Bundesgerichtshof Urteil, 15. Nov. 2017 - 5 StR 439/17

bei uns veröffentlicht am15.11.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 439/17
vom
15. November 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:151117U5STR439.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. November 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Dölp, Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin als Verteidigerin,
Tarifbeschäftigte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 31. März 2017 im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben , soweit von der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen worden ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverlet- zung, wegen versuchter Nötigung sowie wegen „gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, das Verfahren hinsichtlich des Vorwurfs einer anderen Beleidigung wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt und den Angeklagten von weiteren Anklagevorwürfen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit einer auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision, während die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision die Strafzumessung und die Nichtverhängung einer Maßregel nach § 63 StGB beanstandet. Die Rechtsmittel erzielen den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.

I.


1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
2

a) Der aus Afghanistan stammende Angeklagte lebt seit Ende der acht3 ziger Jahre in Deutschland. Er ist seit 2006 rechtskräftig ausgewiesen. Angesichts drohender Abschiebung beantragte er 2015 Asyl. Er lebt von Sozialleistungen und ist mehrfach, auch einschlägig, vorbestraft. Wegen mehrerer Körperverletzungsdelikte verbüßte er bis November 2011 eine Gesamtfreiheitsstra- fe von drei Jahren und drei Monaten. Die Führungsaufsicht musste mehrfach verlängert werden, zuletzt bis November 2017. Im Oktober 2013 wurde der Angeklagte wegen einer im Juni 2013 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Mai 2014 wurde er wegen einer im Juni 2013 begangenen vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt.

b) Im Dezember 2015 beging der Angeklagte folgende Taten:
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aa) Am 2. Dezember 2015 bedrängte der Angeklagte den Geschädigten
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G. , der ihn beim Urinieren im öffentlichen Raum beobachtet und zur Rede gestellt hatte. Nach einem Schubser durch G. schlug der Angeklagte dreimal mit der Hand nach dem Zeugen und traf ihn beim letzten Schlag in der rechten Gesichtshälfte so heftig, dass der Geschädigte starke Schmerzen verspürte, einen Knall vernahm, taumelte und zu Boden fiel. Der Angeklagte wurde von seinen Begleitern von weiteren Handlungen abgehalten, so dass sich der Geschädigte entfernen konnte. Dieser zog sich durch den Schlag neben einer Ohrprellung einen Trommelfellriss zu, der einer operativen Versorgung bedarf. Er muss jeglichen Wasserkontakt der Ohren vermeiden und Silikonpassstücke tragen, wodurch auch seine Ausbildung zum Binnenschiffer gefährdet war.
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bb) G. versuchte erfolglos, einen Freund anzurufen. Deswegen vermutete der Angeklagte, G. habe ihn fotografiert. Um das zu überprüfen , forderte der Angeklagte unter Drohungen und Beleidigungen mehrfach dessen Mobiltelefon. Der Geschädigte kam dem Verlangen nicht nach. Ein Zeuge wurde auf das Geschehen aufmerksam und rief aus dem Fenster, der Geschädigte solle sein Telefon nicht herausgeben, die Polizei sei informiert. Daraufhin nahm der Angeklagte von seinem Vorhaben Abstand.
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cc) Am 19. Dezember 2015 suchte er eine Asylunterkunft auf, um einen Freund zu besuchen. Weil er dort Hausverbot hatte, wurde ihm der Zutritt verwehrt. Während ein Beschäftigter den Freund auf Wunsch des Angeklagten ausfindig machen wollte, unterhielt sich der Angeklagte mit der in der Einrichtung als ehrenamtliche Helferin tätigen Gi. und dem Hausmeister A. im Eingangsbereich. Als der Hausmeister kurzzeitig abwesend war, bezeichnete der Angeklagte Gi. als „Schlampe“ und drohte, ihr Kind zu töten. Schließlich schlug er ihr mit der Faust in den Unterbauch, wodurch sie Schmerzen erlitt und sich krümmte. Als der Hausmeister ihr zu Hilfe kommen wollte, entwickelte sich zwischen ihm und dem Angeklagten eine körperliche Auseinandersetzung. In deren Verlauf schlug der Angeklagte mit seinem mit einer Metallschnalle versehenen Gürtel auf seinen Gegner ein, was Verletzungen im Gesicht und am Körper zur Folge hatte. Als der Hausmeister seinen großen Schlüsselbund verlor, nahm der Angeklagte diesen und warf ihn auf die eng zusammenstehenden Geschädigten. Gi. wurde an einem Finger getroffen und litt mehrere Tage Schmerzen.

c) Der Angeklagte trinkt seit 1995 Alkohol, zeitweise auch exzessiv, und
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konsumiert gelegentlich Kokain, Cannabis und Speed. Er leidet an einer chronischen kombinierten Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, histrionischen und emotional instabilen Zügen, nimmt sich selbst allerdings als völlig gesund wahr und sieht sich als Opfer einer Verschwörung von Sachverständigen und Strafverfolgungsorganen.
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2. Das sachverständig beratene Landgericht hat eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB bei allen Taten angenommen. Die Persönlichkeitsstörung sei als schwere andere seelische Abartigkeit einzuordnen. Sie führe zu einem umfassenden Versagen in allen Lebensbereichen. Es lägen erhebliche Störungen in der Impulskontrolle, Affektivität und Kognition vor, das Verhalten sei von einem raschen Wechsel der Stimmungslage und Affektinkontinenz geprägt. Den Taten sei gemeinsam, dass der Angeklagte zuvor Ablehnung oder Kritik erfahren habe, auf die er mit dem eingeschliffenen Muster verbaler und körperlicher Aggressivität reagiere. Die Legalprognose sei ungünstig. Immer wieder verübe er Körperverletzungsdelikte und sei dabei in der Opferwahl zufällig.
3. Das Landgericht hat für die drei abgeurteilten Taten Einzelstrafen von
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sechs und drei Monaten sowie einem Jahr und drei Monaten verhängt. Von einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgesehen. Mit der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des A. habe der Angeklagte zwar eine erhebliche Anlasstat verwirklicht, weshalb sich die Anordnungsvoraussetzungen nach § 63 Satz 1 StGB richteten. Es sei aber nicht höhergradig wahrscheinlich, dass er auch in Zukunft derart erhebliche Straftaten begehen werde. Zu erwarten seien zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit Taten wie die gegen G. und Gi. . Solche Taten seien aber keine erheblichen Taten im Sinne von § 63 Satz 1 StGB.

II.


11
Die Revision des Angeklagten führt lediglich zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.
1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
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a) Die Rüge fehlerhafter Ablehnung eines auf die Vernehmung des Zeu13 gen M. gerichteten Beweisantrags ist unzulässig, da die Seiten 7 und 8 der Revisionsbegründung (Vorsitzendenverfügung, auf die sich die Kammer in ihrer Ablehnungsbegründung bezieht) fehlen und der Vortrag deshalb entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unvollständig ist. Aus demselben Grund versagen die insoweit erhobene Aufklärungsrüge sowie die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs.

b) Die Anträge, die Zeugen A. und Gi. erneut zu hö14 ren, obgleich beide bereits umfassend zur Sache und auch zu den Beweisthemen vernommen wurden, hat die Kammer rechtsfehlerfrei abgelehnt. Auch ein Aufklärungsmangel liegt deshalb nicht vor.
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c) Soweit die Revision einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens mit der Begründung rügt, die Staatsanwaltschaft habe ihr vorliegende Erkenntnisse aus einem Parallelverfahren erst zu spät zur Gerichtsakte weitergereicht , so dass sie bei einer Zeugenvernehmung keine Verwendung finden konnten, wird ein Rechtsverstoß des erkennenden Gerichts nicht behauptet. Wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Gegenerklärung zutreffend vorbringt, widersprechen die Angaben der Zeugin Gi. in der anderen Hauptverhandlung ihren Angaben zum hiesigen Tatgeschehen zudem nicht, weshalb nicht ersichtlich ist, inwieweit die Verteidigung durch das Unterlassen der Übersendung in ihren Rechten beeinträchtigt worden sein könnte.
2. Die Sachrüge führt lediglich zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.
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a) Die Beweiswürdigung weist in Ansehung des revisionsgerichtlichen
17
Überprüfungsmaßstabs (vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16 mwN) keinen Rechtsfehler auf. Entgegen der Auffassung der Re- vision waren weitergehende Ausführungen zum Inhalt der Aussage des Zeugen Ge. nicht veranlasst. Ebenso wenig bestehen hinsichtlich des Zeugen erläuterungsbedürftige Lücken (vgl. zum Maßstab insoweit BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – 1 StR 385/16 mwN) oder Widersprüche.

b) Die Feststellungen tragen den Schuldspruch. Entgegen der missver18 ständlichen Formulierung der Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung (UA S. 36) kommt ein freiwilliger Rücktritt von dem Versuch, sich des Mobiltelefons des Geschädigten G. durch Drohungen zu bemächtigen, nicht in Betracht. Denn der Angeklagte war mit seinen Drohungen erfolglos und ließ hiervon erst ab, nachdem ein Zeuge interveniert und mitgeteilt hatte, die Polizei alarmiert zu haben.

c) Die Bemessung der Einzelfreiheitsstrafen weist keinen Rechtsfehler
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zum Nachteil des Angeklagten auf. Angesichts der einschlägigen Vorstrafen und des Bewährungsbruchs sowie der Verwirklichung zweier tateinheitlicher Taten der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil mehrerer Geschädigter ist es trotz der Annahme einer Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht rechtsfehlerhaft, einen minder schweren Fall nach § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB nicht ausdrücklich zu prüfen.

d) Die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Mona20 ten verstößt indes gegen § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB. Danach darf die Gesamtstrafe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Aus den in den Urteilsgründen mitgeteilten Einzelfreiheitsstrafen von sechs Monaten, drei Monaten sowie
einem Jahr und drei Monaten hätte das Landgericht demnach höchstens eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und elf Monaten bilden dürfen (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. Rn. 1204).

III.


