Bundesgerichtshof Urteil, 21. März 2019 - 3 StR 480/18

bei uns veröffentlicht am21.03.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 480/18
vom
21. März 2019
in dem Sicherungsverfahren
gegen
wegen Vergewaltigung
ECLI:DE:BGH:2019:210319U3STR480.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. März 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer,
Richter am Bundesgerichtshof Gericke, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, Wimmer, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgericht Kleve in Moers vom 21. März 2018 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen leidet der Beschuldigte infolge einer frühkindlichen Hirnschädigung an einer leichten Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung , die seine soziale Interaktionsfähigkeit und sein Urteilsvermögen einschränkt, so dass er sich nur beschränkt an Regeln halten kann. Auch seine Impulskontrolle ist beeinträchtigt. Er steht deshalb unter umfassender Betreuung seiner Mutter.
3
Am Tattag übernachtete der Beschuldigte, der bei seinen Eltern wohnt, bei der Nebenklägerin, die er bei der gemeinsamen Arbeitsstelle in den Caritaswerkstätten kennengelernt hatte und mit der er seit einigen Tagen eine Beziehung führte. Seine Frage, ob sie mit ihm Sex haben wolle, verneinte die mit ihm das Bett teilende Nebenklägerin, was er akzeptierte. Als der Beschuldigte am nächsten Morgen erwachte, versuchte er, die Nebenklägerin, die krankheitsbedingt in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf versunken war, zu wecken. Er fühlte ihren Puls und führte eine Mund-zu-Mund-Beatmung durch. Dann zog er der weiterhin Schlafenden die Boxershorts herunter und vollzog den vaginalen Geschlechtsverkehr, wobei er außerhalb der Scheide ejakulierte.
4
Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten als Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB gewertet. Es hat jedoch sachverständig beraten den Beschuldigten als schuldunfähig angesehen. Aufgrund des bei ihm diagnostizierten hirnorganischen Psychosyndroms , das als krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB zu werten sei, sei der Beschuldigte nicht in der Lage, soziale Zusammenhänge zu erkennen und zu interagieren. An Regeln könne er sich nur halten, wennman ihn - unter Androhung von Konsequenzen bei einem Verstoß - immer wieder darauf hinweise. Dies beeinträchtige seine Einsichtsfähigkeit. Er könne zwar verstehen , wenn eine Person ein von ihm formuliertes sexuelles Anliegen ablehne. In einer sexuell aufgeladenen Situation, in der - wie vorliegend - eine schlafende Person ihre Ablehnung nicht ausdrücken könne, sei die Einsichtsfähigkeit jedoch sicher erheblich eingeschränkt, wahrscheinlich sogar aufgehoben. Jedenfalls sei der Beschuldigte in der durch sexuelle Spannungen geprägten Situation nicht mehr in der Lage gewesen, sein Verhalten entsprechend einer möglicherweise verbliebenen Resteinsichtsfähigkeit zu steuern.
5
Von einer Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht abgesehen, weil die Voraussetzungen des § 63 StGB nicht vorlägen. Es bestehe keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades , dass von diesem künftig erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Eine solche Allgemeingefahr werde noch nicht dadurch begründet, dass der Beschuldigte nach den Ausführungen des Sachverständigen in einer vergleichbaren Situation möglicherweise wieder so handeln werde. Dieser sei zwar - was im Bundeszentralregister inzwischen gelöscht sei - wegen (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern mit einer jugendrichterlichen Ermahnung vorgeahndet, weil er als Heranwachsender drei Geschädigte im Alter zwischen elf und 13 Jahren an der Scheide anfasste und in einem Fall auch mit einem Finger in die Scheide eindrang. Seit diesen 2008 begangenen Delikten sei es aber bis zu der vorliegenden Tat im November 2016 und nach Entlassung aus der vorläufigen Unterbringung im Oktober 2017 zu keinen weiteren Straftaten mehr gekommen, obgleich der Beschuldigte , der seit seiner Schulzeit in der Caritaswerkstatt arbeite, vielfältige Kontakte zu jungen Frauen habe. Dies sei - neben der altersbedingten Reifung - darauf zurück zu führen, dass der im familiären Umfeld eng begleitete und kontrollierte Beschuldigte sich an das nach der Verurteilung im Jahr 2010 ausgesprochene Gebot seiner Mutter gehalten habe, "Mädchen in Ruhe (zu) lassen". Auch vorliegend habe er zunächst die Ablehnung des Sexualverkehrs durch die Nebenklägerin akzeptiert. Die Tat habe er erst begangen, als sich sein sexuelles Verlangen über Stunden hin aufgebaut und die Nebenklägerin in einem ohnmachtsähnlichen Schlaf gelegen habe. Da er zu dieser zudem eine Beziehung gehabt habe, habe er sein Handeln darüber hinaus als weniger ver- werflich angesehen. Mit der Wiederholung einer solchen besonderen Situation sei nicht im Sinne einer höheren Wahrscheinlichkeit zu rechnen.

II.

6
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2017 - 3 StR 535/16, StV 2017, 575, 576).
