Bundesgerichtshof Urteil, 02. Dez. 2009 - IV ZR 181/07

bei uns veröffentlicht am02.12.2009
vorgehend
Landgericht Augsburg, 2 O 1153/03, 12.08.2003
Oberlandesgericht München, 14 U 691/03, 21.06.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 181/07 Verkündetam:
2.Dezember2009
Fritz
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtin
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
AVB Unfallversicherung (hier AUB 88, § 11 IV)
Aus dem allein vom Versicherungsnehmer einer Unfallversicherung nach § 11 IV
AUB 88 fristgemäß vorbehaltenem Recht, die Neubemessung der Invalidität zu verlangen
, erwächst für den Versicherungsnehmer nicht die Pflicht, eine solche Neubemessung
tatsächlich herbeizuführen. Die Weigerung des Versicherungsnehmers,
zum Zweck der Neubemessung einen vom Versicherer benannten Arzt aufzusuchen,
steht insoweit einem - zulässigen - Verzicht auf die Neubemessung gleich und verletzt
nicht die Obliegenheit aus § 9 IV AUB 88.
BGH, Urteil vom 2. Dezember 2009 - IV ZR 181/07 - OLG München
LG Augsburg
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf
und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember
2009

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird - unter Zurückweisung der Anschlussrevision der Beklagten - das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg, vom 21. Juni 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Antrag auf Zahlung von 65.445,38 € nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 23. August 2002 in Höhe von 57.428,33 € nebst darauf entfallende Zinsen zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der am 1. Februar 2000 aus 3,5 Metern Höhe von einer Leiter gestürzte Kläger fordert weitere Invaliditätsleistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Unfallversicherung, der die AUB 88 zugrunde liegen.
Die Parteien streiten unter anderem um den Grad der Invalidität, den der Kläger durch die bei dem Sturz erlittenen Verletzungen davongetragen hat. Vorgerichtlich hat die Beklagte auf der Grundlage eines von Ärzten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. in ihrem Auftrag am 12. Juli 2001 erstatteten Gutachtens, welches zur Feststellung eines Invaliditätsgrades von 30% gelangt war, eine Versicherungsleistung von 24.051,18 € erbracht.
2
Der Kläger meint, er sei bis zu 80% invalide und fordert daher eine zusätzliche Versicherungsleistung in Höhe von 65.445,38 €. Er hat mit Schreiben an die Beklagte vom 11. August 2001 Widerspruch gegen die von der Beklagten in deren Schreiben vom 7. August 2001 vorgenommene Erstfestsetzung seines Invaliditätsgrades erhoben und zugleich dessen Neufestsetzung nach 15 Monaten gefordert. Mit Schreiben vom 15. August 2001 erklärte sich die Beklagte lediglich dazu bereit, das Neufestsetzungsverfahren gemäß § 11 IV AUB 88 ein Jahr nach der Erstbegutachtung mittels einer weiteren Begutachtung des Klägers durchzuführen. Dementsprechend wurde der Kläger Ende Mai/Anfang Juni 2002 von der Beklagten und der von ihr erneut beauftragten Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. aufgefordert, sich am 8. Juli 2002 nochmals zur Untersuchung und Begutachtung einzufinden. Der Kläger erhob daraufhin in einem Schreiben an die Beklagte vom 2. Juli 2002 den Vorwurf, die Ärzte der Unfallklinik hätten ihn schon 2001 unzureichend , insbesondere unter Außerachtlassung zahlreicher Befunde und unter Manipulation von Röntgenbildern "inkompetent" untersucht. Er halte deshalb eine erneute Untersuchung in derselben Klinik für sinnlos. Mit Schreiben an die Unfallklinik vom selben Tage sagte der Kläger den anberaumten Untersuchungstermin ab.
3
Die Beklagte wies den Kläger unter dem 11. Juli 2002 schriftlich auf § 9 IV AUB 88 und die darin geregelte Obliegenheit hin, sich von Ärzten untersuchen zu lassen, die der Versicherer beauftrage. Für den Fall erneuter Weigerung wurde der Kläger zugleich auf drohende Leistungsfreiheit des Versicherers hingewiesen (§ 10 AUB 88). Dennoch beharrte der Kläger sowohl telefonisch als auch schriftlich auf seiner Weigerung , sich der Untersuchung durch Ärzte der Unfallklinik M. zu stellen.
4
23. August Am 2002 teilte ihm die Beklagte unter Berufung auf §§ 9 IV und 10 AUB 88 schriftlich mit, sie sei nunmehr leistungsfrei und sehe die Bearbeitung seiner Unfallangelegenheit damit als "endgültig beendet" an.
5
Hiergegen wendet sich die Klage, mit der der Kläger unter Berufung auf den nach seiner Behauptung höheren Invaliditätsgrad weitere 65.445,38 € fordert.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat dem Kläger nach erneuter Begutachtung seines Gesundheitszustandes auf der Grundlage eines dabei festgestellten Invaliditätsgrades von 40% weitere 8.017,05 € nebst Zinsen zugesprochen und seine Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Insoweit verfolgt der Kläger mit der Revision sein ursprüngliches Begehren weiter.
7
ihrer Mit Anschlussrevision wendet sich die Beklagte gegen das Berufungsurteil, soweit sie darin zur Zahlung verurteilt worden ist.

Entscheidungsgründe:


