Bundesgerichtshof Urteil, 11. März 2010 - 4 StR 22/10

bei uns veröffentlicht am11.03.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 22/10
vom
11. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der schweren Misshandlung von Schutzbefohlenen u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. März
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 6. August 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf der schweren Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Das - vom Generalbundesanwalt vertretene - Rechtsmittel hat schon mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die verfahrensrechtlichen Beanstandungen der Staatsanwaltschaft nicht ankommt.

I.


3
1. Die zugelassene Anklage hat der Angeklagten zur Last gelegt, als alleinerziehende Mutter von drei kleinen Söhnen zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Zeitraum vom späten Nachmittag des 26. November 2007 bis zu den frühen Morgenstunden des 27. November 2007 aus ungeklärter Ursache und - wie ihr bewusst gewesen sei - ohne rechtfertigenden Grund ihren damals vierjährigen Sohn K. entweder über einen längeren Zeitraum am Hals gewürgt oder aber kräftig am Hals gepackt und gleichzeitig die Atemöffnungen des Kindes mit der Hand oder einem weichen Gegenstand zugehalten zu haben. Infolge dessen seien der Blutrückfluss aus dem Kopf des Kindes und die Blutzufuhr für mindestens 30 bis 40 Sekunden unterbrochen gewesen. K. habe dadurch zahlreiche petechiale Einblutungen sowie blauviolette Hautverfärbungen u.a. im Gesicht, in den Augenbindehäuten und im Nacken davongetragen. Dass das Kind diese lebensbedrohlichen Misshandlungen überlebt habe , sei, wie der Angeklagten bewusst gewesen sei, letztlich vom Zufall abhängig gewesen. Das Überleben ihres Sohnes zum Zeitpunkt des Abbruchs der Misshandlungen habe sie nicht mehr verlässlich steuern können.
4
2. Die Angeklagte hat die ihr zur Last gelegte Tat bestritten und sich dahin eingelassen, ihr Sohn habe sich die Verletzung bei einem Sturz in der Badewanne zugezogen. Er sei trotz ihrer nachdrücklichen Ermahnungen ständig in der Badewanne herumgehüpft, sodann ausgerutscht, mit der linken Gesichtshälfte und dem linken Ohr auf den Badewannenrand geprallt und von dort aus in die Wanne gefallen. Da sein Kopf kurzzeitig unter Wasser geraten sei, habe sie sofort in die Wanne gegriffen, um ihren Sohn herauszuziehen. Dabei habe sie ihn am Hals zu fassen bekommen und wieder auf die Füße gestellt. Anschließend sei beim Abduschen noch Seifenwasser in seine Augen gekommen. Das Geschehen seit dem Sturz habe nur wenige Sekunden gedauert; währenddessen habe ihr Sohn ständig geschrien.
5
3. Das Landgericht hat die Einlassung der Angeklagten mangels weiterer unmittelbarer Tatzeugen – ihr Sohn hat von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht – nicht zu widerlegen vermocht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere vor dem Hintergrund der Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. M. , lasse sich das Verletzungsmuster trotz dessen Intensität "problemlos" mit dem von der Angeklagten geschilderten, nur wenige Sekunden dauernden Unfall in der Badewanne erklären. Auch angesichts der großen Zahl und der Beschaffenheit der aufgetretenen Petechien verblieben daher vernünftige Zweifel am Erwiesensein des Tatvorwurfs.

II.