7
2. Hieran gemessen hält die im tatgerichtlichen Urteil vorgenommene - negative - Gefährlichkeitsprognose revisionsgerichtlicher Prüfung stand. Das Landgericht hat eine hinreichende Gesamtbetrachtung vorgenommen. Revisionsrechtlich bedeutsame Rechtsfehler bei der Bewertung der eingestellten Risikofaktoren sind nicht ersichtlich. Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass es dem Beschuldigten gelungen sei, sich trotz seiner krankheitsbedingten Schwierigkeit, Regeln zu befolgen, unter anderem unter Kontrolle seines familiären Umfelds an Ge- und Verbote auch im Hinblick auf die Aufnahme sexueller Beziehungen zu halten, kommt es - entgegen dem Revisionsvorbrin- gen - zunächst entscheidend auf die tatsächliche Möglichkeit der Familie an, den Beschuldigten anzuleiten. Darüber hinaus verkennt die Revision, dass der Mutter als gesetzlicher Betreuerin je nach Umfang der angeordneten Betreuung auch rechtliche Möglichkeiten zur Einwirkung auf den Beschuldigten - gegebenenfalls im Zusammenwirken mit dem Betreuungsgericht - zur Verfügung stehen (vgl. § 1896 Abs. 1, §§ 1901, 1906, 1906a BGB). Der Beschuldigte hat die Tat auch aus einer besonderen Situation heraus begangen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202, 203; vom 14. Dezember 2011 - 5 StR 488/11, NStZ-RR 2012, 39, 40). Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass sich erneut eine solch besondere Gelegenheit ergeben könnte, hat das Landgericht nicht mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad feststellen können und wird von der Revision auch nicht aufgezeigt (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2015 - 2 StR 393/14, NStZ-RR 2015, 306, 307). Sodann hat das Landgericht rechtsfehlerfrei in den Blick genommen, dass der Tat die besondere Beziehung zu der Nebenklägerin zugrunde lag (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2015 - 2 StR 393/14, NStZ-RR 2015, 306, 307 mwN).
8
Schließlich hat die Strafkammer auch nicht verkannt, dass der Beschuldigte bereits in der Vergangenheit mit Sexualdelikten aufgefallen ist. Dass sie diesem Umstand unter Hinweis auf den Zeitablauf seit der früheren Tat und das in dieser Hinsicht unauffällige Verhalten des Beschuldigten nach seiner Entlassung aus der vorläufigen Unterbringung kein durchschlagendes Gewicht beigemessen hat, stimmt mit der Rechtsprechung überein, wonach der Umstand, dass der Täter trotz (fort)bestehenden Defekts lange Zeit keine Straftaten (mehr) begangen hat, als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten zu werten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2005 - 4 StR 135/05, NStZ-RR 2005, 303; vom 13. Dezember 2011 - 5 StR 422/11, NStZ-RR 2012, 107, 108). Soweit die Revision bemängelt, dass das Landgericht auf die Darlegung der näheren Umstände und der konkreten Begehung der Vortaten verzichtet habe, ist eine Lücke in der tatrichterlichen Gesamtbetrachtung nicht ersichtlich. Die von der Revision in diesem Zusammenhang mitgeteilten "potentiellen Risikosachverhalte", mit denen sich das Landgericht im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hätte auseinandersetzen müssen, ergeben sich aus den Urteilsgründen nicht. Eine Aufklärungsrüge ist nicht erhoben worden.
Schäfer Gericke Spaniol Wimmer Tiemann

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(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 535/16
vom
21. Februar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Erwerbs von Betäubungsmitteln u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:210217B3STR535.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 21. Februar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 8. September 2016 mit den zugehörigen Feststellungen - ausgenommen diejenigen zu den Tatgeschehen , die aufrechterhalten bleiben - aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.2.a) (1. Tat), b) und c) der Urteilsgründe freigesprochen worden ist, sowie
b) im Maßregelausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des Vortäuschens von Straftaten in drei Fällen und des versuchten Erwerbs von Betäubungsmitteln freigesprochen, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Seine auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Hinsichtlich einer der drei dem Angeklagten zur Last liegenden Fälle des Vortäuschens von Straftaten (Fall II.2.a) [2. Tat vom 4. Juni 2015]) hat das Landgericht deshalb auf Freispruch erkannt, weil das festgestellte Verhalten des Angeklagten keinen Straftatbestand verwirklicht. Hinsichtlich der weiteren Vorwürfe (Fälle II.2.a) [1. Tat vom 3. Juni 2015], b) [Tat vom 17. Oktober 2015] und c) [Tat vom 3. Juli 2015]) hat es den Freispruch auf die Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung gestützt, wobei es folgende rechtswidrige Taten festgestellt hat:
3
Am 3. Juni und am 17. Oktober 2015 versandte der Angeklagte per E-Mail Bombendrohungen an das Amtsgericht Montabaur, die er ernstgenommen wissen wollte. Der Direktor des Amtsgerichts (3. Juni 2015) bzw. der während dessen Abwesenheit zuständige Vertreter (17. Juni 2015) ging allerdings jeweils nicht davon aus, dass eine Sprengstoffexplosion oder Ähnliches drohe. Über "pro forma" getroffene Maßnahmen hinaus wurde nichts veranlasst.
4
Am 3. Juli 2015 erwarb der Angeklagte in Koblenz einen 0,2 g schweren "Krümel", den er für Heroin hielt.
5
Die festgestellten rechtswidrigen Taten hat das Landgericht zutreffend als Vortäuschen von Straftaten (§ 145d Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 126 Abs. 1 Nr. 6, § 308 StGB) in zwei Fällen und versuchten Erwerb von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BtMG, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) gewertet.
6
2. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB (nF) hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand; denn das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem Angeklagten in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5; vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, juris Rn. 5; vom 16. September 2014 - 3 StR 372/14, juris Rn. 4; vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, juris Rn. 10 mwN).
8
b) Die Strafkammer ist - dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - davon ausgegangen, der Angeklagte leide an einer paranoiden Schizophrenie in chronifizierter Form, die durch deutliche inhaltliche und formale Denkstörungen sowie durch eine gravierende Beeinträchtigung seiner Kritikfähigkeit geprägt sei. Er habe ein ganz eigenes, egozentrisches Verständnis von gesellschaftlichen Normen entwickelt, das einem selbstreflexiven Diskurs nicht mehr zugänglich sei. So sehe er sich als unrechtmäßig behandeltes Opfer von öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Personen, insbesondere den Richtern des Amtsgerichts Montabaur, die gegen ihn eine rechtliche Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt und mehrmals präventive landesrechtliche Unterbringungen in psychiatrischen Einrichtungen angeordnet hatten. Daneben bestehe beim Angeklagten seit vielen Jahren eine Polytoxikomanie.
