Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2017 - 5 StR 72/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:251017U5STR72.17.0
25.10.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 72/17
vom
25. Oktober 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:251017U5STR72.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Oktober 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Dölp, Prof. Dr. König, Prof. Dr. Mosbacher
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. September 2016 wird verworfen. Es wird davon abgesehen, der Angeklagten die Kosten ihres Rechtsmittels aufzuerlegen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ihre auf eine Verfahrensund die Sachrüge gestützte Revision hat keinen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat festgestellt:
3
Die Angeklagte, eine im Zeitpunkt der Tat 18 Jahre und vier Monate alte, vor dem Abitur stehende Schülerin, ging im Herbst 2014 mit einem Mitschüler eine Beziehung ein, in deren Verlauf beide Geschlechtsverkehr hatten. Nachdem hierbei im März 2015 ein Kondom gerissen war, war der Angeklagten bewusst , dass die Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft bestand. Tatsächlich war sie schwanger geworden, was sie jedoch nicht wahrhaben wollte. Als ihr Bauchumfang zunahm, verheimlichte sie erfolgreich die bestehende Schwangerschaft gegenüber ihrer Familie, ihren Freunden und dem gesamten sozialen Umfeld.
4
Am 10. Dezember 2015 setzten die Wehen während des Sportunterrichts ein. In der Nacht zum 11. Dezember 2015 gebar die Angeklagte in der elterlichen Wohnung ein gesundes Mädchen, das sie nach der Geburt – in einem Zeitraum zwischen unmittelbar nach der Geburt und einer halben Stunde oder noch etwas später – vorsätzlich erstickte, indem sie es zunächst mit einem Handtuch bedeckte und anschließend die Ränder des Spannbettzuges über das Kind schlug, so dass dieses nicht mehr atmen konnte.
5
Die Angeklagte wurde am Vormittag des 11. Dezember 2015 mit dem Notarztwagen in ein Krankenhaus gebracht. Die ärztliche Untersuchung ergab Anhaltspunkte für eine erfolgte Geburt, die jedoch von der Angeklagten abgestritten wurde. Nachdem seitens des Krankenhauses die Polizei informiert worden war, wurde von einem Feuerwehrmann unter dem Schreibtisch der Angeklagten die Kindesleiche auf dem Rücken liegend, mit einem Handtuch bedeckt und in ein Bettlaken eingewickelt in einer großen Plastiktüte aufgefunden (UA S. 7 f., 12).

II.