21
Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht von der Verhängung einer Maßregel nach § 63 StGB abgesehen hat.
1. Die Strafzumessung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum
22
Vorteil des Angeklagten auf. Die Einzelstrafen sind zwar angesichts der einschlägigen Vorstrafen, des Bewährungsbruchs und der Tatfolgen bei dem Geschädigten G. überaus milde bemessen. Dies allein ist aber nach revisionsrechtlichen Maßstäben (vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – 1 StR 385/16 mwN) noch nicht zu beanstanden. Der Senat schließt aus, dem Landgericht könne bei der Strafzumessung für die gefährliche Körperverletzung der Umstand, dass sich die Tat gegen zwei Geschädigte richtete, aus dem Blick geraten sein.
2. Allerdings bedarf die Frage der Anordnung einer Maßregel nach § 63
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StGB erneuter Prüfung.
24
a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Anordnungsvoraussetzungen nach § 63 Satz 1 StGB richten. Rechtsfehlerfrei hat es mit sachverständiger Hilfe einen überdauernden Zustand im Sinne von § 20 StGB festgestellt, der bei den abgeurteilten Straftaten jeweils sicher zu einer Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB geführt hat.
25
b) Allerdings hat die Strafkammer bei ihrer Gefährlichkeitsprognose einen zu strengen Maßstab angelegt.
aa) Die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus wird nach § 63
26
Satz 1 StGB angeordnet, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten , durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegt vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (st. Rspr. vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. Januar 2017 – 3 StR 421/16 mwN). Straftaten, die wie die vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden, gehören regelmäßig zum Bereich der mittleren Kriminalität. Lediglich Straftaten, die höchstens mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind nicht mehr ohne Weiteres diesem Bereich zuzurechnen (vgl. BGH aaO mwN; BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BT-Drucks. 18/7244 S. 18; abweichend – wohl versehentlich – BGH, Beschluss vom 13. Juni 2017 – 2 StR 24/17; zutreffend Peglau jurisPR StrafR 18/2017 Anm. 2). Gewalt- und Aggressionsdelikte gehören regelmäßig zu den erheblichen Taten (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 mwN).
Um auch bei derartigen Straftaten die Anordnung der schwerwiegenden
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Maßregel einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gerade in Fällen geringfügiger vorsätzlicher Körperverletzungen zu begrenzen, hat der Gesetzgeber durch die Neufassung von § 63 Satz 1 StGB im Sinne der bisherigen Rechtsprechung klargestellt, dass es durch solche Taten auch zu erheblichen körperlichen oder seelischen Schäden oder Gefährdungen der Opfer kommen muss (eingehend BT-Drucks. 18/7244 S. 18 f.). Deshalb muss auch bei drohenden Körperverletzungen im konkreten Einzelfall geprüft werden, ob diese zu einer „erheblichen“ Schädigung oder Gefährdung führen und deshalb den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 18). Drohende Körperverletzungsdelikte wie eine einfache Ohrfeige, die nur mit geringer Gewaltanwendung verbunden sind und nur unwesentlich die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich verlangten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit überschreiten, reichen als zu erwartende Taten nicht aus; gleiches gilt für niedrigschwellige Körperverletzungsdelikte wie etwa Ziehen an den Haaren, ein Stoß gegen die Brust oder ein Kniff in das Gesäß (vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 18 f.). Allerdings verbietet sich jede schematische Betrachtung. Erforderlich ist eine Gesamtabwägung, in die neben der Schwere einer drohenden Tat insbesondere auch die Häufigkeit und die Rückfallfrequenz einzustellen sind (BT-Drucks. 18/7244 S. 19).
bb) Schon nach diesen Maßstäben ist die Körperverletzungstat gegen28 über dem Geschädigten G. – anders als die Strafkammer meint – ohne Weiteres als erhebliche Straftat im vorgenannten Sinne einzuordnen. Der Schlag ins Gesicht war so massiv, dass der Zeuge zu Boden fiel und einen operationsbedürftigen Trommelfellriss erlitt, was zu erheblichen Einschränkungen in
seiner Lebensführung und der Gefährdung seiner Ausbildung führte (vgl. zur Berücksichtigung möglicher Verletzungsfolgen auch van Gemmeren in MüKo-StGB, 3. Aufl., § 63 Rn. 54). Zudem wurde der Angriff gegen ein Zufallsopfer im öffentlichen Raum geführt, nachdem der Angeklagte durch sein Urinieren an die Wand einer Fachhochschule Anlass zur Kritik gegeben hatte. Ein solches Verhalten ist in hohem Maße geeignet, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.
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Angesichts des ungeklärten aufenthaltsrechtlichen Status des Angeklagten ist entgegen der Auffassung der Strafkammer für die Gefährlichkeitsprognose auch irrelevant, dass seine Abschiebung möglich und deshalb offen ist, ob er überhaupt Gelegenheit hat, weitere Straftaten zu begehen. Dies gilt schon deswegen , weil die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt des Urteils bezogen ist (vgl. van Gemmeren, aaO, § 63 Rn. 61 mwN) und lediglich theoretisch mögliche Entwicklungen außer Betracht bleiben.
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c) Eine Anordnung nach § 63 StGB scheidet auch nicht aus anderen Gründen aus. Angesichts der rechtfehlerfreien Feststellung des Landgerichts, aufgrund der Persönlichkeitsstörung sei die Rückfallwahrscheinlichkeit des mit ähnlichen Delikten in der Vergangenheit aufgefallenen krankheitsuneinsichtigen Angeklagten als hoch einzuschätzen und es seien gleichgelagerte erhebliche Taten zu erwarten, bedarf die Frage der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vielmehr erneuter tatgerichtlicher Prüfung.
3. Die Aufhebung des Urteils, soweit von der Anordnung einer Maßregel
31
nach § 63 StGB abgesehen wurde, hat keinen Einfluss auf die Höhe der verhängten Einzelstrafen. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht noch mildere Einzelstrafen verhängt hätte, wenn es daneben die Maßregel angeordnet hätte.
Sander Dölp König
Berger Mosbacher

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Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

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Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


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Strafgesetzbuch - StGB | § 54 Bildung der Gesamtstrafe


(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener

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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

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1.
2.
wegen Verdachts des Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:010217U2STR78.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 25. Januar 2017 in der Sitzung am 1. Februar 2017, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Dr. Eschelbach, Zeng, Dr. Grube,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Pflichtverteidiger für den Angeklagten C. B. , Rechtsanwalt in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Pflichtverteidiger für den Angeklagten K. B. , Rechtsanwalt in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Vertreter der Nebenkläger N. R. und St. K. ,
Rechtsanwältin in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Vertreterin der Nebenkläger L. F. und S. B. , Rechtsanwalt in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Vertreter der Nebenkläger I. B. und A. B. ,
Justizangestellte in der Verhandlung vom 25. Januar 2017, Justizangestellte in der Sitzung am 1. Februar 2017 als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger N. R. und St. K. wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 5. August 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Auf die Revisionen der Nebenkläger I. B. und A. B. und der Nebenkläger L. F. und S. B. wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es die Tat zu Lasten der Geschädigten S. K. betrifft. Im Übrigen werden die Revisionen dieser Nebenkläger als unzulässig verworfen. 3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten C. B. vom Vorwurf des Totschlags und den Angeklagten K. B. vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger haben, soweit sie sich im Rahmen ihrer jeweiligen Nebenklagebefugnis halten, mit der Sachrüge Erfolg. Die Revisionen der Nebenkläger I. B. und A. B. und der Nebenkläger L. F. und S. B. sind unzulässig, soweit sie die Tat zum Nachteil des Geschädigten H. K. betreffen.

I.

2
Die zugelassene Anklage legt den Angeklagten folgendes zur Last:
3
Am 6. Juni 2014 habe der Angeklagte C. B. auf der „M. “ in Ma. im Rahmen eines Streits mit anschließender Rangelei dem Geschädigten H. K. ein von diesem mitgeführtes Messer abgenommen und hiermit insgesamt 17 Mal auf den Bauch- und Rückenbereich des Geschädigten eingestochen, bis dieser infolge der massiven Stichverletzungen verstorben sei.
4
Die Ehefrau des H. K. , die Geschädigte S. K. , habe mit einem Beil bewaffnet die Auseinandersetzung aus unmittelbarer Nähe beobachtet , ohne in das Geschehen einzugreifen. Der Angeklagte K. B. sei sodann von einem hinteren Teil des Geländes zu dem Kampfgeschehen hinzugekommen und habe erkannt, dass sein Sohn C. den Geschä- digten H. K. getötet habe. Daraufhin habe er sich entschlossen, die Geschädigte S. K. durch gezielte Kopfschüsse aus einer von ihm mitgeführten Pistole zu töten, um die Überführung seines Sohnes zu verhindern. In Ausführung seines Tatplans habe der Angeklagte K. B. daraufhin der Geschädigten aus kurzer Distanz zweimal hintereinander in deren Arm /Schulter-/Kopfbereich geschossen, wodurch S. K. sofort, wie vom Angeklagten K. B. beabsichtigt, verstorben sei. Die Angeklagten hätten anschließend die Kampfspuren zu verwischen gesucht, die Tatwerkzeuge beiseite geschafft und das getötete Ehepaar zunächst unter einem Sandhaufen, in der Nacht darauf in einer Jauchegrube vor der Ranch vergraben. Das Auto der Getöteten habe der Angeklagte K. B. auf einem Supermarktparkplatz in Ma. abgestellt.

II.

