Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
1. Niedrige Beweggründe bei außergewöhnlich brutalem, eklatant
menschenverachtendem Tatbild.
2. Prüfung verminderter Steuerungsfähigkeit und Unterbringung
im psychiatrischen Krankenhaus in Fällen dieser Art.
BGH, Urteil vom 22. Oktober 2014 – 5 StR 380/14
LG Bremen –
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR380/14
vom
22. Oktober 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Oktober
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt U.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin H.
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 7. Februar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch haben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen Bestand.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das genannte Urteil wird verworfen. Er hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft dringt durch. Hingegen bleibt die Revision des Angeklagten erfolglos.
2
1. Das Landgericht ist zu folgenden Feststellungen und Wertungen gekommen :
3
a) Der zur Tatzeit 46 Jahre alte, bislang nicht bestrafte Angeklagte ist ausgebildeter Fleischer und war einige Jahre als Schlachter tätig. Am späten Abend des 1. Februar 2013 besuchte er beträchtlich alkoholisiert die ein Stockwerk über ihm wohnende 66 Jahre alte L. . Sie tranken im Wohnzimmer Alkohol und rauchten. Im weiteren Verlauf geriet der Angeklagte aus ungeklärten Gründen in hochgradige Wut. Er versetzte Frau L. mindestens drei heftige Schläge oder Tritte gegen Kopf und Hals, die unter anderem einen mehrfachen Gesichtsschädelbruch sowie eine multiple Fraktur von Kehlkopf und Zungenbein verursachten. Außerdem vollführte er zehn weitere kräftige Gewalteinwirkungen auf Brust, Bauch, Arme und Beine. Der in Rückenlage auf dem Sofa liegenden und zu dieser Zeit aufgrund der erlittenen Kopfverletzungen bewusstlosen Frau zog er die Kleidung bis zur Kniekehle herunter. Dann drang er mit seiner Hand und großen Teilen seines Unterarms mindestens dreimal in ihren Anus ein. Dabei durchstieß er unter erheblicher Gewalteinwirkung den Darm und riss aus dem so eröffneten Bauchraum in drei Teilen nahezu den gesamten Dünndarm sowie 25 cm Dickdarm heraus. Neben vielfachen Durchreißungen des Darms wurden auch der Magen zerrissen und die Milz eingerissen. Der Angeklagte nahm das mit 130 cm längste Teil des Dünndarms und legte es Frau L. um den Hals, indem er die Mitte des Stücks vor ihren Hals legte, den Rest hinter ihrem Kopf kreuzte und die Enden auf ihrer Brust ablegte. Mit seinen blutverschmierten Händen fasste er ihr auch auf den unbekleideten Oberkörper und hinterließ erhebliche Blutantragungen.
4
Außerdem drang er mindestens einmal mit mehreren Fingern, der Hand oder einem Gegenstand in die Vagina der Geschädigten ein. Dadurch erlitt sie eine Einreißung im Bereich des Damms, mehrere Schleimhauteinreißungen der Scheide, Schürfungen der Scheidenhaut sowie in der Tiefe der Scheide einen Einriss im Bereich des Scheidengewölbes.
5
Nach der Tat ließ der Angeklagte die tödlich verletzte Frau auf dem Sofa zurück, säuberte sich im Badezimmer und ging aus der Wohnung. Kurz nach 22.00 Uhr teilte er der Feuerwehr mit, dass bei Frau L. etwas nicht stimmen könne, weil sie nicht wie sonst aus dem Fenster gesehen habe. Die Rettungskräfte trafen sie bei – freilich deutlich eingetrübtem – Bewusstsein an. Sie wurde narkotisiert ins Krankenhaus gebracht. Eine sofort eingeleitete Notoperation wurde wegen Aussichtslosigkeit abgebrochen. Frau L. verstarb am 2. Februar 2013 um 0.50 Uhr an ihren schweren inneren Verletzungen, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
6
b) Die Schwurgerichtskammer ist von einem lediglich bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten ausgegangen. Vom Vorliegen von Mordmerkma- len hat sie sich nicht zu überzeugen vermocht. „Ernsthaft in Betracht“ kämen nur das Handeln zur Befriedigung des Geschlechtstriebs sowie Grausamkeit (UA S. 85). Jedoch sei nicht hinreichend sicher feststellbar, dass die Tat von sexueller Motivation getragen gewesen sei. Gleichfalls nicht erwiesen sei, dass das bewusstlose bzw. bewusstseinsgetrübte Opfer das ihm zugefügte Leid selbst empfunden habe. Die Strafe hat das Landgericht dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Sachverständig beraten hat es eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten wegen Alkoholintoxikation zur Tatzeit nicht ausschließen können. Hingegen habe eine bei ihm diagnostizierte organische Persönlichkeitsstörung nicht den Grad der schweren anderen seelischen Abartigkeit erreicht.
7
2. Der Schuldspruch wegen Totschlags kann keinen Bestand haben.
8
a) Zu dem durch die Schwurgerichtskammer nur beiläufig erwähnten Mordmerkmal des sonst niedrigen Beweggrundes hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift ausgeführt: „Die Auseinandersetzung des Schwurgerichts mit möglichen Tatmotiven des Angeklagten ist rechtlich unzulänglich, weil es sich im Zuge der beweiswürdigenden Analyse des Tatgeschehens nicht der Frage zugewendet hat, ob in dem äußerst brutalen Vorgehen des psychisch (angeblich) weitgehend unauffälligen Angeklagten ein den personalen Eigenwert des Opfers negierender Vernichtungswille zum Ausdruck kommt, der nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und daher der Motivgeneralklausel des § 211 Abs. 2 StGB unterfällt (siehe dazu BGH, Urteil vom 5. November 2002 – 1 StR 247/02, NStZ-RR 2003, 78, 79). … Neben ungehemmter Eigensucht und krasser Rücksichtslo- sigkeit ist ein weiteres Leitprinzip die in der Tötung motivational zu Tage tretende Missachtung des personellen Eigenwerts des Opfers (vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. August 1995 – 1 StR 393/95, NStZ-RR 1996, 98 f.; LK-Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 211 Rn. 26-28; Müko-Schneider, § 211 Rn. 75). Eine solchermaßen antisoziale Einstellung kann darin erblickt werden, dass der Täter das Opfer in menschenverachtender Weise tötet (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 78, 79). Hierzu rechnen Sachverhalte, in denen der Täter das Opfer vor oder während der Tat in besonders herabsetzender Weise quält und damit eine gesellschaftlichen Grundwerten kategorial zuwider laufende Einstellung dergestalt manifestiert, dass der Adressat des Angriffs nicht einmal mehr ansatzweise als Person, sondern nur noch wie ein beliebiges Objekt, mit dem man nach hemmungslosem Gutdünken verfahren kann, behandelt wird (vgl. BGH, aaO).
Der vorliegende Fall weist dahingehende Sachverhaltskomponenten auf: Allein schon das Herausreißen verschiedener Darmteile bei lebendigem Leib durch dreimaliges tiefes Eindringen in den Anus des Opfers wirkt grauenhaft und weckt spontane Erinnerungen an das Ausweiden eines Tieres. Nimmt man zusätzlich das Legen eines Darmstücks um den Hals des Opfers in den Blick, so wird die menschenverachtende Dimension der Tat vollends deutlich. Es erstaunt, dass das Schwurgericht die Qualität dieser Umstände zutreffend erkannt (vgl. UA S. 75), jedoch nicht in seine Überlegungen zum Vorliegen subjektiver Mordmerkmale einbezogen hat. Hierzu hätte indessen nach der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung Veranlassung bestanden. Der möglichen Annahme eines aus dem Tatbild hergeleiteten niedrigen Beweggrundes steht nicht entgegen, dass der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen lediglich mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt und also keinen Vernichtungswillen in Form eines dolus directus aufgewiesen hat. Einerseits ist auch der Täter der mehrfach zitierten höchstrichterlichen Referenzentscheidung gegen das von ihm malträtierte Opfer ‚nur‘ mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgegangen, ohne dass dieser Umstand auf die rechtliche Bewertung des Tatmotivs Einfluss gewinnen konnte. Andererseits erachtet die Bundesanwaltschaft die vom Schwurgericht vorgenommene rechtliche Einordnung des Tö- tungsvorsatzes ohnehin für schlichtweg indiskutabel. … Ein aus- gebildeter Schlachter, dem – wie dem Angeklagten – das Ausweiden von Tieren berufsbedingt geläufig ist, geht mit Sicherheit davon aus, dass ein bewusstlos zurückgelassener Mensch, dem Vergleichbares widerfahren ist, an den Folgen einer solchen Tat geraume Zeit später verstirbt.“