6
Die Revision der Angeklagten ist unbegründet.
7
1. Die Rüge der Verletzung des § 74 StPO ist bereits unzulässig, da die Revision weder das vorbereitende schriftliche Gutachten der Sachverständigen B. , noch das von dieser als solches bezeichnete „Gefälligkeitsgut- achten“ vorlegt. Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts auch unbegründet. Insbesondere lassen die beanstandeten Äußerungen der Sachverständigen nach Erstattung ihres Gutachtens nicht den Schluss auf eine bereits zuvor bestehende Befangenheit zu.
8
2. Die den Schuldspruch tragenden Feststellungen beruhen auf einer mit Blick auf den eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326) rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Die Revision zeigt weder Verstöße gegen Denkgesetze noch Lücken oder Widersprüche in der Beweiswürdigung auf.
9
a) Die Angeklagte hat sich dahin eingelassen, noch bis kurz vor der Geburt nicht gewusst zu haben, dass sie unmittelbar davor gewesen sei, ein Kind zu gebären. Nach der Geburt habe sie den Säugling nicht angeschaut; ob er auf dem Rücken oder auf dem Bauch gelegen habe, könne sie nicht sagen, da es in dem Zimmer dunkel gewesen sei. Sie habe ein Handtuch über das Kind geschlagen und anschließend das verschmutzte Bettlaken abgezogen. Dabei habe sie die Nabelschnur gespürt und diese abgeschnitten. So, wie das Kind gelegen habe, habe sie es in Handtuch und Bettlaken unter ihren Schreibtisch gelegt. Sie habe das Kind nicht „extra“ so eingewickelt,dass es keine Luft be- komme. Sie habe das Kind nicht „wegschmeißen“ wollen. Nach einem Gang zur Toilette sei sie eingeschlafen.
10
b) Hinsichtlich der Todesursache folgt das Landgericht den beiden rechtsmedizinischen Sachverständigen, die übereinstimmend Ersticken als Ursache für den Tod des lebend geborenen Kindes angegeben haben. Die Ursache des Erstickens hat die Strafkammer darin gesehen, dass die Angeklagte ihr Neugeborenes in ein Handtuch und ein Laken eingeschlagen hat.
11
Rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer dabei zunächst – gestützt auf die gutachterlichen Ausführungen der von der Verteidigung benannten rechtsmedizinischen Sachverständigen Ba. – alternative Ursachen des Ersti- ckens (Ersticken des in Bauchlage geborenen, mit den Atemöffnungen nach unten liegenden Säuglings; selbständiges Drehen des Säuglings in eine Bauchlage ) ausgeschlossen.
12
Das Landgericht hat auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, die Angeklagte könne ihr Kind nach der Geburt versehentlich in eine Bauchlage gebracht haben, in der es erstickte. Aufgrund der Bekundungen der Sachverständigen Ba. ist es zu dem nachvollziehbaren Ergebnis gekommen, dass die Totenflecken keinerlei Aufschluss darüber gäben, in welcher Körperhaltung der Säugling verstorben sei. Hierzu steht entgegen der Auffassung der Revision nicht in Widerspruch, dass die Strafkammer im Hinblick auf die auf der linken Wange der Kindesleiche befindliche große Aussparung der Totenflecken die Möglichkeit erörtert hat, diese Lage könnte die Sterbelage gewesen sein, dies aber ausschließt, weil das Kind in dieser Lage mit zur Seite gedrehtem Kopf hätte atmen können.
13
Das Landgericht gelangt letztlich „aufgrund des Verpackungszustandes“ des toten Kindes zu der Gewissheit, dass die Angeklagte „ihr auf dem Rücken liegendes Baby dadurch erstickte, dass sie es erst mit einem Handtuch bedeckte und anschließend die Ränder des Spannbettbezugs über das Kind schlug, so dass es keine Luft mehr bekam“ (UA S. 11 f.).Rechtsfehlerfrei begründet die Strafkammer diese Überzeugung, indem sie die Einlassung der Angeklagten zum „Einpacken“ des Kindes mit den „spiegelbildlichen“ Bekundungen des Feuerwehrmanns zum „Auspacken“ der Leiche und den Ergebnissen der Inaugenscheinnahme von Fotos der Auffindesituation verbindet. Bei Auffinden des auf dem Rücken liegenden Kindes war dieses danach von einem Handtuch bedeckt. Dass die Lage der über den gesamten Leichnam verteilten Totenflecke nach den Ausführungen der Sachverständigen Ba. darauf hinweist, dass das bereits tote Kind – entgegen der Einlassung der Angeklagten – nicht die gesamte Zeit in derselben Position gelegen hat, sondern gedreht worden ist, berührt die Feststellungen des Urteils zur Sterbelage des Kindes und der Ursache seines Erstickens nicht. Denn schon aus der Lage des Handtuchs auf der Gesichtsseite des Kindes bei dessen Auffinden in Verbindung mit der Einlassung der Angeklagten ergibt sich, dass das Kind auf dem Rücken lag, als sie es zunächst mit dem Handtuch und anschließend mit dem Laken bedeckte.
14