9
Die Strafkammer hat weiter angenommen, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten auf Grund der chronifizierten paranoiden Schizophrenie aufgehoben war (§ 20 StGB). Die Taten beruhten auf krankheitsbedingter Realitätsverkennung. Die Ausprägung des psychotischen Erlebens sei von der symptomprovokativen Wirkung der zuvor konsumierten stimulierenden Betäubungsmittel abhängig gewesen. Motivation für die Taten sei die krankheitsbedingte Überzeugung des Angeklagten gewesen, sich als Justizopfer - nur noch - mit Bombendrohungen wehren zu können und ohne den Drogenkonsum "zu 80 % schwerbehindert" zu sein (der Konsum sei ihm "gestattet").
10
Die Strafkammer hat ferner die Prognose getroffen, dass der Angeklagte "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" weitere rechtswidrige Taten begehen wird, zum einen den Anlasstaten ähnliche Betäubungsmitteldelikte und "Bedrohungen" , zum anderen Warenkredit- und Leistungsbetrügereien über das Internet. Schließlich seien auch Gewalttaten ernsthaft zu befürchten, "die sich am ehesten in Form einer direkten einfachen körperlichen Aggression, wie etwa einem Schlag, äußern" könnten.
11
c) Diese Begründung trägt die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht. Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei dargelegt, dass beim Angeklagten zu den Tatzeitpunkten ein länger andauernder, das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB erfüllender psychischer Defekt bestand, auf dem die Begehung der Taten beruhte und der zur Aufhebung der Einsichtsfähigkeit führte. Die im Urteil dargelegte Gefährlichkeitsprognose hält jedoch rechtlicher Überprüfung nicht stand:
12
aa) Die vom Landgericht erwarteten, den Anlasstaten ähnlichen Betäubungsmitteldelikte und "Bedrohungen" sind nicht erheblich im Sinne von § 63 Satz 1 StGB. Für den Erwerb von 0,2 g (Schein-)Heroingemisch versteht sich dies von selbst. Aber auch die vom Angeklagten versandten Bombendrohungen waren nach den Feststellungen nicht geeignet, zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens zu führen. Nach der konkreten Ausgestaltung der E-Mails trug die Ankündigung aus Sicht des Erklärungsempfängers nicht die naheliegende Gefahr der Verwirklichung in sich (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2016 - 4 StR 359/16, juris Rn. 15; Beschluss vom 18. Juli 2013 - 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385, jew. mwN). Vielmehr nahmen der Direktor des Amtsgerichts Montabaur und sein Vertreter die Bombendrohungen gerade nicht ernst. Folgerichtig hat das Landgericht daher keine rechtswidrige Tat der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten nach § 126 Abs. 1 Nr. 6 StGB bejaht. Das künftig anderes zu erwarten wäre, belegen die Feststellungen und die ihnen zugrundeliegende Beweiswürdigung nicht.
13
bb) Hinsichtlich der vom Landgericht besorgten Internetbetrügereien genügen die Ausführungen unter mehreren Gesichtspunkten nicht den rechtlichen Anforderungen. Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus den Anlasstaten selbst, ordnet das Gericht nach § 63 Satz 2 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur an, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2016 - 4 StR 359/16, aaO Rn. 14). Solche besonderen Umstände sind hier nicht dargetan. Zu den vom Angeklagten bisher begangenen Betrugstaten fehlen konkrete durch die Beweiswürdigung unterlegte Feststellungen. Die pauschale Angabe, der Angeklagte habe in der Vergangenheit in zahlreichen Fällen im Internet Waren bestellt und Telefonverträge geschlossen, ohne seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, ist insoweit nicht ausreichend. Des Weiteren ist die Gefahr eines schweren wirtschaftlichenSchadens nicht festgestellt. Hierzu ist lediglich ausgeführt, dass der Betreuer diese Geschäfte "im gewissen Maße" habe "eindämmen" können, künftige Schäden allerdings "nicht gänzlich verhindert werden" könnten, wobei das Schadensausmaß "schwer bezifferbar" sei, aber "eine ganz erhebliche Größe annehmen" könne. Schließlich bleibt der symptomatische Zusammenhang zwischen festgestelltem psychischen Defekt und zu erwartenden Betrugstaten (s. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 63 Rn. 14a; MüKoStGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 63 Rn. 56 ff.) offen. Bei der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung bekundeten Vorstellung, er führe ein Wirtschaftsunternehmen, handelt es sich augenscheinlich um ein divergierendes psychotisches Erleben; hierzu verhält sich das Urteil nicht.
14
cc) Dass der Angeklagte mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades künftig Gewalttaten begehen werde, ist ebenso wenig tragfähig begründet. Allein mit der allgemein erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter kann die Gefährlichkeitsprognose - auch unter Berücksichtigung der symptomprovokativen Wirkung von konsumierten Betäubungsmitteln - nicht begründet werden (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 - 4 StR 267/11, juris Rn. 15; Beschluss vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306, 307); erst recht können darin keine besonderen Umstände im Sinne von § 63 Satz 2 StGB gesehen werden, welche die schmale Tatsachenbasis infolge der anders gelagerten Anlassdelikte ausgleichen (vgl. BeckOK StGB/Ziegler, § 63 Rn. 10). Soweit das Landgericht angeführt hat, der Angeklagte habe mit den E-Mails "Gewaltphantasien" geäußert, ist es nicht darauf eingegangen, auf Grund welcher konkreten Umstände nunmehr deren Umsetzung wahrscheinlich ist. Gleiches gilt für das verbal aggressive Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung sowie gegenüber seinem Vater und seinem Betreuer, zumal dazu, dass der Angeklagte "in Bezug auf die Kinder .... (des Betreuers) gedroht" habe, nichts Näheres mitgeteilt wird. Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte in der Vergangenheit "gegenüber anderen Personen ... bereits vereinzelt körperlich aggressiv geworden" sei, bleiben die Ausführungen vage. Zu etwaigen strafrechtlichen Vorverurteilungen des Angeklagten oder wegen Schuldunfähigkeit ergangenen Freisprüchen oder Einstellungen verhält sich das Urteil nicht. Die "Handgreiflichkeiten gegenüber der Mutter" werden nicht konkretisiert ; weitere individualisierte Gewalttaten werden nicht benannt. Belege finden sich nicht. Nach alledem ermöglichen es die - nicht hinreichend tatsachenfundierten - Ausführungen dem Senat nicht, die vom Landgericht getroffene Gefährlichkeitsprognose nachzuvollziehen.