8
Das Rechtsmittel des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils , soweit der Antrag auf Zahlung von weiteren 65.445,38 € nebst Zinsen in Höhe von 57.428,33 € nebst darauf entfallende Zinsen zurückgewiesen worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
9
Die Anschlussrevision der Beklagten hat keinen Erfolg.
10
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte sei nicht deshalb von der Leistungspflicht frei geworden, weil sich der Kläger geweigert habe, sich nochmals von Ärzten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. begutachten zu lassen. Die Obliegenheit aus § 9 IV AUB 88 sei nicht verletzt. Sie betreffe lediglich den Fall, dass der Versicherer eine ärztliche Untersuchung für erforderlich halte und der Versicherungsnehmer eine solche im Interesse des Versicherers vorgesehene Untersuchung verweigere. Hier sei Anlass der erneuten Untersuchung aber das Widerspruchsschreiben des Klägers vom 11. August 2001 gewesen , mit welchem er sich vorwiegend gegen die Erstfestsetzung seiner Invalidität gewandt habe. Zwar habe er in dem genannten Schreiben auch verlangt, von der Möglichkeit einer ärztlichen Neubemessung seiner Invalidität binnen 15 Monaten Gebrauch zu machen, seine Einwendungen hätten sich aber in erster Linie gegen die Erstbemessung der Invalidität gerichtet. Die Beklagte habe sich mit der weiteren Begutachtung des Klägers einverstanden erklärt. Damit sei die erneute Begutachtung nicht im Interesse der Beklagten, sondern allein im Interesse des Klägers vorgesehen worden. Das könne nicht dazu führen, dass aus dem Wunsch des Klägers eine Obliegenheit gegenüber der Beklagten werde. Dass er die von ihm selbst geforderte Begutachtung letztlich nicht ermöglicht habe, habe keine Interessen der Beklagten verletzt.
11
Die Höhe der Versicherungsleistung hat das Berufungsgericht unter Berücksichtigung eines dem Kläger von der Beklagten zugesagten Treuebonus auf der Grundlage des seiner Auffassung nach überzeugenden Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. M. bestimmt, der den Invaliditätsgrad des Klägers bezogen auf den 1. Februar 2003 auf 40% bemessen hat. Infolge der Ausführungen dieses Sachverständigen sei die Einholung weiterer Gutachten nicht mehr geboten gewesen.
12
Das II. hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Berufungsgericht bei der Feststellung des Invaliditätsgrades des Klägers dessen Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat, indem es von ihm vorgelegte ärztliche Stellungnahmen zu seinem Gesundheitszustand übergangen hat.
13
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter Äußerungen medizinischer Sachverständiger kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit prüfen und insbesondere auf die Aufklärung von Widersprüchen hinwirken, die sich innerhalb der Begutachtung eines Sachverständigen wie auch zwischen den Äußerungen mehrerer Sachverständiger ergeben (Senatsurteil vom 25. Februar 2009 - IV ZR 27/08 - VersR 2009, 817 Tz. 9; BGH, Urteil vom 4. März 1997 - VI ZR 354/95 - NJW 1997, 1638 unter II 1 b, jeweils m.w.N.). Dies gilt insbesondere bei der Beurteilung besonders schwieriger wissen- schaftlicher Fragen (Senatsurteil vom 25. Februar 2009 aaO; vgl. dazu schon BGH, Urteil vom 12. Januar 1962 - V ZR 179/60 - NJW 1962, 676 unter 1). Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter zudem besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (Senatsurteile vom 25. Februar 2009 aaO; vom 24. September 2008 - IV ZR 250/06 - VersR 2008, 1676 unter Tz. 11 und vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03 - VersR 2005, 676 unter II 2 b, jeweils m.w.N.).
14
2. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
15
a) Unstreitig hat sich der Kläger bei dem Sturz von der Leiter eine Deckplattenimpressionsfraktur des achten Brustwirbels und der vorderen Oberkante des dritten Lendenwirbels, ferner Kompressionsfrakturen des zwölften Brust- und des zweiten Lendenwirbels zugezogen. Daraus resultiert eine posttraumatische Fehlstatik der Wirbelsäule mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung und Funktionsbehinderung jedenfalls der Lendenwirbelsäule. Die so verursachten dauerhaften Gesundheitsschäden hat der gerichtlich bestellte Sachverständige vorwiegend auf orthopädischem Gebiet gesehen und mit einem Invaliditätsgrad von 40% bewertet.
16
b) Demgegenüber hat der Kläger weitergehende Beschwerden behauptet : Es habe sich infolge des Sturzes ein Rippenbuckel gebildet, außerdem seien beidseitige Schultergürtelstörungen mit Bewegungsein- schränkungen beider Schultergelenke und ein Schulterhochstand rechts eingetreten. Infolge der Brustkorbverletzungen komme es bei ihm nicht nur zu Lungenfunktionsstörungen und Beeinträchtigungen der Atmung, sondern es habe auch eine mit den Verletzungen einhergehende Lockerung der Brustkorbaufhängung mit nachfolgender Brustkorbverschiebung zu Herzfunktionsstörungen geführt. Die Lendenwirbelverletzungen hätten zudem eine neurogene Blasenentleerungsstörung zur Folge. Schließlich habe der Sturz auch Morbus Bechterew und Rheumatismus ausgelöst.
17
c) Diesen Vortrag, der sich unter anderem auch auf vom Kläger vorgelegte ärztliche Äußerungen stützt, hat das Berufungsgericht nicht ausreichend beachtet.
18
aa) Seine Überzeugung, beim Kläger habe sich kein Rippenbuckel gebildet, stützt es auf den in der Berufungsverhandlung genommenen Augenschein und die begleitende Erklärung des gerichtlich bestellten Sachverständigen, die beobachtete leichte Verformung beruhe nicht auf einer knöchernen Deformierung, sondern auf einer lokalen Muskelverhärtung. Das übersieht, dass der Sachverständige selbst in seinem schriftlichen Gutachten eine posttraumatische Fehlstatik der Wirbelsäule in horizontaler und sagittaler Richtung mit einer diskreten Rippenbuckelbildung links festgestellt hat. Das Berufungsurteil löst den darin liegenden Widerspruch zu den mündlichen Angaben des Sachverständigen nicht auf. Es nimmt weiter nicht dazu Stellung, dass auch die Orthopäden Dr. T. (Fachärztlicher Bericht vom 28. August 2001) und Dr. L. (Arztbrief vom 20. August 2001) ausweislich der vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen die Ausbildung eines leichten Rippenbuckels bescheinigt haben. Es ist auch nicht erkennbar, inwieweit das Berufungsgericht aus eigener Sachkunde in der Lage war, zu entscheiden, ob die von ihm bei gebückter Körperhaltung des Klägers beobachtete diskrete Verformung des Rückens auf einer knöchernen oder einer lediglich muskulären Ursache beruht.
19
Auch bb) sonstige, auf einer unfallbedingten Deformation des Brustkorbes beruhende Beschwerden, wie Atem- oder Herzstörungen, hat das Berufungsgericht im Anschluss an die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen ausgeschlossen. Dieser hat es zwar für möglich erachtet, dass der Kläger beim Sturz eine Herzprellung erlitten habe, eine solche heile indes folgenlos aus. Das Berufungsgericht hat dabei nicht erörtert, dass das vom Kläger vorgelegte Gutachten des Kardiologen Dr. N. zu dem Ergebnis gelangt war, der Kläger leide an einer globalen Herzinsuffizienz, die als Unfallfolge interpretiert werden könne. Warum das Berufungsgericht demgegenüber der gutachtlichen Einschätzung des von ihm beauftragten Neurochirurgen den Vorzug gibt, lässt das Berufungsurteil nicht erkennen.
20
Auch dazu, dass die Internistin W. dem Kläger in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 30. Juli 2003 eine geringgradige restriktive Ventilationsstörung mit einer Einschränkung der Totalkapazität auf 80% und der Vitalkapazität auf 73% des Normwertes attestiert und einen Zusammenhang mit dem Sturz von der Leiter insoweit für möglich erachtet hat, verhält sich das Berufungsurteil nicht. Ebenso wenig befassen sich das Berufungsgericht und der von ihm bestellte Sachverständige mit der ärztlichen Stellungnahme des Lungenfacharztes Dr. Sch. vom 21. Juni 2004, in welcher neben der Feststellung einer leicht eingeschränkten Lungenfunktion der Verdacht einer Asthmaerkrankung und eines Schlafapnoesyndroms ausgesprochen werden. Es ist insoweit nicht ersichtlich, ob und mit welchen Erwägungen das Berufungsgericht ange- nommen hat, ein Zusammenhang dieser Beschwerden mit dem Sturz des Klägers sei nicht erwiesen.
21