9
Dem tritt der Senat bei (vgl. auch BGH, Urteil vom 19. Oktober 2001 – 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 132) und bemerkt ergänzend, dass angesichts des Tatbildes auch das Merkmal der Mordlust zu prüfen sein wird (vgl. zu den Voraussetzungen LK/Jähnke, 11. Aufl., § 211 Rn. 6 mwN).
10
b) Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind ordnungsgemäß getroffen und werden durch den Rechtsfehler nicht berührt. Sie können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Die Spurenauswahl ist vollständig. Es bestehen keine realistischen Anhaltspunkte, dass sich der Angeklagte zu Details der Begehung der Tat und ihrer Begleitumstände in einer neuen Hauptverhandlung öffnen würde.
11
3. Mit der Aufhebung des Schuldspruchs ist dem Rechtsfolgenausspruch die Basis entzogen. Er hätte jedoch auch für sich genommen keinen Bestand haben können, weil die der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) vorgelagerte Schuldfähigkeitsprüfung durchgreifenden Bedenken begegnet.
12
Das Landgericht führt auf der Grundlage des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen aus, es habe „weder im Bereich der Persönlichkeit noch im Bereich der Sexualität Auffälligkeiten gegeben, die die Kriterien für eine psychische Erkrankung (schwere Persönlichkeitsstörung oder Störung der Se- xualpräferenz/Paraphilie) erfüllen würden“; eine (organische) Persönlichkeitsstörung sei „nicht so gravierend, als dass sie Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten gehabt haben könnte“ (UA S. 80).
13
Diese Wertung beruht auf einer lücken- und damit rechtsfehlerhaften Grundlage. Denn das psychiatrische Gutachten und ihm folgend die Schwurgerichtskammer unterlassen gänzlich die Auseinandersetzung mit den als extrem zu bezeichnenden Besonderheiten der Tatausführung – dem erfahrenen rechtsmedizinischen Sachverständigen war kein in der Tötungsart vergleichbarer Fall bekannt (UA S. 56 f.) –, die sich zudem mit einem vom Angeklagten vor der Tat bei mannigfaltigen Gelegenheiten gebrauchten „Spruch“ deckt, er werde jemandem „das Geschlinge aus dem Arsch ziehen und um den Hals wickeln“ (UA S. 9 f.). Diese Besonderheiten hätte die Schwurgerichtskammer im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung aber zwingend erörtern müssen (vgl. Basdorf, HRRS 2008, 275, 276). Da sich die Urteilsgründe dazu nicht verhalten, ermangelt es der gebotenen umfassenden Würdigung des Zustands des Angeklagten bei der Tat (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2014 – 5 StR 7/14 Rn. 6, vom 27. November 2008 – 5 StR 526/08 Rn. 10, vom 30. September 2008 – 5 StR 305/08, vom 25. Juli 2006 – 4 StR 141/06, NStZ-RR 2006, 335, 336, vom 28. November 2001 – 5 StR 434/01; Urteil vom 23. Januar 2002 – 5 StR 391/01; jeweils mwN).
14
Das neue Tatgericht wird die Schuldfähigkeit des Angeklagten naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen erneut zu erörtern und dabei die vorgenannten Aspekte zu berücksichtigen haben. Es wird auch die festgestellten Auffälligkeiten im Sexual- und Sozialverhalten des Angeklagten (UA S. 10 f.) stärker in den Blick nehmen müssen, als im angefochtenen Urteil geschehen. Für den Fall sicherer Feststellung verminderter Schuldfähigkeit (auch) aufgrund einer dauerhaften schweren psychischen Störung des Angeklagten wird zu prüfen sein, ob dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) gerechtfertigt ist. Im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit vor höchst gefährlichen Tätern wäre solches nach Auffassung des Senats – über bislang von der Rechtsprechung angenommene Grenzen hinaus – selbst dann erwägenswert, wenn aufgrund dieser sicher festgestellten Störung eine verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten nur aufgrund des Zweifelsgrundsatzes anzunehmen, allein deshalb aber nicht auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen ist (vgl. dazu Basdorf , aaO S. 276 f.; Basdorf/Mosbacher in Lau/Lammel/Sutarski [Hrsg.], Forensische Begutachtung bei Persönlichkeitsstörungen, 2. Aufl., S. 119, 131 f.). Allerdings wäre zuvor zu erwägen, ob eine solche Auslegung in Fällen dieser Art durch Anwendung des § 66a Abs. 2 StGB entbehrlich wäre.
15
4. Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten lässt das angefochtene Urteil nicht erkennen. Die auch nach Auffassung des Senats unvertretbare Annahme lediglich bedingten Tötungsvorsatzes beschwert ihn nicht. Nach Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB wäre angesichts des konkreten furchtbaren Tatbildes eine mildere Beurteilung selbst dann nicht in Betracht gekommen , wenn die Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf eine breitere, über die Wurzel der Alkoholisierung hinausgehende Grundlage zu stützen gewesen wäre.
16
5. Zu der von der Staatsanwaltschaft in den Vordergrund gestellten Frage der tateinheitlichen Verwirklichung einer Sexualstraftat (Vergewaltigung oder sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person, jeweils mit Todesfolge ) bemerkt der Senat:
17
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für den Begriff der sexuellen Handlung im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB das äußere Erscheinungsbild entscheidend; das Merkmal ist erfüllt, wenn das Erscheinungsbild nach allgemeinem Verständnis die Sexualbezogenheit erkennen lässt (vgl. BGH, Urteile vom 24. September 1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; vom 9. November 1982 – 1 StR 672/82, NStZ 1983, 167; vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, BGHR StGB § 184f Sexuelle Handlung 2; Urteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR 13/14 Rn. 19, zum Abdruck in BGHSt bestimmt). Ist dies der Fall, so spielt es keine Rolle, ob der Täter sexuelle Motive verfolgt oder etwa sein Opfer allein demütigen und sadistisch quälen will; er muss sich nur des sexuellen Charakters seines Tuns bewusst sein (vgl. BGH, Urteile vom 9. November 1982 – 1 StR 672/82, aaO; vom 11. Mai 1993 – 1 StR 896/92, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6, insoweit in BGHSt 39, 212 nicht abgedruckt; vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, aaO).
18
Diese Grundsätze verkennt das angefochtene Urteil, indem es den Handlungen des Angeklagten „auf subjektiver Seite einen eindeutigen Sexual- bezug“ abspricht, ohne das objektive Erscheinungsbild einer Untersuchung un- terzogen zu haben (UA S. 87). Vorliegend sind die äußeren Gegebenheiten der Tat unzweifelhaft sexualbezogen. Der Angeklagte ist nicht nur (mehrfach) in den Anus, sondern auch in die Scheide der getöteten Frau eingedrungen. Darüber hinaus hat er Blut und Gewebeteile auf deren unbekleideten Oberkörper einschließlich der Brüste verteilt, diese also berührt. Das Opfer wurde mit gespreizten Beinen auf dem Sofa liegend vorgefunden.
19
Angesichts der Vielzahl und des Gewichts der für eine Sexualtat streitenden Umstände bedürfte es greifbarer Anhaltspunkte dafür, dass der sich auf eine Amnesie berufende Angeklagte die Sexualbezogenheit seiner Handlungen gleichwohl verkannt haben könnte. Solche lassen sich den Urteilsgründen aber nicht entnehmen. Die Erwägungen der Schwurgerichtskammer, es könnten die besondere Erniedrigung des Opfers sowie das Herausreißen der Därme im Vordergrund gestanden haben, wobei eine sexuelle Motivation nicht hinreichend sicher feststellbar sei (UA S. 73 ff., 87), sind aus den genannten Gründen für die Beurteilung der Tat als bewusst sexualbezogene Handlung rechtlich irrelevant. Selbst wenn der Angeklagte – wie auch der Obduktionssachverständige mutmaßt – versehentlich in die Scheide gegriffen haben sollte (UA S. 75, 87), würde das erforderliche Bewusstsein des Angeklagten in Anbetracht der sonstigen Umstände nicht in Frage gestellt.
Basdorf Schneider Dölp
König Bellay