5
Zu den den Angeklagten zur Last gelegten Taten hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
6
1. Der Geschädigte H K. und seine Tochter waren seit Mai 2007 Pächter der „M. “, eines sich außerhalb des Stadtrands von Ma. befindlichen Grundstücks mit direktem Zugang zum Mainufer. Im März 2012 schlossen der Geschädigte und seine Ehefrau, die Geschädigte S. K. , mit den beiden Angeklagten einen Untermietvertrag, der diesen gegen einen Mietzins von monatlich 906 Euro in bar das Recht einräumen sollte, ein auf dem Anwesen befindliches Gebäude zu Wohnzwecken und Teile des Grundstücks für Tierhaltung zu nutzen. Den Geschädigten war bekannt, dass sie zu dieser Untervermietung nicht berechtigt waren und das Grundstück zu Wohnzwecken nicht genutzt werden durfte.
7
Ab dem Jahr 2013 verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den Angeklagten und den Geschädigten zunehmend. Grund hierfür war zum einen, dass die Angeklagten aufgrund ihrer äußerst angespannten finanziellen Situation den vereinbarten Mietzins nicht immer pünktlich zum jeweiligen Monatsanfang an die Geschädigten zahlen konnten. Die Geschädigten, die nur über geringe Einkünfte verfügten, waren auf diese Zahlungen dringend angewiesen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten und den Mietzins für eine von ihnen auf Mallorca angemietete Wohnung entrichten zu können. Infolge der unregelmäßigen Zahlung der Miete kam es daher immer wieder zu verbalen Streitigkeiten zwischen den ihre Forderungen vehement einfordernden Geschädigten und den Angeklagten. Zu Konflikten zwischen den Angeklagten und Geschädigten trug zum anderen bei, dass Letztere nicht mit der Haltung der auf dem Hof lebenden Ziegen durch den Angeklagten C. B. einverstanden waren und deshalb mehrfach das staatliche Veterinäramt zu Kontrollen veranlassten. Dass sich die Angeklagten und Geschädigten täglich auf dem Gelände der Ranch begegneten, verschärfte das vorhandene Konfliktpotential zusätzlich. Auf die häufigen aggressiven Anwürfe der Geschädigten, die in Beleidigungen und Drohungen gipfelten, reagierten die Angeklagten passiv, demütig und verängstigt. Aufgrund der stetig zunehmenden Angst vor etwaigen Übergriffen der Geschädigten bewahrten die Angeklagten spätestens seit Dezember 2013 eine Pistole griffbereit hinter der Eingangstür des von ihnen bewohnten Gebäudes der Ranch auf.
8
In den letzten Wochen vor der Tat kam es beinahe täglich zu immer lautstärkeren – und seitens der Geschädigten sehr emotional und aggressiv geführten – Auseinandersetzungen zwischen den Geschädigten und den Angeklagten. Nachdem der Eigentümer des Grundstücks Ende April 2014 erstmals erfahren hatte, dass das Grundstück zu Wohnzwecken untervermietet worden war, forderte dessen Rechtsanwalt Anfang Mai 2014 die Geschädigten und An- geklagten schriftlich auf, das illegale Untermietverhältnis zu beenden. Am 2. Juni 2014 suchten die Angeklagten ihren Rechtsanwalt auf, der ihnen dazu riet, keinerlei Mietzins mehr an die Geschädigten zu entrichten und ihnen zusicherte , sich mit dem Grundstückseigentümer in Verbindung zu setzen, um eine direkte Anmietung oder einen Erwerb des Grundstücks zu erreichen. Am selben Tag zahlten die Angeklagten im Anschluss an das Beratungsgespräch für Juni 2014 dennoch einen (Teil-) Mietzins in Höhe von 450 Euro an die Geschädigten. Sie waren hiernach jedoch definitiv nicht mehr bereit, weitere Zahlungen zu leisten.
9
Am 6. Juni 2014 zwischen 13.02 Uhr und circa 13.30 Uhr befanden sich die Geschädigten auf dem Grundstück der Ranch direkt vor dem Eingang des von den Angeklagten bewohnten Gebäudes. Hierbei führte der Geschädigte H. K. – wie üblich – ein Messer mit sich. Die Geschädigten hatten sich vorgenommen – wie mit den Angeklagten zuvor am 2. Juni 2014 verabredet – den noch offenen Mietzins für den Monat Juni 2014 zu erhalten und waren zur Durchsetzung ihrer Forderung bereit, falls erforderlich, auch Gewalt anzuwenden.
10
Während sich der Angeklagte K. B. im hinteren Teil des Grundstücks mit den Tieren beschäftigte, traf der Geschädigte H. K. an der Eingangstür des bewohnten Gebäudes den Angeklagten C. B. an und forderte ihn zur unverzüglichen Zahlung des restlichen Mietzinses für Juni 2014 sowie zusätzlich auch des Mietzinses für Juli 2014 auf. Als der Angeklagte gegenüber H. K. und dessen Ehefrau, die ein Beil mit sich führte, trotz Drohungen mit Gewalt jede weitere Zahlung ablehnte und von der Einschaltung seines Anwalts berichtete, zog H. K. das von ihm mitgeführte Messer und setzte es dem von ihm am Hals festgehaltenen C. B. auf die Brust. Als sich der Angeklagte C. B. zu wehren versuchte, stach H. K. mit dem in seiner rechten Hand geführten Messer in Richtung des Oberkörpers des Angeklagten, der den Stich jedoch ablenken konnte. Im weiteren Verlauf der tätlichen Auseinandersetzung gelang es C. B. , dem Geschädigten H. K. das Messer abzunehmen und sich durch einen Stich in dessen Oberkörper aus dem Griff am Hals zu lösen. Sein anschließender Versuch, von der Ranch zu flüchten, scheiterte, weil ihm die noch immer mit dem Beil bewaffnete Geschädigte S. K. den Fluchtweg versperrte. Dadurch gelang es dem Geschädigten H. K. , ihn einzuholen, in den Schwitzkasten zu nehmen und die wieder vor die Eingangstür verlagerte, zwischenzeitlich auf dem Boden geführte Auseinandersetzung fortzusetzen.
11
Währenddessen kam der Angeklagte K. B. zum Geschehen hinzu. Als er sah, dass sein Sohn mit dem Rücken auf dem Boden liegend mit dem auf ihm sitzenden H. K. kämpfte, und die Geschädigte S. K. mit einem Gegenstand in der Hand neben beiden kniete, versuchte er zunächst vergeblich S. K. wegzustoßen. Daraufhin begab er sich in den Vorraum des Hauses und ergriff die dort gelagerte Pistole.
12
Trotz der Fixierung seiner rechten Hand durch die linke Hand des Geschädigten H. K. war es dem Angeklagten C. B. nunmehr unter erheblicher Kraftanstrengung möglich, mit dem in seiner rechten Hand geführten Messer noch insgesamt drei Stiche in den oberen Brustbereich des auf ihm sitzenden Geschädigten H. K. anzubringen, der ihn weiterhin mit seiner rechten Hand am Hals festhielt und versuchte, ihm das Messer zu entwinden.
13
In der Zwischenzeit kam der Angeklagte K. B. mit der Pistole zum Geschehen zurück. Als er erkannte, dass die Geschädigte S.
K. ein Beil in der Hand hielt und ausholend dazu ansetzte, hiermit auf C. B. einzuhacken, schoss er – um seinen Sohn vor dem Angriff mit dem Beil zu verteidigen – aus einer Entfernung von mindestens zwei Metern zwei Mal auf den Arm-/Schulterbereich der S. K. , die dadurch am Rücken getroffen wurde und sofort verstarb.
14
Der Angeklagte K. B. zog nun den Geschädigten von seinem Sohn herunter, woraufhin H. K. leblos auf dem Rücken neben C. B. zum Liegen kam. Der Angeklagte C. B. kniete sich daraufhin neben H. K. , der – was er nicht erkannte – bereits infolge beidseitigen Pneumothorax verstorben war, und fügte diesem mit dem Messer weitere 12 Stiche in den Brustkorb zu.
15
Der Angeklagte K. B. entschied sich gegen eine Verständigung der Polizei, da er davon ausging, dass diese ihnen das Tatgeschehen nicht glauben würde. Gemeinsam mit seinem Sohn, der – noch unter dem Einfluss des Tatgeschehens stehend – die Anweisungen seines Vaters mechanisch ausführte, beseitigten die Angeklagten die Tatspuren, parkten das Fahrzeug der Geschädigten auf dem Parkplatz eines Supermarkts, warfen das Tatmesser und das Beil in den Main, versteckten die Pistole und vergruben die Leichen auf dem Gelände der Ranch. Aufgrund von Hinweisen des Angeklagten C. B. vom 14. Oktober 2014 konnten die Leichname der Geschädigten später dort aufgefunden werden.
16
2. Das Landgericht hat die Einlassungen der Angeklagten zum Tatgeschehen , der die weiteren Beweisergebnisse nicht widersprächen, als unwiderlegbar angesehen. Unter Zugrundelegung der Einlassungen hat es angenommen , das Handeln des Angeklagten C. B. sei durch Notwehr gerechtfertigt. Der Geschädigte H. K. habe den Angeklagten C.
B. rechtswidrig angegriffen, indem er mit der linken Hand an dessen Hals griff und mit dem in seiner rechten Hand geführten Messer auf ihn einstach. Dieser Angriff sei auch noch nach dem Entwinden des Messers nicht beendet gewesen, da der Geschädigte den Angeklagten weiter mit seiner linken Hand am Hals festgehalten und um das Messer gekämpft habe. Über diese fortdauernde Intensität der Kampflage hinaus habe die jederzeitige Möglichkeit eines Eingreifens der anwesenden und mit einem Beil bewaffneten Ehefrau des Geschädigten bestanden. Als der Angeklagte C. B. auf den bereits verstorbenen Geschädigten H. K. weiter einstach, habe er sich im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB befunden.
17
Hinsichtlich der vom Angeklagten K. B. auf die Geschädigte S. K. abgegebenen zwei Schüsse hat das Landgericht angenommen , diese seien als Nothilfe gerechtfertigt. Dadurch, dass die Geschädigte S. K. gerade mit dem Beil ausholte, um auf den Angeklagten C. B. einzuhacken, habe sie diesen rechtswidrig angegriffen.

III.