cc) Mit Blick auf die vom Kläger geltend gemachte Blasenentleerungsstörung hat der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, eine Unfallbedingtheit sei praktisch im Rahmen einer spinalen Kontusion kaum vorstellbar, solange nicht gleichzeitig eine relevante Einengung des Spinalkanals im Frakturbereich und neurologisch bedingte Ausfälle der unteren Extremitäten vorlägen. In seiner mündlichen Anhörung hat er ergänzt, neurogene Blasenentleerungsstörungen träten nur in Fällen auf, in denen eine höhergradige Verlegung des Spinalkanals und des Rückenmarkkanals, etwa durch Bruchstücke des Wirbelkörpers, vorliege. In einem solchen Fall seien begleitende neurologische Auswirkungen, etwa ein Cauda-Syndrom (sog. Reithosenanästhesie), zu erwarten. Das Berufungsgericht folgert daraus, der Sachverständige habe eine unfallbedingte neurogene Blasenentleerungsstörung überzeugend ausgeschlossen. Das Berufungsurteil verhält sich aber nicht dazu, dass der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten eine neurologische Ausfallerscheinung, nämlich eine "sensibel inkonstant streifige" Verminderung der Empfindlichkeit für Berührungsreize (Hypästhesie) im Bereich der ventralen Oberschenkel sowie beider lateralen Unterschenkel festgestellt hatte. Ebenso wenig nimmt das Berufungsgericht dazu Stellung, dass anlässlich der Kernspintomographie in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. am 9. Februar 2001 eine leichte Einengung des Spinalkanals im Bereich der Lendenwirbelkörper zwei und drei diagnostiziert worden war, wie sich aus einem vom Kläger vorgelegten Bericht der Unfallklinik ergibt. Der Urologe Dr. S. hat in mehreren vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen angenommen, es liege beim Kläger eine ausgeprägte neuroge- ne Blasenentleerungsstörung vor. Im urodynamischen Gutachten vom 24. Juli 2003 hat er ausgeführt, Ursache sei mit hoher Wahrscheinlichkeit die Kompressionsfraktur der beiden Lendenwirbelkörper. Das Berufungsurteil befasst sich damit nicht. Weshalb das Berufungsgericht stattdessen die Ausführungen des gerichtlich bestellten Gutachters für überzeugender hält und aufgrund welcher besonderen Sachkunde das Berufungsgericht dies beurteilen konnte, kann dem Berufungsurteil nicht entnommen werden.
22
III. Die Anschlussrevision der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Die Beklagte ist nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers nach §§ 9 IV, 10 AUB 88, § 6 Abs. 3 VVG a.F. leistungsfrei geworden, nachdem dieser sich geweigert hat, sich auf Verlangen der Beklagten im Jahre 2002 erneut von Ärzten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. untersuchen zu lassen.
23
Dafür sind folgende Erwägungen maßgeblich:
24
1. Nach der Systematik des § 11 AUB 88 ist, was die Bemessung der unfallbedingten Invalidität anlangt, zu unterscheiden: Zunächst hat sich der Versicherer gemäß § 11 I AUB 88 nach Erhalt der in der Klausel näher bezeichneten Unterlagen binnen bestimmter Frist - beim Invaliditätsanspruch binnen drei Monaten - zu erklären, ob und in welcher Höhe er den Anspruch anerkennt. Bei dieser Erstbemessung bleibt es - unbeschadet der Möglichkeit des Versicherungsnehmers, in einem Rechtsstreit eine ihm günstigere Erstbemessung zu erstreiten - grundsätzlich, soweit keine der Vertragsparteien von ihrem Recht Gebrauch macht, den Grad der Invalidität - längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall - ärzt- lich neu bemessen zu lassen (§ 11 IV AUB 88). In diese zweite Stufe der Invaliditätsbemessung gelangen die Vertragsparteien indessen nur dann, wenn entweder der Versicherungsnehmer, der Versicherer oder beide das Recht auf Neubemessung - fristgebunden - ausüben, d.h. gegenüber dem jeweils anderen eine entsprechende Erklärung abgeben. Unterbleibt eine solche Erklärung oder erfolgt sie nicht fristgemäß, hat die jeweilige Vertragspartei das Recht auf Neubemessung verloren.
25
Beide Stufen der Invaliditätsbemessung sind zwar dadurch verknüpft , dass die Erstbemessung unter dem Vorbehalt einer Änderung steht, soweit sich eine oder beide Vertragsparteien die Neubemessung der Invalidität vorbehalten haben und es tatsächlich zu einer Neubemessung gemäß § 11 IV AUB 88 kommt. Unbeschadet dessen sind die Stufen der Invaliditätsbemessung jeweils rechtlich eigenständig zu betrachten.
26
2. Im vorliegenden Falle hat der Kläger mit seinem Schreiben vom 11. August 2001 zum einen eine Abänderung der Erstbemessung bezogen auf den für diese maßgeblichen Zeitpunkt begehrt, denn er hat geltend gemacht, bereits zu dieser Zeit an weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen gelitten zu haben, die bei der Bemessung durch die Beklagte unberücksichtigt geblieben seien. Er hat schließlich, darauf gestützt , nach Ablauf der Frist des § 11 IV AUB 88 Klage erhoben und auch mit dieser eine ihm günstigere Erstbemessung begehrt.
27
Daneben hat der Kläger mit seinem Schreiben vom 11. August 2001 sein Recht auf Neubemessung des Invaliditätsgrades (§ 11 IV AUB 88) ausgeübt, während die Beklagte davon abgesehen hat. Daraus ergibt sich zunächst: Der Streit der Parteien im vorliegenden Rechtsstreit be- trifft allein die Erstbemessung der Invalidität gemäß § 11 I AUB 88. Das Recht des Klägers, im Klagewege eine seiner Ansicht nach zutreffende höhere Erstbemessung der Invalidität durchzusetzen, lässt sein - ausgeübtes - Recht, eine Neubemessung der Invalidität zu verlangen, unberührt und besteht unabhängig davon fort. Die Beklagte dagegen hat ihr Recht auf Neubemessung der Invalidität verloren, weil sie es nicht i.S. von § 11 IV AUB 88 ausgeübt hat.
28
3. Mit Blick auf die Erstbemessung der Invalidität besteht danach eine Obliegenheit des Klägers, sich auf Verlangen der Beklagten ärztlich untersuchen zu lassen (§ 9 IV AUB 88), nicht mehr. Die Beklagte hat ihre Entscheidung über die Erstbemessung mit ihrem Schreiben vom 7. August 2001 getroffen (§ 11 I AUB 88). Daraus folgt zugleich, dass ein weiterer Aufklärungsbedarf insoweit nicht bestand. Es fehlt damit an einem berechtigten Interesse der Beklagten, den Versicherungsnehmer - zumal mit der Sanktion der Leistungsfreiheit - weiterhin an die Obliegenheit zu binden. Aus Sicht des Versicherers bestand keine Veranlassung mehr zu weiteren Untersuchungen durch von ihm beauftragte Ärzte (vgl. Senatsurteil vom 16. Juli 2003 - IV ZR 310/02 - VersR 2003, 1165 unter B I 1 a).
29
Auf den Streit um die Erstbemessung konnte die Beklagte ihr Untersuchungsverlangen mithin nicht stützen. Der Kläger hat insoweit keine Obliegenheit verletzt.
30
Zu diesem Ergebnis führt es auch, wenn man die bloße Verweisung des Klägers auf die begehrte Neubemessung im Schreiben der Beklagten vom 15. August 2001 als Ablehnung weiterer Überprüfungen der Erstbemessung versteht. Denn auch unter diesem Blickwinkel träfen den Kläger Aufklärungs- oder Mitwirkungsobliegenheiten hinsichtlich der Erstbemessung nicht mehr (vgl. dazu BGHZ 107, 368, 371 f.).
31
4. Aber auch mit Blick auf eine Neubemessung der Invalidität (§ 11 IV AUB 88) hat der Kläger die Obliegenheit aus § 9 IV AUB 88 nicht verletzt. Aus dem vom Kläger vorbehaltenen Recht, die Invalidität längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall ärztlich neu bemessen zu lassen, folgt keine Pflicht des Klägers, eine Neubemessung tatsächlich herbeizuführen. Die Regelung in § 9 IV AUB 88 gibt dafür keinen Anhalt. Erst recht kann die Beklagte eine Untersuchung zum Zwecke der Neubemessung nicht verlangen, denn sie hat ihr Recht darauf - weil sie es mit der Erstbemessung nicht ausgeübt hat - verloren. Der Kläger kann mithin auf eine ärztliche Neubemessung verzichten, ohne dass ihn die Beklagte - noch dazu mit der Androhung von Leistungsfreiheit - dazu zwingen könnte. Die Weigerung des Klägers, sich von den von der Beklagten benannten Ärzten untersuchen zu lassen, bleibt damit sanktionslos. Sie steht einem Verzicht auf die Neubemessung gleich.
32
Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 16. Juli 2003 (aaO) angedeutet hat, dass auch im Rahmen der Neubemessung von Invalidität eine Bindung des Versicherungsnehmers an die Obliegenheit in § 9 IV AUB 88 eintreten könnte, stand das unter der Voraussetzung, dass der Versicherungsnehmer das Recht auf ärztliche Neubemessung ausübt, insbesondere eine solche auch herbeiführt und darauf gestützt eine höhere Entschädigung verlangt. Der Senat kann weiterhin offen lassen, ob der Versicherungsnehmer unter dieser Voraussetzung der Untersuchungsobliegenheit zu genügen hat. Dafür spricht allerdings, dass nach einer vom Versicherungsnehmer herbeigeführten Neubemessung auch für den Versicherer neuerlicher Prüfungsbedarf entsteht, eine Untersu- chung durch von ihm beauftragte Ärzte mithin seinem berechtigten Interesse an weiterer Aufklärung entsprechen könnte. Offen bleiben kann insoweit auch, ob - eine Obliegenheitsbindung unterstellt - deren Verletzung zu vollständiger Leistungsfreiheit des Versicherers führen könnte oder ob sich diese auf das Verlangen des Versicherungsnehmers nach gegenüber der Erstbemessung höherer Invaliditätsleistung zu beschränken hätte.
33
Das Berufungsgericht wird deshalb die gebotene Aufklärung hinsichtlich des Grades der unfallbedingten Invalidität vorzunehmen und dabei zu prüfen haben, inwieweit es angesichts der unterschiedlichen, vom Kläger geltend gemachten Beschwerden geboten ist, dazu Gutachten von Medizinern verschiedener Fachrichtungen einzuholen. Da der Streit die Erstbemessung betrifft, ist insoweit maßgeblich der Gesundheitszustand , wie er sich zu diesem Zeitpunkt - und nicht nach Ablauf der Dreijahresfrist - dargestellt hat.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
LG Augsburg, Entscheidung vom 12.08.2003 - 2 O 1153/03 -
OLG München in Augsburg, Entscheidung vom 21.06.2006 - 14 U 691/03 -

