Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2013 - 5 StR 203/13

bei uns veröffentlicht am29.05.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 203/13

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 29. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Mordes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Mai 2013

beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten S. gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 28. Dezember 2012 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Es wird davon abgesehen, diesem Angeklagten die Kosten seines Rechtsmittels aufzuerlegen.
2. Auf die Revision des Angeklagten O. wird das vorgenannte Urteil nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision dieses Angeklagten wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten O. wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Den Angeklagten S. hat es wegen Totschlags unter Einbeziehung zweier Geldstrafen zu einer Jugendstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Nichtrevidentin E. wurde – unter Frei- sprechung im Übrigen – wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten O. hat mit der Sachrüge im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen ist sie ebenso wie die Revision des Angeklagten S. unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
1. Der zur Tatzeit 31 Jahre alte Angeklagte O. hatte zeitweise bei dem später getöteten 42 Jahre alten geistig behinderten und bis zu seiner Augenoperation kurz vor der Tat fast blinden späteren Tatopfer M. gewohnt und mit diesem eine homosexuelle Beziehung unterhalten , ohne jedoch selbst homosexuell zu sein. Hin und wieder kam es auch zu gegenseitiger Gewaltanwendung. Seit Sommer 2011 bewohnte der Angeklagte eine eigene Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, in dem auch die zur Tatzeit 50-jährige Nichtrevidentin E. wohnte. Zwischen beiden entwickelte sich eine sexuelle Beziehung. Der Angeklagte hielt sich öfter in der Wohnung der Nichtrevidentin auf. Der zur Tatzeit 19 Jahre alte Angeklagte S. wohnte seit Ende 2011 bei M. . Allein oder gemeinsam hielten beide sich zeitweise bei den Angeklagten O. und E. auf, die im Tatzeitraum täglich Bier, Schnaps und Sangria tranken.
4
Am Nachmittag des Tattages (31. Januar 2012) befanden sich die Angeklagten und M. in der Wohnung der Nichtrevidentin. Sie spiel- ten Karten und „nahmen verschiedene alkoholische Getränke (Bier, Schnaps, Sangria) in unterschiedlicher, nicht genau feststellbarer Menge und Zeit zu sich, infolge dessen die drei Angeklagten alkoholisiert waren“ (UA S. 42). Wegen angeblicher Schulden des M. bei der Nichtrevidentin kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Ange- klagten O. , in deren Verlauf der Angeklagte ihn gewaltsam zu Fall brachte. O. schlug und trat „in blinder Wut rücksichtslos und heftig“ auf Körper und Kopf des am Boden liegenden, sich nicht zur Wehr setzenden M. ein, wobei er dessen Tod beabsichtigte. Er drückte M. mit dem Daumen das rechte Auge ein, wodurch er die Augenhöhle zertrümmerte, und steckte ihm zwei Finger tief in Mund und Rachen, um ihn zu ersticken. Nun beteiligte sich auch der Angeklagte S. aktiv an den weiteren massiven Tätlichkeiten gegen M. . Er schlug und trat vielfach mit seinen Stiefeln gegen Kopf und Körper des M. , dem von den Angeklagten die Hände gefesselt worden waren. Beide schlugen mit einem Besenstiel aus Hartplastik, den sie zuvor in zwei Teile gebrochen hatten, auf den Oberkörper des M. ein. S. zwang M. , ihm seine Stiefel abzulecken und urinierte auf das am Boden liegende Opfer. O. setzte sich mit einem Hocker auf den Oberkörper des M. ; damit wippend schlug er weiter massiv und brutal auf ihn ein. Schließlich zogen die Angeklagten ihm Hose und Unterhose aus und schlugen und traten mehrfach brutal gegen seinen Genitalbereich; zum Schlagen benutzten sie ein Holzstück. Zudem stachen sie ihn mit Steakmessern in die Genitalregion und führten gewaltsam einen Gegenstand in den After ein. Die Nichtrevidentin war bei den Verletzungshandlungen der Angeklagten, die schließlich zum Tod des M. führten, zugegen und beobachtete diese von der Couch aus.
5
Nach der Tat aßen alle Angeklagten in der Wohnküche, in der auch die Leiche lag, zu Abend, tranken Alkohol und unterhielten sich. Sie verbrachten auch die nachfolgenden Tage bis zum Abend des 7. Februar 2013 gemeinsam in der Wohnung der E. , „wo ihr Tagesrhythmus verbunden mit dem für sie üblichen Konsum von Alkohol immer gleich ablief“ (UA S. 27). Versuche, die Leiche des M. zu zerstückeln, um sie besser ent- sorgen zu können, schlugen fehl. Die Angeklagten nahmen auch „Schändungshandlungen“ an dem Leichnam vor, die allein seiner Beschimpfung dienten. So schnitt der Angeklagte O. dem Verstorbenen ein Ohr ab und legte es zum Trocknen auf die Heizung. E. durchstach die Zunge des Toten mit einem Korkenzieher; S. „skalpierte“ ihn teilweise. Schließlich warfen E. und S. den Leichnam auf Anweisung des O. in einen Papiercontainer der Wohnanlage. Dort wurde er am 8. Februar 2013 gefunden, nachdem die Nichtrevidentin sich kurz zuvor der Polizei offenbart hatte.
6
2. Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten O. unter Annahme niedriger Beweggründe als Mord bewertet. Bei der Ausführung der Tat sei er – trotz seiner Alkoholisierung – stets in der Lage gewesen, das Unrecht seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Demgegenüber sei der nach seiner geistigen und seelischen Entwicklung einem Jugendlichen gleichstehende Angeklagte S. bei der Tat infolge einer organischen Persönlichkeitsstörung bei erhaltener Einsichtsfähigkeit in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich gemindert gewesen. Aufgrund seiner organischen Persönlichkeitsstörung sei er auch nicht in der Lage gewesen, seine gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern und das Verachtenswerte seiner Gefühlsregungen gegenüber M. zu erkennen. Die Jugendkammer hat den Angeklagten S. deshalb wegen Totschlags zu Jugendstrafe verurteilt und ihn in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht (§ 63 StGB).