c) Auch soweit das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Angeklagte ihr Kind vorsätzlich tötete, begegnet dies vor dem Hintergrund des von der Angeklagten eingeräumten objektiven Tatgeschehens keinen rechtlichen Bedenken. Eine versehentliche Tötung hat es – wie dargelegt – in rechtsfehlerfreier Weise ausgeschlossen. Darüber hinaus hat es im Einzelnen dargestellt , dass und auf welche Weise die Angeklagte ihre Schwangerschaft vor ihrer Umgebung verheimlichte. Beraten durch einen psychiatrischen Sachverständigen geht es davon aus, dass die Angeklagte ihren Zustand kannte. Nach dessen Bekundungen habe die Angeklagte ihre Schwangerschaft zwar nicht wahrhaben wollen und die Realität umgedeutet, jedoch gewusst, dass sie schwanger sei. Dafür sprächen nicht nur eine von ihr Ende September 2015 durchgeführte Internetrecherche („Joggen in der Schwangerschaft“), sondern auch unwahre Berichte über nicht stattgefundene Arztbesuche wegen der von ihr beklagten Bauchschmerzen in der Spätphase ihrer Schwangerschaft.
15
Frei von Rechtsfehlern bildet sich das Landgericht die Überzeugung, dass die Angeklagte spätestens zwei bis drei Wochen vor der Geburt ihres Kin- des „ganz sicher wusste“, dass diese bald stattfinden würde. Sie stützt sich da- bei insbesondere darauf, dass die erlogenen Schilderungen von Arztbesuchen und diagnostizierten Krankheiten (Magenschleimhautentzündung oder Laktoseintoleranz ) geeignet waren, eine bevorstehende mögliche erfolgreiche Be- handlung ihres „aufgeblähten“ Bauches und damit dessen baldiges Verschwin- den zu erklären (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2003 – 3 StR 55/03). Eine – von der Revision behauptete – Zirkelschlüssigkeit dieser Argumentation vermag der Senat nicht zu erkennen. Dass auf der Grundlage der Äußerungen des psychi- atrischen Sachverständigen die Angeklagte „bis zuletzt“ versuchte, die „unabweisbar werdende Realität abzuwehren“, ändert an ihrem nach der Geburt des Kindes aktualisierten Tötungsvorsatz nichts (UA S. 19). Zudem zieht die Strafkammer in ebenfalls nicht zu beanstandender Weise das Verhalten der Angeklagten bei Einsetzen der Wehen und im Verlauf des Geburtsvorgangs sowie ihr Nachtatverhalten in nachvollziehbarer Weise dafür heran, dass die Angeklagte nun auch die Geburt verheimlichen wollte. Die Tötung des Kindes war angesichts dessen „diekonsequente Fortführung ihrer verheimlichten Schwangerschaft , an deren Ende es kein Kind geben durfte“ (UA S. 12).
16
3. Auch der Strafausspruch hat Bestand.
17
a) Das Landgericht ist von der uneingeschränkten Schuldfähigkeit der Angeklagten ausgegangen. Dies hält der revisionsgerichtlichen Prüfung stand.
18
aa) Bei Kindstötungen im Sinne des § 217 StGB aF kommt eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine schon unabhängig hiervon bestehenden geistig-seelischen Beeinträchtigungen festzustellen sind (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juni 2003 – 3 StR 55/03, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Kindstötung 1; vom 19. Juni 2008 – 4 StR 105/08, NStZ-RR 2008, 308; vom 23. April 2009 – 3StR 100/09, NStZ 2009, 439 f.). Die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, kann in einem solchen Fall allerdings bei der Anwendung des § 213 StGB Berücksichtigung finden (BGH, Urteil vom 6. November 2003 – 4 StR 296/03, NStZ-RR 2004, 80).
19
bb) Zwar hat der Sachverständige eine „erhebliche Bewusstseinseinengung“ bei der Angeklagten während und nach der Geburt beschrieben, die „am ehesten als Anpassungsstörung nach ICD-10 F 43.2 zu fassen“ und als tiefgreifende Bewusstseinsstörung einzuordnen sei. Das Landgericht hat jedoch ausgeschlossen, dass eine solche Anpassungsstörung – wie für die Annahme einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung erforderlich (vgl. BGH, Urteile vom 9. Februar 1983 – 3 StR 500/82, NStZ 1983, 280, und vom 13. Dezember 1989 – 3 StR370/89, NStZ 1990, 231) – in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig und dass zudem eine mögliche Verminderung der Schuldfähigkeit „erheblich“ im Sinne des §21 StGB ist. Hiergegen ist aus revisionsgerichtlicher Sicht nichts einzuwenden.
20
b) Die Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld und deren Bemessung sind rechtsfehlerfrei. Auch insoweit können die Einwände der Beschwerdeführerin aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durchdringen. Insbesondere hat die Strafkammer der psychischen Ausnahmesituation der Angeklagten nach der Geburt bei der – maßvollen – Bemessung der Jugendstrafe Rechnung getragen, indem sie davon ausgegangen ist, dass bei Anwendung von allgemeinem Strafrecht ein minder schwerer Fall gemäß § 213 Alt. 2 StGB vorgelegen hätte. Mit der Erwä- gung, die Angeklagte habe sich „bisher allenfalls sehr oberflächlich mit der Tat auseinandergesetzt“ (UA S. 22), berücksichtigt die Strafkammer nicht deren Verteidigungsverhalten strafschärfend, vielmehr stellt sie damit ersichtlich auf die Notwendigkeit ab, auf die Angeklagte im Jugendstrafvollzug durch eine „nachhaltige Therapie“ einwirken zu müssen (UA S. 22, 23 unten).
Mutzbauer Schneider Dölp
König Mosbacher