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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

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Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
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in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, den Richter Dr. Schlichting, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf, die Richter Felsch und Dr. Franke auf die mündliche
Verhandlung vom 25. Februar 2009

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 17. Januar 2008 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger, von Beruf Facharzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie und bis zur Kündigung seines Anstellungsverhältnisses Ende 1996 als Oberarzt in einer psychosomatischen Klinik tätig, fordert Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung. Bestandteil des Versicherungsvertrags ist u. a. eine von den Parteien getroffene und von der Beklagten in den Versicherungsschein aufgenommene besondere Vereinbarung; danach liegt vollständige Berufsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außerstande ist, eine Tätigkeit als Arzt auszuüben. Der Anspruch auf Versicherungsleistungen setzt voraus, dass der Versicherte während der Dauer der Zusatzversicherung zu mindestens 50% berufsunfähig wird.
2
Der Kläger behauptet, seinen Beruf seit Mitte 1996 aus Gesundheitsgründen nicht mehr ausüben zu können. Er leide an ausgeprägten Erschöpfungszuständen, Schlafstörungen, ständiger Müdigkeit, Konzentrations - und Gedächtnisstörungen, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Muskel - und Gelenkschmerzen sowie Tinnitus und Atembeschwerden als Folgen einer chronisch inhalativen Intoxikation, vor allem mit den Chemikalien Formaldehyd und Pentachlorphenol.
3
Die Vorinstanzen haben die Klage im Wesentlichen abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