II.


7
Während die Revision des Angeklagten S. aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO) ist, führt die Revision des Angeklagten O. zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.
8
1. Das Landgericht hat eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten O. nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
9
Soweit das Landgericht feststellt, dass es „an greifbaren Anhaltspunkten“ (UA S. 91) dafür fehle, dass bei dem Angeklagten zum Tatzeitpunkt ein zumindest mittelgradiger alkoholbedingter Rauschzustand vorgelegen habe, ist dies gerade angesichts der Vielzahl solcher Anhaltspunkte nicht hinreichend nachvollziehbar.
10
a) Den Feststellungen und zahlreichen ihnen zugrunde liegenden Zeugenaussagen ist zu entnehmen, dass zumindest die Angeklagten O. und E. regelmäßig in erheblichem Umfang Alkohol konsumierten. Dies deckt sich auch mit früheren eigenen Angaben von O. und E. .
11
Dass insbesondere diese beiden auch am Tattag in erheblichem Maße Alkohol getrunken haben, ergibt sich nicht nur aus ihren eigenen Angaben und denjenigen des Angeklagten S. . In der Wohnung der Nichtrevidentin aufgefundene Kassenzettel belegen, dass am Tattag zwischen 12.00 Uhr und 20.00 Uhr dreimal im Supermarkt Alkohol gekauft wurde (18 Flaschen Pils und eine Flasche Pfefferminzlikör), wobei bei den Biereinkäufen jeweils Leergut in entsprechender Zahl zurückgegeben wurde. Auch wenn diese Einkäufe keinen – zwingenden – Rückschluss auf den Alkoholisierungsgrad der drei Tatbeteiligten zur Tatzeit zulassen, „da sich hieraus nicht ergibt, wer, wann und wieviel des gekauften Alkohols zu sich genommen hat“ (UA S. 70), so sprechen die Gesamtumstände doch für einen zeitnahen Konsum des eingekauften Alkohols, zumal offenbar bereits am nächsten Tag, dem 1. Februar , weitere Einkäufe erfolgten. Die aus dem Urteil ersichtlichen Gesamtumstände legen es auch nahe, dass O. und E. die Hauptkonsumenten des eingekauften Alkohols waren. Insoweit haben die beiden Beschwerdeführer übereinstimmend angegeben, dass S. „immer einmal einen Schluck genommen“ bzw. „anfangs nichts getrunken und später ab und zu mal am Alkohol genippt“ habe (UA S. 55, 61). Aufgrund der chemi- schen Untersuchung des Leichenbluts kommt ein Sachverständiger zu dem Ergebnis, dass die Blutalkoholkonzentration bei dem getöteten M.
zum Zeitpunkt des Eintritt seines Todes sehr wahrscheinlich gering gewesen sei (UA S. 69). Bei ihm lag nach den Aussagen seines Halbbruders und seiner Betreuer kein Alkoholproblem vor.
12
Danach liegt nahe, dass der Angeklagte O. bei der Tat in nicht unerheblichem Maße alkoholisiert war. Schließlich spricht insbesondere auch aus dem außerordentlich brutalem Tatbild und dem unmittelbaren Nachtatverhalten eine erhebliche Enthemmung dieses Angeklagten, von dem die Angriffe auf das Tatopfer ursprünglich ausgingen.
13
b) All dem trägt der Sachverständige, dem das Landgericht folgt, nur unzureichend Rechnung, indem er darauf abstellt, dass „keine Hinweise in Form von bestimmten Leistungsausfällen“ vorlägen, die für einen wenigstens mittelgradigen Rauschzustand sprechen würden (UA S. 83). Dabei wird auch übersehen, dass Hinweise auf etwaige Leistungsausfälle angesichts der Beweislage nicht unbedingt zu erwarten waren. Tatunbeteiligte Zeugen gab es nicht. Der Angeklagte O. selbst hatte sich hinsichtlich des eigentlichen Tatgeschehens auf Erinnerungslücken berufen. Soweit die Angeklagte E. bekundet hatte, keiner von ihnen sei betrunken gewesen, wäre diese Aussage mit Blick darauf zu würdigen gewesen, dass die Zeugin selbst alkoholisiert war und – bei aller Passivität ihres Verhaltens – eine emotionale Beteiligung in der Tatsituation nahelag. Die Angabe des Angeklagten S. , O. und E. hätten „beide viel getrunken, denn beide hät- ten sich erbrechen müssen“ (UA S. 55), hat die Jugendkammer nicht als Hinweis auf erhebliche Alkoholisierung während des Tatgeschehens gewertet (UA S. 91).
14
c) Als Erklärungsmodell für die Tat hält der Sachverständige die Gruppenkonstellation für naheliegend. Der Angeklagte O. habe der Nichtrevidentin in besonderer Weise imponieren wollen, indem er M. angegriffen habe. Das Eingreifen und Mitmachen des Angeklagten S. habe zur Entwicklung der Dynamik wesentlich beigetragen, „die das wechselseitige Agieren zum Nachteil des M. bis hin zu dessen Tod und noch darüber hinaus gekennzeichnet habe“ (UA S. 84). Indes vermag bloßes Imponiergehabe die bereits in der ersten Phase der Tat vor Eingreifen des Angeklagten S. verübten schweren Gewalttätigkeiten durch den Angeklagten O. allein nicht in nachvollziehbarer Weise zu erklären.
15
2. Der Senat kann angesichts des bei der Tat, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckte, gezeigten motorischen „Leistungsbildes“ ausschließen , dass der alkoholgewöhnte Angeklagte O. schuldunfähig war. Mit Blick auf die außerordentliche Brutalität und die menschenverachtenden Begleitumstände der Tat, die klar zutage traten, schließt der Senat auch aus, dass sich der Rechtsfehler auf die Annahme niedriger Beweggründe ausgewirkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 – 5 StR 94/04, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 44). Er hebt deshalb lediglich den Rechtsfolgenausspruch auf. Das neue Tatgericht wird sich auch mit der Frage einer Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB erneut zu befassen haben.
16
Der Senat verweist die Sache an eine Schwurgerichtskammer zurück, weil sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet.
Basdorf Raum Schneider Dölp Bellay