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Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2017 - 5 StR 72/17 zitiert 7 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde

Strafprozeßordnung - StPO | § 74 Ablehnung des Sachverständigen


(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, daß der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist. (2) Das Ab

Strafgesetzbuch - StGB | § 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung


(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer blei

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Bundesgerichtshof Urteil, 06. Nov. 2003 - 4 StR 296/03

bei uns veröffentlicht am 06.11.2003

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 296/03 vom 6. November 2003 in der Strafsache gegen wegen Totschlags u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. November 2003, an der teilgenommen haben: Vorsitzende

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Juni 2008 - 4 StR 105/08

bei uns veröffentlicht am 19.06.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 105/08 vom 19. Juni 2008 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Juni 2008, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin a

Referenzen

(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund kann jedoch nicht daraus entnommen werden, daß der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.

(2) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Die ernannten Sachverständigen sind den zur Ablehnung Berechtigten namhaft zu machen, wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen.

(3) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen.

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 105/08
vom
19. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Juni 2008,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien
und die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 6. November 2007 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Halle zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision der Angeklagten und die Revision der Staatsanwaltschaft werden verworfen. 4. Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die der Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagte und - zu ihren Ungunsten - die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen; die Angeklagte erhebt darüber hinaus die nicht ausgeführte Verfahrensrüge. Während die Angeklagte mit ihrem Rechtsmittel insbesondere die Nichtannahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit beanstandet und eine niedrigere Strafe erstrebt, möchte die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes erreichen. Das Rechtsmittel der Angeklag- ten hat zum Strafausspruch Erfolg; dagegen bleibt der - vom Generalbundesanwalt vertretenen - Revision der Staatsanwaltschaft der Erfolg versagt.

I.