4
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
5
I.DasBerufungsgericht hat sich auf der Grundlage der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht davon überzeugen können, dass beim Kläger eine bedingungsgemäße, also zumindest 50%-ige Berufsunfähigkeit vorliegt. Das Landgericht hatte ein psychiatrisches (Gutachten Dr. W.
vom 30. Oktober 2003) und ein neurologisches (Gutachten Prof. Dr. We. vom 23. Oktober 2006) Sachverständigengutachten eingeholt und sich das psychiatrische Gutachten von dem Sachverständigen mündlich erläutern lassen.
6
1. Die psychische Symptomatik des Klägers, so das Berufungsgericht , schränke seine Berufsfähigkeit zu allenfalls 30% ein. Dies ergebe sich aus den überzeugenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen , wonach beim Kläger einerseits eine leicht bis mittelgradig ausgeprägte Neurasthenie bzw. undifferenzierte somatoforme Störung, andererseits eine narzisstische Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren sei. Dieser Befund führe neuropsychologisch zu einer leichten bis mäßigen Verlangsamung in den Bereichen Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und Aufmerksamkeitsteilung. Dadurch sei das Leistungsniveau des Klägers zwar spürbar gemindert, für die Ausübung des Arztberufes aber immer noch als weitaus hinreichend anzusehen. Das neurologische Sachverständigengutachten erbringe ebenfalls keinen Beweis für eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit. Der Sachverständige habe keine entscheidenden Auffälligkeiten feststellen können. Die vom Kläger geschilderten Beschwerden seien zwar glaubhaft, würden aber keine Erklärung für eine weitergehende Berufsunfähigkeit bieten.
7
2. Für eine erneute psychiatrische Begutachtung, wie sie der Kläger beantragt und auch der neurologische Sachverständige empfohlen habe, fehle es, so das Berufungsgericht weiter, an den Voraussetzungen des § 412 ZPO. Insbesondere gebe es keinen Anlass für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen Dr. W. , der seiner Begutachtung alle vom Kläger geschilderten Symptome und Störungen zugrunde gelegt habe. Aufgabe des Sachverständigen sei es gewesen, die an ihn gestellte Beweisfrage nach einer möglichen Berufsunfähigkeit beim Kläger zu beantworten, nicht aber Therapiemöglichkeiten aufzuzeigen oder sich zum voraussichtlichen Krankheitsverlauf zu äußern. Deshalb könne auch dahinstehen , wie das Krankheitsbild des Klägers medizinisch am zutreffendsten zu bezeichnen sei und ob für die bei ihm festgestellten Leistungseinschränkungen eine Intoxikation mit Umweltgiften ursächlich gewesen sei. Dass das vom Gericht eingeholte psychiatrische Gutachten im Widerspruch zu dem vom Kläger vorgelegten neurologisch-psychiatrischen Fachgutachten des Prof. Dr. H. vom 10. Dezember 2001 stehe, liege in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem beide Parteien zuvor sich widersprechende Privatgutachten vorgelegt hätten, in der Natur der Sache. Dies begründe jedoch keinen Mangel des Gutachtens des Psychiaters Dr. W. . Entscheidend sei vielmehr, dass dessen Gutachten in sich widerspruchsfrei sei. Hinzu komme, dass der neurologische Sachverständige seine Anregung auf Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens durch ein Universitätsklinikum nicht begründet habe. Weder der neurologische Sachverständige noch der Kläger hätten konkrete Fehler des psychiatrischen Gutachtens aufgezeigt, die sich auf das Gutachtenergebnis , also die Feststellung einer maximal 30%-igen Berufsunfähigkeit , ausgewirkt hätten. Die Sachkunde des psychiatrischen Sachverständigen habe der Kläger selbst nicht in Zweifel gezogen.
8
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
9
Nach 1. der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter Äußerungen medizinischer Sachverständiger kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit prüfen und insbesonde- re auf die Aufklärung von Widersprüchen hinwirken, die sich innerhalb der Begutachtung eines Sachverständigen wie auch zwischen den Äußerungen mehrerer Sachverständiger ergeben (BGH, Urteil vom 4. März 1997 - VI ZR 354/95 - NJW 1997, 1638 unter II 1 b). Dies gilt insbesondere bei der Beurteilung besonders schwieriger wissenschaftlicher Fragen (vgl. dazu schon BGH, Urteil vom 12. Januar 1962 - V ZR 179/60 - NJW 1962, 676 unter 1). Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter zudem besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (Senatsurteile vom 24. September 2008 - IV ZR 250/06 - veröff. bei juris Tz. 11 und vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03 - VersR 2005, 676 unter II 2 b, jeweils m.w.N.).
10
2. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
11
a) Der Neurologe und Psychiater Prof. Dr. H. , dessen Gutachten vom 10. Dezember 2001 der Kläger vorgelegt hat, war von der Baden -Württembergischen Versorgungsanstalt für Ärzte im Rahmen der Prüfung der dortigen Rentenansprüche des Klägers beauftragt worden. Er hatte den Diplom-Psychologen Z. für ein neuropsychologisches Zusatzgutachten hinzugezogen. Unter Berücksichtigung dieses Zusatzgutachtens , das auch auf den Resultaten diverser Leistungstests beruht, denen der Kläger unterzogen worden war, kommt der Gutachter Prof. Dr. H. zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers seit mehreren Jahren wegen rezidivieren- der Infektionen, chronischer Halsschmerzen, Gelenkschmerzen sowie rascher körperlicher und geistiger Ermüdbarkeit erheblich reduziert sei. Dies gelte insbesondere, so der Diplom-Psychologe Z. in seinem Zusatzgutachten , für die Fähigkeit des Klägers, komplexe intellektuelle Aufgaben zu bewältigen. Zusammenfassend kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Klägers bestehe seit 1996 und werde auch in Zukunft andauern; ein Ende dieses Zustandes sei derzeit nicht absehbar. Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert, mit denen er seine Existenz sichern könnte, seien dem Kläger aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr möglich. Auch die Ausübung anderer , nicht auf ärztlichem Gebiet liegender Tätigkeiten komme nicht in Betracht.
12
b) Der vom Landgericht beauftragte neurologische Sachverständige Prof. Dr. We. ist demgegenüber zwar zu der Ansicht gelangt, der Kläger sei aus neurologischer und arbeitsmedizinischer Sicht in der Lage , eine Tätigkeit als Arzt auszuüben. Jedoch habe der Kläger, so der Sachverständige, glaubhaft geschildert, aufgrund eines komplexeren Beschwerdebildes zu einer solchen beruflichen Tätigkeit nicht in der Lage zu sein. Die von ihm geschilderte Symptomatik lasse sich am ehesten mit dem Krankheitsbild einer Depression vereinbaren. Deshalb werde zur abschließenden Beurteilung des Falles die Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens empfohlen.
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3. Vor diesem Hintergrund begegnet die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts in zweifacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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a) Es fehlt eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem vom Kläger vorgelegten neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Prof. Dr. H. , das dieser für die Baden-Württembergische Versorgungsanstalt für Ärzte erstattet hat. Dieses widerspricht dem Ergebnis des Gutachtens des gerichtlich bestellten psychiatrischen Sachverständigen Dr. W. in wesentlichen Punkten, insbesondere in der Einschätzung der Auswirkungen der Erkrankung auf die Fähigkeit, den Beruf des Arztes auszuüben. Damit hat das Berufungsgericht das ihm eingeräumte Ermessen bei Erhebung des Sachverständigenbeweises fehlerhaft ausgeübt und den Grundsatz freier tatrichterlicher Beweiswürdigung (§§ 412, 286 ZPO) verletzt. Der bloße Hinweis darauf, bei Vorlage von Privatgutachten mit entgegen gesetzten Ergebnissen lägen Widersprüche auch zu einem gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten in der Natur der Sache, vermag die hier gebotene einleuchtende und logisch nachvollziehbare inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H. ebenso wenig zu ersetzen wie die Erwägung , entscheidend komme es darauf an, dass das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen in sich widerspruchsfrei sei. Von diesem Ansatzpunkt aus hat sich das Berufungsgericht den Blick dafür verstellt, dass die abweichende Beurteilung der Berufsfähigkeit des Klägers in dem von diesem vorgelegten Gutachten Anlass hätte sein müssen , sich mit den widersprüchlichen Bewertungen in dem Privatgutachten einerseits und in dem gerichtlich eingeholten Gutachten andererseits auseinanderzusetzen. Dazu bestand, wie die Revision mit Recht anmerkt , umso mehr Anlass, als die von dem Gutachter Prof. Dr. H. gezogenen Schlussfolgerungen aus einer dreitägigen stationären Beobachtung des Klägers erwachsen waren.
15
b) Auch die Ansicht des Berufungsgerichts, es bestehe kein Anlass zu der auch von dem gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. We. angeregten erneuten psychiatrischen Begutachtung des Klägers, weil diese Anregung nicht begründet worden sei und im Übrigen ein Widerspruch zu dem Gutachten des Dr. W. nicht festgestellt werden könne, erweist sich im Gesamtzusammenhang der Ausführungen von Prof. Dr. We. als kaum nachvollziehbar. Damit wird insbesondere die abschließende Bewertung, zu der dieser Sachverständige in seinem Gutachten kommt, unzulässig verkürzt. Prof. Dr. We. hat den Kläger zwar aus neurologischer und arbeitsmedizinischer Sicht dazu in der Lage gesehen , den Beruf des Arztes weiter auszuüben. Er ist jedoch auch davon ausgegangen, dass die vom Kläger geschilderten erheblichen Beschwerden glaubhaft seien und auf eine psychiatrische, also erkennbar nicht in sein Fachgebiet fallende depressive Erkrankung hindeuteten. Die Notwendigkeit der erneuten Begutachtung durch einen Mediziner der entsprechenden Fachrichtung lag aus Sicht des Sachverständigen, der zu den Auswirkungen einer solchen psychischen Erkrankung auf die Berufsfähigkeit des Klägers als Neurologe nicht Stellung nehmen wollte und konnte, auf der Hand. Die vor diesem Hintergrund abgegebene Empfehlung zur Durchführung einer psychiatrischen Neubegutachtung ist daher entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gerade nicht unverständlich , sondern erhält durch die Tatsache, dass dem Sachverständigen Prof. Dr. We. das psychiatrische Gutachten des am selben Klinikum tätigen Gutachters Dr. W. bekannt war, besonderes Gewicht. Es kommt hinzu, dass die Annahme einer reaktiven Depression im Unterschied zu der von dem Gutachter Dr. W. angenommenen Persönlichkeitsstörung auch in weiteren, in diesem Rechtsstreit vorgelegten Gutachten , etwa denen der Psychologen S. und K. , zu finden ist. Auch zu diesem Umstand verhält sich das Berufungsurteil nicht.