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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

6
b) Das Landgericht hat auf der Grundlage des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen eine Persönlichkeitsakzentuierung des Angeklagten angenommen, die unter dem Blickwinkel der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB unerheblich sei und dementsprechend keine relevante Schuldminderung bewirkt habe. Diese Bewertung ist lückenhaft und deswegen durchgreifend rechtsbedenklich. Denn die Urteilsgründe setzen sich mit den im jeweiligen Tatbild in Verbindung mit der Motivation des Angeklagten zu Tage getretenen markanten Auffälligkeiten überhaupt nicht auseinander. Diese sind indessen jedenfalls nicht ohne Weiteres mit einem sich im Rahmen des Normalpsychologischen haltenden Geltungsdrang erklärbar, von dem der psychiatrische Sachverständige und ihm folgend die Strafkammer ausgegangen sind. Mithin ermangelt es der gebotenen umfassenden Würdigung des Zustands des Angeklagten bei den Taten (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 27. November 2008 – 5 StR 526/08 Rn. 10, vom 30. September 2008 – 5 StR305/08, vom 25. Juli 2006 – 4 StR 141/06, NStZ-RR 2006, 335, 336, jeweils mwN).
10
Das Landgericht geht im Anschluss an den vom Gericht hinzugezogenen Sachverständigen vom Vorliegen einer dissozialen Persönlichkeitsstörung bei dem nicht vorbestraften Angeklagten aus, die nur in Verbindung mit „massiven konstellativen Faktoren wie starker Trunkenheit“ das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit begründen könne. Diese Wertung und die Einordnung der starken Trunkenheit als schwere andere seelische Abartigkeit sind bereits für sich genommen zweifelhaft. Darauf kommt es aber nicht an, da die Anknüpfungspunkte für die Wertung lückenhaft sind. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Entwicklung findet nicht statt (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 4, 9, 16, 24, 29). Angesichts der aus der Darstellung der persönlichen Verhältnisse ersichtlichen Besonderheiten – der nicht minderbegabte Angeklagte besuchte eine Förderschule und steht seit Jahren unter Betreuung, die während des Tatzeitraums erweitert worden ist – hätte es einer eingehenderen Erörterung bedurft, ob die Schuldfähigkeit aufgrund einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erheblich vermindert war. Hierbei wären auch das Tatbild, die darin zum Ausdruck kommende Affinität des Angeklagten zu Feuer sowie das unmittelbare Nachtatverhalten des Angeklagten besonders in den Blick zu nehmen gewesen. Soweit das Landgericht hierzu im Anschluss an den Sachverständigen lediglich ausführt, dass „Gefühle der Wut oder des Hasses … keine Kriterien der Pyromanie“ seien, gehen diese Ausführungen hinsichtlich der drei Brandstiftungen an den Kraftfahrzeugen ins Leere. Denn solche Motive oder auch andere offensichtliche und erkennbare Motive im Sinne der Nr. 1 der diagnostischen Leitlinien des ICD-10 zu F 63.1 sind hierzu jedenfalls nicht festgestellt (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 30. September 2008 – 5 StR 305/08).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 141/06
vom
25. Juli 2006
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. Juli 2006 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 20. Oktober 2005 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zu den Vorfällen am 19. Februar 2005, aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger und wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Ferner hat es gegen den Angeklagten die Sicherungsverwahrung angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
2
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg ; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Der Verurteilung des Angeklagten liegt Folgendes zu Grunde:
4
1. Am 8. Januar 2005 hielt sich der nunmehr 34 Jahre alte Angeklagte gegen 8.45 Uhr an einem Kiosk in Iserlohn auf. "Er öffnete seine Hose und onanierte vor den Zeuginnen F. und ihrer Tochter H. , die sich im Kiosk aufhielten, an seinem Penis, weil es ihn sexuell erregte, sich in dieser Weise fremden Frauen zu zeigen". Als ihn die Zeuginnen anschrieen, entfernte sich der Angeklagte. Seine Blutalkoholkonzentration betrug zum Zeitpunkt der Tat max. 1,6 ‰ (Fall II. 1 der Urteilsgründe).
5
2. In der Folgezeit suchte der Angeklagte in den Abend- oder Nachtstunden etwa 80 bis 100 mal verschiedene Wohngegenden in Iserlohn auf, um eine günstige Gelegenheit zu finden, "zu voyeurieren oder exhibitionistische Handlungen vorzunehmen".
6
Am 19. Februar 2005 drang er gegen 5.30 Uhr in ein Altenheim der Arbeiterwohlfahrt in Iserlohn ein, das etwa 500 m von seiner Wohnung entfernt liegt. Er betrat nacheinander die Zimmer von drei Heimbewohnerinnen. Zwei der Zimmer verließ er wortlos, als die 65 bzw. 79 Jahre alten Heimbewohnerinnen erwachten. In einem weiteren der Zimmer trat er an das Bett der 83jährigen Heimbewohnerin heran und streichelte deren Wange. Als diese ihn fragte, was er denn da mache, verließ der Angeklagte das Zimmer. Dieses Geschehen ist nicht Gegenstand des Anklagevorwurfs.
7
3. Am 6. März 2005 suchte der Angeklagte nach dem Besuch einer Gaststätte (Blutalkoholkonzentration max. 1,6 ‰) erneut das Altenwohnheim auf und drang über eine unverschlossene Terrassentür in die gemeinsame Wohnung der 91jährigen Frau Sch. und der 94jährigen Frau O. ein. Er ging zunächst zu deren Bett, fasste ihr unter dem Nachthemd an die Brüste und massierte diese, bis Frau O. aufwachte und die Hände des Angeklagten weg schob. Sodann ging er zu dem Bett der Frau Sch., fasste ihr oberhalb der Nachtbekleidung an die Brüste und massierte diese. Als Frau Sch. erwachte, sagte der Angeklagte: "Halt die Klappe", und flüchtete durch die Terrassentür (Fall II. 2 b der Urteilsgründe).

II.