6
Der Freispruch hat keinen Bestand.
7
1. Dabei kann dahinstehen, ob die Ausführungen des Landgerichts den gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Anforderungen insgesamt gerecht werden (vgl. dazu nur BGHSt 37, 21, 22 m.w.N.). Jedenfalls enthalten die Urteilsgründe keine Feststellungen zu Werdegang , Vorleben und Persönlichkeit der Angeklagten. Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, ob der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat. Aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet , wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind; das ist auch dann der Fall, wenn vom Tatrichter getroffene Feststellungen zum Tatgeschehen ohne solche zu den persönlichen Verhältnissen nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar und deshalb lü- ckenhaft sind (vgl. dazu BGHSt 52, 314, 315; BGH, Urteile vom 13. Oktober 1999 - 3 StR 297/99, NStZ 2000, 91 und vom 14. Februar 2008 - 4 StR 317/07, NStZ-RR 2008, 206). So liegt es hier.
8
2. a) Die Notwendigkeit, die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten umfassend in den Blick zu nehmen und nähere Feststellungen zu deren Lebenslauf , Werdegang und Persönlichkeit zu treffen und in den Urteilsgründen darzulegen, ergibt sich im vorliegenden Fall bereits aus der ihr zum Vorwurf gemachten Straftat. Sie beruht auf einer Handlung, die sich im familiären, häuslichen Bereich ereignet haben soll. Ist ein solcher Vorwurf, wie hier, von erheblichem Gewicht, liegt es nahe, dass der Persönlichkeitsentwicklung der Beteiligten , insbesondere des Beschuldigten, und seinen individuellen Lebensumständen Bedeutung auch für die Beurteilung des Tatvorwurfs zukommen kann. Dies gilt nicht nur, wenn der Verdacht einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung besteht, sondern gleichermaßen, wenn der Vorwurf eine Gewalttat im Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern zum Gegenstand hat. Schon deshalb durfte sich die Strafkammer im vorliegenden Fall nicht darauf beschränken, im Zusammenhang mit der Schilderung des Anklagevorwurfs zur Person der Angeklagten mitzuteilen, sie sei zum Zeitpunkt des Vorfalls allein erziehende Mutter von drei kleinen Söhnen gewesen. Vielmehr waren insoweit detaillierte Feststellungen geboten, die genaueren Aufschluss über die Persönlichkeit der Angeklagten und deren Lebensumstände hätten geben können, was gegebenenfalls – etwa im Hinblick auf eine mögliche Überlastungssituation – Rückschlüsse auf den Tatvorwurf zugelassen hätte.
9
b) Auch vor dem Hintergrund der zum Tatvorwurf getroffenen Feststellungen hätten die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten nicht unerörtert bleiben dürfen.
10
So ergibt sich aus den Urteilsgründen u.a., dass die Zeugin S. , Erzieherin in der Kindertagesstätte, in der der Geschädigte betreut wurde, beim Anblick der Verletzungen in dessen Gesicht sofort die Frage stellte, ob „das die Mama gemacht habe“ und gegenüber den anderen Mitarbeiterinnen die Vermutung äußerte, der Geschädigte sei geschlagen worden. Ohne Rücksprache mit der Angeklagten wurde daraufhin umgehend das Jugendamt verständigt, das noch am gleichen Vormittag eine Mitarbeiterin, die Zeugin Mo. , zu der Betreuungseinrichtung entsandte, um dem Vorfall nachzugehen. Zu dieser für sich genommen ungewöhnlichen Vorgehensweise der Betreuungseinrichtung, in die die Angeklagte als Erziehungsberechtigte gezielt nicht einbezogen wurde, wird im angefochtenen Urteil lediglich mitgeteilt, dass dem Jugendamt schon vor dem verfahrensgegenständlichen Vorfall die „problematische familiäre Situation der Angeklagten“ bekannt gewesen sei, die als allein erziehende Mutter von drei kleinen Kindern „bisweilen überfordert gewirkt“ habe. Die Zeugin Mo. habe als für die Familie der Angeklagten zuständige Sachbearbeiterin des Jugendamtes die Mitarbeiter der Kindertagesstätte deshalb gebeten, „ein Auge auf K. zu haben“ und „etwaige Unregelmäßigkeiten zu melden“. Dass eingehende Feststellungen zum persönlichen und familiären Hintergrund hier möglicherweise geeignet gewesen wären, vor dem Hintergrund der komplexen Beweislage auch den Tatvorwurf zu erhellen, liegt jedenfalls nicht fern, zumal die Angeklagte nach den Feststellungen (sinngemäß) äußerte, sie habe mit dem Eingreifen des Jugendamtes gerechnet, wenn ihr Sohn mit den festgestellten Verletzungsanzeichen in der Kindertagesstätte erscheine, weil man annehmen werde, sie habe ihn geschlagen. Zudem erscheint das von der Angeklagten geschilderte Geschehen – Packen eines vierjährigen Kindes am Hals, um es aus der Badewanne zu heben – eher lebensfremd.

III.


11
Das Fehlen der vermissten Feststellungen ist ein sachlich-rechtlicher Mangel, der zur Aufhebung des Urteils führt, weil es dem Senat nicht möglich ist zu prüfen, ob der Freispruch auf einer tragfähigen Grundlage beruht. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Tepperwien Solin-Stojanović Ernemann
Franke Mutzbauer

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(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