18
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie der Nebenkläger N. R. und St. K. haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Revisionen der Nebenkläger I. und A. B. sowie der Nebenkläger L. F. und S. B. haben mit der Sachrüge Erfolg, soweit sie sich im Rahmen ihrer sich aus §§ 395 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, 401 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Nebenklagebefugnis halten, im Übrigen sind sie unzulässig. Wegen des Erfolgs der Sachrüge bedarf es keines Eingehens auf die Verfahrensrügen. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
19
1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag.
20
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen , wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15, Rn. 27, zit. nach juris, mwN [insoweit in NStZ-RR 2016, 272 nicht abgedruckt]). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen aus- zugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. etwa Senat, Urteil vom 22. September 2016 – 2 StR 27/16, Rn. 26, zit. nach juris mwN).
21
2. Diesen Anforderungen an die Beweiswürdigung genügt das Urteil nicht.
22
a) Ein grundlegender Mangel des Urteils liegt bereits darin, dass das Landgericht die im Rahmen der sachlich-rechtlichen Begründungspflicht gebotene nähere Dokumentation früherer Einlassungen der Angeklagten unterlassen und den Zeitpunkt der jeweiligen Einlassungen in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt hat.
23
Da an die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten die gleichen Anforderungen zu stellen sind wie an die Beurteilung von Beweismitteln, hat der Tatrichter sich seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung des Angeklagten aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR48/86, BGHSt 34, 29, 34). Dabei kann ein Wechsel der Einlassung im Laufe des Verfahrens ein Indiz für die Unrichtigkeit der Einlassung in der Hauptverhandlung sein und ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung verringern oder unter Umständen ganz entfallen lassen (Senat, Urteil vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Im Hinblick auf die Möglichkeit einer Anpassung der Einlassung an die Ergebnisse der Beweisaufnahme kann auch der Zeitpunkt, zu dem sich ein Angeklagter zur Sache einlässt, ein Umstand sein, der im Rahmen der Gesamtwürdigung gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung spricht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 – 3 StR 580/00, BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 21).
24
Zwar hat die Kammer in den Urteilsgründen dargestellt, dass die Einlassung der Angeklagten über ihre Verteidiger durch Verlesung von vorbereiteten, schriftlichen Erklärungen in der Hauptverhandlung erfolgte (UA S. 57). Auch werden inhaltliche Angaben hierzu gemacht (UA S. 27, 51 bis 56). Es bleibt jedoch offen, zu welchem Zeitpunkt im Rahmen der mehrtägigen Hauptverhandlung diese Einlassungen verlesen wurden und ob und insbesondere mit welchem Inhalt sich die Angeklagten vor diesem Zeitpunkt eingelassen haben. Dass es frühere Einlassungen der Angeklagten gegeben hat, folgt bezüglich des Angeklagten C. B. aus der Erwähnung eines Hinweises zum Fundort der Leichen (UA S. 27) und bezüglich des Angeklagten K. B. aus der Mitteilung, dass er am 8. Juni 2014 vom Zeugen KOK P. zur Sache vernommen worden ist (UA S. 35). Das Urteil teilt auch nicht mit, wie im Einzelnen sich der Angeklagte C. B. im Rahmen des letzten Wortes geäußert hat. Insoweit wird lediglich wiedergegeben, dass der Angeklagte anschaulich geschildert habe, noch immer beinahe jede Nacht vom Tatgeschehen zu träumen (UA S. 83).
25
b) Das Landgericht hat darüber hinaus den Anwendungsbereich des Zweifelssatzes verkannt. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14 Rn. 44, NStZ-RR 2015, 83, 85 mwN). Keinesfalls gilt er für entlastende Indiztatsachen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – 3 StR 136/01, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24).
26
Nachdem das Landgericht bei der Bewertung des Kampfgeschehens und der Interessenlage der Beteiligten zunächst zu der Annahme gelangt war, dass „Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sowohl der Geschädigte H. K. als auch der Angeklagte C. B. am Tattag das Tatmesser mitgebracht und als Erstes eingesetzt haben könnten, da beide ohnehin messergewohnt waren“ (UA S. 59), ist es unter rechtsfehlerhafter Anwendung des Grund- satzes „in dubio pro reo“ der Einlassung der Angeklagten gefolgt und zu deren Gunsten davon ausgegangen, dass „der Streit am Tattag von den Geschädig- ten begonnen wurde und der Geschädigte H. K. hierbei derjenige war, der das Tatmesser mit sich führte, dieses auch zog und zuerst gegen den Angeklagten C. B. einsetzte“ (UA S. 62).
27
c) Die Beweiswürdigung weist zudem durchgreifende Lücken auf.
28
aa) Die Wertung des Landgerichts, es sei kein Motiv der Angeklagten ersichtlich , mit den Geschädigten am Tattag zunächst einen verbalen Streit und sodann gar eine körperliche Auseinandersetzung zu beginnen (UA S. 61), beruht auf lückenhaft gebliebenen Erwägungen.
29
Das Landgericht stellt insoweit darauf ab, dass die Angeklagten nach dem Beratungsgespräch mit ihrem Rechtsanwalt wussten, dass der mit den Geschädigten geschlossene Untermietvertrag illegal war und sie den Geschädigten deshalb künftig keine Mietzinszahlungen mehr schuldeten. Außerdem habe ihnen der Anwalt zugesichert, mit dem Eigentümer Kontakt aufzunehmen und zu versuchen, für die Angeklagten einen Mietvertrag über das Grundstück direkt mit dem Eigentümer ohne Einschaltung der Geschädigten abzuschließen (UA S. 61, 79). Das Landgericht sieht die Angeklagten daher in einer „geradezu komfortablen Lage“, weshalb sie auch keine Veranlassunggehabt hätten, mit den Geschädigten Streit zu beginnen (UA S. 62).
30
Bei dieser Wertung hat das Landgericht nicht hinreichend in den Blick genommen, dass die Angeklagten bereits eine Woche zuvor ein Schreiben der Stadt Ma. erhalten hatten, aus dem sich ergab, dass die Ranch künftig an die Angeklagten nicht mehr zu Wohnzwecken vermietet werden durfte (UA S. 38). Der Nutzung des Grundstücks zu Wohnzwecken standen nicht nur die Bestimmungen des Pachtvertrags, sondern auch öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen (UA S. 37). Da die Zeugin Kl. über den eingeschalteten Rechtsanwalt die Räumung des Grundstücks von den Angeklagten verlangt hatte (UA S. 37), hatten diese daher Anfang Juni das Ende des Mietverhältnisses über das Grundstück und die Zwangsräumung zu befürchten. Für sie bestand daher nicht nur die Gefahr, ihre Wohnung auf der Ranch, sondern vor allem ihren Lebensmittelpunkt und die von ihnen auf dem Grundstück betreuten Tiere zu verlieren, an denen der Angeklagte C. B. besonders hing und die sein Lebensinhalt waren. Selbst in dem von ihrem Rechtsanwalt ins Spiel gebrachten Fall der eigenen Anmietung des Grundstücks hätten die Angeklagten ihre Wohnmöglichkeit verloren. Den drohenden Verlust der bisherigen Lebensumstände der Angeklagten hätte die Strafkammer bei der Frage, ob die Angeklagten Anlass hatten, mit den Geschädigten einen Streit zu beginnen , mitberücksichtigen müssen.
31
bb) Die Wertung der Kammer, eine geplante Tötung der Geschädigten seitens der Angeklagten scheide aus, blendet einen wesentlichen Aspekt des festgestellten Geschehensablaufs aus. So erklärt das Landgericht die – gegen den unmittelbar zuvor erteilten Rat ihres Rechtsanwalts am 2. Juni 2014 erfolgte – Zahlung der Angeklagten in Höhe von 450 Euro an die Geschädigten mit dem Ziel, „zunächst weiteren Streitigkeiten und Anfeindungen der Geschädigten zu entgehen“ (UA S. 50). Nicht in die Wertung einbezogen hat das Landgericht jedoch den festgestellten Umstand, dass die Angeklagten noch am selben Tag mit den Geschädigten verabredet hatten, am 6. Juni 2014 den offenen Restbetrag zu bezahlen und sich die Geschädigten gerade aus diesem Grund am Tattag zur Ranch begaben (UA S. 10, 18). Dass die Angeklagten am 2. Juni 2014 mit den Geschädigten die Verabredung einer weiteren Geldübergabe trafen, ist im Übrigen nicht mit der vom Landgericht getroffenen Annahme in Einklang zu bringen, die Angeklagten seien nach der Teilmietzinszahlung „definitiv nicht mehr bereit [gewesen], weiteren Mietzins an die Geschädigten zu entrichten“ (UA S. 18).
32
cc) Auch hinsichtlich der Geschehnisse am Tattag zwischen 11 Uhr und 13 Uhr weist die Beweiswürdigung eine Lücke auf. Wie das Landgericht aufgrund der Angaben diverser Zeugen festgestellt hat, waren die Geschädigten regelmäßig täglich zwischen 11 und 13 Uhr auf der Ranch (UA S. 12 ff.; 28 ff., 46 ff.). Nach ihrer (insoweit vom Landgericht nicht in Zweifel gezogenen) Aussage traf die Zeugin S. die Geschädigte auch am 6. Juni 2014 gegen 11 Uhr nahe der Ranch, als diese mit ihren Hunden am Mainufer spazieren ging (UA S. 68). Diese Aussage hat das Landgericht nicht zum Anlass genommen, sich mit der naheliegenden Frage auseinanderzusetzen, ob sich die Geschädigten bereits etwa zwei Stunden vor der Tat auf der Ranch aufgehalten haben und was zwischen 11 Uhr und der zwischen 13.02 Uhr und circa 13.30 Uhr angesetzten Tatzeit auf der Ranch geschehen ist.
33
dd) Bei der Würdigung der Einlassung des Angeklagten C. B. zum Tathergang hat die Kammer nicht erörtert, dass die Einlassung zum auslösenden Ereignis für den Messereinsatz durch den Geschädigten H. K. in offenkundigem Widerspruch zur Tatvorgeschichte steht. Der Angeklagte hat sich eingelassen, der Geschädigte habe ein Messer gezogen, nachdem er durch ihn davon erfahren habe, dass der Eigentümer der Ranch von dem illegalen Untermietverhältnis nunmehr Kenntnis erlangt habe (UA S. 52). Demgegenüber ist das Landgericht im Rahmen der Tatvorgeschichte davon ausgegangen, dass die Geschädigten von dem Schreiben bereits mindestens eine Woche vor der Tat Kenntnis erhalten hatten (UA S. 17, 37, 38, 60).
34
d) Schließlich fehlt es auch an der gebotenen Gesamtwürdigung aller für und gegen die Angeklagten sprechenden Umstände. Die Beweiswürdigung der Strafkammer lässt nicht erkennen, dass sich das Landgericht des Umstandes bewusst war, dass einzelne Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatgerichts begründen können (vgl. Senat, Urteil vom 17. September 1986 – 2 StR 353/86; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung , unzureichende 1; BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14, NStZ-RR 2015, 83, 85).
35
3. Das Urteil beruht auch auf den aufgezeigten Darstellungs- und Beweiswürdigungsmängeln ; der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und der gebotenen wertenden Gesamtschau aller be- und entlastenden Indizien die Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten gewonnen hätte. Vors.RiBGH Prof. Dr. Fischer Appl Eschelbach ist wegen Krankheit an der Unterschrift gehindert. Appl Zeng Grube

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 385/16
vom
26. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:260117U1STR385.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Januar 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Cirener, Dr. Fischer und der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte - in der Verhandlung -, Justizangestellte - bei der Verkündung - als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 25. Februar 2016 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die er auf die Sachrüge und die Verletzung von Verfahrensrecht stützt. Das Rechtsmittel ist unbegründet.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der Angeklagte verbrachte den Nachmittag und den Abend des 1. Dezember 2014 zusammen mit seiner Ehefrau und der am 8. Oktober 2014 geborenen gemeinsamen Tochter L. in der Ehewohnung in S. . Gegen 18.00 Uhr wickelte der Angeklagte - wie üblich - seine Tochter und seine Ehefrau stillte das Kind, ohne dass dieses Auffälligkeiten oder Besonderheiten zeigte. Zu einem nicht exakt feststellbaren Zeitraum zwischen 18.00 und 21.00 Uhr befand sich der Angeklagte beim Wickeln oder Zubettbringen des schreienden Kindes allein in einem Zimmer der Wohnung, während sich die Ehefrau in einem anderen Zimmer aufhielt. Der Angeklagte fühlte sich auf Grund des Geschreis seiner knapp acht Wochen alten Tochter, die sich nicht beruhigen ließ, überfordert und wurde wütend. Um das Kind zur Ruhe zu bringen , nahm er es spontan hoch und schüttelte es für die Dauer von zumindest fünf Sekunden mindestens zehn Mal derart kräftig, dass der Kopf des Kindes unkontrolliert hin und her pendelte. Ihm war dabei bewusst, dass seine Vorgehensweise zu dauerhaften und schweren Gesundheitsschäden bei seiner Tochter führen könnte und er nahm auch deren Tod zumindest billigend in Kauf.
4
Durch das Handeln des Angeklagten erlitt seine Tochter ein Schütteltrauma , das insbesondere zu einem subduralen Hämatom, ausgeprägten Netzhautblutungen in beiden Augen, ausgedehnten Rissen in beiden Frontallappen des Gehirns, einem massiven Hirnödem und einer irreparablen Hirnschädigung führte. Äußerlich sichtbare Verletzungen erlitt das Kind - mit Ausnahme einer kleinen Einblutung an der Stirn - nicht. Es wurde aber auf Grund der in Folge des massiven Schüttelvorgangs hervorgerufenen Hirnschädigung sofort ruhig und danach vom Angeklagten in sein Bett gelegt. Das Bewusstsein des Kindes trübte in der Folge immer mehr ein, während der Angeklagte den weiteren Abend mit seiner Frau im Wohnzimmer verbrachte. Beim Zubettgehen der Eltern gegen 24.00 Uhr versuchte die Ehefrau - entsprechend dem üblichen Trinkrhythmus des Kindes - die schlafende Tochter zu stillen, was aber nicht gelang. In den frühen Morgenstunden des 2. Dezember 2014, kurz vor 5.00 Uhr, erwachten der Angeklagte und seine Frau wegen ungewöhnlicher Atemgeräusche des Kindes, welches zu diesem Zeitpunkt auf Grund seiner massiven Hirnschädigung bereits nicht mehr erweckbar war. Nachdem der Angeklagte keinen Puls mehr bei seiner Tochter fühlte, unternahm er selbst Rettungsbemühungen durch eine Herzdruckmassage mit Mund-zu-MundBeatmung , um den Tod seiner Tochter zu verhindern, und verständigte den Notarzt.
5
Nach Einlieferung in die Klinik wurde das Kind noch am selben Tag notoperiert. In der Folgezeit waren weitere Operationen erforderlich. Nach einer stationären Behandlung bis 27. Januar 2015 in der Klinik und einer Rehabilitationsmaßnahme bis 3. Juni 2015 befindet sich das Kind wieder in der Wohnung der Eltern und wird dort durch die Mutter und einen professionellen 24Stunden -Pflegedienst betreut. Das Kind ist auf Grund dieses Vorfalls wegen schwerster Gewebeuntergänge im Gehirn und einer schweren Hirnfunktionsstörung geistig behindert, leidet an einer spastischen Lähmung aller vier Extremitäten , hat keine Kopfkontrolle und kann nicht selbstständig sitzen oder nach einem Gegenstand greifen. Sein Kopf ist sichtbar deformiert. Eine wesentliche kognitive, motorische oder sprachliche Entwicklung des Kindes oder eine wesentliche Regeneration sind auf Grund der schwersten Hirnschädigung nicht zu erwarten.