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

5 StR 94/04

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 17. August 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. August
2004, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf
als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K
als Verteidiger für den Angeklagten H ,
Rechtsanwalt R
als Verteidiger für den Angeklagten S ,
Rechtsanwalt Sa
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. August 2003 mit den Feststellungen aufgehoben; davon ausgenommen werden die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen; diese bleiben aufrechterhalten.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Totschlags zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen richten sich die unbeschränkten Revisionen der Ehefrau des Getöteten, die sich dem Verfahren als Nebenklägerin angeschlossen hat und Verurteilungen wegen Mordes erstrebt. Die von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revisionen sind jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Sie werden vom Generalbundesanwalt vertreten. Alle Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der 30 Jahre alte Angeklagte H und der 27 Jahre alte Angeklagte S stammen aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Sie sprachen dem Alkohol massiv zu, ohne abhängig zu sein. Die Angeklagten besuchten gegen Mittag des 26. Januar 2003 den ihnen bekannten wesentlich älteren He in dessen Wohnung in Berlin-Lichtenberg. Sie trafen dort auf die Zeugen Ra und Sh ; letzterer entfernte sich alsbald. Nach reichlichem Genuß von Rotwein und Wodka verletzten die Angeklagten den He zwischen 18.00 und 19.00 Uhr zunächst wie folgt: S rammte dem neben ihm sitzenden Wohnungsinhaber völlig unvermittelt seinen rechten Ellenbogen in die seitliche Halsgegend. H trat He mit dem beschuhten Fuß kräftig ins Gesicht. S schubste den Zeugen Ra zur Seite, der He vor einem Angriff schützen wollte. H schlug He mit der Faust auf das rechte Auge. Nachdem der Zeuge Ra im Badezimmer die von H verursachten Wunden ausgewaschen hatte, schlug dieser Angeklagte erneut mehrfach mit der Faust auf die Wunden und gegen den rechten Kieferbereich. Der Angeklagte S schlug ebenfalls mehrmals mit den Fäusten auf den jetzt wieder blutenden Verletzten ein.
Nunmehr faßten die Angeklagten den Entschluß, He zu töten. H - packte das Opfer an den Haaren und schlug dessen Kopf gegen die Wand. Er urinierte auf den an der Stirn, aus der Nase und am Ohr blutenden Schwerverletzten. Um diesen noch stärker zu erniedrigen, rasierten ihm die Angeklagten die Kopfhaare teilweise ab. Unter dem Ausruf: „Mal sehen, wie widerstandsfähig er ist!“ würgte einer der Angeklagten ihr Opfer, während der andere mit äußerster Gewalt die Nase zuhielt und so stark an ihr zerrte, daß der Nasenknorpel abriß. In der sicheren Erwartung, der Schwerverletzte werde in Kürze versterben, verließen die Angeklagten dessen Wohnung. He verstarb dann auch – an Kopf und Körper schwer verletzt –
an einer Blutung unter die harte Hirnhaut im Zusammenhang mit einer Hirnschwellung und der Einatmung von Blut.
Das Landgericht hat nicht ausschließen können, daß die Angeklagten wegen des in großem Umfang genossenen Alkohols in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt waren. Das Schwurgericht hat die Strafen dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen, weil es nicht hat feststellen können, daß die Angeklagten wußten, daß sie unter Alkoholeinfluß zu (vergleichbaren) Straftaten neigen.

II.