8
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 27. Juni 2006. Ebenso rechtsfehlerfrei sind auch die Feststellungen zu den Vorfällen am 19. Februar 2005, die deshalb bestehen bleiben können.
9
2. Dagegen kann der gesamte Rechtsfolgenausspruch nicht bestehen bleiben, weil die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nach § 21 StGB in beiden Fällen ausgeschlossen hat, rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten.
10
a) Das Landgericht hat zur Frage der Schuldfähigkeit im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Soweit der Angeklagte vor der am 8. Januar 2005 begangenen Tat seit Ende November 2004 etwa 10 Injektionen Testosteron zu je 250 mg erhalten habe, spiele dies nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen weder für sich betrachtet noch im Zusammenhang mit der Alkoholintoxikation eine forensisch relevante Rolle, wenngleich nicht auszuschließen sei, dass die sexuelle Enthemmung beim Angeklagten verstärkt worden sei. Zur Frage der Wechselwirkung von Alkohol und Testosteron gebe es keinerlei verlässliche wissenschaftliche Studien oder Abhandlungen darüber, dass Testosteron die Wirkung von Alkohol verstärke. Auch im Fall II. 2 b der Urteilsgründe habe in Übereinstimmung mit dem mündlichen Sachverständigengutachten , "nach dem eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht sicher angenommen werden könne," eine alkoholbedingte erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß § 21 StGB auch vor dem Hintergrund der Testosteronbehandlung nicht festgestellt werden können.
11
b) Diese Erwägungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung der Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit den Grundsatz "in dubio pro reo" außer Acht gelassen hat. Dieser Grundsatz ist zwar auf die rechtliche Wertung der zur Schuldfähigkeit getroffenen Feststellungen nicht anwendbar (vgl. BGHSt 14, 68, 73; BGH NStZ 1996, 328 m.w.N.). Anwendung findet der Zweifelssatz jedoch bei der Entscheidung über die Voraussetzungen der verminderten Schuldfähigkeit, wenn nicht behebbare tatsächliche Zweifel bestehen, die sich auf Art und Grad des psychischen Ausnahmezustandes beziehen (vgl. BGH aaO).
12
c) Die Verneinung der Voraussetzungen des § 21 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken auch deshalb, weil die Urteilsgründe die für die Beurteilung der sich nach den Feststellungen aufdrängenden Frage, ob beim Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB vorliegt, gebotene Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Taten (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 16, 33, 37) vermissen lassen.
13
Das Landgericht hat lediglich im Zusammenhang mit der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB darauf hingewiesen, dass nach den Ausführungen der Sachverständigen zwar auf der Grundlage einer dissozialen Persönlichkeitsstörung eine „dissexuelle Fehlentwicklung“ vorliege, diese jedoch nicht die Kriterien einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erfülle, weshalb eine Unterbringung gemäß § 63 StGB nicht in Betracht komme. Zudem bestehe kein Anhaltspunkt für die Ausbildung einer sexuellen Perversion oder von sexuellen sadistischen Zügen. Vielmehr resultiere die sexuelle Dissozialität aus einer "unterliegenden selbstunsicheren Persönlichkeit des Angeklagten", der damit sein Sozialversagen im Sexuellen ausdrücke (UA 31).
14
Auf die Auffälligkeiten bei den abgeurteilten Taten, wie sie sich aus den Urteilsfeststellungen ergeben, ist das Landgericht dagegen - ebenso wie bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB - nicht näher eingegangen. Dies gilt auch für die Auffälligkeiten der Vortaten, die den einschlägigen Vorverurteilungen des Angeklagten durch Urteil vom 5. September 1996 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und exhibitionistischer Handlungen zu einer zehnmonatigen Gesamtfreiheitsstrafe mit Bewährung, durch Urteil vom 24. Juni 1998 wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie durch Urteil vom 21. Juni 2002 wegen sexueller Nötigung und wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten zu Grunde liegen. Im Rahmen der Begründung der auf § 66 Abs. 1 StGB gestützten Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht hierzu zutreffend ausgeführt, dass sowohl die abzuurteilenden Taten als auch die Vortaten "alle eine für den Angeklagten eigentümliche Art und Richtung des verbrecherischen Hanges" aufzeigen. Sowohl die Vortaten als auch die abzuurteilenden Taten machten deutlich, dass der Angeklagte es nicht beim bloßen Exhibitionismus und Voyeurieren belasse, sondern bei einigen der Taten in private Wohn- und Lebensbereiche eingedrungen sei und dort den sexuellen Kontakt zu ihm unbekannten und zum Teil wehrlosen Opfern gesucht habe. Beweggrund sei dabei stets gewesen, sexuelle Tagträume und Phantasien in deviante Handlungen münden zu lassen. Zudem sei eine deutliche Steigerung zu verzeichnen, weil die Taten nicht nur auf die Begehung exhibitionistischer Handlungen, sondern auch auf Sexualdelikte von Gewicht gerichtet gewesen seien.
15
Diese Besonderheiten, insbesondere auch die - allein im Zusammenhang mit der Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung erörterte - kurze zeitliche Abfolge der Taten und die seit 1995 mehrfach gescheiterten Versuche, eine Sozialtherapie durchzuführen, hätten bei der Prüfung der Frage, ob bei dem Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit mit der möglichen Folge einer erheblichen Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit vorlag, namentlich unter dem Gesichtspunkt einer Triebstörung (vgl. BGH NStZ 2001, 243; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 16, jew. m.w.N.), einer Gesamtschau unterzogen werden müssen.
16
d) Dass eine bei umfassender Beurteilung gegebenenfalls festzustellende schwere andere seelische Abartigkeit die Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Folge gehabt haben könnte, lässt sich nach den eingehenden Feststellungen zu seinem Werdegang und seinen Taten ausschließen, nicht aber die Möglichkeit der Feststellung oder Nichtausschließbarkeit einer erheblichen Vermin- derung der Steuerungsfähigkeit. Dies hat die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs zur Folge.
17
3. Der die Schuldfähigkeitsbeurteilung betreffende Rechtsfehler nötigt hier auch zur Aufhebung der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung. Zwar hat das Landgericht das Vorliegen der formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB bejaht. Der Senat kann aber nicht ausschließen, dass der neue Tatrichter sogar zu der sicheren Feststellung gelangt, dass der Angeklagte aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat, so dass die Anordnung der Maßregel der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß 63 StGB in Betracht kommt (vgl. BGHSt 34, 22, 26; 42, 385, 386), die gemäß § 72 Abs. 1 StGB Vorrang vor der Anordnung der Sicherungsverwahrung haben kann.
18
4. Für das weitere Verfahren wird es sich empfehlen, einen weiteren anerkannten psychiatrischen Sachverständigen zuzuziehen. Die knappen Urteilsausführungen zur Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit geben Anlass zu dem Hinweis, dass der Tatrichter seiner Aufgabe, sich eine eigene Überzeugung über den Zustand des Angeklagten zu bilden, grundsätzlich nicht dadurch gerecht wird, dass er lediglich die Befunde des Sachverständigen wiedergibt, ohne sich mit diesen auseinanderzusetzen. Jedenfalls müssen, wenn der Tatrichter dem Ergebnis eines Sachverständigengutachtens ohne Angabe eigener Erwägungen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen im Urteil so wiedergegeben werden , wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. BGH NStZ 2001, 243 m.w.N.).
Maatz Kuckein Athing
Solin-Stojanović RiBGH Dr. Ernemann ist urlaubsbedingt verhindert zu unterschreiben.
Maatz
5 StR 434/01