II.

6
Die auf Verletzung von Verfahrensrecht und sowie die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg; das angefochtene Urteil ist rechtsfehlerfrei.
7
1. Die erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 73 StPO hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher dargelegten Gründen keinen Erfolg.
8
2. Auch die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
9
a) Die Feststellungen des Landgerichts werden von der Beweiswürdigung getragen.
10
aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 11. Februar 2016 - 3 StR 436/15 und vom 14. Dezember 2011 - 1 StR 501/11, NStZ-RR 2012, 148, jeweils mwN).
11
bb) Derartige Rechtsfehler werden durch die Revision nicht aufgedeckt.
12
(1) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerfrei.
13
Der Angeklagte hat den Tatvorwurf bestritten und sich dahingehend eingelassen , am Abend des Tattages zwar mit seiner Tochter während des Wickelns und Zubettbringens alleine im Bad bzw. im Schlafzimmer gewesen zu sein, ohne dass es zu Auffälligkeiten gekommen sei. Er habe keine Erklärung dafür, wie es zu den schweren Verletzungen des Kindes gekommen sei, er habe seine Tochter nicht geschüttelt. Das Landgericht hat sich auf Grund einer umfassenden Würdigung sämtlicher erhobener Beweise davon überzeugt, dass der Angeklagte den Gesundheitszustand der Geschädigten durch massives Schütteln ihres Körpers verursachte.
14
(2) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist auch nicht lückenhaft.
15
(a) Auf die Sachrüge hin prüft das Revisionsgericht, ob die tatrichterliche Beweiswürdigung so, wie sie sich aus den Urteilsgründen ergibt, den Beweisstoff lückenlos ausgeschöpft hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - 3 StR 500/86; Ott in KK-StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 81). Lückenhaft ist eine Beweiswürdigung namentlich dann, wenn sie wesentliche Feststellungen nicht erörtert (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 - 4 StR 387/15, Rn. 13, StraFo 2016, 110; Beschluss vom 12. November 2015 - 2 StR 197/15, Rn. 14, NStZ 2016, 338; Urteile vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06 und vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87).
16
Im Übrigen liegt ein Erörterungsmangel und damit eine Lücke nur dann vor, wenn sich das Tatgericht mit tatsächlich vorhandenen Anhaltspunkten für nahe liegende andere Möglichkeiten nicht auseinandergesetzt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. November 2015 - 2 StR 197/15, Rn. 14, NStZ 2016, 338 und vom 30. April 1987 - 4 StR 164/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 6; Urteil vom 5. Dezember 1986 - 2 StR 566/86, BGHR StPO 261 Beweiswürdigung, unzureichende 4). Es ist aber weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2010 - 1 StR 454/09, wistra 2010, 310, 312 mwN; Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11, Rn. 24, in BGHSt 57, 1 nicht abgedruckt; Urteil vom 23. März 1995 - 4 StR 746/94, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 4). Deshalb braucht das tatrichterliche Urteil bloß theoretische Möglichkeiten auch nicht zu erörtern (BGH, Beschlüsse vom 12. November 2015 - 2 StR 197/15, Rn. 14, NStZ 2016, 338; vom 23. Mai 2012 - 1 StR 208/12, Rn. 7, wistra 2012, 355 [in NStZ 2012, 584 nicht abgedruckt] und vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11, Rn. 24; Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11, NStZ 2011, 688), sondern muss sich nur mit nach der Sachlage naheliegenden Möglichkeiten auseinandersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2015 - 2 StR 197/15, Rn. 14, NStZ 2016, 338; Urteil vom 11. Januar 2005 - 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147; Beschluss vom 29. August 1974 - 4 StR 171/74, BGHSt 25, 365, 367; Ott in KK-StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 49 mwN).
17
(b) Ausgehend von diesen Grundsätzen enthält die Beweiswürdigung auch keine Erörterungsmängel und sonstige Lücken. Das Landgericht hat sich mit sämtlichen in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen umfassend auseinandergesetzt. Die Schlussfolgerungen und Wertungen des Landgerichts lassen keine Rechtsfehler erkennen und halten sich im tatgerichtlichen Beurteilungsspielraum.
18
Auf Grund der Ausführungen der behandelnden Ärzte sowie der kinderradiologischen und rechtsmedizinischen Sachverständigen geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass der Gesundheitszustand der Geschädigten nur durch ein Schütteltrauma verursacht worden sein kann, weil Anhaltspunkte für einen anderen Verursachungsmechanismus fehlen. Insbesondere ist auch die auf einer Gesamtwürdigung aller in der Beweisaufnahme gewonnenen Beweismittel beruhende Überzeugung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten nicht zu beanstanden. So war der Angeklagte im Tatzeitraum als Einziger mit dem Säugling alleine, als dieser plötzlich ruhig wurde und typische unmittelbare Folgen eines Schütteltraumas zeigte. Der leicht erregbare und in affektiver Erregung auch impulsiv agierende Angeklagte war bereits zuvor gegenüber der Geschädigten gewalttätig geworden und hatte sie wiederholt nicht kindgerecht behandelt. Das Landgericht hat auch nachvollziehbar vor dem gesamten Indizienhintergrund eine Tatbegehung durch Dritte ausgeschlossen.
19
b) Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch.
20
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten rechtlich als schwere Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) gewertet. Infolge der körperlichen Misshandlung durch den Angeklagten bei dem massiven Schüttelvorgang hat die Geschädigte langwierige, schwere Schäden an Körper und Gesundheit erlitten, wobei alle drei Qualifikationsmerkmale des § 226 StGB erfüllt sind. Dazu in Tateinheit verwirklicht wurde der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung , da es sich bei dem massiven Schüttelvorgang auch um eine das Leben gefährdende Behandlung handelt (BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2009 - 1 StR 241/09, NStZ-RR 2009, 278 und vom 21. Oktober 2008 - 3 StR 408/08, BGHSt 53, 23). Hinsichtlich des ebenfalls in Betracht kommenden versuchten Mordes ist das Landgericht von einem strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten nach § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB ausgegangen.
21
3. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
22
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 17. September 1980 - 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320; vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, Rn. 17, BGHSt 57, 123, 127 und vom 12. Januar 2016 - 1 StR 414/15, Rn. 12, NStZRR 2016, 107, 108; jeweils mwN). Nur in diesem Rahmen kann eine „Verlet- zung des Gesetzes“ (§ 337 Abs. 1StPO) vorliegen. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. nur BGH GS, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349; BGH, Urteile vom 12. Januar 2005 - 5 StR 301/04, wistra 2005, 144; vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, Rn. 17, BGHSt 57, 123, 127 und vom 12. Januar2016 - 1 StR 414/15, Rn. 12, NStZ-RR 2016, 107, 108).
23
Solche Rechtsfehler liegen hier nicht vor. Das Landgericht hat das Vorliegen eines minder schweren Falls der schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 3 StGB eingehend geprüft und mit tragfähigen Erwägungen nach umfassender Gesamtwürdigung verneint. Die Strafzumessung des Landgerichts, die vor allem der erheblichen Anzahl und damit dem Ausmaß der schweren Körperverletzungsfolgen ein besonders hohes Gewicht beigemessen hat, ist auch im Übrigen rechtsfehlerfrei.

III.


24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Raum Graf Cirener Fischer Bär

(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.

(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 385/16
vom
26. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:260117U1STR385.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Januar 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Cirener, Dr. Fischer und der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte - in der Verhandlung -, Justizangestellte - bei der Verkündung - als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 25. Februar 2016 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die er auf die Sachrüge und die Verletzung von Verfahrensrecht stützt. Das Rechtsmittel ist unbegründet.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der Angeklagte verbrachte den Nachmittag und den Abend des 1. Dezember 2014 zusammen mit seiner Ehefrau und der am 8. Oktober 2014 geborenen gemeinsamen Tochter L. in der Ehewohnung in S. . Gegen 18.00 Uhr wickelte der Angeklagte - wie üblich - seine Tochter und seine Ehefrau stillte das Kind, ohne dass dieses Auffälligkeiten oder Besonderheiten zeigte. Zu einem nicht exakt feststellbaren Zeitraum zwischen 18.00 und 21.00 Uhr befand sich der Angeklagte beim Wickeln oder Zubettbringen des schreienden Kindes allein in einem Zimmer der Wohnung, während sich die Ehefrau in einem anderen Zimmer aufhielt. Der Angeklagte fühlte sich auf Grund des Geschreis seiner knapp acht Wochen alten Tochter, die sich nicht beruhigen ließ, überfordert und wurde wütend. Um das Kind zur Ruhe zu bringen , nahm er es spontan hoch und schüttelte es für die Dauer von zumindest fünf Sekunden mindestens zehn Mal derart kräftig, dass der Kopf des Kindes unkontrolliert hin und her pendelte. Ihm war dabei bewusst, dass seine Vorgehensweise zu dauerhaften und schweren Gesundheitsschäden bei seiner Tochter führen könnte und er nahm auch deren Tod zumindest billigend in Kauf.
4
Durch das Handeln des Angeklagten erlitt seine Tochter ein Schütteltrauma , das insbesondere zu einem subduralen Hämatom, ausgeprägten Netzhautblutungen in beiden Augen, ausgedehnten Rissen in beiden Frontallappen des Gehirns, einem massiven Hirnödem und einer irreparablen Hirnschädigung führte. Äußerlich sichtbare Verletzungen erlitt das Kind - mit Ausnahme einer kleinen Einblutung an der Stirn - nicht. Es wurde aber auf Grund der in Folge des massiven Schüttelvorgangs hervorgerufenen Hirnschädigung sofort ruhig und danach vom Angeklagten in sein Bett gelegt. Das Bewusstsein des Kindes trübte in der Folge immer mehr ein, während der Angeklagte den weiteren Abend mit seiner Frau im Wohnzimmer verbrachte. Beim Zubettgehen der Eltern gegen 24.00 Uhr versuchte die Ehefrau - entsprechend dem üblichen Trinkrhythmus des Kindes - die schlafende Tochter zu stillen, was aber nicht gelang. In den frühen Morgenstunden des 2. Dezember 2014, kurz vor 5.00 Uhr, erwachten der Angeklagte und seine Frau wegen ungewöhnlicher Atemgeräusche des Kindes, welches zu diesem Zeitpunkt auf Grund seiner massiven Hirnschädigung bereits nicht mehr erweckbar war. Nachdem der Angeklagte keinen Puls mehr bei seiner Tochter fühlte, unternahm er selbst Rettungsbemühungen durch eine Herzdruckmassage mit Mund-zu-MundBeatmung , um den Tod seiner Tochter zu verhindern, und verständigte den Notarzt.
5
Nach Einlieferung in die Klinik wurde das Kind noch am selben Tag notoperiert. In der Folgezeit waren weitere Operationen erforderlich. Nach einer stationären Behandlung bis 27. Januar 2015 in der Klinik und einer Rehabilitationsmaßnahme bis 3. Juni 2015 befindet sich das Kind wieder in der Wohnung der Eltern und wird dort durch die Mutter und einen professionellen 24Stunden -Pflegedienst betreut. Das Kind ist auf Grund dieses Vorfalls wegen schwerster Gewebeuntergänge im Gehirn und einer schweren Hirnfunktionsstörung geistig behindert, leidet an einer spastischen Lähmung aller vier Extremitäten , hat keine Kopfkontrolle und kann nicht selbstständig sitzen oder nach einem Gegenstand greifen. Sein Kopf ist sichtbar deformiert. Eine wesentliche kognitive, motorische oder sprachliche Entwicklung des Kindes oder eine wesentliche Regeneration sind auf Grund der schwersten Hirnschädigung nicht zu erwarten.