Die Revisionen der Nebenklägerin führen zum Nachteil der Angeklagten zur Aufhebung der Schuldsprüche.
1. Ihre Rechtsmittel sind zulässig. Zwar enthält die Begründung der Revisionen keine ausdrückliche Erklärung im Sinne von § 344 Abs. 1 StPO, inwieweit die Beschwerdeführerin das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage. Solches ergibt sich vorliegend aber schlüssig aus der innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ausgeführten Sachrüge, mit der dargelegt wird, daß die Angeklagten wegen Mordes hätten verurteilt werden müssen (vgl. BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 2). Damit hat die Nebenklägerin auch – wie von § 400 Abs. 1 StPO geboten – klargestellt, daß sie das Urteil mit dem Ziel einer Änderung der Schuldsprüche wegen einer Gesetzesverletzung anfechte, die zum Anschluß als Nebenkläger berechtigt (vgl. BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 5).
2. Den Revisionen der Nebenklägerin ist auch der Erfolg nicht zu versagen. Die Begründung, mit der das Schwurgericht den Tatbestand des Mordes abgelehnt hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat insoweit den Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt und das Merkmal der niedrigen Beweggründe nicht erörtert. Angesichts des Tat-
bildes hätte sich dies hier aber aufgedrängt, auch wenn das Landgericht die Motive der Tötung nicht hat feststellen können (UA S. 9).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Tötungsbeweggrund niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt (BGHSt 47, 128, 130 m.w.N.). Da das Landgericht meinte, kein Motiv für die Tötung des He feststellen zu können, hätte es sich eingehend damit auseinandersetzen müssen, daß ein niedriger Beweggrund auch dann gegeben sein kann, wenn der Täter in dem Bewußtsein handelt, keinen Grund für eine Tötung zu haben oder zu brauchen. Eine solche Einstellung, bei der der Täter meint, nach eigenem Gutdünken über das Leben des Opfers verfügen zu können, steht auf sittlich tiefster Stufe und ist besonders verachtenswert. Die Tötung eines Menschen, zu welcher der Täter weder durch das Verhalten des Opfers noch durch sonstige, außerhalb seiner Person liegende Umstände veranlaßt worden ist, läßt in der Regel auf das Vorliegen von niedrigen Beweggründen schließen. Denn derjenige, der einen anderen Menschen zum Objekt seiner Wut und Gereiztheit, an deren Entstehung der andere nicht im geringsten Anteil hat, macht, beweist ein außerordentliches Maß an Mißachtung der körperlichen Integrität seines Opfers. Darin kommt eine Gesinnung zum Ausdruck, die Lust an körperlicher Mißhandlung und willkürliches Aufwerfen über die körperliche Unversehrtheit anderer zum Inhalt hat und deshalb sittlich auf tiefster Stufe steht, somit als niedrig gewertet werden muß (BGHSt aaO S. 132 m.w.N.).
Die fehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts bieten nach diesen Maßstäben tragfähige Anhaltspunkte für die Annahme niedriger Beweggründe. Sie hätten eingehenderer Erörterung bedurft. Die Angeklagten verletzten zunächst ihren Gastgeber – gegen den Widerstand eines Nothelfers – ohne jeden Grund. Sie setzten ihre Verletzungshandlungen nach einer