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. November 2001
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. November 2001

beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten S und K wird das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 20. April 2001 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im jeweiligen Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen hinsichtlich dieser Angeklagten aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Landgericht Leipzig zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Mordes schuldig gesprochen und gegen den Angeklagten K eine lebenslange Freiheitsstrafe sowie gegen den Angeklagten S eine Jugendstrafe von zehn Jahren verhängt. Die Revisionen der Angeklagten führen jeweils zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen; im übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Hinsichtlich des Angeklagten K vermag der Senat aufgrund des gesamten Tatbildes das Vorliegen einer Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB zwar auszuschließen, die Ausführungen des Landgerichts zur Verneinung der verminderten Schuldfähigkeit begegnen jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Das Landgericht hat von den Vorausssetzungen der §§ 20, 21 StGB allein die Merkmale “Schwachsinn” und “tiefgreifende Bewuûtseinsstörung” jeweils unter weitgehender Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen Professor L erörtert und im Ergebnis abgelehnt. Im übrigen hat es eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit bei dem Angeklagten K ohne nähere Begründung ausgeschlossen, weil dem Verhalten des Angeklagten K keine psychische Krankheit zugrundeliege.

b) Die Darlegungen in den Urteilsgründen lassen nicht erkennen, ob das Landgericht das Merkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB geprüft hat. Eine solche erfaût nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes Veränderungen der Persönlichkeit , die keine krankhaften seelischen Störungen darstellen (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 14, 15, 31 m.w.N.). Eine andere seelische Abartigkeit kommt deshalb gerade bei nicht pathologisch bedingten Persönlichkeitsstörungen in Betracht.

c) Ob eine seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB vorliegt, hat der Tatrichter auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Entwicklung wie auch aus der Tat selbst und dem Nachtatgeschehen zu beurteilen (BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 37). Die bislang vom Landgericht vorgenommene Bewertung läût insbesondere eine eingehende Würdigung des auffälligen Nachtatverhaltens vermissen. So bleibt unerörtert, daû der Angeklagte, der bereits unmittelbar nach der Tötung seiner Verlobten sich an dieser verging, erneut, nachdem er in einem Zelt in der Nähe übernachtet hatte, sich zu der Leiche begab, dort ein Feuer entzündete, aû und trank, dann onanierte und sich schlieûlich in Selbsttötungsabsicht die Pulsadern aufschnitt. Diese Besonderheiten hätten ebenso Beachtung finden müssen (vgl. BGH, Beschluû vom 23. Februar 2000 – 5 StR 38/00) wie auch seine persönliche Entwicklung, die von einem streng religiös orientierten Elternhaus geprägt war, aus dem sich der Angeklagte später gelöst hatte (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit

24).


2. Die Strafzumessung bezüglich des Angeklagten S hält gleichfalls rechtlicher Prüfung nicht stand, weil das Landgericht Äuûerungen des Angeklagten S im Rahmen seines letzten Wortes rechtsfehlerhaft strafschärfend gewertet hat. Dieser Angeklagte, der ein zwischenzeitlich abgelegtes Geständnis widerrufen hatte, äuûerte in einer schriftlich vorgefaûten Erklärung in seinem letzten Wort, daû er die nach seiner Behauptung allein von dem Mittäter begangene Tat für verwerflich halte. Als bestreitender Angeklagter konnte er sich von einer Tat, die er nach eigener Einlassung nicht begangen hatte, distanzieren und diese auch als ªverwerflichº charakterisieren. Das zulässige Verteidigungsverhalten eines Angeklagten darf aber nicht zu seinen Lasten verwertet werden (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8, 17 m.w.N.).
3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Leipzig.
Harms Häger Raum Brause Schaal
5 StR 391/01

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 23. Januar 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Januar
2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. März 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Mit der erhobenen Sachrüge hat die Revision des Angeklagten Erfolg. Die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Der Angeklagte tötete vorsätzlich seine 14jährige Cousine, deren “freizügiges Verhalten” ihn “provozierte”, aus einem “Bestrafungs- und Zerstörungsimpuls” mit “Vernichtungswillen”. “Er wollte das ‚böse Mädchen‘ sexuell erniedrigen und anschließend ‚als Frau‘ zerstören.” Er versetzte ihr 36 Messerstiche in den Bauch- und Brustbereich, wodurch Lunge, Herz, Leber und Darm durchgreifend verletzt wurden. Ferner setzte er zahlreiche Stichverletzungen im Gesäß und im Rücken. Schließlich rammte er einen 54 cm langen Holzstock mit erheblichem Kraftaufwand in die Scheide und 30 cm tief in den Körper. In den After führte er einen Kofferanhänger ein. Hierin hat das Landgericht rechtsfehlerfrei einen grausam und aus niedrigen Beweggründen begangenen Mord gefunden. Das Landgericht hat nach Anhörung zweier psychiatrischer Sachverständiger uneingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten angenommen. Es hat insbesondere das Vorliegen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie und einen hochgradigen Affekt ausgeschlossen.
Die Urteilsausführungen tragen die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit nicht. Unter dem Gesichtspunkt der gebotenen Ganzheitsbetrachtung (vgl. BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 4) ist namentlich die Erörterung zu vermissen, ob etwa eine schwere seelische Abartigkeit, die im Urteil (UA S. 25) nur am Rande erwähnt ist, vorliegt. Schon das auûergewöhnliche Bild der hiesigen Tat (vgl. dazu auch BGH, Beschl. vom 28. November 2001 ± 5 StR 434/01) und zudem die im Jahr 1989 vom Angeklagten in Ruûland begangene Tat, die wesentliche Parallelen zur hiesigen Tat aufweist, einschlieûlich der damals gestellten Diagnosen (UA S. 4) machen eine eingehende Prüfung und Erörterung unter dem Gesichtspunkt des etwaigen Vorliegens eines psychischen Defekts der genannten Art unerläûlich.
Die aufgezeigten Mängel bei der Beurteilung der Frage uneingeschränkter Schuld führen zur Aufhebung des Schuldspruchs mit den Feststellungen. Der neue Tatrichter muû Gelegenheit haben, bei der gebotenen umfassenden neuen Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten das objektive Geschehen selbst festzustellen. Deshalb hebt der Senat das angefochtene Urteil in vollem Umfang auf.
Sollten in der neuen Hauptverhandlung auch nur die Voraussetzungen des § 21 StGB festgestellt werden, liegt die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) auf der Hand; das Verschlechterungsverbot stünde ihr nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Für die Annahme des hierfür erforderlichen stabilen und massiven psychischen Defekts des Angeklagten (vgl. hierzu BGH, Urt. vom 4. März 1996 ± 5 StR 524/95, insoweit in NStZ 1996, 380 und StV 1997, 127 nicht abgedruckt ) liegen trotz bislang nicht erfolgter Feststellung der Voraussetzungen des § 21 StGB angesichts der biographischen Besonderheiten des Angeklagten im Zusammenhang mit der früheren gravierenden Gewalttat und mit bereits früher ± u.a. als Reaktion hierauf ± veranlaûten stationären Behandlungen in psychiatrischen Kliniken sowie im Blick auf das ungewöhnlich grausame, teilweise bizarre Tatbild und die auûergewöhnliche Tatmotivation deutliche Anhaltspunkte vor. Immerhin hat auch einer der bisher gehörten Sachverständigen eine ªtief verwurzelte Sexualproblematikº beim Angeklagten diagnostiziert, die während der Tat zum Durchbruch gelangt sei.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Wer der Prostitution