2
Das Landgericht hat festgestellt:
3
Die zur Tatzeit 27-jährige Angeklagte war von 2001 bis 2005 mit Enrico W. fest liiert. Aus dieser Beziehung stammt eine Tochter. Zwei weitere Schwangerschaften während ihrer Beziehung zu Enrico W. brach sie ab. Seit dem Sommer 2005 unterhielt sie eine Beziehung zu dem verheirateten Tino H. Als sie erstmals vom ihm schwanger wurde, ließ sie auch diese Schwangerschaft abbrechen. Die Beziehung zu Tino H. endete im Juli 2006. Im Dezember 2006 stellte die Angeklagte fest, dass sie von Tino H. erneut schwanger geworden war. Inzwischen hatte sie aber bereits die Verbindung zu Enrico W. wieder aufgenommen, der zwar zwischenzeitlich geheiratet hatte, aber von seiner Ehefrau getrennt lebte und bei dem es sich um den Mann handelte, den sie "immer wollte".
4
Die Angeklagte verbarg ihre erneute Schwangerschaft erfolgreich vor anderen und traf auch keinerlei Vorbereitungen für die bevorstehende Geburt. Auch ihrer Mutter, die ihre wichtigste Bezugsperson ist, erzählte sie nichts, weil sie Vorwürfe bezüglich ihrer Lebensführung fürchtete. Ebenso setzte sie auch Tino H. von ihrer Schwangerschaft nicht in Kenntnis, da ihr aufgrund seines früheren Verhaltens klar war, dass er das Kind nicht würde haben wollen.
5
Am Tattag, dem 28. Februar 2007, spürte die Angeklagte morgens Bauchschmerzen, dachte aber noch nicht an eine bevorstehende Geburt, mit der sie erst im April rechnete. Im Laufe des Vormittags fühlte sie jedoch, dass es sich bei den Bauchschmerzen um Geburtswehen handelte. Wenig später brachte sie im Bad problemfrei ein gesundes Mädchen zur Welt. Sie durchtrennte die Nabelschnur und säuberte das Kind. Dann reinigte sie das Bad. Während sie damit beschäftigt war und anschließend überlegte sie über einen Zeitraum von drei bis vier Stunden nach der Geburt unentschieden hin und her, ob sie das Kind umbringen oder behalten solle. Das Aufsuchen eines Krankenhauses oder die Abgabe des Kindes in eine so genannte Babyklappe zog sie nicht in Betracht, weil sie glaubte, dass hierbei sie als Mutter des Kindes und Tino H. als dessen Erzeuger bekannt würden. Das wollte sie aber wegen der befürchteten Vorwürfe ihrer Mutter, der Ablehnung von Tino H. sowie ihres eigenen Interesses an der wieder aufgenommenen Beziehung zu Enrico W. vermeiden. Sie verspürte Angst, Ratlosigkeit und Verzweiflung und war von der Geburt auch körperlich erschöpft. Als nunmehr das Kind zu schreien begann, nahm sie es auf den Arm und entschied sich dann, es zu töten. Sie drückte es mit Mund und Nase so gegen ihren Oberkörper, dass das Kind nicht mehr atmen konnte, legte es sodann auf dem Boden ab und überzeugte sich davon, dass es kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Anschließend steckte sie die Kindesleiche in einen Plastiksack, den sie zunächst in einem Schrank im Bad versteckte. In der folgenden Nacht brachte sie den Sack mit der Kinderleiche zu einem nahe gelegenen See.

II.

6
Das Landgericht hat die geständige Angeklagte des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) für schuldig befunden. Mit dem gehörten psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. M. hat es eine Aufhebung (§ 20 StGB) oder auch nur erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ver- neint. Zwar weise die Angeklagte eine selbstunsichere Persönlichkeit mit schizoiden und emotional instabilen Elementen auf. Gerade der mehrstündige Prozess des Hin- und Herüberlegens zeige aber, dass sie den Tatanreizen in ganz beträchtlichem Maße Widerstand entgegenzusetzen vermocht habe. Eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes hat das Schwurgericht abgelehnt, weil das allein in Betracht zu ziehende mordqualifizierende Merkmal der Tötung aus niedrigen Beweggründen nicht vorliege. Gegen eine solche Wertung sprächen die Angst der Angeklagten vor Vorwürfen ihrer Mutter, die sie dabei bewegenden Gefühle der Angst, Ratlosigkeit und Verzweiflung und auch ihre mögliche Sorge um den Bestand der Ehe des Erzeugers. Zudem spreche das mehrstündige Hin- und Herüberlegen vor der endgültigen Entscheidung zur Tötung gegen eine besondere Geringschätzung des fremden Lebens.

III.