II.

6
Die auf Verletzung von Verfahrensrecht und sowie die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg; das angefochtene Urteil ist rechtsfehlerfrei.
7
1. Die erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 73 StPO hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher dargelegten Gründen keinen Erfolg.
8
2. Auch die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
9
a) Die Feststellungen des Landgerichts werden von der Beweiswürdigung getragen.
10
aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 11. Februar 2016 - 3 StR 436/15 und vom 14. Dezember 2011 - 1 StR 501/11, NStZ-RR 2012, 148, jeweils mwN).
11
bb) Derartige Rechtsfehler werden durch die Revision nicht aufgedeckt.
12
(1) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerfrei.
13
Der Angeklagte hat den Tatvorwurf bestritten und sich dahingehend eingelassen , am Abend des Tattages zwar mit seiner Tochter während des Wickelns und Zubettbringens alleine im Bad bzw. im Schlafzimmer gewesen zu sein, ohne dass es zu Auffälligkeiten gekommen sei. Er habe keine Erklärung dafür, wie es zu den schweren Verletzungen des Kindes gekommen sei, er habe seine Tochter nicht geschüttelt. Das Landgericht hat sich auf Grund einer umfassenden Würdigung sämtlicher erhobener Beweise davon überzeugt, dass der Angeklagte den Gesundheitszustand der Geschädigten durch massives Schütteln ihres Körpers verursachte.
14
(2) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist auch nicht lückenhaft.
15
(a) Auf die Sachrüge hin prüft das Revisionsgericht, ob die tatrichterliche Beweiswürdigung so, wie sie sich aus den Urteilsgründen ergibt, den Beweisstoff lückenlos ausgeschöpft hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - 3 StR 500/86; Ott in KK-StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 81). Lückenhaft ist eine Beweiswürdigung namentlich dann, wenn sie wesentliche Feststellungen nicht erörtert (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 - 4 StR 387/15, Rn. 13, StraFo 2016, 110; Beschluss vom 12. November 2015 - 2 StR 197/15, Rn. 14, NStZ 2016, 338; Urteile vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06 und vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87).
16
Im Übrigen liegt ein Erörterungsmangel und damit eine Lücke nur dann vor, wenn sich das Tatgericht mit tatsächlich vorhandenen Anhaltspunkten für nahe liegende andere Möglichkeiten nicht auseinandergesetzt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. November 2015 - 2 StR 197/15, Rn. 14, NStZ 2016, 338 und vom 30. April 1987 - 4 StR 164/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 6; Urteil vom 5. Dezember 1986 - 2 StR 566/86, BGHR StPO 261 Beweiswürdigung, unzureichende 4). Es ist aber weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2010 - 1 StR 454/09, wistra 2010, 310, 312 mwN; Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11, Rn. 24, in BGHSt 57, 1 nicht abgedruckt; Urteil vom 23. März 1995 - 4 StR 746/94, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 4). Deshalb braucht das tatrichterliche Urteil bloß theoretische Möglichkeiten auch nicht zu erörtern (BGH, Beschlüsse vom 12. November 2015 - 2 StR 197/15, Rn. 14, NStZ 2016, 338; vom 23. Mai 2012 - 1 StR 208/12, Rn. 7, wistra 2012, 355 [in NStZ 2012, 584 nicht abgedruckt] und vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11, Rn. 24; Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11, NStZ 2011, 688), sondern muss sich nur mit nach der Sachlage naheliegenden Möglichkeiten auseinandersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2015 - 2 StR 197/15, Rn. 14, NStZ 2016, 338; Urteil vom 11. Januar 2005 - 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147; Beschluss vom 29. August 1974 - 4 StR 171/74, BGHSt 25, 365, 367; Ott in KK-StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 49 mwN).
17
(b) Ausgehend von diesen Grundsätzen enthält die Beweiswürdigung auch keine Erörterungsmängel und sonstige Lücken. Das Landgericht hat sich mit sämtlichen in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen umfassend auseinandergesetzt. Die Schlussfolgerungen und Wertungen des Landgerichts lassen keine Rechtsfehler erkennen und halten sich im tatgerichtlichen Beurteilungsspielraum.
18
Auf Grund der Ausführungen der behandelnden Ärzte sowie der kinderradiologischen und rechtsmedizinischen Sachverständigen geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass der Gesundheitszustand der Geschädigten nur durch ein Schütteltrauma verursacht worden sein kann, weil Anhaltspunkte für einen anderen Verursachungsmechanismus fehlen. Insbesondere ist auch die auf einer Gesamtwürdigung aller in der Beweisaufnahme gewonnenen Beweismittel beruhende Überzeugung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten nicht zu beanstanden. So war der Angeklagte im Tatzeitraum als Einziger mit dem Säugling alleine, als dieser plötzlich ruhig wurde und typische unmittelbare Folgen eines Schütteltraumas zeigte. Der leicht erregbare und in affektiver Erregung auch impulsiv agierende Angeklagte war bereits zuvor gegenüber der Geschädigten gewalttätig geworden und hatte sie wiederholt nicht kindgerecht behandelt. Das Landgericht hat auch nachvollziehbar vor dem gesamten Indizienhintergrund eine Tatbegehung durch Dritte ausgeschlossen.
19
b) Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch.
20
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten rechtlich als schwere Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) gewertet. Infolge der körperlichen Misshandlung durch den Angeklagten bei dem massiven Schüttelvorgang hat die Geschädigte langwierige, schwere Schäden an Körper und Gesundheit erlitten, wobei alle drei Qualifikationsmerkmale des § 226 StGB erfüllt sind. Dazu in Tateinheit verwirklicht wurde der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung , da es sich bei dem massiven Schüttelvorgang auch um eine das Leben gefährdende Behandlung handelt (BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2009 - 1 StR 241/09, NStZ-RR 2009, 278 und vom 21. Oktober 2008 - 3 StR 408/08, BGHSt 53, 23). Hinsichtlich des ebenfalls in Betracht kommenden versuchten Mordes ist das Landgericht von einem strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten nach § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB ausgegangen.
21
3. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
22
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 17. September 1980 - 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320; vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, Rn. 17, BGHSt 57, 123, 127 und vom 12. Januar 2016 - 1 StR 414/15, Rn. 12, NStZRR 2016, 107, 108; jeweils mwN). Nur in diesem Rahmen kann eine „Verlet- zung des Gesetzes“ (§ 337 Abs. 1StPO) vorliegen. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. nur BGH GS, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349; BGH, Urteile vom 12. Januar 2005 - 5 StR 301/04, wistra 2005, 144; vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, Rn. 17, BGHSt 57, 123, 127 und vom 12. Januar2016 - 1 StR 414/15, Rn. 12, NStZ-RR 2016, 107, 108).
23
Solche Rechtsfehler liegen hier nicht vor. Das Landgericht hat das Vorliegen eines minder schweren Falls der schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 3 StGB eingehend geprüft und mit tragfähigen Erwägungen nach umfassender Gesamtwürdigung verneint. Die Strafzumessung des Landgerichts, die vor allem der erheblichen Anzahl und damit dem Ausmaß der schweren Körperverletzungsfolgen ein besonders hohes Gewicht beigemessen hat, ist auch im Übrigen rechtsfehlerfrei.

III.


24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Raum Graf Cirener Fischer Bär