1.
in der Nähe einer Schule oder anderen Örtlichkeit, die zum Besuch durch Personen unter achtzehn Jahren bestimmt ist, oder
2.
in einem Haus, in dem Personen unter achtzehn Jahren wohnen,
in einer Weise nachgeht, die diese Personen sittlich gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 459/07
vom
20. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Dezember
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten W. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten H. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers M. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 25. April 2007 mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum Vor- und Nachtatgeschehen, aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die zum Tatzeitpunkt jugendlichen Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen schuldig gesprochen und die Tat mit Zuchtmitteln geahndet. Es hat beide Angeklagten verwarnt, ihnen die Erbringung von Arbeitsleistungen (H. : 150 Stunden, W. : 200 Stunden) und als Wiedergutmachungsleistung die ratenweise Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Nebenkläger (H. : 600 Euro, W. : 60 Euro) auferlegt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und der Nebenkläger mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen. Sie beanstanden, dass die Angeklagten nicht auch wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person nach § 179 Abs. 1 und Abs. 5 StGB verurteilt worden sind.
2
Die Rechtsmittel haben im Wesentlichen Erfolg.
3
1. Nach den Feststellungen feierten die zur Tatzeit 14 und 15 Jahre alten Angeklagten und andere Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren im Anwesen der Eltern eines Freundes dessen 16. Geburtstag. Im Laufe des Abends stieß auch der 14jährige Nebenkläger zu den Gästen. Der Nebenkläger ist von eher schmächtiger Statur, weshalb er sich immer wieder Hänseleien, aber auch verbalen und gelegentlich körperlichen Angriffen anderer Jugendlicher ausgesetzt sah. So hatten ihm etwa der Angeklagte H. und ein anderer Jugendlicher einmal einen Holzstiel, an dem ein Deutschlandfähnchen befestigt war, "am Gesäß durch die Hose gesteckt" und dieses Geschehen mit der Kamera eines Mobiltelefons gefilmt. Das Video kursierte später unter Mitschülern des Nebenklägers, die sich deshalb über ihn lustig machten.
4
Nachdem dem Nebenkläger ca. drei Stunden nach Eintreffen auf der Geburtstagsfeier infolge erheblichen Alkoholkonsums übel und schwindelig geworden und er schlafend "zusammengesackt" war, verbrachte ihn die Mutter des Gastgebers ins Wohnzimmer, wo er sich bäuchlings auf die Couch legte. Die leicht alkoholisierten Angeklagten begaben sich zum Nebenkläger. In Erinnerung an den früheren Vorfall zog der Angeklagte H. dem Nebenkläger, der sich infolge seiner Trunkenheit, was die Angeklagten erkannten, gegen das Vorgehen nicht zur Wehr setzen konnte, die Hose herunter und führte mit dem Flaschenhals voran eine 0,7 Liter fassende, leere Glasflasche zwischen die entblößten Gesäßbacken des Nebenklägers und bewegte diese mehrfach vor dem Anus des Tatopfers vor und zurück. Sodann übernahm der Angeklagte W. die Flasche und drückte gegen den Flaschenboden, sodass sie im Gesäßbereich des Nebenklägers nach oben ragend stecken blieb, worauf der Nebenkläger vor Schmerzen aufschrie. Durch die Manipulationen mit der Flasche erlitt der Nebenkläger u.a. eine blutende Verletzung im Analbereich.
5
Dieses insgesamt 38 Sekunden dauernde Geschehen filmten die Angeklagten wiederum mit der Kamera eines Mobiltelefons. Die Videosequenz zeigten sie sodann zur Belustigung den anderen Partygästen. Der Angeklagte W. versandte überdies die Filmszene an Freunde und Bekannte, sodass der Nebenkläger in der Folgezeit u.a. von Mitschülern darauf angesprochen und deswegen auch verspottet wurde.
6
2. Die Beschwerdeführer beanstanden zu Recht die Ablehnung einer tateinheitlichen Verurteilung der Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person gemäß § 179 Abs. 1 StGB.
7
a) Das Landgericht ist zwar auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zutreffend davon ausgegangen, dass der 14jährige Nebenkläger zur Tatzeit infolge der festgestellten Beeinträchtigungen durch seinen schweren Alkoholrausch, mithin auf Grund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinne des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. Fischer StGB 55. Aufl. § 179 Rdn. 9 b), unfähig war, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das Vorgehen der Angeklagten zu bilden, zu äußern und durchzusetzen, dass die Angeklagten dies erkannten und für ihr Vorhaben ausnutzten. Das Vorliegen einer sexuellen Handlung hat das Landgericht indes verneint. Die von den Angeklagten vorgenommenen Manipulationen seien nicht eindeutig und ausschließlich sexualbezogen gewesen. Vielmehr habe es sich unter Berücksichtigung der Gesamtum- stände um eine ambivalente Handlung, um einen "dummen Jungenstreich" gehandelt , der allein dazu gedient habe, den Nebenkläger zu demütigen und zum Gespött der Anderen zu machen. Eine deshalb erforderliche sexuelle Motivation der Angeklagten habe bei dem Geschehen keine Rolle gespielt.
8
b) Diese Wertung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat der Würdigung der Sexualbezogenheit des Vorgehens der Angeklagten einen falschen rechtlichen Maßstab zu Grunde gelegt.
9
Eine sexuelle Handlung im Sinne des § 179 Abs. 1 i.V.m. § 184 f Nr. 1 StGB liegt immer dann vor, wenn die Handlung objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Ist dies der Fall, kommt es auf die Motivation des Täters nicht an. Es ist deshalb gleichgültig, ob die Handlung etwa aus Wut, Sadismus, Scherz oder Aberglaube vorgenommen wird. Auch eine sexuelle Absicht des Täters ist in diesem Fall - anders als bei äußerlich ambivalenten Handlungen - nicht erforderlich (vgl. BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6; Hörnle in MünchKomm § 184 f Rdn. 2 ff.; Wolters/Horn in SK-StGB § 184 f Rdn. 2). Dies zu Grunde gelegt, steht hier das Vorliegen einer sexualbezogenen Handlung außer Frage. Die Angeklagten führten im Analbereich des entblößten Nebenklägers mit der Flasche Penetrationsbewegungen aus, und ahmten damit, worauf die Jugendkammer selbst hinweist, eindeutig homosexuelle Praktiken nach. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es - was nach den Feststellungen allerdings nahe liegt - zu einer Penetration kam. Soweit die Jugendkammer gleichwohl einen eindeutigen Sexualbezug des Vorgehens mit der Begründung in Frage gestellt hat, weder die Angeklagten noch das Tatopfer seien homosexuell veranlagt, die Angeklagten hätten den Übergriff ohne jede sexuelle Absicht im frei zugänglichen Wohnzimmer vorgenommen und ihr Vorgehen alsbald durch Vorzeigen des Vi- deofilms gegenüber Dritten offenbart, verkennt sie, dass diese Umstände - auch in ihrer Gesamtheit - für die Beurteilung, ob eine sexuelle Handlung vorliegt, unerheblich sind, wenn die Handlung, wie hier, schon rein objektiv einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Diesen Charakter verlor die Handlung der Angeklagten insbesondere nicht dadurch, dass ihrem Tun keine sexuelle Motivation zu Grunde lag. Dass das Vorgehen der Angeklagten eine sozial nicht mehr hinnehmbare Rechtsgutsbeeinträchtigung darstellte, mithin im Sinne des § 184 f Nr. 1 StGB von einiger Erheblichkeit war, liegt ebenfalls auf der Hand.
10
c) Eine Anwendung des § 179 Abs. 1 StGB scheidet auch nicht deshalb aus, weil den Angeklagten das Bewusstsein fehlte, dass ihren Handlungen eine Sexualbezogenheit innewohnte (vgl. BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6). Diese von der Jugendkammer hilfsweise getroffene Feststellung zur subjektiven Tatseite ist nicht tragfähig begründet. Vielmehr weist das Landgericht selbst darauf hin, dass die Angeklagten mit ihrem Tun eine weitere Demütigung des Nebenklägers durch dessen Darstellung in einer "entwürdigenden Position" erreichen wollten. Wenn die Angeklagten jedoch das "Entwürdigende" ihres Tuns erkannten, ist damit nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen, dass sie die gerade aus der Sexualbezogenheit der Darstellung folgende Herabwürdigung ihres Tatopfers nicht in ihr Bewusstsein aufgenommen haben sollen. Dies hätte der näheren Erörterung bedurft.
11
3. Da die subjektive Tatseite des § 179 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist, kann der Senat den Schuldspruch nicht ergänzen. Vielmehr führen die dargelegten Rechtsfehler zur Aufhebung des Urteils insgesamt, da das Tatgeschehen sachlich-rechtlich eine einheitliche Tat im Sinne des § 52 StGB bildet. Von der Aufhebung betroffen ist deshalb auch die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Tatvorgeschehen (Teil II. des Urteils bis UA 6, Ende des 1. Absatzes) und zum Nachtatgeschehen (ab UA 7, 3. Absatz) können jedoch aufrechterhalten bleiben. Ergänzende Feststellungen sind insoweit möglich, sofern sie zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen.
12
4. a) Sollte der neue Tatrichter die Tatbestandsmäßigkeit des Handelns der Angeklagten (auch) nach § 179 Abs. 1 StGB feststellen, wird er, wovon die Jugendkammer - aus ihrer Sicht folgerichtig - bisher abgesehen hat, Gelegenheit haben zu erörtern, ob auch die Qualifikationstatbestände des § 179 Abs. 5 Nrn. 1 und 2 StGB erfüllt sind (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 325 und NStZ 2000, 367).
13
b) Der neue Tatrichter wird ferner zu prüfen haben - was der Senat gemäß § 301 StPO zu Gunsten der Angeklagten zu beachten hat -, ob mit Blick auf den Vorwurf der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Filmaufnahmen nach § 201 a StGB ein wirksamer Strafantrag nach § 205 Abs. 1 StGB vorliegt. Zwar hat die Mutter des minderjährigen Tatopfers (§ 77 Abs. 3 StGB), Heike M. , rechtzeitig Strafantrag gestellt (SA Bl. 13). Nach Aktenlage kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Mutter des Nebenklägers nicht das alleinige Sorgerecht hatte, sie dieses vielmehr gemeinsam mit dem in der Hauptverhandlung als "gesetzlicher Vertreter des Nebenklägers" bezeichneten Michael M. , wohl dem Vater des Nebenklägers, ausübte. Im Falle einer bestehenden Ehe sind jedoch beide Elternteile nur gemeinsam antragsberechtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 1993 - 1 StR 299/93). Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind die Eltern als gesetzliche Vertreter nicht "mehrere" Antragsberechtigte im Sinne des § 77 Abs. 4 StGB (vgl.
Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 77 Rdn. 33). Es wird deshalb zu klären sein, ob der Vater des Nebenklägers gegebenenfalls mit der Stellung des Strafantrags durch die Mutter einverstanden war oder nachträglich innerhalb der Antragsfrist seine Zustimmung hierzu erteilt hat (vgl. BGH NJW 1956, 521; Stree/Sternberg-Lieben aaO § 77 Rdn. 16).
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