15
d) Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten in den Fällen II.2.a) (1. Tat), b) und c) der Urteilsgründe aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75). Die zu den Tatgeschehen in objektiver und subjektiver Hinsicht getroffenen tatsächlichen Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und können daher bestehen bleiben.
16
3. Zu den Einziehungsentscheidungen erweist sich die Revision als unbegründet.
Becker Schäfer Spaniol Berg Hoch

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 635/10
vom
22. Februar 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 8. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
1. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen den nicht vorbestraften , an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Beschuldigten sind vier in den Jahren 2009 und 2010 im Abstand von jeweils mehreren Monaten begangene Straftaten:
3
(1) eine am 25. Februar 2009 während einer vom Amtsgericht Landau angeordneten Unterbringung im Pfalzklinikum begangene vorsätzliche Körperverletzung zum Nachteil eines mit dem Reinigen des Bodens befassten Zeugen ,
4
(2) eine am 14. Juli 2009 zum Nachteil seines Betreuers begangene versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung,
5
(3) eine am 14. Januar 2010 zum Nachteil seines Betreuers begangene Bedrohung, die dieser allerdings nicht ernst nahm, und
6
(4) Beleidigungen zweier Mitarbeiterinnen seines Betreuers am 23. März 2010, wobei die Kammer bezüglich einer vom Beschuldigten zudem begangenen versuchten Körperverletzung einen strafbefreienden Rücktritt angenommen hat.
7
Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten hat sich die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wonach damit zu rechnen sei, dass der Beschuldigte auch künftig gleich gelagerte Straftaten begehen werde, "eine Steigerung von Gewalt über das bekannte Maß hinaus" sei aber nicht zu erwarten (UA 12).
8
2. Diese Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden , wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind, die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08; vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 jeweils mwN). Die lediglich latente Gefahr oder bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08, vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
10
b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Strafkammer nicht belegt.
11
aa) Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 437/03, Beschlüsse vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, vom 10. August 2010 - 3 StR 268/10). Todesdrohungen gehören hierzu indes nur, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564, Beschluss vom 20. Februar 2009 - 5 StR 555/08, NStZ 2009, 383; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 209/10). Die Gefahr bloßer Beleidigungen ist dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen.
12
bb) Auf dieser Grundlage vermag allein die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen.
13
Soweit die Kammer auf die Möglichkeit tätlicher Auseinandersetzungen während einer Unterbringung abstellt, handelt es sich zwar für sich betrachtet um gewichtige Straftaten. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 mwN). Dies gilt jedenfalls, wenn - wozu indes in dem angefochtenen Urteil nähere Feststellungen fehlen - es um das Verhalten eines in einer psychiatrischen Klinik Untergebrachten gegenüber dem im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenem oder geschultem Personal geht. Aggressives Verhalten in diesem Bereich ist nicht gleichzusetzen mit Handlungen in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder dem Täter nahe stehenden Personen. Solche Taten verlangen daher - jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster Rechtsgutsverletzungen zuzurechnen sind - schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein strafrechtliches Sicherungsverfahren und Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 - 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit Ausnahme der Anlasstat vom 25. Februar 2009 bisher durch vergleichbare Taten ersichtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, obwohl er seit dem Jahr 1995 vielfach stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen und behandelt werden musste (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
14
Auch zu erwartende Taten nach der Art und Intensität der zum Nachteil seines Betreuers oder dessen Mitarbeiter begangenen Taten sind nicht ohne weiteres geeignet, die Unterbringung des Beschuldigten zu rechtfertigen. Sie wurden von ihm jeweils in einer aus seiner Sicht besonderen Situation begangen (vor der Tat vom 14. Juli 2009 hatte der Betreuer die Bitte des Beschuldigten nach Geld abgelehnt; vor der Tat vom 14. Januar 2010 hatte sich der Beschuldigte aus seiner Wohnung ausgesperrt und seinen Betreuer gebeten, einen Schlüsseldienst zu verständigen, was dieser ebenfalls ablehnte). Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte bei diesen Taten zunächst nur verbalaggressiv verhalten hat, er bei Einschreiten dritter Personen von Gewalthandlungen absah oder abgebracht werden konnte und sich beruhigen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2010 - 5 StR 492/10).
15
Insgesamt vermögen die vom Beschuldigten begangenen und drohenden Taten, die zudem in ihrer Intensität und Gefährlichkeit jedenfalls keine Steigerung erfuhren, die außerordentlich schwere Maßregel des § 63 StGB nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einem von den Straftaten her ähnlich gelagerten, jedoch ein Nachbarschaftsverhältnis betreffenden Fall BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Beschuldigte "als Opfer eines weit verzweigten Komplotts aus Ärzten, Betreuern, Polizei und Nachbarschaft" (UA 19) sieht, gegenüber denen es indes nach den Feststellungen der Strafkammer bislang ersichtlich nur in seltenen - den oben wiedergegebenen - Fällen zu Aggressionsdurchbrüchen kam.