provisorischen Wundbehandlung des Opfers fort und führten ihren Tötungsentschluß unter offensichtlich menschenverachtenden Begleitumständen – Urinieren auf das blutende Opfer und Abrasieren eines Teiles der Kopfhaare – aus, wobei sie durch den Ausruf: „Mal sehen, wie widerstandsfähig er ist!“ auch eine Lust an körperlicher Mißhandlung offenbarten.
Danach bedürfen die für den Schuldspruch erforderlichen subjektiven Tatumstände erneuter Aufklärung und Bewertung (vgl. UA S. 10: „möglicherweise nicht ganz uneigennützige Gastfreundschaft“ des Opfers). Die fehlerfrei zustandegekommenen Feststellungen zum äußeren Tatablauf können bestehen bleiben.

III.


Auch die wirksam auf die Rechtsfolgenaussprüche beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg. Das Landgericht hat den sich aus § 212 Abs. 1 StGB ergebenden Strafrahmen nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert, ohne sich damit auseinanderzusetzen, ob die mit der verminderten Schuldfähigkeit verbundene verminderte Tatschuld durch andere schulderhöhende Umstände aufgewogen wird (vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 12, 3). Zu Recht weist die Revision darauf hin, daß vorliegend die besondere kriminelle Energie und Brutalität der Angeklagten, Dauer und Unbarmherzigkeit ihrer Gewalttätigkeiten und die Tatumstände hätten erwogen werden müssen, die oben im Rahmen der Erörterung niedriger Beweggründe näher dargestellt wurden. Dies gilt auch, soweit diese Umstände ihre Ursache in der erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit haben und daher den Angeklagten nur eingeschränkt – aber nicht etwa überhaupt nicht – anzulasten sind (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 46 Rdn. 28, 33 m.w.N.).
Bei dieser Sachlage kommt es für den Erfolg der Revision auf die weiteren gegen die Strafzumessung geltend gemachten Beanstandungen nicht mehr an.

IV.


Mit der erfolgten Teilaufhebung der Feststellungen muß das neue Tatgericht auch über die Frage eines Hanges der Angeklagten im Sinne des § 64 StGB neu befinden.
Sollte die neue Hauptverhandlung ergeben, daß die Angeklagten infolge übermäßiger Alkoholisierung lediglich nicht in der Lage waren, tatsächliche Umstände, welche niedrige Beweggründe ausmachen, gedanklich zu beherrschen und mit ihrem Willen zu steuern (vgl. BGHSt 47, 128, 133; BGH NJW 2004, 1466, 1467), wird das mordähnliche Tatbild bei der Prüfung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB bei dem dann anzuwendenden § 212 Abs. 1 StGB maßgeblich zu berücksichtigen sein (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 – 5 StR 428/03, S. 10). Zum Gebotensein einer Strafrahmenverschiebung infolge alkoholbedingter verminderter
Schuldfähigkeit im übrigen nimmt der Senat Bezug auf sein Urteil vom heutigen Tag (5 StR 93/04, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
Basdorf Häger Gerhardt Raum Brause

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.