Wer einem durch Rechtsverordnung erlassenen Verbot, der Prostitution an bestimmten Orten überhaupt oder zu bestimmten Tageszeiten nachzugehen, beharrlich zuwiderhandelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft.

19
bb) Das gegenseitige Urinieren in den Mund verbunden mit der oralen Aufnahme des Urins stellte schon seinem äußeren Erscheinungsbild nach auch eine sexualbezogene Handlung im Sinne des § 176 Abs.1 StGB dar (allgemein zu den Voraussetzungen, vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336; Urteil vom 20. Dezember 2007 - 4 StR 459/07, NStZRR 2008, 339), denn es erfolgte jeweils unter Einbeziehung eines Geschlechtsteils (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 120 f.), wobei jedenfalls die Geschädigte regelmäßig auch vollständig unbekleidet war; zudem handelt es sich bei dem Urinieren auf den Körper oder in den Mund eines anderen um eine nicht ganz selten vorkommende sexuelle Praktik.

Verursacht der Täter durch den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung (§ 177) wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 459/07
vom
20. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Dezember
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten W. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten H. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers M. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 25. April 2007 mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum Vor- und Nachtatgeschehen, aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die zum Tatzeitpunkt jugendlichen Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen schuldig gesprochen und die Tat mit Zuchtmitteln geahndet. Es hat beide Angeklagten verwarnt, ihnen die Erbringung von Arbeitsleistungen (H. : 150 Stunden, W. : 200 Stunden) und als Wiedergutmachungsleistung die ratenweise Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Nebenkläger (H. : 600 Euro, W. : 60 Euro) auferlegt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und der Nebenkläger mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen. Sie beanstanden, dass die Angeklagten nicht auch wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person nach § 179 Abs. 1 und Abs. 5 StGB verurteilt worden sind.
2
Die Rechtsmittel haben im Wesentlichen Erfolg.
3
1. Nach den Feststellungen feierten die zur Tatzeit 14 und 15 Jahre alten Angeklagten und andere Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren im Anwesen der Eltern eines Freundes dessen 16. Geburtstag. Im Laufe des Abends stieß auch der 14jährige Nebenkläger zu den Gästen. Der Nebenkläger ist von eher schmächtiger Statur, weshalb er sich immer wieder Hänseleien, aber auch verbalen und gelegentlich körperlichen Angriffen anderer Jugendlicher ausgesetzt sah. So hatten ihm etwa der Angeklagte H. und ein anderer Jugendlicher einmal einen Holzstiel, an dem ein Deutschlandfähnchen befestigt war, "am Gesäß durch die Hose gesteckt" und dieses Geschehen mit der Kamera eines Mobiltelefons gefilmt. Das Video kursierte später unter Mitschülern des Nebenklägers, die sich deshalb über ihn lustig machten.
4
Nachdem dem Nebenkläger ca. drei Stunden nach Eintreffen auf der Geburtstagsfeier infolge erheblichen Alkoholkonsums übel und schwindelig geworden und er schlafend "zusammengesackt" war, verbrachte ihn die Mutter des Gastgebers ins Wohnzimmer, wo er sich bäuchlings auf die Couch legte. Die leicht alkoholisierten Angeklagten begaben sich zum Nebenkläger. In Erinnerung an den früheren Vorfall zog der Angeklagte H. dem Nebenkläger, der sich infolge seiner Trunkenheit, was die Angeklagten erkannten, gegen das Vorgehen nicht zur Wehr setzen konnte, die Hose herunter und führte mit dem Flaschenhals voran eine 0,7 Liter fassende, leere Glasflasche zwischen die entblößten Gesäßbacken des Nebenklägers und bewegte diese mehrfach vor dem Anus des Tatopfers vor und zurück. Sodann übernahm der Angeklagte W. die Flasche und drückte gegen den Flaschenboden, sodass sie im Gesäßbereich des Nebenklägers nach oben ragend stecken blieb, worauf der Nebenkläger vor Schmerzen aufschrie. Durch die Manipulationen mit der Flasche erlitt der Nebenkläger u.a. eine blutende Verletzung im Analbereich.
5
Dieses insgesamt 38 Sekunden dauernde Geschehen filmten die Angeklagten wiederum mit der Kamera eines Mobiltelefons. Die Videosequenz zeigten sie sodann zur Belustigung den anderen Partygästen. Der Angeklagte W. versandte überdies die Filmszene an Freunde und Bekannte, sodass der Nebenkläger in der Folgezeit u.a. von Mitschülern darauf angesprochen und deswegen auch verspottet wurde.
6
2. Die Beschwerdeführer beanstanden zu Recht die Ablehnung einer tateinheitlichen Verurteilung der Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person gemäß § 179 Abs. 1 StGB.
7
a) Das Landgericht ist zwar auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zutreffend davon ausgegangen, dass der 14jährige Nebenkläger zur Tatzeit infolge der festgestellten Beeinträchtigungen durch seinen schweren Alkoholrausch, mithin auf Grund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinne des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. Fischer StGB 55. Aufl. § 179 Rdn. 9 b), unfähig war, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das Vorgehen der Angeklagten zu bilden, zu äußern und durchzusetzen, dass die Angeklagten dies erkannten und für ihr Vorhaben ausnutzten. Das Vorliegen einer sexuellen Handlung hat das Landgericht indes verneint. Die von den Angeklagten vorgenommenen Manipulationen seien nicht eindeutig und ausschließlich sexualbezogen gewesen. Vielmehr habe es sich unter Berücksichtigung der Gesamtum- stände um eine ambivalente Handlung, um einen "dummen Jungenstreich" gehandelt , der allein dazu gedient habe, den Nebenkläger zu demütigen und zum Gespött der Anderen zu machen. Eine deshalb erforderliche sexuelle Motivation der Angeklagten habe bei dem Geschehen keine Rolle gespielt.