7
Revision der Staatsanwaltschaft
8
Die Staatsanwaltschaft dringt mit ihrer Beanstandung, die Schwurgerichtskammer habe zu Unrecht das mordqualifizierende Merkmal der Tötung aus niedrigen Beweggründen verneint, nicht durch.
9
Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als ein Totschlag - verachtenswert erscheinen , hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters, und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 47, 128, 130; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 47; jew. m.w.N.). Die Ablehnung niedriger Beweggründe im angefochtenen Urteil ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat alle wesentlichen für die Beurteilung maßgebenden Umstände in seine Abwägung mit einbezogen. Mit ihren Einwänden unternimmt die Beschwerdeführerin lediglich den Versuch, die in erster Linie dem Tatrichter vorbehaltene Wertung durch eine eigene Würdigung zu ersetzen. Damit kann sie angesichts des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes nicht gehört werden. Dass die Angeklagte bei ihren stundenlangen Überlegungen , ob sie das Kind leben lassen oder es töten solle, auch ihre Beziehung zu ihrer Mutter und zu Enrico W. und die Haltung des Kindesvaters Tino H. im Blick hatte, hat das Landgericht nicht verkannt. Die Verfolgung eigener Interessen und ein Missverhältnis zwischen Anlass und Tat sind der Regelfall der vorsätzlichen rechtswidrigen Tötung eines anderen. Dass die Tat der Angeklagten demgegenüber von besonders krasser Selbstsucht geprägt war, die allein die Qualifizierung der Tat als mit lebenslanger Freiheitsstrafe statt als mit zeitiger Freiheitsstrafe bedrohter Totschlag rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls liegt ein die Revision begründender Rechtsfehler nicht darin, dass das Landgericht der von Angst, Ratlosigkeit, Verzweiflung geprägten psychischen Verfassung der Angeklagten, zu der die körperliche Erschöpfung nach der Geburt hinzukam, ein solches Gewicht beigemessen hat, dass deswegen die Mordqualifikation zu verneinen war.

IV.