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(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 317/07
vom
14. Februar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter sexueller Nötigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Februar
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin Erna Waltraud B. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 20. Februar 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der versuchten sexuellen Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin rügen mit ihren hiergegen gerichteten Revisionen die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft, deren Revision vom Generalbundesanwalt vertreten wird, beanstandet ferner das Verfahren. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
1. Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten Folgendes zur Last gelegt :
3
Der Angeklagte habe sich am 20. August 2006 gegen 19 Uhr auf dem Ostfriedhof in Gelsenkirchen der 86jährigen Nebenklägerin Erna B. von hinten genähert, als diese auf ihr Fahrrad steigen wollte, um nach Hause zu fahren. Er habe der Nebenklägerin mit beiden Händen den Hals fest zuge- drückt. Er habe die deshalb unter akuter Atemnot leidende Nebenklägerin, die versucht habe, sich zur Wehr zu setzen, in Richtung eines Gebüschs bei einem neu angelegten Gräberfeld geschoben und geäußert: "Wenn Sie hier nicht wollen , dann gehen wir in die Büsche. Vorwärts!" Er habe die Nebenklägerin über einen schmalen Weg in Richtung des Feldes geschoben, wobei diese zu Fall gekommen sei. Der Angeklagte habe versucht, die Nebenklägerin hochzuheben , was diese habe verhindern können. Als die Nebenklägerin vorgegeben habe, "sie könne nicht mehr", sie müsse Tabletten einnehmen, habe der Angeklagte sie auf den Rasen gebracht. Dort habe die Nebenklägerin sich an die Zeugin F. wenden können, worauf der Angeklagte von ihr abgelassen habe.
4
2. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegte Tat bestritten und sich dahin eingelassen, er habe an jenem Tage eine dreiviertel Flasche Chantré getrunken , sei danach spazieren gegangen und habe sich dann auf eine Friedhofsbank gesetzt. Die Nebenklägerin, die ein Fahrrad geschoben habe, sei vor ihm unvermittelt in die Knie gesunken. Er sei ihr mit zwei schnellen Schritten zu Hilfe geeilt und habe ihr von hinten unter die Arme um den Brustkorb gegriffen, um sie aufzufangen. Die Nebenklägerin habe sich am Fahrrad festgehalten, so dass der Lenker eingeknickt sei, weshalb sie vom sandigen Weg in Richtung des frischen Gräberfeldes auf den Mulchbereich abgekommen seien. Er habe beruhigend auf die panisch wirkende Nebenkl ägerin eingeredet und ihr gesagt, dass er nur helfen wolle. Die Nebenklägerin habe geäußert, sie habe ihre Herztabletten nicht genommen. Dann habe er die Stimme von Frau F. gehört , die er gebeten habe, einen Krankenwagen zu rufen. Er habe darauf bestanden , dass neben dem Krankenwagen auch die Polizei gerufen werde, weil er wegen seiner Vorstrafen nachteilige Konsequenzen befürchtet habe.
5
3. Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und zur Begründung ausgeführt, es habe "zwar im Detail gewisse Zweifel" an der Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten, habe dessen Einlassung aber nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit zu widerlegen vermocht.
6
Die Bekundungen der Nebenklägerin und die der ebenso wie diese glaubwürdigen Zeugin F. seien "in einem entscheidenden Punkt - nämlich in der Frage, von wessen Initiative die Hilfeleistung der Zeugin F. ausging -" nicht miteinander in Einklang zu bringen. Die Zeugin F. habe, als sie gesehen habe, dass die Nebenklägerin zusammengebrochen sei, nach ihren Bekundungen "sofort hinübergerufen, ob sie helfen könne". Demgegenüber habe die Nebenklägerin bekundet, sie sei es gewesen, die um Hilfe gerufen und Frau F. dadurch veranlasst habe hinzuzukommen. Das Landgericht hat hierzu u.a. ausgeführt, dass sich der Widerspruch plausibel dadurch erklären lasse, dass die Nebenklägerin, entsprechend der Einlassung des Angeklagten und der Beobachtung der Zeugin F. , einen Schwächeanfall erlitten habe , hierdurch verwirrt gewesen sei und den gesamten Geschehensablauf falsch verstanden haben könnte. Im Hinblick darauf, dass der Polizeibeamte S. bei seinem Eintreffen am Tatort den Eindruck gehabt habe, die Nebenklägerin sei verwirrt gewesen, erscheine nicht ausgeschlossen, dass die nach ihren Angaben unter Bluthochdruck leidende Nebenklägerin einen Schwächeanfall erlitten habe. Deshalb sei die Möglichkeit von Fehlwahrnehmungen bzw. -deutungen des Gechehens durch die Nebenklägerin nicht auszuschließen.

II.