16
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung, gegebenenfalls unter weiterer sachverständiger Beratung. Wegen des für die Beurteilung von Berufsunfähigkeit maßgebenden Zeitpunktes verweist der Senat auf sein Urteil vom 7. Februar 2007 - IV ZR 232/03 - VersR 2007, 631 unter Tz. 11.
Terno Dr. Schlichting Dr. Kessal-Wulf
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 18.05.2007 - 13 O 278/02 -
OLG Celle, Entscheidung vom 17.01.2008 - 8 U 162/07 -

(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren.

(2) Für die Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür gilt § 6a.

(3) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung und Dokumentation nach den Absätzen 1 und 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherer ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf seine Möglichkeit auswirken kann, gegen den Versicherer einen Schadensersatzanspruch nach Absatz 5 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.

(4) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 besteht auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist; Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Der Versicherungsnehmer kann im Einzelfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichten.

(5) Verletzt der Versicherer eine Verpflichtung nach Absatz 1, 2 oder 4, ist er dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2 nicht anzuwenden, ferner dann nicht, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 310/02 Verkündet am:
16. Juli 2003
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
AUB 88 §§ 9 IV, 11 IV
Auch dann, wenn nur der Versicherungsnehmer gemäß § 11 IV Abs. 2 AUB 88 das
Recht auf ärztliche Neubemessung der Invalidität ausgeübt hat, ist er nach Ablauf
der Dreijahresfrist des § 11 IV Abs. 1 AUB 88 nicht mehr gehalten, sich durch vom
Versicherer beauftragte Ärzte untersuchen zu lassen.
BGH, Urteil vom 16. Juli 2003 - IV ZR 310/02 - OLG München
LG München I
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, den Richter Dr. Schlichting, die Richterinnen
Ambrosius und Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündli-
che Verhandlung vom 11. Juni 2003

für Recht erkannt:
Das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. Juli 2002 wird im Kostenpunkt und auf die Revision der Beklagten insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil entschieden worden ist, sowie auf die Anschlußrevision des Klägers insoweit, als die Klage über den zuerkannten Betrag hinaus in Höhe weiterer 47.294,50 Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger hat von der beklagten Versicherungsgesellschaft aus einer Unfallversicherung, der die Allgemeinen Unfallversicherungs-

Bedingungen (AUB 88) zugrunde liegen, eine weitere Invaliditätsentschädigung in Höhe von 947.100 DM begehrt.
Aufgrund einer unfallbedingten Fußverletzung des Klägers am 22. Januar 1994 hat die Beklagte mit Schreiben vom 22. August 1996 eine Invalidität des Klägers von 1/10 des Fußwerts (§ 7 AUB 88) anerkannt und ihm die dafür geschuldete Entschädigung von 15.400 DM gezahlt. Der Kläger hat danach von seinem Recht auf Neubemessung der Invalidität binnen drei Jahren nach dem Unfall Gebrauch gemacht; er gibt den Grad seiner Invalidität aufgrund eines von ihm eingeholten Privatgutachten des Orthopäden Dr. H. nunmehr mit 80% an, während die Beklagte weiterhin nur 1/10 des Fußwerts anerkennt. Außer über den Invaliditätsgrad streiten die Parteien darüber, ob die Beklagte infolge zweier von ihr geltend gemachter Obliegenheitsverletzungen des Klägers - Verweigerung der nochmaligen Untersuchung durch einen von der Beklagten beauftragten Arzt und Verschweigen einer weiteren Unfallversicherung - leistungsfrei geworden ist. Des weiteren verlangt die Beklagte im Wege der Widerklage die von ihr erbrachte Übergangsleistung von 19.250 DM zurück.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht der ! " # $ " # &% ' ( *) Klage in Höhe von 141.730,11 iderklage abgewiesen; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Kläger begehrt im Wege der Anschlußrevision die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer 47.294,50