10
Revision der Angeklagten
11
Dagegen führt die Revision der Angeklagten auf die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs.
12
1. Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerdeführerin, dass das Landgericht eine erhebliche Verminderung ihrer Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt im Sinne von § 21 StGB verneint hat. Bei Kindstötungen wird selbst unter den engeren Voraussetzungen des früheren § 217 StGB (zu den Gründen der Aufhebung dieser Vorschrift durch das 6. StrRG vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 34 zu Nr. 26 und S. 81/82 zu Nr. 15) eine erhebliche Verminderung oder gar Aufhebung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht kommen, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine unabhängig hiervon bestehenden rechtlich relevanten körperlichen und geistig-seelischen Beeinträchtigungen vorliegen (vgl. BGH, Urt. vom 5. Juni 2003 - 3 StR 55/03). Dies gilt erst recht, wenn die Tat wie hier – anders als im früheren § 217 StGB vorausgesetzt – nicht „in oder gleich nach der Geburt“ erfolgt. Danach hat das Landgericht ungeachtet der Persönlichkeitsauffälligkeiten der Angeklagten zu Recht - darin den gehörten psychiatrischen Sachverständigen folgend - das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB verneint.
13
2. Gleichwohl hat der Strafausspruch keinen Bestand.
14
Ohne Rechtsfehler hat das Schwurgericht allerdings das Vorliegen eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 StGB verneint und die Strafe dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Der Strafausspruch ist aber aufzuheben, weil nach den Feststellungen, die das Landgericht zur Schwere der Tat und zum Grad der persönlichen Schuld der Angeklagten getroffen hat, bei Abwägung der strafmildernden und der strafschärfenden Gesichtspunkte die verhängte Freiheitsstrafe unvertretbar hoch ist, das für vergleichbare Fälle übliche Maß erheblich überschreitet, damit den Anforderungen an einen gerechten Schuldausgleich nicht mehr entspricht und deshalb rechtsfehlerhaft ist (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 9, 11, 12 m.w.N.). Nach den Erkenntnissen des Senats halten sich die in einschlägigen Fällen gegen die Kindesmütter verhängten Strafen deutlich unterhalb der hier erkannten Freiheitsstrafe. Dabei steht außer Frage, dass solche Taten objektiv schwerstes Unrecht darstellen. Angesichts einer sich in letzter Zeit ersichtlich häufenden Zahl einschlägiger Fälle dürfen bei der Findung des (noch) schuldangemessenen Strafmaßes auch generalpräventive Gesichtspunkte Berücksichtigung finden. In erster Linie hat sich die Strafe indes nach dem Maß der Tatschuld im Einzelfall auszurichten. Bei deren Gewichtung darf insbesondere die häufig verzweifelte Situation der Kindesmütter nicht außer Betracht bleiben. Zwar hätte die Mutter der Angeklagten ihre Unterstützung nicht versagt und standen schon deshalb für die Angeklagte – wie das auch sonst bei solcher Sachlage regelmäßig der Fall ist – objektiv Lösungsmöglichkeiten für die Versorgung des Kindes zur Verfügung. Dass die Angeklagte davon keinen Gebrauch gemacht und sich schließlich für die Tötung des Kindes entschieden hat, ist aber nicht zuletzt den Besonderheiten in ihrer Persönlichkeit zuzuschreiben. Zu Recht hat das Landgericht der Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne deshalb auch ihre "selbstunsichere Persönlichkeitsstörung" mit schizoiden und emotional instabilen Anteilen sowie ihre körperliche Erschöpfung durch die zuvor überstandene Entbindung zugute gehalten. Hinzu kommt, dass die psychische Verfassung der Angeklagten in der Tatsituation von Gefühlen der Angst, Ratlosigkeit und Verzweiflung geprägt war. Angesichts dieser schuldmildernden Umstände von Gewicht wird das hier im zweistelligen Bereich gefundene Strafmaß der Tatschuld der Angeklagten nicht mehr gerecht.
15
3. Der Senat hebt deshalb auf die Revision der Angeklagten das Urteil im Strafausspruch auf. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Aufhebungsgrund nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben. Zugleich macht der Senat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache an ein anderes Landgericht zurück. Tepperwien Maatz Kuckein Athing Solin-Stojanović

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 296/03
vom
6. November 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. November
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Richterin am Bundesgerichtshof
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 6. Februar 2003 werden verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die hierdurch der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat die Angeklagte wegen der Tötung zweier von ihr geborener Säuglinge (Tatzeiten: 1997 und 2002) der Kindestötung und des Totschlags für schuldig befunden und gegen sie eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren (Einzelfreiheitsstrafen: zwei Jahre und sechs Monate und sieben Jahre) verhängt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, mit denen die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, ist - wie die Revisionsbegründung deutlich macht – ungeachtet des umfassend gestellten Aufhebungsantrages wirksam auf den Strafausspruch beschränkt (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3). Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
1. Die Revision der Angeklagten erweist sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, da die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben hat. Die Verneinung eines minder schweren Falles des Totschlags durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden. Zwar kann nach Aufhebung des § 217 StGB a.F. die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr eheliches oder nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, durch die Anwendung des § 213 StGB Berücksichtigung finden (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zum 6. StrRG BTDrucks. 13/8587 S. 34). Die Annahme eines minder schweren Falles ist jedoch in diesen Fällen entgegen der Auffassung der Revision nicht zwingend, sondern bedarf - wie auch sonst - einer Gesamtwürdigung. Eine solche hat das Landgericht unter sorgfältiger Abwägung der für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände vorgenommen und einen minder schweren Fall im Sinne des § 213 2. Alt. StGB insbesondere mit Blick darauf, daß es sich um eine Wiederholungstat handelt, rechtsfehlerfrei verneint.
2. Auch der Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie in erster Linie im Hinblick auf die 1997 begangene Tat die Annahme eines minder schweren Falles der Kindestötung (§ 217 Abs. 2 StGB a.F.) beanstandet und sich im übrigen gegen die Bemessung der wegen Totschlags verhängten Einzelstrafe (Freiheitsstrafe von sieben Jahren) sowie der Gesamtstrafe wendet, bleibt der Erfolg versagt. Die Höhe der verhängten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe liegt jeweils im Bereich des dem Tatrichter bei der Strafzumessung einzuräumenden Beurteilungsspielraums. Ihre Bemessung läßt Rechtsfehler nicht erkennen , solche werden von der Beschwerdeführerin auch nicht aufgezeigt. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge der Verletzung des § 217 Abs. 2 StGB a.F..


