geltend, aufgrund dieses Einsatzes an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt zu sein (VersR 2006, 1376 mit Nichtzulassungsbeschluss des Bundesgerichtshofs vom 16.05.2006 – VI ZR 108/05). In diesem Urteil heißt es auszugsweise:
56„Der mittelbar Geschädigte hat in aller Regel keinen Schadensersatzanspruch. Er muss also seinen Schaden selbst tragen, weil andernfalls uferlose Ersatzansprüche bestünden. (…) Der Kläger musste sich darüber hinaus von Berufs wegen zu dem Unfall begeben, wo er aber lediglich – wie gesagt – Zeuge einer bereits geschehenen Rechtsgutsverletzung war. So weit reicht aber der Schutzzweck etwa verletzter Normen nicht. Es hat sich vielmehr eine Gefahr verwirklicht, die dem Berufsrisiko des Klägers zuzuordnen ist. Dafür muss gegebenenfalls sein Dienstherr nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen einstehen.“
57e)
58Bezogen auf den vorliegenden Fall ist danach festzustellen, dass sich der Kläger im Rahmen eines Rettungseinsatzes dienstlich zunächst zu einem Bereich begab, in dem ihm traumatisierte Menschen entgegenkamen und ihn bei ihrer Flucht bedrängten, so dass er seinen Einsatz abbrechen und zurückweichen musste; später wurde er dann zum Einsatzort zur Erkundung von zusätzlichen Behandlungsplätzen zur Einsatzstelle gebracht, wo er von verletzten, verstörten und traumatisierten Menschen um Hilfe gebeten und bedrängt wurde. Er macht dabei - wie die Beamten in den beiden vorgeschilderten Fällen – geltend, dass er in Folge der Erlebnisse eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten habe.
59Eine solche Belastungsstörung würde bei der gebotenen wertenden Betrachtung anhand der dargestellten Grundsätze nicht auf einer Handlung oder Unterlassung der Beklagten, sondern auf einer psychisch vermittelten Schädigung beruhen, die dadurch entstanden wäre, dass der Kläger im Rahmen eines Rettungseinsatzes das von ihm beschriebenen Verhalten von Flüchtenden und Verletzten miterleben musste und überdies erfuhr, dass auf der M Menschen ums Leben gekommen waren.
60Anders ausgedrückt bezweckten die von den Beklagten bei Planung, Organisation, Durchführung und Überwachung der M zu beachtenden Verkehrssicherungs- bzw. Amtspflichten (u.a.) den Schutz der Besucher vor Körper- und Gesundheitsschäden, nicht aber den Schutz von Rettungskräften davor, dass sie Erlebnisse im Rahmen eines Rettungseinsatzes psychisch nicht würden verarbeiten können.
61Ein Fall, in dem ausnahmsweise ein nur mittelbar Geschädigter Schadensersatz verlangen kann (oben a)) liegt eindeutig nicht vor: Es geht hier weder um den Wegfall gesetzlicher Unterhaltsansprüche bei Tod eines nahen Angehörigen (§ 844 Abs. 2 BGB), noch um den Ersatz entgangener Dienste eines hierzu gesetzlich verpflichteten Angehörigen (§ 845 BGB), noch um einen Schockschaden wegen einer schweren Verletzung naher Angehöriger.
62Nach alledem fehlt der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen einem Tun der Beklagten und der – unterstellten – Belastungsstörung des Klägers: Der Kläger ist weder durch etwa verletzte Verkehrssicherungs- bzw. Amtspflichten geschützt, noch sollten solche Pflichten davor schützen, im Rahmen eines Rettungseinsatzes mittelbar an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken.
632.
64Diesem Ergebnis stehen die vom Kläger für sich in Anspruch genommenen Entscheidungen der Landgerichte Münster (Urteil vom 29. August 2002, 8 S 210/02, NJW-RR 2002, 1677) und Aachen (Urteil vom 29. Juli 2015, 8 O 555/12) sowie des Oberlandesgerichts Koblenz (Urteil vom 8. März 2010, 1 U 1137/06, VersR 2011, 938) und der Vergleich des Landgerichts Nürnberg-Fürth (9 O 9532/10) nicht entgegen. Die zugrunde liegenden Lebenssachverhalte unterscheiden sich evident von dem hier zur Entscheidung stehenden Sachverhalt, weil die Geschädigten in absolut geschützten Rechtsgütern jeweils unmittelbar – überdies im Rahmen von Vorsatztaten - vom Schädiger verletzt wurden:
65a)
66Im Fall des Landgerichts Münster wurde ein Polizist angespuckt, mithin Opfer einer unmittelbar gegen ihn gerichteten Straftat.
67Gleiches gilt in den Fällen des Landgerichts Aachen, bei dem ein Justizvollzugsangestellter von Gefangenen während deren Flucht niedergeschlagen wurde, und des Oberlandesgerichts Koblenz, in dem ein Polizeibeamter nach den dortigen Feststellungen von den Schädigern strafbewehrt bedroht und genötigt wurde.
68b)
69Im Fall des Landgerichts Nürnberg-Fürth wiederum wurde ein Lokführer von einem Selbstmörder dazu genötigt, diesen zu überfahren, also als Mittel für dessen Selbsttötung missbraucht. Damit war der Lokführer gezwungenermaßen unmittelbar am Selbstmordgeschehen beteiligt. Diese Situation entspricht damit einem Geschehen, in dem der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines Unfallbeteiligten unmittelbar aufzwingt (vgl. etwa OLG Hamburg Urt. v. 28. 2. 2006 – 14 U 211/04 mit Nichtzulassungsbeschluss des Bundesgerichtshofs vom 23.01.2007 – VI ZR 261/06; hierzu auch Stöhr NZV 2009, 161 [163 f.]), nicht aber dem hier in Rede stehenden Geschehen, bei dem der Kläger im Rahmen eines beruflichen Einsatzes ein bereits verwirklichtes Geschehen miterlebt und später nicht verarbeiten kann.
703.
71Der Kläger kann schließlich keine für sich günstigere Rechtfolge daraus herleiten, dass einzelne Bundesländer im Dienst verletzten Beamten Schadensersatzansprüche gegenüber Schädigern abkaufen (Schriftsatz vom 18. August 2015 S. 13) oder dass im Gesetz zur Regelung der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen gerade auch Regelungen für Gesundheitsstörungen geschaffen worden sind, die erst nach dem Ende der Dienstzeit erkannt werden, insbesondere also posttraumatische Belastungsstörungen. Beides betrifft das Verhältnis zwischen Dienstherrn und Dienstverpflichtetem, nicht aber die Frage, ob ein Dritter für Gesundheitsschäden aufkommen muss, die der Dienstverpflichtete im Dienst erleidet.
72Die Schriftsätze des Klägers vom 4. September 2015 und der Beklagten zu 1. und 2. vom 21. September 2015 boten keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.
73D.
74Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1, § 709 Satz 1, 2 ZPO.
75E.
76Streitwert:
77Bis zum 23. August 2015: 80.470 €; seitdem 126.644,10 EUR.