7
Der Freispruch hat keinen Bestand.
8
1. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
a) Die Ausführungen des Landgerichts werden den gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Anforderungen nicht gerecht.
10
Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen feststellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rspr., vgl. BGHSt 37, 21, 22; BGH wistra 2004, 105, 109 jew. m.w.N.). Dem genügt das angefochtene Urteil nicht.
11
Das Urteil enthält keine Feststellungen zur Person des Angeklagten. Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, dass der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat; aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind (vgl. BGH NStZ 2000, 91). So liegt es hier. Der Angeklagte will wegen der wegen seiner Vorstrafen befürchteten nachteiligen Konsequenzen darauf bestanden haben, dass die Polizei gerufen werde. Welcher Art diese Vorstrafen sind und wie lange sie zurückliegen, wird im Urteil jedoch nicht mitgeteilt. Nach den vom Angeklagten geäußerten Befürchtungen liegt es nahe, dass es sich um einschlägige Vorstrafen handelt, die Aufschluss über die Täterpersönlichkeit geben könnten.
12
Zudem fehlt eine geschlossene Darstellung derjenigen Tatsachen, die das Landgericht für erwiesen hält. Ohne Angaben insbesondere zu den örtlichen Verhältnissen in dem Bereich des Ostfriedhofs, in dem es zu dem Zusammentreffen des Angeklagten mit der Nebenklägerin kam, und dazu, wo diese schließlich am Boden gelegen hat, ist dem Senat die Überprüfung, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht, nicht möglich.
13
b) Die Beweiswürdigung ist zudem lückenhaft. Die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass sich das Urteil nicht dazu verhält, in welchen Details das Landgericht "gewisse Zweifel" an der Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten hatte und aus welchen Gründen die Umstände, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme Schlüsse auch zu Ungunsten des Angeklagten ermöglichen, auch in einer Gesamtschau nicht ausreichten, die Einlassung , die Nebenklägerin habe einen Schwächeanfall erlitten, zu widerlegen.
14
Soweit das Landgericht meint, es könne nicht als gegen den Angeklagten sprechendes Indiz gewertet werden, dass er die nach seiner Einlassung erstmals auf dem Friedhofsweg in die Knie gesunkene Nebenklägerin nicht zurück auf die näher gelegene Bank, sondern bis auf den Mulchbereich verbracht haben will (UA 6), lässt es außer Acht, dass sich der Angeklagte nach den insoweit übereinstimmenden Bekundungen der Nebenklägerin und der vom Landgericht für glaubwürdig erachteten Zeugin F. mit der Nebenklägerin entgegen seiner Einlassung nicht im Bereich des Mulches vor den Gräbern, sondern "inmitten der frischen Gräber" aufhielt, als die Zeugin F. hinzukam (UA 5).
15
Bedenken begegnet auch die Erwägung des Landgerichts, für den vom Angeklagten behaupteten Schwächeanfall der Nebenklägerin spreche, dass die Zeugin F. und der Zeuge S. den Eindruck hatten, die Nebenklägerin sei verwirrt gewesen. Insoweit hätte die zumindest ebenso nahe liegende Möglichkeit der Erörterung bedurft, dass die Nebenklägerin deshalb verwirrt gewesen ist, weil sie zuvor von dem Angeklagten gewürgt und von dem Weg vor dem Friedhof bis zu den frischen Gräbern verbracht worden war.
16
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet zudem mit einer auf die Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gestützten Rüge zu Recht, dass es das Landgericht unterlassen hat, durch Verlesung der Urteile Beweis über die den Verurteilungen des Angeklagten durch das Landgericht Mönchengladbach vom 31. Mai 1996 und das Landgericht Essen vom 17. Januar 2001 zu Grunde liegenden Taten zu erheben (vgl. auch BGHSt 43, 106).
17
Das Landgericht Mönchengladbach hatte den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte im August 1995 in den frühen Morgenstunden eine 18 Jahre alte Frau vom Rad gestoßen, ihr ein Küchenmesser an den Hals gelegt und sie gezwungen, sich vollständig zu entkleiden. Er verlangte von ihr, vor ihm niederzuknien und den Oralverkehr zu vollziehen, und zwang sie, ihm einen Zungenkuss zu geben. Dann griffen Polizeibeamte ein, die von Nachbarn alarmiert worden waren.
18
Das Landgericht Essen hatte den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte im Juli 1998 einen damals zwölf Jahre alten Jungen zunächst bewusstlos, packte ihn im Nacken und zerrte ihn in ein Gebüsch. Unter der Drohung, dem Jungen das Genick zu brechen, erzwang der Angeklagte den Oral- und den Analverkehr.
19
Das Landgericht hätte sich zu der Verlesung dieser Urteile gedrängt sehen müssen, zumal diese - wenn auch nicht durch einen förmlichen Beweisantrag - im Hauptverhandlungstermin vom 20. Februar 2007 von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war. Dass die einschlägigen Vorverurteilungen, insbesondere auch die Feststellungen zu der Vorgehensweise des Angeklagten , für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Nebenklägerin von Bedeutung sein können, liegt auf der Hand.
Tepperwien Maatz Athing
Solin-Stojanović Ernemann