a) Entscheidend für das Vorliegen eines minder schweren Falles ist, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, daß die Anwendung dieses Strafrahmens geboten erscheint. Für die Prüfung der Frage ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (st. Rsp., vgl. nur die Nachweise bei Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 46 Rdn. 85). Die Erschwernis- und Milderungsgründe auf diese Weise nach pflichtgemäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen, ist Sache des Tatrichters. Seine Wertung ist vom Revisionsgericht nur begrenzt nachprüfbar. Weist sie keinen Rechtsfehler auf, ist sie deshalb auch dann hinzunehmen, wenn eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre oder vielleicht sogar näher gelegen hätte (BGHR StGB vor § 1/msF Gesamtwürdigung, fehlerfreie 1; BGH NStZ 1991, 529 jeweils mit weiteren Nachweisen).

b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Annahme eines minder schweren Falls der Kindestötung rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat seine Entscheidung aus einer Gesamtschau hergeleitet, in die die maßgeblichen Gesichtspunkte eingeflossen sind. Es hat hierbei zu Gunsten der Angeklagten namentlich ihr Geständnis, die bisherige Straflosigkeit, das Vorliegen die Tat begünstigender Persönlichkeitsauffälligkeiten sowie den Umstand berücksichtigt, daß sie aus einer Konfliktsituation heraus in einem – wenn auch nicht tiefgreifenden – Affekt handelte. Daß das Landgericht hierbei – wie die Revision meint – die Art und Weise der Tatausführung und das Ver-
halten der Angeklagten nach der Tat nicht im Blick gehabt haben könnte, steht nicht zu befürchten. Die Darlegung sämtlicher Erwägungen ist weder nötig noch möglich (BGHR StGB vor § 1/msF Gesamtwürdigung, fehlerfreie 3).

c) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin begründet die vom Landgericht vorgenommene Berücksichtigung einer Affektsituation auch keinen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Richtig ist zwar, daß durch die Privilegierung des § 217 StGB a.F. dem mit dem Geburtsvorgang gewöhnlich verbundenen besonderen Erregungszustand der nichtehelichen Mutter Rechnung getragen werden sollte (vgl. hierzu Jähnke in LK 10. Aufl. § 217 Rdn. 1 und 6). Zutreffend ist auch, daß das Verbot der Doppelverwertung über den Wortlaut des § 46 Abs. 3 StGB hinaus auch solche Umstände erfassen kann, die - ohne Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes zu sein – gerade den gesetzgeberischen Anlaß für seine Schaffung bildeten oder für die Tat typisch sind (vgl. hierzu etwa Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 46 Rdn. 45 a, 46 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Ob und in welchem Umfang dies auch für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 217 Abs. 2 StGB a.F. gilt, bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Das Landgericht hat nämlich bei der Annahme eines minder schweren Falles ersichtlich nicht auf einen geburtsbedingten Erregungszustand der Angeklagten,
sondern auf eine durch ihre Persönlichkeitsauffälligkeiten und außergewöhnlichen Lebensverhältnisse verursachte besondere, als existentiell empfundene Konfliktsituation abgestellt. Dies ist unter keinem Gesichtspunkt zu beanstanden. ! " #%$ & ' ( ) * + , Ernemann Sost-Scheible

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.