Entscheidungsgründe:


Die Revision der Beklagten und die Anschlußrevision des Klägers führen zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
A. Das Berufungsgericht hat sein Urteil wie folgt begründet:
Der Kläger habe Anspruch auf die Versicherungsleistung nach 6/10 des Beinwerts bzw. nach einem Invaliditätsgrad von 42%. Aufgrund des Privatgutachtens des Orthopäden Dr. H. , dessen medizinische Stichhaltigkeit der gerichtliche Sachverständige bestätigt habe, sei davon auszugehen, daß der Kläger durch den Unfall eine dauerhafte Beeinträchtigung des ganzen linken Beines davongetragen habe. Der Einschätzung des Sachverständigen Dr. H. , daß die Gesamtinvalidität 80% betrage, könne jedoch nicht gefolgt werden, weil der Sachverständige zu Unrecht noch weitere Gesundheitsschäden berücksichtigt habe, die aus verschiedenen rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht in Ansatz gebracht werden dürften. Auch sei der anteilige Beinwert nicht, wie vom Privatgutachter Dr. H. angegeben, mit 5/7, sondern im Anschluß an den gerichtlichen Sachverständigen mit nur 6/10 zu bemessen. Diese Invalidität begründe unter Berücksichtigung der vereinbarten Progression einen weiteren Entschädigungsanspruch in Höhe von 141.730,11
Die Beklagte sei auch nicht durch Obliegenheitsverletzungen des Klägers leistungsfrei geworden. Daß der Kläger eine erneute Untersuchung durch einen von der Beklagten beauftragten Arzt verweigert habe,

sei keine Obliegenheitsverletzung, weil die Beklagte sich bei der Erst- festsetzung der Invalidität keine spätere Nachprüfung vorbehalten habe und deshalb nicht berechtigt gewesen sei, eine Nachuntersuchung des Klägers zu verlangen. Daß er seine weitere Unfallversicherung beim G. nicht angegeben habe, stelle zwar objektiv eine Obliegenheitsverletzung dar, begründe aber keine Leistungsfreiheit, weil der Kläger nur grob fahrlässig gehandelt und seine Obliegenheitsverletzung keinen Einfluß auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder des Leistungsumfangs gehabt habe.
Die Widerklage der Beklagten auf Rückzahlung der Übergangsleistung sei unbegründet, weil die Beklagte nicht den ihr obliegenden Beweis erbracht habe, daß die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers nicht vorgelegen hätten.
B. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung in mehreren Punkten nicht stand.
I. Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Klage begründet ist, kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts aufgrund der bisherigen Tatsachenfeststellungen nicht entschieden werden.
1. Im Ergebnis zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen , daß die Beklagte durch die Weigerung des Klägers, sich zur Nachprüfung des von Dr. H. neu bemessenen Grades der Invalidität

durch einen von der Beklagten beauftragten Arzt untersuchen zu lassen, nicht leistungsfrei geworden ist.

a) Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft, die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, sich von den vom Versicherer beauftragten Ärzten untersuchen zu lassen (§ 9 IV AUB 88), bestehe nur dann, wenn der Versicherer seinerseits das Recht auf ärztliche Neubemessung der Invalidität ausgeübt habe (§ 11 IV Abs. 1, 2 AUB

88).


Immerhin spricht für die Auffassung des Berufungsgerichts, daß es dem Versicherer, der nach Maßgabe seiner Erstfeststellung (§ 11 I AUB 88) geleistet, das Recht zur ärztlichen Neubemessung aber nicht ausgeübt hat, an einem berechtigten Interesse fehlen könnte, den Versicherungsnehmer - zudem mit der Sanktion der Leistungsfreiheit - weiterhin an die Obliegenheit zu binden. Denn aus Sicht des Versicherers besteht insoweit keine Veranlassung zu weiteren Untersuchungen durch von ihm beauftragte Ärzte. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß die in § 9 IV AUB 88 beschriebene Obliegenheit es dem Versicherer nach ihrem Sinn und Zweck ermöglichen soll, sich bei seiner Entscheidung, welchen Invaliditätsgrad er anerkennen will, der Hilfe eines Arztes seines Vertrauens zu bedienen. Auf eine solche Entscheidungshilfe kann er auch angewiesen sein, wenn der Versicherungsnehmer das Recht auf ärztliche Neubemessung ausübt, eine solche herbeiführt und darauf gestützt eine höhere Entschädigung verlangt.

b) Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung zu entscheiden, welcher Auffassung zu folgen ist. Denn selbst wenn der Versicherungs-

nehmer an die Obliegenheit gemäß §§ 9 IV AUB 88 auch dann gebunden bleiben sollte, wenn nur er das Recht auf Neubemessung der Invalidität ausgeübt hat, endet diese Bindung jedenfalls mit Ablauf der in § 11 IV Abs. 1 AUB 88 bestimmten Dreijahresfrist. Die Beklagte hat die Untersuchung hier aber erst nach Ablauf dieser Frist verlangt.
Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 4. Mai 1994 - IV ZR 192/93 - VersR 1994, 971 unter 1) hat bereits zur Klausel des § 13 Nr. 3a AUB 61 ausgesprochen, daß der Versicherungsnehmer nach Ablauf der dort festgelegten Dreijahresfrist nicht mehr gehalten ist, sich auf Verlangen des Versicherers einer ärztlichen Untersuchung und Begutachtung zu unterziehen. In jenem Falle hatten die Versicherer eine Nachuntersuchung zwar angekündigt, die Untersuchung jedoch erst nach Fristablauf verlangt. Im hier vorliegenden Fall, in dem allein der Versicherungsnehmer gemäß § 11 IV Abs. 2 AUB 88 das Recht auf ärztliche Neubemessung der Invalidität ausgeübt und diese fristgerecht durch einen Arzt hat vornehmen lassen, gilt nichts anderes. Jedenfalls mit Ablauf der Dreijahresfrist des § 11 IV Abs. 1 AUB 88 ist der Versicherungsnehmer auch in diesem Falle nicht mehr gehalten, sich durch vom Versicherer beauftragte Ärzte untersuchen zu lassen. Denn eine solche Untersuchung liefe letztlich auf eine weitere ärztliche Neubemessung der Invalidität hinaus, die durchzuführen § 11 IV Abs. 1 AUB 88 dem Versicherer nach Ablauf der darin bestimmten Frist zur Neubemessung der Invalidität gerade nicht erlaubt (vgl. Grimm, Unfallversicherung 3. Aufl. § 11 Rdn. 27; Wussow /Pürckhauer, AUB 6. Aufl. § 11 Rdn. 38). Daraus folgt zugleich, daß jedenfalls nach Ablauf der Dreijahresfrist eine Bindung des Versicherungsnehmers an eine Untersuchungsobliegenheit nicht mehr bestehen kann.

2. Das Berufungsgericht nimmt weiter an, die Beklagte sei auch nicht deshalb leistungsfrei geworden, weil der Kläger die Aufklärungsobliegenheit in § 9 II AUB 88 verletzt habe, indem er eine bei einem anderen Versicherer bestehende Unfallversicherung trotz entsprechender Frage der Beklagten nicht angezeigt habe. Den Kläger treffe insoweit nur der Vorwurf grober Fahrlässigkeit; er habe den Kausalitätsgegenbeweis (§ 6 Abs. 3 Satz 2 VVG) geführt. Das läßt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Annahme, den Kläger treffe nur der Vorwurf, die Obliegenheit grob fahrlässig verletzt zu haben, greift die Revision nicht an. Auf die Hilfserwägungen des Berufungsgerichts, die von einem vorsätzlichen Handeln des Klägers ausgehen, kommt es mithin nicht an. Schließlich sind auch die Erwägungen des Berufungsgerichts zu dem vom Kläger zu führenden Kausalitätsgegenbeweis rechtlich nicht zu beanstanden. Daß im vorliegenden Falle durch Zeitablauf ein Verlust an Aufklärungsmöglichkeiten eingetreten sein könnte, ist nicht ersichtlich.
3. Der Kläger hat jedoch bislang den Beweis für eine höhere Invalidität , als von der Beklagten anerkannt, noch nicht erbracht.

a) Daß die Beklagte nicht binnen der Dreijahresfrist eine eigene ärztliche Neubemessung eingeholt hat und dies wegen Fristversäumung gegen den Willen des Klägers auch nicht mehr tun kann, hat entgegen der Ansicht des Klägers nicht zur Folge, daß sie an die ärztliche Neubemessung , die der Privatgutachter des Klägers - fristgerecht - vorgenommen hat, gebunden ist. Vielmehr ist ihr Bestreiten einer höheren Invalidität , als sie anerkannt hat, nach wie vor beachtlich. Der Kläger muß deshalb eine höhere Invalidität beweisen.


b) Die gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, der Invalidi- tätsgrad betrage 42%, gerichtete Verfahrensrüge der Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hat gegen die Pflicht des Gerichts zur Erhebung der angebotenen Beweise und zur vollständigen Sachaufklärung (§ 286 ZPO) verstoßen, indem es auf eine ärztliche Untersuchung des Klägers durch den Gerichtsgutachter und selbst auf dessen Einsicht in die früher erhobenen bildgebenden Befunde verzichtet und sich mit einem reinen Aktengutachten begnügt hat, in welchem der Gerichtsgutachter lediglich die beiden Privatgutachten des Dr. H. und des Dr. E. für plausibel erklärt. Der Tatrichter darf sich zwar mit Zustimmung der Parteien allein auf ein vorgelegtes Privatgutachten stützen. Wenn hingegen der Gegner die Richtigkeit des Privatgutachtens bestreitet, muß das Gericht ein gerichtliches Gutachten einholen, sofern die beweisbelastete Partei dies beantragt hat (Gehrlein, VersR 2003, 574, 575). Dies hat das Berufungsgericht auch getan, jedoch war das Gerichtsgutachten unvollständig und infolgedessen nicht beweistauglich. Denn der Gerichtsgutachter hat erklärt, daß er ohne eigene Untersuchung des Klägers und ohne Einsicht in die bildgebenden Befunde den Zustand des Klägers am Dreijahresstichtag nicht selbst bewerten könne. Dem Gutachter fehlten also die Anknüpfungstatsachen.

c) Das Berufungsgericht wird deshalb die zur vollständigen Sachaufklärung angebotenen Beweise erheben und insbesondere auf eine Ergänzung des gerichtlichen Gutachtens hinzuwirken haben. Die gebotene weitere Sachaufklärung gibt zugleich Anlaß zur Klärung der Behauptung des Klägers in der Anschlußrevision, seine Invalidität betrage 5/7 des Beinwerts.

Der Kläger hat sich jedenfalls im Revisionsverfahren zu einer Untersuchung durch den gerichtlichen Sachverständigen bereitgefunden. Ob er sie im Berufungsverfahren verweigert hat, kann dahingestellt bleiben. Denn das Berufungsgericht hat sich auch ohne Untersuchung des Klägers zu einer Feststellung des Invaliditätsgrades in der Lage gesehen und den Kläger insoweit nicht für beweisfällig erachtet. Erweist sich diese Feststellung als verfahrensfehlerhaft, kann dem Kläger jedenfalls nicht mehr zur Last gelegt werden, sich einer - aus nachträglicher Sicht - gebotenen Untersuchung durch den Sachverständigen nicht gestellt zu haben.
II. Auch über die Widerklage der Beklagten auf Rückzahlung der von ihr gezahlten Übergangsentschädigung kann erst entschieden werden , wenn geklärt ist, ob nach Ablauf von sechs Monaten seit Eintritt des Unfalls noch ein Invaliditätsgrad des Klägers von mehr als 50% bestand (§ 7 II AUB 88).
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann die Widerklage nicht wegen Beweisfälligkeit der Beklagten abgewiesen werden. Die Beweislast dafür, daß die Anspruchsvoraussetzungen für die Übergangsleistung erfüllt waren, trifft den Kläger, nicht die Beklagte. Nach eigener Feststellung des Berufungsgerichts hat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 13. September 1995 darauf hingewiesen, daß er die Übergangsleistung nur behalten dürfe, wenn von ärztlicher Seite festgestellt werde, daß die Absprengung Unfallfolge sei und die normale körperliche und geistige Leistungsfähigkeit unmittelbar nach dem Unfall für mindestens sechs Monate um mehr als 50% beeinträchtigt gewesen sei.

Anders als dann, wenn der Versicherer ohne weitere Erläuterung "unter Vorbehalt" oder "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" leistet, wollte die Beklagte also nicht nur dem Verständnis ihrer Leistung als Anerkenntnis entgegentreten und die Wirkung des § 814 BGB ausschließen. Die Beklagte hat vielmehr mit ihrem Vorbehalt klar erkennbar für den Fall eines späteren Rückforderungsstreites dem Kläger die Beweislast für das Bestehen des Anspruchs aufgebürdet (vgl. Römer, VVG 2. Aufl. § 11 Rdn. 25). Der Kläger hat bisher eine - auch nur im maßgeblichen Zeitraum bestehende - unfallbedingte Beeinträchtigung von mehr als 50% nicht bewiesen.
Terno Richter am Bundesgerichtshof Ambrosius Dr. Schlichting ist wegen Urlaubs verhindert, seine Unterschrift beizufügen. Terno
Dr. Kessal-Wulf Felsch