16
3. An einer das Sicherungsverfahren abschließenden Entscheidung und einer Aufhebung des Unterbringungsbefehls ist der Senat jedoch gehindert; denn es ist nicht auszuschließen, dass weitere Feststellungen die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen können. Die Strafkammer hat es insbesondere unterlassen, nähere Feststellungen zu den Taten zu treffen, die Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen betrafen und entweder "auf den Privatklageweg verwiesen oder nach § 170 Abs. 2 StPO, teilweise wegen Schuldunfähgkeit eingestellt" wurden (UA 4, 5). Auch zu dem vom Sachverständigen in Zusammenhang mit der Gefährlichkeitsprognose erwähnten Einsatz eines Messers (UA 12) verhält sich das Urteil nicht weiter.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer
5 StR 488/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2011

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 5. September 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; die Maßregelanordnung entfällt.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten wegen zu Unrecht erlittener einstweiliger Unterbringung bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Braunschweig vom 16. März 2011 wird aufgehoben. Der Angeklagte ist in dieser Sache sofort aus der einstweiligen Unterbringung zu entlassen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf des Betruges in fünf Fällen freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Auf die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hebt der Senat die Maßregelanordnung auf; diese entfällt.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 3) leidet der An- geklagte bereits seit dem Jahr 2003 an einer „chronifizierten Schizophrenie am ehesten in der Subklassifizierung als undifferenzierte Schizophrenie (ICD 10: F 20.3)“. Insbesondere ist er wahnhaft der Auffassung, dass er aufgrund einer nach seiner Ansicht unrechtmäßigen Kündigung seines früheren Arbeitsverhältnisses durch die V. AG von dieser bis zu 1,6 Mio. € zu erhalten habe und auch erhalten werde. Vor diesem Hintergrund hält sich der Angeklagte unkorrigierbar für einen „reichen Mann“ (UA S. 4). Tatsächlich lebt er in sehr beschränkten finanziellen Verhältnissen.
3
Zu den Taten, die der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit beging, kam es zwischen September 2007 und Oktober 2008:
4
Der Angeklagte ist Eigentümer eines leerstehenden baufälligen „Woh- nensembles“ in Rottmersleben. Nachdem im März 2007 für das Wohnhaus eine Abrissverfügung erlassen und schließlich die Ersatzvornahme angedroht worden war, entschloss sich der Angeklagte, zunächst das Dach und den Dachstuhl des Gebäudes abtragen und neu errichten zu lassen. In diesem Zusammenhang beauftragte er zwei Handwerksbetriebe, die die vereinbarten Werkleistungen im Vertrauen auf die Zahlungsfähigkeit des Angeklagten erbrachten. Die Rechnungen in Höhe von insgesamt rund 19.000 € blieben unbezahlt.
5
Nachdem sich die Baubehörde mit der Durchführung der genannten Arbeiten zufrieden gegeben hatte, entschloss sich der Angeklagte, das Objekt weiter zu sanieren. In der Folgezeit beauftragte er in drei weiteren Fällen Handwerksbetriebe mit der Erbringung von Werkleistungen. Zwei Rechnun- gen in Höhe von insgesamt 14.000 € blieben wiederum unbezahlt. In einem weiteren Fall kam es nicht zu dem von dem Angeklagten in Auftrag gegebenen Einbau von Fenstern und einer Haustür, nachdem eine Nachbarin den Handwerker gewarnt hatte, dass der Angeklagte „bekanntermaßen zah- lungsunfähig“ sei. Der Auftragnehmer erlitt jedoch gleichwohl einen Schaden von rund 2.000 €.
6
Bei der Begehung aller Taten ging der Angeklagte infolge seines Wahns davon aus, dass er die entsprechenden Rechnungen zeitnah würde bezahlen können, da er „beinahe täglich“ mit einem erheblichen Geldeingang seitens der V. AG rechnete.
7
2. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus liegen nicht vor.
8
Zwar begegnet die Annahme der fehlenden Einsichtsfähigkeit des Angeklagten keinen rechtlichen Bedenken. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht ferner davon ausgegangen, dass die weitere Voraussetzung eines fortdauernden Zustandes nach § 20 StGB beim Angeklagten gegeben ist. Indes tragen die Urteilsfeststellungen nicht die für die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08, Rn. 5; vom 16. Juli 2008 – 2 StR 161/08, Rn. 7; jeweils mwN). Die bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 – 2 StR 291/08, Rn. 7; vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, Rn. 10, NStZ-RR 2009, 198).
10
b) Diese Anordnungsvoraussetzungen liegen hier nicht vor.
11
Das sachverständig beratene Landgericht geht – insoweit nachvollziehbar – davon aus, dass der in der Vergangenheit bereits wiederholt mit geringeren Delikten strafrechtlich in Erscheinung getretene Angeklagte aufgrund seiner chronifizierten psychischen Erkrankung auch weiterhin Strafta- ten begehen wird. Soweit es Bedrohungstaten und „kleinere Zechprellereien“ erwartet, kommt es mit Recht zu dem Ergebnis, dass diese auch in ihrer Gesamtheit keine erheblichen Taten im Sinne von § 63 StGB darstellen.
12
Die Strafkammer nimmt indes „mit erhöhter Wahrscheinlichkeit“ an, dass der Angeklagte infolge seiner Wahnvorstellung, ein reicher Mann zu sein, bei gleichzeitig tatsächlich sehr beschränkten finanziellen Verhältnissen und weiterhin bestehender Sanierungsbedürftigkeit des Gebäudes in Rott- mersleben zukünftig „weitere erhebliche Betrugsstraftaten ähnlich den hier verfahrensgegenständlichen Anlasstaten“ begehen wird (UA S. 45). Diese Gefahr vermag jedoch die Maßregelanordnung nicht zu begründen.
13
Die Frage, ob von den künftig zu erwartenden Straftaten schwere Störungen des Rechtsfriedens ausgehen, kann nicht allein mit dem – hier ohnehin nicht herausragenden – Gewicht des gesetzlichen Straftatbestandes beantwortet werden. Vielmehr kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2008 – 1StR 153/08; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Für etwa konkret existenzbedrohende Schädigungen besteht hier kein Anhalt. Hinweise darauf, dass der Angeklagte in anderen Zusammenhängen als der Sanierung des Gebäudes in Rottmersleben erhebliche Betrugsstraftaten begehen wird, ergeben sich nicht. Aus dem von der Strafkammer insoweit ergänzend herangezogenen Umstand, dass sich der Angeklagte in Helmstedt zwei Häuser (von außen) angeschaut hat, weil er sehen wollte, „was er mit seinem Geld machen werde“ (UA S. 46), können solche Anhalts- punkte für Gefahren der Verursachung erheblicher Vermögensschäden durch Betrugshandlungen des Angeklagten jedenfalls nicht entnommen werden.
14
Hinzu kommt, dass die Feststellungen des Landgerichts auch nicht die Annahme einer „erhöhten Wahrscheinlichkeit“ einer Begehung ähnlicher Straftaten tragen. Die angeklagten Taten wurden aus einer besonderen Situation heraus – Abrissverfügung der Baubehörde – begangen. Dass der Angeklagte auch nach Zufriedenstellung der Behörde weitere Sanierungsleistungen in Auftrag gab, ändert nichts daran, dass der Anlass für die Taten maßgeblich von außen gesetzt wurde und sie nicht etwa allein durch den Wahn des Angeklagten ausgelöst wurden. Weder vor noch nach diesen Taten hat der Angeklagte Betrügereien vergleichbarer Art begangen. Eine Vorstrafe wegen Betruges bezieht sich auf die Erschleichung von Sozialleistungen. Auch die weitere durch Strafbefehl des Amtsgerichts Helmstedt vom 29. Februar 2008 geahndete Betrugstat steht in keinem erkennbaren Zusammenhang zu dem Wahn des Angeklagten.
15
c) Ohne dass es nach dem Ausgeführten noch darauf ankommt, weist der Senat abschließend darauf hin, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gegenüber wirksamen milderen Maßnahmen subsidiär ist. Im vorliegenden Fall wäre insbesondere zu prüfen, ob der von dem Angeklagten ausgehenden Gefahr durch Bestellung eines Betreuers begegnet werden kann.
16
3. Der Senat schließt aus, dass sich noch weitergehende Feststellungen treffen lassen, die die Gefährlichkeit des Angeklagten belegen könnten. Er hebt daher den Maßregelausspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO auf und lässt die Maßregel entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 2005 – 4 StR 85/03, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Sachentscheidung

8).


17
4. Mit dem Maßregelausspruch ist auch die Grundlage für die einstweilige Unterbringung weggefallen (§ 126a Abs. 2 Satz 1, § 126 Abs. 3 StPO).
18
5. Die gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu treffende Entscheidung über eine Entschädigung des Angeklagten wegen zu Unrecht erlittener einstweiliger Unterbringung bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Basdorf Brause Schaal Schneider König

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 3 9 3 / 1 4
vom
22. April 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. April
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Januar 2014 im Ausspruch über die Maßregel mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 15 Fällen, hiervon in elf Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung der Maßregel; im Übrigen ist sie unbegründet, weil die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lässt.

I.


2
Dem Urteil liegen folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:
3
1. Der Angeklagte leidet seit frühester Kindheit an einer Schwerhörigkeit sowie einer leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung (Gesamt-IQ 49). 2004 heiratete er die in Russland lebende Mutter der am 22. November 1995 geborenen Geschädigten. Während die Mutter bald nach Deutschland übersiedelte und in die Wohnung des Angeklagten einzog, konnte die Geschädigte ihrer Mutter erst im Sommer 2007 folgen. Die Geschädigte ist wie ihre Mutter gehörlos und beherrschte zunächst nur die russische Gebärdensprache.
4
Bereits eine Woche nach ihrer Ankunft fragte der Angeklagte die Geschädigte mittels Gebärden, ob sie mit ihm "Sex machen" wolle. In der Folgezeit rieb er wiederholt seinen erigierten Penis zwischen den nackten Gesäßhälften der Geschädigten. Spätestens seit Herbst 2008 führte er regelmäßig, mindestens aber in 15 Fällen, den vaginalen Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter durch; in einem Fall erfolgte zudem Oralverkehr, in einem weiteren Fall versuchter Analverkehr (Fälle II. 1. bis 15. der Urteilsgründe), wobei die Geschädigte in vier Fällen nicht ausschließbar bereits 14 Jahre alt war (Fälle II. 10. bis 13. der Urteilsgründe).
5
Der Angeklagte hat das Tatgeschehen im Wesentlichen eingeräumt, wobei er aber die Initiative hierfür der Geschädigten zugeschrieben hat, die ihn "verliebt gemacht" habe.
6
2. Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten aufgrund der bei ihm bestehenden Intelligenzminderung, die in ihrem Schweregrad das Eingangsmerkmal des "Schwachsinns" erfülle, erheblich vermindert gewe- sen sei (§ 21 StGB). Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus habe angeordnet werden müssen. Aufgrund der weiterhin bestehenden Intelligenzminderung seien in jedem Fall ähnlich gelagerte, schwerwiegende Straftaten zu erwarten.

II.


7
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
1. Das Landgericht hat den für die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit vorausgesetzten ursächlichen symptomatischen Zusammenhang der von dem Sachverständigen diagnostizierten leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung mit dem Tatgeschehen nicht ausreichend belegt.
9
Die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung aufgrund einer festgestellten Störung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, ist tatsachengestützt zu begründen. Dies erfordert es, sowohl konkrete Feststellungen zum Ausmaß der vorhandenen Störung zu treffen als auch ihre Auswirkungen auf die Tat darzulegen. Geboten ist insbesondere eine Auseinandersetzung damit, ob in der Person des Angeklagten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei voll schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2015 - 2 StR 420/14 mwN).
10
Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat zwar dargelegt, dass der Angeklagte an einem unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krankhaften dauerhaften Zustand leidet. Sie hat es aber versäumt, in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass und wie sich dieser Zustand in der konkreten Tat ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 1997 - 4 StR 303/97, NStZ-RR 1998, 106).
11
Das Landgericht hat insoweit "in Übereinstimmung" mit dem Sachverständigen lediglich ausgeführt, der Angeklagte sei aufgrund seiner Intelligenzminderung "nur schwer" in der Lage gewesen, aus seiner (erhalten gebliebenen ) Unrechtseinsicht "die Schlussfolgerung zu ziehen, keine sexuellen Handlungen mit seiner Stieftochter zu begehen". Er sei in der Fähigkeit, seinen sexuellen Trieb und die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse zu kontrollieren , erheblich beeinträchtigt gewesen.
12
Diese knappen Ausführungen lassen nicht erkennen, auf welcher Tatsachengrundlage die Annahme des Sachverständigen - und ihm folgend des Tatgerichts - beruht, dass die Missbrauchstaten auf die Intelligenzminderung und nicht etwa auf andere Ursachen, wie zum Beispiel eine sexuelle Präferenz des Angeklagten, zurückgehen. Überhaupt fehlen Ausführungen dazu, welchen Einfluss die Intelligenzminderung auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den konkreten Tatsituationen hatte. Auch im Hinblick auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit fehlt jede tatbezogene Betrachtung.
13
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen lässt sich daher nicht die Annahme rechtfertigen, der Angeklagte habe aufgrund seiner Intelligenzminderung bei allen Taten jeweils sicher im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gehandelt.
14
2. Auch die Gefährlichkeitsprognose wird durch die bisherigen Feststellungen nicht getragen.
15
a) Die der Entscheidung der Strafkammer zugrunde gelegte Bewertung des Sachverständigen, dass aufgrund der Diskrepanz zwischen körperlicher sexueller Reife und sozialer Kompetenz des Angeklagten in jedem Fall ähnlich gelagerte, schwerwiegende Straftaten zu erwarten seien, ist nicht im Einzelnen mit Tatsachen belegt.
16
Richten sich Straftaten, aufgrund derer die Unterbringung angeordnet wird, nur gegen eine bestimmte Person oder haben sie in der Beziehung zu dieser Person ihre alleinige Ursache, so bedarf die Annahme, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist, genauer Prüfung und Darlegung aufgrund konkreter tatsächlicher Feststellungen (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1989 - 4 StR 342/89, NZV 1990, 77 mwN; Senatsbeschluss vom 4. Oktober 2006 - 2 StR 349/06, NStZ 2007, 29). Das Landgericht hat insoweit lediglich ausgeführt, dass die Möglichkeiten des Angeklagten, Einfluss und Eindruck auf erwachsene Frauen als mögliche Sexualpartnerinnen auszuüben, wegen seiner Intelligenzminderung erheblich eingeschränkt seien, weshalb eine Verschiebung seiner sexuellen Bedürfnisse auf schwächere Bezugspersonen in Gestalt von jungen Mädchen weiterhin zu befürchten sei.
17
Dabei hat das Gericht schon nicht berücksichtigt, dass der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 38jährige und nicht vorbestrafte Angeklagte seit 2004 verheiratet ist und mit seiner Frau eine gemeinsame, 2008 geborene Tochter hat. Worauf die Annahme der Kammer gründet, dass die Möglichkeiten des Angeklagten , erwachsene Sexualpartnerinnen zu finden, tatsächlich eingeschränkt sind, wird nicht ausgeführt.
18
Aber auch die Bewertung, dass eine Verschiebung seiner sexuellen Bedürfnisse auf junge Mädchen weiterhin zu befürchten sei, lässt eine Erörterung tatspezifischer Umstände vermissen; denn bei der durch die Missbrauchstaten Geschädigten handelte es sich um die mit dem Angeklagten in einem Haushalt lebende Stieftochter, die zudem gehörlos ist und erst unmittelbar vor den ersten sexuellen Übergriffen nach Deutschland gekommen war. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte wieder die Gelegenheit haben könnte, entsprechend nachhaltig auf ein solchermaßen schutzbedürftiges junges Mädchen einzuwirken, hat die Strafkammer weder mitgeteilt noch sind solche ersichtlich, zumal auch die jüngere Schwester der Geschädigten schon 2011 aus der Familie genommen und den Eltern die elterliche Sorge entzogen worden ist.
19
b) Die Ausführungen der Strafkammer lassen zudem besorgen, dass sie bei der Gefährlichkeitsprognose einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat. Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur dann in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung künftiger Taten besteht. Die Kammer hat sich insoweit "nach eigener Prüfung" den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, der davon ausgegangen ist, dass "in jedem Fall" ähnlich gelagerte Straftaten zu erwarten seien. Sie ist dann mit ergänzenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass Missbrauchstaten gegen junge Mädchen weiterhin "zu befürchten" seien, ohne sich zu dem Grad der Wahrscheinlichkeit überhaupt zu verhalten und diesen tatsachengestützt zu begründen.
20
3. Der Senat hebt den Maßregelausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf. Der neue Tatrichter wird sich naheliegender Weise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen erneut mit der Intelligenzminderung des Angeklagten und ihren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit auseinanderzusetzen haben.
21
Schuld- und Strafausspruch können bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, dass sich dabei Feststellungen ergeben könnten, die zu einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten führen könnten. Denn das Landgericht hat auf breiter Tatsachengrundlage es zum einen dargestellt, dass der Angeklagte, der eingeräumt habe zu wissen, dass man seine Stieftochter "nicht anfassen" dürfe, trotz seiner Intelligenzminderung das Unrecht seiner Tat erkannt habe. Es hat zum anderen ausgeführt, dass eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen werden könne, weil den Missbrauchstaten jeweils eine nicht unerhebliche Planung der Ausführung vorausgegangen sei, der Angeklagte zielgerichtet nach Möglichkeiten der Ausführung gesucht und dabei zahlreiche Sicherungstendenzen gezeigt habe.
22
Soweit die Strafkammer aufgrund der dargelegten rechtfehlerhaften Wertung die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und die Strafe dem jeweils gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen hat, ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2015 - 4 StR 498/14, NStZ-RR 2015, 137, 138). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat auszuschließen (vgl. Senatsbeschluss vom 1. April 2014 - 2 StR 602/13). Krehl Eschelbach Ott Zeng Bartel
5 StR 422/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 13. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Dezember 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 18. Juli 2011 mit den zugehörigen Feststellungen nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist, sowie im Maßregelausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Gegen den Schuldspruch ist rechtlich nichts zu erinnern. Entgegen den Einwendungen der Revision hat das sachverständig beratene Landgericht eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB) zutreffend namentlich mit der Begründung ausgeschlossen, dass dieser in- nehalten konnte, nachdem er wieder in den Besitz des Personalausweises gelangt war.
3
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4
a) Die Annahme des für § 63 StGB erforderlichen dauerhaften Defekts mit Krankheitswert (vgl. dazu BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 26 f.; Beschlüsse vom 6. Februar 1997 – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385 f., und vom 8. Juli 1999 – 4 StR 269/99, NStZ 1999, 611, 612) ist allerdings nicht zu beanstanden. Dass bei dem Angeklagten nicht nur eine – für sich nicht ausreichende – dauerhafte Disposition besteht, in bestimmten , ihn belastenden Situationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Affektverarbeitung in den Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit zu geraten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2001 – 3 StR 373/01, NStZ 2002, 142, vom 24. September 1997 – 2 StR 443/97, BGHR StGB § 63 Zustand 27, und vom 1. September 1998 – 4 StR 367/98), wird von den Feststellungen getragen. Danach hat die diagnostizierte schwere Persönlichkeitsstörung des emotional-instabilen Typus (ICD 10: F 61.0) bei ihm bereits seit früher Kindheit zu beträchtlichen Einschränkungen der gesamten Lebensführung bis hin zur Verwahrlosung geführt.
5
b) Der Maßregelausspruch kann gleichwohl nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht die weiter vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichend begründet hat. Die außerordentlich beschwerende Maßregel der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus setzt eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades voraus, dass von dem Betroffenen in Zukunft rechtswidrige Taten von Erheblichkeit zu erwarten sind; die bloße Möglichkeit genügt dementsprechend nicht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 1992 – 5 StR 333/92, NStZ 1992, 538, vom 8. Juli 1999 – 4 StR 269/99, NStZ 1999, 611, 612, und vom 16. Juli 2008 – 2 StR 161/08, Rn. 7; jeweils mwN).
6
Vier – vergleichsweise nicht sehr schwer wiegende und dementsprechend durchgehend mit Geldstrafe geahndete – Körperverletzungsdelikte hat der Angeklagte im Zeitraum von 2004 bis 2008 begangen. Auch die Anlasstat liegt in diesem Zeitraum. Zuvor und danach musste er trotz seines Defekts nicht verurteilt werden. Es entspricht aber ständiger Rechtsprechung, dass länger währende Straffreiheit als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten heranzuziehen ist (BGH NStZ 1999 aaO; LK/Schöch, 12. Aufl., § 63 Rn. 74).
7
Das Landgericht hat dies im Grundsatz auch nicht verkannt und stützend auf aggressives Verhalten des Angeklagten bei der psychiatrischen Exploration und im Vorfeld des zweiten Hauptverhandlungstags verwiesen. Indessen hat dieser seine Aggressionen im Zuge der Exploration zu beherrschen vermocht; am zweiten Hauptverhandlungstag konnte er Gleiches aufgrund vorsorglich vorgenommener Fesselung nicht unter Beweis stellen. Hinzu kommt, dass krankheitstypische Aggressionen, die Ausfluss solcher Belastungssituationen sind, nur eingeschränkt als Beleg für die allgemeine Gefährlichkeit des Betroffenen gelten können (vgl. zu Taten während einer strafrechtlichen Unterbringung LK/Schöch, aaO, § 63 Rn. 84 mwN).
8
3. Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung hat die Strafkammer maßgebend mit der Gefährlichkeit des Angeklagten begründet. Sie kann aus den vorgenannten Gründen schon deshalb nicht bestehen bleiben. Der Senat weist für die neu anzustellende Sozialprognose darauf hin, dass der Angeklagte bislang noch nicht zu Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Dass ihm nicht allein die Verurteilung zu Freiheitsstrafe in Verbindung mit entsprechenden Bewährungsweisungen und -auflagen hinreichende Warnung für künftige Legalbewährung sein kann, versteht sich daher nicht von selbst. Auch die wenig nachdrückliche Führung des Strafverfahrens in den Jahren 2009 und 2010 und die Straffreiheit des Angeklagten seit der verfahrensgegenständlichen Tat können hierbei nicht außer Betracht bleiben.
9
4. Sofern das neu entscheidende Tatgericht die Voraussetzungen des § 63 StGB bejahen sollte, wird – bei gegebener Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung – im Rahmen einer etwaigen Aussetzungsentscheidung nach § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB eingehender als bislang nach alternativen, den Angeklagten weniger beschwerenden Weisungsoder Unterbringungsmöglichkeiten zu suchen sein.
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