8
b) Diese Wertung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat der Würdigung der Sexualbezogenheit des Vorgehens der Angeklagten einen falschen rechtlichen Maßstab zu Grunde gelegt.
9
Eine sexuelle Handlung im Sinne des § 179 Abs. 1 i.V.m. § 184 f Nr. 1 StGB liegt immer dann vor, wenn die Handlung objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Ist dies der Fall, kommt es auf die Motivation des Täters nicht an. Es ist deshalb gleichgültig, ob die Handlung etwa aus Wut, Sadismus, Scherz oder Aberglaube vorgenommen wird. Auch eine sexuelle Absicht des Täters ist in diesem Fall - anders als bei äußerlich ambivalenten Handlungen - nicht erforderlich (vgl. BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6; Hörnle in MünchKomm § 184 f Rdn. 2 ff.; Wolters/Horn in SK-StGB § 184 f Rdn. 2). Dies zu Grunde gelegt, steht hier das Vorliegen einer sexualbezogenen Handlung außer Frage. Die Angeklagten führten im Analbereich des entblößten Nebenklägers mit der Flasche Penetrationsbewegungen aus, und ahmten damit, worauf die Jugendkammer selbst hinweist, eindeutig homosexuelle Praktiken nach. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es - was nach den Feststellungen allerdings nahe liegt - zu einer Penetration kam. Soweit die Jugendkammer gleichwohl einen eindeutigen Sexualbezug des Vorgehens mit der Begründung in Frage gestellt hat, weder die Angeklagten noch das Tatopfer seien homosexuell veranlagt, die Angeklagten hätten den Übergriff ohne jede sexuelle Absicht im frei zugänglichen Wohnzimmer vorgenommen und ihr Vorgehen alsbald durch Vorzeigen des Vi- deofilms gegenüber Dritten offenbart, verkennt sie, dass diese Umstände - auch in ihrer Gesamtheit - für die Beurteilung, ob eine sexuelle Handlung vorliegt, unerheblich sind, wenn die Handlung, wie hier, schon rein objektiv einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Diesen Charakter verlor die Handlung der Angeklagten insbesondere nicht dadurch, dass ihrem Tun keine sexuelle Motivation zu Grunde lag. Dass das Vorgehen der Angeklagten eine sozial nicht mehr hinnehmbare Rechtsgutsbeeinträchtigung darstellte, mithin im Sinne des § 184 f Nr. 1 StGB von einiger Erheblichkeit war, liegt ebenfalls auf der Hand.
10
c) Eine Anwendung des § 179 Abs. 1 StGB scheidet auch nicht deshalb aus, weil den Angeklagten das Bewusstsein fehlte, dass ihren Handlungen eine Sexualbezogenheit innewohnte (vgl. BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6). Diese von der Jugendkammer hilfsweise getroffene Feststellung zur subjektiven Tatseite ist nicht tragfähig begründet. Vielmehr weist das Landgericht selbst darauf hin, dass die Angeklagten mit ihrem Tun eine weitere Demütigung des Nebenklägers durch dessen Darstellung in einer "entwürdigenden Position" erreichen wollten. Wenn die Angeklagten jedoch das "Entwürdigende" ihres Tuns erkannten, ist damit nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen, dass sie die gerade aus der Sexualbezogenheit der Darstellung folgende Herabwürdigung ihres Tatopfers nicht in ihr Bewusstsein aufgenommen haben sollen. Dies hätte der näheren Erörterung bedurft.
11
3. Da die subjektive Tatseite des § 179 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist, kann der Senat den Schuldspruch nicht ergänzen. Vielmehr führen die dargelegten Rechtsfehler zur Aufhebung des Urteils insgesamt, da das Tatgeschehen sachlich-rechtlich eine einheitliche Tat im Sinne des § 52 StGB bildet. Von der Aufhebung betroffen ist deshalb auch die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Tatvorgeschehen (Teil II. des Urteils bis UA 6, Ende des 1. Absatzes) und zum Nachtatgeschehen (ab UA 7, 3. Absatz) können jedoch aufrechterhalten bleiben. Ergänzende Feststellungen sind insoweit möglich, sofern sie zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen.
12
4. a) Sollte der neue Tatrichter die Tatbestandsmäßigkeit des Handelns der Angeklagten (auch) nach § 179 Abs. 1 StGB feststellen, wird er, wovon die Jugendkammer - aus ihrer Sicht folgerichtig - bisher abgesehen hat, Gelegenheit haben zu erörtern, ob auch die Qualifikationstatbestände des § 179 Abs. 5 Nrn. 1 und 2 StGB erfüllt sind (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 325 und NStZ 2000, 367).
13
b) Der neue Tatrichter wird ferner zu prüfen haben - was der Senat gemäß § 301 StPO zu Gunsten der Angeklagten zu beachten hat -, ob mit Blick auf den Vorwurf der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Filmaufnahmen nach § 201 a StGB ein wirksamer Strafantrag nach § 205 Abs. 1 StGB vorliegt. Zwar hat die Mutter des minderjährigen Tatopfers (§ 77 Abs. 3 StGB), Heike M. , rechtzeitig Strafantrag gestellt (SA Bl. 13). Nach Aktenlage kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Mutter des Nebenklägers nicht das alleinige Sorgerecht hatte, sie dieses vielmehr gemeinsam mit dem in der Hauptverhandlung als "gesetzlicher Vertreter des Nebenklägers" bezeichneten Michael M. , wohl dem Vater des Nebenklägers, ausübte. Im Falle einer bestehenden Ehe sind jedoch beide Elternteile nur gemeinsam antragsberechtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 1993 - 1 StR 299/93). Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind die Eltern als gesetzliche Vertreter nicht "mehrere" Antragsberechtigte im Sinne des § 77 Abs. 4 StGB (vgl.
Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 77 Rdn. 33). Es wird deshalb zu klären sein, ob der Vater des Nebenklägers gegebenenfalls mit der Stellung des Strafantrags durch die Mutter einverstanden war oder nachträglich innerhalb der Antragsfrist seine Zustimmung hierzu erteilt hat (vgl. BGH NJW 1956, 521; Stree/Sternberg-Lieben aaO § 77 Rdn. 16).
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible