Bundesgerichtshof Urteil, 17. Aug. 2004 - 5 StR 94/04
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Totschlags zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen richten sich die unbeschränkten Revisionen der Ehefrau des Getöteten, die sich dem Verfahren als Nebenklägerin angeschlossen hat und Verurteilungen wegen Mordes erstrebt. Die von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revisionen sind jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Sie werden vom Generalbundesanwalt vertreten. Alle Rechtsmittel haben Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der 30 Jahre alte Angeklagte H und der 27 Jahre alte Angeklagte S stammen aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Sie sprachen dem Alkohol massiv zu, ohne abhängig zu sein. Die Angeklagten besuchten gegen Mittag des 26. Januar 2003 den ihnen bekannten wesentlich älteren He in dessen Wohnung in Berlin-Lichtenberg. Sie trafen dort auf die Zeugen Ra und Sh ; letzterer entfernte sich alsbald. Nach reichlichem Genuß von Rotwein und Wodka verletzten die Angeklagten den He zwischen 18.00 und 19.00 Uhr zunächst wie folgt: S rammte dem neben ihm sitzenden Wohnungsinhaber völlig unvermittelt seinen rechten Ellenbogen in die seitliche Halsgegend. H trat He mit dem beschuhten Fuß kräftig ins Gesicht. S schubste den Zeugen Ra zur Seite, der He vor einem Angriff schützen wollte. H schlug He mit der Faust auf das rechte Auge. Nachdem der Zeuge Ra im Badezimmer die von H verursachten Wunden ausgewaschen hatte, schlug dieser Angeklagte erneut mehrfach mit der Faust auf die Wunden und gegen den rechten Kieferbereich. Der Angeklagte S schlug ebenfalls mehrmals mit den Fäusten auf den jetzt wieder blutenden Verletzten ein.
Nunmehr faßten die Angeklagten den Entschluß, He zu töten. H - packte das Opfer an den Haaren und schlug dessen Kopf gegen die Wand. Er urinierte auf den an der Stirn, aus der Nase und am Ohr blutenden Schwerverletzten. Um diesen noch stärker zu erniedrigen, rasierten ihm die Angeklagten die Kopfhaare teilweise ab. Unter dem Ausruf: „Mal sehen, wie widerstandsfähig er ist!“ würgte einer der Angeklagten ihr Opfer, während der andere mit äußerster Gewalt die Nase zuhielt und so stark an ihr zerrte, daß der Nasenknorpel abriß. In der sicheren Erwartung, der Schwerverletzte werde in Kürze versterben, verließen die Angeklagten dessen Wohnung. He verstarb dann auch – an Kopf und Körper schwer verletzt –
an einer Blutung unter die harte Hirnhaut im Zusammenhang mit einer Hirnschwellung und der Einatmung von Blut.
Das Landgericht hat nicht ausschließen können, daß die Angeklagten wegen des in großem Umfang genossenen Alkohols in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt waren. Das Schwurgericht hat die Strafen dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen, weil es nicht hat feststellen können, daß die Angeklagten wußten, daß sie unter Alkoholeinfluß zu (vergleichbaren) Straftaten neigen.
II.
Die Revisionen der Nebenklägerin führen zum Nachteil der Angeklagten zur Aufhebung der Schuldsprüche.
1. Ihre Rechtsmittel sind zulässig. Zwar enthält die Begründung der Revisionen keine ausdrückliche Erklärung im Sinne von § 344 Abs. 1 StPO, inwieweit die Beschwerdeführerin das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage. Solches ergibt sich vorliegend aber schlüssig aus der innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ausgeführten Sachrüge, mit der dargelegt wird, daß die Angeklagten wegen Mordes hätten verurteilt werden müssen (vgl. BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 2). Damit hat die Nebenklägerin auch – wie von § 400 Abs. 1 StPO geboten – klargestellt, daß sie das Urteil mit dem Ziel einer Änderung der Schuldsprüche wegen einer Gesetzesverletzung anfechte, die zum Anschluß als Nebenkläger berechtigt (vgl. BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 5).
2. Den Revisionen der Nebenklägerin ist auch der Erfolg nicht zu versagen. Die Begründung, mit der das Schwurgericht den Tatbestand des Mordes abgelehnt hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat insoweit den Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt und das Merkmal der niedrigen Beweggründe nicht erörtert. Angesichts des Tat-
bildes hätte sich dies hier aber aufgedrängt, auch wenn das Landgericht die Motive der Tötung nicht hat feststellen können (UA S. 9).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Tötungsbeweggrund niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt (BGHSt 47, 128, 130 m.w.N.). Da das Landgericht meinte, kein Motiv für die Tötung des He feststellen zu können, hätte es sich eingehend damit auseinandersetzen müssen, daß ein niedriger Beweggrund auch dann gegeben sein kann, wenn der Täter in dem Bewußtsein handelt, keinen Grund für eine Tötung zu haben oder zu brauchen. Eine solche Einstellung, bei der der Täter meint, nach eigenem Gutdünken über das Leben des Opfers verfügen zu können, steht auf sittlich tiefster Stufe und ist besonders verachtenswert. Die Tötung eines Menschen, zu welcher der Täter weder durch das Verhalten des Opfers noch durch sonstige, außerhalb seiner Person liegende Umstände veranlaßt worden ist, läßt in der Regel auf das Vorliegen von niedrigen Beweggründen schließen. Denn derjenige, der einen anderen Menschen zum Objekt seiner Wut und Gereiztheit, an deren Entstehung der andere nicht im geringsten Anteil hat, macht, beweist ein außerordentliches Maß an Mißachtung der körperlichen Integrität seines Opfers. Darin kommt eine Gesinnung zum Ausdruck, die Lust an körperlicher Mißhandlung und willkürliches Aufwerfen über die körperliche Unversehrtheit anderer zum Inhalt hat und deshalb sittlich auf tiefster Stufe steht, somit als niedrig gewertet werden muß (BGHSt aaO S. 132 m.w.N.).
Die fehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts bieten nach diesen Maßstäben tragfähige Anhaltspunkte für die Annahme niedriger Beweggründe. Sie hätten eingehenderer Erörterung bedurft. Die Angeklagten verletzten zunächst ihren Gastgeber – gegen den Widerstand eines Nothelfers – ohne jeden Grund. Sie setzten ihre Verletzungshandlungen nach einer
provisorischen Wundbehandlung des Opfers fort und führten ihren Tötungsentschluß unter offensichtlich menschenverachtenden Begleitumständen – Urinieren auf das blutende Opfer und Abrasieren eines Teiles der Kopfhaare – aus, wobei sie durch den Ausruf: „Mal sehen, wie widerstandsfähig er ist!“ auch eine Lust an körperlicher Mißhandlung offenbarten.
Danach bedürfen die für den Schuldspruch erforderlichen subjektiven Tatumstände erneuter Aufklärung und Bewertung (vgl. UA S. 10: „möglicherweise nicht ganz uneigennützige Gastfreundschaft“ des Opfers). Die fehlerfrei zustandegekommenen Feststellungen zum äußeren Tatablauf können bestehen bleiben.
III.
Auch die wirksam auf die Rechtsfolgenaussprüche beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg. Das Landgericht hat den sich aus § 212 Abs. 1 StGB ergebenden Strafrahmen nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert, ohne sich damit auseinanderzusetzen, ob die mit der verminderten Schuldfähigkeit verbundene verminderte Tatschuld durch andere schulderhöhende Umstände aufgewogen wird (vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 12, 3). Zu Recht weist die Revision darauf hin, daß vorliegend die besondere kriminelle Energie und Brutalität der Angeklagten, Dauer und Unbarmherzigkeit ihrer Gewalttätigkeiten und die Tatumstände hätten erwogen werden müssen, die oben im Rahmen der Erörterung niedriger Beweggründe näher dargestellt wurden. Dies gilt auch, soweit diese Umstände ihre Ursache in der erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit haben und daher den Angeklagten nur eingeschränkt – aber nicht etwa überhaupt nicht – anzulasten sind (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 46 Rdn. 28, 33 m.w.N.).
Bei dieser Sachlage kommt es für den Erfolg der Revision auf die weiteren gegen die Strafzumessung geltend gemachten Beanstandungen nicht mehr an.
IV.
Mit der erfolgten Teilaufhebung der Feststellungen muß das neue Tatgericht auch über die Frage eines Hanges der Angeklagten im Sinne des § 64 StGB neu befinden.
Sollte die neue Hauptverhandlung ergeben, daß die Angeklagten infolge übermäßiger Alkoholisierung lediglich nicht in der Lage waren, tatsächliche Umstände, welche niedrige Beweggründe ausmachen, gedanklich zu beherrschen und mit ihrem Willen zu steuern (vgl. BGHSt 47, 128, 133; BGH NJW 2004, 1466, 1467), wird das mordähnliche Tatbild bei der Prüfung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB bei dem dann anzuwendenden § 212 Abs. 1 StGB maßgeblich zu berücksichtigen sein (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 – 5 StR 428/03, S. 10). Zum Gebotensein einer Strafrahmenverschiebung infolge alkoholbedingter verminderter
Schuldfähigkeit im übrigen nimmt der Senat Bezug auf sein Urteil vom heutigen Tag (5 StR 93/04, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt.
(2) Dem Nebenkläger steht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß zu, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nach den §§ 206a und 206b eingestellt wird, soweit er die Tat betrifft, auf Grund deren der Nebenkläger zum Anschluß befugt ist. Im übrigen ist der Beschluß, durch den das Verfahren eingestellt wird, für den Nebenkläger unanfechtbar.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.