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 421/16
vom
24. Januar 2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2017:240117B3STR421.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 6. Juni 2016 mit den Feststellungen - ausgenommen diejenigen zu den rechtswidrigen Taten, die bestehen bleiben - aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
a) Im Zeitraum von Juni 2010 bis September 2015 bedrängte der geringfügig wegen Beleidigung und Hausfriedensbruch vorbestrafte Beschuldigte den Nebenkläger mit einer Vielzahl von Telefonaten, um ein persönliches Gespräch über seine vom Nebenkläger weitergeleitete, letztlich aber erfolglose Bewerbung für ein Praktikum zu erzwingen und diesem eine Lektion zu erteilen. Zu diesem Zweck suchte der Beschuldigte wiederholt auch das Wohnhaus der Familie des Nebenklägers auf, beobachtete dieses und bedrängte in einem Fall die Tochter der Ehefrau des Nebenklägers, ihm Einlass zu gewähren. Auch andere Angehörige und Kontaktpersonen des Nebenklägers rief der Beschuldigte an und suchte sie auf, um sein Anliegen vorzubringen oder sie zu "nerven". Er ließ sich weder durch den stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik noch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz und die Verhängung eines Ordnungsgeldes von weiteren Kontaktaufnahmeversuchen abhalten. Die beharrlichen Handlungen des Beschuldigten veranlassten den Nebenkläger und seine Ehefrau im März 2013, einen ohnehin geplanten Wohnsitzwechsel vorzuziehen. Dem Beschuldigten gelang es zwar trotz intensiver Bemühungen im Umfeld des Nebenklägers nicht, die neue Anschrift herauszufinden; da der Nebenkläger aber auch weiterhin seine Mobilfunknummer nicht wechselte, konnte der Beschuldigte ihn noch bis zum September 2015 telefonisch belästigen.
4
b) Am 4. Dezember 2012 reagierte der Beschuldigte aggressiv auf das Erscheinen der von seinem Betreuer herbeigerufenen Polizeibeamten und versuchte , den Zeugen PK S. von seiner Wohnungstür wegzustoßen und ihn zu schlagen. Den Zeugen POK G. beleidigte er und schlug ihm mit der rechten Hand ins Gesicht, sodass dieser eine schmerzhafte Rötung erlitt.
Schließlich spuckte er dem Zeugen PK S. ins Gesicht und wehrte sich gegen das Anlegen von Handfesseln.
5
2. Das Landgericht hat - dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - festgestellt, dass der Beschuldigte zur Tatzeit aufgrund einer bei ihm bestehenden paranoiden Schizophrenie und der damit einhergehenden Denk- und Wahrnehmungsverzerrungen durchweg nicht in der Lage war, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen. Es sei zu erwarten, dass er in Zukunft Taten begehen werde, die denen zum Nachteil der Familie des Nebenklägers ähnlich und von so erheblicher Bedeutung seien, dass der Beschuldigte gefährlich für die Allgemeinheit ist.
6
3. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
7
Der Senat hat § 63 StGB in der seit 1. August 2016 geltenden Neufassung anzuwenden (§ 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO), mit der im Wesentlichen die Konkretisierungen der Anordnungsvoraussetzungen durch das Bundesverfassungsgericht und die höchstrichterliche Rechtsprechung kodifiziert worden sind (vgl. BT-Drucks. 18/7244, S. 42; BGH, Beschluss vom 3. August 2016 - 4 StR 305/16, StV 2017, 35).
8
Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines überdauernden psychischen Defekts schuldunfähig war und die Tatbegehungen auf diesem Zustand beruhen. Die Gefährlichkeitsprognose begegnet aber durchgreifenden Bedenken. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt: "Die Urteilsgründe belegen nicht, dass die Anlasstat der Nachstellung, die die Strafkammer als Grundlage für die Annahme der Gefährlichkeitsprognose herangezogen hat, als erheblich im Sinne des § 63 StGB n.F. einzustufen ist. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegt nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, die die Gesetzesbegründung der Neufassung des § 63 StGB übernommen hat, vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BVerfG Beschluss vom 24. Juli 2013 - 2 BvR 298/12; BGH NJW 2013; 3383; BGH NStZ-RR 2016, 41; Fischer [StGB, 64. Aufl.,] § 63 Rn. 16; BT-Drs. 18/7244, S. 18). Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind dabei nicht mehr 'ohne weiteres' dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen (BVerfG aaO; BGH aaO; BT-Drs. aaO). Das Landgericht stellt insofern tragend auf die Nachstellung zum Nachteil der Familie T. ab (UA S. 21). Diese ist für sich gesehen jedoch nicht als erhebliche Straftat anzusehen , da sie - im Höchstmaß mit drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht - nicht der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist. Auch gingen die gegenständlichen Nachstellungshandlungen nicht mit derart aggressiven Übergriffen einher, dass dies eine andere Beurteilung zulässt (BGH, Beschluss vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08). Während des gesamten Tatzeitraums belästigte der Beschuldigte die Familie T. im Wesentlichen telefonisch und durch Beobachtung des Anwesens. Das bloße körperliche Nahekommen bei dem Vorfall mit dem Zeugen Dr. T. im Sommer 2012 (UA S. 8) stellt keinen aggressiven Übergriff dar. Auch bei dem nicht näher beschriebenen Bedrängen der B. an der Haustür (UA S. 7, 23) wurde keine Gewalthandlung festgestellt. Überdies wurden die Opfer durch die Nachstellung weder seelisch noch körperlich erheblich im Sinne des § 63 S. 1 StGB n.F. geschädigt. (…) Zwar kommt auch bei der Begehung von nicht erheblichen Anlasstaten die Anordnung einer Unterbringung gemäß § 63 StGB n.F. in Betracht. Dies setzt nach § 63 S. 2 StGB n.F. aber voraus, dass besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes erhebliche Straftaten im Sinne des § 63 S. 1 StGB n.F. begehen wird. (…) Es fehlen jedoch Feststellungen, aufgrund derer tragfähig be- gründet wird, dass von dem Beschuldigten nicht nur gleichwertige Taten wie die Anlasstat zu erwarten sind, sondern mit erheblichen aggressiven Übergriffen zu rechnen ist, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder gefährdet werden, wie es bei der Anlasstat ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 17) nicht der Fall war. Die bloße Verwirklichung des Tatbestandes des § 238 Abs. 1 StGB, der bereits als Taterfolg eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung voraussetzt, ist nicht ausreichend. Die Strafkammer hat zwar - sachverständig beraten - festgestellt, dass der Beschuldigte zu der Gruppe psychisch kranker Menschen gehört, die andere Menschen auch anfassen und bei dieser Gruppe das Risiko für Gewalttaten deutlich höher [ist] als in der Normalbevölkerung oder [bei] den psychisch Kranken, die Dritte nicht anfassen (UA S. 23), doch mangelt es insofern an der Darstellung der besonderen Umstände, aufgrund derer gerade vom Beschuldigten in Zukunft erhebliche Taten im Sinne des § 63 S. 1 StGB n.F., d.h. solche durch die das Opfer körperlich oder seelisch erheblich geschädigt oder gefährdet wird, zu erwarten sind. Insofern hätte sich das Landgericht auch mit den naheliegenden gegen eine Gefährlichkeit sprechenden Umständen auseinandersetzen müssen (BGH, Beschluss vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08), wie damit, dass die Nachstellungshandlungen des Beschuldigten über den längeren Zeitraum gerade nicht zu einer erheblichen körperlichen oder seelischen Schädigung der Tatopfer geführt haben."
9
Dem schließt sich der Senat an.
10
4. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten sind von dem Rechtsfehler nicht berührt und können daher aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
Becker Gericke Tiemann
Berg Hoch

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 24/17
vom
13. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2017:130617B2STR24.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 13. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 17. Oktober 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu jeweils fünf Euro verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Formalrügen und sachlichrechtlichen Einwendungen gestützte Revision des Angeklagten.
2
Die Revision hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und führt zur Aufhebung der Unterbringungsanordnung; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Der seit 2014 in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung untergebrachte , nicht vorbestrafte Angeklagte beging im August und September 2015 in drei Fällen Körperverletzungen zum Nachteil von zwei Mitpatienten und einem Betreuer:
5
a) Am 4. August 2015 umfasste der Angeklagte mit beiden Händen den Kopf eines Mitpatienten, der ihn zuvor bestohlen hatte; er presste seine Daumen gezielt auf die Augäpfel des Geschädigten, der hierdurch eine Hornhautverletzung erlitt, die nach ambulanter Behandlung folgenlos verheilte.
6
b) Am 15. September 2015 packte der Angeklagte erneut den Kopf dieses Mitpatienten und versuchte wiederum, seine Daumen auf dessen Augäpfel zu pressen. Dies konnte durch das Eingreifen einer Betreuerin verhindert werden. Sie zog den rund 160 Kilogramm schweren Angeklagten von dem Mitpatienten weg; dieser trug Rötungen an den Augen und oberflächliche Hautverletzungen („Kratzer“) an Gesicht und Hals davon.
7
c) Am 21. September 2015 griff der Angeklagte einer Mitpatientin mit beiden Händen in den Mund und zog ihre Mundwinkel weit auseinander, bis diese einrissen. Anschließend versuchte er, seine Daumen auf ihre Augäpfel zu pressen. Einem hinzutretenden weiteren Betreuer zog der Angeklagte die Brille vom Gesicht, zerdrückte sie mit beiden Händen und warf sie zu Boden. Er schlug mit beiden Händen auf den Betreuer ein und versuchte, mit „nach oben gerichteten Daumen“ nach dem Geschädigten zu greifen,wodurch dieser eine oberflächliche Hautverletzung unter dem linken Auge erlitt. In dem sich nunmehr entwickelnden Handgemenge warf der Angeklagte den Geschädigten zu Boden, der eine Risswunde unterhalb des linken Auges, zwei Kratzwunden an den Armen, Prellungen an Rippen und Ellenbogen sowie Stauchungen im Bereich der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule davontrug; der Geschädigte befand sich mehrere Wochen in orthopädischer und rund zwei Monate in psychotherapeutischer Behandlung.
8
2. Das Landgericht hat die Taten rechtlich als tatmehrheitliche Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) gewürdigt und ist – dem psychiatrischen Sachverständigen Dr. B. folgend – davon ausge- gangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten „zum jeweiligen Tatzeitpunkt“ erheblich im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt gewesen sei. Es hat Einzelstrafen von 45, 45 und 30 Tagessätzen zu jeweils fünf Euro verhängt und daraus eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu jeweils fünf Euro gebildet.
9
3. Ausgehend von den Ausführungen des Sachverständigen Dr. B. , der bei dem Angeklagten eine als krankhafte seelische Störung einzuordnende „hirnorganische Schädigung“ mit Verhaltensauffälligkeiten diagnostiziert und ausgeführt hatte, dass der Angeklagte „inadäquat in seinen Reaktionsmecha- nismen“, „in seiner Frustrationstoleranz defizitär, im innerpsychischen Span- nungsbogen brüchig und in seiner Fähigkeit, Spannungen auszuhalten, erheblich defizitär“ sei und „eine ausgeprägte Neigung zu impulsiven, aggressiven und übergriffigen Handlungsmustern“zeige, ist die Strafkammer zu der Über- zeugung gelangt, dass ein überdauernder Zustand im Sinne des § 63 StGB vorliege und zu befürchten sei, dass der Angeklagte „infolge seines Zustands“ auch künftig weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.

II.

10
Die Überprüfung des Urteils zeigt zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Jedoch hält der Maßregelausspruch rechtlicher Überprüfung nicht stand.
11
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Die Unterbringung erfordert darüber hinaus eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Unterzubringende infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden.
12
Erforderlich ist danach zunächst die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Zustands, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27; Beschluss vom 6. Februar 1997 – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385 f.; Senat, Beschluss vom 1. April 2014 – 2 StR 602/13, insoweit in NStZ-RR 2014, 207 nicht abgedruckt; BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 – 4 StR 595/16).
13
Hinzutreten muss die positive Feststellung, dass der Täter infolge seines Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens sowie der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306). An die Darlegungen in den Urteilsgründen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt – wie hier – unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (Senat, Beschluss vom 16. März 2017 – 2 StR 53/17; BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014 – 5 StR 602/13, NJW 2014, 565, 566).
14
2. Gemessen hieran sind die Unterbringungsvoraussetzungen nicht tragfähig belegt.
15
a) Zur Frage des überdauernden Zustands ist die Strafkammer dem Sachverständigen Dr. B. gefolgt und hat angenommen, dass das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung erfüllt sei, weil der Angeklagte eine organische Wesensveränderung als Folge einer frühkindlichen Hirnschädigung aufweise; er neige zu impulsiven, aggressiven und übergriffigen Handlungsmustern, wobei „es sehr plötzlich und unvorhersehbar zu Übergrif- fen“ kommen könne.
16
b) Damit ist ein überdauernder Zustand im Sinne des § 63 StGB nicht tragfähig belegt. Die Urteilsgründe lassen – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hingewiesen hat – besorgen, dass das Landgericht allein hierin einen länger dauernden Zustand im Sinne des § 63 StGB gesehen und angenommen hat, dass die verfahrensgegenständlichen Taten unmittelbarer Ausfluss der psychischen Erkrankung sind. Dabei hat es nicht erkennbar bedacht, dass der länger dauernde Zustand so beschaffen sein muss, dass bereits alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können (Senat, Urteil vom 17. Februar 1999 – 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 376; BGH, Urteil vom 9. Mai 2017 – 1 StR 658/16). Eine auf eine frühkindliche Hirnschädigung zurückzuführende Disposition des Angeklagten , in bestimmten Belastungssituationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Impulskontrolle in einen Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu geraten, genügt deshalb zur sicheren Annahme eines dauernden Zustands im Sinne des § 63 StGB nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Januar 2007 – 2 StR 582/06, BGHR StGB § 63 Zustand 39; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2008 – 4 StR 626/07, NStZ-RR 2008, 140, 141; vgl. auch Beschlüsse vom 17. Oktober 2001 – 3 StR 373/01, NStZ 2002, 142, und vom 5. Juli 2011 – 3 StR 173/11, NStZ 2012, 209).
17
Den in den Urteilsgründen niedergelegten Feststellungen und Wertungen , die sich in einer fragmentarischen Wiedergabe der Ausführungen des Sachverständigen erschöpfen und eine eigenständige Wertung fast vollständig vermissen lassen, lässt sich nicht sicher entnehmen, ob der Angeklagte bereits durch alltägliche Ereignisse oder nur in besonderen Belastungssituationen in einen Zustand verminderter Schuldfähigkeit gerät.
18
Nicht erkennbar berücksichtigt hat die Strafkammer in diesem Zusammenhang , dass der zum Zeitpunkt der Aburteilung 37 Jahre alte Angeklagte nach den Feststellungen erst mit seiner im August 2014 erfolgten Aufnahme in die Einrichtung aggressiv und übergriffig agierte. Vergleichbare Verhaltensweisen aus früheren Lebensphasen und unter anderen Lebensbedingungen finden sich in den Urteilsgründen nicht. Soweit der Sachverständige Dr. B. in die- sem Zusammenhang darauf hingewiesen hat, dass nunmehr eine „Verhaltens- änderung“ eingetreten sei, erschließt sich nicht, worauf eine solche Verhaltens- änderung beruhen könnte; unklar bleibt außerdem, ob es sich um eine dauerhafte , unumkehrbare und von äußeren Umständen unabhängige Verhaltensänderung handelt.
19
Die Strafkammer hat schließlich nicht geprüft, ob die innerhalb der Einrichtung aufgetretenen, den Angeklagten möglicherweise besonders belastenden Situationen im Vorfeld der jeweiligen Taten dazu geführt haben können, dass der Angeklagte zu den verfahrensgegenständlichen Tatzeitpunkten nicht mehr in der Lage gewesen ist, aggressive Impulse zu steuern und zu beherrschen. Hierfür könnten die Hinweise auf die jeweilige Vorgeschichte der drei Taten sprechen, die das Landgericht im Übrigen im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten berücksichtigt hat. Danach hatte sich der geschädigte Mitpatient D. mehrfach in das Zimmer des Angeklagten begeben und dort in dessen Eigentum stehende Gegenstände entwendet. Die Geschädigte F. hatte dem Angeklagten Angst eingejagt. Ob der Angeklagte bei diesen und weiteren Vorfällen jeweils aufgrund einer besonderen, nicht alltäglichen Belastung in eine Druck- und Überforderungssituation geraten war, hätte bei dieser Sachlage eingehender Erörterung bedurft.
20
2. Auch die Erwägungen, mit denen die Strafkammer ihre Erwartung begründet hat, dass vom Angeklagten in Zukunft erhebliche rechtswidrige Straftaten zu erwarten sind (vgl. § 63 Satz 1 StGB nF), halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie sind unklar und lückenhaft.
21
a) Eine Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 63 Satz 1 StGB nF liegt vor, wenn sie mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Ge- fühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (BGH, Beschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385; BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, NStZ-RR 2014, 305). Diese bereits durch die Rechtsprechung zu dem bis 31. Juli 2016 geltenden Recht herausgebildeten Anforderungen sind durch § 63 Satz 1 StGB in der geltenden Fassung dahingehend konkretisiert worden (vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 17 f.), dass nur die Erwartung solcher erheblichen rechtswidrigen Taten ausreicht, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird.
22
Straftaten, die – wie die einfache Körperverletzung – im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht sind, sind nicht ohne Weiteres dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – BvR 298/12, juris Rn. 28). Daher vermag nicht jede einfache Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB eine Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigen (BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 – 5 StR 256/10, NStZRR 2011, 12, 13; Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 544/13; vgl. auch BT-Drucks. 18/7244, S. 18).
23
b) Auch im Hinblick auf die Gefahrenprognose hat sich die Kammer auf die Wiedergabe der Ausführungen des Sachverständigen Dr. B. beschränkt und sich dessen Ausführungen zu eigen gemacht. Dabei bleibt unklar, ob sie sich dem Sachverständigen Dr. B. auch insoweit angeschlossen hat, als dieser die verfahrensgegenständlichen Angriffe des Angeklagten auf den Zeugen D. als „lebensbedrohend“ eingeordnet hat. Ob das Landgericht sich diese Einschätzung des Sachverständigen, die in den Bereich ureigener richterlicher Wertung übergreift, zu eigen gemacht hat, erscheint fraglich. Hiergegen könnte sprechen, dass es die jeweiligen Taten zum Nachteil des Geschädigten D. sowie das Verletzungsgeschehen zum Nachteil eines Betreuers – rechtlich unbedenklich – jeweils als „einfache“ Körperverletzungen im Sinne des § 223 StGB gewürdigt hat. Auch die Verhängung maßvoller, sich am unteren Ende des Strafrahmens bewegender Geldstrafen spricht dagegen, dass die Strafkammer dieser sachverständigen Bewertung gefolgt ist.
24
Vor diesem Hintergrund hätte die Gefahrenprognose jedoch einer sorgfältigeren , auf eigenen prognostischen Erwägungen gründenden Darlegung in den Urteilsgründen bedurft. Dabei hätte neben dem konkreten Gewicht der Anlasstaten in die prognostischen Erwägungen eingestellt werden müssen, dass der Angeklagte bislang strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist und er sich nach den Taten für sein Fehlverhalten entschuldigt hat. Der Erörterung hätte außerdem bedurft, dass der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Taten und die im Rahmen der anschließenden vorläufigen Unterbringung festgestellten Übergriffe auf Bedienstete unter besonderen Bedingungen – im Rahmen einer Betreuungseinrichtung bzw. im Rahmen der vorläufigen Unterbringung im Maßregelvollzug – begangen hat. Auch diese Besonderheiten hätten im Rahmen der erforderlichen umfassenden Prognoseentscheidung nicht unberücksichtigt bleiben dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2012 – 4 StR 81/12, NStZ-RR 2012, 271 mwN; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202, 203).
25
Die Sache bedarf daher, zweckmäßigerweise unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen, im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Krehl Richter am BGH Zeng Dr. Eschelbach ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Krehl Bartel Grube

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 635/10
vom
22. Februar 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 8. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
1. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen den nicht vorbestraften , an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Beschuldigten sind vier in den Jahren 2009 und 2010 im Abstand von jeweils mehreren Monaten begangene Straftaten:
3
(1) eine am 25. Februar 2009 während einer vom Amtsgericht Landau angeordneten Unterbringung im Pfalzklinikum begangene vorsätzliche Körperverletzung zum Nachteil eines mit dem Reinigen des Bodens befassten Zeugen ,
4
(2) eine am 14. Juli 2009 zum Nachteil seines Betreuers begangene versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung,
5
(3) eine am 14. Januar 2010 zum Nachteil seines Betreuers begangene Bedrohung, die dieser allerdings nicht ernst nahm, und
6
(4) Beleidigungen zweier Mitarbeiterinnen seines Betreuers am 23. März 2010, wobei die Kammer bezüglich einer vom Beschuldigten zudem begangenen versuchten Körperverletzung einen strafbefreienden Rücktritt angenommen hat.
7
Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten hat sich die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wonach damit zu rechnen sei, dass der Beschuldigte auch künftig gleich gelagerte Straftaten begehen werde, "eine Steigerung von Gewalt über das bekannte Maß hinaus" sei aber nicht zu erwarten (UA 12).
8
2. Diese Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden , wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind, die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08; vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 jeweils mwN). Die lediglich latente Gefahr oder bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08, vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
10
b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Strafkammer nicht belegt.
11
aa) Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 437/03, Beschlüsse vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, vom 10. August 2010 - 3 StR 268/10). Todesdrohungen gehören hierzu indes nur, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564, Beschluss vom 20. Februar 2009 - 5 StR 555/08, NStZ 2009, 383; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 209/10). Die Gefahr bloßer Beleidigungen ist dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen.
12
bb) Auf dieser Grundlage vermag allein die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen.
13
Soweit die Kammer auf die Möglichkeit tätlicher Auseinandersetzungen während einer Unterbringung abstellt, handelt es sich zwar für sich betrachtet um gewichtige Straftaten. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 mwN). Dies gilt jedenfalls, wenn - wozu indes in dem angefochtenen Urteil nähere Feststellungen fehlen - es um das Verhalten eines in einer psychiatrischen Klinik Untergebrachten gegenüber dem im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenem oder geschultem Personal geht. Aggressives Verhalten in diesem Bereich ist nicht gleichzusetzen mit Handlungen in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder dem Täter nahe stehenden Personen. Solche Taten verlangen daher - jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster Rechtsgutsverletzungen zuzurechnen sind - schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein strafrechtliches Sicherungsverfahren und Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 - 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit Ausnahme der Anlasstat vom 25. Februar 2009 bisher durch vergleichbare Taten ersichtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, obwohl er seit dem Jahr 1995 vielfach stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen und behandelt werden musste (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
14
Auch zu erwartende Taten nach der Art und Intensität der zum Nachteil seines Betreuers oder dessen Mitarbeiter begangenen Taten sind nicht ohne weiteres geeignet, die Unterbringung des Beschuldigten zu rechtfertigen. Sie wurden von ihm jeweils in einer aus seiner Sicht besonderen Situation begangen (vor der Tat vom 14. Juli 2009 hatte der Betreuer die Bitte des Beschuldigten nach Geld abgelehnt; vor der Tat vom 14. Januar 2010 hatte sich der Beschuldigte aus seiner Wohnung ausgesperrt und seinen Betreuer gebeten, einen Schlüsseldienst zu verständigen, was dieser ebenfalls ablehnte). Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte bei diesen Taten zunächst nur verbalaggressiv verhalten hat, er bei Einschreiten dritter Personen von Gewalthandlungen absah oder abgebracht werden konnte und sich beruhigen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2010 - 5 StR 492/10).
15
Insgesamt vermögen die vom Beschuldigten begangenen und drohenden Taten, die zudem in ihrer Intensität und Gefährlichkeit jedenfalls keine Steigerung erfuhren, die außerordentlich schwere Maßregel des § 63 StGB nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einem von den Straftaten her ähnlich gelagerten, jedoch ein Nachbarschaftsverhältnis betreffenden Fall BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Beschuldigte "als Opfer eines weit verzweigten Komplotts aus Ärzten, Betreuern, Polizei und Nachbarschaft" (UA 19) sieht, gegenüber denen es indes nach den Feststellungen der Strafkammer bislang ersichtlich nur in seltenen - den oben wiedergegebenen - Fällen zu Aggressionsdurchbrüchen kam.
16
3. An einer das Sicherungsverfahren abschließenden Entscheidung und einer Aufhebung des Unterbringungsbefehls ist der Senat jedoch gehindert; denn es ist nicht auszuschließen, dass weitere Feststellungen die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen können. Die Strafkammer hat es insbesondere unterlassen, nähere Feststellungen zu den Taten zu treffen, die Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen betrafen und entweder "auf den Privatklageweg verwiesen oder nach § 170 Abs. 2 StPO, teilweise wegen Schuldunfähgkeit eingestellt" wurden (UA 4, 5). Auch zu dem vom Sachverständigen in Zusammenhang mit der Gefährlichkeitsprognose erwähnten Einsatz eines Messers (UA 12) verhält sich das Urteil nicht weiter.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.